Ugh-Lomi - Herbert George Wells - E-Book

Ugh-Lomi E-Book

Herbert George Wells

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Beschreibung

Eine Abenteuergeschichte aus der Steinzeit Der Höhlenmensch Ugh-Lomi kämpft in dieser Fantasy-Novelle des Schöpfers von "Krieg der Welten" um die Vorherrschaft in seinem Stamm. Im Laufe der Geschichte wird er zum ersten Menschen, der ein Pferd zu reiten lernt und im Kampf gegen Wildtiere Steine und Holz zu einer Axt zusammenführt – die erste Waffe der Welt ist geboren. Eine spannende, natürlich vollkommen (im besten Sinne) zusammengesponnene Geschichte von H. G. Wells. – Es könnte ja so gewesen sein, oder? Null Papier Verlag

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H. G. Wells

Ugh-Lomi

Eine Abenteuergeschichte aus der Steinzeit

H. G. Wells

Ugh-Lomi

Eine Abenteuergeschichte aus der Steinzeit

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020Übersetzung: Clarisse Meitner EV: E. P. Tal & Co. Verlag, Leipzig/Wien/Zürich, 1923 1. Auflage, ISBN 978-3-962817-56-5

null-papier.de/689

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel – Ugh-lomi und Uya

Zwei­tes Ka­pi­tel – Der Höh­len­bär

Drit­tes Ka­pi­tel – Der ers­te Rei­ter

Vier­tes Ka­pi­tel – Uya, der Löwe

Fünf­tes Ka­pi­tel – Der Kampf im Lö­wen­dickicht

Dan­ke

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Ihr

Erstes Kapitel – Ugh-lomi und Uya

Die­se Ge­schich­te reicht in die Zeit vor Men­schen­ge­den­ken zu­rück, in Zei­ten, da man noch tro­ckenen Fu­ßes von Frank­reich (wie wir es jetzt nen­nen) nach Eng­land hät­te ge­hen kön­nen, und da die Them­se breit und trä­ge durch ihr Sumpf­land floss, um Va­ter Rhein zu be­geg­nen, der durch ein wei­tes, ebe­nes Land ström­te, das in un­se­ren Ta­gen un­ter Was­ser steht und un­ter dem Na­men Nord­see be­kannt ist. In je­nen Zei­ten be­stand das Tal, das sich am Fuße der Downs ent­lang zieht, noch nicht, und den Sü­den von Sur­rey bil­de­te eine Rei­he von Hü­geln, de­ren mitt­le­re Hän­ge fich­ten­be­wach­sen und die den größ­ten Teil des Jah­res schnee­ge­krönt wa­ren. An den un­te­ren Hän­gen der Ket­te, un­ter­halb der gras­be­wach­se­nen Plät­ze, wo die wil­den Pfer­de wei­de­ten, wa­ren Wäl­der von Ei­chen, Ul­men und Edel­kas­ta­ni­en, und in den Dickich­ten und fins­te­ren Ver­ste­cken ver­bar­gen sich der Grizz­ly­bär und die Hyä­nen, und graue Af­fen klet­ter­ten in den Zwei­gen. Und noch tiefer, zwi­schen Sumpf­land, Wal­dun­gen und of­fe­nen Wie­sen, längs der Wey, spiel­te sich die­ses klei­ne Dra­ma, das ich er­zäh­len will, vom An­fang bis zum Ende ab. Fünf­zig­tau­send Jah­re sind es her, fünf­zig­tau­send Jah­re – wenn man sich auf die Rech­nung der Geo­lo­gen ver­las­sen kann.

Und der Früh­ling war in je­nen Ta­gen eben­so fröh­lich wie jetzt und jag­te das Blut schnel­ler um, ge­nau so wie heu­te. Der Him­mel war blau am Nach­mit­tag, wei­ße Hau­fen­wol­ken se­gel­ten über ihn, und der Süd­west­wind kam wie eine sanf­te Lieb­ko­sung. Die jüngst heim­ge­kehr­ten Schwal­ben stri­chen hin und her. Die Ufer des Flus­ses wa­ren mit wei­ßen Ra­nun­keln be­sät und die sump­fi­gen Stel­len starr­ten von Wie­sen­kres­se, und Samt­pap­peln leuch­te­ten her­vor, wo die Schwer­ter des Ried­gra­ses es zulie­ßen. Die nord­wärts zie­hen­den Fluss­pfer­de, glän­zend schwar­ze Un­ge­heu­er, trie­ben plump ihr Spiel und ka­men da­her in ei­nem dun­keln Ge­fühl der Freu­de, über­all her­um­pat­schend und -klat­schend, und nur von dem einen kla­ren Ge­dan­ken be­ses­sen, das Was­ser des Flus­ses trü­be zu sprit­zen.

Fluss­auf­wärts, und nicht weit von den Fluss­pfer­den, plantsch­ten eine Men­ge klei­ne, le­der­gel­be Tie­re im Was­ser. Da gab’s we­der Angst noch Feind­schaft zwi­schen ih­nen und den Fluss­pfer­den. Wenn die großen Un­ge­tü­me durch das Schilf da­her­ge­tram­pelt ka­men und den Was­ser­spie­gel in Sil­ber­split­ter zer­schlu­gen, schri­en und tob­ten die­se klei­nen Ge­schöp­fe vor Lust. Es war das si­chers­te Zei­chen des vol­len Früh­lings. »Buluh!« rie­fen sie. »Baa­jah! Buluh!« Es wa­ren die Kin­der des Men­schen­volks, von des­sen La­ger­plat­ze auf dem Hü­gel am Fluss­knie der Rauch auf­stieg. Wil­d­äu­gi­ge Bur­schen wa­ren es, mit ver­filz­tem Haar und klei­nen, breit­na­si­gen Ko­bold­ge­sich­tern, die (wie man­che Kin­der so­gar heut­zu­ta­ge noch) mit ei­nem zar­ten Flaum klei­ner Här­chen be­deckt wa­ren. Sie wa­ren schmal in den Hüf­ten und hat­ten lan­ge Arme. Ihre Ohren hat­ten kei­ne Läpp­chen, son­dern klei­ne spit­zi­ge Zip­fel, et­was, das auch jetzt noch manch­mal vor­kommt. Sp­lit­ter­nack­te, aus­ge­las­se­ne klei­ne Zi­geu­ner, be­weg­lich wie Af­fen und wie die­se voll Ge­schnat­ter, ob­wohl es ih­nen ein we­nig an Wor­ten man­gel­te.

Die Äl­te­ren des Stam­mes wa­ren den sich wäl­zen­den Fluss­pfer­den durch den Hü­gel­kamm ver­bor­gen. Der Sied­lungs­platz der Men­schen war nie­der­ge­stampf­ter Bo­den in­mit­ten der to­ten brau­nen Zwei­ge der Kö­nigs­far­ne, zwi­schen de­nen die neu­en Blü­ten des Bi­schofs­sta­bes sich in dem Lich­te und der Wär­me ent­roll­ten. Das Feu­er war ein rau­chen­der, koh­len­der Hau­fen, hell­grau und schwarz, den die al­ten Frau­en von Zeit zu Zeit mit brau­nen Blät­tern neu an­fach­ten. Die meis­ten Män­ner schlie­fen – sie schlie­fen sit­zend, die Stir­ne auf den Kni­en. Sie hat­ten die­sen Mor­gen auf der Jagd gute Beu­te ge­macht, ein Wild, das von ja­gen­den Hun­den ver­wun­det wor­den war, für alle ge­nug; so gab’s denn kei­nen Streit un­ter ih­nen, und ei­ni­ge Frau­en nag­ten noch an den Kno­chen, die ver­streut wor­den wa­ren. An­de­re mach­ten aus Blät­tern und Äs­ten einen Hau­fen, um »Bru­der Feu­er« zu füt­tern, da­mit er da­von groß und stark wer­de, wenn die Dun­kel­heit wie­der­käme, und sie vor den wil­den Tie­ren schüt­ze. Und zwei sta­pel­ten Kie­sel­stei­ne auf, die sie vom Ufer des Flus­ses, wo die Kin­der spiel­ten, her­bei­tru­gen, einen gan­zen Arm voll auf ein­mal.

Kei­ner von die­sen le­der­häu­ti­gen Wil­den war be­klei­det, aber man­che tru­gen rohe Gür­tel aus Schlan­gen­haut um die Hüf­ten oder knis­tern­de, un­be­ar­bei­te­te Häu­te, an de­nen klei­ne Beu­tel hin­gen, die aus ab­ge­ris­se­nen Tier­pfo­ten ge­macht wa­ren. Da­rin tru­gen sie die roh be­haue­nen Feu­er­stei­ne – die da­mals die Haupt­waf­fen und -werk­zeu­ge der Men­schen wa­ren. Und eine Frau, die Ge­fähr­tin Uyas, des »Schlau­en Man­nes«, trug eine wun­der­vol­le Hals­ket­te von auf­ge­reih­ten Stei­nen – die schon an­de­re vor ihr ge­tra­gen hat­ten. Ne­ben ei­ni­gen der schla­fen­den Män­ner la­gen die großen Ge­wei­he des El­ches, de­ren Za­cken an den Kan­ten scharf ge­macht, und lan­ge Stö­cke, de­ren En­den mit Stei­nen zu schar­fen Spit­zen ge­hau­en wa­ren. Au­ßer die­sen Din­gen und dem rau­chen­den Feu­er gab es we­nig, was die mensch­li­chen Ge­schöp­fe von den wil­den Tie­ren un­ter­schied, die rings das Land durch­streif­ten. Aber Uya der Schlaue schlief nicht; er saß da, einen Kno­chen in der Hand, und schab­te em­sig dar­an mit ei­nem Feu­er­stein – kein Tier hät­te das ge­tan. Er war der äl­tes­te Mann des Stam­mes, mit bu­schi­gen Au­gen­brau­en und dün­nen, lan­gen Ar­men. Er hat­te einen Bart und sei­ne Wan­gen wa­ren haa­rig, und sei­ne Brust und Arme wa­ren schwarz vor dich­tem Haar­wuchs. So­wohl um sei­ner Stär­ke wie um sei­ner Schlau­heit wil­len war er Herr des Stam­mes, und sein An­teil war stets der größ­te und der bes­te.

Ju­di­na hat­te sich zwi­schen den Er­len ver­steckt, denn sie fürch­te­te sich vor Uya. Sie war noch ein Mäd­chen, ihre Au­gen wa­ren hell, und ihr Lä­cheln war lieb­lich an­zu­se­hen. Er hat­te ihr ein Stück von der Le­ber ge­ge­ben, ein Stück für Män­ner, eine gar herr­li­che Mahl­zeit für ein Mäd­chen. Aber als sie es ge­nom­men hat­te, sah die an­de­re Frau, die mit der Hals­ket­te, sie mit ei­nem bö­sen Blick an, und Ugh-lomi ließ einen gur­geln­den Laut hö­ren. Da­rauf­hin hat­te ihn Uya lang und fest an­ge­se­hen und Ugh-lo­mis Blick hat­te sich ge­senkt. Dann hat­te Uya sie an­ge­se­hen. Sie hat­te Angst be­kom­men und sich fort­ge­stoh­len, wäh­rend die an­de­ren wei­ter aßen und Uya sich em­sig mit dem Mark ei­nes Kno­chens be­schäf­tig­te. Her­nach war er um­her­ge­gan­gen, als woll­te er nach ihr se­hen. Und jetzt hock­te sie un­ter den Er­len und frag­te sich im­mer wie­der, was Uya wohl mit dem Stein und dem Kno­chen ma­chen wer­de. Und Ugh-lomi war nicht zu se­hen.

Plötz­lich kam ein Eich­hörn­chen zwi­schen den Er­len da­her­ge­sprun­gen, und sie lag so still, dass der klei­ne Mann nur noch sechs Fuß von ihr ent­fernt war, ehe er sie sah. Da nahm er has­tig einen Zweig auf und be­gann auf sie los­zu­schnat­tern und zu zan­ken: »Was machst du da, ab­seits von den an­de­ren Men­schen­tie­ren?« frag­te er. »Still!« sag­te Ju­di­na. Aber er schnat­ter­te noch mehr, und da be­gann sie die klei­nen schwar­zen Tan­nen­zap­fen ab­zu­bre­chen und nach ihm zu wer­fen. Er sprang kreuz und quer, um sie zu fop­pen, und for­der­te sie her­aus, und das feu­er­te sie an; sie sprang auf, um bes­ser wer­fen zu kön­nen, und da sah sie Uya, der den Hü­gel her­un­ter­kam. Er hat­te die Be­we­gung ih­res blas­sen Ar­mes im Dickicht ge­se­hen – er hat­te sehr schar­fe Au­gen.

Dar­über ver­gaß sie das Eich­hörn­chen und mach­te sich da­von, zwi­schen Er­len und Schilf­rohr, so schnell sie nur konn­te. Es war ihr gleich­gül­tig, wo­hin sie kam, wenn sie nur Uya ent­ging. Sie wa­te­te fast knie­tief durch eine sump­fi­ge Stel­le und sah vor sich einen Ab­hang voll Farn­kräu­ter, – die dün­ner und grü­ner wur­den, je wei­ter sie aus dem Licht in den Schat­ten der jun­gen Kas­ta­ni­en­bäu­me ka­men. Bald war sie in­mit­ten der Bäu­me – sie hat­te sehr flin­ke Bei­ne und sie lief wei­ter und im­mer wei­ter, bis der Wald dicht wur­de und die Tä­ler tiefer; die Wein­ran­ken um die Stäm­me wa­ren dort, wo das Licht ein­fiel, dick wie jun­ge Bäu­me, und die Efeu­ran­ken stark und dicht. Und wei­ter lief sie und ver­dop­pel­te ihre Schrit­te im­mer von Neu­em, und end­lich leg­te sie sich hin, zwi­schen ei­ni­ge Far­ne, in eine klei­ne Mul­de ne­ben ei­nem Dickicht, und horch­te, wäh­rend das Herz ihr in den Ohren poch­te.

Plötz­lich hör­te sie Schrit­te im wel­ken Lau­be ra­scheln, weit weg, und dann star­ben sie wie­der hin und al­les war still, bis auf das Schwir­ren der Mücken – denn der Abend brach her­ein – und das un­auf­hör­li­che Wis­pern der Blät­ter. Heim­lich lach­te sie bei dem Ge­dan­ken, dass der schlaue Uya an ihr vor­über­ge­hen könn­te. Sie hat­te kei­ne Angst. Schon man­ches­mal, wenn sie mit den an­de­ren Kna­ben und Mäd­chen ge­spielt hat­te, war sie in den Wald ge­flo­hen, al­ler­dings nie­mals zu­vor so weit wie jetzt. Es war lus­tig, ver­steckt und al­lein zu sein. –

Lan­ge Zeit lag sie da und freu­te sich, dass sie ent­wischt war; dann setz­te sie sich auf und horch­te.

Es war ein schnel­les Tram­peln, das lau­ter wur­de und auf sie zu­kam, und nach ei­ner klei­nen Wei­le konn­te sie lau­tes Grun­zen hö­ren und das Knacken bre­chen­der Zwei­ge. Es war eine Her­de ma­ge­rer scheuß­li­cher Wild­schwei­ne. Sie dreh­te sich um, denn ein Eber ist ein üb­ler Ge­sel­le, und es ist nicht gut, ihm all­zu nah zu kom­men, weil er mit sei­nen Hau­ern nach der Sei­te stößt, und sie mach­te sich da­von, quer durch den Wald. Aber das Ge­tram­pel kam nä­her, sie fra­ßen nicht wäh­rend des Mar­sches, son­dern sie lie­fen schnell – sonst hät­ten sie sie nicht über­holt – da er­fass­te sie einen Bau­mast, schwang sich hin­auf und lief den Stamm em­por, mit ei­ner af­fen­ähn­li­chen Ge­schick­lich­keit.

Tief un­ten zo­gen die dür­ren, bors­ti­gen Rücken der Schwei­ne eben vor­bei, als sie hin­ab­schau­te. Und sie wuss­te, dass die­ses kur­ze, ab­ge­ris­se­ne Grun­zen Furcht be­deu­te­te. Wo­vor fürch­te­ten sie sich? Ein Mensch? Sie wa­ren in zu großer Hast, als dass es nur ein Mensch hät­te sein kön­nen.

Und dann – es ge­sch­ah so plötz­lich, dass sie sich un­will­kür­lich fes­ter an den Ast klam­mer­te – sprang ein Reh­kalb in den Farn­kräu­tern auf und lief hin­ter den Schwei­nen her. Noch et­was an­de­res ging vor­bei, klein und grau, mit ei­nem lan­gen Kör­per; sie wuss­te nicht, was es war, wirk­lich, sie sah es nur einen Au­gen­blick lang zwi­schen den jun­gen Blät­tern; und dann kam eine Pau­se.

Sie blieb starr und er­war­tungs­voll, fast so steif, als wäre sie ein Teil des Bau­mes, an den sie sich klam­mer­te, und starr­te hin­un­ter.

Dann, weit weg, zwi­schen den Bäu­men, einen Au­gen­blick lang deut­lich, dann wie­der ver­deckt, dann wie­der er­kenn­bar, knie­tief in den Farn­kräu­tern, dann wie­der ver­schwun­den – lief ein Mann. Sie wuss­te, dass es der jun­ge Ugh-lomi war, sie er­kann­te ihn an der hel­len Far­be sei­ner Haa­re, und es war Ro­tes auf sei­nem Ge­sicht. Sei­ne wahn­sin­ni­ge Flucht und die­ses schar­lach­ro­te Mal ver­ur­sach­ten ihr ir­gend ein Ge­fühl des Un­be­ha­gens. Und dann kam, nä­her und nä­her, müh­sam lau­fend und schwer at­mend, ein zwei­ter Mann. Erst konn­te sie nicht se­hen und dann sah sie, ver­kürzt, aber deut­lich für sie, Uya, lau­fend, mit großen Schrit­ten und star­ren Au­gen. Er ging nicht hin­ter Ugh-lomi her. Sein Ge­sicht war weiß. Es war Uya – in Angst! Er lief vor­bei, und man konn­te ihn noch deut­lich hö­ren, als et­was an­de­res, et­was Gro­ßes mit grau­em Fell, das sich mit wei­chen, schnel­len Schrit­ten vor­bei­schwang, ra­schelnd hin­ter­her kam und ihn ver­folg­te.

Ju­di­na er­starr­te plötz­lich, hör­te auf zu at­men und klam­mer­te sich mit stie­ren Au­gen krampf­haft an den Stamm.

Sie hat­te das Ding nie zu­vor ge­se­hen, sie sah es nicht ein­mal jetzt ganz deut­lich, und doch er­kann­te sie es so­fort: es war der »Schre­cken des Wal­des­dun­kels.« Sein Name war ein Mär­chen, die Kin­der er­schreck­ten ein­an­der da­mit, er­schreck­ten ein­an­der mit dem blo­ßen Na­men, und rann­ten schrei­end zur Sied­lung. Kein Mensch hat­te je­mals einen sei­nes Stam­mes ge­tö­tet. So­gar das mäch­ti­ge Mam­mut fürch­te­te sei­nen Zorn. Es war der Grizz­ly­bär, der Herr der Welt, je­ner Welt von da­mals.

Wäh­rend des Lau­fens ließ er fort­wäh­rend ein zor­ni­ges Brum­men hö­ren. »Men­schen sind mit­ten in mei­nem La­ger! Kampf und Blut! Gera­de am Ein­gang mei­nes La­gers! Men­schen, Men­schen, Men­schen! Kampf und Blut!« Denn er war der Herr des Wal­des und der Höh­len.

Lan­ge nach­dem er vor­bei war, blieb sie wie ver­steint und starr­te hin­un­ter durch die Zwei­ge. Die gan­ze Frei­heit ih­rer Be­we­gung war ge­schwun­den. In­stink­tiv klam­mer­te sie sich mit Hän­den und Kni­en und Fü­ßen fest. Es dau­er­te eine gute Wei­le, be­vor sie den­ken konn­te, und auch dann war ihr nur das eine klar be­wusst, dass der »Schre­cken« zwi­schen ihr und dem Stam­me war – dass es un­mög­lich wäre, hin­un­ter­zu­stei­gen.

Als je­doch ihre Furcht ein we­nig nachließ, klet­ter­te sie in eine be­que­me­re Stel­lung, in die Ga­be­lung ei­nes großen As­tes. Die Bäu­me er­ho­ben sich rings um sie, so­dass sie nichts vom Bru­der Feu­er se­hen konn­te, der bei Tag schwarz ist. Die Vö­gel be­gan­nen sich zu re­gen, und al­les, was sich aus Angst vor ih­ren Be­we­gun­gen ver­steckt hat­te, kroch wie­der her­vor …

Nach ei­ner Wei­le flamm­ten die höchs­ten Zwei­ge auf, von den Strah­len der un­ter­ge­hen­den Son­ne be­rührt. Hoch oben kehr­ten die Krä­hen, die wei­ser wa­ren als die Men­schen, kräch­zend zu ih­ren Sam­mel­plät­zen in den Ul­men heim. Wenn man hin­un­ter­sah, wur­den die Din­ge kla­rer und dunk­ler. Ju­di­na dach­te dar­an, zur Sied­lung zu­rück­zu­ge­hen: sie glitt ir­gend­wie her­ab, und dann kam die Angst vor dem »Schre­cken des Wal­des­dun­kels« wie­der. Wäh­rend sie zö­ger­te, schrie ein Ka­nin­chen ängst­lich auf, und sie wag­te es nicht, wei­ter hin­un­ter­zu­stei­gen.

Die Schat­ten rück­ten zu­sam­men und das Dun­kel des Wal­des be­gann sich zu re­gen. Ju­di­na klet­ter­te wie­der den Baum hin­auf, um dem Lich­te nä­her zu sein. Tief un­ten tra­ten die Schat­ten aus ih­ren Ver­ste­cken her­vor und wan­der­ten her­um. Über Ju­di­nas Haupt dun­kel­te das Blau des Him­mels. Es kam eine furcht­ba­re Stil­le, und dann be­gan­nen die Blät­ter zu flüs­tern.

Ju­di­na schau­der­te und dach­te an Bru­der Feu­er.

Die Schat­ten sam­mel­ten sich nun in den Bäu­men, sie sa­ßen in den Zwei­gen und be­ob­ach­te­ten sie. Zwei­ge und Blät­ter nah­men be­ängs­ti­gen­de, ganz schwar­ze Ge­stal­ten an, die auf sie sprin­gen wür­den, falls sie sich reg­te. Dann kam die wei­ße Eule mit ih­rem ge­räusch­lo­sen Flat­tern geis­ter­haft durch die Schat­ten. Die Welt wur­de dunk­ler und im­mer dunk­ler, bis die Blät­ter und Zwei­ge schwarz wa­ren ge­gen den Him­mel und der Bo­den nicht mehr zu er­ken­nen.