Überraschung im Morgengrauen - Patricia St John - E-Book

Überraschung im Morgengrauen E-Book

Patricia St. John

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Beschreibung

Dieses Buch enthält drei Geschichten von Patricia St John, deren Bücher auf der ganzen Welt bekannt geworden sind. Die Geschichten spielen in Marokko, dem Land, in dem die Autorin 27 Jahre als Missionskrankenschwester lebte und dessen Menschen sie kennen und lieben lernte. Überraschung im Morgengrauen: Yacoots, eine alte, einsame Frau, kann sich nur noch mühsam selbst versorgen. Die ganze Woche freut sie sich auf Freitag, wenn ihre Enkelin sie besucht und ihr aus der Bibel vorliest. Aber noch jemand überrascht sie früh am Morgen ... Der Umhang: Der Straßenjunge Mustafa muss um seine Existenz kämpfen und sucht seinen gestohlenen Umhang. Die vier Kerzen: Aischa hört zum ersten Mal vom Jesuskind und will ihm ein Geschenk bringen.

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Seitenzahl: 112

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Patricia St. John

Überraschungim Morgengrauen

und andere Geschichten

Impressum

Originaltitel: »The Four Candles«

Erschienen bei: Scripture Union (Bibellesebund), London

© 1956 by Patricia St. John.

 

Deutsch von Ingeburg Bedke (»Überraschung im Morgengrauen«, »Der Umhang«) und Elisabeth I. Aebi (»Die vier Kerzen«)

© 1978 der deutschsprachigen Ausgabe

9. Auflage 2014

© 2019 der E-Book-Ausgabe

Bibellesebund Verlag, Marienheide

https://shop.bibellesebund.de/

 

Coverillustration: Justo G. Pulido, www.pulido.de

Covergestaltung: Georg Design, Münster

ISBN 978-3-95568-324-5

 

Hinweise des Verlags

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des Textes kommen.

Noch mehr eBooks des Bibellesebundes finden Sie auf

https://ebooks.bibellesebund.de

Inhalt

Titel

Impressum

Überraschung im Morgengrauen

Der Besuch

Der Edelstein

Das Kind

Der Umhang

Morgen

Mittag

Nachmittag

Abend

Die vier Kerzen

Die erste Kerze

Die zweite Kerze

Die dritte Kerze

Das Geschenk

Das Kindlein

Als alle Kerzen brannten

Überraschung im Morgengrauen

Der Besuch

Der Edelstein

Das Kind

Der Besuch

Ruckartig erwachte die alte Frau aus ihrem Schlaf. Schon schien die Frühlingssonne durch die Risse in der Wand. Die Hühner draußen machten einen fürchterlichen Spektakel. Es war bereits heller Tag und sie hatte verschlafen. Dies war besonders schade, weil heute Freitag war, Yacoots’ allwöchentlicher großer Tag, und es gab noch viele Vorbereitungen zu treffen.

Sie erhob sich so schnell, wie ihr Rheuma es erlaubte. In den nächsten paar Stunden wartete noch eine Menge Arbeit auf sie: Brot kneten, Wasser von der Quelle holen, Feuer machen und das Zimmer fegen. Aber bei dem Lärm der Hühner konnte man ja nicht einmal nachdenken. Irgendetwas musste mit ihnen los sein. Sie humpelte zur Tür. Als sie sie öffnete, schlug ihr ein kalter Luftzug entgegen, sodass sie einen Moment lang die Augen schloss, während ihr die Hühner gackernd entgegenrannten. Als sie die Augen wieder aufmachte, war es schon zu spät. Eine kleine, zerlumpte Gestalt eilte barfuß den Hügel hinauf, und ein Blick ins Hühnerhaus verriet ihr, dass die Nester leer waren.

Das war ihr nun schon zum zweiten Mal passiert. Ihre Hilflosigkeit trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wusste nicht, wer der kleine Dieb war; aber es musste etwas geschehen, und zwar bald, denn vom Verkauf der Eier lebte sie. Sie schaffte es damit gerade noch bis zum Markt, obgleich ihr der Rückweg bergauf einige Mühe bereitete. Manchmal fragte sie sich, wie lange das wohl noch so weiterging. Sie brauchte dringend Hilfe, aber niemand kümmerte sich um sie. Ihre einzige Tochter war mit einem wohlhabenden Geschäftsinhaber verheiratet, der sich seiner schäbigen alten Schwiegermutter zutiefst schämte. Dennoch gab er ihr hin und wieder etwas Geld.

Verdrießlich vor sich hin schimpfend schwang sie ihren Wasserträger über die Schulter. Auf dem Weg zur Quelle wurde es jetzt langsam wärmer. Sie wandte ihr zerfurchtes altes Gesicht der Sonne zu und fühlte augenblicklich allen Ärger von sich abfallen.

Die ersten Mandelblüten hoben sich wie rosa Wolken von dem silbernen Laub der Olivenbäume und den grauweißen Zweigen der Feigenbäume ab. Der Bach sprudelte und glänzte, und in einem Büschel Gras am Rand der Quelle öffneten sich die ersten Narzissen. Yacoots nahm ihren Duft schon wahr, bevor sie sie sah: Das war der Frühling. Sie hatte sich immer an allem Schönen erfreuen können, und obgleich sie alt war, wurde ihr dadurch leicht ums Herz. Sie vergaß den Dieb und dachte nur noch daran, dass in zwei Stunden Nadia kommen würde, und dann würde sie die Worte des Buches hören, das Wort Gottes.

Die Eimer waren schwer und sie war müde, als sie zurückkam. Aber sie konnte sich jetzt nicht ausruhen, denn alles musste rechtzeitig fertig werden. Sie setzte den Kessel auf das Holzkohlebecken und trug es nach draußen, damit der leichte Frühlingswind die Glut anfachte.

Währenddessen knetete sie den Brotteig. Dann putzte sie den Fußboden, schüttelte die Binsenmatte aus, fütterte die Hühner und polierte ihr kostbares Bronzetablett. Sie wollte nicht eher essen oder trinken, bis Nadia kam, denn zweimal zu frühstücken konnte sie sich nicht leisten. Aber die Freude gab ihr Kraft und sie arbeitete schnell, denn die Arbeit am Freitag war keine gewöhnliche Arbeit. An anderen Tagen war sie eine einfache alte Frau, die sich mit ihrer Hausarbeit abmühte. Aber freitags war sie eine Gastgeberin, die ein Festmahl vorbereitete.

Das Wasser begann zu kochen und der Teig in der schweren Bratpfanne war sorgsam gewendet worden. Das Zimmer war erfüllt von dem Duft nach Mais und warmem Brot. Sie schob ihren niedrigen runden Tisch ins Sonnenlicht am Eingang und stellte Kaffeetopf und Gläser darauf. Dann zog sie die Kiste unter ihrem Bett hervor und nahm das Buch heraus. Ihre Finger berührten es ehrfurchtsvoll und mit Zittern. Es war ein schäbiges, abgegriffenes kleines Buch mit einem ausgebleichten Pappdeckel; sie besaß es schon seit fünfzehn Jahren.

Sie stammte nicht aus den Bergen, sondern war am Mittelmeer aufgewachsen. Dort hatte sie auch als verheiratete Frau gelebt und eine Tochter mit Namen Anisa zur Welt gebracht. Aber ihr Mann hatte sie verlassen, als das Kind noch klein war. Deshalb hatte sie für eine Spanierin gearbeitet, von der sie sehr gut behandelt wurde. Keine hatte die Sprache der anderen verstanden, abgesehen von einigen Alltagsbegriffen, und sie konnten sich kaum unterhalten. Aber die Freundlichkeit und Güte der Señora waren beispiellos gewesen. Sie schienen ihren Ursprung in Gott zu haben und kamen aus dem schwarzen Buch, aus dem die Frau ihren Kindern jeden Abend vor dem Zubettgehen vorlas. Manchmal versuchte sie, Yacoots davon zu erzählen, aber diese verstand nie sehr viel. Sie wusste nur, dass es eine Quelle der Liebe war, und wenn sie im Zimmer Staub wischte und niemand zusah, wagte sie ihre Hand auf das schwarze Buch zu legen und es zu küssen.

Dank des Mannes der Señora konnte Anisa die Schule besuchen. Mit fünfzehn Jahren hatte sie dann einen Kaufmann geheiratet, war in die Berge gezogen und hatte mehrere Söhne zur Welt gebracht. Yacoots war in der Stadt geblieben, bis ihre geliebte Señora ihr eines Tages mitgeteilt hatte, dass sie nach Spanien zurückkehren würden und Yacoots sich nach einer anderen Arbeitsstelle umsehen müsse.

Das war einer der traurigsten Augenblicke ihres nicht leichten Lebens gewesen. Sie liebte die Kinder der Señora wie ihre eigenen, und als sie Abschied nehmen musste, war sie vor Traurigkeit wie benommen, sodass sie die herrlichen Geschenke kaum wahrnahm, die sie bekam. Kurz vor ihrer Abreise nahm ihre Herrin sie beiseite und gab ihr ein kleines Buch, nicht in Spanisch, sondern in Yacoots’ eigener Sprache. »In diesem Teil des Buches lesen wir jeden Tag«, hatte sie erklärt. »Er spricht von Jesus und dem Weg zu Gott. Bewahre es sorgfältig auf, und wenn deine Enkelkinder größer geworden sind, bitte sie, dir daraus vorzulesen. Es ist Gottes Wort.«

Noch am gleichen Nachmittag war die Familie abgereist. Sie hatte sie zum Hafen begleitet und ihnen zum Abschied gewinkt, während die Tränen über ihr Gesicht liefen. Dann war sie nach Hause gegangen, hatte ihre Kiste gepackt, das Buch – in ein Taschentuch gewickelt – ganz nach unten gelegt und war zu ihrer Tochter in die Berge gezogen.

Aber das Haus war eng, die Jungen rau und laut, und ihr Schwiegersohn wollte sie nicht haben. Bald war es klar, dass für sie kein Platz war. Da ihr die Señora etwas Geld geschenkt hatte, kaufte sie die kleine Hütte und das Stück Land. Hier wohnte sie nun seit fünfzehn Jahren mit ihren Hühnern und pflanzte Gemüse an. Das große Ereignis ihres Lebens war vor zwölf Jahren Nadias Geburt gewesen.

Bis vor Kurzem hatte sie niemandem ihr Buch gezeigt. Sie selbst konnte natürlich kein Wort lesen. Ihr Schwiegersohn war ein strenggläubiger Moslem und hätte sie der Gotteslästerung beschuldigt, und Anisa und die Jungen hätten, obschon sie sie gernhatten, über die Idee einer alten Frau, ihr etwas vorzulesen, gelacht. Aber seit jenem großen Tag, als ihr Schwiegersohn mit der Nachricht durch den Olivenhain gerannt kam: »Komm schnell, Anisa hat ein Mädchen geboren«, wusste sie, dass es anders werden würde. Und als sie sich über die Wiege beugte und tief in die klugen dunklen Augen des kleinen Mädchens sah, bekam sie in ihrem Herzen die Gewissheit, dass sie und ihre Enkelin eines Tages das Buch zusammen lesen würden; dann würde sie die Stimme Gottes hören können.

Sie hatte geduldig gewartet, nie gedrängt, und das Kind hatte sie von Anfang an gerngehabt. Wenn Nadia krank oder traurig war, hatte sie nach ihrer Großmutter gerufen. Und ihre Mutter, die im Haus und mit ihren Söhnen beschäftigt war, rief die Großmutter und war froh, jemanden zu haben, der ihrer recht zarten kleinen Tochter seine ganze Aufmerksamkeit schenken konnte.

In den ersten sechs Jahren war Yacoots die Kinderfrau des kleinen Mädchens und hatte deswegen sogar ihre Hühner verkauft. Dann kam Nadia in die Schule. Yacoots kehrte heim und nahm ihr altes Leben wieder auf, nur mit einem Unterschied: Am Sonntag ging sie jeweils zu ihrer Tochter, und freitags kam Nadia sie immer besuchen.

Nadia brachte jede Woche ihre Schulbücher mit zur Großmutter, um ihr ihre Fortschritte vorzuführen. Mit zwölf Jahren konnte sie zwei Sprachen fließend lesen. Und eines Tages, vor etwa fünf Monaten, hatte Yacoots mit klopfendem Herzen und zitternden Händen das Buch hervorgeholt und dem Mädchen von der Señora und ihrem Geschenk erzählt.

»Es handelt von Gott und von Liebe«, hatte sie recht allgemein erklärt. »Fünfzehn Jahre habe ich es in meiner Kiste versteckt, weil ich nicht lesen kann.«

Und Nadia, die außer ihren Schulbüchern keine anderen besaß, war begeistert. Sie setzte sich augenblicklich auf den Boden, um es durchzublättern. Zuerst musste sie lachen, weil sie auf eine ganze Liste mit Namen stieß, aber dann wurde sie plötzlich von einer Geschichte gepackt. Und Yacoots, die ihre Enkelin aufmerksam beobachtete, konnte das Bild nie wieder vergessen. Nadia saß im Eingang, umspielt von der matten Wintersonne, während die Pappeln an der Quelle den goldenen Hintergrund zu ihrem ernsten jungen Gesicht bildeten. Schließlich blickte sie auf, und ihre dunklen Augen leuchteten.

»Es ist ein gutes Buch, Großmutter«, sagte sie. »Ich werde dir jede Woche ein Kapitel daraus vorlesen.« Geduldig hatte sie sich durch die Namensliste gearbeitet und erleichtert mit den eindrücklichen Worten der Erzählung begonnen. Und nachdem sie ihre Großmutter geküsst hatte und fortgegangen war, hatte Yacoots lange dagesessen und in die untergehende Sonne und in den Nebel geblickt. Sie wiederholte die Worte, die fest in ihrer Erinnerung haften geblieben waren: »Er soll Jesus heißen, denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden.« Und von dem Tag an war Jesus eine Person geworden, ein Freund, der ihre einsame kleine Hütte mit ihr teilte. Sie wusste nicht, wer er war, auch nicht, dass er gestorben und auferstanden war. Aber etwas sagte ihr, dass er eine lebendige, gegenwärtige Tatsache war, der Leitstern ihres Lebens. Und jeden Freitag sprach er wieder zu ihr.

Der Edelstein

Hallo, Großmutter, es ist noch nicht einmal Mittag, und du schläfst schon.«

Yacoots kehrte in die Gegenwart zurück und blickte auf die Gestalt in der Türöffnung. Sie hatte nicht geschlafen, sondern die Vergangenheit noch einmal durchlebt, und einen Moment lang war sie überrascht, dass der Hintergrund mit den goldenen Pappeln fehlte.

Nur der Schein jungen Grüns und die helle Frühlingssonne umgaben Nadias Kopf. Das Kind lachte und hatte vom Laufen ein ganz rotes Gesicht. Sie begrüßten sich so, wie sie ihre Freitagszeremonie stets einzuleiten pflegten.

Denn es war eine Art Zeremonie, bei der jeder Akt zum heiligen Höhepunkt hinführte. Es begann mit dem Frühstück. Yacoots konnte sich nicht sehr oft Kaffee leisten. Daher kochte sie ihn mit äußerster Sorgfalt und trank ihn dann zu dem Brot, den dünnen, nach Landessitte in der Pfanne gebackenen Teigfladen. Nadia saß mit gekreuzten Beinen auf der Matte und berichtete ihr die Neuigkeiten der Woche. Sie war ein fröhliches, lebhaftes Kind und vergaß keine Einzelheit. Ihre Nachbarin hatte ein Baby bekommen, und Nadia war für alt genug erklärt worden, mit zu dem Fest zu gehen, das seinetwegen gefeiert wurde. Dazu hatte ihr Vater ihr ein langes, blaues, besticktes und mit Spitzen besetztes Kleid gekauft. Das wollte sie am nächsten Sonntag anziehen, damit es Großmutter auch sah. Das Baby hatte eine kleine goldene Kappe getragen, die ganze Zeit gebrüllt und sich mehrmals übergeben müssen, weil das Zimmer überfüllt und viel zu heiß war. Nadias Brüder hatten gemurrt, weil sie auch neue Kleider haben wollten. Aber der Vater sparte, um zum Grab des Propheten nach Mekka zu pilgern, und deshalb erhielten die Brüder nichts. Die Fluten hatten einen Teil des Flussufers fortgeschwemmt, dabei waren zwei Ziegen ertrunken. Ihre Eigentümer wollten bei der Stadtverwaltung Klage erheben. Ein Dieb war bei ihrer Cousine durch das Flachdach eingestiegen und hatte ihr goldenes Armband gestohlen. An dieser Stelle erinnerte sich Yacoots an den Eierdieb und erzählte Nadia davon.

»Ich wollte dir zum Frühstück Eier braten«, sagte sie traurig, »aber er nahm alle mit. Er war klein, mit zerlumpten Kleidern und barfuß, und er lief sehr schnell.«

Nadia nickte. »Ich glaube, das könnte Rachid sein, Großmutter«, sagte sie. »Sein Vater ist gestorben, seine Mutter heiratete wieder und zog fort. Sein Stiefvater wollte ihn nicht. Er lebt in den Hügeln und arbeitet bei den Bauern, aber er wagt sich nicht in die Nähe der Stadt, damit ihn die Polizei nicht ins Armenhaus steckt. Pass gut auf, Großmutter. Wenn er es ist, werden wir es der Polizei melden, dann werden sie ihn verprügeln.«

Yacoots meinte, das sei wohl das Beste, aber Nadia schaute nachdenklich vor sich hin. »Jeder könnte deine Eier stehlen, Großmutter«, bemerkte sie. »Was du brauchst, ist ein großer scharfer Hund.«