Same as Ever - Morgan Housel - E-Book
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Morgan Housel

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Beschreibung

Vom Autor des SPIEGEL-Bestsellers »Über die Psychoogie des Geldes« Würden wir eine Zeitreise in die Zeit vor 500 Jahren oder 500 Jahre in die Zukunft machen, wären wir erschüttert, wie sehr sich Technik und Medizin verändert haben. Die geopolitische Ordnung würde für uns keinen Sinn ergeben. Die Sprache wäre uns völlig fremd.  Und doch müssten wir in dieser uns vollkommen unbekannten Welt die Menschen nur wenige Minuten beobachten und würden sagen: »Ah, das habe ich schon einmal gesehen.« Denn uns würden zahlreiche universelle Verhaltensweisen begegnen: Menschen, die von Angst, Neid und Gier angetrieben werden; Menschen, die blind vor Selbstüberschätzung fatale Entscheidungen treffen; Menschen, die sich von dem Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe auf eine Art und Weise beeinflussen lassen, die uns sehr wohl vertraut ist In Same as Ever gelingt es Morgan Housel auf meisterhafte Weise, anhand von 23 kurzen, aber zutiefst einprägsamen und unvergessliche Erzählungen zu vermitteln, was sich in einer sich verändernden Welt nie ändert. Hierfür nimmt er den Leser mit auf eine Reise durch die Weltgeschichte. Denn die Geschichte steckt voller Überraschungen, die niemand voraussehen konnte. Aber sie ist auch voller zeitloser Weisheit. Und wenn wir lernen, das zu erkennen, was sich nicht ändert, können wir klügere Entscheidungen treffen – egal, was die Zukunft bringt.

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Seitenzahl: 267

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Morgan Housel

Same as Ever

23 Geschichten über die Dinge, die sich niemals ändern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

1. Auflage, November 2023

© 2023 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die Originalausgabe erschien 2023 bei Portfolio/Penguin unter dem Titel Same as Ever. A Guide to What Never Changes. Copyright: © 2023 by Morgan Housel.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by an arrangement with Portfolio, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Martin Bauer

Redaktion: Silke Panten

Korrektorat: Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer, in Anlehnung an das Cover der Originalausgabe. Cover design by Christopher Parker

Layout und Satz: Daniel Förster

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-718-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-394-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-395-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

EinleitungDie kleinen Gesetze des Lebens

Kapitel 1Am seidenen Faden

Selbst wenn man weiß, wo man herkommt, weiß man noch lange nicht, wohin die Reise geht.

Kapitel 2Risiko ist das, was man nicht kommen sieht

Wir sind sehr gut darin, die Zukunft vorherzusagen, abgesehen von den Überraschungen – dabei kommt es meist genau auf die an.

Kapitel 3Anspruch und Wirklichkeit

Die wichtigste Regel für ein glückliches Leben besteht darin, geringe Erwartungen zu haben.

Kapitel 4Wilde Geister

Menschen mit einer einzigartigen Weltsicht verhalten sich in jeder Hinsicht einzigartig – im Guten wie im Schlechten.

Kapitel 5Eine Welt voller Unwägbarkeiten

Menschen wünschen sich nicht Genauigkeit, sondern Gewissheit.

Kapitel 6Die beste Geschichte gewinnt

Geschichten sind immer mächtiger als Zahlen.

Kapitel 7Berechnung unmöglich

Die Welt wird von Kräften bewegt, die sich nicht messen lassen.

Kapitel 8In der Ruhe keimt der Wahnsinn

Die Lage wird oft genau dann kritisch, wenn die Menschen sich am sichersten wähnen.

Kapitel 9Zu viel, zu früh, zu schnell

Eine gute Idee auf Anabolika wird schnell zu einer ganz schlechten Idee.

Kapitel 10Der magische Funken

Stress fokussiert unsere Aufmerksamkeit auf eine Weise, die in guten Zeiten unerreichbar ist.

Kapitel 11Tragödien aus heiterem Himmel und Wunder, die ein bisschen länger dauern

Gute Nachrichten entstehen aus exponentiellen Entwicklungen, die naturgemäß Zeit brauchen; schlechte Nachrichten resultieren aus einem Vertrauensverlust oder einem katastrophalen Fehler, der innerhalb eines Wimpernschlags passieren kann.

Kapitel 12Klein und großartig

Wenn aus kleinen Dingen Außergewöhnliches erwächst.

Kapitel 13Euphorie und Verzweiflung

Für Fortschritt braucht es gleichzeitig Optimismus und Pessimismus.

Kapitel 14Opfer des eigenen Perfektionismus

Wer ein wenig Unvollkommenheit zulässt, ist enorm im Vorteil.

Kapitel 15Es soll ja anstrengend sein

Alles, was sich zu haben lohnt, ist mit ein wenig Qual verbunden. Der Trick besteht darin, dass es einem egal ist, wenn es ein bisschen wehtut.

Kapitel 16Immer weiter rennen

Die meisten Wettbewerbsvorteile verschwinden irgendwann.

Kapitel 17Die Wunder der Zukunft

Wir haben oft das Gefühl, es ginge nichts mehr voran, weil wir das Potenzial neuer Technologien leicht übersehen.

Kapitel 18Schwerer, als es aussieht, und nicht so lustig, wie es scheint

Das Gras ist immer grüner auf der Seite, die mit Bullshit gedüngt ist.

Kapitel 19Anreize: Die mächtigste Kraft der Welt

Menschen können dazu verleitet werden, fast alles zu rechtfertigen und zu verteidigen.

Kapitel 20Erst dann verstehst du es

Nichts überzeugt uns mehr als das, was wir selbst erlebt haben.

Kapitel 21Zeithorizonte

Der Vorsatz, langfristig zu denken, ähnelt dem Vorsatz, den Mount Everest zu besteigen. Vorsätze sind leicht beschlossen, schwierig ist ihre Umsetzung.

Kapitel 22Übertriebene Verbissenheit

Es gibt keine Fleißpunkte.

Kapitel 23Wunden heilen, Narben bleiben

Menschen, die andere Erfahrungen gemacht haben als man selbst, denken auch anders als man selbst.

Kapitel 24Fragen

Danksagung

Anmerkungen

Den vernünftig Optimistischen gewidmet

»Unser Leben ist ja dasselbe, wie es seit Ewigkeiten war … Dieselben physiologischen und psychologischen Prozesse, wie sie dem Menschen seit Hunderttausenden Jahren eigneten, dauern immer noch an.«

Carl Jung1

»Im allgemeinen haben freilich die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Toren, d. h. die unermessliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil getan.«

Arthur Schopenhauer2

»Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber immer tut es der Mensch.«

Voltaire

»Ich habe einen wichtigen Trick gelernt: Um Weitblick zu entwickeln, muss man Rückschau halten.«

Jane McGonigal3

»Die Zahl der Toten übersteigt die der Lebenden … um den Faktor 14, und wir ignorieren die gesammelte Erfahrung dieser großen Mehrheit auf eigene Gefahr.«

Niall Ferguson4

Einleitung

Die kleinen Gesetze des Lebens

Einmal aß ich mit einem guten Bekannten von Warren Buffett zu Mittag. Dieser Mann, nennen wir ihn Jim, war Ende 2009 mit Buffett durch Omaha (eine Stadt im US-Bundesstaat Nebraska) gefahren. Die Weltwirtschaft lag darnieder, und Omaha ging es nicht besser. Läden hatten für immer dichtgemacht, Firmen waren pleitegegangen.

Jim sagte zu Buffett: »Die Lage ist fürchterlich. Wie soll sich die Wirtschaft je wieder erholen?«

Worauf Buffett erwiderte: »Jim, weißt du, was 1962 der meistverkaufte Schokoriegel war?«

»Nein«, antwortete Jim.

»Snickers«, erklärte Buffett. »Und weißt du, was heute der meistverkaufte Schokoriegel ist?«

»Nein«, gestand Jim.

»Snickers«, sagte Buffett.

Danach schwiegen beide, die Unterhaltung war beendet.

In diesem Buch erzähle ich kurze Geschichten darüber, was in einer sich wandelnden Welt gleich bleibt. In der menschlichen Geschichte wimmelt es von Überraschungen, die niemand hätte vorhersehen können. Sie ist aber auch durchzogen von zeitloser Weisheit.

Angenommen, wir könnten mit einer Zeitmaschine 500 Jahre in die Vergangenheit oder in die Zukunft reisen. Sicher würden wir mit offenem Mund dastehen und staunen, wie sehr sich die Technik und die Medizin verändert haben. Die geopolitische Ordnung schiene uns völlig undurchschaubar. Sprache und Dialekt wären uns völlig fremd.

Aber eines würde uns auffallen: Gier und Angst würden den Menschen ebenso beherrschen wie heute auch. Wir würden beobachten können, dass Risikofreude, Eifersucht und Clandenken das menschliche Verhalten auf eine Art prägen, die uns aus der Gegenwart sehr bekannt vorkommt. Wir würden hochmütigen und engstirnigen Menschen begegnen, so wie es sie auch heute gibt. Wir würden Menschen sehen, die nach dem Geheimnis für ein glückliches Leben suchen und sich in einer grundsätzlich unvorhersehbaren Welt nach Sicherheit sehnen. Auch das würde uns sehr vertraut vorkommen. Schon wenige Minuten nach unserer Ankunft in dieser fremden Welt würden wir sagen: »Ah, das kenne ich. Alles so wie immer.«

Veränderungen erregen unsere Aufmerksamkeit, weil sie überraschend und spannend sind. Doch am meisten können wir aus jenen Verhaltensweisen lernen, die sich nie ändern. Sie zeigen uns, was wir in Zukunft erwarten dürfen. In unser aller Zukunft. Denn egal, wer man ist, woher man kommt, wie alt man ist oder wie viel man verdient: Aus dem menschlichen Verhalten können wir alle einige der wichtigsten Lektionen fürs Leben ziehen.

Diese schlichte Wahrheit wird oft übersehen. Doch wer sie einmal verinnerlicht hat, versteht sein Leben besser, versteht besser, warum die Welt ist, wie sie ist, und blickt mutiger in die Zukunft.

Der Amazon-Gründer Jeff Bezos sagte einmal, er würde oft gefragt, was sich in den nächsten zehn Jahren ändern würde. »Aber fast niemand fragt mich, was sich die nächsten zehn Jahre nicht ändert. Dabei finde ich diese Frage eigentlich wichtiger.«5

Unveränderliche Dinge spielen auch deswegen eine so große Rolle, weil wir auch in Zukunft auf sie bauen können. So sagte Bezos, er könne sich keine Zukunft vorstellen, in der Amazon-Kunden nicht Wert auf niedrige Preise und schnellen Versand legten – weshalb er bedenkenlos gewaltige Summen in diese Bereiche investieren dürfe. Diese Philosophie lässt sich auf fast alle Lebensbereiche anwenden.

Ich habe keine Ahnung, was im kommenden (oder irgendeinem zukünftigen) Jahr auf den Börsen los sein wird. Aber ich baue darauf, dass die Menschen auch in Zukunft gleichzeitig von Gier und Angst getrieben werden. Denn das ändert sich nie. Also beschäftige ich mich damit.

Ich habe keine Ahnung, wer die nächste Präsidentschaftswahl gewinnt. Aber ich zähle darauf, dass die Neigung der Menschen zu Clandenken ihr Urteil trübt. Denn das wird sich auch in den nächsten tausend Jahren nicht ändern.

Ich kann nicht sagen, welche Unternehmen im kommenden Jahrzehnt boomen werden. Aber eines weiß ich: Erfolg steigt Spitzenmanagern zu Kopf; er macht sie nachlässig und selbstzufrieden, was sich irgendwann in der Performance niederschlägt. Das läuft seit Hunderten von Jahren so und wird sich niemals ändern.

Philosophen haben sich jahrhundertelang mit der Idee beschäftigt, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt, sein Leben zu leben, und man nur zufällig genau diese eine Version seines Weges beschreitet. Dieser verstörende Gedanke wirft folgende Frage auf: Was bliebe denn in jeder denkbaren Version meines Lebens gleich? Diese universellen, von Zufällen, Glück und Pech unabhängigen Konstanten sind ganz offenkundig das Wichtigste, worauf man sich konzentrieren sollte.

Der Investor und Unternehmer Naval Ravikant formulierte es einmal so: »Wenn es 1.000 Paralleluniversen gibt, willst du in 999 davon reich sein. Du möchtest nicht in den 50 Fällen reich sein, wo du Glück hattest. Du strebst danach, den Faktor Glück möglichst weitgehend auszuschalten … Ich will so entscheiden, dass ich von 1.000 Varianten meines Lebens in 999 Erfolg hätte.«6

Genau um diese Frage dreht sich mein Buch: Was würde in jedem dieser 1.000 Paralleluniversen gleich sein?

Jedes der folgenden 23 Kapitel ist in sich abgeschlossen, man darf also nach Belieben Kapitel überspringen oder herauspicken. Ihnen allen ist gemeinsam, dass die darin behandelten Themen in Hunderten von Jahren noch ebenso relevant sein werden wie heute. Dessen bin ich mir sicher.

Die Kapitel sind alle kurz. Nichts zu danken! Viele entstanden aus meinem Blog beim Collaborative Fund, wo ich über den Schnittpunkt von Geld, Geschichte und Psychologie schreibe.

Das erste Kapitel handelt davon, wie fragil unsere Welt ist, und beginnt mit einer persönlichen Geschichte über den gruseligsten Tag meines Lebens.

Kapitel 1

Am seidenen Faden

Selbst wenn man weiß, wo man herkommt, weiß man noch lange nicht, wohin die Reise geht.

Eine wichtige Lektion aus der Geschichte lautet, dass unsere Welt an einem seidenen Faden hängt. Einige der größten und folgenreichsten historischen Umwälzungen resultierten aus zufälligen, unvorhersehbaren, ungeplanten Begegnungen oder Entscheidungen. Oft bestimmte reiner Zufall über Triumph oder Desaster.

Der Autor Tim Urban schrieb einmal: »Wenn du in die Zeit vor deiner Geburt zurückreisen würdest, hättest du schreckliche Angst, irgendetwas zu tun. Denn du wüsstest, dass schon die kleinsten Veränderungen in der Gegenwart die Zukunft erheblich beeinflussen können.«7

Wie erschreckend wahr!

Dieser Umstand fasziniert mich schon seit vielen Jahren; genauer gesagt, seit einem bestimmten Tag in meiner Jugend. Als Jugendlicher gehörte ich dem Squaw-Valley-Ski-Team an und fuhr ein Jahrzehnt lang leidenschaftlich Skirennen. Unser Team bestand aus einem Dutzend Mitgliedern. In den frühen 2000er-Jahren befanden wir alle uns im Teenageralter und hatten bis dahin den Großteil unseres Lebens miteinander verbracht. Wir fuhren sechs Tage die Woche Ski, zehn Monate im Jahr, und reisten gemeinsam um die Welt, immer dem Schnee hinterher.

Den meisten meiner Kameraden stand ich nicht besonders nahe – wir verbrachten einfach zu viel Zeit miteinander und bekamen uns ständig in die Wolle. Aber vier von uns waren unzertrennliche Freunde geworden. Dies ist die Geschichte von zweien dieser Freunde, Brendan Allan und Bryan Richmond.

Am 15. Februar 2001 war unsere Mannschaft gerade von einem Rennen in Colorado zurückgekehrt. Unser Rückflug hatte sich verzögert, weil über dem Lake Tahoe ein selbst für dortige Verhältnisse extremer Schneesturm wütete. Bei relativ hohen Temperaturen fiel knapp ein Meter schwerer, nasser Schnee – auf eine dicke Schicht leichten Pulverschnees, wie er für das Gebiet typisch ist.

Auf einer dicken Neuschneeschicht kann man keine Rennen fahren – Rennpisten brauchen einen festen, eisigen Untergrund. Also wurde das Training abgesagt. Brendan, Bryan und ich freuten uns auf eine Woche »freies Skifahren«, wie wir es nannten: planloses Herumblödeln auf der Piste, Rumgondeln, Spaß haben. Was wir nicht bedachten: Die Schneelage – schwerer, nasser Schnee auf einer Lage Pulverschnee – bedeutete extreme Lawinengefahr, denn schwere Pappschneeschichten verbinden sich nicht mit dem pulverigen Untergrund und rutschen unheimlich leicht ab.

Um ihre Gäste vor dieser Gefahr zu schützen, unternehmen Skigebiete alles Nötige. Sie sperren die gefährlichsten Hänge und lösen durch nächtliche Sprengungen Lawinen aus, bevor der Skibetrieb am nächsten Morgen weitergeht.

Wenn man aber absichtlich die Piste verlässt, unter den Absperrbändern durchschlüpft, um auf verbotenem, unberührtem Terrain zu fahren, hilft das alles nichts. Am Morgen des 21. Februar 2001 trafen Brendan, Bryan und ich uns in der Umkleide des Skiklubs, wie Hunderte Male zuvor. Bryans letzte Worte, bevor er an diesem Morgen sein Elternhaus verließ, waren gewesen: »Keine Sorge, Mama, ich fahre nicht abseits der Pisten.« Doch wir waren kaum in unsere Ski gestiegen, als wir genau das taten.

* * *

Die Rückseite des Squaw Valley (heute Palisades Tahoe genannt), hinter dem Sessellift KT-22, besteht aus einem Gebirgszug von etwa anderthalb Kilometern Länge. Er trennt die Skigebiete Squaw Valley und Alpine Meadows voneinander.

Zum Skifahren sind die Hänge traumhaft – steil und offen, von sanften Buckeln überzogen. Vor dem 21. Februar 2001 war ich dort vielleicht ein Dutzend Mal Ski gefahren. Die abgelegene Gegend gehörte nicht zu unserem Stammrevier, weil es ziemlich dauerte, bis man wieder zurück im Skigebiet war. Der Hang endete an einer abgelegenen Straße; von dort musste man zum Skiklub zurück trampen.

An jenem Morgen beschlossen Brendan, Bryan und ich, dort Ski zu fahren. Doch kaum waren wir unter den Absperrbändern durchgetaucht, spürte ich, wie unter mir der Hang abrutschte. Das war mir noch nie passiert, und die Erfahrung brannte sich mir ein. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie der Hang abrutschte, ich merkte nur plötzlich, dass meine Ski nicht mehr auf dem Boden standen, sondern buchstäblich auf einer Schneewolke schwammen. In einer solchen Situation hat man keinerlei Kontrolle mehr, denn nicht man selbst drückt gegen den Schnee, um die Ski in eine gewünschte Richtung zu lenken, sondern der Schnee drückt gegen die Ski. Man kann nur versuchen, irgendwie das Gleichgewicht zu halten. Zum Glück war die Lawine nur klein und endete rasch. Ich erinnere mich noch, wie ich die anderen fragte: »Habt ihr die Lawine mitbekommen?«, als wir an die Straße gelangten.

»Haha, das war großartig«, antwortete Brendan.

Wir trampten zurück zum Hauptquartier, ohne ein weiteres Wort über den Vorfall zu verlieren.

* * *

Dort angekommen, wollten Brendan und Bryan noch eine Runde drehen. Ich weiß nicht warum, aber mir reichte es. Stattdessen bot ich an, Brendan und Bryan nach ihrer zweiten Tour an der Straße abzuholen, sodass sie nicht zurück trampen müssten.

Darauf einigten wir uns und gingen unserer Wege. Eine halbe Stunde später fuhr ich mit meinem Wagen zum Treffpunkt. Es war niemand da. Ich wartete eine halbe Stunde, dann gab ich auf. Es dauerte etwa eine Minute, den Hang hinunterzufahren, ich wusste also, dass sie nicht mehr kommen würden. Sie mussten schon vor mir unten angekommen und bereits zurück getrampt sein. Ich fuhr zurück zum Klub, und erwartete, sie dort zu treffen. Doch sie waren nicht da. Ich fragte herum. Niemand hatte sie gesehen.

Gegen 16 Uhr rief mich Bryans Mutter an. Ich werde das Gespräch nie vergessen. »Hallo Morgan, Bryan ist heute nicht zu seinem Job erschienen. Weißt du, wo er steckt?«, fragte sie mich.

Ich verriet ihr die Wahrheit. »Wir sind heute Morgen auf der Rückseite von KT-22 runtergefahren. Er und Brendan haben eine zweite Runde gedreht, ich wollte sie an der Straße abholen. Aber sie sind nicht gekommen. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«

»O mein Gott!«, stöhnte sie und legte auf.

Bryans Mutter war selbst eine erfahrene Skiläuferin. Ich denke, in diesem Augenblick hatte sie sich zusammengereimt, was passiert sein musste. Jetzt fiel auch bei mir der Groschen.

Stunden vergingen, alle fingen an, sich Sorgen zu machen. Schließlich rief jemand die Polizei und meldete die beiden als vermisst. Die Beamten nahmen die Sache nicht ernst, sie glaubten wohl, dass die beiden sich eher zu einer Party verdrückt hätten. Ich wusste aber, dass das nicht stimmte. »Ihre Schuhe stehen doch noch da«, sagte ich und deutete auf Brendans und Bryans Turnschuhe in der Umkleide. »Folglich tragen sie noch ihre Skischuhe, und jetzt ist es 21 Uhr. Was schließen Sie daraus? Es ist 21 Uhr und sie tragen noch ihre Skischuhe.« Spätestens in diesem Moment hatte jeder verstanden, wie ernst die Lage war.

Um etwa 22 Uhr sagte man mir, ich solle zur Feuerwehr von Squaw Valley gehen. Dort traf ich auf die Rettungsmannschaft. Ich legte genau dar, was Brendan, Bryan und ich an jenem Tag gemacht hatten. Das Rettungsteam zog riesige Luftaufnahmen des Gebiets heraus. Ich zeigte dem Team genau, wo wir die gesicherte Piste verlassen hatten.

Ich erwähnte auch die kleine Lawine am Morgen. Als ich davon erzählte, sah ich, wie die Rettungsmannschaft zwei und zwei zusammenzählte. Als ich endete, sahen sich zwei Retter an und seufzten. Den Augenblick werde ich nie vergessen.

In stockdunkler Nacht machte sich das Team auf die Suche nach Brendan und Bryan, mit gewaltigen Flutlichtern und einer Meute Suchhunde. Später erfuhr ich, dass die Retter genau dort, wo der gesperrte Hang anfing, und wo wir am Morgen Ski gefahren waren, frische Spuren eines Lawinenabgangs gefunden hatten. Diese Lawine war gewaltig gewesen. Ein Mitglied des Suchtrupps erzählte: »Der halbe Hang ist abgerutscht.«

Etwa um Mitternacht fuhr ich zum Klub zurück. Der Parkplatz des Skigebiets fasst mehrere Tausend Autos, aber um diese Zeit lag er verlassen da. Fast alle waren nach Hause gegangen. Nur zwei Autos parkten noch dort, nebeneinander: Brendans Jeep und Bryans Chevy Pickup.

* * *

Ich versuchte, auf der Bank der Umkleide ein wenig zu schlafen, aber ich bekam kein Auge zu. Ich erinnere mich noch, dass ich mir vorstellte, Brendan und Bryan würden durch die Tür springen und wir würden alle drei über jenen Tag lachen können, an dem ich wegen ihnen die Cops rufen musste.

Um 9 Uhr morgens war die Umkleide voll von Mannschaftskameraden aus dem Rennteam, von Eltern, Freunden und Verwandten. Alle wollten mithelfen. Der Skiklub wurde zur Zentrale der Rettungsaktion.

Ich legte mich wieder auf die Bank und schlief schließlich ein. Wenige Minuten später erwachte ich von einem Schrei. Menschen brüllten durcheinander, es herrschte große Aufregung. Ich wusste, was geschehen war, niemand musste es aussprechen.

Ich stieg hinauf ins Obergeschoss der Umkleide, wo ich Bryans Mutter auf einer Couch sitzen sah. Der Schrei war von ihr gekommen.

Schluchzend sagte ich ihr: »Es tut mir so leid!«

Augenblicke wie diese lassen sich kaum beschreiben. Ich wusste damals nicht, was ich noch hätte sagen sollen. Bis heute weiß ich nicht, was ich hätte sagen können.

Die Suchhunde hatten im Lawinenfeld angeschlagen, die Retter hatten Sonden in den Schnee gesteckt und Brendan und Bryan unter zwei Metern Schnee begraben gefunden. Die beiden waren an aufeinanderfolgenden Tagen geboren worden und drei Meter voneinander entfernt gestorben.

* * *

Später an jenem Tag besuchte ich meinen Vater in der Arbeit. Ich brauchte jetzt meine Familie um mich herum. Schon auf dem Parkplatz kam er mir entgegen und sagte: »Ich war noch nie so froh, dich zu sehen.« Das war das einzige Mal in meinem ganzen Leben, dass ich meinen Vater weinen sah. Erst in diesem Augenblick verstand ich, wie wenig gefehlt hätte, und ich wäre mit Brendan und Bryan auf diese schicksalhafte Tour gegangen.

Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los. Warum bin ich den Hang an jenem Morgen einmal gefahren, dann aber kein zweites Mal? Über diese Frage muss ich eine Million Mal nachgedacht haben. Diese Entscheidung hat mir fast sicher das Leben gerettet. Aber bis heute habe ich keine Ahnung, warum ich sie so traf.

Ich habe keine Ahnung.

Es gibt keine Erklärung.

Ich habe nicht groß über darüber nachgedacht, ich habe keine Gefahren abgeschätzt, keinen Experten konsultiert, kein Pro und Contra abgewogen. Reiner Zufall, blindes Glück haben zu der Entscheidung geführt, die sich als die wichtigste meines Lebens herausstellen sollte. Die Entscheidung war viel folgenschwerer, als jede, die ich jemals zuvor getroffen habe – oder die ich jemals treffen werde.

Das war meine ganz persönliche Geschichte, aber vermutlich haben die meisten Leser schon eine ähnliche Geschichte erlebt. Bei genauer Betrachtung stellt sich nämlich heraus, dass Geschichte sich ständig wiederholt.

Im Folgenden möchte ich anhand von drei verrückten Beispielen illustrieren, wie sehr unsere heutige Welt von Kleinigkeiten geprägt wurde, die absolut niemand auf dem Schirm hatte.

* * *

Die Schlacht von Long Island war ein Desaster für George Washington und seine zehntausend Soldaten. Sie wurden vernichtend von den Briten mit ihrer vierhundert Schiffe starken Flotte geschlagen. Doch es hätte noch viel schlimmer kommen können für die Amerikaner: Die Schlacht hätte das Ende des Unabhängigkeitskriegs bedeuten können. Die Briten hätten nur den East River hinauf segeln müssen, dann wären Washingtons Truppen umzingelt und ausgelöscht worden. Dazu kam es nur deswegen nicht, weil der Wind von vorne kam und es den Briten unmöglich machte, den Fluss hinauf zu segeln.

Der Historiker David McCullough erklärte in einem Interview einmal: »Wenn der Wind in der Nacht des 28. August [1776] anders gestanden wäre, wäre meiner Ansicht nach alles vorbei gewesen.«

»In dem Fall hätte es die Vereinigten Staaten nie gegeben?«, fragte der Interviewer.

»Ich glaube, nein«, antwortete McCullough.

»Der Wind hat die Geschichte verändert?«, hakte der Interviewer nach.

»Absolut«, antwortete McCullough.8

* * *

Weil seine Reederei Geld sparen wollte, musste Kapitän William Turner den vierten Heizkessel seines riesigen Dampfers stilllegen. Aufgrund dieser Entscheidung würde die Überfahrt von New York nach Liverpool einen Tag länger dauern – gewiss ärgerlich, aber die Passagierschifffahrt hatte wirtschaftlich zu kämpfen, und die Reederei brauchte die Kostenersparnis.

Weder der Kapitän noch irgendjemand sonst ahnte, welch weitreichende Konsequenzen diese Entscheidung haben sollte. Denn aufgrund der Verzögerung geriet Turners Schiff, die Lusitania, direkt in den Kurs eines deutschen U-Boots.

Die Lusitania wurde von einem Torpedo getroffen und sank. Der Angriff kostete fast 1.200 Menschen das Leben und trug erheblich dazu bei, dass die öffentliche Meinung in den USA umschlug; zuvor war die Mehrheit strikt dagegen gewesen, sich in den Ersten Weltkrieg hineinziehen zu lassen.

Mit vier Kesseln unter Dampf wäre Turner in Liverpool angekommen, noch bevor das deutsche U-Boot überhaupt die keltische See erreichte, wo es auf die Lusitania traf. Das Schiff wäre vermutlich nie versenkt worden und die USA wären vielleicht nie in einen Krieg eingetreten, der so viele Weichen für das 20. Jahrhundert stellen sollte.9

* * *

Giuseppe Zangara war gerade einmal 1,50 Meter groß. Deswegen musste er sich 1933 am Rande einer Wahlkampfveranstaltung auf einen Stuhl stellen; nur so konnte er mit seiner Waffe über die Menge hinweg schießen. Zangara feuerte fünf Schüsse ab.10 Eine Kugel traf Anton Cermak, der gerade dem eigentlichen Ziel des Attentäters die Hand schüttelte. Cermak, der Bürgermeister von Chicago, starb. Das Ziel, Franklin Delano Roosevelt, wurde zwei Wochen später als Präsident vereidigt.11

Innerhalb von Monaten nach seinem Amtsantritt hauchte Roosevelt der amerikanischen Wirtschaft mit seinem New Deal neues Leben ein. John Nance Garner – der Präsident geworden wäre, wenn Zangara getroffen hätte – war strikt gegen kreditfinanzierte Staatsausgaben, wie sie der New Deal vorsah. Höchstwahrscheinlich hätte es unter ihm nie einen New Deal gegeben – jenes Maßnahmenpaket, das die amerikanische Wirtschaft bis heute prägt.

* * *

Diese Gedankenspielereien könnte man endlos fortsetzen. Jede große Geschichte hätte ganz anders ausgehen können, wenn ein paar Wölkchen Nichts in eine andere Richtung getrieben wären. So vieles in unserer Welt hängt am seidenen Faden.

Eine Ironie des Geschichtsstudiums besteht darin, dass wir oft genau wissen, wie eine Episode ausging, aber keinen Schimmer haben, wann sie begann.

Hier ein Beispiel: Was verursachte die Finanzkrise von 2008? Nun, dafür muss man den Hypothekenmarkt verstehen. Was prägte den Hypothekenmarkt? Dafür muss man den historischen Verfall der Zinsen über die 30 Jahre vor der Krise betrachten. Was sorgte für fallende Zinsen? Dafür muss man die Inflation der 1970er-Jahre verstehen. Was verursachte die Inflation? Nun, dafür muss man das internationale Finanzsystem der 1970er-Jahre verstehen und die Nachwehen des Vietnamkriegs. Wie kam es zum Vietnamkrieg? Nun, dafür muss man die Angst vor dem Kommunismus verstehen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen herrschte … Und diese Kette ließe sich endlos weiter verfolgen.

Alle heutigen Ereignisse – nebensächliche wie weltbewegende – haben Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Geschwister und Cousins. Wer diesen Stammbaum ignoriert, versteht viele Ereignisse falsch, bekommt einen irreführenden Eindruck davon, warum Dinge passiert sind, wie lange bestimmte Zustände andauern, und unter welchen Umständen sich Dinge wiederholen könnten. Betrachtet man Ereignisse isoliert, ohne ihre tief reichenden Wurzeln zu würdigen, kann man fast jede beliebige Schlussfolgerung aus ihnen ziehen – um dann resignierend mit den Schultern zuckend zu verkünden: »Tja, es ist nun mal schwer, die Zukunft vorherzusagen.« Oder: »Tja, Politik ist nun mal ein schmutziges Geschäft.«

Menschen sagen gern: »Um zu wissen, wo wir hingehen, müssen wir wissen, wo wir herkommen.« Realistischer wäre es aber, sich einzugestehen, dass man, selbst wenn man weiß, wo man herkommt, noch lange nicht weiß, wo die Reise hingeht. Denn Ereignisse spielen auf unvorhersehbare Weise zusammen.

In einer Welt, die so anfällig ist für glückliche wie unglückliche Zufälle, halte ich mir gern zwei Dinge vor Augen: Erstens – den zentralen Gedanken dieses Buchs –, dass man seine Vorhersagen nicht auf bestimmte Ereignisse stützen sollte, sondern auf typische Verhaltensmuster des Menschen. Beispielsweise lässt sich unmöglich prognostizieren, wie die Welt in 50 Jahren aussehen wird. Aber ich wette gerne darauf, dass die Menschen auch in 50 Jahren noch wesentlich beeinflusst werden von Gier, Angst, Chancen, Ausbeutung, Risiken, Unsicherheit, Stammesdenken und sozialem Druck.

Entwicklungen vorauszusagen, ist schwierig, weil man oft genug die Folgefragen nicht bedenkt: »Und was kommt dann?« Die Aussage »Wenn Benzin teurer wird, fahren die Menschen weniger Auto« klingt einleuchtend. Aber was kommt dann? Nun, die Menschen müssen ja fahren, also fragen sie vielleicht verstärkt Fahrzeuge nach, die weniger Sprit verbrauchen. Sie werden der Politik ihr Leid klagen, die dann vielleicht sparsame Autos subventioniert. Oder die Regierung dringt auf die OPEC, mehr Öl zu produzieren. Innovative Akteure auf dem Energiemarkt denken sich Neues aus. Und die Ölindustrie kennt nur zwei Zustände: Vollgas oder Vollbremsung. Also kurbelt sie die Produktion an, vielleicht sogar zu sehr. Dann fallen die Preise, noch während die Menschen sich spritsparende Autos zulegen. Die sinkenden Transportkosten pro Kilometer machen es attraktiver, aufs Land hinaus zu ziehen – und am Ende fahren die Menschen noch mehr Auto als vorher.

Es ist also alles nicht so einfach. Jedes Ereignis schlägt seine eigenen Wellen, die die Welt auf ihre ganz eigene Weise verändern. Das macht Vorhersagen so außerordentlich schwierig. In der Geschichte lagen unzählige Prognosen grotesk daneben – das sollte uns Demut lehren, was unsere eigenen Prognosen anbelangt.

Zweitens sollten wir uns eine reiche Fantasie bewahren. Denn egal, wie die Welt heute aussieht, und was heute gottgegeben erscheint: Schon morgen kann sich alles ändern, aufgrund eines winzigen Ereignisses, das heute niemand kommen sieht. Ereignisse wirken oft auf unvorhersehbare Weise zusammen. Und plötzlich entsteht gegen jede Intuition aus einem winzigen Anfang etwas Gewaltiges, wie beim Zinseszinseffekt.

Das folgende Kapitel stellt eine Warnung dar, wie leicht es ist, Risiken zu ignorieren.

Kapitel 2

Risiko ist das, was man nicht kommen sieht

Wir sind sehr gut darin, die Zukunft vorherzusagen, abgesehen von den Überraschungen – dabei kommt es meist genau auf die an.

Menschen sind bekanntlich schlecht darin, die Zukunft vorherzusehen.

Wobei man differenzieren sollte: Wir sind sehr gut darin, die Zukunft vorherzusagen, abgesehen von den Überraschungen – dabei kommt es meist genau auf die an.

Das größte Risiko ist immer, was niemand kommen sieht. Denn wenn niemand etwas kommen sieht, ist niemand darauf vorbereitet. Und da niemand vorbereitet ist, schlägt das Ereignis mit voller Wucht ein.

Es folgt die kurze Geschichte eines Menschen, der das auf die harte Tour erfahren musste.

* * *

Bevor NASA-Astronauten ins All geschossen wurden, mussten sie erst in Heißluftballons steigen und sich dort in extremen Höhen Tests unterziehen. Am 4. Mai 1961 führte eine Ballonfahrt die Amerikaner Victor Prather und Malcolm Ross auf 34.600 Meter über dem Meer, schon an die Grenze zum Weltall. Getestet werden sollte der neue Raumanzug der NASA.

Das Experiment erwies sich als voller Erfolg, der Raumanzug funktionierte einwandfrei. Während des Sinkflugs öffnete Prather die Frontplatte seines Helms, als der Ballon weit genug gesunken war.12 Vermutlich wollte er ein wenig frische Luft schnappen.

Der Ballon landete wie geplant im Ozean, ein Helikopter sollte die Besatzung bergen. Dabei geschah ein kleines Missgeschick. Als Prather sich gerade ins Rettungsseil klinken wollte, rutschte er aus und fiel ins Wasser. Normalerweise wäre das keine große Sache gewesen, weshalb sich im Rettungshubschrauber niemand aufregte. Der Raumanzug war bekanntlich wasserdicht, Prather würde einfach auf dem Wasser treiben. Doch Prather hatte ja die Frontplatte entfernt und war so den Elementen ausgesetzt. Wasser strömte in seinen Anzug, Prather ertrank.13

Machen wir uns einmal bewusst, wie viel Planung in einer Weltraummission steckt. Unzählige Eventualitäten wollen erwogen werden. Tausende Experten denken noch die kleinste Kleinigkeit durch. Die NASA ist vielleicht die am stärksten auf Planung fixierte Organisation aller Zeiten. Schließlich schafft man es nicht auf den Mond, indem man die Daumen drückt und auf das Beste hofft. Für jede denkbare Eventualität tüftelt die NASA einen Plan A, einen Plan B und einen Plan C aus. Und doch kam es in Prathers Fall trotz aller Planung zur Katastrophe, wegen einer Kleinigkeit, die niemand bedacht hatte.

Der Finanzberater Carl Richards formulierte es einmal so: »Risiko ist, was übrig bleibt, wenn man glaubt, an alles gedacht zu haben.«14 Das ist die wahre Definition von Risiko – Risiko ist, was übrig bleibt, nachdem man sich gegen alles gewappnet hat, das man sich ausmalen konnte.

Risiko ist das, was man nicht kommen sieht.

* * *

Betrachten wir die großen, welterschütternden Neuigkeiten – Covid-19, die Anschläge vom 11. September 2001, Pearl Harbor, der Börsencrash 1929. Sie alle hatten gemeinsam, dass sie völlig überraschend kamen. Niemand hatte diese Ereignisse auf dem Radar – bis sie geschahen.

»Auf jeden Boom folgt ein Crash«, das ist schon fast ein ehernes ökonomisches Gesetz. Rückblickend scheinen die Abstürze nach den Booms der 1920er-Jahre, der späten 1990er-Jahre und der frühen 2000er-Jahre unvermeidlich. Jeder musste doch sehen, was unweigerlich kommen würde, oder?

Im Oktober 1929, unmittelbar vor dem Platzen der verrücktesten Börsenblase aller Zeiten und vor dem Beginn der Weltwirtschaftskrise, verkündete der Ökonom Irving Fisher öffentlich: »Die Börsenkurse scheinen ein dauerhaft hohes Plateau erreicht zu haben.«15

Heute müssen wir über solche Kommentare lachen. Wie konnte ein so kluger Kopf so blind sein für etwas so Offensichtliches? Denn der Regel zufolge, dass der Absturz umso krasser ausfällt, je verrückter der vorangehende Boom war, musste ein unmittelbar bevorstehender harter Crash offensichtlich gewesen sein.

Professor Fisher, ein hochintelligenter Mensch, stand mit seiner Einschätzung übrigens nicht alleine da. Vor Jahren interviewte ich einmal Robert Shiller, der für seine Arbeit über Blasen mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde. Auf meine Frage, ob die Weltwirtschaftskrise damals unvermeidlich war, antwortete er:

Nun, niemand hatte sie vorausgesagt. Niemand. Absolut niemand. Natürlich gab es Stimmen, die warnten, Aktien seien überbewertet. Aber meinten sie damit, dass eine viele Jahre lange wirtschaftliche Depression drohe? Nein, das glaubte niemand.

Ich habe Wirtschaftshistoriker gebeten, mir irgendjemanden zu nennen, der die Weltwirtschaftskrise vorausgesagt hätte. Aber sie wussten niemanden.16

Das hat sich mir eingebrannt. Wir sitzen heute da, sind hinterher natürlich klüger und wissen, dass der Crash nach den Roaring Twenties offenkundig unvermeidlich war. Und doch war das für die damaligen Zeitgenossen – Menschen, für die die 1930er-Jahre noch in dunkler Zukunft lagen – keineswegs offenkundig.

Zwei Dinge könnten erklären, warum Zeitgenossen mitunter blind sind für etwas, das rückblickend unvermeidlich scheint:

Entweder waren damals alle verblendet.

Oder wir heute tappen alle in die Falle, dass man hinterher natürlich klüger ist.

Und es wäre verrückt, alles nur auf die Blindheit der damaligen Menschen zu schieben.

Die von mir sehr geschätzte Zeitschrift Economist