Über die Psychologie des Geldes - Morgan Housel - E-Book + Hörbuch

Über die Psychologie des Geldes Hörbuch

Morgan Housel

5,0

Beschreibung

»Geld hat viel mehr mit Psychologie zu tun als mit Finanzen.« Wenn es um Geld geht, glauben wir, dass wir bestimmte Fakten, Regeln und Gesetzmäßigkeiten kennen müssen. Wir gehen davon aus, die Welt der Finanzen sei die Welt der Mathematik, in der Daten und Formeln einem exakt sagen, wie man sich verhalten soll – und die Menschen würden sich dann danach richten. Dabei ist das Gegenteil der Fall: In der realen Welt treffen Menschen ihre finanziellen Entscheidungen nicht aufgrund einer Tabellenkalkulation. Sie treffen sie beim Abendessen oder während eines Meetings, wo die persönliche Geschichte, der individuelle Blick auf die Welt, das eigene Ego und weitere krude Einflüsse zusammentreffen. Es geht also in erster Linie um Psychologie, um Emotionen und Grauzonen. Anhand von 20 Kurzgeschichten vermittelt der preisgekrönte Autor Morgan Housel anschaulich, dass bei Geldthemen nicht entscheidend ist, über wie viel theoretisches Wissen jemand verfügt, sondern wie er sich in einer Stresssituation verhält. »Eines der besten und originellsten Finanzbücher seit Jahren.« Jason Zweig, The Wall Street Journal »Morgan Housel ist einer der hellsten neuen Sterne am Finanzhimmel. Er ist für jeden zugänglich, der mehr über die Psychologie des Geldes erfahren möchte. Ich kann dieses Buch uneingeschränkt empfehlen.« James P. O'Shaughnessy, Autor von Die besten Anlagestrategien aller Zeiten

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Zeit:6 Std. 36 min

Sprecher:Peter Wolter
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Morgan Housel

Über die Psychologie des Geldes

Zeitlose Lektionen über Reichtum, Gier und Glück

MORGAN HOUSEL

Über die Psychologie des Geldes

ZEITLOSE LEKTIONEN ÜBER REICHTUM, GIER UND GLÜCK

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

15. Auflage 2024

© 2021 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Copyright der Originalausgabe: © Morgan Housel

Originally published in the UK by Harriman House Ltd in 2020, www.harriman-house.com.

Die englische Originalausgabe erschien 2020 bei Harriman House unter dem Titel The Psychology of Money. Timeless Lessons on Wealth, Greed, and Happiness.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Martin Bauer

Redaktion: Anne Horsten

Korrektorat: Silvia Kinkel

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer in Anlehnung an das Cover der Originalausgabe, © Harriman House Ltd.

Satz: ZeroSoft SRL, Timisoara

Druck GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-95972-443-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-830-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-831-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Für meine Eltern, die mich lehren.Für Gretchen, die mich leitet.Für Miles und Reese, die mich inspirieren.

Inhalt

Einleitung

Die größte Show der Welt

Kapitel 1

Niemand ist verrückt

Kapitel 2

Glück und Pech

Kapitel 3

Unersättlich

Kapitel 4

Exponentielles Wachstum will uns nicht in den Kopf

Kapitel 5

Reich werden und reich bleiben

Kapitel 6

Die Logik extremer Ereignisse

Kapitel 7

Freiheit

Kapitel 8

Das Mann-im-Auto-Paradox

Kapitel 9

Vermögen ist das, was man nicht sieht

Kapitel 10

Sparen

Kapitel 11

Vernünftig > kopfgesteuert

Kapitel 12

Überraschung!

Kapitel 13

Sicherheitspuffer

Kapitel 14

Du wirst dich verändern

Kapitel 15

Nichts ist umsonst

Kapitel 16

Du und ich

Kapitel 17

Der Sirenengesang des Pessimismus

Kapitel 18

Wenn du alles glaubst

Kapitel 19

Und jetzt alle!

Kapitel 20

Geständnisse

Nachtrag

Eine kurze Geschichte, warum der US-Verbraucher denkt, wie er denkt

Anmerkungen

Danksagung

»Ein Genie ist jemand, der Durchschnittliches vollbringt, während alle um ihn herum den Kopf verlieren.«

NAPOLEON

»Die Welt ist voll von offensichtlichen Dingen, die zufällig nie jemand bemerkt.«

SHERLOCK HOLMES

Einleitung

Die größte Show der Welt

Während meines Studiums jobbte ich für ein schickes Hotel in Los Angeles als Autoparker. Zu den Stammgästen gehörte der Manager eines Techkonzerns. Er war ein Genie, der in seinen Zwanzigern die Schlüsselkomponente eines WLAN-Routers erfunden hatte. Er hatte schon mehrere Firmen gegründet und verkauft und war überaus erfolgreich. Allerdings hatte er ein Verhältnis zu Geld, das ich irgendwo zwischen unsicher und kindlich blöd verorten würde.

Er trug stets einen etliche Zentimeter dicken Stapel Hundertdollarscheine mit sich herum. Den zeigte er jedem, der ihn sehen wollte, und auch vielen, die ihn nicht sehen wollten. Er protzte offen und lautstark mit seinem Reichtum, oft in betrunkenem Zustand und immer ohne jeden Zusammenhang zum Gesprächsthema.

Eines Tages steckte er einem meiner Kollegen mehrere tausend Dollar zu und wies ihn an: »Geh zum Juwelier da unten und kauf mir ein paar 1.000-Dollar-Goldmünzen.« Eine Stunde später, die Goldmünzen in Händen, versammelten sich der Techmanager und seine Freunde an einem Bootssteg und blickten auf den Pazifik. Dann warfen sie die Münzen ins Meer, ließen sie springen wie flache Steine, und stritten lachend, wessen Münze am weitesten geflogen sei. Nur zum Spaß.

Einige Tage später zerschlug er versehentlich eine Lampe im Hotelrestaurant. Der Restaurantchef sagte, das Stück hätte 500 Dollar gekostet, und der Techmanager müsse es ersetzen. »Sie wollen 500 Dollar?«, fragte der Mann ungläubig. Er zog ein Bündel Bares aus der Tasche und reichte es dem Restaurantchef. »Hier sind 5.000, jetzt lassen Sie mich in Ruhe. Und beleidigen Sie mich nie wieder mit so einem Kram.« Da kommt zwangsläufig die Frage auf, wie lange man dieses Verhalten beibehalten kann. Die Antwort lautet: nicht lange. Einige Jahre später erfuhr ich, dass er pleitegegangen war.

Die Grundannahme dieses Buches lautet: Guter Umgang mit Geld hat nur wenig mit Intelligenz zu tun, dafür aber viel mit klugem Verhalten. Und Verhalten lässt sich nur schwer jemandem beibringen, nicht einmal richtig klugen Leuten. Ein Genie, das seine Gefühle nicht im Griff hat, kann ein finanzielles Desaster anrichten. Doch auch das Gegenteil stimmt: Ein Durchschnittsbürger ohne Vorwissen in Finanzdingen ist in der Lage, wohlhabend zu werden, sofern er ein paar Verhaltensweisen beherrscht, die mit messbarer Intelligenz nichts gemein haben.

* * *

Mein liebster Wikipedia-Eintrag beginnt folgendermaßen: »Ronald James Read war ein amerikanischer Philanthrop, Investor, Hausmeister und Tankwart.« Ronald Read stammte aus dem ländlichen Vermont und schloss als Erster seiner Familie die Highschool ab – was auch deswegen beeindruckend ist, weil er jeden Tag zur Schule trampen musste. Viel Bemerkenswerteres gab es über Ronald Read dann auch nicht zu sagen. Er lebte ganz und gar unauffällig.

Er reparierte 25 Jahre lang Autos in einer Werkstatt, 17 Jahre lang reinigte er Böden bei der Kaufhauskette J. C. Penney. Im Alter von 38 Jahren kaufte er ein Haus mit vier Zimmern und lebte dort den Rest seines Lebens. Als er 50 Jahre alt war, starb seine Frau. Er heiratete nie wieder. Ein Freund erinnerte sich, Reads liebstes Hobby sei Holzhacken gewesen. Read starb 2014 mit 92 Jahren. Doch dann machte der kleine Hausmeister in der Provinz international Schlagzeilen.

2014 starben 2.813.503 Amerikaner. Keine 4.000 davon besaßen bei ihrem Tod ein Nettovermögen von mindestens 8 Millionen Dollar. Doch Ronald Read gehörte zu ihnen. In seinem Testament vermachte der ehemalige Hausmeister seinen Stiefkindern 2 Millionen Dollar, und mehr als 6 Millionen dem örtlichen Krankenhaus und der Bibliothek. Reads Bekannte staunten nicht schlecht. Woher stammte all das Geld?

Wie sich herausstellte, gab es kein großes Geheimnis. Er hatte nicht im Lotto gewonnen oder geerbt. Read hatte das wenige, was er zurücklegen konnte, in sogenannte Blue-Chip-Aktien gesteckt, also Aktien von bekannten Unternehmen, die von Umsatz und Marktkapitalisierung her am Aktienmarkt Schwergewichte darstellen. Dann wartete er jahrzehntelang, während seine Ersparnisse zu einem Millionenvermögen anwuchsen. Das war alles. Vom Hausmeister zum Philanthropen.

Einige Monate vor Ronald Reads Tod sorgte ein Mann namens Richard Fuscone für Schlagzeilen. Fuscone war das glatte Gegenteil von Read. Er verfügte über einen Harvard-Abschluss, einen MBA in Managementwissenschaften, machte bei Merrill Lynch Karriere und setzte sich noch vor seinem 50. Geburtstag zur Ruhe, um sich der Philanthropie zu widmen. David Komansky, der Ex-Chef von Merrill Lynch, pries Fuscones »Geschäftssinn, Führungsqualitäten und persönliche Integrität«.1 Das Wirtschaftsmagazin Crain’s nahm ihn in die Liste der »40 [erfolgreichen Geschäftsleute] unter 40« auf.2

Doch dann ging alles den Bach herunter – wie beim Goldmünzenwerfer: Mitte der 2000er-Jahre nahm er einen großen Kredit auf, um sein 1.600 Quadratmeter großes-Haus (elf Badezimmer, zwei Aufzüge, zwei Pools, sieben Garagen) in Greenwich, Connecticut, zu erweitern, das schon damals monatlich 90.000 Dollar an Unterhalt kostete. Dann platzte 2008 die Spekulationsblase. Die darauf einsetzende Finanzkrise traf so ziemlich jeden, Fuscone jedoch besonders heftig. Hohe Schulden bei kaum liquiden Vermögenswerten trieben ihn in den Bankrott. Während seines Insolvenzverfahrens 2008 erklärte er dem Richter: »Ich habe aktuell keinerlei Einkommen.«

Zuerst wurde sein Anwesen in Palm Beach zwangsversteigert. 2014 war die Villa in Greenwich an der Reihe. Fünf Monate, bevor Ronald Read 6 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke spendete, wurde Richard Fuscones Villa – Gäste schwärmten davon, wie »aufregend es gewesen war, auf dem Glasboden des Speisezimmers zu dinieren, zu tanzen und dabei auf den darunterliegenden Pool zu blicken« – zu einem Viertel des Schätzwertes versteigert.3

Ronald Read war geduldig, Richard Fuscone gierig. Dies reichte, um den gewaltigen Unterschied der beiden in puncto Bildung und Erfahrung mehr als auszugleichen.

Die Lektion soll hier nicht lauten, mehr wie Ronald zu sein und weniger wie Richard – obwohl das kein schlechter Rat ist.

Diese zwei Geschichten faszinieren, weil sie typisch für die Finanzwelt sind. In welcher anderen Branche könnte jemand ohne Uniabschluss, Vorkenntnisse und »Vitamin B« einen anderen um Längen schlagen, der eine hervorragende Ausbildung genossen hat und über beste Verbindungen verfügt? Ich wüsste keine.

Oder wie soll man sich vorstellen, dass Ronald Read besser Herzen verpflanzt als ein Chirurg mit Harvard-Abschluss? Oder dass er einen besseren Wolkenkratzer entwirft als die erfahrensten Architekten? Auch wird keine Zeitung je vermelden, dass ein Hausmeister die besten Atomwissenschaftler der Welt übertroffen hätte. Aber in der Finanzwelt geschehen solche Dinge.

Der Umstand, dass Typen wie Ronald Read und Richard Fuscone gleichzeitig vorkommen, beruht auf zwei Gegebenheiten. Erstens hängt es – überspitzt formuliert – vom Glück ab, wie Investitionen sich entwickeln, nicht von Intelligenz und Einsatz. Mehr dazu später. Zweitens gibt es keine strikte Wissenschaft darüber, wie man erfolgreich Geld anlegt. Anlegen ist ein Soft Skill; es kommt mehr auf das persönliche Verhalten als auf das eigene Wissen an.

Dieses Soft Skill nenne ich die Psychologie des Geldes. In diesem Buch versuche ich anhand kurzer Geschichten zu illustrieren, warum Soft Skills eine größere Rolle spielen als die technische Seite des Anlegens. Diese Soft Skills lassen uns zu besseren Anlegern werden. Gleichzeitig werden diese Fähigkeiten aber massiv unterschätzt.

Finanzentscheidungen werden oft als mathematisches Problem dargestellt: Man gibt Werte in eine Formel ein, und das Ergebnis verrät einem, was zu tun ist. Und dann, so die Annahme, richten die Menschen sich danach. Sei es in puncto persönliche Finanzen, bezüglich derer es oft heißt, man müsse einen Sechs-Monate-Notvorrat anlegen und 10 Prozent seines Gehalts sparen. Oder beim Investieren, ein Thema, zu dem wir die genauen historischen Zusammenhänge von Zinshöhe und Bewertungen kennen. Oder auf dem Gebiet der Unternehmensfinanzen, für das CFOs die exakten Kapitalkosten ermitteln können.

Nun ist es nicht so, dass solche Faustregeln schlecht oder falsch wären. Nur hat sich gezeigt, dass wir ihnen nicht unbedingt folgen. Warum? Um das zu erklären, müssen wir erkunden, was in unseren Köpfen vorgeht, wenn wir den Formeln zu folgen versuchen.

* * *

Zwei Themen betreffen jeden, ob sie uns nun interessieren oder nicht: Geld und Gesundheit.

Das moderne Gesundheitswesen ist ein Triumph der Wissenschaft, weltweit steigt die Lebenserwartung. Wissenschaftliche Erkenntnisse ersetzen überkommene Vorstellungen davon, wie der menschliche Körper funktioniert, und diese helfen generell jedem von uns, gesünder zu leben.

In der Finanzbranche hingegen – bei Investitionsentscheidungen, persönlichen Geldbelangen, Unternehmensfinanzen – sieht es anders aus. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Finanzwelt die klügsten Absolventen der besten Universitäten aufgesaugt. Vor einem Jahrzehnt war Financial Engineering das beliebteste Hauptfach der School of Engineering der Universität Princeton. Doch zeigen irgendwelche Belege, dass uns dies zu besseren Investoren gemacht hätte? Ich wüsste keine.

Durch kollektiven Versuch und Irrtum entwickelten Menschen sich im Lauf der Jahre zu immer besseren Landwirten, Installateuren und Spitzenchemikern. Aber haben Versuch und Irrtum uns gelehrt, besser mit Geld umzugehen? Wissen wir mehr darüber, Schuldenfallen zu vermeiden? Sparen wir eher für schlechte Zeiten? Legen wir etwas für die Rente zurück? Haben wir einen realistischen Blick dafür, ob Geld uns glücklich macht oder nicht? Dafür sehe ich keine überzeugenden Hinweise.

Und dies liegt meiner Ansicht nach daran, dass wir über Finanzen nachdenken, als handele es sich um etwas Regelgebundenes wie Physik. Kein Wunder übrigens, so wird es uns beigebracht. Wie wichtig die Rolle psychologischer Faktoren ist, etwa von Gefühlen und Nuancen, fällt unter den Tisch. Dies erscheint mir ebenso faszinierend wie bedeutsam.

Geld durchwebt alles, betrifft uns alle und verwirrt die meisten von uns. Jeder denkt ein wenig anders darüber. Geld kann uns etwas über Aspekte lehren, die in vielen anderen Lebensbereichen auch bedeutsam sind, wie Risiko, Selbstvertrauen und Glück. Bei kaum einem anderen Thema zeigt sich besser, warum Menschen sich auf eine bestimmte Art verhalten.

Seit mehr als einem Jahrzehnt schreibe ich jetzt über die Psychologie des Geldes und merke immer stärker, wie zentral dieses Thema ist. Ich befasse mich seit Anfang 2008 mit Finanzthemen, als sich der Subprime-Tornado schon zusammenbraute und die schlimmste Rezession seit 80 Jahren auslöste. Um darüber berichten zu können, was damals ablief, musste ich es erst verstehen. Doch mir wurde bald nach der finanziellen Kernschmelze klar, dass niemand genau erklären konnte, was da eigentlich passiert war, warum es geschah, und schon gar nicht, was dagegen unternommen werden könnte. Zu jeder guten Erklärung gab es eine ebenso überzeugende Entkräftung.

Ingenieure sind imstande, zu ermitteln, warum eine Brücke eingestürzt ist – aufgrund des Konsenses, dass eine Stelle bricht, sobald eine bestimmte übergroße Kraft auf sie wirkt. Über Physik lässt sich nicht streiten. Sie folgt Gesetzen. Im Finanzwesen sieht es anders aus. Menschliches Verhalten entscheidet, was auf den Märkten geschieht. Wie ich handle, mag aus meiner Sicht vernünftig sein, auf jemand anderen aber verrückt wirken.

Je weiter ich mich in die Finanzkrise vertiefte, je mehr ich darüber schrieb, desto klarer wurde mir, dass sie sich weniger aus finanztechnischer Sicht verstehen ließ, sondern eher aus psychologischer und historischer Sicht.

Um zu begreifen, warum Menschen sich bis über die Ohren verschulden, muss man keine Zinssätze verfolgen, man muss nur die Geschichte der Gier, der Unsicherheit und des Optimismus verfolgen. Um zu kapieren, warum Investoren gerade am tiefsten der Tiefpunkte verkaufen, braucht man nicht die Mathematik der erwarteten zukünftigen Erlöse bemühen, sondern man muss sich den Schmerz vorstellen, seiner Familie in die Augen zu blicken und zu fürchten, ihre Zukunft verdaddelt zu haben.

Mir gefällt Voltaires Bemerkung, wonach »Geschichte sich nicht wiederholt, der Mensch aber ständig«. Zumindest für unser Finanzgebaren trifft er da den Nagel auf den Kopf.

2018 schrieb ich einen Artikel, in dem ich die 20 wichtigsten Denkfehler, Verzerrungen und Gründe für Fehlentscheidungen in Gelddingen auflistete. Sein Titel lautete »Die Psychologie des Geldes«, und über eine Million Menschen lasen den Artikel. Mit diesem Buch möchte ich das Thema nun vertiefen. Einige Passagen des damaligen Artikels habe ich unverändert übernommen.

In den folgenden 20 Kapiteln erläutere ich die nach meiner Ansicht wichtigsten und oft der Intuition zuwiderlaufenden Aspekte der Psychologie des Geldes. Die Kapitel kreisen um ein gemeinsames Thema, bilden aber in sich abgeschlossene Einheiten und lassen sich unabhängig voneinander lesen.

Dieses Buch ist nicht lang. Gern geschehen! Die meisten Menschen lesen die Bücher, die sie begonnen haben, nicht zu Ende, weil die meisten Themen schlichtweg keine 300-seitige Erklärung brauchen. Da schreibe ich doch lieber 20 kurze Kapitelchen, die dann auch tatsächlich gelesen werden, als eine ellenlange Abhandlung, die nach der Hälfte weggelegt wird.

Und los geht’s!

Kapitel 1

Niemand ist verrückt

* * * * * * * * * * * * * * *

Aus persönlicher Anschauung kennen wir vielleicht 0,00000001 Prozent dessen, was auf den Finanzmärkten abläuft. Dieses Wissen aber prägt unser Bild von diesen Märkten zu etwa 80 Prozent.

* * * * * * * * * * * * * * *

Lass mich von einem Problem erzählen. Vielleicht bewertest du dein Verhalten in Geldangelegenheiten danach etwas nachsichtiger. Und vielleicht urteilst du weniger streng darüber, wie andere mit ihrem Geld umgehen.

Menschen machen verrückte Dinge mit ihrem Geld. Aber niemand spinnt, es bringt nur jeder seinen eigenen Hintergrund mit. Wir stammen aus verschiedenen Generationen, wurden von unterschiedlichen Eltern mit unterschiedlichen Einkommen und Wertvorstellungen erzogen, wir stammen aus verschiedenen Teilen der Welt, leben in unterschiedlichen Volkswirtschaften mit verschiedenen Arbeitsmärkten, unterschiedlichen Anreizen und hatten nicht jeder dasselbe Glück. Kein Wunder, dass wir alle aus unseren Erfahrungen völlig eigene Lehren ziehen.

Jeder Einzelne macht seine einzigartigen Erfahrungen, wie die Welt funktioniert. Persönliches Erleben prägt uns viel mehr als jedes Wissen aus zweiter Hand. Und so wandeln wir alle – du, ich, jedermann – mit radikal unterschiedlichen Ansichten über Geld durchs Leben. Was dem einen verrückt erscheint, mag aus der Sicht eines anderen vernünftig sein.

Wer in Armut aufwuchs, denkt über Risiko und Ertrag auf eine Weise, die das Kind eines reichen Bankers nicht mal ansatzweise verstehen kann. Wer zu Zeiten galoppierender Inflation groß wurde, hat etwas erlebt, was sich jemand nicht vorzustellen vermag, der immer nur stabile Preise gekannt hat. Der Aktienhändler, der beim Börsenkrach von 1929 alles verlor, hat etwas erfahren, das sich der Softwareingenieur, der den Rausch der 1990er-Jahre miterlebte, nicht vorstellen kann. Der Australier, der seit 30 Jahren keine Rezession mehr kennt, hat etwas erlebt, was keinem Amerikaner vertraut ist. Und so weiter und so fort. Die Liste der Erfahrungen ist endlos.

Der eine weiß etwas über Geld, das der andere nicht weiß, und umgekehrt. Und jeder geht mit anderen Überzeugungen, Zielen und Zukunftserwartungen durchs Leben. Dies liegt nicht daran, dass einer klüger oder besser informiert wäre als der andere, sondern an unseren verschiedenen Lebensläufen, die jeweils von eigenen und gleichermaßen überzeugenden Erfahrungen geprägt wurden.

Aus persönlicher Anschauung kennen wir vielleicht 0,00000001 Prozent dessen, was auf den Finanzmärkten abläuft. Dieses Wissen aber prägt unser Bild von den Finanzmärkten zu etwa 80 Prozent. So können vergleichbar intelligente Menschen unterschiedlicher Meinung darüber sein, warum es zu Rezessionen kommt, wie man sein Geld anlegen, was man an erste Stelle setzen, wie viel Risiko man eingehen sollte und so weiter.

In seinem Buch über das Amerika der 1930er-Jahre schrieb Frederick Lewis Allen, die Weltwirtschaftskrise habe »Millionen Amerikaner – innerlich – für den Rest ihres Lebens gebrandmarkt«. Doch die Erfahrungen unterschieden sich stark. 25 Jahre später wurde John F. Kennedy als Präsidentschaftskandidat von einem Reporter gefragt, woran er sich aus der Weltwirtschaftskrise erinnere. Kennedy antwortete:

Ich habe keine unmittelbaren Erinnerungen an die Weltwirtschaftskrise. Meine Familie verfügte über eines der großen Vermögen dieser Welt, und damals war es mehr wert als je zuvor. Wir hatten größere Häuser, mehr Bedienstete und reisten mehr. So ziemlich das Einzige, was ich direkt mitbekam, war, dass mein Vater zusätzliche Gärtner einstellte, nur um ihnen einen Job zu verschaffen, damit sie etwas zu essen hatten. Erst beim Studium in Harvard lernte ich wirklich etwas über die Depression.

Dies war ein wichtiger Punkt bei der Wahl 1960. Durfte man wirklich, fragten sich die Wähler, jemandem die Führung der Wirtschaft anvertrauen, der die wichtigste wirtschaftliche Erfahrung der letzten Generation nicht teilte? Dieses wahrgenommene Manko wurde allerdings durch JFKs Teilnahme am Zweiten Weltkrieg teilweise ausgeglichen. Diese andere Lebenserfahrung hatte einen Gutteil der vorigen Generation geprägt, und sie fehlte seinem Kontrahenten Hubert Humphrey.

Unser Problem besteht darin, dass weder Studium noch Einfühlungsvermögen uns wirklich darauf vorbereiten, was Angst und Verunsicherung mit uns anstellen. Ich kann Berichte lesen, wie es war, während der Weltwirtschaftskrise alles zu verlieren. Aber ich trage nicht die emotionalen Narben dessen, der dies am eigenen Leib erfahren hat. Und jemand, der es erlebt hat, kann nicht fassen, wie entspannt jemand wie ich an der Börse investiert. Wir nehmen die Welt aus verschiedenen Perspektiven wahr.

Grafiken zeigen anschaulich das historische Auf und Ab der Börsenkurse über die Jahrzehnte. Aber sie vermitteln uns nicht, welches Gefühl es ist, abends zu Partner und Kindern heimzukommen und sich zu fragen, ob der eigene Fehler ihr Leben beeinträchtigen wird. Das Studium der Geschichte vermittelt uns nur das Gefühl, etwas verstanden zu haben. Doch solange wir etwas nicht erlebt und die Folgen am eigenen Leib gespürt haben, geht das Verständnis wahrscheinlich nicht tief genug, um das eigene Verhalten zu ändern.

Wir alle meinen zu wissen, wie die Welt funktioniert, haben jedoch nur einen winzigen Ausschnitt von ihr erlebt. Wie der Investor Michael Batnick sagt, muss man »manche Lektionen selbst gelernt haben, damit man sie verstehen kann«. Diese Feststellung gilt für alle von uns, auf unterschiedliche Weise.

* * *

2006 wühlten sich Ulrike Malmendier und Stefan Nagel vom National Bureau of Economic Research durch 50 Jahre Umfragen zu den persönlichen Finanzen der Amerikaner.4

Theoretisch sollten Menschen sich bei Investitionsentscheidungen von ihren persönlichen Zielen und den Charakteristika der aktuell zur Verfügung stehenden Anlagemöglichkeiten leiten lassen. Aber so verhalten sie sich nicht. Die Ökonomen stellten fest, dass die Investitionsentscheidungen der Menschen im Laufe ihres Lebens ihre früheren Erfahrungen widerspiegelten, insbesondere als junge Erwachsene. Wer in seiner Jugend hohe Inflation erlebt hat, investierte später weniger in festverzinsliche Wertpapiere als jemand, der nur Preisstabilität kannte. Wer in Zeiten starker Aktienmärkte aufwuchs, steckte später einen größeren Anteil seines Geldes in Aktien als jemand, der Börsenkrisen miterlebt hatte. Die Forscher schrieben: »Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass die individuelle Bereitschaft von Anlegern, Risiken einzugehen, von ihrer persönlichen Vorgeschichte abhängt.« Nicht Intelligenz, Ausbildung oder Erfahrenheit prägen unser Anlageverhalten. Sondern der schiere Zufall, wann und wo wir zur Welt kamen.

2019 interviewte die Financial Times den berühmten Bondsmanager Bill Gross. »Gross räumt ein, wahrscheinlich wäre er nicht da, wo er heute ist, wenn er ein Jahrzehnt früher oder später geboren worden wäre«, hieß es in dem Artikel. Gross’ Karriere fiel quasi genau in die Zeit, in der ein historischer Zinsverfall den Kursen festverzinslicher Wertpapiere einen Riesenschub verpasste. Solche Entwicklungen verändern nicht nur die individuell gegebenen Möglichkeiten, sondern auch, wie wir über diese Möglichkeiten denken, wenn sie sich uns auftun. Für Gross waren festverzinsliche Wertpapiere Gelddruckmaschinen. Der Generation seines Vaters, die höhere Inflationsraten erlebt hatte, galten sie hingegen eher als Mittel zur Geldvernichtung.

Die Unterschiede in den persönlichen Erfahrungen mit Geld sind erheblich, selbst zwischen Menschen, die man für ziemlich ähnlich halten könnte. Nehmen wir zum Beispiel Aktien. Wenn du in den 1970er-Jahren geboren wurdest, stieg der S&P-Index zwischen deinem dreizehnten und dreißigsten Geburtstag inflationsbereinigt fast auf das Zehnfache – eine tolle Wertsteigerung. Wurdest du hingegen in den 1950er-Jahren geboren, trat der Aktienmarkt zwischen deinem dreizehnten und dreißigsten Geburtstag inflationsbereinigt quasi auf der Stelle. Entsprechend gingen zwei Generationen, die sich nur zufällig nach ihrem Geburtsjahr unterschieden, mit völlig unterschiedlichen Ansichten darüber durchs Leben, wie Aktienmärkte funktionieren.

Oder nehmen wir die Inflation. Wenn du in den 1960er-Jahren in Amerika geboren wurdest, verdreifachten sich die Verbraucherpreise zwischen deinem 13. und 30. Geburtstag – in jenen jungen Jahren, in denen du dein Wissen darüber ausformst, wie die Wirtschaft funktioniert. Du erinnerst dich an Schlangen vor Tankstellen und an Löhne, die spürbar weniger lange reichten als früher. Bist du hingegen in den 1990er-Jahren geboren, kannst du dir all das wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellen.

Im November 2009 lag die landesweite Arbeitslosigkeit in den USA bei rund 10 Prozent. Doch von den männlichen Afroamerikanern zwischen 16 und 19 Jahren ohne Highschool-Abschluss hatten volle 49 Prozent keine Arbeit. Für weiße Frauen über 45 Jahre mit Uniabschluss betrug die Arbeitslosigkeit 4 Prozent.

Während des Zweiten Weltkrieges kollabierten die Aktienmärkte in Deutschland und Japan. Ganze Regionen wurden zerbombt. Zu Kriegsende schafften es die deutschen Landwirte gerade noch, für jeden Bewohner 1.000 Kalorien täglich zu produzieren. In den USA hingegen verdoppelten sich die Aktienindizes zwischen dem Kriegseintritt 1941 und Ende 1945, die Wirtschaft boomte wie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr.

Niemand sollte erwarten, dass Angehörige zweier verschiedener Gruppen nach solchen Erfahrungen den Rest ihres Lebens das Gleiche über Inflation denken. Oder über Aktienmärkte. Oder über Arbeitslosigkeit. Oder über Geld ganz allgemein. Niemand sollte erwarten, dass sie auf gleiche Weise auf Finanznachrichten reagieren. Niemand sollte erwarten, dass sie von den gleichen Anreizen beeinflusst werden. Niemand sollte erwarten, dass sie den gleichen Ratgebern trauen. Niemand sollte erwarten, dass sie die gleichen Ansichten darüber haben, was zählt, was sich lohnt, was wahrscheinlich als Nächstes passiert und was als Nächstes zu tun sei. Ihre Einstellungen zum Geld entstanden in verschiedenen Welten. In solchen Fällen kann eine Haltung in puncto Finanzen, die der einen Gruppe völlig absurd vorkommt, der anderen höchst sinnvoll erscheinen.

Vor einigen Jahren brachte die New York Times einen Artikel zu den Arbeitsbedingungen bei Foxconn, dem gigantischen taiwanesischen Elektronikzulieferer. Die geschilderten Umstände waren wirklich schlimm, viele Leser empörten sich zu Recht. Aber eine faszinierende Reaktion auf den Artikel kam vom Neffen eines chinesischen Mitarbeiters, der in den Kommentaren schrieb:

Meine Tante arbeitete mehrere Jahre in einer Ausbeuterklitsche. Es war harte Arbeit. Lange Arbeitszeiten, »mieser« Lohn, »schlechte« Arbeitsbedingungen. Aber wisst ihr, was meine Tante machte, bevor sie dort anfing? Sie war Prostituierte.

Verglichen mit ihrer früheren »Arbeit« verbesserte sie sich meiner Ansicht nach, als sie in der Fabrik anfing. Ich weiß, dass sich meine Tante lieber für ein paar Dollar von einem fiesen Kapitalisten »ausbeuten« lässt, als ihren Körper für ein paar Cents von irgendwelchen Männern ausbeuten zu lassen.

Das stört mich gewaltig an der Denkweise der Amerikaner. Wir haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie im Westen. Unsere Regierungsstruktur ist anders. Das Land ist anders. Ja, die Fabrikarbeit ist hart. Könnte man etwas verbessern? Ja, aber nur, wenn man diese Jobs mit amerikanischen vergleicht.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ein Teil von mir möchte entschieden widersprechen. Ein anderer Teil von mir möchte verstehen. Aber auf jeden Fall dient der Brief als ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedliche Erfahrungen zu radikal unterschiedlichen Ansichten über bestimmte Verhältnisse führen, die jeder Einzelne intuitiv nur schwarz oder weiß wahrnimmt.

Jede finanzielle Entscheidung entspringt ihren eigenen Gründen, den diesem Menschen aktuell verfügbaren Information und seinem einzigartigen mentalen Modell, wie die Welt funktioniert. Dieser Mensch mag fehlinformiert sein. Vielleicht fehlt ihm ein wichtiger Teil der Informationen. Vielleicht kann er nicht gut rechnen. Vielleicht lässt er sich von manipulativer Werbung zu irgendetwas verleiten. Vielleicht hat er keine Ahnung, was er macht. Vielleicht schätzt er die Folgen seines Handelns falsch ein. Natürlich tut er das.

Aber jede finanzielle Entscheidung eines Menschen erscheint ihm selbst in diesem Augenblick sinnvoll und erfüllt die für ihn wichtigen Voraussetzungen. Jeder legt sich Geschichten zurecht, was er da tut und warum, und diese Geschichten ergeben sich aus seinen Erfahrungen.

Schauen wir uns zum Beispiel Lotterielose an. Amerikaner geben mehr Geld für Lotterien aus als für Kino, Videospiele, Musik, Sportveranstaltungen und Bücher zusammen. Und wer spielt Lotto? Hauptsächlich der arme Teil der Bevölkerung. Die US-Haushalte mit den niedrigsten Einkommen geben durchschnittlich 412 Dollar jährlich für Lotterien aus, viermal so viel wie Menschen in höheren Einkommensgruppen. Zugleich haben laut Umfragen 40 Prozent aller Amerikaner keine 400 Dollar für Notfälle übrig. Was bedeutet: Die Personen, die jährlich 400 Dollar für Lotterielose ausgeben, sind im Grunde die gleichen, die sagen, sie hätten keine 400 Dollar für Notfälle übrig. Sie verschwenden ihre Notreserven für die Chance von eins zu einer Million, groß abzuräumen.

Ich persönlich finde dieses Verhalten verrückt. Du vielleicht auch. Aber ich gehöre auch nicht zur untersten Einkommensgruppe. Du wahrscheinlich auch nicht. Deswegen fällt es vielen von uns schwer, die unterbewussten Beweggründe von Loskäufern nachzuvollziehen.

Aber wenn wir uns ein bisschen anstrengen, merken wir bald, dass es ungefähr so läuft:

Ich lebe von der Hand in den Mund. Sparen scheint unmöglich. Meine Aussichten auf einen höheren Lohn sind minimal. Ein schöner Urlaub ist nicht drin, ich kann meine Kinder nicht auf die Uni schicken, ohne mich bis über beide Ohren zu verschulden. Viele Dinge, die ihr Leser von Finanzbüchern entweder schon habt oder durchaus erreichen könnt, bleiben mir für immer verwehrt. Nur wenn ich Lotto spiele, darf ich davon träumen, all das tolle Zeug zu bekommen, das ihr für selbstverständlich erachtet. Ich bezahle fürs Träumen, was du vielleicht nicht verstehst, weil du diesen Traum schon lebst. Deswegen spiele ich Lotto und du nicht.

Man muss dieser Logik nicht zustimmen. Lotto zu spielen, obwohl man pleite ist, ist keine gute Idee. Aber ich kann irgendwie verstehen, warum dieses Glücksspiel weiterhin so beliebt ist.

Mit genau dieser Haltung – »Was du tust, scheint mir verrückt, aber ich verstehe irgendwie, warum du es machst« – gelangen wir an die Wurzel vieler finanzieller Entscheidungen. Nur wenige Menschen treffen ihre Finanzentscheidungen anhand einer Tabellenkalkulation. Sie treffen sie am Abendbrottisch oder in geschäftlichen Meetings. An Orten also, an denen die persönliche Vorgeschichte, die einzigartige Sicht der Welt, Ego, Stolz, Werbung und oft verzerrte Anreize zu einem Narrativ verrührt werden, das den Betreffenden überzeugt.

* * *

Außerdem sollten wir nicht vergessen, warum finanzielle Entscheidungen uns oft so schwerfallen und wir dabei so viele Fehler machen: Das Thema ist immer noch neu für uns. Geld kursiert zwar seit ewigen Zeiten. Es heißt, König Alyattes II. von Lydien (in der heutigen Türkei) habe um 600 v. Chr. die ersten Münzen prägen lassen. Aber die aktuellen Hauptpfeiler der Finanzplanung – Sparen und Investieren – kamen als Konzepte sozusagen erst gestern auf.

Nimm beispielsweise die Rente. Ende 2018 steckten 27 Billionen Dollar in amerikanischen Rentenfonds, damit ist das Ansparen für den Ruhestand der Hauptantrieb des Durchschnittsinvestors.5

Dabei besteht das Konzept, man habe überhaupt Rentenansprüche, höchstens seit zwei Generationen. Vor dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten die meisten Amerikaner bis zu ihrem Tod. Das entsprach der Erwartung und der Realität. Noch bis in die 1940er-Jahre arbeiteten mehr als die Hälfte aller amerikanischen Männer bis zum Alter von 65 Jahren und darüber.

Die Sozialversicherung zielte darauf ab, diese Situation zu ändern, wobei die Zahlungen zu Beginn nicht annähernd einer echten Rente entsprachen. Als Ida May Fuller 1940 den ersten Scheck der Rentenversicherung einlöste, bekam sie 22,54 Dollar, was inflationsbereinigt 416 heutigen Dollar gleichkommt. Erst in den 1980er-Jahren überstieg die durchschnittliche Rentenzahlung (inflationsbereinigt) 1.000 Dollar monatlich. Bis in die späten 1960er-Jahre lebte dem Statistikamt zufolge jeder vierte Amerikaner jenseits von 65 Jahren in Armut.

Es kursiert zwar der Mythos, damals hätte jeder eine private Zusatzrente bezogen, aber dies entspricht keineswegs den Tatsachen. Das Forschungsinstitut für Arbeitnehmerbezüge berichtigt: »1975 bezog nur ein Viertel aller Menschen über 65 Jahren eine Zusatzrente.« Bei dieser glücklichen Minderheit machte die Zusatzrente nur 15 Prozent des Haushaltseinkommens aus.

1955 schrieb die New York Times, dass immer mehr Menschen sich wünschten, in Rente gehen zu können, sich es jedoch nicht leisten könnten. »Um einen alten Spruch abzuwandeln, alle reden über den Ruhestand, aber offenbar unternimmt kaum jemand etwas.«6

Erst in den 1980er-Jahren setzte sich die Idee durch, jeder verdiene einen würdevollen Ruhestand und solle ihn auch bekommen. Seitdem wird von allen erwartet, dass sie sparen und investieren, um sich diesen würdevollen Ruhestand leisten zu können.

Lass mich unterstreichen, wie neu diese Idee ist: Das 401(k)-Programm, das Rückgrat der privaten Altersvorsorge in den USA, wurde erst 1978 verabschiedet.[1] Das Roth-IRA-Programm gibt es erst seit 1998.[2] In Deutschland wird die private Altersvorsorge erst seit 2002 nennenswert gefördert, mit bisher wenig durchschlagendem Erfolg. Es sollte also niemanden erstaunen, dass viele von uns schlecht darin sind, zu sparen und für das Alter vorzusorgen. Wir sind nicht blöd, nur allesamt Anfänger.

Bei der Universitätsbildung verhält es sich nicht anders. Noch 1940 hatten keine 5 Prozent aller Erwachsenen einen Bachelorabschluss. 2015 waren es schon 25 Prozent.7 Gleichzeitig stiegen die Studiengebühren inflationsbereinigt um 400 Prozent.8 Angesichts dieser massiven Umwälzung, die unsere Gesellschaft in kürzester Zeit erfasst hat, erstaunt es nicht, dass viele Menschen in den letzten 20 Jahren falsche Entscheidungen hinsichtlich ihrer Studienkredite getroffen haben. Es sind einfach keine Erfahrungswerte verfügbar, die sich über Jahrzehnte angesammelt hätten. Woraus hätten wir lernen sollen? Wir schummeln uns halt durch.

Das Gleiche gilt für Indexfonds, die keine 50 Jahre alt und in Deutschland seit kaum 20 Jahren bekannt sind. Oder für Hedgefonds, die erst in den letzten 25 Jahren richtig durchgestartet sind. Selbst Privatkredite – Hypothekendarlehen, Kreditkartenfinanzierungen oder Autokredite – wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg populär, als die GI Bill[3] Millionen Amerikanern vereinfachten Zugang zu Krediten verschaffte.

Hunde werden seit 10.000 Jahren domestiziert – und haben trotzdem einige Verhaltensweisen ihrer wilden Vorfahren beibehalten. Wie können wir da hoffen, mit gerade mal 20 bis 50 Jahren Erfahrung perfekt an das moderne Finanzsystem angepasst zu sein?

Für ein derartig emotionsbeladenes Thema ist dies ein echtes Problem. So erklärt sich auch, warum wir nicht immer so mit Geld umgehen, wie wir es sollten. Wir stellen alle möglichen verrückten Dinge mit Geld an, weil wir alle ziemlich neu im Geschäft sind und weil das, was du für verrückt hältst, mir durchaus sinnvoll erscheinen mag. Aber niemand ist verrückt – wir alle treffen unsere Entscheidungen nach bestem Wissen und aufgrund unserer einzigartigen Erfahrungen.

Und jetzt zu der Geschichte, wie Bill Gates reich wurde.

Kapitel 2

Glück und Pech

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Nichts ist so gut oder schlecht, wie es scheint.

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Glück und Pech sind Geschwister. Sie beide offenbaren, dass alle Ereignisse im Leben von Kräften mitbestimmt werden, die wir nicht steuern können, auch wenn wir uns noch so bemühen. Professor Scott Galloway von der Universität New York schlägt in dieselbe Kerbe, indem er sagt: »Nichts ist so gut oder schlecht, wie es scheint.« Dies gilt es bei der Beurteilung von Erfolgen – eigenen wie fremden – zu beachten.

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Bill Gates besuchte eine der wenigen Highschools dieser Welt, die seinerzeit über einen Computer verfügten. Sogar die Geschichte, wie die Lakeside School in einem Vorort von Seattle zu diesem Rechner kam, ist bemerkenswert.

Bill Dougall flog im Zweiten Weltkrieg für die Navy, bevor er später Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften wurde. »Er hielt reines Buchwissen ohne praktische Erfahrungen für unzureichend. Außerdem wusste er, dass wir uns mit dem Computer auskennen müssten, sobald wir auf die Uni kämen«, erinnerte sich Microsoft-Mitbegründer Paul Allen.