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Nach dem großen Erfolg ihrer Trilogie 'Masken aus Glas', 'Herbstgewitter' und 'Sascha' gibt es nun den vierten Roman von Andy Claus. Die Handlung führt den Leser wieder nach Köln und wer bereits die Trilogie kennt, wird sich in der Stadt am Rhein heimisch fühlen und vertrauten Personen begegnen.Der junge Anwalt Ulrich von Eichendorff stammt aus reichem Elternhaus und führt ein exzessives Leben, um sich vor seinem dominanten Vater als richtiger Mann zu beweisen. Auf Drängen seiner langjährigen Freundin gibt er seinen unsteten Lebenswandel auf, die Hochzeit ist geplant und somit sind scheinbar alle Wege in ein bürgerliches Leben geebnet. Aber während der Trauung kommt es zu einer Tragödie - maskierte Männer richten in der Kirche ein Blutbad an und entführen den millionenschweren Bräutigam. Ulrich erfährt zum ersten Mal in seinem Leben Gewalt und Erniedrigung, durchlebt die Angst des Ausgeliefertseins und schliesst mit seinem Leben ab. Doch es gibt jemanden, der für Ulrich sein eigenes Leben aufs Spiel setzt.Die Entführung bringt eine ungewöhnliche Wendung für das Schicksal des jungen Anwaltes, er entdeckt sein wahres Ich. In gewohnt amüsanter Form erzählt Andy Claus einfühlsam die Liebesgeschichte von Ulrich und Patrick mit all den Widrigkeiten und Hindernissen eines Coming Outs. Doch gefährliche Vorgänge um die mörderische Entführung und tödlicher Hass lassen die junge Liebe nicht zur Ruhe kommen.
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Seitenzahl: 306
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Ulrich von Eichendorff
Autobiographie einer schwulen Leidenschaft
www.andy-claus.de
Weitere Romane:
Masken aus Glas ISBN 978-3-934825-14-7
Herbstgewitter ISBN 978-3-934825-20-8
Sascha - Das Ende der Unschuld ISBN978-3-934825-26-0
Ulrich von Eichendorf ISBN978-3-934825-34-5
Tödliche Verführung ISBN978-3-934825-48-2
Die Qual der Bestie ISBN 3-938607-0-41
Louis und Justin ISBN978-3-934825-56-7
Kurzgeschichten:
Gay Universum 1 ISBN978-3-934825-37-6
Gay Universum 2, ISBN978-3-934825-44-4
Kirchenweg 12, 20099 Hamburg
E-mail: [email protected]
www.himmelstuermer.de
Foto: mit freundlicher Genehmigung von Heiko und Silvio, www.art-e.de.vu
Originalausgabe, September 2004
Digitale Ausgabe Frühjahr 2013
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
ISBN print : 978-3-934825-34-6
ISBN e pub: 978-3-86361-312-9
ISBN pdf: 978-3-86361-313-6
Tragödie bei Prominentenhochzeit – Blutbad in Köln
Gestern fanden bei der als Hochzeit des Jahres bezeichneten Eichendorff-Trauung drei Menschen den Tod und vier weitere wurden schwer verletzt, als drei maskierte, bewaffnete Männer den Bräutigam, Millionenerbe Ulrich von Eichendorff (29), verschleppten.Kurz bevor das junge Paar den Traualtar erreichte, wurde die Kirchentür aufgerissen. Drei durch schwarze Skimasken unkenntlich gemachte Männer stürmten das Gotteshaus und machten sich den anschließenden Tumult zunutze, den Bräutigam, Sohn des Großindustriellen der Pharmaziebranche Otto von Eichendorff (67) in ihre Gewalt zu bringen. Einer der Täter schoss eine Salve aus seinem Schnellfeuergewehr in die Decke des Kirchenschiffes. Die beiden anderen hatten mit Ulrich von Eichendorff die Kirche bereits wieder verlassen, als der letzte Entführer sich vollkommen überraschend noch einmal umdrehte und ohne Warnung in die Menge schoss. Was ihn zu diesem Akt der Gewalt bewogen hat, konnte bisher nicht geklärt werden. Zeugen sagten jedoch aus, dass er immer wieder die Worte „Krepiert alle! Scheiß Kapitalistenpack!“ schrie. Bei der Bluttat wurde die Braut, Vanessa Steinbeck (25), von mehreren Schüssen getroffen und auf der Stelle getötet. Einer der Trauzeugen und die Freundin der Braut erlagen auf dem Transport bzw. in der Klinik ihrenschweren Verletzungen. Vier weitere namentlich noch nicht bekannte Hochzeitsgäste wurden in die Universitätskliniken eingeliefert. Über das Befinden dieser Personen lag bei Redaktionsschluss noch nichts vor. Die Kriminalpolizei tippt auf Kidnapping und erwartet in allernächster Zeit eine Nachricht und die eventuelle Lösegeldforderung der Entführer.
Zum wiederholten Mal kam Kommissar Wedekind zur Eichendorff - Villa. Aber erst jetzt, gute neun Stunden nach dem Vorfall in der Kirche bekam er die Möglichkeit, mit jemanden aus der Familie zu sprechen. Otto von Eichendorff, der 67jährige Vater des Entführten, sah sich nun zur Mitarbeit in der Lage. Jetzt stand der übermüdete Kommissar mit seinem Assistenten Siegfried Löbel in dem riesigen, teuer ausgestatteten Wohnzimmer.
„Mensch, Karl! Wenn ich mich hier so umsehe, kriege ich direkt Komplexe. Verdammt ungerecht, dass Leute so unverschämt reich sind und mir reißt schon mein Einzimmerappartement mit Blick auf den Hinterhofmülleimer ein schwer zu ertragendes Loch in die Brieftasche!“, flüsterte Löbel.
Der Kommissar rieb sich die rotgeränderten Augen und erwiderte:
„Spricht aus dir der Neid? Oder befasst du dich seit neuestem mit Kommunismus? Dass du dir bei unserer Arbeit keine goldene Nase verdienst, hast du doch sicherlich vorher gewusst. Das fehlende Geld am Monatsende muss eben der Idealismus ersetzen, ohne den du sowieso besser Totengräber geworden wärst!“
Siegfried kannte die sarkastische Art seines Chefs. Kurz überlegte er, ob er sich auf eine solche Diskussion einlassen sollte. Da der Hausherr immer noch auf sich warten ließ, begann er wieder:
„Wenn mir das alles hier gehören würde, könnte ich aus Angst, mir würde was abhanden kommen, keine Nacht mehr schlafen, Chef!“
„Na, dann sei doch zufrieden! Außerdem macht es doch gar keinen Unterschied. Im Moment schlafen wir nachts schließlich auch nicht ... weil wir ermitteln. Nur dass wir uns den Arbeitsschweiß nicht unter einer vergoldeten Dusche abwaschen,sondern aus einer solchen Nasszelle höchstens die Leichen raussammeln dürfen.“
Siegfried musste grinsen. Er kannte auch den zynischen Ausdruck auf dem Gesicht des Kommissars nach solchen Nächten nur zu gut und wusste, dass jetzt nicht mit ihm zu reden war. Er würde nur bissige Antworten bekommen.
Dann öffnete sich auch endlich die Tür und ein hochgewachsener älterer Herr kam herein. Er war weißhaarig und beinahe dürr. Eine Aura der Unnachgiebigkeit und Strenge umgab ihn. Er kam auf die beiden Beamten zu und reichte ihnen nacheinander die Hand, ehe er sagte:
„Guten Tag, meine Herren. Bitte entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt für Sie zu sprechen bin. Aber es ist in meinem Alter keine Kleinigkeit, einem solchen Gewaltakt beizuwohnen!“
Kommissar Wedekind nickte und antwortete spitz:
„Das ist wohl in keinem Alter eine Kleinigkeit, vor allem nicht für die direkten Opfer wie Ihr Sohn eines ist!“
Otto von Eichendorff sah ihn eigentümlich an und sagte dann:
„Sicher, da haben Sie wohl recht. Wie kann ich Ihnen jetzt helfen? Ich glaube nicht, dass ich etwas gesehen habe, das nicht schon von anderen Zeugen geschildert wurde!“
„Mit diesen Fragen wollen wir Sie im Moment auch nicht behelligen. Was wir vor allen Dingen wissen müssen ist, ob sich die Entführer schon bei Ihnen gemeldet haben?!“
Von Eichendorff sah von einem zum anderen:
„Sie gehen davon aus, dass es eine Entführung und kein Racheakt ist?“
„In erster Linie schon. Oder haben Sie Gründe anzunehmen, dass sich jemand an Ihnen rächen will?"
„In meiner Position muss man mit so etwas immer rechnen!“, erwiderte von Eichendorff ausweichend. Der Kommissar musterte ihn kurz, dann fuhr er fort:
„Da die Täter bei einer solchen spektakulären Aktion auf jeden Fall damit rechnen müssen, dass sich die Polizei einschaltet, müssen sie sich ihrer Sache ziemlich sicher sein. Sie wissen, normalerweise spielen sich Entführungen im Stillen ab und nicht wie hier so übertrieben brutal in aller Öffentlichkeit. Ich nehme an, dass die Täter einen sehr hohen Geldbetrag fordern werden. Schließlich haben sie vorab schon einmal bewiesen, dass sie vor nichts zurückschrecken.“
Von Eichendorff hatte sich hingesetzt und bot auch den beiden Polizisten Platz an. Kein Muskel regte sich in seinem Gesicht.
„Was glauben Sie, wird als nächstes passieren?", fragte er.
„Wie gesagt, ich erwarte, dass die Männer sich melden. Ob nun schriftlich oder mündlich wird sich zeigen.“
„Sagen Sie, wenn es eine Entführung war, wieso hat dieser Verbrecher geschossen, nachdem alles schon so gut wie zu Ende war? Er hatte keinen Grund dazu, er hätte einfach hinausspazieren können wie seine Komplizen auch. Aber er hat geschossen, als hätte er einen persönlichen Hass auf die Hochzeitsgesellschaft!“
Kommissar Wedekind nickte nachdenklich:
„Das hat mich auch beschäftigt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dieser bewaffnete Überfall zwar zur Demonstration ihrer kompromisslosen Machtposition geplant war, die Morde jedoch nicht. Einer der Entführer hat aus einem unerfindlichen Grund durchgedreht. Er ist vielleicht ein Psychopath. Es kann allerdings auch sein, dass Sie ihm oder seiner Familie einmal ... na, wie soll ich mich ausdrücken ... geschadet haben. Und als er Sie dort in Festtagsstimmung und teurer Garderobe gesehen hat, ist er ausgeflippt.“
Von Eichendorff stand auf und ging zum großen Panoramafenster. Er legte seine Hände auf den Rücken, wippte auf den Zehenspitzen und schaute hinaus. Der Kommissar sah Siegfried an und zog eine Augenbraue hoch. Siegfried zuckte die Schultern und beide sahen zu dem scheinbar abwesenden Mann hinüber, der sich nach einem Moment umdrehte, wieder zu ihnen kam und sich setzte.
„Meine Herren, ich weiß wirklich nicht, was da vorgefallen sein könnte. Ich glaube dann wohl eher an die Version mit dem Psychopaten. Was denken Sie, wird mein Sohn unbeschadet freikommen, wenn ich zahle?“
„Das ist wohl die Frage bei allen Entführungen, man kann sie definitiv nicht beantworten. Man muss nach Fakten gehen. Und ein Fakt ist, dass die Täter vor nichts zurückschrecken. Wir sollten davon ausgehen, dass das Opfer freikommt. Aber verlassen kann man sich darauf nicht!“
„Ich sehe, ich habe in Ihnen einen realistischen Menschen vor mir. Ich freue mich, dass Sie mir nichts vormachen. Wir müssen vor der Zahlung also auch andere Möglichkeiten abklopfen. Was schlagen Sie vor?“
Jetzt stand Kommissar Wedekind auf.
„Darf ich rauchen?“
„Natürlich!“
„Danke. Unsere einzige Chance die Täter zu fassen ist im Zusammenhang mit der Übergabe. Ratsam ist der Zugriff jedoch nicht, weil andere Täter bei Ihrem Sohn verbleiben werden. Trotzdem war und ist die Geldübergabe der Schwachpunkt jeder Entführung.“
„Ich frage noch mal - was schlagen Sie vor?“
„Erst einmal abwarten bis die Forderungen kommen!“
„Ja, meine Herren. Warten wir also! Gestatten Sie, dass ich nach meiner Frau sehe? Sie hat eine Beruhigungsspritze bekommen, es geht ihr nicht gut. Ich lasse sie sehr ungern allein!"
Von Eichendorff verließ das Zimmer. Siegfried, der bisher geschwiegen hatte, sagte:
„Sieh mal einer an, er schaut nach seiner Frau. Er scheint sich Sorgen um sie zu machen. So eine Gefühlsregung hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Um seinen Sohn scheint er sich jedenfalls keine allzu großen Sorgen zu machen!“
„Kaltschnäuzigkeit gehört nun mal dazu, wenn man so ein Imperium führt. Er lässt sich die Butter nicht so schnell vom Brot nehmen.“
„Schön und gut Chef, aber was sagt Ihnen Ihre Menschenkenntnis jetzt? Wird er zahlen?"
„Er wird versuchen, es zu umgehen!“
„Trotz allem was geschehen ist?“
„Trotz oder wegen allem. Er wird nicht zahlen, wenn er keine echte Chance sieht. Ich glaube, da wird er genau abwägen und einem toten Sohn nicht auch noch ein paar Millionen Mark hinterherwerfen. Aber wir werden sehen.“
Jetzt hatte Siegfried seine Antwort. Er selbst hegte gleich von Anfang an eine Aversion gegen von Eichendorff und wusste nun, dass auch sein Chef letzteren als einen gnadenlos materialistisch eingestellten Patriarchen eingestuft hatte.
„Wieso hat er das Gespräch dann so einfach abgebrochen? Die Sorge um seine Frau passt ja nun wirklich nicht in das Bild dieses Chauvis!“
Wedekind rieb sich das Kinn.
„Das frage ich mich auch. Vor allem, weil wir noch nicht alles besprochen haben!“
Im nächsten Moment betrat von Eichendorff das Zimmer erneut.
„Behalten Sie Platz, meine Herren. Sagen Sie mir, was genau jetzt weiter geschieht."
„Wir werden eine Abhöranlage einrichten, um das Telefon
zu kontrollieren. Zwei Beamte werden immer im Haus sein. Wenn sich das schnell einrichten ließe, wäre uns allen geholfen.“
„Natürlich! Gehe ich recht in der Annahme, dass vorläufig Sie beide diese Männer sein werden?“
„Richtig. Wie geht es Ihrer Frau?“
„Sie schläft. Wissen Sie, unser Sohn war ihr ein und alles, es war schon schlimm genug für sie, dass er heiraten wollte!“
„Wenigstens ein gesund reagierender Elternteil!“, murmelte Siegfried.
„Mein Sohn hatte sich mir schon vor langer Zeit entzogen. Wir waren uns vollkommen fremd. Seit er durchgesetzt hatte, Rechtsanwalt zu werden, um später die Firma nicht führen zu müssen, hatten sich unsere Wege getrennt. Er hatte schon immer die fixe Idee, es ganz allein zu schaffen. Meine Frau unterstützte ihn immer. So kam es auch, dass er Sozius in der Rechtsanwaltskanzlei Kruse & Sohn wurde. In Ermangelung eines eigenen Sohnes, der sich irgendwo in Indien herumtreibt, nahm Kruse, übrigens ein Mann in meinem Alter, meinen Sohn auf. Ulrich hatte zwar ein eigenes Vermögen und seine Mutter schoss ihm monatlich auch ein paar Tausender zu, aber so weit ich weiß, lebte er nicht sehr aufwendig. Er hatte eine einfache Wohnung in der Stadt. Wenigstens wohnte er nicht zur Miete, es ist eine Eigentumswohnung ... eine Art Penthaus. Dort wollte er mit seiner Frau Vanessa leben. Der rote Porsche draußen gehörte ihm auch!“
„Herr von Eichendorff! Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie von Ihrem Sohn in der Vergangenheitsform sprechen?“, entfuhr es Siegfried, was er eigentlich nur denken wollte. Von Eichendorff stand wieder am Fenster und reagierte überhaupt nicht auf diesen Hinweis.
Im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen und eine ältere Frau, die früher einmal sehr schön gewesen sein musste, kam ins Zimmer gestürzt. Sie trug einen Morgenmantel und war leichenblass.
„Sind das die Herren von der Polizei?“, fragte sie zu Eichendorff gewandt. Als dieser nickte, kam sie auf die beiden Beamten zu.
„Nicht wahr, Sie werden dafür sorgen, dass Ulrich nichts passiert!“ Ihre Stimme wurde schrill. „Alle sagen, Sie wissen genau, was zu tun ist. Sie retten ihn doch oder nicht?“
Mit flehendem Blick sah die Frau den Kommissar an. Dann war Eichendorff auch schon da und griff sanft nach den Schultern der Frau.
„Komm, Beatrice. Du musst dich wieder hinlegen. Der Arzt sagt... !“
Wie eine Furie drehte die Frau sich herum und stieß ihn weg.
„Der Arzt sagt ... der Arzt sagt! Er kann mir gestohlen bleiben, verstehst du? Was verlangst du? Soll ich ruhig mit ansehen wie sie meinen Sohn töten?“
Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte verzweifelt auf.
„Oh mein Gott, Ulrich!“
Von Eichendorff unternahm einen weiteren Versuch, seine Frau aus dem Zimmer zu schieben. Zu den beiden Beamten gewandt sagte er:
„Entschuldigen Sie uns bitte, meiner Frau geht es wie Sie sehen sehr schlecht. Sie braucht unbedingt Ruhe, ich werde sie jetzt wieder hinaufbringen!“
Beatrice von Eichendorff sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
„Nein, ich werde nicht hinaufgehen! Versuch erst gar nicht, dich meiner zu entledigen! Sag ehrlich, ist es dir nicht ganz recht, dass Ulrich das passiert ist? Er hatte doch schon lange eine Strafe verdient, nicht wahr? Nie hat der Junge gemacht, was du gesagt hast. Nie wollte er tun, was du wolltest und er hat sich auch nicht kaufen lassen. Hattest du ihm nicht prophezeit, dass es einmal schlimm mit ihm enden wird?“
„Bitte Beatrice, nicht jetzt! Du weißt nicht, was du sagst!“
Von Eichendorff war die Szene sichtlich unangenehm. Sein Griff war jetzt nicht mehr sanft, er ließ keinen Widerstand mehr zu und führte seine Frau hinaus. Als er wenig später zurückkam, entschuldigte er sich für das Verhalten seiner Frau und sagte:
„Sie ist dieser Belastung nicht gewachsen! Sie war schwierigen Umständen noch nie gewachsen! Ich habe ein Leben lang alles Außergewöhnliche, Konflikte und Probleme von ihr ferngehalten. Das hat sie etwas weltfremd gemacht. Ich weiß, sie hat esjetzt besonders schwer! Ja, meine Herren! Familiäre Probleme werden Sie nicht weiter interessieren, wo waren wir also?“
Der Kommissar sagte:
„Solch ungeplante familiäre Vorgänge können ausgesprochen aufschlussreich sein. Gleich werden die Techniker hier sein. Sie präparieren die Telefonanlage dahingehend, dass wir die ankommenden Gespräche aufzeichnen und gegebenenfalls zurückverfolgen können!“
„Sie erwarten also eine telefonische Mitteilung über die Höhe der Forderung?“
„Ich erwarte, dass die Entführer sich melden, weiter nichts. Vielleicht finden wir ja auch einen Brief in der Post!“
Von Eichendorff schaute nervös auf seine mit Diamanten besetzteMaurice LacroixUhr. Es klingelte und er schaute dem Hausmädchen entgegen, das sich mit der Meldung von Besuchern näherte. Es waren die erwarteten Techniker. Gemeinsam richtete man sich auf die erste Schicht ein, auf den Beginn der zermürbenden Wartezeit.
Die Entführer meldeten sich an diesem ersten Tag nach der Entführung nicht. Sie leiteten damit den Nervenkrieg ein, den sie so vorzüglich zu führen verstanden.
***
Noch hatte ich nicht begriffen, was überhaupt vorging, fühlte mich wie gelähmt. Die Angst schnürte mir die Kehle zu und meine Reaktionen waren langsam wie die eines uralten Mannes.
„Beweg dich, geh weiter oder soll ich dir dein Gehirn rauspusten!?“
Einer der beiden Männer, die mich aus der Kirche geschleppt hatten, hielt mir seine Waffe an die Schläfe. Ich wehrte mich nicht, das Grauen lähmte mich. In der nächsten Sekunde wäre ich fast gestürzt, weil ich an der Schulter herumgerissen wurde. Mitten auf der Treppe stoppten sie und schauten zurück. Die riesige eisenbeschlagene Eichentür wurde aufgerissen und der dritte Maskierte kam rückwärts heraus. Er gab noch eine Salve aus seinem Schnellfeuergewehr ins Kircheninnere ab und ich hörte die Schreie. Jetzt kam er auf uns zu und stieß einen der beiden anderen Entführer an.
„Kommt schon, was ist? Wollt ihr hier auf die Bullen warten?“
Zusammen rannten wir hinunter, ich stolperte mehr als ich lief. Aber man wusste zu verhindern, dass ich fiel. Unten stand ein alter Benz, sie stießen mich hinein. Zu dritt drängten wir uns auf dem Rücksitz während der, der geschossen hatte den Wagen lenkte. Noch immer hatte ich die Magnum an der Schläfe und schloss die Augen, um sie nicht mehr zu sehen. Mein Herz schien drei Schläge wie wild zu klopfen und dann eine Weile einfach auszusetzen. Der Motor des Benz heulte auf und wenig später befanden wir uns auf dem Weg stadtauswärts.
Der Typ rechts von mir, also der ohne Waffe, sagte jetzt:
„Verdammte Scheiße, bist du irre? Wieso hast du geschossen? Das war doch gar nicht nötig!“
„Halts Maul, ich weiß schon was ich tue. Wenn du sie gesehen hättest, noch während sie in die Mündung meiner Uzzi geguckt haben, machten sie ein arrogantes Gesicht. Diese reichen Affen, sie können froh sein, dass ich sie nicht alle ausradiert habe!“
„Oh mein Gott, was war geschehen? Hatte es Tote gegeben? Und Vanessa, was war mit Vanessa? War ihr etwas passiert?“
Aber dann wurden meine Gedanken wieder in das Hier und Jetzt gerissen, der Typ mit Waffe zog Handschellen aus der Jackentasche und warf sie dem anderen zu.
„Da, bind ihn fest!“
Er nickte und riss meine Hände zu sich herüber. Einen Moment später waren meine Handgelenke miteinander verbunden. Ich schaute krampfhaft geradeaus und mein Blick traf im Rückspiegel auf den des Fahrers, der mich hasserfüllt musterte. Ich wusste nicht, was ich ihm getan hatte, ich verstand das alles nicht. Logische Schlüsse konnte ich in dieser Situation nicht ziehen.
Der Mann, der mich gefesselt hatte, begann wieder, diesmal jedoch auch in meinem Sinne zu reden:
„Hast du jemanden kalt gemacht? Sag schon!“
Der Fahrer fuhr auf den Randstreifen, drehte sich um und riss den Mann rechts von mir am Kragen zu sich heran.
„Hör zu, du Arschloch. Das ist allein meine Sache. Kümmere dich einfach nicht drum!“
„Aber wir hatten einen Plan, du hast dich nicht daran gehalten!“, wagte der andere trotzdem einzuwerfen.
„Plan ... na und? Ich habe ihn eben geändert, unseren schönen Plan. Und du Patrick, halt jetzt besser die Schnauze! Ich bin der Boss, vergiss das nicht!“
„He, bist du noch zu retten? Wieso nennst du meinen Namen? Sag doch auch gleich meine Adresse dazu und verteil Passbilder!“
Der Mann zu meiner Rechten war jetzt wirklich wütend. Aber der Fahrer drehte sich um, ließ die Kupplung los und der alte Benz machte einen Satz. Kurz darauf hatte er sich wieder in den Verkehr eingereiht. Und jetzt zog er plötzlich die Skimütze vom Kopf.
„He, was machst du?“, rief jetzt auch der andere, der immer noch die Waffe auf meinen Kopf gerichtet hatte. Aber der Fahrer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Zieht die Dinger auch aus. Hört zu - es ist ganz egal, was der Scheißer hört oder sieht, er wird es nicht weitererzählen können!“
Einen Moment war Ruhe. Ich begann heftig zu zittern. Ich versuchte es unter Kontrolle zu halten, wollte sie schließlich nicht noch mehr reizen, besonders den mit der Waffe nicht. Er war nervös genug. Am liebsten hätte ich mich auf die Größe einer Maus reduziert. Ich spürte einen Stoss in die Rippen und obwohl ich die Zähne zusammenbiss, stöhnte ich auf.
„Was ist, wird’s bald? Zieht die Dinger vom Kopf oder meint ihr, die anderen Autofahrer sind blind?“
Der eben mit Patrick angeredete begann:
„Was soll das denn alles? Du willst ihn doch nicht wirklich alle machen?“
„Wieso nicht? In der Kirche habe ich schließlich auch schon vier oder fünf das Licht ausgeblasen, auf den einen kommt es wirklich nicht mehr an!“
Nein!
Ich biss mir auf die Lippen und sog die Luft ein. Einige Sekunden war Stille, der Benz fuhr mit mäßiger Geschwindigkeit unauffällig durch immer weniger besiedelte Strassen. Es war wohl ein Industriegebiet, aber ich hatte keine Ahnung wo wir mittlerweile waren.
Wer war umgekommen? Verdammt - was war passiert?
Mehr unabsichtlich stieß ich dem mit der Waffe meinen Ellbogen in die Seite.
„Du verdammtes Aas, was soll das denn jetzt?“
In einer knappen Bewegung schlug er mir mit dem Griff der Magnum ins Gesicht. Ich spürte wie die Haut an meinem Kinn aufplatze und das warme Blut an meinem Hals hinunterlief.Der Fahrer sah wieder in den Spiegel und bleckte die Zähne. Das sollte wohl ein Lächeln sein, aber er sah aus wie ein Rottweiler kurz vor dem Angriff. Er war ein slawischer Typ, vielleicht Pole oder Ungar, worauf auch seine langgezogene Aussprache mit dem rollenden R hinwies, die jeden Satz wie den Anfang eines Kinderliedes wirken ließ. Er hatte lange ungepflegte Locken und schmale Augen. Das Bewusstsein, ihm ausgeliefert zu sein, raubte mir fast den Verstand. Die beiden anderen hatten jetzt die Mützen ebenfalls ausgezogen und irgendwie verstand ich das als Todesurteil. Jetzt hatte ich sie gesehen, es war einfach unmöglich, dass sie mich wieder laufen ließen.
Der mit der Waffe sagte jetzt:
„Wenn wir ihn sowieso kalt machen, wieso machen wir es nicht gleich hier irgendwo neben der Strasse?“
Eine eisige Hand griff an mein Herz, dabei hatte ich diese Erklärung einer Schrecksekunde bisher als übertrieben abgetan. Die Waffe wurde fester gegen meinen Kiefer gedrückt.
„Red’ doch keinen Schwachsinn, Holger. Wofür machen wir das alles? Zum Spaß? Wir wollen Kohle, oder? Und willst du das Video mit einem Toten drehen? Glaubst du, für seinen jämmerlichen Kadaver bekommen wir das, was wir uns vorgestellt haben?“
„Klar doch Manuel, schon gut, ich hatte nicht nachgedacht!“, antwortete Holger unterwürfig. Er war ein kleiner, rothaariger Mann mit einem schmalen, weißen Gesicht. Er hatte Sommersprossen und die Augen einer Ratte.
„Genau das ist dein Problem!“, sagte Manuel und ich nahm an, er münzte das auf Holgers Denken. "Es reicht, wenn du das tust, was ich dir sage oder waren meine Ratschläge schon mal schlecht?“
„Nein, nein Manuel!“, antwortet Holger mit einer geradezu hündischen Ergebenheit. Es war seltsam, was mir in diesen Momenten alles auffiel. Man sollte doch denken, dass das Gehirn völlig blockiert ist, aber das Gegenteil war der Fall. Jedenfalls bei mir. Ich sah mich zu Patrick um, der nichts mehr gesagt hatte. Er sah mir kurz in die Augen und ich glaubte, eine leichte Unsicherheit zu entdecken. Aber dann war es auch schon wieder vorbei. Draußen wurde es dunkler und Regen setzte ein. Wir waren jetzt auf irgendeiner Landstrasse. Wo würde diese verdammte Höllenfahrt enden? Der Kragen meines Smokings wurde mir zu eng, aber als ich versuchte ihn zu öffnen, schlug Holger mir mit der Waffe auf die Finger.
„Sitz still, ja? Sitz endlich still!“
Ich wagte nicht, mich noch einmal zu bewegen. Mittlerweile waren wir fast drei Stunden unterwegs, ich konnte die Uhr des Mercedes sehen. Rechts und links der Strasse flogen Felder und jede Menge Bäume vorbei. Und dann sagte Patrick:
„Soll ich ihm jetzt die Maske aufsetzen?“
„Mensch, bin ich denn nur von Idioten umgeben? Es ist doch egal, ob er sieht, wo es hingeht oder nicht. Er wird es nicht ausplaudern können. Und aus dem präparierten Zimmer kommt er auch nicht raus. Lass ihn doch wenigstens von dem Weg hier raus träumen, das ist der einzige Traum, der ihm bleibt!“
Holger lachte meckernd. Wieder schaute ich Patrick an.
„Guck geradeaus, verdammt! Was soll das?“, brüllte er mich plötzlich an. Ich sah vor mir auf die Handschellen. Bald würde es Winter sein, durch das geöffnete Fenster auf der Fahrerseite kam empfindlich kühle Luft, auch wenn es mittlerweile aufgehört hatte zu regnen.
Dann endlich wurde der Benz langsamer und bog schließlich in einen Waldweg ein. Nackte Angst packte mich, auch wenn ich wusste, sie würden mich noch nicht unmittelbar umbringen würden.
„Nein, bitte lasst mich gehen. Ich werde euch nicht erkennen, egal wo wir uns begegnen!“
Manuel sah mich durch den Rückspiegel mit hochgezogenen Augenbrauen an und legte sich eine Hand hinter das rechte Ohr.
„Hat hier jemand was gesagt? Habt ihr auch was gehört, Jungs? So ein Säuseln!“
Holger griff mir plötzlich an die Genitalien und antwortete glucksend:
„Noch ist die Hose trocken, aber gleich bepisst er sich vor Angst!“
Unwillkürlich hielt ich die Luft an und schloss die Augen. Aber es geschah nichts weiter, er grinste mich nur an und zog seine Hand wieder zurück. Der Weg war holperig, die Bäume standen immer dichter. Mein Gott, wo waren wir? Wie ein Felsbrocken lag die Angst auf meiner Brust.
Dann plötzlich wich der Wald einer Lichtung. Ich sah einen ziemlich langgestreckten, eingeschössigen Bau. Wie kam hier ein Bungalow hin? Die Äste der dahinter stehenden Kiefern hingen auf das Flachdach herunter, in ein paar Jahren würde der Wald das Haus überwuchert haben. Als wir uns näherten, sah ich die abgeblätterte Farbe, die leeren Fenster und einen verrotteten Holzzaun. Mir wurde klar, dass das Haus schon jahrelang leer stehen musste.
Der Benz kam zum stehen und Manuel stieg als erster aus. Ihm folgte Patrick, der die Tür an seiner Seite aufstieß und wenig später fast bis zu den Knöcheln im nassen, weichen Waldboden versank. Er streckte den Kopf zu mir herein, packte das Kettengelenk zwischen den Handschellen und riss daran. Holger stieß mir ein weiteres Mal die Waffe in die Rippen.
Dann standen wir alle draußen. Dieselgeruch lag in der Luft und man konnte einen laufenden Motor hören. Erst später realisierte ich, dass das der Stromgenerator war, welcher in der winzigen, verfallenen Gartenlaube neben dem Haus stand.
Manuel kam zu mir, legte seinen Zeigefinger unter mein Kinn und hob es an. Er war kleiner als ich, von daher wäre diese Geste unter normalen Umständen ziemlich lächerlich gewesen. So jedoch empfand ich die Bedrohung, die von ihm ausging, nur noch stärker. Er schaute mir von unten ins Gesicht und sagte:
„Na, Märchenprinz? Das ist nicht ganz dein Stil ... ich weiß. Aber du wirst damit vorlieb nehmen müssen und gegen die zwei mal ein Meter Behausung, die danach kommt ist das hier ein Palast! Was ist? Was überlegst du? Wem das Haus gehört? Niemanden! Ist das nicht toll? Niemanden! Es ist wie geschaffen für unsere Zwecke, wir haben es monatelang beobachtet. Keiner hat Interesse daran, keiner kommt je hier her. Der Besitzer ist vor zwei Jahren ohne Erben gestorben und er hat hier gelegen bis er verfault war, ehe seine Exfrau ihn gefunden hat. Sie wollte sich beschweren, weil keine Alimente mehr kamen. Ja, so kann es gehen!“
Seine Worte rauschten an meinen Ohren vorbei und mit jeder Sekunde wurde mir bewusster, dass ich verloren war, wenn nicht ein Wunder geschah. Und an Wunder glaubte ich schon lange nicht mehr. Manuel sah mich wieder mit seinem Raubtierlächeln an und mir lief ein kalter Schauer über den Körper. Er schien irre in seinem wahnsinnigen Hass auf wohlhabende Menschen. Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sie mich zur Tür schleppten.
Manuel schloss auf, ein fauliger Geruch schlug uns entgegen. Ich bekam einen Stoss in den Rücken und stolperte als erster hinein. Ich blieb mit dem Fuß an einem durchgetretenen Teppich hängen und fiel hin. Sofort war Holger über mir.
„Steh auf, los wird’s bald!“
Er schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht, dann richtete er sich auf und trat mir in die Seite. Ich faltete mich wie von selbst zusammen und rang nach Luft. Holger wollte noch einmal zutreten, als Patrick mich am Arm hochriss.
„Komm mit!“, presste er durch die Zähne und schob mich durch den Raum zu einer Tür. Kurz vor ihr blieb ich stehen, rang immer noch um Atem und Patrick flüsterte:
„Nimm dich zusammen, Manuel schlägt dich tot, wenn er das sieht!“
„Tut er das nicht sowieso?“,schoss es mir durch den Kopf. Es war mir unmöglich, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Patrick stieß mich ziemlich brutal gegen diese Tür am Ende des ehemaligen Wohnzimmers. Mittlerweile hatte Manuel uns erreicht und schloss auf. Dann packte er mich mit hartem Griff im Genick und schob mich vor sich her.
„So, Söhnchen! Das ist dein Heim in nächster Zeit. Ich schlage vor, du magst, was du siehst!“
Er ließ mich los und in der nächsten Sekunde schloss sich die Tür hinter mir. Ich stand in vollkommener Dunkelheit, immer noch mit gefesselten Händen und völlig durcheinander. Erst nach und nach begann ich mich durch das Dunkel zu tasten. Ich erkundete das Zimmer so gut es ging und fand eine Matratze in der Ecke. Dort ließ ich mich erst einmal nieder. Meine Gedanken kreisten um das Geschehene, aber wirklich darüber nachdenken konnte ich nicht. Sobald ich es versuchte, hüpften die Erinnerungen in meinen Kopf hin und her. Sie spielten mir einen Streich nach dem anderen. Und schließlich erkannte ich, dass die Angst um mein Leben alles andere überschattete. Sicher, ich machte mir Sorgen um Vanessa, um meine Familie und die Hochzeitsgäste. Aber die Furcht um mich selbst überwog zur Zeit. Klar, ich war schon immer ein ziemlicher Egoist gewesen! Ich grinste bitter in die Dunkelheit hinein. Jetzt saß ich hier, gefangen von irgendwelchen Fanatikern, die augenscheinlich aus meinem Vater Geld pressen wollten. Wenn die meinen Vater gekannt hätten, würde ihnen der Gedanke gar nicht erst gekommen sein. Mein alter Herr hatte sicher nicht vor, für seinen Versagersohn sein geliebtes Geld zu opfern! Genau in diesem Moment wurde mir auf eine gemeine Weise klar, welchen Stellenwert ich bei meinem Vater hatte und es gab mir einen Stich. Er würde erst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, ehe er ans Zahlen dachte. Wenn überhaupt!
Da saß ich nun mit meinen 29 Jahren. Vor einem knappen halben Jahr stand ich noch als einer der begehrenswertesten Junggesellen der sogenannten High Society in Hochglanzzeitschriften, jetzt würde sich die Headline wohl bald ändern.
Was sollte ich tun? Ich musste etwas tun! Ich sprang auf, machte ein paar Schritte und stieß dabei gegen die Wand und etwas Blechernes. Die Initiative war mir sowieso aus der Hand genommen, ich konnte nichts tun, gar nichts! Ich wäre ja schon froh gewesen, wenn ich was gesehen hätte. Und mittlerweile meldete sich auch meine Blase. Ich tastete intuitiv dorthin, wo es gerade geklappert hatte.
Ich fand die Stelle nicht, tapste völlig blind herum. Etwas später hatte ich wenigstens die Matratze wiedergefunden und hockte mich dort hin. Ich sah vor meinem geistigen Auge mein Spiegelbild, während ich mich für die Hochzeit gestylt hatte und dachte an die vielen Komplimente, welche ich für mein Aussehen bekam. Und dann sah ich mich als übel zugerichtete Leiche auf irgendeiner Müllkippe liegen. Ob alle Menschen in meiner Lage sich mit solchen Gedanken herumquälten? Ich sah Vanessa auf eben dieser Müllkippe vor mir knien und heulen. Durch die Dunkelheit bekam ich den Eindruck, in einem Luft – und schwerelosen Sektor irgendwo im Weltall zu sein, völlig abgetrennt vom wirklichen Leben. Zeitweise glaubte ich, unter Drogen zu stehen. Allein der faulige Geruch, der besonders stark von der Matratze ausging, hielt mich in der Realität. Und der Druck meiner Blase.
Ich ging wieder auf die Suche, tastete herum. Dann berührten meine ausgestreckten Finger den Gegenstand von vorhin und ich wurde nicht enttäuscht – es war ein Eimer. Ein verbeulter Metalleimer, ich spürte die dicke Schicht Rost, die zwischen meinen Fingern teilweise abbröckelte. Trotzdem erfüllte mich gleich anschließend sekundenlang eine alles überdeckende Erleichterung.
Den Weg zur Matratze fand ich diesmal schon schneller. Die Handschellen hatten begonnen, wirklich weh zu tun. Ich lehnte mich an die Wand. Wieder spulten sich vor meinem geistigenAuge Bilder ab. Ich sah meine Mutter, meinen Vater und immer wieder meine angehende Frau Vanessa in den verschiedensten Situationen, in denen ich allerdings meistens - tot war. Irgendwann begann ich plötzlich total albern zu lachen, ich gackerte wie ein Huhn, nachdem ich mich mit einem weißen Spitzenhemd auf einer Wolke hatte sitzen sehen. Sogar einen Heiligenschein hatte ich. War es so, wenn man verrückt wurde? Schließlich begann ich hysterisch zu weinen. Ich schlug meinen Hinterkopf gegen die Wand, erst leicht dann immer stärker. Mir wurde schlecht, ich bekam Kopfschmerzen. Aber diese Empfindungen erinnerten mich daran, dass ich noch lebte.
Dann endlich hörte ich etwas. Das klimpernde Geräusch eines Schlüssels drang von außen zu mir herein. Dann drehte sich der Schlüssel im Schloss und Licht blendete mich. Ich schloss die Augen, trotzdem spürte ich körperlich, dass sich mir jemand näherte.
„Na, reiches Söhnchen? Wie hat dir das gefallen? Dunkel war’s, nicht wahr?“
Manuel stand direkt vor mir. Ich blinzelte und sah als erstes sein sadistisches Lächeln. Wieder wurde mir die Ausweglosigkeit meiner Lage mit aller Macht bewusst. Ich versuchte aufzustehen, rutschte aber aus und der Versuch, mich mit den Händen abzustützen, musste schon wegen der Handschellen fehlschlagen. Manuel sah es immer noch lächelnd mit an, dann zog er mich am Kragen hoch.
„Ich glaube, ich werde es dir nicht so einfach machen, wie ich es geplant habe. Du wirst schön langsam hinübergehen, ganz langsam – verstehst du? Dabei kannst du dann in Ruhe und unter Schmerzen über deine nicht vorhandene Daseinsberechtigung nachdenken."
Er gab mir einen Stoss und ich saß wieder auf der Matratze. Ich schaute zu ihm hoch und wieder sah ich diesen unbezähmbaren Hass in seinen Augen. An der Tür stand Holger mit seiner Magnum, die er allerdings nicht direkt auf mich richtete. Scheinbar wollte er mir damit beweisen, wie sicher ich ihnen ausgeliefert war. Der Dritte, Patrick, war nirgends zu sehen.
„So, dann werden wir doch mal sehen, wie wir dir deine Laune verderben können, Söhnchen!“, sagte Manuel jetzt und beugte sich über mich.
Die Männer hatten Ulrich von Eichendorff in dem beinahe schalldicht gemachten Raum untergebracht. Jetzt saßen sie zusammen in der Küche des Hauses.
„Hey“, sagte Holger eben zu Patrick. „Ich habe irgendwie das Gefühl, du bist zu sehr um das Wohlergehen dieses Arschlochs besorgt. Hattest du Angst, ich würde ihm seine süße Fratze verwüsten oder wieso hast du ihn hochgezogen, als ich das zweite Mal zutreten wollte?“
„Was soll der Quatsch!“, wehrte sich Patrick. „Haben wir ihn gekidnappt, um ihn zu verprügeln oder um Geld zu kassieren?“
Jetzt mischte sich Manuel ein.
„Ich habe auch gesehen, wie du ihn aus der Gefahrenzone gebracht hast. Ich will nicht fragen, wieso du das gemacht hast. Ich sag dir nur eins - funk mir nicht dazwischen, ich bin der Boss! Ich bestimme, was mit ihm passiert!“
„Was glaubst du, Chef? Ist er scharf auf ihn? Er hat ja auch wirklich einen geilen Arsch, der Wichser. Sonst kann man ihn nur in der Zeitung angaffen und wir haben ihn jetzt hier und können mit ihm machen, was wir wollen!“
Holger hatte zu Manuel gesprochen, aber Patrick dabei nicht aus den Augen gelassen. Patrick antwortete nicht. Sein Blick folgte Holger, der zu Manuel ging. Er wusste, dass die beiden ein Verhältnis zueinander hatten, auf das niemand kommen würde. Manuel war auf den ersten Blick ein vulgärer Macho, plump und schmierig. Aber das hinderte ihn nicht daran, eine Vorliebe für Männer zu haben. Für schöne Männer! Es war schon seltsam, wie er an einen so wenig anziehenden Partner wie Holger gekommen war.
Patrick hatte die beiden in einem Gaycafe kennengelernt und sie hatten nichts weiter gemeinsam als finanzielle Schwierigkeiten. Dann kamen die Überlegungen. Für Patrick war zuerst alles eher ein Sport, das verbotene Herumspielen mit gefährlichen Möglichkeiten, aus der finanziellen Krise herauszukommen. Dann wurde immer mehr ein Plan daraus. Als er merkte, dass es wirklich an die Umsetzung dieses Plans ging, wollte er sich zurückziehen. Doch dafür war es zu spät. Manuel verstand es, ihn durch Drohungen bei der Stange zu halten. Inzwischen hatten sie Ulrich von Eichendorff als optimales Opfer ausgesucht, direkt nachdem der Hochzeitstermin bekannt gegeben wurde. Das Vorhaben wurde den Gegebenheiten angepasst.
Von Anfang an spürte Patrick diese unterschwellige Verbitterung in Manuel, wenn er über die Geldsäcke sprach. Aber er hatte beschlossen, nicht darüber nachzudenken. Er wollte die Sache mit durchziehen, kassieren und sich dann absetzen, um sein Geld zu genießen. Nun war es von Anfang an schief gelaufen. Manuel hatte getötet. Nichts von dem, was sie abgesprochen hatten, war bisher eingehalten worden. Holger hingegen war scheinbar vom Verlauf der Entführung nicht sonderlich überrascht, kritisierte Manuel nicht und war ihm bedingungslos treu.
Patrick indes hatte nie erwartet, dass sich von Manuels Seite plötzlich ein solcher Hass über ihr Opfer ergoss. Bei der Planung hatte sich alles wie ein Geschäft angehört. Der neuen Situation stand Patrick eher hilflos gegenüber.
Er wollte nicht zum Mörder werden, aber er wusste auch, dass er sich keinesfalls offen gegen Manuel oder Holger stellen durfte. Und die beiden ließen keinen Zweifel aufkommen, dass sie vorhatten, Ulrich zu töten. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte Patrick und sagte:
„Was soll der Quatsch? Mir ist egal wie hübsch Ulrich in deinen Augen ist, Holger. Ich will nur die Sache zu Ende bringen und dann abhauen, das ist alles!“
Manuel grinste und kam auf Patrick zu.
„Ach ja? Na, dann ist es ja gut! Ich wusste, du würdest uns keine Probleme machen!“
„Keine Probleme? Was soll das heißen? Unsere Probleme haben angefangen, als du in der Kirche wild um dich geschossen hast. Mensch, wenn die uns kriegen, ist uns lebenslänglich sicher!“
„Hast du Schiss? Mit deinem Aussehen hast du bestimmt viel Erfolg im Knast. Sie werden sich um dich reißen. Was soll also das verdammte Gerede? Mensch Patrick, benimm dich gefälligst nicht wie ein hysterisches Weib. Wir müssen ihn töten, sonst wird er uns anscheißen. Wir haben gar keine andere Wahl, wenn wir unsere Millionen noch ausgeben wollen!“