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Die Frühlingsgefühle von Kommissar Beckmann erfahren eine merkliche Abkühlung, als ausgerechnet an seinem freien Wochenende eine Frauenleiche in einer Schrebergartenkolonie am Ufer der Wertach gefunden wird. Die Recherche zu diesem Fall führt den Kommissar tief in die deutsche Vergangenheit - in eine Geschichte von Rebellion, Freundschaft, Verrat und vom Terror der RAF. Und Beckmann erfährt, dass sich eine lange tot geschwiegene Vergangenheit nicht so einfach beerdigen lässt wie eine Leiche.
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Seitenzahl: 146
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Matthias Klösel
Ulrichsläuten
Kriminalroman
Terror in Augsburg Die Frühlingsgefühle von Kommissar Beckmann erfahren eine merkliche Abkühlung, als ausgerechnet an seinem freien Wochenende eine Frauenleiche bei einer Kleingartenanlage an der Wertach gefunden wird. Beckmann sind Schrebergärten und spießige Gartenzwerge zuwider. Dass seine Exfrau sich immer so einen Garten gewünscht hat, macht die Sache auch nicht gerade besser.
Doch wer war die junge Frau, die eines viel zu frühen, gewaltsamen Todes gestorben ist? Als Beckmann und sein Kollege Poborsky kurze Zeit darauf auch noch den Tod eines Kleingärtners in der gleichen Gartenanlage aufklären müssen, bekommt der Kommissar eine regelrechte Gartenzwergphobie. Doch der unscheinbare tote Mann entpuppt sich als höchst zwielichtige Figur, die die Kommissare tief in die Vergangenheit Augsburgs führen, als der Terror der RAF auch im provinziellen Augsburg seine Spuren hinterließ. Sie stoßen auf eine Geschichte von Rebellion, Freundschaft und Verrat. Und Kommissar Beckmann erfährt, dass sich eine lange tot geschwiegene Vergangenheit nicht so einfach beerdigen lässt wie eine Leiche.
Matthias Klösel leitet die Theaterwerkstatt Augsburg. Nach Abitur und Schreinerlehre absolvierte er seine Schauspielausbildung in Hamburg. Es folgten Engagements am Jungen Theater Augsburg, Stadttheater Augsburg, Sensemble Theater Augsburg, Theater Ingolstadt, Kreuzgangspiele Feuchtwangen, Komödie im Bayerischen Hof und anderen Theatern.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Tourneekoller (2008)
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © bboellinger / Pixabay
ISBN 978-3-8392-6322-8
Gartenzwerge (Augsburg Wiki)
Der Gartenzwerg an sich ist männlicher Natur, in der Regel misst er maximal 69 Zentimeter und ist klassischerweise mit einer roten Zipfelmütze bekleidet. Meist hält er eine Schubkarre in der Hand, eine Spitzhacke oder auch eine Laterne. Zu seinen Füßen liegt oft ein Igel oder ein süßes, kleines Reh. Das natürliche Refugium des Gartenzwergs sind Vor- und Kleingärten. Dort ist er meist in größeren Ansammlungen zu finden. War der Gartenzwerg bis in die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts beinahe vom Aussterben bedroht, so hat sich sein Bestand seit damals deutlich erholt. 1981 gründete sich eine »Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge« mit Sitz in Basel. Sie trug maßgeblich dazu bei, dass sich der Gartenzwerg in heimischen Gärten wieder weitgehend ungestört verbreiten konnte. Um das Image der Gartenzwerge stand es lange Zeit nicht zum Besten. Der Gartenzwerg galt als Inbegriff des Spießbürgertums. Im Zuge der Renaissance des Gartens als grünes Refugium in den verdichteten Betonwüsten der Städte hat sich allerdings auch das Image des Gartenzwergs deutlich verbessert. Ein Wermutstropfen trübt allerdings die erfreuliche Erholung der Population der Zwerge. Die Produktion einheimischer Gartenzwerge ist fast vollkommen zum Erliegen gekommen. Die neu hinzugekommenen Gartenzwerge sind ausschließlich Migranten aus osteuropäischer beziehungsweise chinesischer Produktion, was sich leider auch in der Qualität der Zwerge zeigt. Die Migrantenzwerge haben die einheimische Population fast vollständig verdrängt, so wie zuvor schon der asiatische Marienkäfer unsere angestammte heimische Marienkäferart weitgehend verdrängt hat. In der Stadt Augsburg gibt es insgesamt nach Berechnungen des Stadtverbands der Kleingärtner 3.698 Kleingärten, in denen gesamt 15.392 Gartenzwerge bei der letzten Zählung in ihren Biotopen angetroffen wurden. Im Vergleich zur Vorjahreszählung betrug das Plus beinahe 15 Prozent. Der Anteil der Migranten unter den Gartenzwergen betrug nach Schätzungen fast 50 Prozent der gesamten Population, Tendenz weiter steigend.
Augsburg, 2. März 1972
Augsburg ist ein Scheißkaff. Augschburg, sagen die Eingeborenen hier, in ihrem grässlichen, provinziellen schwäbischen Dialekt. Er sehnt sich zurück nach Berlin. Das pulsierende Leben dort, die Kneipen, die Wielandkommune. Der lustvolle Kampf gegen den Schweinestaat.
Mein Gott, was war das für ein Spaß gewesen, als sie das Hohe Gericht in Moabit geleimt haben. So ähnlich sahen sich der Werner und er jetzt wirklich nicht, dass man mit einem simplen Brillentausch jemandem vormachen konnte, er sei der Werner Pröll und nicht der Hans Eisenstein. Aber genau das ist passiert. Als der kreuzdämliche Richter den Werner zur Untersuchungshaft verdonnerte und ihn selbst freisprach, verließ statt seiner der Werner den Saal. Lief einfach raus, mir nichts, dir nichts. Und wie die Bullen den Werner wegsperren wollten, hat er ihnen gesteckt, dass er nicht der Rauch, sondern der Hans Eisenstein ist, und die Bullen haben ihn zähneknirschend laufen lassen müssen und den Werner zur Fahndung ausgeschrieben. Was haben sie gelacht damals über ihre »Verwechslung-go-Out«, legendär in der Szene, da waren sie Helden. Wer dir da alles immer die Schulter klopft. Und ewiglich kreist der Joint über den revolutionären Köpfen. High sein, frei sein, Terror muss dabei sein.
Der Werner – so eine Scheiße. Er könnte immer noch ausflippen, wenn er an den Tod von seinem Brother denkt. Die Bullenschweine haben ihn kaltblütig erschossen. Der hat doch gar keine Waffe dabeigehabt, das ist unvorstellbar. Der Werner, das war der friedfertigste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Keiner Fliege konnte der was zuleide tun. Sein Freund Werner Pröll. Am 4. Dezember 1971 kaltblütig umgebracht von einem Vertreter des Schweinesystems.
Das war der Punkt. Der Punkt, der alles geändert hat. Der Punkt, der aus ihm einen anderen gemacht hat. Der Haschrebell Hans Eisenstein, der fröhliche Anarchist. Es war einmal. Das spielerische Aufbegehren gegen die verlogene Spießermoral – mit dem Tod Werners war diese Episode zu Ende gegangen. Der alte, verspielte Hans ist Geschichte. Er hat sich verpuppt, eingesponnen, verwandelt. Ist in anderer Gestalt in diese beschissene, kapitalistische, imperialistische Welt wieder eingetaucht. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Das Schweinesystem wird sich noch wundern. Die Nazis haben seine Großeltern im KZ ermordet, allein seine Mutter hat das Lager überlebt, und heute sitzen die gleichen alten Nazis wieder in den entscheidenden Positionen in Polizei, Justiz und Geheimdienst. Bundesnachrichtendienst – ein Sammelbecken für Altnazis. Die Justiz – fest in den Händen ehemaliger NS-Richter, ein Unrechtssystem, das oberflächlichst gesäubert zum Rechtssystem umdeklariert wird. Kurt Georg Kiesinger, ein Bundeskanzler, der im Nazistaat Karriere gemacht hat. Das Mäntelchen in den Wind gehängt und gewendet, und schon wird aus einem Nazi ein Demokrat. So einfach. Und alles wird totgeschwiegen. Und die Springerpresse mit ihrer Hetze gegen die Studenten immer vorneweg. »Lasst unsere Polizei mit dem Pack, Gesindel und Gesocks nicht allein.« Und ein Mord ist nur ein Mord, wenn ein Bulle stirbt, aber wenn ein unbewaffneter Student stirbt durch eine Polizistenkugel, dann ist das Notwehr. Der Benno Ohnesorg war der Erste. Ein friedlich demonstrierender Student, der gegen den Schahbesuch protestierte, erschossen am 2. Juni 1967 auf offener Straße. Grundlos. Erst der Benno und jetzt der Werner. Er hat ihn immer gewarnt, nicht leichtsinnig zu sein. Er hat nur gelacht, der Werner. Das Lachen ist ihm vergangen vor der Zeit. Und so ist der Hans von der »Bewegung 2. Juni« zur Konkurrenz gewechselt, der Roten Armee Fraktion, die ihnen, der Stadtguerilla, den »Tupamaros West-Berlin«, früher immer zu pseudointellektuell und elitär vorgekommen war.
Aber die Genossen von der RAF sind einfach radikaler. Es ist genug gequatscht worden. Es müssen endlich Taten folgen. Er fühlt den sanften Druck der Makarov 9 mm im Hosenbund, die Peter ihm besorgt hat. Ein gutes Gefühl. Er wird sich nicht so einfach abknallen lassen. Natürlich darf geschossen werden im revolutionären Kampf. Sonst hätten sie sich ja gleich Hare-Krishna anschließen können und Räucherstäbchen anzünden anstatt Kaufhäuser.
Lebe wild und gefährlich. Das Motto für ein Leben im Untergrund. Die Irene hat das nicht wollen.
War eines Morgens nicht mehr da. Einfach so. Ihren Abschiedsbrief hat er immer dabei. In den Nächten, wenn er wieder einmal wach liegt, vermisst er sie besonders. Ihre Haare, die nach Sandelholz riechen, ihr Muttermal zwischen den Schulterblättern. Aber es gibt kein Zurück. Er hat sich entschieden, gegen das Schweinesystem zu kämpfen. Immer gejagt, immer auf der Flucht. Das Schweinesystem schlägt zurück. Aber sie werden es ihnen zeigen. Der kapitalistisch imperialistische Komplex hat sich überlebt. Die Bevölkerung ist in weiten Kreisen auf ihrer Seite. Viele sind zu feige, um sich dem bewaffneten Kampf direkt anzuschließen – aber es findet sich immer jemand, der einem einen Schlafplatz anbietet und nicht weiter nachfragt.
Vier Wochen sind sie bereits in A. Die Wohnung in der Georgenstraße hat Carola von einem Augsburger Immobilienmakler angemietet. Bar bezahlt, im Voraus. Ein Mietblock. 60er-Jahre, viele Parteien, ein Kommen und Gehen, unauffällig. Die perfekte Tarnung. Direkt gegenüber befindet sich die Kirche St. Georg, der junge Pfarrer grüßt immer freundlich.
»Grüß Gott.«
»Grüß Gott.« Wenn der wüsste …
Die letzten Tage haben sie die Reese-Kaserne im Stadtteil Kriegshaber observiert. Die alten Nazikasernen haben jetzt die Amis okkupiert. Wenn das mal keine Symbolik ist. Die Reese-Kaserne: Standortquartier des Kommandanten. Das Offizierskasino. Dort werden sie die Bombe platzieren. Direkt am Eingang. Die Planungen nähern sich dem Ende. Das Ammoniumnitrat und ausreichend Kalium haben sie schon länger in der nötigen Menge beieinander. Gestern hat Peter endlich die fehlenden Zünder angeschleppt. Wo der das Zeug nur immer herhat. Er hat was von den Genossen aus Palästina gemurmelt. Ist auch scheißegal. Hauptsache, der Coup geht nicht schief. Terror ist die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Die ganzen Demos gegen Vietnam – so sinnlos. Aber ihre Aktion wird etwas bewirken. Zumal es nicht die Einzige bleiben wird. Die Genossen planen ähnliche Aktionen in Frankfurt und Heidelberg. Für die Ausrottungsstrategen von Vietnam soll Westdeutschland kein sicheres Hinterland mehr sein.
Er hat Kohldampf. Guerillakampf macht hungrig. Mit Carola und Peter fährt er mit dem gestohlenen Auto ins Hotel Thalia am Obstmarkt, dort haben sie eine ganz annehmbare Pizza. Carola ist unruhig, sagt etwas von verdächtigen Personen, die sie in den letzten Tagen bemerkt haben will. Das sind die Nerven. Peter hat Carola beruhigen können. Die Valium tut ihr Übriges. Morgen ist eh alles vorbei.
Scheiße, die Parkuhr läuft ab. Er sagt den anderen kurz Bescheid, dass er noch mal Kleingeld nachwirft. Das fehlt noch, dass sie wegen so einer Nachlässigkeit auffliegen.
Er biegt um die Ecke der Stadtwerke am Hohen Weg. Da steht der Audi mit dem gefälschten Kennzeichen. Die Straßenbahn rumpelt klingelnd vorbei. Plötzlich rasen drei Autos heran, fünf Männer springen heraus, Knarren in den Händen, verdammte Scheiße, nichts wie weg. Das Blut rauscht in seinen Ohren. Er weicht einige Schritte zurück, dreht sich um, schaut über die Schulter, sie kreisen ihn ein, scheiße, scheiße, scheiße, wo ist seine Knarre – dann plötzlich ein Knall. Er verliert den Halt, fällt, bevor er mit der Hand auch nur in die Nähe seiner Waffe kommt, fällt ins Bodenlose.
»How many roads must a man go down before you can call him a man, how many seas must a white dove sail before she sleeps in the sand?«
Wo sind die Bullen denn auf einmal so schnell hergekommen?
»The answer my friend, is blowin in the wind.«
Diese Scheißbullen. Wie um Himmels willen sind die ihnen auf die Spur gekommen? Ihm wird schlecht. Wo kommt denn auf einmal die Mama her? Sie beugt sich über ihn und drückt ihm sanft die Augen zu. »Schlaf gut, Junge.« – »Du auch, Mama. Halt mich fest, Mama, mir wird so kalt.« Es wird dunkel. Augsburg. 2. März 1972 – kein gutes Pflaster zum Sterben.
Augsburger Allgemeine
3. März 1972
Ein Mitglied der Baader-Meinhof-Bande bei Großfahndung in Augsburg erschossen
Polizei: Eisenstein griff zuerst zur Waffe – Komplizin verschweigt Identität
Augsburg (AZ). Bei einer Polizeiaktion von Beamten einer Sonderkommission des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLK) gegen mutmaßliche Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe wurde gestern im Zentrum von Augsburg der 23-jährige Hans Eisenstein von einem Kriminalbeamten erschossen. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums handelt es sich bei Eisenstein um den Angehörigen einer Gruppe von Linksextremisten, die »vermutlich mit der Baader-Gruppe in Verbindung steht oder sie unterstützt«. Gegen den 23-Jährigen liegen drei Haftbefehle des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten wegen Widerstand, schwerer Brandstiftung und Körperverletzung vor. Eisenstein befand sich in Begleitung einer noch nicht identifizierten Frau, die festgenommen werden konnte, aber jede Aussage verweigert. Ob sie ebenfalls zum erweiterten Kreis der Baader-Meinhof-Gruppe gehört, wird noch ermittelt. Ein Verdächtiger konnte fliehen.
Wenige Stunden nach der Schießerei im Hohen Weg gab Ministerialrat von Mosch vom Bayerischen Staatsministerium des Inneren in einer Pressekonferenz bekannt, dass die Sondergruppe des BLK seit »einiger Zeit« eine vermutlich von der Baader-Gruppe gemietete Wohnung in Augsburg beschattet habe. In die Überwachung waren auch Angehörige des Verfassungsschutzes und der Sicherungsgruppe Bonn eingeschaltet. Der Beamte, der Eisenstein erschoss, hatte kürzlich eine Ausbildung im »kampfmäßigen Schießen« absolviert.
Am Donnerstag gegen 12.30 Uhr verließ Eisenstein mit der unbekannten Frau diese Wohnung. Mit einem Audi 100 LS, der das gefälschte Kennzeichen WEL – JU 44 trug, fuhren sie in Richtung Stadtmitte und parkten das Fahrzeug im Zentrum. Dort besuchten die beiden kurz ein Hotel und trennten sich dann. Als Eisenstein zum Wagen zurückging, sollte er verhaftet werden. Zwei Beamte gingen auf ihn zu. Sie forderten ihn auf, die Hände hochzunehmen. In diesem Augenblick versuchte der 23-Jährige nach Angaben des Innenministeriums die Waffe zu ziehen. Einer der Beamten reagierte blitzschnell und gab einen gezielten Schuss ab, der Eisenstein, Sohn eines Professors, in die Brust traf. Eine Stunde später erlag Eisenstein den Verletzungen im Krankenhaus. Er hatte am 8. Juli 1971 seinem inzwischen auch erschossenen Freund Werner Pröll zur Flucht aus einem Berliner Gericht verholfen und sich später den »Tupamaros West-Berlin« angeschlossen.
Auch die Frau versuchte laut von Mosch zur Waffe zu greifen. Sie konnte aber überwältigt werden. Bei ihrer Festnahme und auf dem Transport leistete sie erheblichen Widerstand. Zur Person machte sie keine Angaben. Ausweise trug sie nach Angaben der Polizei keine bei sich. Ein weiterer Verdächtiger, der beim nahe gelegenen Thalia-Gebäudekomplex entdeckt worden war, konnte fliehen.
Ministerialrat von Mosch erklärte, nach den bisherigen Ermittlungen könne gesagt werden, dass der Beamte in Notwehr geschossen habe.
Freitagnachmittag. Der Frühling treibt die Leute in Scharen auf die Straße, der Augustusbrunnen ist endlich von seiner tristen Winterverschalung befreit und plätschert fröhlich vor sich hin. Am Rathausplatz und in der Maxstraße an diesem wunderbaren Frühlingstag des Jahres 2020 findest du keinen freien Platz mehr in den Straßencafés. Aber für den Kampf um einen Sitzplatz auf dem bunten Laufsteg der Stadt hat er jetzt eh keine Zeit. Und Lust auch nicht. Der Trubel ist ihm schon zu viel. Fröhliche Gesichter, wo du auch hinschaust. Was so ein bisschen Sonne ausmacht. Die Mädels haben doch tatsächlich schon wieder die Miniröcke ausgepackt. Also wie die jungen Dinger heutzutage rumlaufen – geschminkt bis zum Gehtnichtmehr und aufgetakelt, für die Klamotten brauchen die eigentlich einen Waffenschein.
Beckmann, du geiler alter Bock, schau endlich woanders hin – na ja, gar nicht so einfach, so wie die durch die Gegend laufen, hoffentlich rennt seine kleine Emma später mal nicht so rum, da wäre er mit seinem pädagogischen Latein wohl schnell am bitteren Ende.
Dienstfrei bis Montagfrüh. Super. Dieses Wochenende hat er die Kinder. So, Herr Kommissar, jetzt zeig mal, dass du ein guter Papa bist und vergiss endlich die ekelhafte halb verweste Frauenleiche, die ein pensionierter Angler am Hochablass am Haken gehabt hat. Was hat der Kollege Poborsky noch mal gesagt? »Jetzt weiß ich, woher der Spruch kommt: sich eine Frau angeln.« Haha. Der macht mit seinen dummen Sprüchen noch nicht einmal vor einer Leiche halt.
Es muss schon ein saublödes Gefühl sein, statt einem tollen Hecht einen derangierten, leblosen Frauenkörper an Land zu ziehen. Wird wahrscheinlich nicht mehr aufzuklären sein der Fall, so wie die Leiche beieinander war. Aber den Schädelbruch hat sie sich sicher nicht beim Baden zugezogen, so viel steht fest. Davon abgesehen, dass die Badesaison noch lange nicht eröffnet ist.
Beckmann, hör endlich auf, jetzt ist Feierabend. Jaja, das hat ihm die Anna auch immer vorgehalten, dass er nie abschalten kann, wenn ihn etwas beschäftigt.
»Hallo, Beckmann, super Wetter heute, was? Seh ich dich beim Elternabend?«
»Tut mir leid, Rudi, da kommt wahrscheinlich die Anna, weißt ja.«
»Schade, also, ich wünsch dir was, ich muss weiter, wir fahren nachher ins Allgäu alle zusammen.«
»Na, dann, viel Spaß.«
So ein Depp. »Wir fahren nachher ins Allgäu alle zusammen.«
Drück’s mir nur rein, dass ich ein Versager bin, du Lackaffe mit deiner aufgesetzten guten Laune und deiner »Ich-bin-der-Superpapa-Visage«.
Blank geputzte SUVs parken vor der Mauer des Altstadtkindergartens. Wochenende. Abholzeit. Das fröhliche Geschrei der Kleinen schallt herüber, unbekümmert, wild. Frühling lässt sein blaues Band durch die Lüfte schweifen. Der Wind weht die Glockenklänge des nahen Perlachturms herüber. Auch die Ulrichskirche läutet den Feierabend ein. Und der Dom steuert etwas verzögert den Bass bei. Er mag das, dieses Konzert der konkurrierenden Kirchenglocken, auch wenn er mit dem lieben Gott schon lang gebrochen hat. Ein Hupen übertönt die Glocken und reißt den Beckmann aus seinen Gedanken. Aufgetakelte Wohlstandstussis defilieren mit den rausgeschneckelten Kleinen an ihm vorbei. Keine schaut ihn an, keine grüßt. Beckmann, persona non grata. Haben die Angst, dass so eine Trennung ein Virus ist, mit dem sich ihre eigene heile Wohlstandswelt infizieren könnte? Beckmann, Krankheitsüberträger. Ist vielleicht so.