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"Der verblüffendste Krimi, den Christie je schrieb!" The New York Times Zehn Männer und Frauen aus ganz unterschiedlichen Kreisen bekommen eine Einladung, die sie auf eine abgeschiedene Insel vor der Küste Devons lockt. Der Gastgeber, ein gewisser U. N. Owen, bleibt unsichtbar. Erst als die Gesellschaft beim Dinner zusammensitzt, ertönt seine Stimme aus einem alten Grammophon und verheißt Unheil. Ein Gast nach dem anderen kommt zu Tode, während die Verbleibenden verzweifelt versuchen, den Mörder zu enttarnen ... Der meistverkaufte Kriminalroman aller Zeiten - erstmals in zeitgemäßer Neuübersetzung von Eva Bonné, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preisträgerin 2022
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Seitenzahl: 253
Agatha Christie
Und dann gab's keines mehr
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Atlantik
Für CARLO und MARY
Dies ist ihr Buch,
ihnen gewidmet in großer Zuneigung.
Ich hatte das Buch Und dann gab’s keines mehr – englischer Titel And Then There Were None – geschrieben, weil die Problemstellung so schwierig war, dass mich die Aufgabe reizte. Zehn Menschen sollten sterben, ohne dass es lächerlich wirkte und ohne dass man den Mörder erraten konnte. Ich musste sehr lange und gründlich planen, war aber dann mit meiner Arbeit zufrieden. Das Buch wurde freundlich aufgenommen und erhielt wohlwollende Kritiken, aber die größte Freude daran hatte ich, denn ich wusste besser als jeder Kritiker, wie schwer es gewesen war.
Der frisch pensionierte Richter Wargrave saß in einer Ecke des Erste-Klasse-Raucherabteils, paffte Zigarre und überflog mit großem Interesse die Politikseiten der Times.
Nach einer Weile ließ er die Zeitung sinken und warf einen Blick aus dem Fenster. Gerade fuhren sie durch Somerset. Er sah kurz auf die Uhr – noch zwei Stunden.
In Gedanken ging er noch einmal alles durch, was er über Soldier Island gelesen hatte, vor allem die Artikel über den segelverrückten amerikanischen Millionär, der die kleine, vor der Küste von Devon gelegene Insel ursprünglich erworben und darauf ein ebenso modernes wie luxuriöses Haus hatte bauen lassen. Leider entpuppte sich die aktuelle (und dritte) Ehefrau des besagten Millionärs als lausige Seglerin, und so war die Insel samt Haus schon bald wieder auf dem Markt. In den Zeitungen erschien eine auffällige Hochglanzanzeige, und kurz darauf eine knappe Meldung: Ein gewisser Mr Owen hatte die Insel gekauft. Die Klatschkolumnisten machten sich sofort ans Werk. In Wahrheit gehöre Soldier Island nun Miss Gabrielle Turl, dem berühmten Hollywoodstar! Sie wolle sich für ein paar Monate vom Presserummel erholen! Die Fleißige Biene hatte diskret angedeutet, es handele sich um einen zukünftigen Adelssitz, während Mr Merryweather zugeflüstert worden war, die Insel werde demnächst als Flitterwochenziel dienen – der junge Lord L. habe sich endlich von Amors Pfeil treffen lassen! Jonas wusste hingegen aus sicherer Quelle, dass sie jetzt dem Marineministerium gehörte; schon bald würden dort streng geheime Experimente veranstaltet!
Soldier Island hatte jedenfalls für Schlagzeilen gesorgt.
Richter Wargrave zog einen Brief aus seiner Hosentasche. Die Handschrift war so gut wie unleserlich, nur hier und da stach ein Wort unerwartet klar heraus. Mein lieber Lawrence … seit vielen Jahren nichts von Ihnen gehört … unbedingt nach Soldier Island kommen … ein traumhafter Ort … so viel zu besprechen … die alten Zeiten … eins mit der Natur … Sonnenbaden … 12.40 Uhr ab Paddington … erwartet Sie in Oakbridge. Unterzeichnet war das Schreiben mit einem schwungvollen Ihre ergebene Constance Culmington.
Richter Wargrave überlegte angestrengt, wann er Lady Constance Culmington zuletzt gesehen hatte. Es musste schon sieben, nein, acht Jahre her sein. Sie hatte Italien besucht, um in der Sonne zu baden und eins mit der Natur zu werden – und mit den contadini. Später war sie nach Syrien weitergereist, wo die Sonne wahrscheinlich noch heißer schien und wo sie sich mit der Natur und den bedouin vereinigen konnte.
Bei genauerer Betrachtung war Constance Culmington tatsächlich eine Frau, die eine Insel kaufen und sich mit Rätseln umgeben würde. Angetan von so viel Logik, gestattete Richter Wargrave sich ein anerkennendes Nicken, sein Kopf sank langsam nach vorn und …
Er döste ein.
Vera Claythorne, die sich in der dritten Klasse ein Abteil mit fünf weiteren Reisenden teilte, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Wie heiß es heute im Zug war! Wie schön, dass sie bald am Meer sein würde! Diesmal hatte sie wirklich Glück gehabt. Für sie bedeutete ein Ferienjob normalerweise, dass sie auf eine Kindermeute aufpassen musste; eine Urlaubsvertretung als Sekretärin war viel schwieriger zu ergattern. Nicht einmal die Agentur hatte ihr Hoffnungen gemacht.
Aber dann hatte sie den Brief erhalten.
Die Agentur für weibliche Fachkräfte hat mir Ihren Namen übermittelt und Sie empfohlen. Anscheinend sind Sie dort persönlich bekannt. Gern zahle ich Ihnen das verlangte Gehalt und erwarte Ihren Dienstantritt am 8. August. Der Zug geht 12.40 Uhr ab Paddington, man wird Sie vom Bahnhof Oakbridge abholen. Beiliegend finden Sie fünf Pfund für Ihre Auslagen.
Mit freundlichen Grüßen
Una Nancy Owen
Die Adresse war als Briefkopf aufgestempelt: Soldier Island, Sticklehaven, Devon …
Soldier Island! Eine Weile hatten die Zeitungen von nichts anderem berichtet. Es gab alle möglichen Andeutungen und faszinierende Gerüchte. Vermutlich waren die meisten davon unwahr, doch immerhin stand fest, dass das Haus früher einem Millionär gehört hatte und in Sachen Luxus als der letzte Schrei galt.
Vera Claythorne hatte ein anstrengendes Schuljahr hinter sich. Erschöpft dachte sie: In einer drittklassigen Schule als Sportlehrerin zu arbeiten ist nicht gerade der große Wurf … Ich wünschte, eine der besseren Schule würde mich anstellen.
Im nächsten Moment wurde ihr kalt ums Herz. Ich sollte dankbarer sein, immerhin habe ich Arbeit, dachte sie. Die Leute mögen keine rechtsmedizinischen Untersuchungen … obwohl der Richter mich natürlich von jeder Schuld freigesprochen hat.
Wie sie sich jetzt erinnerte, hatte der Richter sie sogar für ihren Mut und ihre Geistesgegenwart gelobt. Die Ermittlungen hätten gar nicht besser laufen können, und Mrs Hamilton war die Güte in Person gewesen. Nur Hugo – aber nein, sie durfte jetzt nicht an Hugo denken!
Trotz der Hitze im Waggon fröstelte sie, und auf einmal wünschte sie sich, sie würde nicht ans Meer fahren. Plötzlich stand ihr das Bild wieder deutlich vor Augen: Cyril schwimmt auf den Felsen zu, sein Kopf taucht auf und wieder unter … Auf und unter, auf und unter … und sie schwimmt mit ruhigen Zügen hinterher, mühelos zerteilen ihre Arme das Wasser, sie weiß jetzt schon ganz genau, dass sie ihn nicht rechtzeitig erreichen wird …
Das dunkle, warme Blau des Meeres. Die langen Vormittage auf dem warmen Sand. Hugo, der gesagt hatte, dass er sie liebe …
Sie durfte jetzt nicht an Hugo denken.
Vera Claythorne schlug die Augen auf und runzelte die Stirn. Ihr gegenüber saß ein Mann. Er war groß und sonnengebräunt, hatte helle, eng stehende Augen und einen arroganten, fast hämischen Zug um den Mund.
Sie dachte: Wahrscheinlich ist er schon viel in der Welt herumgekommen und hat spannende Dinge erlebt …
Philip Lombard musterte blitzschnell die junge Frau, die ihm gegenübersaß, und dachte bei sich: Recht attraktiv, aber sie hat ein bisschen was von einer Lehrerin.
Vermutlich gehörte sie eher zur unterkühlten Sorte und behielt stets die Nerven, egal ob im Krieg oder in der Liebe. Ja, mit ihr würde er es gern aufnehmen …
Er runzelte die Stirn. Nein, diesen Unsinn sollte er sich aus dem Kopf schlagen, immerhin war er geschäftlich unterwegs. Er sollte sich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren.
Aber auf welche Aufgabe eigentlich? Das fragte er sich. Der kleine Mann hatte sich ziemlich vage ausgedrückt.
»Schlagen Sie ein oder lassen Sie es bleiben, Captain Lombard.«
Er hatte zögerlich nachgehakt: »Hundert Guineen, sagen Sie?«
Die Frage hatte so beiläufig geklungen, als bedeuteten ihm hundert Guineen gar nichts. Hundert Guineen, wo er buchstäblich von der Hand in den Mund lebte! Er hatte natürlich nicht wirklich angenommen, dass der kleine Mann sich irrte – das war ja das Schlimme, in Gelddingen ließ der sich nichts vormachen, da kannte er sich aus.
Und dann hatte Lombard im selben beiläufigen Ton hinterhergeschoben: »Und weitere Informationen dürfen Sie mir nicht geben?«
Isaac Morris hatte entschieden den Glatzkopf geschüttelt.
»Nein, Captain Lombard, ausgeschlossen. Wie mein Auftraggeber hörte, genießen Sie den Ruf, der richtige Mann für brenzlige Situationen zu sein. Ich bin befugt, Ihnen hundert Guineen auszuzahlen, wenn Sie sich nach Sticklehaven in Devon begeben. Der nächste Bahnhof heißt Oakbridge, Sie werden abgeholt und nach Sticklehaven chauffiert. Von dort bringt ein Motorboot Sie nach Soldier Island, wo Sie sich meinem Auftraggeber zur Verfügung halten werden.«
»Wie lange?«, fragte Lombard schnell.
»Höchstens eine Woche.«
Captain Lombard zwirbelte sich den dünnen Schnurrbart und fragte: »Ihnen ist bewusst, dass ich keine illegalen Aufträge annehme?«
Bei dieser Frage warf er seinem Gegenüber einen stechenden Blick zu. Mr Morris verzog den Mund zu einem müden Lächeln und antwortete feierlich: »Sollte man etwas Illegales von Ihnen verlangen, steht es Ihnen selbstverständlich frei, zu gehen.«
Der verdammte Wicht hatte tatsächlich gelächelt! Anscheinend wusste er nur allzu gut, dass Legalität für Lombard nicht unbedingt eine entscheidende Rolle spielte …
Nun schmunzelte Lombard vor sich hin.
Du liebe Güte, ein paarmal hatte er sich wirklich in juristische Grauzonen begeben, doch am Ende war er immer damit durchgekommen. Im Grunde lag seine Hemmschwelle eher niedrig … Ja, äußerst niedrig. Wahrscheinlich würde er sich auf Soldier Island prächtig amüsieren …
Miss Emily Brent saß im Nichtraucherwagen und hielt sich so aufrecht wie gewohnt. Sie war fünfundsechzig Jahre alt und hätte sich niemals gehen lassen. Ihr Vater, ein Colonel der alten Schule, hatte großen Wert auf Etikette gelegt.
Die junge Generation war auf schamlose Weise lax, nicht bloß in Bezug auf ihre Körperhaltung, sondern auch in jeder anderen Hinsicht …
Miss Brent saß in der überfüllten dritten Klasse, schwelgte selbstzufrieden in der eigenen Prinzipientreue und triumphierte über Unbequemlichkeit und Hitze. Worüber die Leute sich heutzutage alles aufregen konnten! Sollte ihnen ein Zahn gezogen werden, verlangten sie nach einer Betäubung. Wenn sie nicht schlafen konnten, nahmen sie Tabletten. Sie verlangten nach Polstersesseln und Sitzkissen, und die jungen Mädchen stellten gedankenlos ihren Körper zur Schau und legten sich im Sommer halbnackt an den Strand.
Miss Brent kniff die Lippen zusammen. An manchen Leuten würde sie wirklich gern ein Exempel statuieren. Sie erinnerte sich an ihren letzten Sommerurlaub. Diesmal würde hoffentlich alles anders sein. Auf Soldier Island …
Sie erinnerte sich an den Brief, den sie inzwischen unzählige Male gelesen hatte.
Liebe Miss Brent,
ich hoffe, Sie erinnern sich an mich. Wir sind uns vor vielen Jahren im August im Belhaven Guest House begegnet und hatten überraschend viel gemeinsam.
Nun plane ich, auf einer Insel vor der Küste von Devon ein eigenes Gästehaus zu eröffnen. Ich glaube, eine Pension mit schlichter, gutbürgerlicher Küche und höflichem, traditionsbewusstem Personal wird auf Nachfrage stoßen. Bloß keine Nacktheit und auch keine Grammophone, die die halbe Nacht durchspielen! Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie es einrichten könnten, Ihren Sommerurlaub auf Soldier Island zu verbringen – natürlich kostenfrei und als mein Gast. Würde Anfang August Ihnen passen? Vielleicht ab dem 8.?
Mit freundlichen Grüßen
Ihre U.N.O.
Was war das für ein Name? Die Unterschrift war kaum zu entziffern. Die Leute achten einfach nicht mehr auf Leserlichkeit, dachte Emily Brent gereizt.
Sie erinnerte sich an die anderen Gäste in Belhaven, wo sie zwei aufeinanderfolgende Sommerurlaube verbracht hatte. Da war diese nette Dame mittleren Alters gewesen, Miss – wie hieß sie gleich? Ihr Vater war Domherr gewesen. Und Mrs Olten – Ormen – nein, sie hatte Oliver geheißen! Ja, genau. Mrs Oliver.
Soldier Island! Über die Insel hatte Emily Brent alles Mögliche in der Zeitung gelesen. Angeblich gehörte sie einem Filmstar. Oder einem amerikanischen Millionär?
Orte wie dieser waren natürlich billig zu haben, nicht jeder machte sich etwas aus Inseln. Die meisten Leute fanden die Vorstellung ganz romantisch, aber wenn sie dann dort leben sollten, wurden sie sich der Nachteile bewusst und wollten schnell wieder verkaufen.
So oder so kann ich kostenlos Urlaub machen, dachte Emily Brent bei sich.
Jetzt, da ihr Einkommen sich verringert hatte und ihr kaum noch Dividenden ausbezahlt wurden, konnte sie ein Angebot wie dieses nicht ablehnen. Wenn sie sich doch nur besser an Mrs – oder Miss? – Oliver erinnern könnte!
General Macarthur sah aus dem Fenster, gerade als der Zug in den Bahnhof von Exeter einfuhr. Er musste hier umsteigen. Mit diesen Bummelzügen war es wirklich ein Kreuz! Berücksichtigte man nur die Luftlinie, war die Insel einen Katzensprung entfernt.
General Macarthur hatte immer noch nicht herausbekommen, wer dieser Owen genau war. Angeblich war er mit Spoof Leggard befreundet und auch mit Johnnie Dyer.
»… ein paar der alten Kameraden sind ebenfalls eingeladen … über die guten alten Zeiten reden …«
Tja, über die guten alten Zeiten redete er immer gern. Seit kurzem hatte er allerdings den Eindruck, dass die alten Kameraden ihn mieden. Und alles nur wegen eines verdammten Gerüchts! Um Gottes willen, die Sache war übel, aber inzwischen fast dreißig Jahre her! Vermutlich hatte Armitage nicht den Mund gehalten. Dieser verfluchte Bengel, wovon hatte der schon eine Ahnung? Ach, es hatte keinen Sinn, sich den Kopf zu zermartern. Manches bildete man sich nur ein, beispielsweise dass alte Freunde einen schief ansahen.
Auf die Insel freute er sich hingegen sehr. Immer noch kursierten die wildesten Gerüchte, und an manchen war anscheinend wirklich etwas dran. Am Ende hatten das Marineministerium, das Kriegsministerium oder die Air Force die Finger im Spiel …
Das Haus hatte Elmer Robson bauen lassen, der junge US-Millionär. Angeblich hatte es ein Vermögen gekostet und war mit jedem erdenklichen Luxus ausgestattet …
Exeter! Umsteigezeit eine Stunde! Dabei hatte er gar keine Lust zu warten, er wollte vorankommen …
Dr. Armstrong lenkte seinen Morris durch die Ebene von Salisbury. Er war so müde … doch der Erfolg hatte eben seinen Preis. Früher hatte er tagelang in seiner mustergültig ausgestatteten Praxis in der Harley Street gesessen, die modernen Geräte und eleganten Möbel angestarrt und vergeblich auf Patienten gewartet, und beim Warten hatte er sich bange gefragt, ob er erfolgreich sein oder scheitern würde …
Nun, er hatte es geschafft. Er hatte Glück gehabt, und natürlich auch Talent. Er machte seine Arbeit gut, aber das allein reichte nicht aus. Manchmal musste das Schicksal nachhelfen, wie in seinem Fall. Eine genaue Diagnose, dankbare Patientinnen, die zufällig Geld und Einfluss besaßen, und schon sprach es sich herum. »Du musst unbedingt zu Dr. Armstrong gehen. Er ist noch ziemlich jung, aber so gescheit! Pam ist jahrelang von einem Arzt zum anderen gelaufen, doch er hat die Ursache sofort erkannt.« So war der Stein ins Rollen gekommen.
Und jetzt war Dr. Armstrong endlich am Ziel. Sein Terminkalender war voll, er hatte kaum noch Freizeit und freute sich an diesem Augustmorgen wirklich sehr, London verlassen und ein paar Tage auf einer Insel vor der Küste von Devon verbringen zu können. Nicht, dass er wirklich Urlaub machen würde. In dem Brief waren die Konditionen nur vage umrissen worden, doch der beiliegende Scheck sprach für sich. Das Honorar war saftig. Vermutlich schwammen diese Owens in Geld. Das Problem schien eher klein: Der Mann machte sich Sorgen um die Gesundheit seiner Frau und wollte einen professionellen Rat einholen, ohne dass sie etwas davon merkte. Sie weigerte sich, zum Arzt zu gehen. Die Nerven …
Die Nerven! Der Doktor zog die Augenbrauen hoch. Immer diese Frauen mit ihren Nerven. Tja, für sein Geschäft war es gut. Die meisten seiner Patientinnen hatten keine Krankheit, sondern einfach nur Langeweile, wovon sie allerdings nichts hören wollten. Doch irgendetwas ließ sich immer finden.
»Sie leiden an einer seltenen Fehlfunktion der (an dieser Stelle fügte er ein langes Wort ein). Aber das ist nicht weiter beunruhigend und lässt sich leicht therapieren.«
Unterm Strich beruhte die moderne Medizin größtenteils auf Wunderheilung, und Dr. Armstrong hatte ein Händchen dafür: Er schaffte es, anderen Hoffnung und Glauben zu schenken.
Wie gut, dass er nach dieser Sache vor zehn, nein, vor fünfzehn Jahren noch einmal die Kurve gekriegt hatte. Denkbar knapp! Er war am Boden zerstört gewesen, aber der Schreck hatte ihm geholfen, sich zusammenzureißen. Seither hatte er nie wieder einen Drink angerührt. Bei Gott, es hätte auch anders enden können …
Plötzlich raste ein riesiger Dalmain-Sportwagen mit ohrenbetäubendem Gehupe und achtzig Sachen an ihm vorbei. Um ein Haar lenkte Dr. Armstrong sein Auto in die Hecke. Vermutlich einer dieser idiotischen Halbstarken, die die Landstraßen unsicher machten. Er hasste diese Burschen. Anscheinend hatte er wieder einmal großes Glück gehabt. Verdammter Idiot!
Während er auf die Ortschaft Mere zudonnerte, dachte Tony Marston: Erschreckend, wie viele Leute hier im Schneckentempo unterwegs sind. Ständig blockiert irgendwer die Straße, und natürlich sind alle auf der Mittellinie unterwegs! In England Auto zu fahren ist wirklich kein Vergnügen … In Frankreich läuft das anders, da kann man richtig auf die Tube drücken.
Sollte er auf einen Drink anhalten oder durchfahren? Er hatte noch jede Menge Zeit, bis ans Ziel waren es nur noch hundert Meilen. Er würde sich einen Gin mit Ingwerbier gönnen, schließlich knisterte der Tag vor Hitze. Der Ausflug auf die Insel wäre sicherlich ein großer Spaß – falls das Wetter hielt. Wer waren diese Owens überhaupt? Wahrscheinlich stinkreiche Leute. Badger war ziemlich gut darin, derlei Gelegenheiten aufzutun. Aber was blieb dem Ärmsten auch übrig, er selbst war ja praktisch mittellos …
Hoffentlich schenkten die Owens ihren Gästen großzügig ein. Bei Leuten, die ihr Geld nicht geerbt, sondern selbst verdient hatten, konnte man nie wissen. Zu schade übrigens, dass die Gerüchte um Gabrielle Turl sich als unwahr erwiesen hatten. Tony hätte sich zu gern ihrer Entourage angeschlossen …
Ach, nicht so schlimm, sicher würde er auch so die eine oder andere Frau kennenlernen …
Er verließ das Gasthaus, streckte sich, gähnte, sah kurz in den blauen Himmel und kletterte wieder in seinen Sportwagen.
Ein paar junge Frauen bewunderten ihn verstohlen. Kein Wunder – über eins achtzig groß, volles Haar, Sonnenbräune, strahlend blaue Augen.
Er ließ den Motor aufheulen und schoss durch die schmale Straße, während alte Männer und Botenjungen sich mit einem Sprung zur Seite retten mussten. Letztere blickten dem Auto ehrfürchtig nach.
Und so setzte Anthony Marston seinen Triumphzug fort.
Mr Blore reiste mit dem Bummelzug aus Plymouth an. In seinem Waggon saß nur ein einziger weiterer Passagier, ein alter Seemann mit triefenden Augen, der gerade eingenickt war.
Mr Blore schrieb sorgsam in sein kleines Notizbuch.
»Das sind dann wohl alle«, murmelte er. »Emily Brent, Vera Claythorne, Dr. Armstrong, Anthony Marston, der alte Richter Wargrave, Philip Lombard und der hochdekorierte General Macarthur. Des weiteren: der Butler und seine Frau, Mr und Mrs Rogers.«
Er klappte das Notizbuch zu, steckte es zurück in seine Tasche und beäugte den schlafenden Mann in der Fensterecke.
»Hat wohl einen über den Durst getrunken«, diagnostizierte Mr Blore völlig richtig, bevor er alles noch einmal gründlich überdachte.
»Keine allzu schwere Aufgabe«, sagte er zu sich selbst. »Kann mir nicht vorstellen, was da schiefgehen sollte. Hoffentlich sehe ich anständig aus.«
Er stand auf und betrachtete sich nervös im Spiegel, aus dem ihm ein nahezu ausdrucksloses Gesicht mit militärischer Anmutung und Schnauzbart entgegenblickte. Die grauen Augen standen dicht beieinander.
»Ich könnte ein Major sein«, überlegte Mr Blore laut. »Halt, nein, ich vergaß. Dieser alte General würde mich sofort durchschauen … Südafrika«, fuhr er fort. »Das ist es! Keiner von denen war je in Südafrika, und ich habe gerade diesen Reiseführer gelesen und kann halbwegs glaubwürdig davon erzählen.«
Glücklicherweise lebten in den Kolonien alle möglichen Charaktere. Als wohlhabender Südafrikaner würde Mr Blore jeder gesellschaftlichen Situation gewachsen sein, das spürte er genau.
Soldier Island. Er war als Junge dort gewesen. Stinkende, von Möwen bevölkerte Felsen eine Meile vor der Küste. Ihren Namen hatte die Insel der Ähnlichkeit mit einem Männerkopf zu verdanken.
Was für eine eigenartige Idee, ausgerechnet dort ein Haus zu bauen. Bei schlechtem Wetter war die Insel einfach nur furchtbar, aber diese Millionäre hatten eben ihre Launen.
Der alte Mann in der Ecke setzte sich auf und sagte: »Auf See kann man nie wissen … Nie!«
»Das ist wahr«, sagte Mr Blore sanft.
Der Alte stieß zweimal auf und sprach in klagendem Ton weiter: »Da kommt ein Sturm.«
»Nein, guter Mann, das Wetter heute ist wunderbar«, sagte Mr Blore.
Da insistierte der Alte erbost: »Da kommt ein Sturm. Ich kann ihn riechen.«
»Vielleicht haben Sie recht«, beschwichtigte Mr Blore ihn.
Der Zug fuhr in den Bahnhof ein, der alte Mann erhob sich schwankend.
»Hiermussichraus«, nuschelte er und riss am Türgriff. Mr Blore half ihm hinaus.
Auf dem Gang blieb der Alte noch einmal stehen, hob feierlich die Hand und blinzelte mit triefenden Augen.
»So seid nun wach allezeit und betet«, sagte er. »Seid wach und betet. Das Jüngste Gericht steht bevor.«
Dann ließ er sich durch die Tür auf den Bahnsteig fallen. Aus der Rückenlage blickte er zu Mr Blore empor und ergänzte mit enormer Würde: »Junger Mann, ich rede mit Ihnen! Das Jüngste Gericht steht kurz bevor.«
Auf dem Rückweg zu seinem Platz dachte Mr Blore: Das Jüngste Gericht? Tja, du wirst früher davor stehen als ich.
Aber da hatte er sich gründlich geirrt.
Vor dem Bahnhof von Oakbridge wartete eine kleine verunsichert wirkende Gruppe von Menschen, gleich dahinter standen die Träger mit dem Gepäck. Einer von ihnen rief: »Jim!«
Ein Taxifahrer kam näher.
»Wollen Sie vielleicht nach Soldier Island?«, fragte er mit weichem Devon-Akzent. Die vier Wartenden bejahten wie aus einem Mund, und dann beäugten sie einander erschreckt.
Der Taxifahrer wandte sich an Richter Wargrave, ganz offensichtlich der Senior der Gruppe: »Für Sie wurden zwei Taxis bestellt, Sir. Das eine muss warten, bis der Bummelzug aus Exeter eingetroffen ist, da kommt nämlich noch ein Gentleman nach. Wird keine fünf Minuten mehr dauern. Vielleicht könnte jemand mit ihm fahren? So wäre es für alle bequemer.«
Vera Claythorne vergegenwärtigte sich, dass sie hier die Sekretärin war, und meldete sich zu Wort. »Ich warte«, sagte sie. »Dann können die anderen schon einmal losfahren.« Sie sah ihre drei Mitreisenden an, und ihr Blick und ihre Stimme vermittelten eine Entschiedenheit, wie sie nur von erfahrenen Autoritätspersonen ausgeht. Sie klang, als würde sie Schülerinnen für ein Tennismatch einteilen.
»Danke sehr«, sagte Miss Brent steif, zog den Kopf ein und nahm auf der Rückbank eines der Taxis Platz, dessen Fahrer ihr die Tür aufhielt.
Richter Wargrave folgte ihr.
Captain Lombard sagte: »Ich bleibe hier und warte mit Miss …?«
»Claythorne.«
»Mein Name ist Lombard. Philip Lombard.«
Die Träger wuchteten das Gepäck aufs Taxidach. Drinnen kommentierte Richter Wargrave mit juristischer Unverbindlichkeit: »Heute ist das Wetter wirklich schön.«
Miss Brent antwortete: »Ja, in der Tat.«
Ein sehr feiner älterer Herr, dachte sie bei sich. Ganz anders als die Sorte Mann, wie man sie üblicherweise in Badeorten antrifft. Offensichtlich pflegte Mrs – oder Miss – Oliver einen guten Umgang.
Richter Wargrave fragte: »Kennen Sie sich in der Gegend aus?«
»Ich war in Cornwall und in Torquay, aber dies ist mein erster Besuch in Devon.«
»Meiner auch«, sagte der Richter.
Das erste Taxi fuhr los.
Der Fahrer des zweiten Taxis fragte: »Möchten Sie im Auto warten?«
»Nein, ganz und gar nicht«, antwortete Vera entschieden.
Lächelnd sagte Captain Lombard: »Die sonnige Mauer dort sieht viel einladender aus. Oder möchten Sie lieber in den Bahnhof?«
»Auf keinen Fall. Ich bin froh, nicht mehr in diesem stickigen Zug sitzen zu müssen.«
»Ja, Zugreisen bei dem Wetter sind wirklich eine Strapaze.«
»Hoffentlich hält es an«, sagte Vera im Plauderton. »Das Wetter, meine ich. Der englische Sommer ist ja so tückisch.«
Lombards nächste Frage war wenig originell. »Kennen Sie die Gegend?«
»Nein, ich war noch nie hier.« Um ihre Rolle von Anfang an deutlich zu machen, fügte Vera hastig hinzu: »Ich habe meine Arbeitgeberin noch gar nicht kennengelernt.«
»Ihre Arbeitgeberin?«
»Ja. Ich bin Mrs Owens Sekretärin.«
»Oh, verstehe.« Lombards Haltung änderte sich fast unmerklich. Auf einmal klang er gleich ein bisschen selbstbewusster und entspannter. »Ist das nicht eher ungewöhnlich?«
Vera lachte.
»Oh, nein, gar nicht. Ihre Sekretärin ist plötzlich krank geworden, und da hat sie sich an die Agentur gewandt und mich als Vertretung angefordert.«
»So ist das also … Was werden Sie tun, falls Ihnen die Arbeit nicht zusagt?«
Vera lachte abermals.
»Ach, es ist nur vorübergehend. Ein Ferienjob. Eigentlich bin ich an einer Mädchenschule angestellt. Ehrlich gesagt kann ich es gar nicht erwarten, Soldier Island zu sehen. Ich habe ja so viel in der Zeitung darüber gelesen. Ist die Insel wirklich so faszinierend?«
»Keine Ahnung. Ich war noch nie da.«
»Ach, wirklich nicht? Nun, den Owens scheint es dort sehr zu gefallen. Was sind das für Leute? Erzählen Sie!«
Wie unangenehm, dachte Lombard. Sollte er seine Auftraggeber persönlich kennen? Schnell sagte er: »Ihnen krabbelt da eine Wespe über den Arm. Halt, nicht bewegen!« Beherzt sprang er auf Vera zu. »Da, schon verjagt.«
»Oh, danke! Diesen Sommer gibt es ja so viele Wespen.«
»Ja, liegt wahrscheinlich an der Hitze. Auf wen warten wir eigentlich? Wissen Sie das?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
Plötzlich ertönte das langgezogene Pfeifen eines herannahenden Zuges.
»Das wird er sein«, sagte Lombard.
Kurz darauf tauchte ein hochgewachsener älterer Mann im Bahnhofsausgang auf. Sein graues Haar war so kurz getrimmt wie beim Militär, der weiße Schnurrbart akkurat gestutzt.
Ein Gepäckträger, der unter dem Gewicht des stabilen Lederkoffers schwankte, deutete auf Vera und Lombard.
Vera trat pflichtbewusst vor und sagte: »Ich bin Mrs Owens Sekretärin. Unser Wagen wartet schon.« Dann fügte sie hinzu: »Darf ich Ihnen Mr Lombard vorstellen?«
Der ältere Mann musterte Lombard aus blassblauen, vom Alter keineswegs getrübten Augen. Ganz kurz zuckten sie vor Widerwillen, was aber niemandem auffiel.
Ein gut aussehender Kerl, aber irgendwas stimmt nicht mit ihm …, dachte er.
Die drei stiegen in das wartende Taxi, das sie durch die verschlafenen Gassen des kleinen Oakbridge fuhr, und dann ging es für eine Meile auf der Hauptstraße nach Plymouth weiter. Nach einer Weile bogen sie ab und fanden sich in einem grünen, hügeligen Irrgarten aus schmalen, steilen Landstraßen wieder.
General Macarthur sagte: »Dieser Teil von Devon ist mir unbekannt. Ich wohne im Osten der Grafschaft, an der Grenze zu Dorset.«
»Es ist wirklich hübsch hier«, meinte Vera. »Die Hügel, die rote Erde … Und alles wirkt so grün und saftig.«
Philip Lombard war da schon kritischer.
»Ein bisschen zu unübersichtlich für meinen Geschmack … Ich bevorzuge das flache Land. Da kann man sehen, was kommt …«
General Macarthur wandte sich an ihn: »Dann sind Sie wohl schon weit in der Welt herumgekommen?«
Lombard zuckte gleichgültig die Schultern.
»Ich war hier und dort, Sir.«
Dabei dachte er: Gleich wird er mich fragen, ob ich seinerzeit schon alt genug war, in den Krieg zu ziehen. Mit diesen alten Knaben ist es immer dasselbe.
Aber General Macarthur erwähnte den Krieg mit keinem Wort.
Sie fuhren über eine Hügelkuppe, und von dort ging es auf einer Serpentinenstraße nach Sticklehaven hinunter. Der Ort war nur eine Ansammlung von Cottages, auf dem Strand lag hier und dort ein Fischerboot.
Und da bot sich ihnen ein erster Blick auf die Insel. Gen Süden, im Licht der untergehenden Sonne, ragte Soldier Island aus dem Meer auf.
Überrascht sagte Vera: »Ganz schön weit draußen.«
Sie hatte sich die Insel anders vorgestellt, näher an der Küste und von einer strahlend weißen Villa gekrönt. Aber von hier war kein Haus zu erkennen, nur schroffe Felsen, deren Silhouette vage an einen riesigen Männerkopf erinnerte. Die Insel hatte etwas Düsteres. Vera erschauderte.
Vor einem kleinen Gasthof namens Seven Stars saßen drei Menschen. Vera erblickte die gebeugte Gestalt des alten Richters, die aufrechte Miss Brent und einen unbekannten Mann. Er war groß und stämmig, und sobald er die Neuankömmlinge sah, erhob er sich und begrüßte sie.
»Wir dachten, wir warten einfach auf Sie«, sagte er. »Dann können wir alle zusammen übersetzen. Darf ich mich vorstellen? Davis der Name, aus Natal in Südafrika. Am Weihnachtstag im Weihnachtsland geboren, haha!«
Sein Lachen klang dröhnend.
Richter Wargrave warf ihm einen unverhohlen feindseligen Blick zu. Anscheinend wünschte er sich, er könnte den Mann abführen lassen. Miss Emily Brent war eindeutig unentschieden, ob sie Leute aus den Kolonien mochte.
»Wollen wir vor dem Ablegen noch einen Drink nehmen?«, fragte Mr Davis fürsorglich.
Weil niemand auf den Vorschlag einging, drehte er sich um und hob den Zeigefinger.
»In dem Fall sollten wir sofort aufbrechen. Wahrscheinlich erwarten unsere großzügigen Gastgeber uns schon«, sagte er.
Vielleicht bemerkte er, dass die anderen plötzlich eine eigenartige Zurückhaltung befiel. Fast war es, als hätte die Erwähnung der Owens einen seltsam lähmenden Effekt auf seine Mitreisenden.
An einer Mauer in der Nähe lehnte ein Mann. Sobald er Davis’ erhobenen Finger saß, stieß er sich ab und kam näher. Sein breitbeiniger Gang verriet den Seefahrer. Er hatte ein wettergegerbtes Gesicht und dunkle, fast ausdruckslose Augen, seine sanfte Stimme klang nach Devon.
»Ladys und Gentlemen, sind Sie bereit für die Insel? Das Boot wartet schon. Es fehlen noch zwei weitere Herren, die mit dem Auto anreisen wollten, aber Mr Owen hat mir die ausdrückliche Anweisung erteilt, nicht auf sie zu warten. Wer weiß, wann sie hier ankommen.«
Die Reisegesellschaft erhob sich, und der Fährmann begleitete sie zu einem gemauerten Anleger, an dessen Seite ein Motorboot festgemacht war.
Emily Brent sagte: »Das ist aber klein«, worauf der Bootseigentümer beschwichtigend entgegnete: »Ein zuverlässiges Boot, Madam. Wir könnten damit problemlos bis nach Plymouth fahren.«
In scharfem Ton wandte Richter Wargrave ein: »Wir sind nicht gerade wenige.«
»Ich könnte doppelt so viele Passagiere befördern, Sir.«
Philip Lombard ging freundlich dazwischen: »Das ist schon in Ordnung. Herrliches Wetter, kein Wellengang.«
Mit skeptischer Miene ließ Miss Brent sich ins Boot helfen, die anderen folgten nach und nach. Bislang wollte sich noch kein Gruppengefühl einstellen; stattdessen war es, als zerbräche der eine sich über den anderen den Kopf.
Gerade als sie ablegen wollten, hielt der Fährmann inne, den Bootshaken in der Hand.
Auf der steilen Serpentinenstraße oberhalb des Dorfes war ein Auto zu erkennen. Ein so PS-starkes und übertrieben luxuriöses Auto, dass es einer Erscheinung gleichkam. Am Steuer saß ein junger Mann, seine Haare flatterten im Fahrtwind. Im glühenden Abendlicht sah er nicht wie ein Mensch aus, sondern wie ein junger Gott oder ein Held aus einer nordischen Saga.
Er drückte auf die Hupe, und von den Uferfelsen der kleinen Bucht hallte das Geräusch wider wie ein Donner.
Der Moment war atemberaubend. In diesem Augenblick wirkte Anthony Marston unsterblich; später würden die Anwesenden sich oft daran erinnern.
Fred Narracott saß am Außenbootmotor und wunderte sich über den schrägen Haufen, der kein bisschen seiner Vorstellung von Mr Owens Hausgästen entsprach. Er hatte mit stilvolleren Leuten gerechnet, mit geschniegelten Damen und Herren in Segelkleidung, allesamt sehr reich und wichtig.
Elmer Robson hatte damals eine ganz andere Klientel eingeladen. Als Fred Narracott sich an die Gäste des Millionärs erinnerte, musste er unwillkürlich lächeln. Der Mann hatte Partys zu feiern gewusst – wie viel Alkohol damals geflossen war!
Dieser Mr Owen war wahrscheinlich ganz anders. Dass Fred Narracott aber weder den Mann noch dessen Gemahlin je mit eigenen Augen gesehen hatte, fand er ein bisschen seltsam. Der Inselbesitzer hatte sich kein einziges Mal hier blicken lassen; alles wurde von diesem Mr Morris bestellt und bezahlt. Die Anweisungen waren klar, und die Bezahlung kam pünktlich, trotzdem fand Narracott die Sache merkwürdig. Die Zeitungen mutmaßten, dass diesen Owen irgendein Geheimnis umgab, und Mr Narracott war ganz ihrer Meinung.
Vielleicht gehörte die Insel am Ende doch Gabrielle Turl? Aber diese Theorie hatte er spätestens in dem Moment begraben, als er seine Passagiere sah. Unwahrscheinlich, dass diese Leute mit einem Filmstar befreundet waren.
Der Fährmann ließ seinen desinteressierten Blick über die Gruppe schweifen.