Unbekanntes Nichtwissen in der Szenario-Technik - Judith Pfeffing - E-Book

Unbekanntes Nichtwissen in der Szenario-Technik E-Book

Judith Pfeffing

0,0
36,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2011
Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Methoden und Forschungslogik, Note: 1,3, Universität der Künste Berlin, Sprache: Deutsch, Abstract: Nicht zuletzt aufgrund unvorhersagbarer, Ressourcen verschlingender Umweltturbulenzen, scheint auch mir die traditionelle Risikobetrachtung im Kontext eindeutiger Wissensproduk- tion zunehmend unbefriedigend. Die Konsequenzen von Nichtwissen, von unbekanntem Nichtwissen und/oder Nicht-Wissen-Wollen, in Form von Erschütterungen sind so offensicht- lich, dass ich die Beschäftigung mit Nichtwissen für dringend notwendig halte. Das Thema dieser Diplomarbeit ist daher Nichtwissen und unbekanntes Nichtwissen als eine Ausprägung systemischen Nichtwissens. Ausgehend von den beobachtbaren Erschütterungen in der Welt, wird im theoretischen Teil, die allgemeine Präferenz von Wissen kritisch beleuchtet, um die praktischen Konsequenzen dieser bevorzugten Perspektive darzulegen. Ziel der Arbeit ist die Gestaltung eines Reflexi- onswerkzeugs für Entscheidungsprozesse in Unternehmen. Es sollte dynamisch, vital und offen sein, dadurch intuitives, phantasievolles, ideenreiches Handeln erzeugen und zur geistigen Freiheit anregen. Die beabsichtigte Erweiterung des Vorstellungshorizonts dient dem Erkennen von Überraschungen, damit mögliche Schockwirkungen unerwarteter Ereig- nisse milder ausfallen. Der Mensch, als soziales Wesen, steht in meiner Ausarbeitung im Mittelpunkt. Judith Pfeffing 52°29'42"N 13°25'22"E am 24.10.2010

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung - eine Feldskizze
2 Bezugsrahmen
2.1 Der Beobachter - eine Figur
2.1.1 Der „blinde Fleck“ des Beobachtenden
2.1.2 Die wissenschaftliche Beobachtung
2.1.3 Die Beobachtung des Neuen
2.2 Die Kybernetik - eine Erkenntnistheorie
2.2.1 Kybernetik zweiter Ordnung
2.2.2 Die Autopoiese - ein Konzept
2.3 Die „Laws of Form“ - ein Kalkül
3 Unbekanntes Nichtwissen - ein Phänomen
3.1 Daten - Informationen - Wissen
3.2 Die Organisation von Wissen und Nichtwissen
3.3 Wissenschaftliche Ansätze
3.4 Nichtwissensdimensionen
3.4.1 Wissen
3.4.2 Intentionalität
3.4.3 Zeitliche Stabilität
3.4.4 Erweiterungen
3.5 Nichtwissenskulturen
3.6 Vertrauen
4 Szenarien - eine qualitative Methode
4.1 Zukunftsforschung
4.2 Strategische Frühaufklärung
4.2.1 Qualitätskriterien
4.2.2 Trends und Trendforschende
4.2.3 Wild Cards
5 Kommunikation
5.1 Szenarien als Kommunikationsinstrument
5.2 Sprache
5.3 Kunst
5.4 Hypothesen
6 Heuristik
6.1 Anforderungen
6.2 Werkzeugaktualisierung
6.2.2 Sinnübersetzung
6.2.3 Kommunikation
6.3 Anwendung
6.3.1 Datenbasis
6.3.2 Datenreflexion
6.3.3 Dateninspiration
6.3.4 Beobachtung und Kommunikation
7 Fazit und Ausblick
8 Verzeichnisse
9 Anhänge
10 Quellenangabe

Page 1

Page 4

1 Einleitung - eine Feldskizze

„Ein Unternehmen, das rasche Veränderungen im Umfeld dynamisch bewältigen will, darf Informationen und Wissen nicht nur effizient verarbeiten, es muß [sic] sie selbst her-vorbringen. Es muß [sic] sich durch Auflösung des existierenden Wissenssystems und durch die Entwicklung innovativer Denk- und Handlungsmodelle selbst erneuern.“

(Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi 1997, S. 64)

Die Zukunft ist ungewiss. Allein diese Tatsache führt zu Risiken1im Umfeld von Entscheidungsprozessen. Der übliche Umgang mit solchen Risiken ist geprägt vom Vertrauen darauf, dass diese Risiken eher unwahrscheinlich sind und als retrospektiv erklärbar akzeptiert werden. Es wird sich auf das Bekannte, als das - was sich wiederholt, konzentriert. Vorausgesetzt wird damit die Kontrollier- und Planbarkeit künftiger Entwicklungen. Mit dem Ziel Sicherheit zu produzieren, wird von prinzipiell zeitunabhängiger objektiver Erkenntnis ausgegangen. Wissen besitzt einen hohen Stellenwert und damit geht einher, dass die Wirkung des Unwahrscheinlichen und Unbekannten unterschätzt oder ignoriert wird. Eine solche Risikostrategie erweist sich in unserer modernen, komplexen und rekursiven Welt, mit der folgenschweren Reichweite unerwarteter Ereignisse, als immer weniger geeignet (vgl. Willke 2004, S. 53, 69). Es hat sich ein spürbares Interesse am Umgang mit Nichtwissen und an der Erzeugung von Risikowissen entwickelt.

Nicht zuletzt aufgrund unvorhersagbarer, Ressourcen verschlingender Umweltturbulenzen, scheint auch mir die traditionelle Risikobetrachtung im Kontext eindeutiger Wissensproduktion zunehmend unbefriedigend. Die Konsequenzen von Nichtwissen, von unbekanntem Nichtwissen und/oder Nicht-Wissen-Wollen, in Form von Erschütterungen sind so offensichtlich, dass ich die Beschäftigung mit Nichtwissen für dringend notwendig halte. Das Thema dieser Diplomarbeit ist daher Nichtwissen und unbekanntes Nichtwissen als eine Ausprägung systemischen Nichtwissens.

Ausgehend von den beobachtbaren Erschütterungen in der Welt, wird im theoretischen Teil, die allgemeine Präferenz von Wissen kritisch beleuchtet, um die praktischen Konsequenzen dieser bevorzugten Perspektive darzulegen. Ziel der Arbeit ist die Gestaltung eines Reflexionswerkzeugs für Entscheidungsprozesse in Unternehmen. Es sollte dynamisch, vital und offen sein, dadurch intuitives, phantasievolles, ideenreiches Handeln erzeugen und zur geistigen Freiheit anregen. Die beabsichtigte Erweiterung des Vorstellungshorizonts dient dem Erkennen von Überraschungen, damit mögliche Schockwirkungen unerwarteter Ereignisse milder ausfallen.

Der Mensch, als soziales Wesen, steht in meiner Ausarbeitung im Mittelpunkt.

1Die Etymologie des Begriffs Risiko ist nicht eindeutig geklärt (vgl. Kluge 2002, S. 267). „Ein Risiko ist ein Aspekt von Entscheidungen, und Entscheidungen können nur in der Gegenwart getroffen werden …. Risiko ist … eine Form für gegenwärtige Zukunftsbeschreibungen unter dem Gesichtspunkt, daß [sic] man sich im Hinblick auf Risiken für die eine oder die andere Alternative entscheiden kann“ (Luhmann 1992b, S. 142). Vgl. den Begriff des „Entwicklungsrisikos“ (Ewald 1998, S. 17).

Page 5

Die Relevanz des Themas bezeichnend, verweise ich exemplarisch auf die komplexen Auswirkungen von FCKW oder radioaktivem Atommüll2; der Finanzarchitektur3; gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen bspw. im Iran, Afghanistan oder Pakistan; des von der deutschen Bundesregierung verabschiedeten Bundeshaushalts 2010 und des Finanzplans bis 2013 am 23.06.094sowie der Rinderseuche BSE:

»BSE« ist wesentlich eine Krise des Wissens. Wissenschaft hatte lange Zeit die Funktion, eindeutiges Wissen zur Charakterisierung und Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemlagen zu liefern. Jedoch ist solches Wissen nicht einfach vorhanden, sondern entsteht in einem vielschichtigen Prozess wissenschaftlicher, politischer und zunehmend auch öffentlicher Kommunikation sowie experimenteller Erprobung. Der Fokus muss also auf dem Prozess der Erzeugung von Risikowissen sowie der Konfrontation mit Nichtwissen eingestellt werden. (Böschen/Dressel/Schneider/Viehöver 2004b, S. 107-108).

Mit der Erfindung von Derivaten - als Ergebnis von „Spielen der Dekomposition und Rekombination“ (Willke 2002, S. 155) - die ganz allgemein der Steuerung und Streuung von Preisänderungsrisiken dienen, wurden „komplexe Risikoarchitekturen“ geschaffen, die unkalkulierbare Risiken mitführen (ebd., S. 32). In der gegenwärtigen finanzpolitischen Ausein-andersetzung fällt auf, dass die Entwicklung - die unter dem Begriff Finanzkrise diskutiert wird - von einzelnen Personen zwar erwartet wurde, doch tragfähige Alternativ- und Krisenreaktionskonzepte fehlen.5Unkalkulierbar erscheinen Risiken auch aufgrund von Unsicherheit infolge mehrwertiger Erwartungen und inhaltlicher Unklarheit infolge der Erstmaligkeit von Ereignissen (vgl. Ansoff nach Liebl 2001, S. 510).

Erst im Nachhinein erkanntes Nichtwissen hat Einfluss auf das gesellschaftliche Vertrauen. Beurteilungen und Erwartungen der Bevölkerung wirken sich auf das Handeln von Akteuren aus: „Der Rahmen der Risikobetrachtung wird nicht allein durch wissenschaftliche Problem-horizonte gebildet, sondern ganz wesentlich auch durch gesellschaftlich etablierte Erwar-tungshorizonte“ (Böschen et al. 2004a, S. 285). Vertrauen stellt innerhalb risikopolitischer Diskurse eine Qualität dar, die als entscheidende Variable verstanden und gestaltet werden sollte und sich insbesondere an einem „legitim anerkannten Umgang mit Nicht-Gewusste[m] erweisen muss“ (Böschen/Kastenhofer/Soentgen/Wehling 2007, S. 19). Vertrauen dient als Steuermechanismus in komplexen, dynamischen und selbstregulierenden Kontexten. Eine Präferenz indoeuropäischer Kulturen für Wissen gegenüber Nichtwissen wird obsolet, mit dem Umstand, dass prädikative Diagnostik nicht zu Präventionsangeboten führt (vgl. Wehling 2006, S. 13; vgl. Whorf 1999, S. 46). Der „neuen Bedeutung von Nichtwissen in komplexen, vernetzten und nicht mehr ohne weiteres dekomponierbaren Systemen“, versucht das sogenannte Systemrisiko gerecht zu werden (Wehling 2006, S. 53). Systemrisiko bezieht sich auf Risiken, die die gesamte Operationsweise eines Systems betreffen „dadurch, dass bestimmte Einzelrisiken sich durch die Vernetzung der Elemente zu einer systemischen Destabilisierung aufschaukeln“ (ebd.). Dieser Risikotypus bezieht sich auf Gefahren, die sich

2Vgl. http://www.zeit.de/2009/38/DOS-Asse.

3„Es geht darum, dass alle Marktteilnehmer, alle Produkte und alle Märkte wirklich reguliert oder überwacht werden. Es soll keine blinden Flecken geben und genau das werden wir auch schaffen“ (Angela Merkel zum Finanzgipfel in Washington am 15. September 2008). Unter http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts8570.html, am 17.09.2008.

4Vgl. Tagesschau vom 23.06.2009 verfügbar unter: http://www.tagesschau.de/inland/rekordverschuldung106.html am 23.06.2009.5Beobachtungsfeld: Kapitalismuskongress, 6.-8. März 2009, Berlin, Thema „Kapitalismus am Ende?“.

Page 6

aus systemischen Nichtwissen ergeben können: „Systemisches Nichtwissen bezeichnet ein Nichtwissen, das die Logik, die Operationsweise, die Dynamik, die emergente Qualität, die Ganzheit eines selbstreferenziell geschlossenen Zusammenhangs von Operationen betrifft“ (ebd., S. 53-54). Ein systemisches Zusammenwirken einzelner Teile lässt sich nicht vorhersehen. Beobachten lässt sich systemisches Nichtwissen im Kontext einer Beurteilung von Folgen, beispielsweise bezogen auf gentechnisch veränderte Lebensmittel6, Nanotechnologie7, die Erfindung von Derivaten8, Ernährungskrisen (vgl. Braun 2008), Klimawandel oder die Verschuldung des Staates.

Franz Liebl stellt, bezogen auf nicht eindeutig entscheidbare und riskante Fragestellungen fest, „wenn solche Themen in der Öffentlichkeit verhandelt werden, entscheidet nicht Wahrheit oder wissenschaftliche Präzision, sondern letztlich die Akzeptanz des Publikums“ (2000, S. 47). Relevanzkriterien der Öffentlichkeit rücken somit in den Vordergrund. Die genannten Kontextbeispiele systemischen Nichtwissens weisen zum Teil Interdependenzen auf und erinnern damit an die Komplexität und Dynamik, mit welcher wir konfrontiert sind. Problematisch ist dabei, dass es uns Menschen schwer fällt, mit komplexen, intransparenten und dynamischen Situationen umzugehen.

Dietrich Dörner diagnostiziert im Umgang mit Unbestimmtheit und Komplexität9:

• Fehler bei der Zielbeschreibung, nicht formulierte Teilziele anhand von „Reparaturdienstverhalten“ (2002, S. 88);

• unvernetzte Analyse bspw. an einer Blindheit gegenüber widersprüchlichen Teilzielen; undynamische, irreversible Schwerpunktsetzungen;

• inadäquate Modellbildung anhand unbeachteter möglicher Nebenfolgen;

• unreflektierte, unangemessene Dokumentation;

• fehlerhafte Beurteilung von Veränderungen, zu beobachten an einer Nichtberücksichtigung von Exponentiationen;

• Planungsdefizite, beispielsweise an undynamischen „reduktive[n] Hypothesen“ und zu kurzen Planungshorizonten (ebd., S. 131);

• inadäquate Entscheidungsfolgenbeobachtung an nicht korrigierten Fehlern „ballistisch“ Entscheidender (ebd., S. 267, 288; Vester 2002, S. 36-37).

Eine systemische Betrachtung von Rückkopplungen und Regelkreisen, kritischen Systemvariablen und Indikatorvariablen - die abhängig von vielen Systemvariablen als Indikator für den Zustand eines Systems herangezogen werden können - erscheint im Kontext komplexer Umweltbedingungen angemessen aber operativ unökonomisch (vgl. Dörner 2002, S. 112, 290-291). Als ökonomisch relevant lässt sich die Verschleierung von Nichtwissen vermuten, da diese in einem erheblichen Maße Ressourcen bindet.

6Vgl. Saatgutkonzern Monsanto klagt gegen Genmais-Verbot unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/monsanto-klagt-gegen-genmais-verbot;2248953 vom 22.04.2009 am 22.04.2009.

7„Die Nanotechnologie könnte die erste Wissenschaft werden, in der Forscher eine größere Gefahr sehen als die Öffentlichkeit" Vicki Stone in der Süddeutschen Zeitung vom 18.02.2008. Unter: http://www.sueddeutsche.de/wissen/630/433379/text/.8Vgl. US-Finanzaufsicht: Warnung vor Derivaten knallhart geblockt. Unter: http://www.wiwo.de/finanzen/us-finanzaufsicht-warnung-vor-derivaten-knallhart-geblockt-377948/ vom 17.11.2008 am 22.04.2009.

9Das Adjektiv komplex, lässt sich zurückverfolgen zu „ lat. complexus, dem PPP. [Partizip Perfekt Passiv] von lat. complectī»umschlingen, umfassen« zu lat. plectere »flechten, ineinander flechten«“ (Kluge 2002, S. 516) . Vgl. Dörner 2002, S. 58-62.

Page 7

Die Wichtigkeit von Umfeldanalysen, verstanden als Beobachtung systemischer Wechselwirkungen und Reflexion potenzieller Interdependenzen, führt zu der Frage nach demWIEder Umsetzung.

Die Anwendung verschiedener Szenario-Techniken10lässt sich als eine methodische Reflexion von Entwicklungen im Umfeld von Unternehmungen beobachten (vgl. Liebl 2001, S. 507). In meiner Diplomarbeit beleuchte ich unbekanntes Nichtwissen als eine Ausprägung systemischen Nichtwissens. In dieser Ausprägung bezeichnet es „eine prinzipiell nicht aufhebbare Ungewissheit möglicher Ereignisse, die als Möglichkeit ins Spiel kommen“ (Willke 2002, S. 11). Mögliche Ereignisse stellen vorstellbare Ereignissen dar, denn „eine Sache ist nicht möglich, wenn sie nicht vorstellbar ist, und wir könnten niemals bestätigen, dass sie möglich war, erschiene sie nicht tatsächlich. Was möglich ist, wird somit immer existent befunden werden“ (Spencer-Brown 1997, S. xviii). Eine Berücksichtigung unbekannten Nichtwissens, impliziert die Notwendigkeit offener Risikodiskurse.

Gesellschaftlich relevante Kommunikation bezieht sich nicht nur in Krisensituationen oder innerhalb von Risikodebatten auf unbekanntes Nichtwissen ('unknown unknowns'). Eine öffentliche Thematisierung möglicher Folgen (Folgenabschätzung bspw. in ökologischen, technologischen und ethischen Kontexten) von Entscheidungen und des Umstands einer prinzipiell unbekannten Zukunft führen zu einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen Nichtwissen.

Je weiter man in die Zukunft blickt, desto wahrscheinlicher ist ein Übergewicht der nicht-vorhergesehenen Folgen. Die Weite des relevanten Zukunftshorizontes ist selbst eine Variable. Einerseits ändern sich heute in der Gesellschaft Strukturen schneller als früher; zum anderen rückt die Unprognostizierbarkeitsschwelle der Zukunft näher an die Gegenwart heran. Sachlich wie zeitlich nimmt damit die Bedeutung des Nichtwissens … in Horizonten zu, die als handlungsrelevant entworfen werden. (Luhmann 1992c, S. 185-186).

Systemintern lässt sich eine Etikettierung „strategische[r] Frühaufklärung als Managementprozess“ (Liebl 1996, S. 11) erkennen, sowie die Entdeckung des Phänomens Nichtwissen im Bereich des Wissensmanagements, infolge einer Fokussierung auf Wissen, welches als Unternehmensressource und Produktivitätsfaktor verstanden wird. Daraus resultierend erscheint Strategiegestaltung als Management von Wissen und Nichtwissen (vgl. Liebl 2004). Wir haben es dauerhaft mit der Problematik des unbekannten Nichtwissens zu tun, ohne zu wissen, inwieweit sich das, was wir nicht wissen, dass wir es nicht wissen, als relevant erweisen wird (vgl. Wehling 2006, S. 123). Mit den Worten von Peter Wehling folgt daraus „die paradox anmutende, wenn nicht gänzlich uneinlösbare Forderung, sich gerade gegen solche Gefährdungen zu wappnen, die man gar nicht kennt und von denen man nicht das geringste weiß“ (ebd., S. 9).

Innerhalb eines unsicheren, unbekannten, neuen und überraschenden Ereignisumfelds besteht die Herausforderung in einem adäquaten kommunikativen Umgang mit dem, von dem wir als Beobachtende nicht wissen, dass wir nicht wissen und der damit einhergehenden

10Technologie verstanden als eine feste Kopplung kausaler Elemente, wobei die Elemente physische, chemische, biologische oder soziale sein können. So kann sowohl der Verbrennungsmotor als auch der Containertransport als Technologie verstanden werden (vgl. Luhmann 2006, S. 364).

Page 8

systemspezifischen Intransparenz (vgl. Willke 2004, S. 54).

Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Frage:WIEkann eine Reflexion dessen, was wir nicht wissen, dass wir es nicht wissen, aussehen?

Beabsichtigt ist die Gestaltung eines Reflexionswerkzeugs für Entscheidende, speziell für den Einsatz in Situationen, in denen Daten, Informationen und/oder Wissen fehlen. Die Methode soll Entscheidungsträger darin unterstützen, das Phänomen, dass sie nicht wissen, was sie nicht wissen, zu reflektieren und zu moderieren.

Szenarien, als angewandte Methode der Zukunfts- und Trendforschung, scheinen mir als besonders geeignet für eine Reflexion von Nichtwissen (vgl. Steinmüller 1997, S. 48). Da „hochrangige Expertise immer weniger von Einzelkämpfern erarbeitet werden, sondern von Arbeitsgruppen, Projektteams oder in anderen Formen kollegialer Kooperation“ (Willke 2002, S. 129) gewinnt die Tätigkeit des Moderierens auch innerhalb der Szenariomethode an Relevanz.

Der Dokumentation und Verbreitung des Reflexionsprozesses kommt eine entscheidende Bedeutung zu, um das generierte Wissen innerhalb der Organisation, beispielsweise im Bereich des Stakeholdermanagements11, nutzen zu können.

Die Bildung von Vertrauen generierender Kommunikations- und Entscheidungskompetenz -verstanden als Grundlage anerkannter, wertgeschätzter Unternehmungen - lässt sich im Rahmen eines entsprechend sensibilisierenden Nichtwissensmanagements erwarten, denn mit den Worten Boris Groys geht die Gefahr „von dem aus, was der Mensch nicht bemerkt, wogegen er nicht gewappnet ist, was nicht im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit steht, doch aus eben dieser verborgenen Quelle kann auch das Heil kommen“ (2004, S. 133).

11Unter Stakeholdern verstehe ich alle Personen und Personengruppen, die an der Unternehmung (Unternehmen, Organisation, Institution etc.) Anteil nehmen.

Page 9

2 Bezugsrahmen

Bevor ich Nichtwissen als heterogenes Phänomen und unbekanntes Nichtwissen im Speziellen beleuchte, möchte ich mich einführend den Konzepten der Wissenschaftler12widmen, die mich in meinem Denken inspirieren, und mir damit als Beobachtungsinstrumente in Form von „Denkmustern“13(Bateson 1985, S. 105) bei der Erstellung der vorliegenden Arbeit dienen. Ich orientiere mich an der Figur des Beobachters (2.1), an der Kybernetik zweiter Ordnung (2.2) und an der Formalisierung des Unterscheidungsprozesses in den „Gesetzen der Form“ (2.3). Aus meiner Sicht handelt es sich bei den genannten Konzeptionen um begriffliche Werkzeuge, die unsere Optionen erweitern.

2.1 Der Beobachter - eine Figur

“The notion of ignorance is relevant because it reminds us of the limits to predictability which lie in the human structure of cognition.“

(Malte Faber und John Proops 1990, S. 20)

Beobachten bedeutet, etwas zu bezeichnen und stellt damit immer eine Unterscheidung, eine Abgrenzung dar.14Ein Unterschied, der im Kontext Zeit beobachtet wird, nennen wir Veränderung (vgl. Bateson 1985, S. 580).

Die Komplexität, beispielsweise in Form von Daten, Informationen und Wissen von der Welt, nimmt mit den Beobachtungen zu, weil eine Beobachtung im Moment ihres Stattfindens selbst nicht beobachten kann,WIEunterschieden wird. Ein Fragen nach demWIEbezieht sich auf „prozedurales Wissen“, welches „unmittelbar in Handeln umgesetzt wird“ (Guber 1999, S. 32). Nur einem weiteren anderen Beobachter ist es im Moment des Stattfindens möglich, die Form der Unterscheidung zu beobachten. Heinz von Foerster spricht vom „blinden Fleck“ des Beobachters (1993a, S. 26). Die Figur des Beobachters lässt sich als „selbstreferentielles, beobachtungsfähiges und deshalb negationsfähiges System“ beschreiben (Baraldi/Corsi/Esposito 1997, S. 132).

Bereits auf der Ebene der Daten hängt das, was wir erkennen können, von Instrumenten und Verfahrensweisen der Beobachtung und Dokumentation ab (vgl. Willke 2004, S. 28). Mit Blick auf die Erkenntnisfähigkeit von Menschen lässt sich festhalten, dass nur die Intensität eines Stimulus von Nervenzellen kodiert wird, „aber nicht die Natur der Erregungsursache (kodiert wird nur: »So-und soviel an dieser Stelle meines Körpers«, aber nicht was“) (von Foerster 1993a, S. 31). Dieser Umstand, dass sensorische Rezeptoren, die mit den Sinneswahrnehmungen verbunden sind, blind sind in Bezug auf die physischen Eigenschaften und damit blind in Bezug auf die qualitativen Unterschiede des Reizes, bezeichnet von Foerster

12In dieser Arbeit verwende ich entweder die männliche oder die weibliche Form, wobei ich mich um eine diesbezügliche Ausgeglichenheit bemühe. Die jeweils aus Gründen der Lesbarkeit nicht explizit genannte Form wird mit gemeint.

13„Wir können sagen, daß [sic] die Denkmuster der Individuen so standardisiert sind, daß [sic] ihnen ihr Verhalten als logisch erscheint“ (Bateson 1985, 105).

14Vgl. Selbstbeobachtung, systemtheoretisch verstanden als „Handhabung von Unterscheidungen“ (Luhmann 1987, S. 63).

Page 10

als das „Prinzip der undifferenzierten Kodierung“ (ebd., S. 273). Menschliches Wahrnehmen ereignet sich in Relation zu einem Bezugspunkt und lässt sich an Beziehungen und Beziehungsstrukturen diagnostizieren. Wahrnehmen beruht auf Bewegung, Abtasten oder Scanning:

Eine Beziehung wird hergestellt, dann … geprüft, und von dieser Prüfung wird dann eine Abstraktion gewonnen, die unserer Ansicht nach dem mathematischen Begriff der Funktion analog ist … Funktionen machen demnach das Wesen unserer Wahrnehmung aus; und … sind … «Zeichen für einen Zusammenhang … für eine Unendlichkeit möglicher Lagen von gleichem Charakter...». (Watzlawick/Beavin/Jackson 2000, S. 28-29).

Wir müssen das Dilemma akzeptieren, mit komplexen, vernetzten, nichtlinearen und unserer Intuition widersprechenden Entwicklungen, beispielsweise bezogen auf exponentielle Entwicklungstendenzen15zu rechnen, trotz der kognitiven Schwierigkeiten, die wir als Menschen hier haben (vgl. Dörner 2002).

Mit dem Ziel, mich den daraus resultierenden Konsequenzen für einen adäquaten Umgang mit unbekanntem Nichtwissen zu nähern, beleuchte ich ausgehend vom „blinden Fleck“ der Beobachterin (2.1.1) im Speziellen, Implikationen für die Wissenschaft (2.1.2) und Heraus-forderungen im Kontext von Innovationen (2.2.3) im Allgemeinen.

2.1.1 Der „blinde Fleck“ des Beobachtenden

„Die Abhängigkeit einer Erkenntnis von persönlichen Bedingungen lässt sich nicht formalisieren, weil man seine eigene Abhängigkeit nicht unabhängig ausdrücken kann.“

(Michael Polanyi 1985, S. 31)

Eine jede Beobachtung, verstanden als Basisoperation und bestehend aus der Tätigkeit des Unterscheidens und Bezeichnens, hat ihren „blinden Fleck“16(von Foerster 1993a, S. 26-28). Der Beobachter sieht nicht, dass er eine Unterscheidung trifft und wie er sie trifft. Damit ist der Forscher im Moment der Beobachtung erster Ordnung nicht in der Lage, bestimmte Muster zu erkennen. Dirk Baecker formuliert:

Man kann nicht etwas bezeichnen, ohne anderes unbezeichnet zu lassen .... man kann nicht einmal sehen, daß [sic] man anderes nicht bezeichnet, denn man sieht ja genau und nur das, was man gerade bezeichnet ... man kann nicht einmal sehen, daß [sic] man eine Unterscheidung trifft um eine Bezeichnung vorzunehmen. (Baecker 1999, S. 23-24).

Die Unterscheidung produziert eine Zweiheit, eine Zwei-Seiten-Form. Beide Seiten sind anwesend, können aber nur nacheinander aktualisiert werden. Erst die Beobachtung der Beobachtung des Beobachters (Beobachtung zweiter Ordnung) ermöglicht den blinden Fleck der Beobachtung erster Ordnung zu erkennen. Dabei kann nur beobachtet werden, wie - mit

15Exponentielles Wachstum führt zu Katastrophen (vgl. Lerf/Schuberth 2004, S. 228).

16Der blinde Fleck dient als Metapher in Analogie zum Sehnerv-Phänomen des Auges, vergleiche Selbstexperiment zur Unvollständigkeit unseres Sehfeldes Anhang 1.