Unsichtbare Katzen - Yu Yoyo - E-Book

Unsichtbare Katzen E-Book

Yu Yoyo

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Beschreibung

Yu Yoyos Prosadebüt verbindet auf raffinierte Weise das Gewöhnliche mit der Magie des Unerwarteten – und besticht darüber hinaus durch wunderbare Illustrationen. Auf der Katzentreppe der Fantasie steigt dieses Geschenkbuch bis über die Dächer des Alltags und findet eine Antwort auf die Frage, wie das Zauberhafte in unser Leben kommt.

Das Leben eines jungen chinesischen Paares ändert sich abrupt, als es durch Zufall in den Besitz einer Katze gelangt. Das samtene Wesen mit den unergründlichen Augen bringt die Welt des Paares gehörig durcheinander – aber ist die Welt nicht ohnehin viel katzenhafter als gedacht? Reale und fantastische Begebenheiten reichen sich hier die Pfote: Katzen laufen nicht nur zu und fügen sich geschmeidig in das Mobiliar ein, sondern regnen gelegentlich auch vom Himmel herab oder wachsen aus dem Boden empor. In eleganten und humorvollen Episoden erzählt dieses Buch von der Kraft der Katzen, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Besitzer zu verwandeln.

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Seitenzahl: 170

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Cover

Titel

Yu Yoyo

Unsichtbare Katzen

Chronik wundersamer Katzenereignisse

Aus dem Chinesischen von Karin Betz

Insel Verlag

Impressum

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Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

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Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel 乌有猫 bei Beijing United Publishing Co., Ltd, Peking.

eBook Insel Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2024.

Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Insel Verlag Anton Kippenberg GmbH & Co. KG, Berlin, 2024© Yu Yoyo 2021German language translation rights arranged with the author through New River Literary Ltd.

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Pauline Altmann, Palingen

Umschlagillustration: Yu Yoyo, Chengdu

eISBN 978-3-458-77967-4

www.insel-verlag.de

Unsichtbare Katzen

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

1 Zehntausend Tropfen Katzenregen

2 Traumkatze

3 Katzen pflanzen, Katzen ernten

4 Katzen pflücken

5 Die neue Wohnung

6 Katzengier

7 Kreise

8 Unsichtbare Katzen

9 Glasmurmeln

10 Putzfimmel

11 Wenn es Nacht wird

12 Wasserkochen

13 Katzenwärmflasche

14 Privatbesitz

15 Gaskörperkatzen

16 Träume

17 Katzendämmerung

18 Fliegende Katzen

19 Katzenohren

20 Katzenversteck

21 Die Katzenfrau

22 Die schwarze Wolke

23 Sprungfederkatze

24 Im Spiegel

25 Kätzchenblüten

26 Katzenschwanzjagd

27 Der Pflanzenkiller

28 Dialog

29 Eine Menge Monde

30 Verschmelzung

31 Trennung

32 Katzenvirus

33 Recken und Strecken

34 Geschenke

35 Feinde

36 Hohlkatze

37 Kondensiert

38 Katzentücke

39 Eins von neun Leben

40 Die Kunst der Balance

41 Planet der Katzeneier

42 Katzencode

43 Horizont

44 Wollknäuel

45 Gro

ß

e Katze, kleine Katze

46 Gegenpole

47 Körpergeruch

48 Apfelsinenfestung

49 Katzenalarm

50 Auflösen

51 Pilze sammeln

52 Katzenso

ß

e

53 Extremsport

54 Massagesalon

55 Gefangen

56 Blüten

57 Gefiltert

58 Katzengott

59 Kissen und Decke

60 Zwei Menschen, zwei Katzen

Informationen zum Buch

1

Zehntausend Tropfen Katzenregen

Die Katzen bevorzugten, vor dem großen Auftritt zu proben, um sich nicht gleich dem Publikum zu präsentieren. Darum ließen sie vor dem Regen etwas Wind wehen, nur eine leichte Brise, wie wenn du auf der Leiter eine Stufe verpasst, in die Luft trittst und für einen kurzen Augenblick aus dem Gleichgewicht gerätst. Nicht zu heftig, kein Sturmwind, nur ein wenig zur Seite neigen, das sollte genügen. Sie mussten schließlich noch ausreichend Energie für ihr Spiel bewahren.

Die Katzen nutzten den aufkommenden Wind, um sich in einer dunklen Wolke zu verstecken, wie hinter einem riesigen Vorhang. Ihre zuckenden Ohren erinnerten an Sonnenfackeln. Aufgeregt und zappelig sprangen sie los, eine nach der anderen, und schon ritt eine imposante Armada aus kleinen Sonnenfackeln auf Wolken in Richtung Bühne.

Jene Bühne befand sich direkt über ihnen. Es war der weite Himmel, der so nah scheint und doch so fern ist. Du hebst den Kopf und siehst ihn vor dir; aber streckst du die Hand danach aus, erreichst du ihn nicht. Unendlich weit dehnt er sich aus, ist immer da, egal, wohin du gehst.

Dann schwebten die düsteren Wolken herab, der Vorhang hob sich, und es begann eine Vorstellung, der ich gebannt folgte.

Die Bühne war bereitet für die Katzenregenshow, zehntausend Tropfen sollten es werden.

Aus der Ferne sah ich die Katzen auf den Wolken vorwärts galoppieren, mit einer Geschwindigkeit, die nichts Gutes verhieß; eilig hasteten die Leute zurück in ihre Häuser, die Augen weiter zum Himmel gerichtet. Ich erhaschte den Blick einer Katze, die mir bekannt vorkam, aber mir fiel nicht ein, wo ich sie schon einmal gesehen hatte.

Damals hatte ich noch keine Katze, hatte keine Ahnung, woher die Katzen kamen. Der Himmel verdüsterte sich zunehmend, die Wolken senkten sich herab, ein stürmischer Wind fegte ins Haus, kündete den nahenden Katzenregen an. Dann plötzlich setzte lautes Prasseln ein. Unversehens begann die Vorstellung, ohne Vorwarnung, ohne Prolog. Schon fielen sie herab, unzählige Katzen in Form von Regentropfen, platsch, platsch, platsch …

Es dauerte nur Sekunden. Alles geschah blitzschnell, zu schnell, um darauf zu reagieren. Wir hatten das Gefühl, dass der Regen schon vorbei war, bevor er richtig begonnen hatte.

Es war der kürzeste Schauer der Regenzeit, so kurz, dass ich kaum nass wurde. Ich wünschte, ich hätte näher an der Bühne gesessen, um mir den Katzenregen genauer anzusehen.

Zehntausend Tropfen Katzenregen, das bedeutete zehntausend Katzen, also ein Regen in Katzenform oder Katzen in Regenform. Katzen und Regen waren eins. Der Katzenregen klatschte auf, war mit einem Zungenschnalzen vorbei und hinterließ zahllose Katzenpfotenspuren.

2

Traumkatze

Nach dem Katzenregen kühlte die Luft ab. In jener Nacht schlief ich tief und fest und hatte einen Traum.

Ich träumte, eine Katze würde aus meinem Ohr kriechen, dabei größer und größer werden, man konnte sie mit bloßem Auge wachsen sehen. Die Katze hatte tiefbraunes Fell, durchzogen von feinen goldenen Härchen. Im Traum nannte ich sie Zimtzöpfchen.

Zimtzöpfchen und ich freundeten uns umstandslos an. Sie hatte keine Angst vor mir, zeigte mir nur spielerisch die Krallen. Sie wuchs und wuchs, und ich machte mir Sorgen, dass sie zu groß für das Zimmer werden könnte. Ob ihr Bauch sich immer weiter aufblies, wie ein Gasballon? Jedenfalls war er ebenso kugelrund. Ich war versucht, mit einer Nadel hineinzustechen, um die Luft rauszulassen, brachte es aber nicht über mich; wenn ich sie streichelte, fühlte sie sich wie eine echte Katze aus Fleisch und Blut an, und ich wollte ihr nicht wehtun. Darum ließ ich zu, dass sie sich weiter aufblähte und vom Boden abprallte wie ein Gummiball.

Tagein, tagaus vollführte Zimtzöpfchen ihre Kunststückchen, Saltos, Luftsprünge, In-den-Schwanz-Beißen, mit sich selbst Fangen spielen. Sie war eine beachtliche Springerin; es war gar nicht leicht, sie einzufangen. Dafür musste ich sie stets durch die ganze Wohnung jagen, wobei ich selbst herumhüpfte wie ein Äffchen.

Irgendwann, als sie schon so umfangreich war wie ein Fernseher, hörte sie auf zu wachsen. Was für ein Glück!

Jetzt wuchs sie zwar nicht mehr, war aber immer noch um das Vielfache größer als eine gewöhnliche Katze, und sie fraß auch das Vielfache einer gewöhnlichen Katze. Wegen ihres gesunden Appetits stieg unser Haushaltsbudget ins Unermessliche. Mein Mann beschwerte sich grummelnd, Zimtzöpfchen sei ein Fass ohne Boden, sein ganzes Gehalt gehe für ihr Futter drauf. Lag sie dann aber satt und zufrieden neben ihm auf dem Bett und räkelte wohlig die Pfoten, strahlte er vor Glück und nannte sie ein liebenswertes Geschöpf; sein Groll war im Nu vergessen.

So wie unser fernsehergroßes Zimtzöpfchen täglich vor mir herumzappelte und Kunststücke vollführte, war sie ungleich unterhaltsamer als das Fernsehprogramm. Mein Mann und ich sahen schon seit Jahren nicht mehr fern, nun aber hatten wir dank Zimtzöpfchen das Gefühl, nebeneinander vor dem Fernseher auf der Couch zu sitzen. Wir sahen uns Zimtzöpfchen als Serie an, jede Folge von ihr selbst gestaltet und inszeniert, sahen sie klettern, springen, rennen wie verrückt … Die Folgen wiederholten sich zwar ständig, aber wir wurden des Zusehens nie müde. Zimtzöpfchens Vorführungen wurden zum festen Bestandteil unseres Abendprogramms.

Nach jeder Show musste Zimtzöpfchen tüchtig essen, um wieder zu Kräften zu kommen und das Loch in ihrem riesigen Bauch zu stopfen. Manchmal hielt sie anschließend laut schnarchend in meinen Armen ein Nickerchen. Ich genoss es, mit ihr zu kuscheln, aber ihr Umfang und ihr enormes Gewicht drückten mir beinahe die Luft ab. Runter mit dir, sagte ich dann, du bist zu schwer! Aber sie ignorierte mich einfach und blieb ungerührt auf mir liegen. Ich konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob sie schlief oder nur so tat.

Beim Aufwachen verspürte ich eine wohlige Wärme auf der Brust. Ich war sicher, dass sie von Zimtzöpfchen stammte.

3

Katzen pflanzen, Katzen ernten

Früher habe ich mich nie besonders für die Gattung Katze interessiert; ehrlich gesagt, verstand ich nichts davon. Dann aber tauchte Zimtzöpfchen in meinen Träumen auf, und obwohl wir nicht viel Zeit miteinander verlebten, reichte das, um mein Interesse und meine Liebe zur Gattung Katze zu wecken. Mich von Zimtzöpfchen zu trennen, fiel mir schwer, aber ich träumte nicht jede Nacht und auch nicht immer das Gleiche.

Irgendwann, ich hatte lange nicht mehr von Zimtzöpfchen geträumt, wanderte mein Blick beim Spazierengehen sehnsüchtig über Bäume und Büsche, in der Hoffnung, eine Katze würde herausspringen, auch wenn es bestimmt nicht Zimtzöpfchen wäre.

Kaum fing ich an, nach Katzen Ausschau zu halten, sah ich ständig welche; in den Blumenbeeten, im Graben, auf den Feldern, unter den Bäumen … sie waren überall, flitzten in großer Zahl umher, so als wüchsen sie direkt aus der Erde heraus.

Mit den Katzen verhält es sich wie mit Gemüse: Wer Melonen sät, erntet Melonen; wer Bohnen sät, erntet Bohnen; wer Katzen sät, erntet Katzen.

Auf der Welt gibt es Menschen, die Katzen pflanzen, und Menschen, die sie ernten.

Wer Katzen pflanzt, muss nichts weiter tun, als die Saat in der Erde verteilen. Ganz ohne zu wässern, zu düngen oder umzugraben, erntet man dann, wenn es Frühling wird, haufenweise Katzenwelpen. Wirklich – sobald es Frühling wird, erhöht sich über Nacht die Zahl der Kätzchen. Kaum haben sie den Kopf aus der Erde gestreckt, wachsen und gedeihen sie schnell.

Frühlingszeit ist Katzenerntezeit. Am besten pflückt man sie dann gleich frisch.

Alle sind wie neu, es gibt keinen Unterschied zwischen Hauskatzen und Streunekatzen; sie sind eben erst zu Bewusstsein gelangt und nehmen ihr Leben als Katzen an.

Die Katzenwelpen strecken vorsichtig alle viere aus, recken ihre kleinen Samtpfötchen der Sonne entgegen. Wie ein flauschiger Teppich überziehen sie eine neben der anderen die Erde. Bei schönem Wetter sieht man, wie sie sich lebhaft auf dem Boden räkeln und ein Sonnenbad genießen. Wenn sie dann genügend Sonne getankt haben, öffnen die jungen Kätzchen die Augen.

Sobald sie spüren, dass sie reif sind, reißen sie sich selbstständig von der Erde los. Stehen sie schließlich auf vier Beinen, wagen sie zunächst nur ein paar vorsichtige Schritte, bis sie unversehens alle viere durchstrecken, sich aufbäumen, rasant beschleunigen und lossprinten.

Die frisch aus der Erde geborenen Kätzchen stieben in alle Richtungen. Manche bleiben in den Wäldern, andere wagen sich auf die Straßen, wo man ihnen immer wieder begegnet; viele sind menschenscheu und verstecken sich, kaum, dass wir auftauchen, oder lösen sich augenblicklich in Luft auf. Andere sind reif genug, um beim Anblick eines Menschen sofort vor ihm hin und her zu paradieren, als wollten sie sagen: Komm, nimm mich mit! Nimm mich mit! Haben sie Glück und treffen auf einen Katzenliebhaber, werden sie gestreichelt; die Katzenliebhaber spielen mit ihnen oder eilen schnurstracks zum nächsten Geschäft und kaufen Katzenleckerli. Manche Katzen laufen diesen Menschen nach; dreht der Mensch sich nicht noch einmal um, geben sie auf.

Eine andere Spezies unter den aus der Erde geborenen Katzen ist zwar nicht menschenscheu, möchte aber ihr naturverbundenes Leben nicht aufgeben und wählt am Ende einen Ort zum Leben, an dem sich häufig Menschen versammeln. Sie begreifen schnell, wo sie die Menschen finden, die ihnen zu festen Zeiten und an festen Orten Wasser und Futter hinstellen. Frei und satt zugleich, leben solche Katzen für immer draußen in der Natur, eng verbunden mit der Erde, aus der sie kommen, so wie Menschen mit ihren Heimatorten verbunden sind.

4

Katzen pflücken

Der Frühling verging, dann der Sommer, der Herbst und der Winter, bis mir im darauffolgenden Frühling schlagartig bewusst wurde, dass ich ein Mensch ohne Katze war. Ich erschrak.

Wie konnte es sein, dass ich keine Katze hatte? Die Frage machte mir ungemein zu schaffen. Von morgens bis abends, drinnen und draußen, beim Essen, beim Spazierengehen, immerzu grübelte ich darüber nach und fand keine befriedigende Antwort auf diese Frage.

Manche Ideen nisten sich spontan in unseren Köpfen ein, ohne dass man wüsste, warum. Für manche bist du drei Minuten lang Feuer und Flamme, aber dann wird man ihrer überdrüssig und bereut sie. Das war nicht meine Art; schließlich sind Katzen lebendige Wesen, die man ernst nehmen muss. Man muss sie verstehen, so wie ich Zimtzöpfchen verstanden hatte.

Ich überlegte und überlegte, in jeder Minute und jeder Sekunde, verirrte mich vor lauter Nachdenken in den Straßen, meine Sinne trübten sich, die Welt vor mir verschwamm. Und genau da tauchte in meiner vernebelten Wahrnehmung ein grauweißes Etwas auf. Ich rieb mir die Augen, aber es verschwand nicht. Also trat ich näher – und schrie laut auf. Es war eine graugetigerte Katze, mit geschlossenen Lidern lag sie schlafend vor mir. Verblüfft schlug ich die Hand vor den Mund.

Es war ein junges Kätzchen, offenbar noch nicht lange auf der Welt, runde Schnauze, Pausbäckchen. Mit ihrem reinen und zarten Fell wirkte sie nicht wie ein Streuner. Das Kätzchen lag weder auf dem Boden noch flog es durch den Himmel, es hing einfach in der Luft, leicht schwankend wie ein Gasballon, weder besonders hoch oben noch tief unten; genau auf der richtigen Höhe, um danach zu greifen und es in meine Arme zu schließen.

Es wachte auch in meiner Umarmung nicht auf. Sanft streichelte ich sein Fell, kraulte es hinter den winzigen Ohren, berührte die samtweichen Pfoten und fragte stumm: Wie du wohl heißt? Woher du wohl kommst?

Das Kätzchen schlief weiter, tief und fest, auch während ich mit ihm nach Hause rannte, es sicher in meinen Armen bergend, um es bloß nicht fallen zu lassen. Erst als wir vor der Tür waren, schlug das Kätzchen die Augen auf, blieb aber reglos liegen und sah mich unschuldig an, ohne einen Anflug von Furcht.

Ich ging in die Küche, stellte ihm etwas Milch hin und sah zu, wie es gierig die Schale bis auf den letzten Tropfen leerschleckte, als wäre es kurz vor dem Verhungern gewesen. Ich legte ihm eine Decke zum Schlafen zurecht und stellte Wasser und Trockenfutter in die Nähe. Als ich mich wieder nach ihm umdrehte, lag es schon eingerollt zwischen den Sofakissen und schlief. Und dann, mit einem Mal, so als würde ich aus einem Traum erwachen, wurde mir klar: Ich habe eine Katze im Haus. Eins hatte so unvermeidlich zum andern geführt, dass mir diese Tatsache überhaupt nicht seltsam vorkam. Schließlich kam mein Mann nach Hause und auch er schien über den Anblick des Kätzchens nicht im Geringsten verwundert. Als wäre es schon immer da gewesen.

Mein Mann meinte, es sehe nicht aus wie ein Überbleibsel des Katzenregens oder eine Frucht der Katzensaat, die aus der Erde gesprossen war, sondern wie eine aus einer Wunschvorstellung geborene Katze. Also wie eine echte Katze.

Ob das Kätzchen nun meinen Gedanken oder woanders entsprungen war, eins war gewiss: Ich war zu einem Menschen mit Katze geworden. Ich hatte nun eine richtige Katze. Die Frage, warum ich bislang keine besessen hatte, war nicht länger von Belang.

5

Die neue Wohnung

Mein Mann und ich lebten in einem kleinen Zweizimmerappartement, groß genug für ein Paar. Wir wohnten in einem der oberen Stockwerke. Sah man von unten zu uns hinauf, war unser Zuhause nur ein winziger Punkt hoch oben, nicht größer als eine Erdnuss, ein Krümel Dreck, den man in die Luft geschleudert hatte. Dieser winzige Flecken war mehr als ausreichend für uns zwei. Abgesehen von mir und meinem Mann, beinhaltete die Wohnung unsere Schränke, Stühle, ein Sofa, ein Bett … sie war mit vielen, mit unzähligen Gegenständen vollgestopft. Auf einen Mitbewohner mehr kam es dann auch nicht an. Der winzige Flecken erwies sich als erstaunlich dehnbar.

Das Kätzchen gewöhnte sich täglich mehr an seine neue Umgebung. Nachdem es alle Ecken inspiziert hatte, nahm es jeden Ort für sich in Beschlag, auch mein Mann und mich erklärte es stumm zu seinem Territorium.

Auf diese Weise bewohnte das Kätzchen sämtliche Winkel der Wohnung, die dadurch nicht kleiner wurde; im Gegenteil, sie wirkte immer größer. Weil nämlich das Kätzchen selbst zunehmend Raum einnahm.

Das Kätzchen war eine neue Wohnung innerhalb der alten Wohnung, ein winziger Ort an einem kleinen Ort. Mit einer Katze zu leben hieß, in der Katzenwohnung zu leben. Was draußen vor sich ging, nahm man nicht wahr. In der Katzenwohnung gab es nichts außer dem Kätzchen, nicht einmal Raum für Erinnerungen an anderes blieb. Wenn ich mit dem Kätzchen spielte, mahnte mich oft erst der Geruch nach Angebranntem, dass ich das Essen auf dem Herd vergessen hatte. Während ich mit einem Stöckchen vor seiner Nase herumwedelte, stob es nach rechts und links, sprang fröhlich in die Luft, ständig in Bewegung.

Gierig klammerte ich mich an jeden Moment, den ich in der Katzenwohnung verbrachte. Nicht nur weil ich gern mit dem Kätzchen spielte, sondern auch weil die Wände der Katzenwohnung so schön weich waren; ich konnte sie streicheln, ohne dass meine Hand auf etwas Störendes stieß, allein das sanfte Schnurren des Kätzchens vibrierte in meinen Ohren wie ein in der Katzenwohnung installiertes Soundsystem, das mich freundlich einlullte.

Der Boden der Katzenwohnung war identisch mit ihren fleischigen Tatzen, hell und zart, zehn elastischen Zehen, die gemütlicher waren als ein Teppich, federnder als Holzdielen, griffiger als Fliesen. Die bei jedem Schritt nachgaben und sogleich wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehrten.

Die einzigen Fenster der Katzenwohnung waren die Augen des Kätzchens. Durch diese Fenster sah man in sein Inneres, einen riesigen leeren Raum, zwischen Hell und Dunkel oszillierend, unwägbar und undurchschaubar. Dieser Raum dehnte sich weit über den für mich sichtbaren Horizont aus, weiter als der Blick vom Dach des Hauses über die Stadt und die umliegenden Felder, er war eine Stadt ohne Grenzen, ohne Wohnblöcke, Straßen, Verkehr und Menschenmengen.

Eine unendlich wandelbare Welt war das. In einem Augenblick war sie dunkel wie eine riesige, stockfinstere Höhle, die sämtliche Lebewesen in sich verschluckt hatte; aus Angst, gleichfalls von der Dunkelheit verschlungen zu werden, klammerte ich mich fest an die Dielen. Doch dann tauchte ein Lichtschein auf, dessen vertrautes Leuchten mir einen Seufzer der Erleichterung entlockte. Und unvermittelt verwandelte sich der Raum in einen sonnenbeschienenen Spielplatz, überall Schaukeln, Kletterstangen, Drehkreisel, Wippen … aus dem holprigen Boden spross saftiggrüner junger Weizen, Schmetterlinge flatterten durch die Luft. Das Kätzchen versuchte sie zu fangen, sprang hin und zurück, rannte, tollte und duckte sich, vollkommen verzückt. Ich wollte ihm nach, hinein in die farbenfrohe Welt dieser Spielwiese, doch ich fand keinen Eingang und mir blieb nur, von außen zuzusehen, wie das Kätzchen sich allein nach Herzenslust vergnügte, frei und unabhängig.

Fasziniert bestaunte ich die Szene, bis sie sich verdunkelte, die Spielwiese verschwand, und ich nichts mehr sah außer meinem Spiegelbild im Fensterglas. Ich sah dort mein Gesicht und entdeckte in meinen Augen die Sehnsucht nach dem eben gesehenen Idyll. Auch mein Herz spiegelte sich im Glas, wie es in gleichmäßigem Rhythmus klopfte. Wenn ich aufmerksam lauschte, vernahm ich ein deutliches Echo.

6

Katzengier

Entgegen dem ersten Eindruck, den das Kätzchen machte, klein, dünn, so schwach, dass ein einziger Windhauch es umblasen könnte, und so winzig, dass mein Mann es mit einer Hand umfassen konnte, verputzte es beachtliche Mengen. Es verschlang alles, was ihm in den Weg kam, noch lieber als sein eigenes Futter war ihm meins. Kaum entdeckte es etwas Essbares in meiner Hand, hockte es sich miauend hin und stupste mich mit seiner Schnauze an, so dass ich weder in Ruhe essen noch in Ruhe nicht essen konnte. Es fiel ihm nicht schwer, mich mit seinem süßen Katzenblick und seinem teuflischen Charme derart zu bezirzen, dass ich willig meine Mahlzeiten mit ihm teilte. Reihte man alles, was es verputzte, an einer Schnur auf, wäre sie lang wie ein Güterzug, der in jedem Waggon mit eigener Chargenbezeichnung versehenes Futter transportiert.