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In den Texten von Henry-Martin Klemt gären Erfahrungen weiter. Er schreibt zusammen, was zusammengehört, auch wenn es im Alltag sorglich getrennt bleibt, weil es nur einzeln ertragbar scheint oder einander nicht in die Quere kommen soll. Die Metaphern schwingen zwischen unsichtbaren Polen. Wo Hoffnung ohne Lüge kommt, ist Trost nicht billig zu erwarten. Klemt ist ein historisch-dialektischer Romantiker, ein pantheistischer Materialist. Sein zehnter Gedichtband "Ungeduldig ist das Leben..." umfasst 99 Liedtexte, die in den vergangenen Jahren entstanden. Gut ein Drittel des Buches gehört der Liebe und den Liebenden. Angefangen bei Franz von Assisi und der Prostituierten, die den Mönch verführen wollte, bis hin zur eigenen Leidenschaft, die Klemts Wege bestimmte. Manchmal ist die Liebe wie ein Pflasterstein, manchmal kann kein Reset sie retten und manchmal hängt sie tot an einem Strick. Manchmal vergisst sie sich schon selbst vor dem Aquarium und lebt doch noch immer. Meistens ist sie wunderbar verrückt. Klemt ist ein Kind des zwanzigsten Jahrhunderts, doch er wandert gern durch die Zeiten. Er erinnert sich an seine Kindheit und Jugend, an Mauer und Transformation und an die verbeulte Eisenhaut eines Schubschiffs in Königswusterhausen. Im schnoddrigen Ton des Berliners preist er seine märkische Provinz. Er schaut ihren herumgestoßenen Kindern in die Seele, raucht seine Zigarre und trinkt Wein aus dem Fünf-Liter-Ballon. Von seiner Reise durch die Vergangenheit bringt er einen Zahn von Skylla mit nach Hause. Den Mond über Wien beschreibt er, Mädchen und Poeten in Moskau. In Halle wünscht er sich ein Sigmund-Jähn-Planetarium. Am Sallingsund ruht er sich aus. Schlaf und Tod fahren im alten Cadillac bei ihm vor. Klemt weiß auch von Helden zu sagen. Sie heißen Diogenes oder Spartacus. Von Caroline wird erzählt, die im Hydepark an sich selber starb, vom Lyriker Jens Gerlach und von der tanzenden Patti. Der Dichter erinnert an den Sänger Ralf Engel, der nie berühmt wurde, und Leonard Cohen. Wegen solcher Menschen muss Klemt immer wieder seiner Hoffnung folgen. Dafür sucht er Begleitung. "Sangbar wie ein Volkslied" nannte der Kritiker Klaus-Dieter Schönewerk Klemts Texte bereits in den 90er Jahren. Eine Reihe von Musikern empfand das ähnlich, als sie etliche davon vertonte. Die 99 Lieder sind deshalb auch eine Einladung an Menschen, die gern etwas zu singen haben.
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Seitenzahl: 95
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Henry-Martin Klemt
Vorrede
KINDER LIED
Diese Liebe mein´ ich, diese
VERSCHENKTES LIED
SEHR FRÜHES LIED
DIESES LIEBESLIED
FRÜHER WALZER
MELANCHOLISCHES LIED
FROSCHKÖNIGS LIED
GEFUNDENES LIED
SPIELENDES LIED
FAHRENDES LIED
FRAGWÜRDIGES LIED
MORGENDLICHES LIED
BRIGITTES LIED
VERSPROCHENES LIED
VERFAHRENES LIED
BERLINER ZIMMER
HÄNGENDES LIED
BLINDES LIED
DUFTENDES LIED
BEZIEHUNGS-WEISE
DIGITALES LIEBESLIED
GENETISCHES DANKLIED
OH SUSANNA
HERRLICHES LIED
ZEITIGES LIED
GEDULDIGES LIED
RADIKALES LIEBESLIED
LIEBESLIEDER LIED
UNHEILIGES LIED
VERSCHNEITES LIED
KLEINES ODER-LIED
NEIDISCHES LIED
KILKENNY LIED
SCHÖNES LIED
MEER LIED
HEIMKEHRENDES LIED
BLEIBENDES LIED
EINFACHES LIED
Wenn die Zeiten sind
LANGSAMES LIED
GLEICHES LIED
GÄNGIGES LIED
WENN DIE ZEITEN SIND
DEUTSCHES LIED 1990
GESTRANDETES LIED
MUSEALES LIED
MAUER-BALLADE
REGINE II
DOLCE VITA LIED
TAG UND NACHT LIED
Flaschenpost
SANFTES LIED
RAUCHIGES LIED
KÖNIGSWUSTERHAUSEN LIED
MITSOMMERLICHES LIED
SINNENDES LIED
GESTÄNDIGES LIED
PROVINZIELLES LIED
GEBURTSTAGSLIED
LAUSIGES LIED
KINDISCHES LIED
HÖFISCHES LIED
TAUBEN LIED
SCHLAFLOSES LIED
WARTENDES LIED
GREISENHAUPT
ABENDLICHTES LIED
WINDIGES LIED
BEGINNENDES LIED
PAPIERSCHIFFCHEN LIED
REISENDES LIED
URBERLINER LIED
WIENER LIED
SCHWIMMENDES LIED
SCHANDLIED FÜR HALLE
SALLINGSUND LIED
SABINILLAS LIED
Helden sagen
GENESIS
DIOGENES´ LIED
LIED DES SPARTAKUS
HELDISCHES LIED
MEINE SEELE
VON ANFANG AN
CAROLINES LIED
WARUM WIR FREUNDE WAREN
JOHANNES` LIED
TANZ LIED
Der Hoffnung hinterher
VOGEL LIED
IMMERGLEICHES LIED
FREUNDLICHES LIED
LIED FÜR PATTI
IMMER EINER LIED
SCHREIENDES LIED
VIERTES WOLFSLIED
KLEINES LUST LIED
DER GROSSE SPAZIERGANG
ERMUTIGUNG FÜR VERA
LIED DER MATROSEN
VERSTECKTES LIED
WEITES LIED
ALLTÄGLICHES LIED
Es stürmt´ auf Erden mörderisch Um Eck und Kante. Die Kerze brannte auf dem Tisch, Die Kerze brannte.
BORIS PASTERNAK
wurde 1960 in Berlin geboren. 1985 schloß er sein Hochschulstudium am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig ab und zog nach Frankfurt (Oder). Er ist Lyriker, Liedtexter, Nachdichter, Herausgeber, Text- und Bild-Journalist.
Seit den 70er Jahren veröffentlichte Henry-Martin Klemt in Zeitungen, Zeitschriften, Kalendern und Anthologien. Sein Debüt hatte er in der Reihe Poesiealbum (242) beim Verlag Neues Leben Berlin 1987. Bisher erschienen von ihm zehn Bücher, darunter neun Gedichtbände. Henry-Martin Klemt arbeitete an fünfzehn LPs und CDs verschiedener Künstler mit. Gedichte erschienen auch in zahlreichen Sammelbänden (unter anderem „Lyrik der DDR“ bei S. Fischer). Zuletzt erschienen „wurzelland.wo“ (Gedichte, 2016, BoD) und „Flatterherz“ (Liebesgedichte, 2016, Tredition) sowie „Das Licht des 13. Mondes“ (Äthiopisches Tagebuch, 2017, BoD).
2016 gab Henry-Martin Klemt das lyrische Werk von Eva Schönewerk („Liebe muss der Wahrheit Schwester sein – Die Gedichte“, BoD) und von Klaus-Dieter Schönewerk („Museum für Wunder – Die Gedichte“, BoD) heraus, deren literarische Nachlässe er betreut.
Als Autor arbeitete Klemt in den vergangenen vierzig Jahren mit Schauspielern, Kabaretts, Liedermachern und Bands unterschiedlicher Genres zusammen. Zu seinen musikalischen Partnern gehören unter anderem die Gruppe Quijote (Chemnitz), der Liederdichter Frank Viehweg (Berlin), der Musiker Thomas Strauch, der Liedermacher Maik Pistiak (beide Frankfurt) und die Gruppe Unbekannt verzogen / Steinlandpiraten (Berlin).
Henry-Martin Klemt erhielt unter anderem den Reinhard-Weisbach-Preis 1982, den Hans-Weber-Förderpreis 1989, ein Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg 1996, den Ehm-Welk-Literaturpreis 1996, einen Preis des 3. Festivals Internazionale di Poesia 1997 in Genua (Italien), den Mannheimer Heinrich-Vetter-Literaturpreis 2005 sowie den Ersten Preis für Lyrik bei der 10. Bonner Buchmesse Migration 2015.
Weitere Informationen sind auf der Internetseite www.hmklemt.de zu finden.
Gedichte kommen auf die Erde unter Schmerzen.
Ich trug sie unter meinem Schädelknochen.
Dort geht es härter zu als unterm Herzen.
So wuchsen sie: Sekunden, Tage, Wochen.
Ich könnte sie nicht nähren und nicht kleiden.
Schon gar nicht könnte ich sie je erziehen.
Sie sind zu schnell, zu laut und unbescheiden.
Ihr Leben ist, wie meines, nur geliehen.
Sie gehen oftmals mit den falschen Leuten,
die sie vergeblich kühn um Obdach bitten.
Die einen können sich wie Schlangen häuten.
Die andern sind wie Huren zugeritten.
Im Dreck der Städte, wo sie fast verschwinden,
im Staub der Dörfer, wo sie fast geborgen,
im Norden, wo sie klare Wasser finden,
wird schwarze Nacht erneut zu weißem Morgen.
Daß sie noch da sind, merkt nur, wem sie rauben
die Ruhe und die Unabkömmlichkeit,
auf die so stolz sind all die Blinden, Tauben.
So stehlen sie sich, was sie brauchen: Zeit.
Ich gehe ihnen aus dem Weg. Sie waren
mir niemals fremder, als ich selbst mir bin.
Nur wurden´s immer mehr in all den Jahren.
Ich jag sie fort und zu den andern hin.
August 2018
Nachtverschenker, Tagediebe
suchen nach der großen Liebe
und ein Mann ist ihre Sonne
und ihr Mond ist eine Frau
und ihr Himmel rot vom Lügen
und von Kälte manchmal blau.
Nachtverschenker, Tagediebe
suchen nach der großen Liebe
und der Rotwein macht´s nicht besser
und der Whisky macht´s nicht gut.
Will man seine Welle reiten,
muß man warten auf die Flut.
Nachtverschenker, Tagediebe
suchen nach der großen Liebe.
Er vermutet: weit im Süden,
hoch im Norden, so hofft sie,
und im Hut sitzt ein Kaninchen,
aber raus kriegt man es nie.
Nachtverschenker, Tagediebe
suchen nach der großen Liebe
und sie folgen ihren Spuren
mit den Nasen tief im Dreck.
Manchmal stoßen zwei zusammen
und sie kriegen einen Schreck.
Macht das Leben einen Schlenker:
Tagediebe, Nachtverschenker
greifen zu, um sich zu halten,
denn sonst falln sie nämlich hin.
Doch wenn keiner wieder losläßt,
kriegt das alles seinen Sinn.
Januar 2020
Immer liebten wir für alle Zeiten,
Tage, Wochen, Monate sogar,
sahn voraus durch tiefste Traurigkeiten:
Frei wird sein, was wird, von dem, was war.
Hände zogen aus ins Unbekannte
und ein Name wurde Zufluchtsort,
wo ein Zungenpärchen überrannte,
tanzend, jedes ausgebrannte Wort.
Herzschmerzlippenlappen ausgewrungen,
durchgeweicht vom Kopf bis zu den Zeh´n,
zugeküßt und wieder aufgesungen,
konnten wir einander fast verstehn,
konnten wir uns selber fast verstehn.
Mai 2021
Diese Liebe mein´ ich, diese
aus den letzten Kindertagen.
Heimlich hat sie auf der Wiese
ihre Zelte aufgeschlagen.
Kam auf den Nachhausewegen,
in den Bussen, Schnellzugwagen
unerkannt noch uns entgegen,
und wenn wir im Dunkel lagen,
in zwei Augen, noch erschrocken,
unsre eigne Gier erblickten,
und im Fliehen und Verlocken
hörten, wie die Zeiger tickten.
In den kurzen Dämmerungen,
wenn die Worte uns zerbrachen,
hat sie vor sich hin gesungen,
bis die Hände für uns sprachen.
Durch des Weltalls schwarze Leere
kreisten einsam die Planeten.
Plötzlich in die Atmosphäre
ist ein Raumschiff eingetreten.
Füllen alle Galaxien
sich mit Sternen, die uns gleichen.
Keiner weiß, ob wir verglühen,
ehe wir sie noch erreichen.
Diese Liebe mein´ ich, diese,
die nie hält, was sie versprochen.
Heimlich hat sie auf der Wiese
ihre Zelte abgebrochen.
Diese Liebe mein´ ich eben,
die uns ganz am Anfang küßte,
hatte keine Angst, zu leben
oder daß sie sterben müßte.
Mai 2021
Sie üben die Gesten, die Schritte, den Blick,
spieln mit andern und spielen mit sich.
Dabei falln sie herein auf den uralten Trick
des Toreros und fangen den Stich.
So erfahrn sie von einem zum anderen Mal,
was sie wollen und wer sie nicht sind.
Doch dann ist es schon wieder, als gäb´s keine Wahl,
und die Liebe, die Liebe macht blind.
Wenn sie weinen, wird´s besser. Sie stellen sich tot
wie die Dame, die umfällt beim Schach.
Schwarz und Weiß und darüber im triefenden Rot
kommt die Sonne gerutscht übers Dach.
So erfahrn sie von einem zum anderen Mal,
was sie wollen und wer sie nicht sind.
Doch dann ist es schon wieder, als gäb´s keine Wahl,
und am Ende schreit schließlich ein Kind.
Hören nicht, was sie hörn, sehen nicht, was sie sehn,
wollen nur, daß sie jemand versteht,
und das Schlimmste von allem, was sie nicht verstehn,
ist der Wind, wenn er plötzlich sich dreht.
So erfahrn sie von einem zum anderen Mal,
was sie wollen und wer sie nicht sind,
und dann ist es schon wieder, als gäb´s keine Wahl.
Etwas endet und etwas beginnt.
Alles Heute ist Zufall, doch morgen ist Kunst.
Was danach kommt, weiß keiner genau.
Nur ein Traum geht davon und verschwindet im Dunst,
und heraus tritt ein Mann, eine Frau.
Manchmal fassen zwei Alte sich noch bei der Hand,
denn dem Abend folgt langsam die Nacht.
Sie wolln nur noch, was einer im anderen fand,
und die Liebe, die macht, was sie macht.
September 2020
Wir schwangen die siebenschwänzige Peitsche
von Sonntag bis Sonnabend, he!
Der Rotwein aus Flaschen, der Weißkohl zum Brot.
Kein Pfennig mehr im Portemonnaie.
Die Mädchen umschwirrten die Musiker, Dichter
und Maler reihum: die Bohème.
Zum Glück gab es damals noch Telefonzellen.
Dort schlief man allein und bequem.
Die Traurigkeit ist eine Kunst.
Man übt sie Jahr um Jahr.
Erst wenn wir dieser Welt entrückt,
kam jeder jedem nah.
Die nüchternen, alles verschlingenden Blicke
durchfraßen das Partygewühl
und war unser Fell zum Zerreißen gespannt,
dann war es kein Trick, kein Kalkül.
Ein Buch auf der Brust und zwischen den Lenden
lag jemand und hörte dir zu.
Durch Plattenbeton seufzten Tonbandgeräte.
Was wird bloß aus uns, amor fou?
Die Traurigkeit ist eine Kunst.
Man übt sie Jahr um Jahr.
Wenn uns die Traurigkeit geglückt,
war auch die Liebe da.
Als hätten wir nur geborgt dieses Leben,
so faßte sich an unsre Haut.
Was andere gefühlt hatten oder verstanden:
Wir hatten es nie ganz durchschaut.
Es war wie ein Mantel, ein fremder, der wärmte.
Wo er herkam, kamen wir her.
Wir tanzten darin, bis ein Sommer uns fand
am Ufer, am ewigen Meer.
März 2018 / Januar 2019
Manchmal sehen zwei sich an
wie man sich nur ansehn kann.
Heinrich, der Wagen bricht!
Lieb mich oder lieb mich nicht.
Ist die alte Haut zu schwer,
wirf sie hin dem Großen Bär.
Heinrich, der Wagen bricht!
Lieb mich oder lieb mich nicht.
Neugier hat die schönste Hand,
wenn sie streift durchs Niemandsland.
Nackt stehn wir im Abendlicht.
Lieb mich oder lieb mich nicht.
Rolln wir unsre Schatten ein,
wird, was groß war, wieder klein.
Heinrich, der Wagen bricht!
Lieb mich oder besser: nicht.
Manchmal schauen zwei zurück,
sehn sich selbst in ihrem Stück.
Heinrich, der Wagen bricht!
Lieb mich oder lieb mich nicht.
Juli 2021
Für Rita
Beinah hätt ich dich verpaßt,
hätt geirrt mich im Jahrhundert.
Mensch, wie hätt ich mich gewundert,
gänzlich ungebetner Gast.
Doch du hast nach mir gefaßt.
Ich saß zwischen allen Stühlen.
Wer nicht hören muss, darf fühlen,
und die Lust wird nicht zur Last.
Als du mich gefunden hast,
hab ich aufgehört zu suchen,
meine Tage zu verfluchen,
und die Ewigkeit hielt Rast.
Wenn das alles einst verblaßt
und verrückt spieln alle Uhren,
bleiben ein paar schöne Spuren,
wie ein Muster im Damast.
November 2017
Plötzlich steht er vor ihr
eines Abends am Meer,
wo die Sonne versinkt,
und der Strand menschenleer…
Und dann spielt sie die Frau und dann spielt er den Mann,
die sie sein könnten, wäre, was einmal begann,
nicht durch Dreck und Gewalt, nicht durch Geld und Kalkül…
und dann spielen sie beide ihr großes Gefühl.