Unsere Meere – Naturwunder Nord- und Ostsee - Thomas Behrend - E-Book

Unsere Meere – Naturwunder Nord- und Ostsee E-Book

Thomas Behrend

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Beschreibung

Der Ozean ist eines der großen Mysterien unserer Welt. Der preisgekrönte Tierfilmer und Tauchexperte Thomas Behrend erkundet mit seinem Team die Wunderwelten von Nord- und Ostsee. Ein Bildband zum Staunen – für alle, die mehr über die faszinierende Tierwelt in unseren Meeren erfahren wollen und die hinter die Kulissen der spektakulären Arbeit des Unterwassertierfilms blicken wollen. Von Strandkrabbe bis Kegelrobbe, von deren Freuden und Problemen.

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Seitenzahl: 138

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»Wenn das Meer einen einmal in seinen Bann gezogen hat, hält es einen für immer in seinem Netz der Wunder.«

JACQUES-YVES COUSTEAU

THOMAS BEHREND

BILDER VON MARTINA ANDRÉS

UNSERE MEERENORD- UND OSTSEE

LEBENSRAUMDER SUPERLATIVE

INHALT

VORWORT

UNSERE OSTSEE

EIN AUSSERGEWÖHNLICHES MEER

Schwierige Lebensbedingungen

SEEHUNDE

Mitten in der Kinderstube

MIESMUSCHELN

Ein einzigartiges Ökosystem

EIDERENTEN

Gefahr aus der Luft

GOTLAND-RINGELNATTERN

Schlangen, die nach Fischen tauchen

ERDKRÖTEN

Faszinierende neue Einblicke

SEEHASEN

Aufopferungsvolle Vaterliebe

KEGELROBBEN

Von der Erderwärmung bedroht

UNSERE NORDSEE

HEIMAT UNZÄHLIGER TIERE

Unterschiedliche Lebensräume

SKUAS

Der Kampf der ungleichen Vögel

GROSSE TÜMMLER

Publikumslieblinge

BASSTÖLPEL

Tod durch Fischernetze

EURASISCHE FISCHOTTER

Harte Bedingungen, tolle Aufnahmen

KÖNIGSKRABBEN

Giganten auf dem Vormarsch

ORCAS

Klug, schnell – und kamerascheu

STRANDKRABBEN

Wahre Überlebenskünstler

MEER UND MENSCH IN GEFAHR

Warum sind gesunde Meere so wichtig?

NACHWORT

»Das Meer ist nicht nur die Wiege des Lebens, es ist auch das größte Ökosystem unserer Erde – faszinierend, mystisch und noch immer voller Geheimnisse.«

THOMAS BEHREND

VORWORT

Von einem, der auszog, das Meer kennenzulernen

Anfang der 1970er-Jahre hatte ich das erste Mal Kontakt mit der Ostsee. Meine Eltern kauften sich ein kleines Segelboot und wurden schnell zu begeisterten Ostsee-Seglern. Gemeinsam mit meinem Bruder fuhren wir in die Dänische Südsee, das Kattegat hoch bis zur Insel Anholt und die Küste Schwedens entlang bis in die Schärenlandschaft südlich Stockholms. Zumindest im Sommer waren wir jedes Wochenende und in jeder Ferienzeit auf der Ostsee unterwegs. Mindestens acht Jahre ging das so.

Damals interessierte mich das Leben in diesem Meer kaum. In den Häfen fingen wir, wie viele Kinder damals, Quallen und Krebse. Mehr spielerisch entdeckten wir die tierischen Bewohner, oder aus der Not heraus: Wenn ein Schlüssel oder die Brille meines Vaters ins Wasser fiel, mussten wir abtauchen. Kalt war es, und länger als wir brauchten, um das verlorene Gut wiederzufinden, blieben wir nicht im Wasser.

Diese Ausfahrten endeten abrupt, als ich in die Pubertät kam. Und wenngleich ich genau zu diesem Zeitpunkt ein fanatischer Fan des Meeresforschers Jacques Cousteau wurde und durch ihn die Geheimnisse des Meeres lieben lernte, blieb mir die Ostsee als Lebensraum zunächst verschlossen.

Das änderte sich Mitte der 1980er-Jahre, als ich endlich das Tauchen lernen konnte. Und was lag für einen Hamburger Jungen näher, als das vor der Haustür zu tun? So war die Ostsee spätestens ab 1986 mein bevorzugtes Revier und hier begann ich auch mit dem Filmen. Mit fortschreitender Erfahrung als Taucher entdeckte ich immer mehr dieser »kleinen Ostsee-Wunder«: Seeanemonen, die es in ihrer Farbenpracht mit jeder Blume aufnehmen können, obwohl sie keine Pflanzen, sondern Tiere sind. Oder mein Lieblingstier: der Seehase. Ein komisch aussehender Geselle, der bis zu 40 Zentimeter lang wird und in der Paarungszeit eine prächtige orange Laichfärbung bekommt. Jedes Tier, das transportierbar war, landete bei meinen Eltern im Keller. Dort wartete ein spezielles Brackwasser-Aquarium mit selbst gebauter Kühlanlage auf die Ostseebewohner.

Stunden, Tage, ja Wochen verbrachte ich mit meiner Filmkamera vor dem Aquarium. Eigentlich sollte ich Maschinenbau studieren, aber das lief irgendwie nebenbei. Ich wurde Zeuge, wie Miesmuscheln laichen, eine Aalmutter ihre lebenden Kinder gebiert und Strandkrabben sich häuten. Eine Welt voller Wunder!

Es vergingen viele Jahre mit Tauchpraxis und meeresbiologischen Seminaren, bis ich mir zumindest ein Basiswissen über die Ostsee erarbeitet hatte. Und glauben Sie mir, selbst die besten Meeresbiologen kennen nur einen Bruchteil dieses Meeres. In ihrer ganzen Komplexität wird die Ostsee wohl niemand je verstehen können.

Eine Lebensaufgabe: Thomas Behrend dokumentiert bereits seit fast 40 Jahren das Leben in den Meeren.

Geduld ist eine Tugend der Tierfilmer: Manchmal bedeutet das stundenlanges Warten und Beobachten.

Seit meinen ersten Tauchexkursionen Mitte der 1980er-Jahre bis heute vergingen über 30 Jahre. Jahre, in denen ich meist andere Meere erkundete und ihre Geheimnisse und Wunder in Filmen für ARD, ZDF, National Geographic und in den letzten Jahren auch für Streamingdienste dem breiten Publikum zeigte. Mit meinem 1991 gegründeten Unternehmen BLUE PLANET FILM habe ich in dieser Zeit mehr als 100 Filme über unsere Weltmeere produziert. Ein Film über die Ostsee war nie dabei.

Mich hat das nicht gewundert, denn trotz der Begeisterung für »meine« Ostsee war mir doch immer klar, dass es ihr im Vergleich zu anderen Meeren an vielem mangelt, um ein Filmstar zu werden: Es fehlt an Raubtieren, die man bei der Jagd spektakulär filmen kann: Hier gibt es keine Haie, die in wilden Rudeln ihren Opfern nachstellen, und auch keine Riesenmuränen, die ihrer Beute auflauern. Ja, es gibt nicht einmal Wale, die aus dem Meer springen. Na ja, und was das Wetter angeht, ist sie auch nicht wirklich ein Traumziel. Wenn überhaupt, gibt es nur wenige Wochen, in denen die Temperatur über 25 Grad klettert, und wann das wirklich ist, weiß wohl nur Petrus. So zumindest war mein Denken von der Ostsee geprägt.

Was die Nordsee betrifft, waren meine Kenntnisse vergleichsweise spärlich: Ich war in Südnorwegen getaucht, um Katzenhaie zu filmen, und ich durfte auf der Insel Helgoland die Unterwasserwelt kennenlernen. Darüber hinaus war mein Wissen über die Nordsee nur rein theoretisch. Dass sie weitaus spektakulärere Tiere beherbergt, ist bekannt, aber damit fehlten mir die persönlichen Erfahrungen.

Doch im Leben kommt es immer anders, als man denkt: Im Jahr 2019 erhielt ich den Auftrag, eine Filmreihe über die Nord- und Ostsee zu machen. Der Anspruch war denkbar groß: Es sollte die ultimative Filmreihe werden. Noch nie gesehene Bilder, noch nie erzählte Geschichten. Und vor allem: Alle Dreharbeiten sollten wirklich im oder zumindest direkt am Meer stattfinden. Das klingt zunächst logisch, doch in der Praxis wird es kaum so gehandhabt. Findet ein Filmemacher nicht ausreichend Geschichten zum eigentlichen Thema, dann schweift er gern ein wenig umher. Typisch wäre es zum Beispiel, ein Kapitel über Elche zu machen, denn die gibt es auf einer großen Ostseeinsel namens Öland. Das hat zwar mit der Ostsee direkt nichts zu tun, aber der Zuschauer merkt das meist nicht.

Das wollte ich nicht. Keine Ausreden! Keine »Füllstoffe«, sondern ausschließlich echte Ost- und Nordseegeschichten. Schon damals ahnte ich, dass diese Filme vermutlich die größte Herausforderung meines Berufslebens werden würden. Vielleicht war es kein Zufall, dass ich jetzt erst diesen Auftrag bekam. Ich fühlte mich auf dem Zenit meines Schaffens und wusste, dass ich diese Aufgabe vorher vermutlich nicht in diesem Umfang hätte annehmen können.

Doch gerade jetzt, im Jahr 2019, standen in meinem Unternehmen auch andere große Herausforderungen an. Soeben hatte sich mein ganzes Team quasi »runderneuert«. Erfahrene Mitarbeiter hatten sich verabschiedet, um eigene Filme zu machen, und für mich ging es darum, ein neues Team aufzubauen. Wie der Zufall es wollte, lernte ich zwei junge Biologen kennen: Manuel Spescha und Martina Andrés. Beide hochmotiviert und mit hochqualifizierter Ausbildung. Zudem hatten beide bereits einschlägige Fähigkeiten im Tauchen und erste Erfahrungen im Filmen. Gemeinsam machten wir uns an die Mammut-Aufgabe.

Monatelang recherchierten wir nach den besten Geschichten, besuchten viele Drehorte und sprachen mit unzähligen Wissenschaftlern und Ortskundigen. Anfang 2020 hatten wir endlich ein erstes Konzept. Es sollten nicht nur spannende Geschichten sein, sie sollten auch alle in eine übergeordnete Fragestellung passen. Dramaturgisch anspruchsvoll und dennoch lehrreich – das war unser Anspruch.

In diesem Buch möchte ich Sie teilnehmen lassen an unseren Abenteuern, ich möchte Ihnen einen kleinen Einblick in das Leben von uns Tierfilmern geben und versuchen, Sie für die kleinen und großen Helden dieser Meere zu begeistern.

Nun, da ich diese Zeilen schreibe, sind die Filme fast fertig. Und wenn Sie dieses Buch in Händen halten, sind sie bereits ausgestrahlt worden. Tatsächlich wurden sie zur größten Herausforderung meines Lebens als Filmemacher: Für keinen noch so entfernten Drehort, einschließlich meiner Arktisfilme, bin ich mit meinem Team so oft gereist, habe so viele Fehlschläge erlitten und musste so oft das gesamte Konzept umwerfen. Die Ostsee und die Nordsee sind und bleiben gigantische Herausforderungen – für jeden Filmemacher. Dennoch bin ich sicher, dass wir unser Ziel erreicht haben. »Unsere Meere« wird Maßstäbe setzen.

UNSERE OSTSEE

Je weiter man entlang der Küsten der Ostsee Richtung Norden reist, desto rauer und felsiger werden sie.

EIN AUSSERGEWÖHNLICHES MEER

Schwierige Lebensbedingungen

Das größte Brackwassermeer der Welt, das jüngste Meer der Welt – das ist die Ostsee. Und für mich ist sie auch das extremste Meer der Erde. Warum? Der Bereich der heutigen Ostsee wurde im Lauf der Entstehungsgeschichte unserer Erde immer wieder einem großen Wandel unterzogen. Vom Korallenmeer zum Süßwassersee, vom Süßwassersee zum Brackwassermeer und dann wieder zum See. Diese Darstellung ist geologisch gesehen mehr als grob und dennoch zeigt sie, wie bewegt es im heutigen Ostseeraum zuging.

Die Ostsee, so wie wir sie heute kennen, gibt es erst seit etwa 5000 Jahren. Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor 12 000 bis 14 000 Jahren begann sich die heutige Form zu entwickeln. Die Gletscher zogen sich zurück. Das Land, welches zuvor von dem bis 3000 Meter dicken Eispanzer komprimiert wurde, hob sich allmählich wieder. Im Westen brach dann die Nordsee durch die dänische Inselwelt und versorgt die Ostsee seitdem mit frischem Meerwasser. Doch dieser Zustrom ist äußerst gering, ich jedenfalls muss dabei immer an eine künstliche Beatmung denken. Der Zustrom ist so groß, dass in der Ostsee Tiere aus der Nordsee leben können. Er ist aber eben auch so gering, dass sich das Verbreitungsgebiet der echten Meeresbewohner auf den westlichen Teil der Ostsee beschränkt.

Das Salzwasser aus der Nordsee trifft nämlich auf gewaltige Süßwassermengen, die über große Flüsse wie die Oder, die Weichsel, die Memel, die Düna und die Newa in die Ostsee gelangen. Dieses Gemisch aus Süß- und Salzwasser nennt man Brackwasser. Und die Ostsee ist das größte Brackwassermeer der Erde. Da die Salzkonzentration nicht einheitlich verteilt, sondern in den westlichen Regionen deutlich höher ist als in den östlichen und nördlichen, steht das Ökosystem unter Dauerstress. Den einen Lebewesen ist es zu süß, den anderen zu salzig. Und viele Organismen kommen erst gar nicht vor. Die meisten Meeresbewohner sind aus der Nordsee eingewandert und haben sich im Lauf der Zeit dem salzärmeren Milieu angepasst. Aber die Anpassungsfähigkeit dieser Tiere hat Grenzen. Das führt auch dazu, dass die Anzahl der echten Meeresbewohner von West nach Ost abnimmt. Umgekehrt sind Süßwasserarten in den westlichen Regionen weniger vertreten. Die Entstehungsgeschichte der Ostsee hat also einen unglaublich großen Einfluss auf seine Bewohner und ihr Leben.

Faszinierende Jägerin: Die Gotland-Ringelnatter geht fast ausschließlich in der Ostsee auf Jagd.

Das Dünengebiet im Osten der dänischen Insel Anholt ist nur schwer erreichbar. Ein perfekter Rückzugsort für Seehunde. Leider gibt es von solchen abgeschiedenen Orten immer weniger.

Anspruchsvolles Casting

Die Suche nach geeigneten Protagonisten für einen Tierfilm steht immer am Anfang, lange bevor die Dreharbeiten beginnen. Und unsere Aufgabe bestand nun darin, die widrigen Umstände, welche die Ostsee ihren Bewohnern bietet, und die daraus resultierenden Herausforderungen anhand von entsprechenden Tiergeschichten darzustellen.

Mit welchem Tier lassen sich die Auswirkungen der Eiszeit noch heute demonstrieren? Mit welchem Tier lässt sich am besten zeigen, welche Auswirkungen der schwankende Salzgehalt hat? Das war die Herausforderung für uns. Und wir fanden großartige Beispiele: Auf der Insel Gotland gibt es eine Schlange, die sich nach der Eiszeit erst an die extremen Bedingungen gewöhnen musste. Anstatt in Teichen und Seen zu jagen, geht sie heute ins Meer, um dort Beute zu machen. Das ist einzigartig in der Ostsee. Und im Norden Estlands gibt es noch heute eine Population von Kegelrobben, deren Vorfahren einst über das Eisschild hierher einwanderten.

Auch die extremen Auswirkungen des schwankenden Salzgehalts konnten wir anhand vieler Beispiele aufzeigen: In der Kurischen Nehrung gehen Erdkröten ins Brackwasser und legen dort ihre Eier ab, obwohl sie das sonst nur im Süßwasser tun.

Und die Miesmuscheln, die in der Beltsee Dänemarks noch etwa sieben Zentimeter lang werden, neigen nur wenige Hundert Kilometer weiter östlich zum Zwergenwuchs und erreichen dort kaum noch zwei Zentimeter Länge.

Diese von Natur aus extremen Bedingungen führen auch dazu, dass menschengemachte Veränderungen die Situation nochmals verschärfen. Das liegt auf der Hand. So sind zum Beispiel Meerforellen darauf angewiesen, dass die großen Wellen der Winterstürme sie regelrecht in ihre Geburtsflüsse katapultieren. Bleiben die Stürme aber durch Klimaveränderungen aus, haben sie keine Chance. Durch die Erwärmung der Ostsee leiden zum Beispiel die Miesmuscheln. Sie schalten ihren Stoffwechsel im Winter nicht mehr herunter und nehmen dadurch ab. Tiere wie Eiderenten oder Seesterne, deren Hauptnahrungsquelle die Miesmuschel ist, kommen dadurch selbst in eine lebensbedrohliche Lage.

Die Rauken von Gotland sind Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Sie sind die Überreste früherer Korallenriffe.

Neugieriges Seehundbaby: Schon kurz nach der Geburt fühlen sich die kleinen Seehunde pudelwohl im Wasser.

SEEHUNDE

PHOCA VITULINA

»Die Taucher sehen Robbenbabys, die herzergreifend miteinander spielen. Die Tiere knabbern ihnen in die Tauchflossen und scheuen die Nähe der Menschen nicht.«

MITTEN IN DER KINDERSTUBE

Seehunde auf Anholt im Kattegat

Vorsichtig schleichen wir über den Dünenkamm und spähen durch das vom Wind bewegte Dünengras. Da sind sie tatsächlich: Seehunde. Ihr Bellen und Quaken hatten wir schon von Weitem gehört, denn der Wind weht in unsere Richtung. Eine richtige Seehundkolonie mit vielen etwa ein bis zwei Wochen alten Jungtieren. Sind es 200 oder doch 500 Tiere? Schwer zu sagen. Als unser Kollege Josh Miller dann die Drohne in die Luft bringt, wird das Bild ein wenig klarer: Jetzt, am Morgen, liegen noch etwa 100 bis 200 Erwachsene verschlafen mit ihren Jungen am Ufer, der Rest von ihnen schwimmt direkt davor im Flachwasser. Schwimmunterricht ist angesagt, denn die Jungen werden schon bald abgestillt und müssen dann allein zurechtkommen. Diese Schulgruppe ist ähnlich groß wie die an Land. Erst durch die Vogelperspektive der Drohne wird das abschätzbar. Vermutlich gibt es noch mehr Tiere: Erwachsene, die irgendwo draußen auf Fischfang sind.

»Außer Radwegen führt keine Straße dorthin, und so bleibt dieser Teil der Insel der Tierwelt überlassen.«

Wir sind im Kattegat. So wird das Meeresgebiet zwischen Dänemark und Schweden genannt, nördlich vom Skagerrak begrenzt und südlich von den dänischen Inseln Fünen und Seeland. Gehört das Kattegat zur Ostsee oder doch zur Nordsee? Es gibt viele Definitionen und keine kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. Nur eines ist gewiss: Südlich des Kattegats beginnt die Ostsee. Und deshalb beginnen wir hier unsere Dreharbeiten über die Ostsee. Mitten im Kattegat liegt unser Drehort, die kleine Insel Anholt. Sie ist gut vier Kilometer breit und doppelt so lang.

Während der Südwesten im Sommer von vielen Touristen und Freizeitkapitänen besucht wird, so ist der Nordosten der Insel auch jetzt, Anfang Juni, fast menschenleer. Außer Radwegen führt keine Straße dorthin, und so bleibt dieser Teil der Insel der Tierwelt überlassen. Große Dünenlandschaften prägen die Landschaft hier und ein eindrucksvoller Leuchtturm. Das angrenzende Haus des Leuchtturmwärters wird schon lange nicht mehr bewohnt, heute sind alle Leuchtfeuer automatisiert. Für knapp zwei Wochen wird das alte Gebäude unser Zuhause. Von hier aus wollen wir die wohl eindrucksvollste Seehundkolonie dieser Region filmen.

Ein neues Team für neue Bilder

Die wichtigste Aufgabe für mich und mein Team: noch nie da gewesene Aufnahmen der Kinderstube unter Wasser zu zeigen. Da die Tiere unter Wasser oft scheu auf Taucher mit Pressluftflaschen und die damit verbundenen Luftblasen reagieren und das Wasser hier ohnehin sehr flach ist, entscheide ich mich dafür, die Dreharbeiten ohne Tauchgerät zu machen. Für solche Arbeiten muss man aber sehr lange die Luft anhalten können – nicht gerade meine größte Stärke. Wie der Zufall es will, habe ich gerade in den letzten Monaten eine Bewerbung von zwei Schweizer Apnoetauchern erhalten, die über einige Erfahrungen mit der Unterwasserkamera verfügen. Apnoetaucher, auch Freitaucher genannt, können mit nur einem Atemzug die Unterwasserwelt erkunden. Es gibt in diesem Sport verschiedene Wettkampfdisziplinen wie Streckentauchen, möglichst lange die Luft anzuhalten oder unter verschiedenen Bedingungen möglichst große Tiefen zu erreichen. Ihnen allen gemein ist aber eine große Liebe zur Natur und zum Sport. Apnoetauchen hat für mich etwas Asketisches und Reduziertes. Ein Sport, bei dem der Mensch mit der Natur und dem Meer ganz im Einklang steht.

Die Sandbank im Osten Anholts wird jedes Jahr zur Heimat einer der größten Seehund-Kolonien der Ostsee. Sie versammeln sich hier, um ihre Kinder zu gebären.

Stürmische Zeiten: Jens Klingebiel hatte Glück in der letzten Sekunde. Das Team hilft ihm aus dem Kameraversteck.

Und so wie dieser Sport sind auch Martina Andrés und Manuel Spescha, beide aus der Schweiz und ja, sie sind ein Paar. Sie werden auf Anholt ihren ersten Einsatz für mich haben. Viele Tage sollen sie stundenlang mit Babyseehunden im Wasser verbringen und deren Tagesablauf dokumentieren.