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Rita Süssmuth, Familienministerin und Bundestagspräsidentin a. D., zieht Bilanz – aber ihr Blick ist nicht rückwärts-gewandt, sondern richtet sich nach vorn: Sie schreibt an ihre fünf Enkel und alle anderen, die die Zukunft unserer Gesellschaft mitbestimmen. Es ist das persönlichste Buch, das Rita Süssmuth je geschrieben hat. Rita Süssmuths Politik steht für Menschlichkeit und Achtung, Würde und Mut. Mit diesen Werten hat Rita Süssmuth als Ministerin unmenschliche Entscheidungen verhindert, sich mit den Mächtigen angelegt, Engstirnigkeit und Vorurteile entlarvt – und dabei eines nie verloren: ihren Glauben an die Fähigkeit des Menschen und der Gesellschaft, human zu bleiben. »Einmal mehr aufstehen als hinfallen« lautet ihre persönliche Devise. Rita Süssmuths Buch ist ein Aufruf an nachfolgende Generationen, ihr Schicksal nicht Blendern, Machtversessenen und Zynikern zu überlassen, sondern für Werte einzustehen und Menschlichkeit möglich zu machen – denn »diese Welt ist zu schön, um sie den Wahnsinnigen zu überlassen«. Aus dem Inhalt: 1. Vergesst nicht, woher ihr kommt 2. Sucht den Menschen, nicht seine Schwächen 3. Seid unmodern 4. Hütet euch vor Rattenfängern 5. Habt keine Angst 6. Wer schweigt, stimmt zu 7. Geht euren Weg
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Seitenzahl: 51
Rita Süssmuth
Überlasst die Welt nicht den Wahnsinnigen
Ein Brief an die Enkel
Knaur e-books
Die Politik von Rita Süssmuth steht für Menschlichkeit und Achtung, für Würde und Mut. Mit diesen Werten hat sie als Ministerin unmenschliche Entscheidungen verhindert, sich mit den Mächtigen angelegt, Engstirnigkeit und Vorurteile entlarvt – und dabei eines nie verloren: ihren Glauben an die Fähigkeit des Menschen, human zu bleiben. »Einmal mehr aufstehen als hinfallen« lautet ihre persönliche Devise. Rita Süssmuths Buch ist ein Aufruf an nachfolgende Generationen, ihr Schicksal nicht Blendern, Machtversessenen und Zynikern zu überlassen, sondern Menschlichkeit möglich zu machen – denn »diese Welt ist zu schön, um sie den Wahnsinnigen zu überlassen«
Vor einiger Zeit schrieb ich einen langen Brief an meine fünf Enkel Laura, Alexander, Benjamin, Felix und Maximilian, es wurde ein kleines Buch. Denn es war mir wichtig, ihnen einige wesentliche Gedanken mit auf den Lebensweg zu geben. Dann sagten mir manche Leser, dass meine Ausführungen lesenswert seien – ich sollte sie mit möglichst vielen anderen Menschen teilen. So kam es zu dieser Veröffentlichung. Bewusst habe ich die persönliche Anrede belassen – denn es ist letztlich ein Brief an alle jüngeren Menschen unserer Gesellschaft.
»Warum sollte es Greisen verboten sein, auf Bäume zu klettern?«, fragte einst Astrid Lindgren und gab gleich die Antwort mit: »Runterfallen kann man auch mit 12.« Runtergefallen bin ich manches Mal. Dennoch höre ich nicht auf, politisch zu denken und zu handeln, mich zu engagieren. Weil ich über 80 bin, muss ich mich nicht völlig ins Privatleben zurückziehen.
Die Frage, wohin die Reise in Zukunft geht, wird nur derjenige klären können, der auch die Vergangenheit im Auge behält. Denn nur der, der weiß, woher er kommt, kann wissen, wohin er geht.
Meine Zukunft ist überschaubar. Es ist Ihre und Eure Zukunft, die mir besonders am Herzen liegt.
Verständigung, Europa, die Geschlechterfrage sind mir wichtig; vor allem der Einsatz für Benachteiligte und Ausgegrenzte.
Einer der Gründungsväter der Europäischen Union, Jean Monnet, schrieb einst: »Würde ich Europa nochmals bauen, würde ich es von der Kultur her bauen, nicht einseitig von einem gemeinsamen Markt.« Vergesst nicht, wie wichtig die Kultur ist: unsere Bücher, Museen, unsere Künstler*innen und Schriftsteller*innen, unsere Musik und unsere Theater. Und vor allem die Aufgabe, nicht das zu verspielen und zu verlieren, was wir und unsere Vorgänger mit größter Kraft aufgebaut haben.
Natürlich, auch ich kenne Ängste. Aber zugleich bin ich kämpferisch, weil ich feststellen muss, wie sehr Albert Einstein doch recht hatte mit seiner Feststellung, dass es zwei Dinge gebe, die unendlich seien: Erstens das Weltall. Und zweitens die menschliche Dummheit. Wobei, wie er anfügte, er sich beim Weltall noch nicht so ganz sicher sei …
Wenn ich meine Ängste bearbeitet habe, weiß ich um sie, aber sie lähmen mich weit weniger. Wichtig ist für mich, Entscheidungen bei Konflikten mit wenigstens einem anderen, mir vertrauten Menschen besprechen zu können. Kämpferisch aber bin ich, weil mich eine Einsicht treibt: Wir sind nicht ohnmächtig, Veränderung zum Besseren ist möglich. Diese Welt ist zu schön, um sie den Wahnsinnigen zu überlassen.
Die Zeilen dieses Buches sind mit viel Nachdenken und Herz geschrieben.
Rita Süssmuth
Ein Wort hat mich mein Leben lang begleitet. Es heißt: dennoch. Dieses Wort hat für mich ein besonderes Gewicht. Ich möchte erklären, warum.
Schon als junges Mädchen stand für mich dieses Dennoch für eine lebensbejahende Haltung, trotz aller Widersprüche und oft verzweifelten Grenzerfahrungen. Erkenntnishilfe für mich in den nächtelangen Diskussionen in meinem Elternhaus. Hier lernte ich den Diskurs, das Gespräch über Fragen des Lebens, durch Rede und Argumente, das geduldige Zuhören und die kluge Gegenrede meines Vaters kennen und schätzen.
Dennoch galt für mich genauso als Motto, als ich nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Studentin nach Paris ging – und ich mich hier in eine fremde, faszinierende und erschreckende Welt geworfen sah, die mich mit Tod und Leben gleichermaßen konfrontierte.
Mit meinem Dennoch im Gepäck musste ich lernen, meinen Standpunkt immer gut zu begründen, mehr als einmal darauf zu beharren und mich durchzusetzen, um in der Welt der Wissenschaft als Frau ernst genommen und respektiert zu werden. Denn als Wissenschaftlerin an deutschen Universitäten, die sich traute, heiße gesellschaftliche Eisen anzufassen – das galt besonders in Frauenfragen, die manchem Kollegen suspekt waren –, hieß es mehr als einmal, gegen den Strom zu schwimmen. Als Ministerin für Frauen, Familie und Gesundheit, die sich beim Thema Aids gegen alle Versuche der Ausgrenzung und gegen die Gefahr der Hysterie wandte, brauchte ich dieses Dennoch mehr als zuvor, um gegen unmenschliche Ausgrenzungen Position zu beziehen. Und als Bundestagspräsidentin ebenso wie in meinem heutigen Leben als »elder stateswoman«, die sich für Projekte in Deutschland und Europa engagiert, bleibt das Dennoch nötig – als das Motto meines Lebens.
Anlass, das Dennoch neu zu denken, gibt es mehr, als mir lieb ist. Schauen wir auf die Flüchtlingsfrage, schauen wir auf das Wiedererstarken des Populismus, schauen wir auf das, was Politiker aus Europa gemacht haben. Brexit, das Ende des Schengener Abkommens, der Bruch der Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen: Warum gehen wir so geringschätzig mit unserem Europa um, dem wir so viel zu verdanken haben?
Ja, so viel. Ihr dürft nicht vergessen: Ihr und wir leben in Mitteleuropa in der längsten Friedensperiode seit dem Dreißigjährigen Krieg. Eure Generation kennt weder existenzielle Bedrängnis noch Krieg noch Bedrohung noch Hunger noch Flucht noch Vertreibung. Eine Chance. Denn mittlerweile können das nicht mehr allzu viele Menschen auf der Welt von sich sagen. Europa hat Unglaubliches geschafft seit 1945. Aus den Erbfeinden Deutschland und Frankreich wurden die Verbündeten des Kontinents. Friede, Wohlstand, Reisefreiheit, Handel und Austausch haben dieses Europa möglich gemacht. Und sie haben so etwas Begeisterndes wie die Erasmus-Programme geschaffen, die die Ausbildung von jungen Menschen quer durch Europa zur Alltäglichkeit gemacht haben.