Übertragungsfehler - Martha Wells - E-Book

Übertragungsfehler E-Book

Martha Wells

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Beschreibung

Für den zu einer – wenn auch wortkargen – Sicherheitseinheit umfunktionierten Killerbot droht die schlimmste Aufgabe, die man sich vorstellen kann. Sie muss (a) einen Mord auf Preservation Station aufklären (nicht so schlimm), dafür (b) mit der Stations-KI zusammenarbeiten (suboptimal, aber okay) und vor allem (c) mit Menschen reden (sehr schlimm). Als Killerbot bleibt einem auch nichts erspart …

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Seitenzahl: 192

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DASBUCH

Auf Preservation Station wird ein Toter gefunden, offenbar ermordet. Das Problem: Niemand kennt ihn. Ganz klar ein Fall für die umfunktionierte SecurityUnit namens Killerbot. Doch diesmal ist Killerbot nicht allein, sondern muss mit der Stations-KI und einem Ermittlerteam zusammenarbeiten. Als Killerbot bleibt einem auch nichts erspart …

Die preisgekrönte KILLERBOT-Bestsellerserie von Martha Wells:

Tagebuch eines Killerbots

Der Netzwerkeffekt

Übertragungsfehler

DIEAUTORIN

Martha Wells ist New York Times-Bestsellerautorin und hat eine Vielzahl an Science-Fiction- und Fantasy-Romanen, -Kurzgeschichten und Essays geschrieben. Ihr Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. »Tagebuch eines Killerbots«, der Auftakt ihrer KILLERBOT-Serie, wurde für den Philip K. Dick Award nominiert und gewann den Nebula Award, Hugo Award, ALA/YALSA Alex Award und Locus Award. Martha Wells lebt mit ihrer Familie in College Station, Texas.

https://diezukunft.de

MARTHA WELLS

ÜBERTRAGUNGSFEHLER

EIN KILLERBOT-ROMAN

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Frank Böhmert

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Das Buch ist im Original unter dem Titel FUGITIVETELEMETRY bei Tor.com Books erschienen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe: 01/2024

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2021 by Martha Wells

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe

und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DASILLUSTRAT, München,

unter Verwendung einer Illustration von Jaime Jones

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-30930-5V001

www.diezukunft.de

1

Der tote Mensch lag an Deck auf der Seite, halb zusammengekrümmt, unter der rechten Hand die verstreuten Bruchstücke eines Feed-Interfaces. Ich hatte schon viele tote Menschen gesehen (richtig viele), also führte ich einen ersten Scan durch und glich die Ergebnisse mit archivierten Datensätzen ab, etwa menschliche Körpertemperatur versus Umgebungstemperatur, Grad der Leichenblässe sowie diverse andere echt abstoßende Sterbeprozesse im Zusammenhang mit Flüssigkeiten. Alle diese Daten hatte ich nach wie vor im Langzeitspeicher. Der Abgleich ermöglichte mir, den Zeitpunkt des Todes einzuschätzen. »Vor ungefähr vier Stunden«, sagte ich.

Dr. Mensah wechselte einen Blick mit Senior Officer Indah von der Station Security. Dr. Mensahs Miene war ausdruckslos. Indah wirkte genervt, aber so schaute sie in meiner Gegenwart eigentlich immer drein. »Woher willst du das wissen?«, fragte sie.

Ich konvertierte Scan-Daten, Abfrage- und Vergleichsergebnisse in einen für Menschen lesbaren Bericht und schickte ihn an ihre Feed-Adresse, dazu eine Kopie an Mensah. Indah blinzelte und setzte während des Lesens nach und nach einen geistesabwesenden Blick auf. Mensah markierte den Bericht als empfangen, sah aber weiterhin Indah an, eine Augenbraue hochgezogen. (Ich untersuchte wieder mit Scan und Optik den Fundort, doch die über meinem Kopf kreisende Arbeitsgruppe neuer Aufklärungsdrohnen versorgte mich mit Video.)

Wir befanden uns an einer Kreuzung in der Passage von Preservation Station, einem kreisrunden Raum, an dem drei kleine Korridore aufeinandertrafen, von denen der eine als kurzer Durchgang zu einem Hauptkorridor zweiter Ordnung führte: dem Trans Lateral Bypass. (In Preservation trugen alle Korridore Namen, eine hiesige Tradition, die durchaus ein bisschen nervte.) Wie immer die Kreuzung hieß, viel Verkehr gab es nicht; sie wurde vor allem als Abkürzung zwischen einem Wohn- und einem Arbeitsviertel benutzt. (Man unterschied hier nicht, anders als auf Stationen in Corporation Rim, zwischen Transitreisenden und Langzeitbewohnenden, aber das war noch lange nicht das Seltsamste an Preservation.)

Seltsam war auch, dass ein Mensch ausgerechnet an dieser Kreuzung oder überhaupt in Preservation Station ums Leben kam; die Gefahrenbewertung sowohl für Transitreisende als auch Stationsbewohnende lag niedrig und betraf zumeist Unfälle sowie Ereignisse im Zusammenhang mit substanzbedingter Dummheit/Aggression im Hafenbereich. Auf dieser konkreten Kreuzung lag die Gefahrenbewertung für Unfalltod sogar noch niedriger, fast bei null. Hier gab es nichts außer den Lampen in der hohen Decke und den üblichen silbrig-blau strukturierten Wandpaneelen, auf denen alte Graffiti und Bilder prangten, die ernsthaft als Teil einer stationsweiten historischen Ausstellung geschützt waren. Soll heißen, wenn man es wirklich darauf anlegte, ließ sich durchaus ein Weg finden, ums Leben zu kommen, indem man etwa die Stromanschlüsse unter den Paneelen und Abschirmungen freilegte und, keine Ahnung, daran leckte oder so, aber das hatte dieser tote Mensch eindeutig nicht getan.

Die Gefahrenbewertung für Mord lag auf der Station insgesamt stabil beim Minimalwert von sieben Prozent. (Für einen noch tieferen Wert hätten wir uns auf einem unbewohnten Planeten befinden müssen.) (Und ich hatte noch nie einen Kontrakt auf einem unbewohnten Planeten gehabt, denn wenn ich erst mal auf diesem Planeten war, bewohnten ja wir ihn.) Hier lagen nicht einfach tote Menschen auf dem Boden herum.

»Tja«, begann Indah, die endlich den Bericht durchgelesen hatte. (Schon klar, Menschen brauchen dafür immer ewig.) »Keine Ahnung, wie akkurat diese Einschätzung ist …«

Weitere Security kam herein, eine Person aus der Technikabteilung, die eigentlich Schiffsfracht auf Biogefahrenstoffe untersuchte, Feed-ID Tural, und erklärte: »Laut unserer Scan-Analyse ist das Opfer seit ungefähr vier Stunden tot.«

Indah seufzte. Tural von der Technik hatte offensichtlich erwartet, dass diese Info mit mehr Begeisterung aufgenommen werden würde, und zog ein verwirrtes Gesicht.

»ID?«, fragte ich. Das Interface des toten Menschen war kaputt und ließ sich nicht mehr auslesen. Falls damit seine Identität hatte verschleiert werden sollen, fiel das wohl unter naiver Optimismus. Preservation Station speicherte Personendaten und Körperscan von Dauerbewohnenden sowie von Transitreisenden, die ihr Schiff verließen, da konnte eine Identitätsfeststellung kein großes Problem darstellen. »Bekannte Kontakte?«

Tural sah zu Indah, und die nickte zustimmend. »Wir haben keinen subkutanen Marker und auch sonst nichts mit ID gefunden, weder am Körper noch augmentiert. Ein erster Abgleich der körperlichen Merkmale mit den Boardinglisten der zuletzt angekommenen Schiffe ergab keine Treffer.« Auf Indahs unzufriedene Miene hin fügte sier hinzu: »Ohne Interface müssen wir warten, bis jemand von der Klinik kommt und den Körperscan macht, dann können wir ihn mit den Einreisedaten abgleichen.«

Indah fragte: »Und von dort ist noch niemand hier, weil …?«

Tural verzog vorwegnehmend das Gesicht. »Weil heute Gesundheitstag in der Schule ist, und der Bot, der normalerweise die mobilen Körperscans übernimmt, dort mit den Check-ups zu tun hat? Und er die mobile Medostation, die sie dafür verwenden, erst mal hierherschaffen muss?«

Menschen formulieren Unerfreuliches gern als Frage, nur klingt es dann immer noch unerfreulich.

Indah wirkte auch nicht erfreut. Mensahs Mund zuckte à la Dazu würde ich ja etwas sagen, aber ich verkneife es mir lieber. Indah fragte: »Haben Sie denen erzählt, dass es sich um einen Notfall handelt?«

»Ja, aber die meinten, ein Notfall war es, bis eine Fachkraft vor Ort den Tod festgestellt und eine mögliche Wiederbelebung ausgeschlossen hat. Danach ist es ans Ende der Liste von Nichtnotfällen gerutscht, die sie abzuarbeiten haben.«

Preservation muss immer alles kompliziert machen. Und das ist keine Metapher für meine Erfahrungen hier. Okay, doch, es ist eine Metapher.

Indah schob den Unterkiefer vor. »Hier handelt es sich um Mord. Wenn die Person, die das getan hat, noch jemanden ermordet …«

Mensah unterbrach sie. »Ich rufe dort an und erkläre, dass es sich nicht um einen Unfalltod handelt, sondern durchaus um einen Notfall, und dass sie sofort kommen müssen.« Sie sah wieder zu der Leiche und runzelte die Stirn. »Der Rat hat gleich nach Meldung den Hafen gesperrt und das Einsatzschiff zurückbeordert, aber sind Sie sicher, dass diese Person zu Besuch hier ist … war … und nicht hier gelebt hat?«

Das bewaffnete Einsatzschiff sicherte normalerweise die Umgebung der Station, um Plünderer abzuschrecken, und begleitete auf Anforderung örtliche und durchreisende Schiffe. Bei gesperrtem Hafen sollte es den Start von angedockten wie nicht angedockten Schiffen bis auf Weiteres verhindern.

»Eigentlich nicht«, gab Tural zu. »Wir vermuten nur, dass sie auf Besuch hier war.«

»Ich verstehe.« Mensah hatte zwar keine kritische Miene aufgesetzt, guckte aber auch nicht so, als fände sie, dass Tural oder Indah oder sonst jemand hier gerade gute Arbeit leistete. Die Station Security war mit diesem Fall eindeutig überfordert. (Also eindeutig jedenfalls für mich.)

Indah wusste das wohl auch, denn sie rieb sich die Stelle zwischen den Augenbrauen, als hätte sie Kopfschmerzen. Sie war klein für einen Menschen in Preservation, einen Tick heller als Mensah und vielleicht ein paar Jahre älter, doch ihr stämmiger Körperbau deutete darauf hin, dass sie ziemlich effektiv boxen konnte. Aber wahrscheinlich leitete sie nicht deshalb die Security, das war eher ein Verwaltungsjob. »Kümmern Sie sich einfach nur weiter um die Identitätsfeststellung.«

Tural wirkte heilfroh, sich absetzen zu können, bevor es richtig Ärger gab. Mensahs Augenbraue zielte nach wie vor auf Indah und formte langsam eine Spitze. (Nicht wirklich. Es ist schwer zu beschreiben, man muss es selbst sehen.) Indah machte eine Geste mit den Händen und sagte: »Na schön, gehen wir und reden.«

Mensah führte uns vom Fundort weg und zum Trans Lateral Bypass. Er war breit, mit einer hohen Gewölbedecke, auf die eine Reihe von Holoansichten der Planetenoberfläche projiziert wurden, als sähe man durch transparente Luken nach draußen. Dieser Seitenarm der eigentlichen Stationspassage führte in einen Abschnitt mit Servicestellen und von dort aus weiter in Versorgungsbereiche. Im Moment herrschte wenig Verkehr, trotzdem hinderte ein Bot Menschen, augmentierte Menschen und Lieferdrohnen mit seinem Leuchtstab daran, sich der Kreuzung und den Geräten der Station Security zu nähern. Die Sicherheitsleute taten so, als würden sie uns nicht beachten. Die beiden Ratsangestellten in Mensahs Begleitung musterten die Sicherheitsleute kritisch.

Der Bot hätte einen Sichtschutz aktivieren können, aber Mensah und Indah traten einfach hinter ein großes Pflanzen-Biom mit riesigen paddelförmigen Blättern, das den Eingang zu einem Speiselokal verdeckte. (Eine Feedwerbung in mehreren Sprachen und ein buntes Schild in der Standardsprache von Preservation wiesen darauf hin, dass es »Futter satt!!!« hieß und für seine Ruheperiode geschlossen war.)

Es lag relativ abgeschirmt, trotzdem ließ ich meine Drohnen auf jeden Versuch scannen, ein Abhörgerät auf uns zu richten. Indah wandte sich zu mir und fragte: »Hast du Erfahrung mit so etwas?«

Ich musterte sie über die Drohnen und betrachtete weiter das Futter-satt!!!-Schild mit seinen ringsherum tanzenden kleinen Figuren, die wohl nahrhafte Speisen darstellen sollten. »Mit toten Menschen?«, fragte ich. »Aber klar doch.«

Mensahs gespitzte Augenbraue zielte jetzt auf mich. Sie tippte meinen Feed mit der Anfrage einer Privatverbindung an. Ich sicherte eine, und sie schickte: Meinst du, GrayCris steckt dahinter?

Ächz, vielleicht? Im Moment hatten wir nur einen anomalen Tod ohne Hinweis einer Verbindung zu Mensah oder sonst einem meiner Menschen, den GrayCris vielleicht ins Fadenkreuz nahm. Ich antwortete: Ich habe noch nicht genug Daten für eine Einschätzung.

Verstehe. Dann fügte sie hinzu: Ich möchte, dass du mit der Station Security zusammen daran arbeitest. Selbst wenn es nichts mit unserem Firmenproblem zu tun hat, stellt es für dich eine gute Gelegenheit dar.

Doppel-Ächz. Ich antwortete: Die wollen mich nicht. (Hey, ich will mich ja nicht mal selbst, aber ich kann mich schlecht loswerden.) Und es wäre einfacher für mich, auf eigene Faust zu ermitteln, zumal wenn meine Ermittlungen dazu führten, dass ich Sachen machen musste, wie plötzlich und unerwartet verstorbene Agenten von GrayCris zu entsorgen.

(Nein, ich habe den toten Menschen nicht getötet. Wenn, dann hätte ich die Leiche nicht in der Stationspassage abgelegt, verdammte Fakke.)

Sie sagte: Wenn du in der Preservation Alliance bleiben möchtest, dann wäre es von unschätzbarem Vorteil, deine Beziehung zur Station Security zu verbessern. Das führt vielleicht dazu, dass sie dir einen Beratungsauftrag geben.

Mensah griff normalerweise nicht zu einem Tonfall à la Das ist nur zu deinem Guten, du Schwachkopf, also hielt sie es wohl wirklich für eine gute Idee. Außerdem bin ich kein Schwachkopf und wusste, dass sie recht hatte. Die Abneigung beruhte zwar auf Gegenseitigkeit, aber ich konnte Preservation auch nicht einfach verlassen. Meine Gefahrenbewertung meldete ständig höhere Zahlen. (Ich hatte mein Gefahrenbewertungsmodul jetzt ständig im Input, damit ich Echtzeit-Updates bekam, anstatt es nur regelmäßig abzurufen, und ja, es war ein steter Quell der Irritation, weil es auf alles reagierte. Nein, das tat meiner Angststörung nicht gut. Notwendig war es trotzdem.)

Die Station Security war über die Bedrohung durch GrayCris informiert, aber ich traute denen auch nicht mehr zu als sie mir. (Also – Überraschung – so gut wie gar nichts.) Ihnen fehlte außerdem jede Erfahrung mit Angriffen durch Konzerne. Eigentlich sicherten sie vor allem Unfallstellen, hielten Security-Anlagen instand und scannten Ladung auf illegale Gefahrengüter; mit der Vereitelung von Anschlagsversuchen hatten sie nichts zu tun. Sie gingen außerhalb des Hafens nicht mal Streife.

Indah beobachtete uns mit säuerlicher Miene, die darauf hindeutete, dass sie von unserer vertraulichen Unterredung im Feed wusste. Mensah funkelte mich immer noch unter dieser Augenbraue hervor an, also beantwortete ich Indahs Frage ein bisschen ausführlicher. »Jawohl, ich habe Erfahrung mit der Untersuchung verdächtiger Todesfälle in kontrollierten Umgebungen.«

Skepsis traf es nicht ganz, was Indahs Blick ausdrückte. »Was für kontrollierte Umgebungen?«

»Isolierte Betriebsanlagen.«

Sie machte ein noch grimmigeres Gesicht. »Arbeitslager für Firmensklaven.«

»Ja. Wenn allerdings unsereins sie so nennt, wird Marketing & Branding stinksauer und jagt uns einen Stromschlag durchs Gehirn, und schon ist wieder ein Stück Nervengewebe weggebrannt.«

Indah verzog abermals das Gesicht. Mensah verschränkte die Arme, ihre Miene eine Mischung aus Seid ihr jetzt zufrieden? und Nun macht schon!. Indah sah mich aus schmalen Augen an. »Ich weiß, Dr. Mensah möchte deine Beteiligung an diesen Ermittlungen. Bist du bereit, mit uns zusammenzuarbeiten?«

Na schön. Dass ich in der Vergangenheit solche Ermittlungen durchgeführt habe, ist nicht gelogen. Stellt sich raus, die größte Gefahr für Menschen auf einem beliebigen isolierten kommerziellen Projekt, ob nun Bergbau oder … Na schön, es ist eigentlich immer Bergbau. Jedenfalls droht den Menschen die größte Gefahr nicht von Räuberbanden oder aggressiver menschenfressender Fauna oder freidrehenden SecUnits, sondern von ihren Mitmenschen. Sie töten einander aus Versehen oder mit Absicht, und du musst das zügig aufklären, weil es den Kontrakt gefährdet und darüber bestimmt, ob die Firma Schadensgelder auszahlen muss oder nicht. SecUnits werden vom Habitatssystem angewiesen, Video- und Audiobeweismittel zu sammeln, weil niemand den menschlichen Aufsichten vertraut, nicht mal die anderen menschlichen Aufsichten.

Ich habe mehrmals mit menschlichen Akteuren zu tun gehabt, die einander heimlich umbrachten anstatt etwa in der Kantine mitten während der Essensausgabe, aber das meiste ist vor Speicherlöschung(en) passiert, deshalb verschwimmen die Einzelheiten. Es war besser, wenn man die Menschen proaktiv daran hinderte, einander umzubringen, indem man auf aggressives oder destruktives Verhalten achtete, bevor sie einem anderen Menschen die Lebenserhaltung sabotierten oder den Wasservorrat vergifteten. Dann schickte man MedSystem eine Nachricht, damit es die Person zu einer Begutachtung einbestellte, und wenn MedSystem sie nicht davon überzeugen konnte, aufzuhören, meldete man es ihrer Leitung, damit die sie in eine andere Abteilung versetzte und sich jemand anders damit herumschlagen musste. Wie auch immer, der Gedanke war jedenfalls, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

(Ja, schon klar, das klingt, als würden sie während dieser Kontraktarbeit alle ständig nur versuchen, sich gegenseitig umzubringen, aber eigentlich war es mehr wie mit den armen Menschen auf dem Schiff nach HaveRatton, die mich für eine augmentierte menschliche Sicherheitsberaterin gehalten hatten. Sie hatten aus Frust geschimpft und gestritten und aus Angst vor der Kontraktarbeit. Tatsächlich wurde es noch schlimmer, als sie dann in Kontraktarbeit waren.)

Ich besaß Archive von allem, was seit dem Hacken meines Chefmoduls passiert war, aber in diesem Zeitraum hatte ich gar nicht so viele einschlägige Erfahrungen gemacht. Dafür besaß ich jedoch mehrere tausend Stunden Medien der Kategorie Krimi und verfügte entsprechend über jede Menge theoretisches Wissen, das wahrscheinlich zu 60 bis 70 Prozent aus unzutreffendem Mist bestand.

Aber Mensah hatte recht – bei den Ermittlungen mitzumischen war der beste Weg, herauszufinden, ob der anomale Todesfall auf GrayCris-Aktivitäten in der Station hindeutete. »Bin ich«, sagte ich. »Erhöhen Sie für Dr. Mensahs Umfeld die Security entsprechend meiner vorgeschlagenen Spezifikationen?« Jepp, das war Dauerthema hier.

Indah schob erneut den Unterkiefer vor (was allmählich wehtun musste), sagte jedoch: »Selbstverständlich. Wenn ein Mörder frei auf der Station herumläuft, erhöhe ich sämtliche Sicherheitsstufen, auch diejenigen, die den Rat und Dr. Mensah betreffen. Mir braucht niemand meinen Job zu erklären.«

Na, wie schön, dann ging die Sicherheitsstufe ja vielleicht von kaum angemessen auf größtenteils angemessen rauf. Ich verzog keine Miene, denn ich wusste, dass Indah sich mehr ärgerte, wenn eine Reaktion ausblieb.

Mensah räusperte sich à la Ihr versucht, euch gegenseitig zu nerven, aber am meisten nervt ihr mich. Sie sagte: »Dann gehe ich davon aus, dass demnächst ein Arbeitsvertrag vorliegt.«

Indahs Tonfall war trocken. »So ist es, da brauchen Sie mir gar nicht erst diese gruselige Justiziarin auf den Hals zu hetzen.«

Wenn sie »gruselig« sagte, meinte sie Pin-Lee. Als wichtigste hiesige Expertin für das Kontraktrecht von Corporation Rim stellte Pin-Lee offenbar so etwas wie den Kampfroboter der Anwaltschaft dar.

Die Arbeitsverträge für Personen mit Bürgerrechten fielen in Preservation eher unkompliziert aus, weil schon ihr planetares Gesetzbuch zahlreiche Schutzvorschriften enthielt. (Zum Beispiel können Menschen und augmentierte Menschen nicht per Unterschrift dauerhaft auf ihr Recht auf arbeitsrechtliche oder körperliche Autonomie verzichten; das ist quasi rundweg illegal.)

Nur besaß ich keine Bürgerrechte und war eigentlich noch nicht mal eine Person, was die Sache zusätzlich erschwerte. Aber Pin-Lees Vertrag würde sicherstellen, dass sie mich nicht zwingen konnten, Sachen anzustellen, die ich nicht tun wollte, und dass für mich eine HardCurrencyCard dabei heraussprang. (Als wir das erste Mal darüber gesprochen hatten, dass ich schließlich arbeiten gehen könnte, um den Rat von Preservation davon zu überzeugen, mir unbefristet Asyl zu gewähren, wusste ich praktisch nichts über solche Verträge, an denen ich tatsächlich partnerschaftlich beteiligt sein würde. (Meine bisherigen Verträge waren Leasingverträge der Firma gewesen, in denen ich nur als Ausrüstungsgegenstand vorkam.) Pin-Lee hatte versprochen: »Keine Sorge, ich werde dir das Recht sichern, dass du jederzeit wie ein Arschloch davonspazieren kannst.«)

(Ich darauf: »Das sagt die Richtige.«)

(Mensah: »Leute, bitte. Bei mir steht als Nächstes auf dem Programm, per Videokonferenz zu Hause einen Streit zwischen Teenagern zu schlichten, und dafür brauche ich meine Geduld noch.«)

Wenn ich das hier schon machte, dann wollte ich auch loslegen, damit ich sicherstellen konnte, dass dieser anomale Mord kein Hinweis auf eine Bedrohung Mensahs war. Außerdem hatte ich noch jede Menge runtergeladene Serien durchzusehen. Ich fragte: »Kann ich den toten Menschen jetzt untersuchen?«

Indah wirkte nur noch müde. »Kannst du mir einen Gefallen tun und das Opfer für die Dauer der Ermittlungen bitte als ›die verstorbene Person‹ oder ›das Opfer‹ bezeichnen?« Sie wandte sich zum Gehen, ohne eine Antwort abzuwarten.

Ihr entging, dass Mensah per Lippensprache Hör auf zu mir sagte. (Ich schätze, der Feed taugt nicht für alle Kommunikationsformen – und für finstere Blicke schon gar nicht.)

2

Die Station Security hatte sich von Anfang an gegen meine Anwesenheit auf Preservation Station gesträubt. Korrektur, anfangs fanden sie es okay, weil sie nichts über mich wussten, abgesehen davon, dass ich die Sicherheitsberaterin war, die Dr. Mensah aus TranRollinHyfa Station geborgen hatte, mir dabei Verletzungen zugezogen hatte und nun hier Asyl suchte. Solange sie nicht in einer isolierten Betriebsanlage festhängen und schuften, bekommen die meisten Menschen nie eine SecUnit zu sehen, außer in den Medien, wo wir immer gepanzert sind. Aber Dr. Mensah hatte dem Rat von Preservation die Wahrheit gesagt (nein, ich habe auch keine Ahnung, warum), und dann musste sie die Station Security informieren.

(Senior Officer Indah war wie alle anderen Führungskräfte bei dem Meeting über die Ankunft der freidrehenden SecUnit dabei gewesen. Man kann sich die Gesichter vorstellen.)

Es gab einen Riesenwirbel, und die Security war total »Aber wenn sie nun die Systeme der Station übernimmt und alle umbringt«-mäßig drauf, woraufhin Pin-Lee ihnen sagte: »Wenn sie das hätte tun wollen, wäre sie längst damit fertig«, was im Rückblick vielleicht nicht die beste Antwort war. Und dann führten Mensah, Pin-Lee und ich ein vertrauliches Gespräch mit Indah.

Nach dem einleitenden höflichen Austausch zwischen den Menschen wurde mehr als deutlich, dass Indah mich unbedingt loswerden wollte. Sie versuchte Mensah dazu zu bringen, mich irgendwohin in eine besonders isolierte Gegend des Planeten zu schicken, solange die Lage »evaluiert« wurde.

Ich wusste nicht mal, wie ich darauf reagieren sollte. Zum einen war es eine grässliche Idee. Die Gefahrenbewertung für eine potenzielle Vergeltungsmaßnahme seitens GrayCris versprach stetig zuzunehmen, und ich musste bei Mensah bleiben. Ich hasse Planeten, aber wenn sie runter auf den Planeten ging, würde ich sie begleiten. (Ich hasse Planeten wirklich.) Ich würde auf keinen Fall allein runter auf den verdammten Planeten gehen und sie hier zurücklassen, damit GrayCris sie dann umbrachte und dabei die Station zerlegte.

Pin-Lee reagierte ebenfalls nicht, sondern warf nur einen Blick zu Mensah und schickte mir eine Feednachricht mit dem Inhalt Könntest du wenigstens versuchen, eine bemitleidenswerte Erscheinung abzugeben.

Pah, so weit kommt’s noch.

Mensah blinzelte nicht einmal. Sie sagte gelassen: »Nein, das ist inakzeptabel.«

Indah kniff die Lippen zusammen. Ich glaube, sie war sauer, weil Mensah ihr nicht gleich von mir erzählt hatte, als wir aus Corporation Rim hierhergekommen waren. (Daran musste es liegen, ich hatte ja sonst noch nichts getan, worüber sie sich hätte ärgern können.) Sie sagte: »Ihnen ist der Umgang mit einer gefährlichen Waffe nicht vertraut, und jetzt denken Sie, die kann sich gar nicht gegen Sie richten. Oder andere schädigen.«

Okay, wow. Aber das verletzte nun nicht gerade meine Gefühle oder so. Kein bisschen. Daran war ich gewöhnt. Total gewöhnt.

Mensah war es nicht gewöhnt. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen, dann neigte sie den Kopf einen Tick zur Seite und machte mit dem Mund eine winzige Bewegung, die ihr höfliches Lächeln einer planetarischen Anführerin à la Ich höre zu und bin Ihren Ideen gegenüber aufgeschlossen in etwas anderes verwandelte. (Hätte sie mich so angesehen, ich wäre Blendgranaten werfend aus dem Raum geflohen.) (Okay, nicht wirklich, aber ich hätte jedenfalls kein Wort mehr rausgebracht.) Mit einer Stimme, die einen Abfall der Umgebungstemperatur hätte auslösen müssen, antwortete sie: »Wir reden hier über ein Individuum.«

Mensah ist unter Druck oft so ruhig, dass man leicht vergisst, wie sauer sie werden kann. Den winzigen Veränderungen in Indahs Gesichtsausdruck nach wurde ihr klar, dass sie es verkackt hatte, und zwar richtig.

Die Andeutung eines winzigen Lächelns umspielte Pin-Lees Mundwinkel. Ich überprüfte ihre Feedaktivität und sah, dass sie auf eine Datenbank der Station zugegriffen hatte und gerade Dokumente in ihren Feedspeicher zog. Sie war ein Mensch, also langsam (als würde ich Algenwuchs beobachten), aber ich konnte sehen, dass sich die Infos, die sie zusammenstellte, um die Gründungsurkunde von Preservation und die darin aufgelisteten Menschenrechte drehten. Und um die Voraussetzungen zur Ausübung öffentlicher Ämter. Öffentlicher Ämter wie das der Security-Chefin einer Station.

Hui, vielleicht hatte Indah es ja wirklich so richtig verkackt. Pin-Lee bereitete für Mensah eine Ratsvorlage zu Indahs Entlassung vor.

(Ich wusste inzwischen, dass ein Rauswurf auf Preservation nicht so schlimm ist wie in Corporation Rim; sie würde also weder getötet werden noch verhungern oder so etwas.)

Indah holte Luft, um etwas zu sagen, und Mensah riet gelassen: »Machen Sie es nicht noch schlimmer.«

Indah ließ die Luft wieder heraus.