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The ways in which we deal with the environment have become a central topic as well in the sciences and academia, as in society in recent years. Not only debates over sustainability, but also many specific (global) challenges such as how to manage resources or climate change have made this very clear. This volume places the questions and issues that arise on four different levels: basic research in environmental ethics; environmental ethics and the political and legal field; ecological challenges and their ethical aspects; and cultural aspects of environmental ethics. The volume is completed by a view on the prospects for a future ethics of the environment.
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Seitenzahl: 238
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Grundkurs Philosophie
Band 21
Michael RederAndreas GöseleLukas KöhlerJohannes Wallacher
Umweltethik
Eine Einführung in globaler Perspektive
Verlag W. Kohlhammer
1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-031467-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-031468-9
epub: ISBN 978-3-17-031469-6
mobi: ISBN 978-3-17-031470-2
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Der Umgang mit der Umwelt ist in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Thema in Wissenschaft und Gesellschaft geworden. Nicht nur die Debatten um Nachhaltigkeit, sondern auch die vielen konkreten (globalen) Herausforderungen wie der Umgang mit Ressourcen oder dem Klimawandel bringen dies deutlich zum Ausdruck. Der Band verortet die sich ergebenden Fragestellungen auf vier unterschiedlichen Ebenen: Umweltethische Grundlagenforschung; Umweltethik und das Feld des Politischen und Rechtlichen; Ökologische Herausforderungen und ihre ethische Dimension; Kulturelle Dimensionen der Umweltethik. Ein Blick auf Perspektiven für eine zukünftige Umweltethik schließt den Band ab.
Prof. Dr. Michael Reder, Dr. Andreas Gösele SJ, Dr. Lukas Köhler und Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher lehren an der Hochschule für Philosophie München.
1. Einleitung
2. Umweltethische Grundlagen
2.1 Umweltethik im Spiegel gegenwärtiger Ethikansätze
2.1.1 Deontologische Umweltethik
2.1.2 Konsequentialistische Umweltethik
2.1.3 Eudaimonistische Umweltethik
2.2 Das Verhältnis von Mensch und Umwelt
2.2.1 Anthropozentrismus
2.2.2 Alternativen zum Anthropozentrismus
Egalitärer Pathozentrismus
Biozentrismus
Universaler und holistischer Physiozentrismus
Pluralistischer Holismus
2.3 Gerechtigkeit als umweltethisches Prinzip
2.3.1 Reichweite der Gerechtigkeit
2.3.2 Von der Gerechtigkeit zur Umweltethik
2.3.3 Weltweite Gerechtigkeit und Umweltschutz
2.3.4 Freiwillige internationale Kooperation
2.3.5 Intergenerationelle Gerechtigkeit
3. Umweltethik und Entwicklung
3.1 Nachhaltigkeit als umweltethisches Leitprinzip
3.1.1 Nachhaltige Entwicklung
3.1.2 Terminologisches und historisches Zwischenspiel
3.1.3 Nachhaltigkeit und Kapital
3.1.4 Schwache vs. starke Nachhaltigkeit
3.1.5 Zwischenpositionen
3.2 Umweltökonomie
3.2.1 Grundsätzliche Überlegungen
3.2.2 Wirtschaftspolitische Instrumente
Eigentumsrechte
Steuern/Auflagen/Handelbare Rechte
3.2.3 Gemeingüter – Trittbrettfahrer
3.2.4 Diskontierung des Zukunftsnutzens
3.3 Umwelt und Entwicklung
4. Umweltethik zwischen Politik und Recht
4.1 Politik angesichts ökologischer Herausforderungen
4.1.1 Spannung zwischen Politik und dem Politischen
4.1.2 Normative Leitsätze der Umweltpolitik
4.2 Demokratie in Zeiten der Nachhaltigkeit
4.2.1 Repräsentation und Demokratie
4.2.2 Deliberative Demokratie
4.2.3 Radikale Demokratie
4.2.4 Pragmatistische Demokratie
4.2.5 Demokratische Umweltpolitik und Global Governance
4.3 Recht und Umweltethik
4.3.1 Was ist das (Umwelt-)Recht?
4.3.2 Ziele und Formen des Umweltrechts
4.3.3 Konstitutionelle Verankerung und Klageberechtigung
4.3.4 Internationales Umweltrecht und Menschenrechte
5. Ökologische Herausforderungen
5.1 Vielfalt und Struktur ökologischer Herausforderungen
5.2 Klimawandel, Entwicklung und Menschenrechte
5.2.1. Ausgang bei der Vulnerabilität der Menschen
5.2.2. Menschenrechte als umweltethische Orientierung
5.2.3 Klimagerechtigkeit
5.3 Umweltethische Perspektiven auf Ressourcen. Fokus: Wasser
5.3.1 Wasserknappheit: Notwendigkeit einer Ressourcenethik
5.3.2 Strategien nachhaltiger Wasserbewirtschaftung
5.4. Biodiversität als Thema der Umweltethik
6. Kulturelle Dimensionen der Umweltethik
6.1 Lebensstile und Konsum
6.1.1 Mensch oder Institution?
6.1.2 Leitbilder und nachhaltiger Konsum
6.2 Kultur und Religion als Thema der Umweltethik
6.2.1 Kultur als Dimension ökologischer Themenfelder
6.2.2 Religionen und ihre umweltethische Bedeutung
7. Ausblick
Literatur
Personenregister
Der Umgang mit der Umwelt ist in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Thema in Wissenschaft und Gesellschaft geworden. Nicht nur die Debatten um Nachhaltigkeit, sondern auch um viele konkrete (globale) Herausforderungen wie die Nutzung von Ressourcen oder die Begrenzung des Klimawandels sind Ausdruck hiervon. Dabei geht es im Kern immer auch um ethische Fragstellungen, denn der Diskurs über den Umgang mit der Umwelt impliziert unterschiedliche normative Aspekte, die es ethisch zu diskutieren gilt.
Auch die Philosophie beschäftigt sich nicht zuletzt deshalb seit einigen Jahrzehnten intensiv mit diesen ökologischen Fragen. Oftmals tut sie dies als Bereichsethik. Bereichsethiken sind in den vergangenen Jahrzehnten zu einem festen Bestandteil der philosophischen Forschung geworden. Angesichts vielfältiger Herausforderungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern fragen diese, was sie zur Analyse, ethischen Reflexion und teilweise auch zur politischen Bearbeitung dieser Probleme beitragen können. Dabei suchen sie einen Austausch mit den angrenzenden Disziplinen und schließen ethische Argumentationsfiguren an deren Erkenntnisse an. Philosophisch betrachtet spielen (meta-)ethische, sozial-, politisch-philosophische und wirtschaftsethische Argumente in diesen Kontexten ebenfalls eine wichtige Rolle.
Die Umweltethik gehört neben anderen Bereichsethiken wie der Wirtschafts- oder Medizinethik sicherlich zu den bereits gut etablierten Bereichsethiken. Seit vielen Jahrzehnten ist sie institutionell ein Bestandteil philosophischer und theologischer Fakultäten. Im interdisziplinären Gespräch mit Umwelt- und Sozialwissenschaften werden unterschiedliche Facetten verschiedener Umweltveränderungen aus ethischer Sicht reflektiert und politische Optionen diskutiert. Der seit einigen Jahren intensiv erforschte Bereich der Klimaethik ist ein prominentes Beispiel hierfür.
Vor diesem Hintergrund entwirft der Band einen breit gefächerten Blick auf unterschiedlichste Theorien und Themen der Umweltethik. Diese lassen sich auf verschiedenen Ebenen verorten. Erstens geht es um umweltethische Grundlagenforschung. Hierbei stellen sich grundlegende Fragen, beispielsweise wie Natur bzw. das Verhältnis des Menschen zur Natur aus ethischer Perspektive zu verstehen ist. Diese ethischen Reflexionen sind auch mit umfassenden Interpretationen der Umwelt und des Menschen verbunden. Daran anschließend finden sich vielfache Überlegungen zu unterschiedlichen moralischen Prinzipien, wie beispielsweise zu dem der Gerechtigkeit. Umweltethische Diskussionen von Gerechtigkeit beziehen sich dabei auf intra- wie intergenerationelle Fragen, denn menschliches Verhalten gegenüber der Umwelt ist aufgrund seiner Pfadabhängigkeit oftmals durch langfristige Folgen gekennzeichnet, die auch (und v. a.) zukünftige Generationen betreffen.
Zweitens spielen Debatten um Nachhaltigkeit und Entwicklung eine zentrale Rolle in diesem Themenfeld. Seit einigen Jahrzehnten haben sich diese beiden Begriffe zu einem Kristallisationspunkt umweltethischer Debatten herausgebildet. Mit beiden wird zum einen die globale Dimension umweltethischer Überlegungen betont, zum anderen auch eine ökonomische Perspektive auf das Themenfeld eröffnet.
Drittens spielen Fragen der politischen Philosophie und Rechtsphilosophie eine wichtige Rolle im Diskurs der Umweltethik. Denn mit Blick auf politische und rechtliche Lösungen geht es immer auch um eine überzeugende Konzeptualisierung des Politischen und Rechtlichen angesichts ökologischer Herausforderungen. Themen in diesem Bereich sind beispielsweise, ob und wie demokratische Strukturen auf nationaler wie internationaler Ebene angesichts ökologischer Probleme verändert werden sollten und welche Rolle die Menschenrechte (z. B. als ein ethisch begründeter Schwellenwert) in der Umweltpolitik spielen könnten. In diesem politischen Feld spielen auch Fragen der Umweltökonomie als Dimension des Politischen eine immer wichtigere Rolle in umweltethischer Perspektive.
Viertens werden in der umweltethischen Forschung einzelne Themenfelder auf ihre normativen Implikationen hin analysiert und kritisch diskutiert. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Frage nach dem Klimawandel und einer ethisch begründeten Klimapolitik. Aber auch Fragen nach dem Umgang mit Ressourcen (angefangen von Wasser bis hin zu seltenen Rohstoffen) spielen in diesem Feld eine wichtige Rolle. Hierbei werden die grundlegenden Erkenntnisse zum Mensch-Umwelt-Verhältnis, zu umweltethischen Prinzipien und ihrer Bedeutung aus der Perspektive der politischen Philosophie und Rechtsphilosophie auf die jeweiligen gesellschaftlichen Felder übertragen. Je nach ethischem Ansatz führt dies zu unterschiedlichen Konzeptionen von Umweltethik angesichts globaler Herausforderungen.
Der fünfte und letzte Bereich bezieht sich auf kulturelle Aspekte der Umweltethik. Denn es zeigt sich immer deutlicher, dass in gesellschaftlichen und politischen Fragen nicht nur die ethische Begründung und politische Ausgestaltung von Institutionen eine herausragende Rolle spielen, sondern auch kulturelle Faktoren. Hierbei geht es beispielsweise um kulturelle Verhaltensmuster im Bereich der Konsumethik oder den Einfluss von Religionen als kulturelle Akteure zur Reflexion und Bearbeitung ökologischer Herausforderungen.
Der vorliegende Band möchte in allen fünf Richtungen eine Einführung in die Umweltethik geben und dabei vor allem auch die globale Dimension der Fragestellung ausleuchten. Die einzelnen Überlegungen nehmen dabei immer wieder auf theoretische Grundlagenfragen der Umweltethik Bezug und übersetzen diese in allgemein verständlicher Sprache in unterschiedliche konkrete Themenfelder. Drei Exkurse von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren eröffnen zudem eine Praxisperspektive auf die einzelnen Argumente. Dank gilt hierfür Monica Streck vom Flughafen München, Thomas Loster von der Münchener Rück Stiftung und Bernd Bornhorst vom Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR.
Diesem Band liegen vielfältige Forschungen zugrunde, die an der Hochschule für Philosophie bzw. am Institut für Gesellschaftspolitik, dem Vorgänger des Zentrums für globale Fragen an der Hochschule für Philosophie seit gut 15 Jahren durchgeführt wurden. Zu nennen sind u. a. das Projekt »Klimawandel und Gerechtigkeit«, das im Auftrag der Münchener Rück Stiftung und MISEREOR zusammen mit dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung von 2005–2008 durchgeführt wurde. Zu nennen sind des Weiteren die Forschungsarbeiten innerhalb des Umweltethikzentrums an der Hochschule für Philosophie, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt von 2014–2018 finanziert wurde, und das Forschungsprojekt »Zukünftige Generationen als Leerstelle der Demokratie«, das von der Fritz Thyssen Stiftung von 2016 bis 2018 an der Hochschule angesiedelt gewesen ist.
In der Perspektive all dieser, und weiterer (kleinerer) Projekte, liegt zudem eine enge Verbindung von Philosophie und ökologischer Praxis. Die Philosophie kann helfen, die normativen oder politisch-philosophischen Implikationen ökologischer Herausforderungen zu rekonstruieren, erklären oder auch zu kritisieren. All diese Überlegungen sind aber immer auch auf die ökologische Praxis angewiesen, an der sich die theoretischen Argumente bewähren müssen. In diesem Sinne gehört zur philosophischen Umweltethik deshalb immer auch die Verschränkung mit der gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Praxis.1
Die Umweltethik ist in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem festen Bestandteil der Bereichsethiken geworden, die in einem Wechselverhältnis zur allgemeinen Ethik und deren Theorien stehen. In vielfacher Weise wurden dabei ethische Argumentationsfiguren zur Reflexion ökologischer Problemlagen herangezogen. Eine der grundlegenden Frage der Umweltethik ist: Weshalb sollen wir die Umwelt schützen? Ethik antwortet auf die Frage, was wir tun sollen, und zwar im Sinne eines unbedingten und nicht nur instrumentellen Sollens. Die Frage danach, warum Menschen aus ethischen Gründen die Umwelt schützen sollen, hängt eng mit der Frage zusammen, warum Menschen überhaupt ethisch handeln sollten und was der Umfang möglicher ethischer Forderungen ist. Damit hängt die Umweltethik auch vom grundsätzlichen Verständnis von Ethik ab (Ott 1993; Bayertz 1988).
Insgesamt lassen sich vereinfacht drei Grundrichtungen ethischer Reflexion unterscheiden, die auch für die Umweltethik von besonderer Relevanz sind: Eudaimonistische Ansätze (von griechisch eudaimonia – Glück, Glückseligkeit) fragen danach, was ein gutes Leben ausmacht. Sie bestimmen das, was getan werden soll als das, was zu einem guten Leben beiträgt. Eine eudaimonistische Umweltethik könnte z. B. betonen, dass für Menschen der Zugang zu einer intakten Natur oder die Rücksichtnahme auf andere, nichtmenschliche Lebewesen zu einem guten Leben dazugehören. Es handelt sich bei einer solchen Ethik aber nicht einfach um einen amoralischen Egoismus. Vielmehr verbindet sich dieser Ansatz in der Regel mit tugendethischen Überlegungen, wie beispielsweise in aristotelisch geprägten Ethikentwürfen.
Konsequentialistische Ethikansätze fragen nach den Folgen unserer Handlungen und danach, inwieweit diese zu einem vorgängig bestimmten Guten beitragen oder es vermindern. Die wichtigste Form des Konsequentialismus ist der Utilitarismus, der insbesondere danach fragt, inwieweit unsere Handlungen den Nutzen mehren oder vermindern. Ein umweltethisches Argument auf dieser Basis würde z. B. darauf hinweisen, dass Luftverschmutzung dem Wohlergehen und der Gesundheit der Menschen abträglich ist, und deshalb, soweit dies ohne erhebliche Kosten geschehen kann, Maßnahmen zur Luftreinhaltung ergriffen werden sollten.
Deontologische (deon – Pflicht) Ansätze fragen primär danach, welche Rechte und Pflichten Menschen sich selbst und anderen gegenüber haben, und leiten daraus konkrete ethische Handlungsanweisungen ab. Hinsichtlich der Luftverschmutzung würde ein deontologisch argumentierender Ethiker zunächst darauf verweisen, dass Menschen ein Recht auf Gesundheit haben, weshalb die Luftverschmutzung auf ein Maß verringert werden muss, das mit dem Recht auf Gesundheit vereinbar ist. Deontologisches Ansätze fallen mit der Tradition des Liberalismus nicht einfach zusammen, aber moderne liberale Theorien folgen in der Regel einem solchen Ethikverständnis (von der Pfordten 1996).
Auch wenn es natürlich noch andere ethische Paradigmen neben diesen drei Strömungen gibt, so handelt es sich bei diesen um die wichtigsten. Deshalb werden diese drei im Folgenden herangezogen, um zu fragen, in welchen Formen Umweltethiken sich heute zeigen.
Deontologische Ethiken, wie sie heute im Kontext liberaler Ansätze entwickelt werden, nehmen ihren Ausgangspunkt meist bei Kant. Dessen praktische Philosophie zielt auf die Begründung verallgemeinerbarer vernünftiger Prinzipien für die Ethik. Der Mensch als freies und vernünftiges Wesen ist das Zentrum seiner Überlegungen. Kant betont, dass der mit Vernunft und Wille ausgestattete Mensch das universale Handlungsprinzip aus sich selbst heraus einsehen kann. Der kategorische Imperativ ist die formale Schlussfolgerung dieser Überlegung. Damit wird ein universales Kriterium zur Grundlage ethischen Nachdenkens.
Kant gilt als Begründer liberaler Ethikansätze, womit er bis heute viele umweltethische Theorien beeinflusst. Er selber hat keine eigene Umweltethik vorgelegt, jedoch finden sich bei ihm erste Hinweise. In umweltethischer Perspektive spielen für Kant insbesondere Besitzrechte eine wichtige Rolle, die bis heute als zentral für liberale umweltethische Konzeptionen interpretiert werden können. Kants Argument ist in diesem Zusammenhang: Wer Ressourcen für sich beansprucht, muss auch für sie sorgen können, sonst kann sein Anspruch normativ nicht als legitim interpretiert werden.
»Es ist die Frage: Wie weit erstreckt sich die Befugnis der Besitznehmung eines Bodens? So weit als das Vermögen, ihn in seiner Gewalt zu haben, d. i. als der, so ihn sich zueignen will, ihn verteidigen kann; gleich als ob der Boden spräche: Wenn ihr mich nicht beschützen könnt, so könnt ihr mir auch nicht gebieten.« (Kant, MdS VI, 265)
Nur wenn der Besitzer also die Ressourcen beschützt, und das heißt im übertragenen Sinne auch pflegt und mit ihnen angemessen umgehen kann, darf er auch Ansprüche auf diese erheben. Über dieses Argument hinaus entwickelt Kant keine Umweltethik im heutigen Sinne. Er lässt z. B. offen, aus welchem Grund Freiheit beschränkt werden darf, wenn es um Umweltgüter geht, oder wie sich Besitzrechte an Umweltgütern genau begründen lassen. Diese Fragen haben erst liberale Umweltethiken des 20. Jahrhunderts beantwortet.
Ein erster wichtiger Ansatz in dieser Hinsicht ist der von Rawls (1979). Mit seiner Theorie der Gerechtigkeit entwickelt er nicht nur einen der zentralen Ethikentwürfe des 20. Jahrhunderts insgesamt, sondern zeigt auch auf, welche Implikationen diese Theorie für die Umweltethik haben könnte. Es geht hierbei u. a. um den Spargrundsatz, d. h. um die umweltethische Frage, wieviel gegenwärtig lebende Menschen zukünftigen Generationen schulden.
Rawls Gerechtigkeitstheorie ist v. a. auf die Verteilung von Umweltgütern anwendbar und für die Reflexion dieser Frage sehr hilfreich. Allerdings werden an seinem Ansatz auch problematische Implikationen eines umweltethischen Liberalismus deutlich: Aufgrund der anthropozentrischen Logik seiner Theorie werden z. B. normative Ansprüche von Tieren eher als Teil umfassender Lehren, d. h. von Weltanschauungen, gedeutet, die von der philosophischen Reflexion deshalb nicht berücksichtigt werden können. Denn der politische Liberalismus enthält sich metaphysischer Lehren, was Auswirkungen auf die Umweltethik insgesamt hat.
Eine zweite Umweltethik Kantischer Prägung ist der diskursethische Ansatz, wie er von Habermas grundgelegt wurde und heute z. B. von Ott (1993) vertreten wird. Habermas will mit Kant eine formale Ethik ohne materiale Voraussetzung entwerfen, denkt diese jedoch dialogisch. Ethik konzeptualisiert er deshalb im Modus des Gebens und Nehmens von Gründen. Normative Geltungsansprüche, die in der sozialen Welt erhoben werden, sind dann verallgemeinerbar, wenn alle Betroffenen ohne äußeren Zwang zustimmen können. Der diskursethische Grundsatz lautet, »dass nur die Normen Geltung beanspruchen dürfen, die die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden (oder finden könnten).« (Habermas 1983, 103) Wie Rawls trennt Habermas dabei die ethisch-existenziellen (und oft weltanschaulich gefärbten) Fragen des guten Lebens von denen der Diskursethik.
Eine Umweltethik in der Tradition von Habermas will normative Fragen hinsichtlich des Umgangs mit der Umwelt mit Bezug auf diesen Grundsatz klären. Der Umgang mit der Umwelt ist dann gerechtfertigt, wenn alle Betroffenen zustimmen können. Allerdings zeigt sich hier auch sofort ein Problem: Denn zukünftige Menschen können z. B. nicht als Teilnehmer eines aktuellen Diskurses gedacht werden, obwohl deren Umweltbedingungen massiv von gegenwärtigem Handeln beeinflusst werden. Habermas hat in Bezug auf andere Gruppen von Menschen (z. B. nicht vernunftbegabte) die Begründungsfigur bereits erweitert, was auch für die Umweltethik übernommen werden kann. Zukünftige Generationen können dann über das Moment der Stellvertretung und die wechselseitige Rollenübernahme der Diskurspartner in die grundlegende ethische Begründungsfigur integriert werden. Mit dieser doppelten Erweiterung lässt sich der diskursethische Grundsatz an spezifisch umweltethische Problemlagen anpassen.
Diese Erweiterung ist für Diskursethikerinnen z. B. auch in tierethischen Fragen denkbar. Habermas argumentiert, dass es eine intuitiv zugängliche Pflicht gibt, Tiere zu schützen, obwohl dies entsprechend des diskursethischen Grundsatzes eigentlich nicht möglich ist. Er zeigt deswegen auf, wie der Begriff des Moralischen in ökologischer Hinsicht erweitert werden kann, um die Menge der Diskursteilnehmer auf alle schutzbedürftigen Wesen, unabhängig ihrer Sprach- und Vernunftfähigkeit, auszudehnen. Dieser Schutz kann wiederum stellvertretend durch andere Diskursteilnehmer eingefordert und wahrgenommen werden. Tiere sollten deshalb verstanden werden als ein »schonungsbedürftiges Gegenüber, das damit eine Anwartschaft auf treuhänderische Wahrnehmung seiner Ansprüche begründet« (Habermas 1991, 224). Doch trotz dieser Erweiterung bleibt der (von anderen Philosophen als problematisch eingestufte) Fokus auf Vernunft- und Sprachfähigkeit bestehen, weil andere Lebewesen oder die Umwelt als Ganze eben nur nachgeordnet und stellvertretend durch vernunftbegabte Menschen Beachtung findet.
Ein weiteres Spezifikum diskursethischer Umweltethiken ist eine enge Zusammenhang zu ihrer politischen Umsetzung. Schon Habermas argumentiert für eine enge Verbindung von Moral, Recht und Politik. Viele Ethikentwürfe in dieser Tradition fragen deswegen danach, wie umweltethische Normen in Recht und demokratische Politik umgesetzt werden können. Dabei achten diese Ansätze immer auch auf die Bedeutung einer vitalen Öffentlichkeit, die gerade im Feld ökologischer Themen oftmals die eingeforderte Stellvertreterfunktion in Deliberationen eingenommen hat und bis heute einnimmt.
Ein weiterer aktueller liberaler Ansatz in der deontologischen Ethiktradition ist der von Ekardt (2016), der für eine Position zwischen Rawls und Habermas argumentiert. Basis seiner Umweltethik ist das Unparteilichkeitsprinzip, aus dem sich grundlegende Freiheitsrechte begründen. In der Tradition von Rawls deutet Ekardt die Ansprüche als gerecht, die auch vernünftig sind. Vernünftig begründbar sind allerdings keine materialen Gerechtigkeitsnormen, sondern nur solche, die vom unparteilichen Standpunkt aus den formalen Freiheitsrechten abgeleitet werden können. Normative Argumente sind – und hier zeigen sich die Spuren von Habermas – in gesellschaftlichen Diskursen immer prozedural abzusichern. Von besonderer umweltethischer Relevanz ist für Ekardt dabei das Spannungsverhältnis zwischen Freiheitsrechten und Umweltgütern, und zwar in einer zeitlichen Perspektive. Er argumentiert, dass alle Menschen (auch zukünftige) Teil der Gesellschaft und daher ihre Freiheitsrechte zu sichern sind. Allerdings ist hinsichtlich des Umgangs mit Umweltgütern die Folge politischer Handlungen heute nie eindeutig bestimmbar. Deswegen ist die Ungewissheit als Dimension mit in die prozedurale Deliberation zu integrieren.
Damit ist eine für die Umweltethik insgesamt wichtige Frage aufgeworfen, und zwar die nach dem Umgang mit Risiken. Ökologische Risiken sind meist dadurch gekennzeichnet, dass sie oft große Gruppen, teilweise die Menschheit als Ganze betreffen. Eine Abschätzung des Risikos und ein entsprechendes politisches Handeln kann in der liberalen Perspektive nur unter Einbezug aller Betroffenen ethisch gerechtfertigt werden. Eine Externalisierung einzelner Risiken in dem Sinne, dass schadhafte Folgen des eigenen Handels in anderen Regionen nicht in die Risikoabschätzung einbezogen werden, ist ethisch nicht begründbar.
Die Risikoabschätzung, die die prozedurale Vernunft leisten soll, muss allerdings immer unter Unsicherheit (bzw. Nichtwissen) erfolgen. Deshalb sind die potenziellen negativen Folgen, über die heute noch kein Wissen zur Verfügung steht, mit in die Bewertung einzubeziehen. Jonas ist einer der ersten Philosophen, der sich diesem Thema gewidmet und das skizzierte Argument besonders stark gemacht hat. »Der schlechten Prognose den Vorrang zu geben gegenüber der guten, ist verantwortungsbewusstes Handeln im Hinblick auf zukünftige Generationen.« (Jonas 1979) Liberale Ansätze würden heute diesen Anspruch wohl nicht so stark formulieren, jedoch an seiner Intuition festhalten. Schadhaften Folgen sind v. a. dann umweltethisch zu problematisieren, wenn grundlegende Rechte – z. B. auf menschenwürdiges Leben – verletzt werden. Freiheitsrechte sind in dieser Logik nicht verrechenbar (Nida-Rümelin 1996).
Deontologische Umweltethiken, so lässt sich zusammenfassen, richten sich also auf die Begründung verallgemeinerbarer Normen. Der Bereich materialer ökologischer Werte bleibt damit ausgeklammert. Es geht vielmehr um verallgemeinerbare Normen und eine Gestaltung von Verfahren und Institutionen, die den Rahmen für ökologisch verantwortliches Handeln aufspannen. Genau diese Enthaltung materialer Wertaussagen ist ein Vorteil dieser Ansätze, denn sie sind Ausdruck eines modernen Verständnisses von Pluralismus. Andere (z. B. eudaimonistische) Ethiktraditionen beurteilen allerdings genau diese Enthaltsamkeit als einen Nachteil. Kritisiert wird weiterhin, dass deontologische Ansätze auf zwei Pfeilern westlichen Denkens aufbauen: Dem Individuum und einem bestimmten Verständnis von Rationalität. Von Vertretern anderer Kulturen wird genau dies moniert. Andere kulturelle Traditionen, die für den Schutz der Umwelt mindestens genauso wichtig sind, sind kritisch gegenüber beiden Annahmen.
Der Utilitarismus hat eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte, Bentham oder Mill (2014) sind zwei bekannte Vertreter. Auch der Utilitarismus ist eine universale Ethikkonzeption, die von einem übergeordneten Standpunkt aus verallgemeinerbare Normen begründen will. Der Utilitarismus geht (verallgemeinernd formuliert) vom Nutzen oder Glück des einzelnen Menschen aus. Zielpunkt der Argumentation ist eine größtmögliche Maximierung des allgemeinen Nutzens. Es wird ein Nutzenkalkül entwickelt, mit dem die einzelnen Handlungen dahingehend abgewogen werden, welche den größtmöglichen Nutzen hervorbringen können.
Aus ethischer Perspektive sind z. B. dann die Handlungen zu bevorzugen, die den Nutzen über einen bestimmten Zeitraum hinweg für eine größtmögliche Gruppe von Menschen maximieren. Bei aller Unterschiedlichkeit der utilitaristischen Argumentationen geht es grundsätzlich darum, die Folgen menschlichen Handelns oder gesellschaftlicher Regeln hinsichtlich ihres Nutzens zu bewerten und abzuwägen. Eine solche ethische Argumentation ist leicht an die ökonomische Logik anschließbar, denn auch diese zielt letztlich auf eine Maximierung des Nutzens. Gerade in der Diskussion über die ökonomischen Aspekte politischen Handelns spielen deshalb utilitaristische Argumente heute meist eine wichtige Rolle.
Vor diesem Hintergrund lassen sich zentrale Merkmale einer utilitaristischen Umweltethik skizzieren. Neben Singer (2013) ist Birnbacher (2006) einer der Hauptvertreter dieser Richtung, der wiederum fünf Elemente besonders hervorhebt. Dies sind eine umfassende Rationalität, die zur Bewertung umweltethisch relevanter Güterabwägungen in konsequentialistischer Hinsicht den Ausgangspunkt darstellt, und der Fokus auf ein Folgenkalkül zur Bewertung menschlicher Handlungen, die Einfluss auf die Umwelt haben. Außerdem benennt er als weitere Annahmen eine Gesamtnutzenabwägung ökologischer Folgen (oft orientiert an einem ökonomischen Denken) und die Ablehnung von Natürlichkeit und Eigenwerten als Merkmalen utilitaristischer Umweltethiken. Ein Eigenwert wird nur Menschen, teilweise aber auch allen empfindungs- oder leidensfähigen Lebewesen zugesprochen.
Utilitaristische Umweltethiken verstehen sich deshalb auch als eine Kritik von Ansätzen, die der Natur ganz allgemein einen Eigenwert zuschreibt. Sie implizieren vielmehr ein instrumentelles Naturverständnis in dem Sinne, dass die Natur eine Ressource für den Menschen darstellt, die dieser zur Maximierung seines Nutzens einsetzen kann. Natur bzw. Umwelt hat dann lediglich für die Befriedigung von Bedürfnissen, den Fortschritt von Erkenntnis oder Bildung einen extrinsischen Wert, so Birnbachers Schlussfolgerung.
Natürlich kann die Trennung zwischen Ethikansätzen, die intrinsische Werte annehmen, und denen, die diese ablehnen, nicht immer trennscharf gezogen werden. Dies gilt auch für utilitaristische Ansätze. Denn in manchen Argumentationen wird der Eigenwert der Natur explizit in die utilitaristische Logik übersetzt, womit dieser moralische Beachtung findet. Ein Beispiele nennt Birnbacher selbst: Die ästhetische Erfahrung der werthaften Natur kann in das Konzept der Naturschönheit übersetzt werden und damit unter dem Aspekt der Nutzenmaximierung konsequentialistisch abgewogen werden.
Innerhalb der Umweltethik finden sich nicht viele explizit utilitaristisch argumentierende Konzeptionen. Jedoch spielen sie im (welt-)politischen Alltag eine zentrale Rolle und sollten deswegen hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Die Folgen des Klimawandels sind z. B. in den vergangenen Jahrzehnten oftmals unter einer utilitaristischen Sichtweise diskutiert worden. Ein Beispiel ist der Bericht von Stern (2007). Dieser argumentiert, dass die Kosten eines Aufschubs von Klimaschutz deutlich höher sein werden, als die eines sofortigen Handelns. Er zeigt auf, dass Mittel in Höhe von ca. 1 % des weltweiten Sozialproduktes aufgebracht werden müssten, um einen ungebremsten Klimawandel aufzuhalten. Damit würde sich das Wachstum der Weltwirtschaft lediglich um einige Monate verzögern. Mit dieser Argumentation werden die schadhaften Folgen des Klimawandels über einen bestimmten Zeitraum aggregiert und in einer ökonomisch orientierten Güterabwägung entsprechend eines allgemeingültigen Nutzenkalküls bewertet.
Solche Studien sind politisch zu begrüßen, weil sie die Folgen des Klimawandels ökonomisch berechenbar machen und zeigen, »dass der Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz (…) ausgeräumt werden kann« (Edenhofer et al. 2009, 125). Damit wird auch deutlich, dass sich Ethik und Ökonomie nicht ausschließen müssen. Ökologische Risiken werden damit politisch diskutierbar und nach einem verallgemeinerbaren Kriterium bewertbar, was als ein Vorteil dieser Umweltethikansätze angesehen werden kann.
Die utilitaristische Position bringt allerdings auch einige Schwierigkeiten mit sich. Erstens ist nicht klar, wie das verallgemeinerbare Kriterium des Nutzens genau bestimmt werden kann. In vielen praktischen Anwendungen einer utilitaristischen Umweltethik wird auf einen monetären Begriff zurückgegriffen. Demgegenüber würden z. B. Vertreter der interkulturellen Philosophie einwenden, dass ein solches Nutzenverständnis meist an das westliche Zivilisationsmodell gebunden ist und genau deshalb an Grenzen hinsichtlich der Verallgemeinerbarkeit stößt. Ein zweites Problem zeigt sich hinsichtlich der Abwägung von Risiken. Denn wenn die Minimierung ökologischer Risiken als eine Maximierung des Nutzens entsprechend einer utilitaristischen Logik konzeptualisiert werden, dann geraten die Folgen für grundlegende Rechte (z. B. menschenwürdiges Leben) leicht aus dem Blick. Diese sind aber ausgehend von liberalen Ansätzen innerhalb einer Risikoabwägung unhintergehbarer Ausgangspunkt für eine Umweltethik.
Ein drittes Problem besteht darin, dass der Nutzen ökologischen Handelns meist als der Nutzen einer Gruppe (bzw. der Weltgemeinschaft), das heißt als eine zusammengefasste Größe verstanden wird. Der Utilitarist tut sich schwer danach zu fragen, für wen die Maximierung des Nutzens einen Vorteil bringt. Wenn sich z. B. die Situation der Weltgemeinschaft durch Klimapolitik insgesamt nicht verschlechtert, die Nutzensteigerung aber v. a. den Industrienationen zugutekommt, erscheint das utilitaristische Kriterium aus der Perspektive Afrikas alles andere als einleuchtend. Die Frage, wessen Situation sich verbessert, oder ob es gar vorrangiges Anliegen ist, die Situation schwächerer Akteure zu berücksichtigen, spielt in dieser Hinsicht eine untergeordnete Rolle. Utilitaristische Umweltethiken sind damit anfällig, ungleiche Ausgangschancen zu wenig zu beachten.
Der Frage nach der Tugend, die für antike eudaimonistische Ethiken zentral war, wurde im 20. Jahrhundert lange Zeit wenig Beachtung geschenkt. Dies änderte sich erst gegen Ende des Jahrhunderts durch Ansätze, die verstärkt auf die aristotelische Tradition Bezug nahmen und damit die normative Einstellung des handelnden Menschen und seine Motivationen als Teil ethischer Theoriebildung stark machten. Beispielhaft hierfür steht Nussbaum (1999). In der Umweltethik spielen allerdings schon seit dem 19. Jahrhundert solche tugendethischen Überlegungen (zumindest vereinzelt) eine Rolle.
Ausgangspunkt für viele dieser tugendorientierten Umweltethiken ist wie gesagt die aristotelische Philosophie, die auf einer Einheit von Metaphysik und Ethik aufbaut. In metaphysischer Hinsicht deutet Aristoteles (1970) die Einzeldinge als naturhafte Substanzen mit spezifischer Struktur und Aktivität. Alle Lebewesen streben danach, ihre Natur zu verwirklichen und genau dieses Streben nach ihrer Natur bewertet Aristoteles als positiv. Auch wenn er in seiner Ethik von einer Verschränkung von Vernunft und Emotion ausgeht, so zieht er diese Unterscheidung in seiner Metaphysik gleichzeitig als eine Grenze ein. Denn für ihn sind nur vernunftbegabte Lebewesen im engeren Sinne primäre Substanzen. Ökosysteme haben deshalb keinen intrinsischen Wert, wobei es allerdings graduelle Abstufung zwischen den Lebewesen im engeren Sinne und der belebten Natur gibt. Umweltethisch betrachtet wird deswegen von Aristoteles ein eng gefasster Anthropozentrismus als Basis der Umweltethik zumindest aufgeweicht.
Der Fokus der aristotelisch geprägten Umweltethik liegt daran anschließend auf den Einstellungen und Handlungen der einzelnen Menschen (Aristoteles 2003). Es geht v. a. um die Reflexion der Möglichkeiten des Individuums für ein gelungenes Leben. Der tugendhaft handelnde Mensch befördert das Glück und strebt damit nach dem Guten. Eigenverantwortliches Handeln bekommt dabei einen zentralen Stellenwert innerhalb der ethischen Argumentation. Die Tugend des einzelnen Menschen ist gleichzeitig die Richtschnur für die ethische Reflexion. Für eine tugendorientierte Umweltethik bedeutet dies, dass Menschen herausgefordert sind, die vielfältigen Erfahrungen, in denen ihr Handeln ökologisch relevant wird, mit ihrer Vernunft und Emotionalität zu verarbeiten, und durch die Herausbildung einer entsprechenden Haltung einen Ausgleich dieser Erfahrungen mit dem Ziel eines gelungenen Lebens anzuvisieren.
Beispielhaft seien zwei Umweltethikerinnen genannt, bei denen eine solche tugendethische Konzeption (in Verschränkung mit metaphysischen Annahmen) sehr explizit eine Rolle spielt. So fokussiert Thoreau (1999) auf ein vertieftes Naturverständnis als Kernanliegen einer Umweltethik. Menschen sind ein Teil des Naturgeschehens, aber verlieren im Zuge der Industrialisierung mehr und mehr den Bezug zu diesem, so seine Ausgangsthese. Das Ziel einer Umweltethik, so lässt sich formulieren, ist für ihn die Herausbildung ökologischer Tugenden, die diesem Verlust entgegenwirken. Dies sind z. B. die Mäßigung, Sensibilität für Schönes oder Einfachheit im Sinne einer Beschränkung auf wenige, nur unbedingt notwendige Eingriffe in die Natur.
Carson (1976) wiederum wählt in einer ähnlichen Argumentationsfigur das Recht auf ein ungetrübtes Naturerlebnis als Basis ihrer Umweltethik. Die Komplexität der Natur ist für sie ein Hinweis auf ihre Werthaftigkeit. Der Mensch ist Teil dieser Natur und hat deswegen kein Recht über andere Lebewesen im Sinne einer Verfügungsgewalt. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, plädiert auch sie für ein vertieftes Naturerlebnis, das durch vermehrtes Wissen und vielfältige Umwelterfahrungen gestärkt werden kann. All dies führt zu einer Tugend der Ehrfurcht gegenüber der Natur, die im Zentrum ihrer Umweltethik steht (vgl. Schweizer 1991).
Eine tugendorientierte Umweltethik fokussiert also auf den Menschen als ökologisch Handelnden und ein gelungenes nachhaltiges Leben. Letzteres hat wiederum eine Orientierungs- und Motivationsfunktion für den Menschen, was als ein Vorteil dieser Ansätze interpretiert wird. Dahinter steht bei einigen Ansätzen, die v. a. von Akteuren der Zivilgesellschaft vertreten werden, zudem eine teils scharfe Kritik an Umweltethiken, die am Kalkül des ökonomischen Nutzens ausgerichtet sind. Gleichzeitig implizieren Tugendethiken oft weitreichende metaphysische Annahmen (z. B. über die Ordnung der Natur), die einerseits zu einer umfassenden Werttheorie führen können, andererseits aber eben genau deswegen auch schwer begründbar sind. Mit dem Fokus auf die Verantwortung des nachhaltig agierenden Menschen werden außerdem Überlegungen zu Verfahren als sekundär eingestuft oder gar ganz ausgeblendet. Umweltethisch orientierte Politik der Nachhaltigkeit jenseits der Herausbildung ökologischer Tugenden oder auch eine ethische Reflexion konkreter Umweltpolitik sind mit diesen Ansätzen daher nur schwer zu leisten.