Der Netzwerkeffekt - Martha Wells - E-Book

Der Netzwerkeffekt E-Book

Martha Wells

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Beschreibung

Wer kennt es nicht: dieses Gefühl, wenn der Boss reinkommt, einem einen Auftrag gibt, von dem mal wieder die Zukunft der Galaxis abhängt bla bla bla, während man sich in dieser Sekunde viel lieber abschalten und ein paar Hundert Folgen der Lieblingsserie bingen würde. Ach ja, und eigentlich ist man ein auf die Tötung von Menschen programmierter, ausgemusterter Roboter. Sie kennen das? Herzlichen Glückwunsch – und willkommen in der Welt von Killerbot.

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Das Buch

Wer kennt es nicht: dieses Gefühl, wenn der Boss reinkommt, einem einen Auftrag gibt, von dem mal wieder die Zukunft der Galaxis abhängt blablabla, während man sich in dieser Sekunde viel lieber abschalten und ein paar Hundert Folgen der Lieblingsserie bingen würde. Ach ja, und eigentlich ist man ein auf die Tötung von Menschen programmierter, ausgemusterter Roboter. Sie kennen das? Herzlichen Glückwunsch – und willkommen in der Welt von Killerbot.

Die Autorin

Martha Wells ist New York Times-Bestsellerautorin und hat eine Vielzahl an Science-Fiction- und Fantasy-Romanen und -Kurzgeschichten und Essays geschrieben. Ihr Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. »Tagebuch eines Killerbots«, der Auftakt ihrer Killerbot-Serie, wurde für den Philip K. Dick Award nominiert und gewann den Nebula Award, Hugo Award, ALA/YALSA Alex Award und Locus Award. Martha Wells lebt mit ihrer Familie in College Station, Texas.

https://diezukunft.de

MARTHA WELLS

DER

NETZWERK-

EFFEKT

EIN KILLERBOT-ROMAN

Aus dem Amerikanischen

von Frank Böhmert

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch ist im Original unter dem Titel NETWORKEFFECT bei Tor.com Books erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 02/2021

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2020 by Martha Wells

Copyright © 2021 dieser Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DASILLUSTRAT, München,

nach einer Originalvorlage von Christine Foltzer

Umschlagillustration: Jaime Jones

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-26981-4V001

diezukunft.de

1

Ich hatte schon Klienten, die sich einbildeten, sie bräuchten absurd viel Security. (Und wenn ich den Begriff »absurd« benutze, will das was heißen – schließlich wurde mein Code von einer Finanzierungsgesellschaft entwickelt, die für eine derart krass xenophobe Paranoia bekannt ist, dass nur ihre verzweifelte Geldgier sie noch mildern kann.) Ebenso hatte ich schon Klienten, die fanden, sie hätten gar keine Security nötig, und zwar bis zu genau jenem Moment, in dem irgendetwas sie auffraß. (Das ist im Wesentlichen eine Metapher. Die meisten meiner Klienten werden nicht verspeist.)

Dr. Arada befand sich als »hoffnungslose Optimistin«, wie ihre Ehepartnerin Overse es nennt, irgendwo im angenehmen Mittelfeld. Dr. Thiago gehörte definitiv zur Lasst-uns-die-dunkle-Höhle-doch-ohne-nervige-SecUnit-untersuchen-Fraktion. Deshalb drückte sich Arada auch neben der Schleuse zur offenen Beobachtungsplattform an die Wand und hielt eine Projektilwaffe in den schweißnassen Händen, während Thiago draußen auf besagter Beobachtungsplattform stand und versuchte, mit einem potenziellen Ziel vernünftig zu reden. (»Potenziell«, weil Dr. Arada in einem früheren Gespräch Ach, SecUnit, es wäre mir wirklich lieber, du würdest Leute nicht als »Ziele« bezeichnen gesagt und Thiago mich mit diesem Blick bedacht hatte, der normalerweise Das Ding sucht doch nur nach einem Grund, jemanden umbringen zu können bedeutete.)

Andererseits hatten die potenziellen Ziele da auch noch nicht angefangen, mit ihrer eigenen Sammlung großer Projektilwaffen herumzufuchteln.

Das sind so die Sachen, die mir durch den Kopf gehen, während ich unter einem Schiff von Räubern hindurchtauche, die gerade versuchen, sich Zutritt zu unserer Meeresforschungsanlage zu verschaffen.

Hinter dem Heck kam ich, schön mit Abstand zum Antrieb, wieder hoch. Ich durchbrach leise die Wasseroberfläche, griff hinauf zur Reling und zog mich nach oben. Das Tageslicht gleißte, die Luft war klar, und ich kam mir ungeschützt vor. (Wieso konnten diese dämlichen Räuber nicht in der Nacht angreifen?) Ich hatte Drohnen in der Luft, die mir Kameraansichten beider Decks dieses blöden Schiffs lieferten, und wusste deshalb, dass dieser Teil des Hecks leer war.

Die Aufbauten über mir waren dreieckig und nach hinten geneigt, zwecks Windschnittigkeit oder so. Keine Ahnung, ich bin ein Killerbot, Wasserfahrzeuge interessieren mich einen Dreck. Das Oberdeck lief den Bug mit der vorderen Geschützstellung entlang. Damit besaß das blöde Boot jede Menge toter Winkel, die der Sicherheitsalbtraum von jemand anders waren. Es basierte auf einem raffinierteren Entwurf als die anderen Schiffe, die wir während dieser Erkundung zu sehen bekommen hatten, und es war technisch besser ausgestattet.

Genau darum war es angreifbar.

Ich überwachte parallel unseren Außenperimeter und die verstreuten Inseln ringsum, weil es sich ja um ein Ablenkungsmanöver handeln konnte und irgendwo noch ein zweiter Versuch lief, an Bord zu gelangen. Und mit einer Kamera behielt ich natürlich die Beobachtungsplattform im Blick, auf der die Kacke am Dampfen war.

Thiago stand dort draußen fast vier Meter von der Luke entfernt und trug nicht mal seine Schutzausrüstung, fast wie ein Mensch, der kein Vertrauen in die Lagebewertung seiner SecUnit aufbrachte. Die augenscheinliche Führungsperson der potenziellen Ziele stand am Rand des Decks, kaum drei Meter entfernt, und hielt beiläufig eine Projektilwaffe auf Thiago gerichtet. Ich machte mir mehr Sorgen wegen der sechs anderen auf dem Vordeck des blöden Schiffs verteilten PZ – und wegen der dort montierten Waffe, deren Mündung auf die obere Ebene unserer Anlage zielte.

Einige PZ trugen nicht mal Helme. Es gibt da einen Trick, den man bei diesen kleinen Spähdrohnen durchziehen kann (sofern man eine entsprechende Anweisung seiner Klienten bekommt oder sein Chefmodul gehackt hat), wenn Feinde so dumm sind, ohne angemessene Körperpanzer aggressiv zu werden. Dann beschleunigt man eine solche Drohne und jagt sie dem Feind mitten ins Gesicht. Selbst wenn sie kein Auge oder Ohr trifft, durch das sie bis ins Hirn vordringt, lässt sich im Schädel ein Krater erzeugen. Damit hätte ich das Problem gelöst und mich prompt wieder den neuen Folgen von Häuser der Sonne widmen können; allerdings stand fest, dass Arada mich dann traurig ansehen würde und Thiago sauer wäre. Wobei mir wahrscheinlich gar nichts anderes übrig blieb. Unglücklicherweise trug Führung PZ einen Helm.

(Thiago ist ein Ehepartner von Dr. Mensahs Bruder, weshalb mich seine Meinung einen Scheiß interessierte.)

Außerdem fehlten mir noch Daten darüber, wie viele Feinde sich im Inneren des Bootes befanden, etwa beim Leitstand für die große Waffe. Wenn ich die sichtbaren Ziele (Pardon, sichtbaren potenziellen Ziele) an Deck zu früh eliminierte, war die Kacke womöglich nicht mehr am Dampfen, sondern flog uns um die Ohren.

Noch bestand ansatzweise die Chance, dass Thiago uns vielleicht hier rausquatschte. Er konnte richtig gut mit anderen Menschen reden. Ich hielt trotzdem bei Arada in der Luke eine Drohne bereit. (Overse wäre am Boden zerstört gewesen, wenn ich zuließ, dass ihre Ehepartnerin getötet wurde, und außerdem mochte ich Arada.)

Inmitten der ganzen Chaosfakke klang Thiago noch ruhig, als er sagte: »Das ist alles überhaupt nicht nötig. Wir betreiben hier Wissenschaft; wir haben nicht vor, irgendjemanden zu schädigen.«

Führung PZ sagte etwas, das unser HabSystem im Feed wie folgt übersetzte. »Ich habe Ihnen bereits deutlich gemacht, dass ich es ernst meine. Wir nehmen uns, was wir wollen, dann lassen wir Sie wieder in Ruhe. Sagen Sie den anderen, sie sollen herauskommen.«

»Wir geben Ihnen Vorräte, aber keine Leute«, sagte Thiago.

»Wenn Sie nette Vorräte haben, lasse ich die Leute hier.«

»Es war völlig unnötig, auf jemanden zu schießen.« Hitzigkeit schlich sich in Thiagos Stimme. »Wenn Sie Vorräte brauchen, hätten wir Ihnen auch so welche gegeben.«

Keine Sorge, der »Jemand«, auf den sie geschossen hatten, war ich.

(Thiago war unter Verletzung des Sicherheitsprotokolls, dem alle VORAB zugestimmt hatten, raus auf die Beobachtungsplattform getreten, um die Fremden auf ihrem blöden Boot zu begrüßen. Ich ging hinterher und zog ihn von der Kante zurück, und so schoss Führung PZ mich statt ihn nieder. Mitten in die Schulter. Ich schaffte es, mich von der Plattform fallen zu lassen und den Stutzen des Wasserzulaufs zu verfehlen. Jawohl, ich war stinksauer.

»SecUnit, SecUnit, bist du da …«, hatte Overse in der Schaltzentrale der Anlage über Funkinterface geschrien.

Jaja, mir geht’s gut, hatte ich ihr über Feed geschickt. Wie gut, dass ich nicht blute wie ein Mensch, denn feindliche Meeresfauna hätte in dieser Lage gerade noch gefehlt. Habe alles im verfickten Griff.

»Nein, sie sagt, es geht ihr gut«, hörte ich sie über Funk an die anderen weitergeben. »Na ja, und sie ist sauer.«

Ich schwang mich über die Reling und ließ mich aufs Deck fallen. Die Schmerzsensoren hatte ich runtergeregelt, aber ich spürte das Projektil trotzdem, wie es dicht an meiner Stützstruktur feststeckte, und das nervte. Ich blieb unten und kroch die Stufen runter in die erste Kabine. Der Mensch im Inneren überwachte ein primitives Scannersystem. (Das hatte ich schon lahmgelegt, bevor ich angeschossen worden war, indem ich es mit künstlichem Rauschen und zufällig aufpoppenden anormalen Energiesignaturen beschäftigt hielt.) Ich würgte die Frau, bis sie das Bewusstsein verlor, dann brach ich ihr den Arm, damit sie etwas hatte, worum sie sich kümmern musste, falls sie vorzeitig wieder zu sich kam. Die Projektilwaffe ließ ich ihr, machte jedoch kurz noch ein paar wichtige Komponenten kaputt.

Der Raum war mit Taschen und Behältern und anderem Menschenkram zugemüllt. Es gab ordentliche Staufächer, trotzdem lag alles durcheinander auf dem Boden. Wir hatten aus der Ferne elf Gruppen fremder Menschen in Wasserfahrzeugen gesehen und waren von zweien kontaktiert worden. Beide waren laut Thiago »ungewöhnlich divergent« und laut einiger anderer extrem schräg drauf gewesen. Beide Gruppen hatten mit erheblichem Aufwand deutlich gemacht, dass sie nicht feindlich gesinnt waren, und keinerlei Waffen zur Schau gestellt. Beide Gruppen hatten mit uns Vorräte tauschen wollen. (Arada und die anderen hatten ihnen das Benötigte einfach schenken wollen, aber Thiago hatte sie gebeten, als Gegenleistung zu erzählen, wieso sie hier auf diesem Planeten waren.)

Gut möglich also, dass Thiago auch bei dieser Gruppe berechtigterweise von einer nicht feindlichen Einstellung ausging. Nur hatte ich anhand der vorherigen Gruppen ein Profil hiesiger nicht feindlicher Annäherungen/Interaktionen entwickeln können, und dem entsprach diese Gruppe nicht.

Auf mich hört ja nie jemand, Scheiße nochmal.

Führung PZ und die Leute an Bord des blöden Boots waren außerdem besser angezogen als die anderen Menschen bisher; ihreKleidung wirkte vielleicht nicht sauberer, aber weniger alt. Einen planetaren Feed gab es nicht (blöder Planet), aber Blödboot besaß seinen eigenen rudimentären Feed, der von Spielen und Pornografie wimmelte, dem es jedoch an allem fehlte, was bei einer Sicherheitsbewertung hilfreich gewesen wäre, etwa wer diese Leute waren und was sie wollten. Selbst die individuellen Feedsignaturen der Menschen enthielten nur Infos über sexuelle Verfügbarkeit und Geschlechtsausdruck, was mir am Arsch vorbeiging.

Ich schlüpfte in einen verdreckten Metallkorridor, dann trat ein Mensch aus dem nächsten Durchgang. Ich entwaffnete ihn und knallte ihm den Kopf auf den Boden.

Die Tür zum nächsten Raum war geschlossen, aber eine meiner Drohnen war vorhin auf dem Dach gelandet, hatte sich an ein Fenster geschlichen und mir einige gute Scan- und Videodaten geliefert. Das war durchaus entscheidend, denn dieser Raum enthielt das Kontrollpult für die große bootsprengende Projektilwaffe, die gerade auf unsere Anlage zielte.

Dem Bild der Drohne zufolge saß in der Waffenstation ein kleiner Mensch, dessen Aufmerksamkeit auf einen primitiven kamerabasierten Zielbildschirm gerichtet war. Drei große, allesamt bewaffnete Menschen fläzten sich auf ramponierten Stühlen an Stationen mit fehlender, mangelhaft improvisierter oder veralteter Technik. Sie sahen Thiago und Führung PZ auf dem Bildschirm zu und unterhielten sich, blablablub, einfach ein stinknormaler Arbeitstag.

Bei dem Raum handelte es sich um einen bauchigen Aufbau auf der rechten Bugseite, der mit Metall verstärkt war, um die große Waffe zu schützen und zu stützen. Die sechs Feinde beim Bug, die ihre Projektilwaffen beiläufig auf die Beobachtungsplattform der Anlage gerichtet hielten, waren weit genug weg, um nichts davon zu hören, solange ich leise vorging. Also knallte ich beim Reingehen nicht mit der Tür, nachdem ich das Schloss aufgebrochen hatte.

Ich traf Ziel eins an der Waffenstation mit einem Energiepuls aus meinem linken Arm und boxte Ziel zwei in die Kehle. Während die anderen aufsprangen, drehte ich mich um und zerschmetterte Ziel drei die Kniescheibe, schlug Ziel vier die Waffe beiseite und brach ihm das Schlüsselbein. Ich hatte mir von HabSys bereits den einzigen Satz übersetzen lassen, den ich brauchen würde, und sagte: »Ein Laut, und alle sind tot.«

Z1 brach bewusstlos über der Waffenstation zusammen, die Wunde dampfte in der feuchten Luft. Die anderen drei blieben wimmernd und gurgelnd an Deck liegen.

Einer der Feinde draußen hatte sich umgesehen, aber nicht die Position verändert. Thiago, der sich überraschend gut aufs Zeitschinden verstand, war der Frage ausgewichen, ob die anderen Mitglieder des Forschungsteams auch noch raus aufs Beobachtungsdeck kamen, was Führung PZ nur recht gewesen wäre, weil sich möglicherweise ihre Entführung lohnte. Im Moment listete Thiago unsere sämtlichen Vorräte auf und tat so, als käme er mit den Übersetzungsvorschlägen von HabSys nicht zurecht. (Ich wusste, dass er nur so tat; er war unter anderem Experte für Sprachen.) Laut Drohnenbild hatte Führung PZ seinen Spaß daran, Thiago schwitzen zu sehen, wobei Thiago das möglicherweise bemerkt hatte und es extra betonte. Er war ziemlich clever.

Okay, na gut, zugegeben, es ärgerte mich schon ein bisschen, dass Thiago mir nicht traute.

(Mensah und er hatten sich neulich auf Preservation Station über mich unterhalten, während Arada diese Erkundung plante. Abschrift:

Thiago: »Schon klar, ich bin hier in der Minderheit, trotzdem hege ich ernsthafte Bedenken.«

Mensah: »Arada leitet diese Erkundung, und sie will SecUnit. Und ganz ehrlich, wenn sie nicht die Security übernimmt, dann ziehe ich meine Erlaubnis zurück, dass Amena mitkommen darf.«

(Amena ist eines von Mensahs Kindern, und jawohl, sie befindet sich gerade in unserer Anlage. Kein Druck!)

Thiago: »So sehr vertraust du der Einheit?«

Mensah: »Mit meinem Leben, buchstäblich. Ich weiß, was sie tun wird, um Arada und dich und den Rest des Teams zu schützen. Sie hat natürlich ihre Schwächen. Zum Beispiel belauscht sie uns bestimmt gerade. Belauschst du uns, SecUnit?«

Ich, über Feed: Was? Nein.

Den Rest hatte ich nicht mehr mitbekommen. Weil es besser gewesen war, den Sprechfunkanschluss des Zimmers nicht länger anzuzapfen und mich zu verkrümeln.)

Z2 flüsterte etwas, das HabSys mit »Was bist du?« übertrug.

Ich sagte: »Ich bin ein Mund-halten-oder-es-gibt-Schädelbruch.«

Also hatte ich zwei Sätze gebraucht.

Ich musste da raus, weil Führung Ziele sich inzwischen auf Thiago zubewegte und das Vermeiden einer Geisellage wichtig für den vorläufigen Ablaufplan zur Herbeiführung einer erfolgreichen Lösung war, die mein Risikoabschätzungsmodul geliefert hatte. (In Firmenbegriffen ist das ein APHEL, was ein schreckliches Anagramm ergibt.) (Ich meine kein Anagramm, ich meine dieses andere Dingsda.)

Thiago wich zurück und sagte: »Das wollen Sie nicht. Das wollen Sie wirklich nicht.«

Tja, abhauen konnten sie jetzt nicht mehr.

Ich trat vor die Außenluke und schickte meine Drohnen auf Position. Zwei Feinde besaßen Helme und Körperpanzer, einer trug einen Helm, aber ohne Gesichtsschutz. Ich schlug auf den Schalter für die Luke und gab den Befehl.

(Obwohl die stinkblöden Feinde selbst schuld waren, weil sie uns angriffen, änderte ich die Anweisungen für die Drohnen in der letzten Sekunde von tödlichen Kopf- oder Gesichtstreffern zu verwundenden Treffern an Händen und Armen. Der Gedanke an Aradas traurige Miene bereitete mir zu viel Unbehagen.)

Die blöde Luke (ich hasste dieses Boot) war langsam, und bis sie aufging, hatten sich alle sechs Ziele zu mir umgedreht. Meine Drohnen schlugen genau in dem Moment zu, als ich aufs Deck hechtete. Einem Ziel verpasste ich einen Energiestoß aus dem rechten Arm, dem zweiten brach ich die Kniescheibe, zwei gingen unter Drohnenangriffen zu Boden, und das letzte torkelte noch herum, löste beim Krampfen seine Waffe aus und schoss mir mitten in die Brust. Scheiße.

Führung Ziele hatte Thiago inzwischen am Arm gepackt und richtete die Waffe auf seinen Kopf.

Ich opferte sechs weitere Drohnen und verwandelte die ringsum verstreuten Waffen in nutzlose Metallklumpen, dann drückte ich mich in den Stand hoch und ging die Einstiegsrampe hinauf zu unserer Beobachtungsplattform. Ich sagte: »Lassen Sie ihn gehen.« Mir war definitiv nicht nach Verhandeln. Dafür habe ich irgendwo im Archiv ein Modul. Hat mir noch nie weitergeholfen.

In den Augen von Führung Ziele war viel Weißes zu sehen, und er zeigte diverse Anzeichen von Stress. Thiago ebenfalls. Drohnenbild zeigte mir, wie ich aussah: Wasser troff meine Kleidung runter, die Jacke mit dem Logo von Preservation wies Schusslöcher auf und war mit Flüssigkeit und ein bisschen Blut besudelt.

Ich umrundete die beiden, als wollte ich zur Luke. Führung Ziele zerrte Thiago herum, damit er frontal zu mir blieb, und rief: »Stehen bleiben! Oder ich töte ihn!«

Es stimmte, ich hatte ihn zur Vorbereitung eines Schusses in Bewegung bringen wollen. Er war mit der Beobachtungskuppel im Rücken stehen geblieben, kein guter Winkel für mich.

»Sie kommen hier immer noch raus«, schnaufte Thiago. »Gehen wir einfach. Sie können mich als Geisel nehmen …«

Ja, klar, so kommen wir weiter. Ich sagte: »Keine Geiseln.«

»Was ist das für ein Ding?«, fragte Führung Ziele. »Was bist du? Bist du ein Bot?«

Thiago erklärte: »Das ist eine Sicherheitseinheit. Ein Bot-Mensch-Konstrukt.«

Führung Ziele glaubte ihm augenscheinlich nicht. »Wieso sieht es dann aus wie ein Individuum?«

Ich sagte: »Das frage ich mich auch manchmal.«

Über Funklautsprecher sagte Dr. Ratthi: »Es ist ein Individuum!« Im Hintergrund hörte ich Overse flüstern: »Ratthi, weg vom Mikro!«

Während das so weiterging, begab ich mich im Videoarchiv auf Schnellsuche und zog mir eine Folge von Tapfer und standhaft rein. Die Serie ist gar nicht schlecht, nur diese Folge ist grottig, da werden die Figuren von bösen SecUnits angegriffen. (Das ist irgendwie das Gegenteil eines Oxymorons, denn in den Medien gibt es so etwas wie eine nicht böse SecUnit nicht.) (Gibt es ein Wort für das Gegenteil eines Oxymorons?) Ich schnappte mir die Drei-Minuten-Sequenz, wo die SecUnits die Basis stürmen und die hilflosen Geflüchteten abschlachten. Ich lud sie in Blödboots Pornofeed und stellte sie auf Endlosschleife.

Ich bin schnell, darum war ich damit fertig, als Führung Ziele Thiago schüttelte und sagte: »Sag, dass es sich zurückziehen soll.«

Thiago gab ein Geräusch von sich, das verdächtig nach einem spöttischen Schnauben klang. »Schön wär’s! Es hört nicht auf mich.«

Ab und zu schon, Thiago.

»Wem gehorcht es da …« Führung Ziele verfolgte das klugerweise nicht weiter. »Hören Sie, wer immer dieses Ding steuert, ich nehme ihn hier mit aufs Schiff …«

»Ich habe Ihren Motor geschrottet«, sagte ich. Hätte ich wirklich tun sollen. Na, nun war es zu spät.

Führung Ziele zerrte stinksauer an Thiago, und Thiago stolperte und neigte sich von ihm weg. Und im Oberarm von Führung Ziele blühte ein Loch auf, in dem schmalen Streifen Kleidung und Haut, der zwischen den schlecht sitzenden Panzerteilen entblößt war.

Ich sprang nach vorn, packte Thiago, schleuderte ihn beiseite und entriss Führung Ziele die Projektilwaffe. Ich boxte ihn mit dem Schaft leicht in Bauch und Brust, und er fiel aufs Deck.

Arada trat aus der Luke, die Projektilwaffe umsichtig nach unten gerichtet, obwohl mein Scan zeigte, dass sie sie schon gesichert hatte. Sie fragte: »Alles in Ordnung mit euch? Thiago? SecUnit?«

Ich sagte vorhin, dass ich einen Schuss hatte vorbereiten wollen; ich habe nicht gesagt, für wen.

Arada hatte nach der ganzen GrayCris-Geschichte einen Kursus in Waffengebrauch absolviert. Ich schätze, wenn dich eine Mörderbande um einen Planeten hetzt, um durch deine Ermordung weitere Forschungen zu verhindern, dann neigst du zu erhöhter Vorsicht, selbst als hoffnungslose Optimistin.

Über Feed sagte ich: Dr. Thiago, Dr. Arada, gehen Sie rein. Ich packte Führung Ziele und warf ihn aufs Deck seines Boots, wo die anderen Ziele herumkrochen und versuchten, zu ihrer Luke zu gelangen. Meine Scanner fingen einen Stromstoß im Waffensystem des Bootes auf. Das geschah ohne ausreichend Zeit, das feindliche Schiff zu räumen. Über Funk sagte ich: »Overse, jetzt wäre gut.«

Während all dieser Geschehnisse hatten Overse und die anderen unsere Anlage für den Start vorbereitet. Unter meinen Stiefeln rumpelte und vibrierte das Deck, und unsere Außenstützen hoben sich aus dem Wasser und ließen Wellen gegen das Boot krachen, während wir aufstiegen.

Vermutlich hatten die Angreifer gar nicht begriffen, dass die Anlage mobil war. Die Wucht des verdrängten Wassers, als unser Antrieb loslegte, schob das Boot beiseite, und die Angreifer verloren uns aus der Zielautomatik.

Unsere Außenstützen falteten sich ein, und wir entfernten uns weiter von der Oberfläche. Die Funklautsprecher verbreiteten Sirenengeheul und einen übersetzten Warnhinweis zum sicheren Mindestabstand, und die Angreifer nahmen uns das Ganze offenbar ab, denn ihre Maschinen beschleunigten hektisch. Ich rief meine Drohnen zurück, sie kamen herabgesaust und strömten durch die Luke. Ich folgte ihnen hinein und ließ die Luke zugleiten, als die Startprotokolle loslegten.

2

Dafür, dass ich zum ersten Mal als Security eines Forschungsteams tätig war, ohne vorzugeben, ich wäre ein Mensch und/oder hätte menschliche Vorgesetzte, hatte ich mich eigentlich ganz gut geschlagen. Alle lebten noch, und ihre Proben und Scans waren auch komplett. Wir hatten unseren ursprünglichen Zeitplan sogar um sechs planetare Tage unterschritten, aber da wir früher fertig geworden waren, hatte Arada ihn um drei planetare Tage gekürzt, deshalb war der Großteil der Anlage bereits startklar gewesen.

Aber wir hatten Glück gehabt, und ich kann Glück nicht ausstehen.

Ich stand im Korridor und organisierte meine Drohnen. Vier sollten bei mir bleiben, die anderen schickte ich zu verschiedenen Positionen in der Anlage und ließ sie inaktiv gehen. Dann überprüfte ich den Feed nach Warnmeldungen. Die Teammitglieder, die nicht damit beschäftigt waren, die Anlage durch die Atmosphäre nach oben zu bringen, schrien einander über Funk an. Arada kam mir entgegen. Sie war jetzt unbewaffnet, und laut Sicherheitsprotokoll hatte sie die Waffe entladen und wieder im Schrank verstaut. »SecUnit, du musst in die Krankenstation!«

Ich überprüfte erneut den Feed; weiterhin keine Warnmeldungen. »Was ist denn los?«

»Du bist los, die haben dich doch angeschossen.«

Ach ja, stimmt. Arada winkte mir, also folgte ich ihr den Gang entlang zur Hauptrampe. Ich schob einen Finger durch das Loch in Jacke und Shirt und zog meine Schmerzsensoren ein Stück hoch. Die Projektile steckten da immer noch drin. (Manchmal ploppen sie von allein raus.)

Die Krankenstation lag oben an der Rampe, ein kleiner Raum auf derselben Ebene wie Freizeitbereich und Bordküche. Unterkünfte, Labore und Lagerräume befanden sich auf den beiden darunterliegenden Ebenen, ganz oben war die Schaltzentrale untergebracht. Ratthi erwartete uns bereits, er stand beim MedSystem. »Geht’s einigermaßen?«, wollte er wissen. »Du legst dich besser hin!«

Ich wollte mich damit gar nicht länger aufhalten. »Nein, mir geht’s gut. Geben Sie mir einfach den Extrahierer.«

»Nein, nein, du warst im Wasser, du brauchst eine Dekontaminierung und einen antibiotischen Scan. Wenn das System so weit ist, legst du dich hin.« Er deutete nachdrücklich auf den kleinen Tisch und zog einen der Notfallkoffer aus dem Regal. »Thiago hat ein paar Abschürfungen am Hals davongetragen«, erklärte er, »aber sonst geht’s ihm gut.«

Ratthi verschwand mit dem Koffer. Das Geschrei über Funk hatte sich beruhigt, aber aus dem Freizeitbereich waren angespannte Stimmen zu hören. Anlagen der Preservation verfügen nicht über Sicherheitssysteme, die überall Kameras haben und alles aufnehmen, wegen Privatsphäre, blabla, aber über Funk und über meine Drohnen konnte ich mithören. Jedenfalls dann, wenn ich wollte, was allerdings gerade nicht der Fall war.

Arada sagte: »Ratthi hat recht, SecUnit, du solltest das System sicherstellen lassen, dass die Wunden nicht infiziert sind.« Sie zögerte. »Habe ich …« Sie holte scharf Luft. Ich stand bloß da, weil ich die Frage noch nicht verstand. Sie fügte hinzu: »Wäre das irgendwie anders gegangen …«

Sie brach erneut ab, aber diesmal wusste ich, was sie wissen wollte. »Nein. Hätten Sie noch länger gewartet, hätte ich versucht, eine Drohne einzusetzen. Er überlebt wahrscheinlich, wenn die anderen ihn medizinisch versorgen.«

Sie wollte eigentlich nicht auf Leute schießen, und sie hatte sich eingestandenermaßen auch überwinden müssen, den Umgang mit der Waffe zu erlernen. Ich war auch nicht scharf darauf gewesen, dass sie es lernte. (Menschen neigen leider zum unnötigen und wahllosen Waffeneinsatz. Von den vielen Malen, die ich angeschossen worden bin, geht ein deprimierend großer Prozentsatz auf Klienten zurück, die versucht haben, mir zu »helfen«.) (Ein weiterer signifikanter Anteil geht auf Klienten zurück, die auf irgendwas ballern wollten, und ich stand halt im Weg rum.)

Arada rieb sich die Augen und sog einen Mundwinkel ein. »Versuchst du, mich aufzumuntern?«

»Nein.« Versuchte ich wirklich nicht. Ich lüge oft Menschen an, aber nicht Arada, nicht deswegen. »Ich würde nie versuchen, Sie aufzumuntern. Sie kennen mich doch.«

Sie schnaubte, ein unfreiwilliger Ausdruck von Amüsiertheit. »Und ob ich dich kenne.«

Ihre Miene war jetzt total aufgelöst und rührselig. »Keine Umarmungen«, warnte ich sie. Das stand extra in unserem Kontrakt. »Benötigen Sie emotionale Unterstützung? Soll ich jemanden für Sie rufen?«

»Mir geht’s gut.« Sie lächelte. Über Feed signalisierte MedSystem seine Bereitschaft. »Jetzt sieh du zu, dass es dir auch wieder gut geht.«

Sie trat aus der Kabine und aktivierte den Privatfilter der Tür. Ich zog mich aus, stopfte die Kleidung in den Dekontaminierer und legte mich auf den Tisch. Er checkte mich auf Schadstoffe durch und entfernte die Projektile aus Schulter und Brust.

Der Vorgang dauerte nur drei Minuten, was gerade reichte, um die Szene von Häuser der Sonne wiederzufinden, die ich geguckt hatte, als Thiago mich unbedingt hatte anschießen lassen müssen. Das MedSystem versuchte, zu den Therapie- und Nachbehandlungsoptionen zu wechseln, also hielt ich es an und stieg vom Tisch. Laut Feed hatten wir die Umlaufbahn erreicht und näherten uns dem Basisschiff.

Meine Sachen rochen jetzt nach Dekontaminierer, aber sie waren sauber und trocken. Ich zog mich an und öffnete den Sichtschutz.

Thiago stand im Korridor. Welch Freude.

Er sah wütend und aufgewühlt aus, und das konnte ich erkennen, obwohl ich nur zu einer Stelle rechts neben seinem Kopf schaute. Er fragte: »Hast du diese Leute getötet?«

Wütend genug dafür, sie alle in der Luft zu zerfetzen, war ich durchaus gewesen. Die Firma, der ich einmal gehört hatte, besaß Protokolle für Situationen, die finale Rettungsschüsse erforderten, zumindest was die bewaffneten Feinde draußen an Deck betroffen hätte. Außerdem hatten die Feinde mich da bereits angeschossen und ihre Absicht deutlich gemacht, meine Klienten zu töten und/oder zu entführen. Aber ich gehörte der Firma nicht mehr, und der einzige Mensch, dem gegenüber ich mich hier zu verantworten hatte, war Arada, und das auch nur im engen Rahmen eines Kontrakts, den Pin-Lee für mich ausgehandelt hatte.

Zudem hatte ich mein Chefmodul ja eigens gehackt, damit mich niemand dazu zwingen konnte, einen Haufen Menschen zu töten, wenn mir nicht danach war. (Oder selbst wenn mir danach war.)

Ich sagte: »Das habe ich meiner kontraktmäßigen Dienstvorgesetzten berichtet.«

(Jaja, schon klar, ich hätte sagen können: Nein, ich habe niemanden getötet. Ich hätte sagen können, dass selbst SecUnits unter Firmenprotokoll nur das notwendige Minimum an Gewalt anwenden, weil die Firma das Kotzen kriegt, wenn sie Überlebenden Schadensersatz zahlen muss, und weil SecUnits sich nicht wie tollwütige Mörder verhalten, solange es ihnen Menschen nicht ausdrücklich befehlen. Ich hätte sagen können, dass ich mit dem Verzicht auf finale Rettungsschüsse sein Leben in Gefahr gebracht hatte, und zwar weil Arada nicht wollte, dass ich so etwas tat.)

Er kniff die Lippen zusammen. »Ich könnte sie fragen.«

Ich sagte: »Das sollten Sie definitiv.«

Er funkelte mich an, und die braune Haut an seinen Wangen zeigte deutliche Anzeichen eines Temperaturanstiegs, der auf Verärgerung, Scham und vielleicht noch andere Emotionen hindeutete. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass er einfach nur angepisst war. Dann zögerte er und sagte: »Hör mal, ich … ich wollte nicht, dass du angeschossen wirst. Das tut mir leid.«

Wenn du gewollt hättest, dass ich angeschossen werde, Thiago, würde dieses Gespräch anders laufen. Weil ich immer noch sauer war, sagte ich: »Das Sicherheitsprotokoll, dem alle Mitglieder des Erkundungsteams zugestimmt haben, ist über den Feed der Anlage einsehbar.«

Sein Gesicht zeigte das, was Menschen tun, wenn sie sich nicht anmerken lassen wollen, wie genervt sie sind. (Mission erfüllt.) Er sagte: »Ich habe einen Fehler gemacht. Aber ich hatte keinen Grund zu der Annahme, dass diese Leute feindlich eingestellt wären.«

Ich hatte Grund dazu gehabt. Ich hätte ihm kurz meine Bedrohungsanalyse zu dem herannahenden Boot darstellen können, aus der hervorgegangen wäre, dass die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs bei 72 Prozent gelegen hatte. Ich hätte darauf verweisen können, DASSDIEZUERSTAUFMICHGESCHOSSENHATTEN, und zwar als sie noch davon hatten ausgehen müssen, dass auch ich bloß ein unbewaffneter Mensch war. Aber ich war ihm keine Antwort schuldig. Er konnte mich nicht leiden, ich konnte ihn nicht leiden, und das war auch in Ordnung.

Das war absolut voll in Ordnung.

Ich ging den Korridor entlang davon.

HelpMe.file Auszug 1

(Aus dem Hauptbericht entfernter Text)

Seit ich beschlossen hatte, (vorläufig) auf Preservation Station zu bleiben, hatte Dr. Mensah mich siebenmal gebeten, sie irgendwohin zu begleiten. Sechsmal handelte es sich nur um relativ kurze, langweilige Meetings auf Schiffen im Orbit oder im Dock. Beim siebten Mal bat sie mich, sie zur Oberfläche des lokalen Planeten zu begleiten. Ich kann Planeten nicht ausstehen, aber sie überredete mich mit der Information, dass dort gerade ein Kunstfestival / eine Konferenz / eine religiöse Zusammenkunft stattfand, und zwar mit »allen möglichen« Liveauftritten. Nachdem ich recherchiert hatte, dass »alle möglichen« 87+ meinte, erklärte ich mich einverstanden.

Bei einigen Liveevents handelte es sich um Kundgebungen oder Vorträge, die mich nicht interessierten, aber ich brachte es auf 32 Theaterstücke und Musicals, während Mensah auf Meetings war oder Aktivitäten mit ihrer Familie unternahm. (Sich überlappende oder parallel stattfindende Auftritte zeichnete ich mit meinen Drohnen auf. Zwar wurde alles für den lokalen planetaren Entertainmentfeed mitgeschnitten, und die beliebtesten Events sollten als Videoproduktionen rekonfiguriert werden, aber ich wollte nun einmal alle Versionen sehen.) Eines Abends unterbrach Mensah mich mitten in einem Stück, indem sie meinen Feed antippte und mich bat, zu ihr zu kommen.

Das kam so unvermittelt und passte so wenig zu ihr, dass ich mit dem codierten Satz antwortete, den wir uns für den Fall ausgedacht hatten, dass sie gegen ihren Willen festgehalten wurde. Sie sagte, sie wäre bloß müde. Das passte noch weniger zu ihr. Ich meine, wenn sie müde wurde, bekam ich das schließlich mit, aber sie gab es total ungern zu.

Ich ließ eine Drohne zurück, damit sie den Rest des Stücks mitschnitt, und schlüpfte aus dem Theater. Es war Nacht und auf der Straße schon weniger los, aber beim großen offenen Pavillon am anderen Ende des Platzes war das Fest noch lange nicht vorbei.

Wenn man sich schon in einer Menschenmenge aufhalten musste, dann waren die Mengen auf diesem Festival gar nicht so übel, weil sie von der abgelenkten Sorte waren, wo alle Menschen und augmentierten Menschen miteinander über Funk oder Feed reden oder eilig irgendwohin streben. Der Nachteil war, dass viele Menschen Stöcke mit Leuchtobjekten oder Funken sprühenden Spielzeugen schwenkten oder mit Farbpulver warfen, das plopp machte und Licht abgab. (Keine Ahnung, ich bin da überfragt.) Jedenfalls war so viel los, dass niemand auf mich achtete.

Außerdem gab es hier auf Preservation weder Drohnenscanner noch bewaffnete menschliche Security, nur medizinisches Bereitschaftspersonal mit Botassistenz und »Aufsichten«, die vor allem Umweltauflagen durchsetzten und Menschen und augmentierte Menschen anmotzten, damit diese den Bodenfahrzeugen aus dem Weg gingen.

Im Pavillon fand ich Mensah am Rand der Menge im Gespräch mit Thiago und Farai, einer ihrer Ehepartnerinnen. Ich blieb neben Mensah stehen, und sie ergriff meine Hand.

Stimmt schon, normalerweise empfiehlt es sich, ein Bot-Mensch-Konstrukt, das sich selbst als Killerbot bezeichnet, vor einem solchen Ergreifen der Hand zu warnen – außer natürlich während eines Sicherheitsvorfalls, der es erwartbar/nötig macht, dass der Mensch, den es aus tödlichen Umständen zu entfernen gilt, zugreift und sich festhält. Und das hier verstand sich als Letzteres; Mensah brauchte mich zu ihrer Rettung. Also reagierte ich nur, indem ich mich näher an sie schob.

Thiago sagte gerade: »Ich habe keine Ahnung, wieso du nicht einfach mit uns reden kannst.« Ich hörte ihn deutlich, denn ich ließ das Umgebungsaudio über eine Schleife laufen und senkte die Lautstärke der Musik von Krach zu angenehmem Soundtrack im Hintergrund. Thiago warf mir einen genervten Blick zu, als hätte ich ihr Gespräch unterbrochen. Hey, sie hat mich gerufen. Ich tue hier meinen Job, ich werde mit HardCurrencyCards bezahlt und alles.

»Ich habe dir gesagt, warum.« Mensah klang normal, ruhig und bestimmt. Nur dass sie so auch klang, wenn Menschen gerade versuchten, uns umzubringen, also von daher … Ich deckte mit meinen Drohnen den gesamten Pavillon ab, und der Waffenscan war negativ. (Waffen waren auf dem Planeten nicht mal erlaubt, außer in ausgewiesenen Wildgebieten, wo es Probleme mit feindlicher Fauna gab.) Viele Leute schrien Sachen, aber laut Filter befand sich ihr Tonfall noch im emotionalen Spektrum von glücklich-berauscht-interessiert. Mensahs Griff um meine Hand zeigte mir jedoch, wie angespannt ihre Armmuskeln waren. Lageeinschätzung: Keine Ahnung.

Farai sagte: »Thiago, nicht. Sie hat um etwas Abstand gebeten, also musst du ihr welchen geben.« Sie beugte sich hinüber, küsste Mensah und sagte: »Wir sehen dich beim Haus.«

Mensah nickte und wandte sich ab, und ich ließ mich von ihr aus dem Pavillon ziehen.

Wir schafften es raus auf die Fußgängerzone des Platzes, und ich fragte: »Brauchen Sie medizinische Hilfe?« Ich dachte, dass ihr vielleicht schlecht wäre. Wenn ich ein Mensch wäre und mich zusammen mit all den anderen Menschen für zweieinhalb Stunden in dem Pavillon hätte aufhalten müssen, wäre mir schlecht gewesen.

»Nein«, sagte sie und klang immer noch ruhig und normal. »Ich bin nur müde.«

Ich wies das Bodenfahrzeug (das auf Preservation aus irgendeinem Grund »Go-Kart« genannt wurde) (aus einem unerfindlichen Grund) über Feed an, uns beim nächsten Transportbereich abzuholen. Der Platz und die Straßen wurden von kleinen schwebenden Ballonlampen erhellt und der Boden und die temporäre Befestigung von in kunstvollen Mustern aufgetragener Leuchtfarbe (zum Glück handelte es sich nicht um die aufgemotzte Leuchtfarbe, die über Feed Werbung ausstrahlt; das wäre ein Albtraum gewesen). Während wir durch die Menge gingen, erkannten Leute Mensah und lächelten und winkten. Mensah lächelte und winkte zurück, ließ aber meine Hand nicht los. Am Rand des Transportbereichs spazierte ein berauschter Mensch mit einer Handvoll Glitzerstaub auf uns zu und bog ab, als ich betont Blickkontakt herstellte.

Unser Fahrzeug wartete auf uns, und ich half ihr hinein und stieg ein. Ich wies es an, zur Hütte der Familie zu fahren, die in einem Wohnbereich am Außenrand des Festivalgeländes errichtet worden war. Das Go-Kart verfügte über einen gedrosselten Botfahrer, der die Menschen auf dem Camping- und Festivalgelände überallhin brachte, dabei aber den ausgewiesenen fahrzeugfreien Zonen auszuweichen wusste.

Es summte aus dem Hof und in die Dunkelheit, immer den Weg entlang, der durch hohes Gras und Kleinbäume führte. Mensah seufzte und öffnete das Fenster. Die Brise war noch warm und roch nach Vegetation, und die Wegeleuchten befanden sich weit genug unten, um den Sternenhimmel nicht zu stören. Die vielen Menschen und augmentierten Menschen, die während des Festivals hier wohnten, ließen die Bevölkerungsdichte dieses Gebiets vorübergehend stark anwachsen, aber wir bewegten uns durch den Teil, der für Menschen bestimmt war, die tatsächlich schlafen wollten. Die temporären Unterkünfte (Pop-up-Gebäude aller Formen und Größen, Campingfahrzeuge, Zelte und faltbare Bauten, die eher nach Kunstinstallationen aussahen) lagen überwiegend dunkel und still da. Die Campingzone für Menschen, die unbedingt Krach veranstalten mussten, befand sich ganz am anderen Ende und verfügte über ein Stummfeld zur Neutralisierung von Musik- und Publikumslärm. Mensah sagte: »Danke. Tut mir leid, dass ich dir den Abend verdorben habe.«

Ich rief meine Drohnen zurück und ließ nur die eine weiter das Stück aufnehmen sowie den dafür abgeordneten Schwarm weiter auf die Familienmitglieder auf dem Festivalgelände aufpassen. (Ein weiterer Schwarm befand sich bei der Hütte, wo sie zum Schutz der beiden Erwachsenen und sieben Kinder, die frühzeitig zurückgekehrt waren, ein Auge auf die Umgebung behielten.) Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Mensah benahm sich nicht so, als hätte ich sie vor dem sicheren Tod gerettet, aber sie benahm sich auch anders als bei der Rückkehr ins Habitat nach einem langen, aber erfolgreichen Tag des Probensammelns. Ich sagte: »Ich habe die Stücke mitgeschnitten. Möchten Sie sie sehen?«

Sie wurde munter. »Ich komme gar nicht dazu, mir die Aufführungen anzusehen. Hast du die eine – wie hieß sie noch gleich? Dieses neue Historienstück von Glaw und Ji-min?«

Der Unterschied zwischen »ruhig und normal« und tatsächlich normal war so messbar, dass ich ihn hätte grafisch darstellen können. Ich beschränkte mich auf die Antwort: »Ja. Es ist ziemlich gut.«

Irgendetwas beschäftigte Mensah, und es war nicht bloß die Tatsache, dass ihre Angehörigen eindeutig genauso mit mir fremdelten wie ich mit ihnen. Sie waren davon ausgegangen, dass ich in der Hütte bleiben würde, aber puh, bloß nicht. Mensah hatte ihnen erzählt, dass ich weder Hilfe noch Beaufsichtigung brauchte und mich selbst zurechtfand. (Zitat: »Wenn SecUnit unter Beschuss die Hochsicherheitsbereiche von Industrieanlagen infiltrieren kann, dann überfordert sie ein familiäres Festival ganz gewiss nicht.«)

Ihre Familie ängstigte sich nicht einmal vor den fiesen freidrehenden SecUnits, die in den Unterhaltungsmedien und Newsfeeds so präsent waren, und sie hatte auch nichts gegen Bots. (Es gab »freie« Bots, die auf Preservation herumspazierten, wobei sie Vormunde hatten, die theoretisch auf sie aufpassten.) Sie hatte nur gegen diese eine SecUnit etwas, gegen mich.

(Was auf die sieben Kinder nicht zutraf. Mit dreien tauschte ich verbotenerweise Downloads über Feed.)

Ich glaube, wäre ich ein normaler Bot oder sogar eine normale SecUnit gewesen, einfach nur ausgemustert, naiv und ohne jeden Schimmer, wie sie in der Welt der Menschen und so weiter zurechtkommen sollte, quasi so, wie Menschen unsereins in den Medien beschrieben, dann wäre es okay gewesen. Aber so war ich nicht. Ich war ich, Killerbot.

Mensah besaß also keinen Spielroboter wie den armen Miki oder ein trauriges, hilfsbedürftiges Bot-Mensch-Konstrukt, sondern sie hatte mich.

(Ich erzählte das später Dr. Bharadwaj, weil wir uns im Rahmen ihrer Recherche für eine Doku über Bot-Mensch-Beziehungen ausführlich unterhielten. Nachdem sie es sich durch den Kopf hatte gehen lassen, sagte sie: »Ich wünschte, ich könnte mir einreden, dass du dich irrst.«)

Farai bildete möglicherweise eine Ausnahme. Sie hatte oben auf der Station mit mir geredet, als Mensah mich ihrer Familie vorstellte. Oder auf mich eingeredet, könnte man sagen. Transkript:

(Farai: »Weißt du, wir sind dankbar, dass du sie uns zurückgebracht hast.«

Das wusste ich durchaus. Was sagen Menschen in dieser Situation? Eine rasche Archivsuche förderte irgendeine Variation von »Ähm, ja« zutage, und selbst mir war klar, dass das nichts taugte.)

(Nebenbei: Aufgepasst, wenn ein Killerbot dasteht und an Ihrem Kopf vorbeiguckt und Blickkontakt vermeidet – dann hat er wahrscheinlich nicht vor, Sie zu töten, sondern versucht hektisch, eine Antwort auf das zu finden, was Sie gerade gesagt haben.)

Sie fügte hinzu: »Ich wollte dich fragen, in welcher Beziehung du zu ihr stehst.«

Ähm. In Corporation Rim war Mensah meine Eigentümerin. Auf Preservation war sie mein Vormund. (Das ist so ziemlich dasselbe, nur dass ich auf Preservation freundlich behandelt werden muss.) Wobei Mensah und Pin-Lee versuchten, für mich einen Status als »Flüchtling mit Arbeitsplatz im Sicherheitsgewerbe« zu erreichen.

Aber mir war klar, dass sie das wusste, und mir war auch klar, dass sie eine Antwort wollte, die näher an der objektiven Realität lag. Und hoppla, diese Antwort hatte ich nicht. Ich sagte: »Ich bin ihre SecUnit.« (Doch, wirklich, die Antwort ist immer noch im Puffer.)

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Und das bedeutet?«

Erneut in die kommunikative Ecke gedrängt, griff ich auf Ehrlichkeit zurück. »Keine Ahnung. Wäre schön, wenn ich das wüsste.«

Sie lächelte. »Danke.«

Und das war das.)

Mensahs Familie fremdelte außerdem mit der Vorstellung, dass ich für die Security zuständig war; sie fürchtete offenbar, keine Ahnung, dass ich berechtigten Besuch verschrecken und Leute umbringen würde oder so. Und zugegeben, ich war entscheidend an diverser Chaosfakke von gigantischen Ausmaßen beteiligt, und mein Gefahrenbewertungsmodul hat ernste Probleme, aber meine Bedrohungsanalyseperformance ist ziemlich gut und liegt bei 93 Prozent. (Die meisten Minuspunkte stammen noch aus der Zeit, bevor ich begriffen habe, dass Wilken und Gerth Auftragskillerinnen waren, also bevor Wilken versucht hat, Don Abene in den Kopf zu schießen, aber das war ein Ausreißer.)

Mensahs Familie fand außerdem, dass sie keine Security benötigte, was vor GrayCris vielleicht mal gestimmt hatte. Bis jetzt hatte ich mich während des Festivals bereits um fünf Übergriffe kümmern müssen, vier davon durch Newsfeedleute von außerhalb mit Aufnahmedrohnen. Ich übernahm die Kontrolle der Drohnen (ein paar zusätzliche kann ich immer gebrauchen) und verständigte die örtlichen Aufsichten, damit sie die Newsfeedleute vom Gelände führten. Der fünfte Übergriff brockte mir Ärger mit Amena ein, Mensahs ältestem Nachwuchs.

Gleich zu Beginn des Festivals war mir ein potenzieller Feind aufgefallen, mit dem Amena Umgang pflegte. Der Sachstand verdichtete sich, und meine Bedrohungsanalyse stand beinahe bei kritisch. Einzelheiten wie: (1) Er hatte ihr den Eindruck vermittelt, ungefähr gleich alt zu sein, also nach örtlichem Standard fast volljährig, aber mein Körperscan und die öffentlich verfügbaren Daten deuteten darauf hin, dass er rund zwölf Preservation-Jahre älter war, (2) er näherte sich ihr nie, wenn Familienmitglieder oder anerkannte Freundschaften sie begleiteten, (3) er starrte auf ihre sekundären Geschlechtsmerkmale, wenn ihre Aufmerksamkeit woanders lag, (4) er ermunterte sie zur Einnahme von Rauschmitteln, die er selbst nicht konsumierte, (5) ihre Erziehungsberechtigten und anderen verwandten Menschen nahmen allesamt an, dass sie bei ihren Freundschaften war, wenn sie ihn traf, und ihre Freundschaften nahmen alle an, dass er bei ihrer Familie war, und sie hatte keiner Gruppe von ihm erzählt, und (6) ich hatte bei diesem kleinen Mistkerl einfach ein schlechtes Gefühl.

Sie denken vielleicht, die offensichtliche Vorgehensweise wäre gewesen, Mensah oder Farai oder den dritten Ehepartner Tano zu verständigen. Habe ich aber nicht gemacht.

Wenn ich eines begriff, dann den Unterschied zwischen proprietären und nicht proprietären Daten.

Deshalb stand für mich fest, dass ich mitgehen würde, als das potenzielle Ziel Amena eines Abends einlud, sie zu seiner eher abgelegenen Hütte zu begleiten, um dort »ein paar Leute zu treffen«.

Er führte sie in das abgedunkelte Haus, und sie stolperte über einen niedrigen Tisch. Sie kicherte, er lachte. »Warte, ich hab’s gleich.« Er klang deutlich betrunkener, als er in Wirklichkeit war, und tippte den Hausfeed an, damit das Licht anging.

Und mitten im Raum – stand ich.

Er schrie auf. (Ja, es war zum Totlachen.)

Amena schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, dann erkannte sie mich. Sie fragte: »Was zur Hölle? Was machst du denn hier?«

PZ keuchte: »Was … wer …?«

Amena war stinksauer. »Das ist … eine Freundschaft meiner zweiten Mutter«, sagte sie und fletschte die Zähne. »Und außerdem … ihre Security.«

»Was?« Er war verwirrt, dann rastete das Wort »Security« ein. Er bewegte sich von ihr weg. »Ähm … Ich schätze … du gehst jetzt besser.«

Amena sah ihn an, funkelte dann mich an, wandte sich um und stapfte durch die Tür und die Stufen zum Weg hinunter. Ich folgte ihr, und als ich an ihm vorbeikam, wich er zurück. Ja, pass bloß auf.

Auf dem unbefestigten, von diesen niedrig schwebenden Wegeleuchten markierten Pfad holte ich sie ein. (Gar nicht mal absichtlich, aber meine Beine waren länger, und sie verwendete mehr Kraft aufs Stapfen als aufs Herstellen von Abstand.)

Sie fragte: »Woher wusstest du, wo ich bin? Was hast du gemacht, dich unter der Veranda versteckt?«

Sie bildete sich ein, ich würde die Anspielung auf Haustiere nicht mitbekommen. Ich sagte: »Uff, das ist gehässig. Besonders da ich doch eine« – ich machte ironische Anführungszeichen – »›Freundschaft‹ deiner zweiten Mutter bin. Redest du so mit deinen Dienstbots?«

Meine Drohnenkamera zeigte, dass ihre Miene zu erschrocken und dann zu einer Kombination aus schmollend und schuldbewusst wechselte. »Nein. Ich habe gar keine Dienstbots! Ich wusste gar nicht … Ich habe dich nie reden gehört.«

»Du hast nie was gefragt.« Hatte ich nicht geredet? Ich hatte über Feed mit den Kindern geredet, und mit Mensah. Vielleicht war es beim Rest der Familie einfacher gewesen, wieder so zu tun, als wäre ich ein Roboter. Ich fügte hinzu: »Niemand anders hat sich dem Haus genähert. Er hat gelogen mit seinem ›ein paar Leute treffen‹.«

Sie stapfte für 12,5 Sekunden schweigend weiter. »Hör zu, es tut mir leid, aber ich bin nicht blöd, und ich bin auch nicht leichtsinnig. Wenn er irgendetwas gemacht hätte, das mir nicht gefällt, wäre ich gegangen. Und wenn er mich nicht hätte gehen lassen, habe ich den Feed, da kann ich jederzeit um Hilfe rufen.« Sie war herablassend und eindeutig allzu selbstbewusst. »Ich hätte nicht zugelassen, dass er mir was antut.«

Ich sagte: »Wenn ich gedacht hätte, dass er dir was antut, würde ich jetzt seine Leiche entsorgen. Ich bin nämlich auch nicht leichtsinnig.«

Sie blieb stehen und starrte zu mir herauf. Ich blieb ebenfalls stehen, behielt den Blick aber vor uns auf den Weg gerichtet. Ich sagte: »Mensah ist die planetare Leiterin einer kleinen politischen Entität und hat die aggressive Aufmerksamkeit großer Konzerne auf sich gezogen. Damit hat sich ihre Situation verändert. Und deine ebenfalls. Du musst erwachsen werden und damit klarkommen.«

Sie holte Luft, um etwas zu sagen, hielt inne und schüttelte den Kopf. »Er war kein Firmenspion. Er war einfach bloß jemand …«

»Jemand, den du nicht kennst und der aus dem Nichts auf einem riesigen öffentlichen Festival auftaucht, zu dem der halbe Kontinent anreist, plus sämtliche außerweltlichen Menschen, die zufällig auf der Durchreise sind.« Ich wusste, dass er kein Firmenspion war (siehe oben, Entsorgung von Leichen), aber sie wusste das definitiv nicht.

Sie schwieg für 16 Sekunden. »Wirst du es meinen Eltern sagen?«

Darüber machte sie sich Sorgen? Ich war beleidigt und verärgert. »Keine Ahnung. Du wirst es wohl merken.«

Sie stapfte davon.

Rückblickend betrachtet war es also nicht so gut gelaufen.

Unser Fahrzeug rumpelte durch die Nacht, den flachen Hügel zur Hütte rauf, einem zweistöckigen Pop-up-Gebäude mit breiten überdachten Balkonen auf beiden Ebenen. Es war neben ein paar große Bäume mit gekräuselten Blättern gestellt worden, deren Äste sich über das Dach bogen. Mensahs Großvater hatte es errichtet, während ihre Großmutter und verschiedene andere Familienmitglieder an Ersterkundung und Terraforming des Planeten gearbeitet hatten. Die Kolonisten, die nicht im Orbit auf ihrem Schiff gewohnt hatten, waren zu diesem Zeitpunkt alle in temporären Gebäuden untergebracht gewesen, die mit den Jahreszeiten versetzt wurden, um zerstörerischen Wettersystemen in den damals bewohnbaren Teilen des Planeten auszuweichen.

Überall auf den Hügeln ringsum gab es noch andere Pop-up-Häuser, große und kleine, das nächste 27 Meter entfernt. In der Hütte brannte Licht, und über der Signalstation für die Fahrzeuge schwebte eine Laterne. Das wenige Licht hätte mir Sorgen bereitet, allerdings ließ ich ja 37 Drohnen die nähere Umgebung sichern.

Die Drohnen hatten bereits identifizierte Menschen und augmentierte Menschen erfasst, die zu den anderen Häusern zurückkehrten oder das Gelände durchquerten, und für die erstmals erfassten unidentifizierten Menschen hatte ich Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. Ich katalogisierte Energiesignaturen an einigen kleinen Mobilitätshilfen, die nicht augmentierte Menschen aus medizinischen Gründen benutzten; so etwas hatte ich in Corporation Rim nirgends gesehen, aber das lag vielleicht daran, dass ich nur wenig Zeit auf von Menschen bewohnten Planeten verbracht hatte, die nicht ausschließlich gewinnorientierter Sklavenarbeit dienten. (In den Unterhaltungsmedien kamen durchaus auch anders organisierte Planeten vor; ich war nur nie auf welchen gewesen.) (Die Drohnen waren außerdem den fünf jüngeren Kindern auf einer streng verbotenen Expedition zu einem nahe gelegenen Bach gefolgt, wo sie eine Art Ritual vollzogen hatten, das darin bestand, einander aus Verstecken hinter Felsen und Büschen anzuspringen. Sie kehrten zum Haus zurück, ohne dass die erwachsenen Menschen oder älteren Geschwister sie erwischten, und lagen nun ausgepowert oben in ihrem Schlafzimmer und glotzten Medien.)

(Das Haus war allen Ernstes mit abschließbaren Fenstern und Luken ausgestattet, DIENIEMANDABSCHLOSS, aber das machte es immerhin für meine Wachdrohnen leichter.)

Als das Fahrzeug an seinen Platz gefahren war, sagte Mensah: »Ich setz mich draußen noch ein bisschen hin. Wieso fährst du nicht zurück zum Festival? Heute Abend gibt es doch noch ein paar Aufführungen, oder?«

Ich vermeide es normalerweise, Menschen zu fragen, ob irgendetwas mit ihnen nicht stimmt. (Überwiegend, weil es mir egal ist.) (Bei den seltenen Gelegenheiten, wo es mir nicht egal ist, läuft es darauf hinaus, ein Gespräch zu beginnen, das nicht direkt mit dem Sicherheitsprotokoll verknüpft ist, und das ist aus diversen Gründen eine Schlitterpartie.) Aber Menschen fragten einander ständig nach dem aktuellen Status, also wie schwer konnte es sein? Es war eine Bitte um Information, mehr nicht. Ich vollführte eine kurze Suche und zog ein paar Beispiele aus meiner Mediensammlung. Keine der Stellen kam mir wie irgendwas vor, was ich je freiwillig sagen würde, also fragte ich schlicht, bevor ich es mir anders überlegte: »Was ist los?«

Sie war verblüfft, dann sah sie mich schräg an. »Fang du nicht auch noch an.«

Also stimmte etwas nicht, und es war den anderen Menschen schon aufgefallen. Ich sagte: »Für eine akkurate Bedrohungsanalyse ist es notwendig, dass ich über potenzielle Probleme informiert bin.«

Sie zog eine Augenbraue hoch und öffnete die Fahrzeugtür. »Das hast du bei unserer Erkundung damals aber nie erwähnt.«

Ich stieg aus und folgte ihr zu einer Gruppe von Stühlen, die beim Haus unter den Bäumen auf dem Rasen herumstanden. Die Schatten waren so tief, dass ich Mensah nur mit Dunkelfilter sehen konnte. »Ja, weil ich mich da im Job nur durchgemogelt habe.«

Sie setzte sich. »Wenn du dich da nur durchgemogelt hast, dann möchte ich nicht miterleben, wie es ist, wenn du …« Das Lächeln verging, und sie setzte neu an. »Aber ich habe dich wohl nur erlebt, wenn du dein Bestes gegeben hast.«

Ich setzte mich ebenfalls. (Mich mit einem Menschen zusammen hinzusetzen wird sich wohl immer komisch anfühlen.) Aufgewühlt wirkte sie nicht, aber sie wirkte auch nicht nicht aufgewühlt. Trotzdem merkte ich, dass das Gespräch durch meine vorlaute Bemerkung eine peinliche Richtung eingeschlagen hatte, in die ich gar nicht wollte. Fifo wäre so etwas nicht passiert, das hatte solche Sachen drauf. (Also Sie dazu zu bringen, dass Sie über das reden, was es will, und Sie gleichzeitig denken zu lassen, dass seine Fragen auf etwas ganz anderes abzielen.) (War ja kein Scherz, als ich sagte, Fifo wäre ein Arschloch.) »Sie haben die Frage nicht beantwortet.«

Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Du klingst besorgt.«

»Ich bin besorgt.« Ich konnte spüren, wie mein Gesicht den entsprechenden Ausdruck annahm, ob ich nun wollte oder nicht.

Sie atmete aus. »Es ist nichts weiter. Ich hatte Albträume. Dass ich auf TranRollinHyfa gefangen gehalten werde, und … Du weißt schon.« Sie machte eine ungeduldige Geste. »Das ist völlig normal. Seltsam wäre, wenn ich keine Albträume hätte.«

Von der Erholungsphase nach einem Trauma hatte ich nicht viel miterlebt (mein Job war es, die Menschen zum MedSystem zu schaffen, bevor sie starben; für den ganzen unangenehmen Kram danach, einschließlich Personenbergungsprotokoll, war das MedSystem zuständig), aber in den Serien, die ich guckte, spielte die Erholung eine große Rolle. Es gab in der Stationsklinik ein Programm für Traumabehandlung, das hatte Bharadwaj durchlaufen, und das große Krankenhaus in der Hafenstadt bot auch eines an.

Nicht nur ich war der Meinung, dass Mensah eine Traumatherapie brauchte. Aber wahrscheinlich wusste nur ich, dass sie keine machte. (Sie hatte nicht exakt gelogen; sie hatte nur dafür gesorgt, dass die anderen glaubten, sie wäre längst dabei.) Aber für solch eine Therapie reichte es nicht, einmal kurz in ein MedSystem zu steigen; sie erforderte mehrere lange Besuche, und ich wusste, dass Mensah dafür nie Zeit in ihrem Terminkalender geschaffen hatte. Ich fragte: »Haben Sie deshalb Angst, ohne mich die Station zu verlassen?«

Was den Bedarf an Security für die planetarische Führerin der Preservation betraf, gab es also zwei Positionen. Die erstere wurde von 99 Prozent der Bevölkerung geteilt, nämlich dass sie nur welche brauchte, wenn sie irgendwo in Corporation Rim auf offiziellen Besuch ging. Und damit lagen sie im Grunde richtig.

Die Kriminalstatistiken auf Preservation Station und dem Planeten waren erbärmlich niedrig und umfassten in der Regel rauschmittelinduzierte Sachbeschädigung oder Ruhestörung und/oder kleinere Verstöße gegen stationäre Frachtabwicklungs- oder planetare Umweltbestimmungen. Mensah hatte bisher weder auf der Station noch auf dem Planeten je Security benötigt – nur diese jungen menschlichen Praktikanten im Rat, die ihr überallhin folgten, ihre Termine im Blick behielten und ihr gelegentlich Sachen trugen. (Und die zählten nicht als Security.)

Das restliche eine Prozent bestand aus mir, Mensahs Erkundungsteam, sämtlichen menschlichen Sicherheitsleuten auf der Station und den Ratsmitgliedern, die den Mordversuch durch die Auftragskillerinnen von GrayCris miterlebt hatten. Nur war dieser Vorfall aus den Newsfeeds herausgehalten worden, sodass alle anderen fanden, Mensah bräuchte keine Security und erst recht keine SecUnit.

Aber GrayCris ging es derzeit eher mäßig, weil Palisade, der von ihnen engagierte Sicherheitsdienst, auf die extrem dumme Idee gekommen war, meiner ehemaligen Firma durch den Angriff auf eines ihrer Kampfschiffe in die Betriebsmittel zu boxen. (Die Firma ist paranoid, gierig und geizig, aber wenn sie sich bedroht fühlt, eben auch skrupellos, methodisch und hochgradig gewalttätig.) Seit dem Vorfall mit dem Kampfschiff hatten sich die Beziehungen zwischen den beiden Unternehmen massiv verschlechtert; so waren auf mysteriöse Weise alle möglichen Anlagegüter von GrayCris bei augenscheinlich zufälligen Unfällen zerstört sowie Führungskräfte und Angestellte in die Luft geflogen oder in Behältern aufgefunden worden, die für unverletzte erwachsene Menschen deutlich zu klein waren, und dergleichen mehr.

Seit GrayCris also sukzessive den Bach runterging, lag selbst meine Bedrohungsanalyse krass weit unten, aber Mensah wollte auf meine Security nicht verzichten. Ich ging davon aus, dass sie mich bei Laune halten und nebenbei mit HardCurrencyCards versorgen wollte, weil ich die brauchen würde, falls/wenn ich Preservation verließ; außerdem sollte ich wohl üben, mit Menschen in einem Umfeld zusammen zu sein, in dem ich nicht als Werkzeug und/oder tödliche Waffe eingestuft wurde. (Schon klar, ich nahm an, dass es um mich ging, aber Menschen nehmen auch ständig an, dass es um sie geht. Das ist kein ungewöhnliches Problem, okay?)

Inzwischen war ich aber schon eine ganze Weile überzeugt, dass dahinter etwas anderes steckte.

Ihr Mund zuckte ein bisschen, und sie sah woanders hin, über die dunklen Hügel und Felder zu den erhellten Fenstern der anderen Hütten und Zelte. Sie sagte: »Ich habe gedacht, das wäre offensichtlich.«

Ich sagte: »Offensichtlich nun nicht gerade.« Jedenfalls für die meisten Menschen nicht. Ich hatte den Eindruck, dass Farai und Tano Bescheid wussten, aber unsicher waren, was sie deswegen unternehmen sollten.

Sie zuckte leicht die Achseln. »Es überrascht wohl kaum, dass ich mich sicherer fühle, wenn du da bist. Es ist auch einfacher, Leute um mich zu haben, die begreifen, was passiert ist und wie es einem Menschen dann so geht. Also dich und die anderen vom Erkundungsteam.« Sie zögerte. »Farai und Tano haben Verständnis, aber meinen Geschwistern und Thiago und den anderen habe ich nicht erklärt, wieso ich nicht einfach wie sonst immer auf ihre emotionale Unterstützung zurückgreifen kann.« Ihre Miene wurde grimmig. »Ihnen fehlt jede Vorstellung davon, wie es ist, unter der Herrschaft von Konzernen zu leben.«

Das leuchtete mir ein. In Preservation Alliance mussten die Menschen sich nicht für 80 bis 90 Prozent ihrer Lebenszeit zu Vertragsarbeit in irgendwelchen Minen auf fernen Welten verpflichten. Hier gab es ein merkwürdiges System, in dem alle ihre Nahrung, Unterkunft, Schulbildung und medizinische Versorgung kostenlos bekamen, ganz unabhängig von ihrer Tätigkeit. Das ging irgendwie auf das gigantische Kolonieschiff zurück, das sie hergebracht hatte, und auf ein Versprechen der ursprünglichen Besatzung, sich fortwährend um alle zu kümmern, wenn sie nur in dieses verdammte Ding einstiegen, anstatt in der alten Kolonie zu verrecken. (Es war komplexer, nur habe ich die wirtschaftspolitischen Parts beim Sichten ihrer historischen Spielfilme immer gern vorgespult.) Jedenfalls lebten die Menschen offenbar gern dort.

Aber Mensah hatte recht, diesen Menschen fehlte jede Vorstellung davon, wie es war, unter der Herrschaft von Konzernen zu leben. Und insbesondere davon, wie es war, wenn ein Konzern sie töten wollte.

Ich spielte noch einmal meine Aufnahme von dem Gespräch ab, das Mensah auf einer Party mit Thiago und Farai geführt hatte. Mensah war auf PortFreeCommerce während eines Treffens mit den Angehörigen der ermordeten Erkundungsmitglieder verschleppt worden. Vielleicht war ihr die lärmende Party allzu ähnlich vorgekommen wie dieser Moment, als die Menschen, die ihr normalerweise zu Hilfe geeilt wären, abgelenkt gewesen waren.

Ich sagte: »Sie müssen Ihr Trauma behandeln lassen.«

Ihre Stimme wurde schneidend. »Das werde ich. Aber vorher habe ich noch einiges zu erledigen.« Sie wandte sich zu mir um. »Und ich möchte, dass du Arada auf diese Erkundung begleitest. Sie braucht dich. Und zugleich bietet sich dir da eine wunderbare Gelegenheit.«

Es war zu dunkel, als dass sie mein Gesicht hätte sehen können. Ich weiß nicht genau, was es ausdrückte, aber »Skepsis« trifft es wohl ganz gut. (Ratthi meint, so gucke ich eigentlich die ganze Zeit.)

Mit diesem selbstbewussten, superüberzeugenden Tonfall einer planetaren Ersten Administratorin fügte sie hinzu: »Und Amena und Thiago sind übrigens auch dabei. Ich hätte ein besseres Gefühl, wenn du da wärst und sie im Auge behalten könntest.«

Ah ja. »Was ist mit Ihnen?«

Sie holte Luft, um zu sagen, dass sie schon zurechtkäme. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ihr exakt diese Worte auf der Zunge lagen. Aber dann zögerte sie. Die Drohne, mit der ich ihr Gesicht betrachtete, zog die Vergrößerung hoch, und der Restlichtfilter zeichnete Mensahs Züge in Schwarz-Weiß. Ihre Miene war angespannt und grimmig, und sie biss sich auf die Unterlippe. Sie sagte: »Ich hasse es, mich so schwach zu fühlen. Das muss einfach aufhören. Und ich muss aufhören, mich auf dich zu stützen. Das ist dir gegenüber nicht fair. Wir müssen getrennt sein, damit ich … wieder auf eigenen Füßen stehen kann.«

Ich fand durchaus, dass sie damit richtig lag, nur hatte ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass Menschen sich überhaupt fragten, was mir gegenüber vielleicht nicht fair war. Außerdem redeten sie in den Schlussmachszenen meiner Serien gern solches Zeug, und da übersprang ich den Beziehungskram normalerweise. Ich sagte: »Du kannst nichts dafür, es liegt an mir.«

Sie bellte ein Lachen heraus.

Und dann erpresste ich sie gewissermaßen.

Ein Teil meines aktuellen Problems ließ sich darauf zurückführen, dass Mensah, die in solchen Dingen viel zu ehrlich war, Amena später von ihrer Bitte mir gegenüber erzählt hatte, sie im Auge zu behalten, was Amena auf irgendeine hormoninduzierte Menschenweise interpretierte, von der ich mir unsicher bin, ob ich sie verstehe. Thiago, der kein Heranwachsender ist und keine Entschuldigung/Ausrede hat, interpretierte es so, dass Mensah ihm nicht zutraute, auf seine Nichte aufzupassen.

Amena ist wohl mit auf der Erkundung, weil sie für ihre Ausbildung praktische Erfahrung darin braucht, beinahe getötet zu werden. Wegen unserer vorhergehenden Interaktion hatte sie massive Vorbehalte gegen meine ausdrückliche Anweisung, auf sie aufzupassen.

(Wahrscheinlich war ich ihr gegenüber in Sachen potenzielles Ziel zu nachdrücklich gewesen. Aber nachdem ich meine gesamte Existenz lang diversen Menschen behutsam nahegelegt hatte, nichts zu unternehmen, was sie voraussichtlich umbrachte, war es nett gewesen, einmal ausführlich darlegen zu können, dass sie nicht so scheißblöd sein sollte. Ich bedauerte es kein bisschen.)

Amenas Versuch, sich unter Umgehung von Mensah direkt an Farai und Tano zu wenden, war spektakulär gescheitert, in einem Dreiergespräch über Funk, das zu einem Vierer geworden war, als Farai Mensah kurzerhand hinzugezogen hatte. (Was danach passiert ist, weiß ich nicht genau. Das hatte nicht einmal ich mit ansehen wollen.)

So weit also, was vor der Erkundung geschah. Jetzt kehren wir dorthin zurück und wappnen uns für die nächste größere Katastrophe. (Spoilerwarnung.)

3

Wir dockten ohne Probleme beim Basisschiff an, und Arada und die anderen übergaben dessen Crew die Kontrolle. (Die Anlage war nicht wurmlochfähig und bestand im Grunde einfach aus einem großen, plumpen Labormodul, das mit eigener Kraft landen und starten konnte.)

Zurück nach Preservation waren es per Wurmloch nur vier Preservation-Tagzyklen, und diese Zeit wollte ich nutzen, um Häuser der Sonne zu Ende zu schauen. Dabei handelte es sich um eine lang laufende historische Familienserie, die auf einer frühen Koloniewelt spielte, mit 136 Figuren und fast ebenso vielen Handlungsbögen.

Ich hatte schon früher Familienserien geguckt, aber vor Preservation kaum Zeit bei Menschenfamilien verbracht. (Daten legten nahe, dass Serienfamilien echten Menschenfamilien zu weniger als zehn Prozent ähneln, was wenig überrascht und zugleich eine Erleichterung darstellt, siehe allein die vielen Morde. In den Serien, nicht in Mensahs Familie.)

Als ich noch der Firma gehörte und für Erkundungen vermietet wurde, umfasste mein Sicherheitsprotokoll auch Datamining, sprich die durchgängige Überwachung und Aufzeichnung der menschlichen Aktivitäten für die Dauer des Kontrakts, was in vielerlei Hinsicht eine Qual war. Vielleicht sogar in jeder Hinsicht. (Solange darin Sex, Körperflüssigkeiten oder inhaltsleere Gespräche vorkamen.) Es überraschte mich jedes Mal wieder aufs Neue, dass ich zwischen den Menschen und mir jetzt eine Tür schließen und darauf pfeifen konnte, was sie taten.

Was nicht bedeutete, dass die Menschen mich in Ruhe ließen.

Ratthi kam in meine Kabine. Ich musste ihn nicht reinlassen, also tat ich es. (Na klar, ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, einfach darauf zu pfeifen, wenn ein Mensch mit mir reden wollte.) Er setzte sich auf den Klappstuhl gegenüber meiner Koje und sagte: »Thiago kriegt sich noch ein, wart’s nur ab. Er …«

Ratthi zögerte, den Satz zu beenden, also tat ich es. »… vertraut mir nicht.«