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Henkersmahlzeit in Katjas Einkehr? Auf dem Friedhof im Grenzörtchen Kehr liegt eine Leiche. Nicht, wie sich das gehört, ordentlich im Sarg, sondern mitten auf dem Rasen. Mit einem Loch in der Brust. Die Polizei steht vor einem Rätsel: Niemand kennt den Toten, nichts weist auf seine Identität oder Herkunft hin. Wie kann man ohne jeglichen Hinweis den Täter ermitteln? Doch dann führt die erste Spur ausgerechnet in Katja Kleins Restaurant Einkehr: Im Magen des Toten finden sich Bestandteile des schrägen Menüs vom Vorabend. Wer hat dem schönen jungen Mann die Henkersmahlzeit serviert? Für Katjas Freund, den belgischen Polizeiinspektor Marcel Langer, ist das Grund genug, die deutsche Polizei mit ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden zu unterstützen. Schon zum achten Mal wird Martina Kempffs eigenwillige Ermittlerin in einen Kriminalfall verwickelt.
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Seitenzahl: 244
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Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:
Kehrblechblues
Martina Kempff ist Autorin und Übersetzerin und hat mehr als die Hälfte ihres Lebens im Ausland verbracht: In San Francisco, Berlin und Helsinki aufgewachsen, zog es sie nach der Zeit als Redakteurin und Reporterin bei der ›Berliner Morgenpost‹, ›Die Welt‹ und ›Bunte‹ nach Griechenland. Nach zwölf Jahren in Amsterdam führte die Sehnsucht nach dem deutschen Sprachraum sie in die Eifel. Hier spielen ihre Krimis um die Hobby-Gastronomin Katja Klein und den belgischen Polizeiinspektor Marcel Langer.
MARTINA KEMPFF
Originalausgabe© 2017 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheimwww.kbv-verlag.deE-Mail: [email protected]: 0 65 93 - 998 96-0Fax: 0 65 93 - 998 96-20Umschlaggestaltung: Ralf Krampunter Verwendung von: © locrifa, © Eric Isselé und © mihailwww.fotolia.dePrint-ISBN 978-3-95441-386-7E-Book-ISBN 978-3-95441-397-3
Für Arno Knoll,ohne den es Oberkommissar Roland Köllnnicht geben könnte.
KEHRseite für Einsteiger
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Ich danke …
Michael Heinzel über die Eifel:
»Die heutige belgisch-deutsche Grenzregionhat in den letzten 200 Jahreneine wechselvolle Geschichte genommen.Ihre Bewohner haben in verschiedenen Kriegen […]als Grenzgänger vielfach Benachteiligungenund Verdächtigungen erdulden müssen:Den Preußen war es ein Dorn im Auge,dass sie schon eher Französisch als Deutsch sprachen.Später waren sie für die Nazis keine richtige Deutsche,eben nur Volksdeutsche, auf die im Zweifel kein Verlass war.Für die Belgier waren sie zu deutschund damit ebenfalls unsichere Kantonisten […].Insofern leben heute hier vielleicht die ersten Europäer,die eher regional als national orientiert sind.Und so handeln sie auch,denn schließlich ergeben sich für sieals Bewohner der Euregiodaraus noch manche Vorteile im täglichen Leben.«
Aus: Wo ist denn Bollenien?
Die Kehr gibt es tatsächlich.
In diesem verschlafenen Weiler der Schnee-Eifel (siehe Karte) treffen Belgien, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz aufeinander. Die heute noch gebräuchliche Flurbezeichnung Auf der Kehr stammt aus den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts. Entstanden ist die Ortschaft, als die alte Straße von Trier über Prüm, Losheim und Büllingen nach Aachen ausgebaut wurde. Ebenjene Staatstraße, die seit 1922 die Kehr in einen belgischen und einen deutschen Teil zerschneidet und die auf der Kehr eine Kurve, eine Kehre eben, beschreibt. Einigen Gerüchten zufolge soll der Flecken seinen Namen allerdings von der einstigen Hinrichtungsstätte beziehen, die heute noch Auf dem Gericht heißt: Missetäter seien dort früher vom Galgen »weggekehrt« worden.
Zu einer gewissen historischen Berühmtheit gelangte der Flecken nach dem Zweiten Weltkrieg: Als Losheim 1949 dem belgischen Verwaltungsgebiet zugeschlagen wurde, sparte man den Ortsteil Kehr aus. Neun Jahre lang (dann wurde Losheim wieder deutsch) war Kehr mit seinen damals 48 Einwohnern die kleinste Gemeinde auf deutschem Festland. Nur die nordfriesischen Hallig-Gemeinden waren noch winziger.
Auf der Kehr leben heute sechzig Menschen. In meinen acht Kehr-Krimis stoßen nach und nach dazu:
Katja Klein: Die einstige Berliner Moderedakteurin geriet auf der Suche nach ihren Wurzeln in einen Mordfall und blieb danach auf der Kehr hängen. Wie das Böse auch. Katja wird ständig in Verbrechen verwickelt, dabei möchte sie eigentlich nur abenteuerliche Gerichte für die Einkehr ersinnen. Ihr Restaurant steht auf der deutschen, ihr Wohnhaus hingegen auf der belgischen Seite der Bundesstraße 265.
Marcel Langer: belgischer Polizeiinspektor mit wenig Sinn für geordnete Kleidung und konventionelle Ermittlungsmethoden. Er ist Katja in besonderer Weise verbunden, auch wenn die Beziehung der beiden immer wieder Prüfungen ausgesetzt wird.
Gudrun Arndt: Katjas Freundin und Mitarbeiterin in der Einkehr, die lange Zeit an problematische Männer geraten ist, derzeit jedoch in einer festen Beziehung lebt. Vor allem aber liebt sie frisch gewienerte Böden. Sie ist auf der Kehr aufgewachsen und wohnt wieder in ihrem einstigen Elternhaus, dessen böse Geschichte in den vorangegangenen Krimis aufgefächert wird.
Hein Mertes: ein ehemaliger Kölner Eventmanager, der zwar nicht mit Geld, aber sehr gut mit Worten und dem Internet umgehen kann. Er hilft Katja als Kellner und Webdesigner. Die Einkehr war früher sein Elternhaus. Er fährt mit der »Roten Zora« einen teuren Sportwagen, hat ein Faible für extravagantes Schuhwerk, sarkastische Bemerkungen und wechselt gern mal die Haarfarbe.
Jupp Esch: Heins Lebenspartner, der mit ihm und dem Pferd Jumbo im nahe gelegenen Losheim wohnt. Ein sanftmütiger Riese, der als genialer Handwerker alles reparieren kann, als Waldarbeiter oft unterwegs ist, nebenbei Zeit für feine Handarbeiten findet und für alles und jeden Verständnis aufbringen kann.
David Quirk: Die Mutter des Texaners, Mathilde Quirk, stammt von der Kehr, weshalb es ihn vor Jahren dorthin verschlagen hat. Der wenig entschlussfreudige Koch der Einkehr führt eine wechselhafte Beziehung zu Gudrun, derzeit ist aber sogar von Hochzeit die Rede.
Daniel Seifenbach: Der junge Mann liebt alle Kreaturen, auch seinen Vater David Quirk, den er erst unter dramatischen Umständen als Halbwüchsiger auf der Kehr kennengelernt hat. Ganz besonders liegt ihm Linus am Herzen, der Labrador-Staffordshireterrier, den Katja geerbt hat und dem mehr als einmal eine lebensrettende Rolle zugekommen ist.
Wie als Erstes jemand viel zu früh dort landet,wo letztendlich jeder hinkommt,Herzlosigkeit erleichternd wirktund Radieschen unerwähnt bleiben.
Forellenfilets pürieren, Frischkäse, Sour Creme, feingehackte Salatgurken und Radieschen darunter rühren, mit Limettensaft, Zitronensenf und Dill abschmecken und vorsichtig in herzförmige Blätterteigtaschen füllen.
Auf dem Friedhof liegt ein Toter!«
Kreidebleich und schwer atmend klammert sich Gudrun an den Türrahmen der Einkehr.
»Nur einer? Wo sind denn die anderen alle hin?«, fragt Hein, ohne von seinem Laptop aufzublicken.
»Nein, nein, Hein! Ein richtiger, da ist ein toter Mann …« Gudrun krümelt auf der Schwelle zusammen.
Ich eile ihr zur Seite. »Wie, ein Toter auf dem Friedhof? Wer?«
Gudrun schüttelt nur den Kopf und weist mit dem Daumen dahin, wo die Sonne aufgeht und unser Friedhof an Rheinland-Pfalz grenzt. Tränen strömen ihr über das Gesicht.
Verwirrt kratzt sich Jupp mit der Häkelnadel die Stirn. »Ein Toter? Wieso? Heute ist doch niemand begraben worden.«
»Ist er ja auch nicht«, schluchzt Gudrun. »Der Mann liegt …« Verzweifelt breitet sie die Arme aus, lässt sie aber gleich wieder kraftlos sinken.
»… etwa oberirdisch?« Hein springt auf und packt mich am Arm. »Komm, Katja, wir schauen mal nach!«
Jupp hat unsere verstörte Küchenfee bereits behutsam von der Schwelle gehoben und trägt sie jetzt durch den Gastraum.
»Ruf David an!«, schreie ich dem sanften Riesen hinterher.
»Sie muss sich erst mal hinlegen«, flüstert er. »Ist das Beste gegen den Schock.«
Ich werfe mir den Anorak über. »Sie hat ganz bestimmt nur Gespenster gesehen«, sage ich, als wir außer Hörweite sind.
»Einen Zombie«, versetzt Hein dumpf. »Ich hätte ihr nie The Walking Dead empfehlen dürfen.«
Zwei Minuten später stehen wir auf unserem kleinen Friedhof. Die Frage, ob mir eine durchgeknallte Gudrun lieber wäre als eine echte Leiche scheint sich zu erübrigen. Von Gräbern umrahmt, mitten auf dem sattgrünen Rasen liegt ein schlanker schwarzhaariger Mann lang ausgestreckt mit dem Gesicht nach unten.
Meine Knie beginnen zu schlottern. »Vielleicht … schläft er ja nur …«, stottere ich wenig hoffnungsvoll.
»Ja«, sagt Hein. »Aber wenn es nun doch für immer ist?«
Wir sehen einander verzweifelt an. In Jeans und rosa Hemd liegt der Mann friedlich zwischen zwei Maulwurfshügeln. Um seinen Kopf brummelt eine Hummel. Für eine Gewalttat gibt es keinerlei Anzeichen. Kann man denn nicht von Trauer übermannt ohnmächtig auf dem Friedhof zusammenbrechen, ohne gleich tot zu sein? Oder war es doch ein Herzinfarkt?
Ich gebe mir einen Ruck und trete entschlossen näher heran. »Erste Hilfe«, sage ich forsch, bücke mich und lege meine rechte Hand an den Hals des Mannes. Augenblicklich ziehe ich sie mutlos wieder zurück. In diesem eiskalten Körper pulsiert kein Leben mehr.
»Ins Gras beißen ist Mist«, murmelt Hein grimmig. »Wir müssen ihn umdrehen.«
Vorsichtig rollen wir den Körper auf den Rücken. Als wir in das Gesicht mit den geschlossenen Augen blicken, schütteln wir gleichzeitig die Köpfe. Der erste Schreck weicht beschämender Erleichterung: Zumindest kennen wir den Toten nicht. Und doch …
»Irgendwas an ihm kommt mir bekannt vor«, sage ich rätselnd.
»Dass er tot ist«, gibt Hein bitter zurück. »Das haben wir hier ja schon oft genug gesehen. Armer Kerl. Welch eine Verschwendung! So jung und so hübsch. Wäre uns ganz bestimmt aufgefallen. Der ist nicht von hier.«
Mein Blick wandert weiter nach unten. »Was ist das?«, frage ich erschrocken. Auf der linken Brusttasche des hellen Hemdes zeichnet sich ein winziger, hellroter Fleck ab. »Nicht anfassen, Hein!«
Er hat das Hemd schon aufgerissen.
Ein Knopf schnellt auf mein linkes Oberlid und trübt mir kurzzeitig den Blick. Als ich wieder klar sehen kann, traue ich meinen Augen nicht: In der unbehaarten Brust des Mannes prangt ein Loch.
»Erschossen. Mitten ins Herz«, flüstert Hein.
»Jagdunfall?« Mehr als ein heiseres Röcheln bringe ich nicht zustande.
»Auf dem Friedhof? Wer schießt schon auf Maulwürfe und trifft dann einen Mann unterm Hemd?« Hein steht auf und zieht sein Handy aus der Tasche.
Ich atme dankbar aus, als ich ihn mit Roland Kölln sprechen höre. Der Oberkommissar aus Schleiden kennt sich in unserem Dreiländereck Kehr gut aus. Da entfallen mühselige Erklärungen, wo Belgien aufhört und NRW oder Rheinland-Pfalz anfangen und wer für was zuständig ist. Unser Friedhof kennt keine Grenzen, hier liegen Leute aus allen drei Ländern, möglicherweise auch Atheisten. Und sogar Protestanten.
»Roland ist schon auf dem Weg, komm, Katja, wir warten im Restaurant.« Hein richtet sich auf, stemmt die Füße ins Gras, winkelt die Knie leicht an und holt tief Luft. Er will sich ja nicht den Rücken beschädigen, wenn ich meinen Doppelzentner an seinen beiden ausgestreckten Armen hochziehe.
Doch ich wehre ab. »Nein, ich bleibe hier.«
»Wozu?«
»Ich möchte ihn nicht allein lassen.«
»Gut, dann halte du Totenwache, Katja, ich sage den anderen Bescheid. So eine Scheiße!«
Ich bleibe neben dem Toten im feuchten Gras hocken und grübele. Wo nur habe ich diesen Mann schon mal gesehen?
Als Roland Kölln eine knappe halbe Stunde später eintrifft, ist es mir immer noch nicht eingefallen.
»Fundort ist nicht Tatort«, verkündet er knapp, nachdem er sich die Schusswunde angesehen hat und den Vorwurf losgeworden ist, dass wir die Leiche umgedreht haben. »Keine Ausweispapiere. Er ist hier abgelegt worden. Die Klamotten müssen ihm der oder die Täter später angezogen haben. Das wird die Spurensicherung …«
»Klamotten!« Endlich ist der Groschen gefallen. Jetzt weiß ich, woher mir dieser Mann so bekannt vorkommt. Ich deute auf die schneeweißen Sohlen der Sneaker. »Damit ist er keinen Schritt gelaufen, Roland! Das ist der Mann aus dem Flyer. Hemd, Hose, Schuhe …«
»Welcher Flyer?«
»Der vom Discounter, Roland. Letzte Woche.«
»Jemand hat das Model vom Discounter erschossen?«
»Nein, nein, der Mann hat nur die gleichen Sachen an. Guck mal, alles nagelneu.«
Roland zupft am Kragen des Hemdes herum. »Gut beobachtet, Katja, da hängt sogar noch das Schildchen dran! Jemand wollte also ganz sichergehen, dass wir den Mann nicht so schnell identifizieren können.«
»Hoffentlich haben sie ihm nicht die Zähne rausgebrochen.«
Vorsichtig sieht Roland nach. »Nee«, sagt er, »sieht okay aus. Gutes Gebiss. Vielleicht helfen uns Zahnstatus und Mageninhalt weiter.« Er richtet sich auf und sieht mich unglücklich an. »Und ich bin heute noch gar nicht zum Essen gekommen.«
Eine Leiche auf nüchternen Magen ist sicher schwer zu verdauen. Ich mache den Mund auf, klappe ihn aber sogleich wieder zu. Nein, ich werde dem Kommissar kein Butterbrot vorbeibringen. Wir sind ja nicht in einem Fernsehkrimi, wo der Gerichtsmediziner neben der Leiche ständig irgendwas in sich hineinmampft.
Der Kommissar liest meine Gedanken und nickt. »Besser, ich komm nachher bei euch vorbei, wenn die Mordkommission aus Bonn und all die anderen wieder weg sind. Oder macht ihr zu?«
Ich wiege mein Haupt. Kann ich unser Schild Wegen Trauerfalls geschlossen hervorkramen, wenn wir nicht einmal wissen, um wen wir trauern sollen? Sind wir nach diesem morgendlichen Schock überhaupt in der Lage, unseren Gästen Suppe zu servieren, ohne sie vor lauter Händezittern zu verschütten? Zehn Leute wollen heute bei uns eine Goldene Hochzeit feiern. Wo sollen die so schnell Ersatz finden, wenn wir schließen?
»Du kriegst bei uns immer was zu essen«, sage ich. »Gudrun hat eine hervorragende Herzpastete gebacken.«
»Herz?« Entgeistert deutet der Oberkommissar auf die Brust des Toten.
»Nein, nein, da ist kein Herz drin«, sage ich schnell. »Ist nur Blätterteig in Herzform ausgestochen. Forellenmousse mit Gürkchen und Ra…« Ich breche ab. Jetzt Radieschen zu erwähnen, wäre pietätlos. »Und radikal reinem Frischkäse«, setze ich hinzu. »Für eine Goldene Hochzeit. Kann ich schlecht absagen. Oder sollte ich das doch tun?«
»Natürlich nicht«, erklärt Roland, »Ihr kanntet den Mann ja nicht. Das Leben geht weiter.«
Das Sterben leider auch.
Als Zweites läuft anfangszwei alten Freunden etwas über die Leber,die als solche schließlichin gänzlich unerwartetem Zusammenhangein scheinbar unlösbares Rätsel aufgibt.
Sellerieknolle schälen, in Scheiben schneiden, in kochendem Salzwasser weich werden lassen und in Butter anbraten. Zwiebel und ein Stück Ingwer klein hacken und in Olivenöl anrösten.
Mit Zucker karamellisieren, ein paar Pinienkerne dazugeben und mit Weißweinessig ablöschen.
Birnen schälen und würfeln, Birnensaft hinzufügen und bei moderater Hitze kurz köcheln lassen.
Die mit Salbei gebratenen, gesalzenen und gepfefferten Leberscheiben auf die Sellerie legen und die Zwiebel-Birnen-Ingwermasse darauf anrichten.
Anders als bei manchen früheren Gewaltverbrechen auf der Kehr war die Polizei diesmal relativ schnell mit uns fertig. Meine Befürchtung, die Einkehr wieder als vorübergehendes Hauptquartier an die Staatsmacht zu verlieren, erwies sich zum Glück als unbegründet. Die Beamten notierten alle unsere »Neins« auf Fragen zum Mordopfer, nahmen Abdrücke von unseren Autoreifen, beauftragten uns, weiterhin Augen und Ohren offenzuhalten, jede Auffälligkeit sofort zu melden – und zogen dann ab.
Nur Roland Kölln konnte sich nicht so schnell von unserer Gesellschaft und den Herzpasteten trennen. Er sitzt immer noch kauend am runden Tisch und sinniert laut über diesen mysteriösen Todesfall.
»Was hast du überhaupt auf dem Friedhof gewollt?«, fragt er Gudrun, die gerade mit Hingabe die beiden zusammengeschobenen Tische für die Goldene Hochzeit mit Holzpolitur bearbeitet.
Wenn ihre Hände beschäftigt sind, beruhigt sich ihr Geist. Um seelische Erschütterungen abzufedern, hat sie auch darauf bestanden, Gläser zu polieren, während die Beamten aus Bonn ihre Aussage aufgenommen haben.
»Meinem Vater Blumen aufs Grab gebracht«, murmelt sie und malträtiert grimmig eine Stelle am Tischrand. »Das ist aber ein ganz gemeiner Kratzer!«
»Oh, tut mir schrecklich leid, Gudrun«, erwidert Roland, der mit unserer Vorgeschichte noch nicht sehr vertraut ist. »Wann ist er denn gestor…?«
»Schon viele Jahre her«, unterbreche ich unwirsch, um die Frage abzuwürgen, bevor sie zum unerquicklichen Thema wird. Nicht nur, weil sich Gudruns Vater einst direkt und indirekt am Tod mehrerer Menschen schuldig gemacht hat und später ebenfalls einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Sondern weil wir grundsätzlich nicht über jene Ereignisse sprechen, die dazu geführt haben, dass Gudruns Elternhaus heute David gehört und die beiden ein Paar geworden sind. Insgeheim denken wir aber oft daran, vor allem seit Davids Mutter Mathilde aus Texas nach Deutschland zurückgekehrt ist. Sie wohnt jetzt tatsächlich wieder in jenem Haus, in dem sie geboren wurde und aus dem die Nazis sie einst vertrieben hatten.
Mathildes Mutter, also Davids Großmutter, wurde in Auschwitz ermordet, weil Gudruns Vater Hitlers Schergen das Versteck der jüdischen Familie verraten hatte. Zwar war er selbst noch ein Kind gewesen, doch die Frage, ob sein bösartiger Charakter da schon ausgeprägt war oder sich erst in dieser dunklen Zeit so richtig hatte entfalten können, ist heute müßig.
Da die junge Mathilde vor dem Verrat bei einer Familie in Prüm untergetaucht war, hat sie das Grauen des Dritten Reichs überlebt. Sie ist nach dem Krieg einem amerikanischen Soldaten in die USA gefolgt und war schon über fünfzig, als sich wie durch ein Wunder David, ihr einziges Kind, angemeldet hat. Späte Mutterschaft hält offenbar fit, denn Mathilde, die im nächsten Monat die Hundert vollendet haben wird, geht zwar am Stock, ist aber geistig noch äußerst rege und uns allen eine hoch geschätzte Ratgeberin.
»Eine wirklich schreckliche Sache«, sage ich und beziehe mich auf den jüngsten Mord, »aber sie hat mit uns überhaupt nichts zu tun.«
»Stimmt«, bemerkt Hein. »Der Mann kann sonst wo umgebracht worden sein. Der Täter hat sich wohl gedacht, auf einen Mord mehr oder weniger kommt es auf der Kehr nicht an. Daher hat er die Leiche auf unserem Friedhof abgelegt.«
»Kein Wort darüber heute Abend!«, schärfe ich meinen Mitarbeiterfreunden ein. »Wir wollen unseren Stammgästen doch nicht die Goldene Hochzeit versauen.«
»Keep on dreaming«, versetzt David. »So was spricht sich hier doch immer schnell rum. Die Leute werden über nichts anderes sprechen.«
»So ein Mord macht das Leben eben spannend«, meldet sich Hein wieder. »Vor allem im hohen Alter. Da ist man heilfroh, ein anderes Thema als das eigene Ende zu haben.« Er schüttelt sich. »Brrr … welch eine fürchterliche Vorstellung, fünfzig Jahre verheiratet zu sein.«
»Find ich nicht!«, fährt Gudrun auf.
»Ihr schafft das eh nicht mehr, auch wenn ihr gleich morgen heiratet«, feixt Hein und fängt geschickt das fliegende Poliertuch auf. »Lass besser das Salzfass stehen, Gudrun, sonst musst du den Boden noch mal schrubben.«
»Wir beide werden das auch nicht mehr schaffen«, sagt Jupp traurig. Er schneidet von seinem Häkelwerk einen Faden ab und zieht sich die neueste, farbenprächtige Kreation über die Hand. »Schau her, Katja, geht bis zum Ellenbogen. Damit ihr euch nicht wieder die Arme verbrennt, wenn ihr was aus dem Ofen holt.«
»Danke, Jupp, das ist viel mehr als nur ein Topflappen«, sage ich.
»Nein, Katja, es ist nur ein einziger«, tönt Hein. »Der macht nicht glücklich, Jupp. Wenn da ein richtiges Paar draus werden soll, musst du weiterstricken!«
»Häkeln, Hein.«
»Ich doch nicht! Was schaffen wir nicht, Jupp?«
»Fünfzig Jahre verheiratet zu sein.«
»Natürlich nicht. Ihr seid ja zwei Männer.« Gudrun geht zu David und schmiegt sich an ihn. »Aber wenn wir so alt wie Davids Mutter werden …«
»Doch«, sagt Jupp. »Wir können auch heiraten.«
Hein streichelt seinem Freund über den Kopf. »Nein, das können wir nicht. Eigentlich ein Hammer: Jetzt haben wir April 2017, und Deutschland hinkt anderen zivilisierten Staaten wie Luxemburg immer noch hinterher. Wir können uns derzeit nur verpartnern, mein Schatz, klar, das haben wir uns ja auch vorgeholt.«
»Verpartnern. Schreckliches Wort.« Jupp verzieht das Gesicht. »Klingt nicht nach Liebe, sondern nach Geschäft.«
»Trifft das nicht auch auf die meisten Ehen zu?«, fragt Hein. »Denkt doch nur an meine Eltern.«
Auch das ist kein schönes Thema. Zum Glück vertieft es niemand, weil unser sonst so einsilbiger Jupp unbeirrt weiterspricht.
»Richtig heiraten, meine ich, Hein. In der Kirche. Mit Trauzeugen, Blumen, Ringen, Orgelmusik, vielen Gästen und …«
»… ohne Pfarrer«, wirft Gudrun spitz ein.
»Mit Pfarrer«, sagt Jupp. Topflappenbehandschuht haut er auf den runden Tisch und sieht Hein intensiv an.
Gudrun lacht. »Den Pfarrer will ich sehen!«
»Kannst du. In Hellenthal. Pfarrer Oliver Joswig.«
»Den kenne ich nicht.«
Jupp holt tief Luft. »Woher auch«, seufzt er. »Er ist evangelisch.«
»Was?« Gudrun bleibt der Mund offenstehen.
Roland Kölln steht auf und räuspert sich. »Danke für die Pasteten, Leute, waren sehr lecker. Ich muss jetzt gehen und meinen Bericht schreiben.« Er lächelt Jupp aufmunternd zu. »Auf jeden Fall könnt ihr im Standesamt bei Trude Sieberath heiraten. Die nennt das so, auch wenn das offiziell natürlich verpart… anders heißt.«
»Ein protestantischer Pfarrer!?« Gudrun hat die Sprache wiedergefunden. Wenn es um die Kirche geht, ist mit ihr nicht zu spaßen.
Jupp läuft hochrot an. »Ein katholischer wäre mir auch lieber, Gudrun. Dann müsste ich nicht konvertieren.«
Das nächste fassungslose »WAS?« kommt aus zwei Mündern.
Hein springt auf und schüttelt Jupp an den Schultern. »Da habe ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden, mein Lieber! Ich bin nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten, um jetzt bei den Lutherleuten einzutreten!«
»Musst du auch nicht«, flüstert Jupp. »Es reicht, wenn einer von uns evangelisch ist.« Er umfasst Heins feinmanikürte Finger mit seinen Pranken. »Möchtest du denn keine schöne, richtig romantische Trauung vor Gott?«
»Ohne die heiligen Sakramente?«, faucht Gudrun.
»Die Protestanten haben auch das Abendmahl.« Jupps Stimme ist zu einem Flüstern herabgesunken. Er sieht aus, als bräche er gleich in Tränen aus. Das könnte keiner von uns ertragen. Schon gar nicht an einem Tag wie diesem.
Ich versuche zu vermitteln. »Soweit ich informiert bin, handelt es sich um ein und denselben Gott.«
»Davon verstehst du rein gar nichts, Katja. Wo du ja selbst ausgetreten bist.«
»Ich war nie drin, Gudrun. Wie oft soll ich dir das noch sagen! Wenn aber die eine Filiale den Segen zu einer Verbindung gibt und die andere nicht, ist es doch logisch, wofür sich ein gläubiger Mensch entscheidet, wenn er denn unbedingt vor einem Gott sein Jawort geben möchte.«
»Danke, Katja«, flüstert Jupp.
»Und ich muss wirklich nicht bei den Evangelen eintreten?«, fragt Hein besorgt.
Jupp schüttelt den Kopf.
»Na, dann können wir es meinetwegen so machen. Gegen eine abgefahrene Party habe ich nichts einzuwenden.«
»Party! Das, woran andere mit ganzer Seele glauben, tretet ihr mit Füßen …«
»Wir werden nur auf Rosenblätter treten, Gudrun! Wäre doch schön, wenn du die streuen würdest. Ich überlasse dir deinen Glauben, den an ein schönes, weißes Kleid, an Myrtenzweige, Brautjungfern und Kirchenglocken …«
»Ich glaube an Gott und an sonst nichts!«
»Wärst auch schlecht beraten, wenn du an dich selbst glauben würdest, altes Mädchen!«
»Hah! Das sagt ausgerechnet der dumme Pleitegeier …«
»… der welken Traumtänzerin mit dem Putzfimmel!«
»Die nicht halb so viel Antifaltencremes besitzt wie du!«
»Das sieht man!«
Es wird ruppiger, die Stimmung schaukelt sich ungut hoch. Jupp weint jetzt ganz unverhohlen. Der Schreck vom Morgen steckt uns allen noch in den Knochen. Unsere Nerven liegen blank. In so einer Lage stößt mancher gern genüsslich Sätze aus, die anderen Schmerz bereiten. Als ob damit die eigene Angst und Ratlosigkeit zu bannen wären. Danach gibt es zwar Reue, doch der abgeschossene Pfeil kann damit nicht zurückgenommen werden.
Heins Bemerkung über seine Eltern erinnert mich daran, wie sehr sich seine Mutter einst Gudrun als Schwiegertochter gewünscht hatte. Damit sie dem Hof, den Heins Eltern damals betrieben haben und der heute mein Gasthaus ist, als tüchtige Bäuerin hätte vorstehen können.
Jetzt demonstrieren die beiden gerade sehr anschaulich, dass man gar nicht verheiratet sein muss, um sich wie ein altes Ehepaar anzukeifen. Normalerweise lasse ich die Streitenden sich einfach austoben und ignoriere die darauffolgenden Stunden des Schmollens. Die Zeit haben wir aber heute nicht. Offene Feindseligkeit unter dem Personal können wir uns bei den guten Gästen der Goldenen Hochzeit nicht leisten. Keine Ahnung, wie ich die Lage entschärfen kann, ohne selbst zur Zielscheibe zu werden. Schade, dass Marcel heute erst später kommt. Der belgische Polizeiinspektor würde die beiden einfangen können, muss ja schon beruflich ständig Deeskalationstaktiken anwenden. Wie die deutsche Polizei ja auch. Gut, dass ihr Schleidener Vertreter noch nicht im Auto sitzt.
»Hört mir bitte mal alle zu!«, meldet sich Roland Kölln von der Tür. »Weißt du überhaupt, dass ihr noch ein ganz anderes Problem habt, Hein?«
Gudrun verstummt. Jedes Problem ist ihr jetzt recht. Wenn es nur Hein ordentlich quält.
Der fragt: »Etwa die Sicherheitsvorkehrungen? Wenn uns die Menschenmassen die Kirchentür eindrücken?«
»Nein. Das stemmen wir mit links. Aber Losheim gehört zur evangelischen Kirchengemeinde Gerolstein und Hellenthal zu der von Aachen. Ihr müsstet also eine Umgemeindung beantragen, wenn ihr den Segnungsgottesdienst bei Pfarrer Joswig wollt.«
Segnungsgottesdienst – welch ein schönes, friedenstiftendes Wort. Dagegen kann Gudrun unmöglich Einwände geltend machen.
Ganz ohne Kommentare geht es aber nicht: »Mich kriegt ihr trotzdem in keine heidnische Kirche rein!« Ihre Stimme klingt schon weitaus weniger schrill.
Hein blickt zu Jupp. Als er das heulende Elend registriert, vergisst er den Zwist, nimmt den Riesen in die Arme und küsst ihm die Tränen vom Gesicht. »Nicht weinen, Liebster«, flötet er. »Wir kriegen das schon hin, ist ja nur ein kleiner bürokratischer Akt. Lässt sich bestimmt digital regeln.«
Jupp blickt dankbar auf. »Heißt das, du bist einverstanden?«
»Hab ich doch schon gesagt. Ich tue alles, was dich glücklich macht.«
Roland Kölln zwinkert mir zu und verlässt das Lokal.
»Also, wir können ohne Probleme in der Kapelle auf der Kehr heiraten«, trumpft Gudrun auf und wendet sich an David. »Wir müssen nur endlich das Aufgebot bestellen. Und zum Standesamt gehen. Wird höchste Zeit.«
David nickt. Nicht nur mir fällt seine halbherzige Reaktion auf.
»Oder willst du jetzt etwa wieder einen Rückzieher machen, David?« Gudruns bedrohliche Stimme kündigt die nächste Eskalationsstufe an.
Bevor diese aber gezündet wird, werde ich handgreiflich und schlage auf den chinesischen Gong, der unsere Anrichte ziert. »Ruhe! Geheiratet wird später! Jetzt müssen wir erst die Goldene Hochzeit über die Runden bringen. Wer kümmert sich um die Getränke?«
»Macht das nicht Marcel?«, fragt Gudrun. »Weiß der überhaupt, was hier heute los gewesen ist, Katja?«
Natürlich weiß er es. Ich habe ihn vom Friedhof aus angerufen, während ich neben der Leiche auf Roland gewartet habe. Marcel wollte seinen Weiterbildungskurs an der Polizeischule in Lüttich sofort abbrechen und zu uns auf die Kehr kommen, aber ich habe abgewinkt. Es sei zwar eine äußerst tragische Angelegenheit, aber dieser Fall habe weder mit seinen belgischen Behörden noch mit uns persönlich etwas zu tun. Am besten, jeder gehe ganz normal seinem Alltag weiter nach. Was bedeute, dass er nach der Arbeit auf die Kehr kommen, mich in den Arm nehmen und den Rotwein für die Gäste dekantieren solle.
»Gut, Katja, wenn du meinst. Ich bringe dir belgische Schokolade mit.«
»Am besten kiloweise«, entgegnete ich. »Nervennahrung können hier jetzt alle brauchen.«
»Da kommt er ja«, sagt Hein und nickt zum Fenster hin. »Habt ihr zwei beiden eigentlich auch schon über Heirat gesprochen?«
»Aus dem Alter sind wir raus«, weiche ich aus und zwinge mich, nicht zur Tür zu rennen. Am liebsten würde ich mit Marcel auf der Stelle zu meinem Bruchsteinhaus im Königreich auf der anderen Straßenseite gehen und uns in meinem Anderthalbpersonenbett die Decke über die Köpfe ziehen. Die Brutalität der Welt und insbesondere die an diesem schönen, jungen Mann auf dem Friedhof vergessen. Wäre wunderbar, Schokolade zu knabbern, einen Whisky zu trinken und sich bei der neuen Folge von Game of Thrones Räuberpistolen und Romanzen anzuschauen, die nicht von dieser Welt, dafür aber sehr unterhaltsam sind. Aber leider muss ich mich um eine Goldene Hochzeit und andere Gäste kümmern, um das ganz normale Leben eben.
Früher Abend
Das Telefon klingelt.
»Keine Tischbestellung mehr«, rufe ich aus der Küche. »Wir sind ausgebucht.«
»Ich geh schon dran«, höre ich Marcel antworten. Und dann murmelt seine Stimme immer weiter. Er scheint ein längeres Gespräch zu führen. Ich wische meine Hände an der Schürze ab und betrete den Gastraum.
Marcel hat das Telefon zwischen Schulter und Kopf geklemmt und blättert in der Menükarte. »Ja, gestern gab es auch Kalbsleber«, sagt er. »Stimmt. Mit Birnen und Ingwer auf Selleriescheiben. Pinienkerne. Ja. Waren auch dabei. Und Salbei. Du kennst ja Katja.«
Ich klopfe auf die Theke und mache mit überdeutlich fragendem Gesicht auf mich aufmerksam.
»Moment mal, Roland.«
»Roland?«, frage ich überrascht.
»Er will wissen, was es gestern bei uns zu essen gegeben hat.«
»Wieso? Er hat heute Herzpastete gegessen, das weiß er hoffentlich noch.«
»Moment mal, Katja. Ja, Roland?«
Gebrabbel, Gebrabbel, Gebrabbel. Dann wieder Marcel: »Das ist wirklich sehr komisch.« Er fummelt Papier und Stift aus der Brusttasche und notiert eine Zahl. »Geht klar. Katja wird da gleich anrufen.« Er legt auf.
»Was ist denn los?«, frage ich. »Wo soll ich anrufen? Wen?«
Marcel schüttelt den Kopf. »Ihr habt ein Problem, Katja.«
»Wieso? Was für eins?«
»Setz dich bitte mal hin.« Er zieht mich zum runden Tisch, trommelt auch die anderen herbei und erklärt ohne Vorrede: »Die deutsche Polizei will wissen, was es hier gestern zu essen gegeben hat.«
Ungeduldig ziehe ich die Augenbrauen hoch.
»Das, was es die ganze Woche lang gegeben hat. Was ist denn so interessant an unserer Menükarte?«
»Alles«, tutet Hein. »So wie wir kocht niemand.«
»Juste«, sagt Marcel. »Wer anders bietet in dieser Gegend Kalbsleber mit Birnen, Ingwer, Salbei und Pinienkernen an?« Er holt tief Luft. »Genau das hat die Gerichtsmedizin im Magen des Mordopfers gefunden. Der Mann muss seine Henkersmahlzeit also gestern in der Einkehr eingeholt haben.«
»Hat er nicht!«, schallt es unisono, dem mein einsames »eingenommen« folgt. In Krisensituationen retardiere ich. Da fällt es mir auch nach Jahren noch schwer zu verstehen, dass Eifeler nichts nehmen, sondern mundartlich alles holen.
Nachdenklich mustert uns Marcel.
»Ich gehe mal davon aus, dass ihr die deutsche Polizei nicht angelogen habt?«
»Natürlich nicht.«
»Keiner von euch hat den Mann je vorher gesehen?«
»Stimmt.«
»Gab es gestern vielleicht eine Außer-Haus-Bestel-lung?«
»Nein.«
Marcel schiebt mir das Papier mit der Telefonnummer zu und steckt den Filzstift wieder ein, allerdings mit der Kappe am falschen Ende.
»Nein!«, rufe ich noch einmal und greife dem Polizisten rasch an die Brust. Zu spät. Auf dem hellblauen Hemd zeichnet sich schon ein dunkler Punkt ab. Ich erschauere. Mit einem anderen Fleck auf einer anderen Brusttasche hat die Katastrophe heute Morgen ihren Anfang genommen. Was hat das Schicksal noch in petto?
Marcel blickt auf den Fleck und zuckt mit den Schultern. »Pech. Kann man nichts machen. Aber ihr müsst euch eine andere Erklärung einfallen lassen. Sonst könnt ihr den Laden erst mal dichtmachen.«
Als Drittes werden im digitalisierten Kosmosberuhigende Geschmacksrichtungen angezeigt,wonach am runden Tischbei Süßem aus dem Weltreichinternationale Verbindungen, regionale Streitsachenund historische Kuriosa verhandelt werden,bis eine nackte Tatsachespezifisch Lokales wieder vordringlicherwerden lässt.