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»Ich hätte nie gedacht, dass ich so sterben würde. Hilflos. Im Wald. Ohne sie retten zu können.«
Einsam und versteckt lebt die Tierpräparatorin Sonja im Wald. Ihre Kundschaft ist dubios, viele Aufträge sind finster und illegal. Als sie einem jungen Mann begegnet und Gefühle für ihn entwickelt, versucht sie, aus ihrem Außenseiterleben auszubrechen. Doch dafür muss sie einen letzten Auftrag annehmen, der dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit wieder hochspült und tödlich endet …
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Seitenzahl: 387
DASBUCH
Sonja war noch ein kleines Kind, als ihre Eltern starben und sie zum Großvater in seine einsame Waldhütte kam. Umgeben von ausgestopften Tieren wuchs sie auf und übernahm nach seinem Tod die Präparationswerkstatt. Menschlicher Kontakt ist ihr ein Graus, und aus dem nächstgelegenen Städtchen hat sie keine Aufträge zu erwarten: Die Einwohner lehnen sie als Hexe aus dem Wald ab, immer wieder kommt es zu tätlichen Übergriffen. Stattdessen hält sich Sonja vor allem mit zwei dubiosen Kunden über Wasser, auch wenn deren Wünsche sich im Bereich des Illegalen bewegen.
Aber dann lernt sie einen jungen Mann kennen, Jonathan, der ihr vollkommen unvoreingenommen begegnet. Und auf einmal wird in Sonja der Wunsch wach, auszubrechen aus ihrem einsamen Waldleben. Die Mittel dazu soll ihr ein letzter hochdotierter und extrem illegaler Auftrag verschaffen. Doch die belastende Arbeit daran spült alte Traumata und Familiengeheimnisse wieder hoch. Immer tiefer verstrickt sie sich in ihre Lügengeschichten, immer fordernder werden ihre Auftraggeber, immer tödlicher wird die Gefahr. Und dann passiert etwas Entsetzliches.
DIEAUTORIN
Michaela Kastel, geboren 1987, studierte an der Universität Wien und arbeitete viele Jahre im Buchhandel. Seit 2019 widmet sie sich ganz dem Schreiben. Ihre Romane wurden bereits mehrfach für Preise nominiert, außerdem erhielt sie den Viktor Crime Award als verheißungsvolle neue Stimme im Spannungsgenre.
MICHAELA KASTEL
THRILLER
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
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Originalausgabe 4/2023
Copyright © 2023 Michaela Kastel
Copyright © 2023 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Claudia Alt
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design,
unter Verwendung von Shutterstock/Jean Schweitzer,
Wirestock Creators und Mona Monash
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-29141-9V001
www.michaelakastel.at
www.heyne.de
ESRIECHTNACHBENZIN. Das ist das Erste, was ich merke.
Dann die Fesseln. Um meine Hände ist ein Strick gebunden. Und um meine Fußgelenke. Ein dumpfer Schmerz pocht in meiner Stirn und zieht sich weit bis ins Innere meines Kopfes. Benommen öffne ich die Augen und sehe mich um. Ich bin an einen Stuhl gefesselt, bewegungsunfähig. Bei mir zu Hause. Die Lichter sind eingeschaltet, der Ofen brennt. Und ich bin nicht allein.
Die beiden Männer stehen vor mir. Einer von ihnen hält ein Feuerzeug in der Hand, der zweite schüttet das letzte bisschen Benzin an den Wänden aus. Er stellt den Kanister weg und sieht mich an.
»Brenn, Hexe, brenn.«
Ich hätte nie gedacht, dass ich so sterben würde. Hilflos. Im Wald. Ohne sie retten zu können.
MANCHESAGEN, ich lebe in meiner eigenen Welt. Als ob das so furchtbar wäre. Hier bin ich wenigstens ungestört.
Ich weiß nicht, wie die anderen die Welt sehen, aber meine Welt ist schön. Voller Liebe. Ich liebe die glasklare Luft, wenn ich morgens das Fenster öffne und um mich herum nur Stille herrscht. Das beruhigende Grün der Nadelbäume, das sich oftmals nicht vom Schwarz der Nacht unterscheiden lässt. Das feine Rascheln des Laubs unter meinen Füßen, das Zwitschern der Vögel im Geäst und den satten Geruch nach Holz. Es gibt dafür ein Wort: Magie. Wenn man nicht aufpasst, findet man sich plötzlich in einem verwunschenen Märchenreich wieder. Wo die Wiesen in bunten Blüten erstrahlen und sich im Sonnenlicht der Goldstaub der Feen sammelt. Oft ist es bloß ein Schritt, der den Unterschied macht. Ein simpler Schritt über die Grenzen der Realität hinaus.
Diese Welt ist sehr einsam, doch wenn es stimmt, was die Leute sagen, dann ist es meine Welt, meine ganz allein, und ich werde sie verteidigen. Mit allem, was ich habe.
Der Falke hat die Welt bereits verlassen. Schlapp und reglos liegt der gefiederte Körper auf meinem Arbeitstisch, nachdem ich ihn behutsam aus dem Plastiksack, in dem er mir übergeben wurde, genommen habe. Heute Morgen habe ich den Kadaver von seinem Besitzer abgeholt und komplett vermessen, nun möchte ich schnellstmöglich mit der Präparation beginnen.
Alles ist vorbereitet, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so aussieht. Der kleine Garagenanbau meines Hauses erinnert an eine Gerümpelkammer: Marode Holzstellagen verstellen die Wände, vollgeräumt mit Kanistern voller Chemikalien zur Konservierung, Farbeimern, Holzsockeln, Gipsformen, allerhand Kleinmaterial für die Präparation. In den Ecken habe ich Säcke mit Kartoffelmehl und Holzwolle gelagert, daneben wölben sich Drahtrollen in unterschiedlichen Größen und Stärken. Dazwischen liegen Spritzen mit Alkohol, Wurzeln, Äste und andere Holzstücke, die ich im Wald finde, und mittendrin eine Ansammlung älterer Präparate, die gereinigt oder neu aufgesetzt werden müssen und das Chaos als stille Beobachter überwachen. Vielleicht wirkt es eher wie ein Gruselkabinett. Für mich ist es ein Atelier. Innerhalb dieser überfüllten vier Wände lasse ich meiner Kreativität freien Lauf.
Nadel und Faden, Föhn und Skalpell. Ich beginne mit dem Entnehmen der Organe. Der Schnitt am Bauch geht schnell und fühlt sich erstaunlich weich an, weil das Gewebe so stark nachgibt. Magen, Lunge, Darm. Alles so winzig, so fragil. Das Herz kommt zum Schluss. Fasziniert schaue ich es an, dieses kleine rote Gebilde in meiner Hand, die vielen Adern, durch die längst kein Blut mehr fließt, und ich strecke den Finger aus und berühre es ganz sachte. Fahre konzentriert die Linien nach, spüre das kalte, feuchte Fleisch, das sich bei meiner Berührung leicht zusammenzuziehen scheint, als hätte ich es erschreckt. Das pure Leben liegt da in meiner Hand. Erstarrt jetzt, bloß noch ein toter Muskel ohne Wärme und Zweck, aber immer noch wunderschön. Ich höre die Stimme meines Großvaters in meinem Kopf, als ich ihm zum ersten Mal bei der Arbeit zusehen durfte: »Alle Tiere kommen in den Himmel, nachdem ich ihr Herz in Händen gehalten habe. Denn nur so kann man ihre Seele befreien. Du musst ihr Herz berühren. Und wenn du genau aufpasst, dann spürst du, dass sie dein Herz in diesem Moment auch berühren.«
Daran glaube ich noch heute. Du musst ihr Herz berühren. Dann berühren sie auch deines.
Die Organe gebe ich in einen Plastiksack, um sie später zu entsorgen. Als Nächstes kommt das Entfleischen der Flügel und Beine. Auch hier setze ich kleine präzise Schnitte, um anschließend die Haut wie eine Strumpfhose von innen nach außen zu stülpen. Da die Knochen dran bleiben, ist das die beste Methode, um das Federkleid intakt zu halten. Zielsicher greife ich nach dem Sack mit Kartoffelmehl, das ich zum Einreiben des Gefieders benutze. Salz ginge auch, aber ich bevorzuge das Mehl, da es Flüssigkeit aufsaugt und beim Hantieren für besseren Griff sorgt.
Früher habe ich meinen Großvater für sein Geschick und seine extrem ruhige Hand bewundert, heute beherrsche ich diese Tätigkeit genauso gut. Mit gerade einmal siebenundzwanzig kann ich mich wohl als eine Meisterin meines Fachs bezeichnen. Die geregelten Abläufe, die Genauigkeit, die kleinen, bedachten Handgriffe, das alles hat eine beruhigende Wirkung auf mich. So war es nicht immer. Als ich zum ersten Mal mit in die Werkstatt durfte, jagte mir die Geräuschkulisse einen Mordsschrecken ein. Dieses Rupfen und Knacken, Hobeln und Tropfen.
Wenn du einem Tier die Haut abziehst, entsteht ein ganz eigenes Geräusch, du spürst es förmlich. Wie es in deinen Ohren kribbelt. Hirschen muss man das Geweih mitsamt der oberen Schädeldecke absägen. Das ist buchstäblich Knochenarbeit und entsprechend laut. Mein Großvater pflegte dazu Musik aus einem alten Radio zu hören. Für mich hingegen gehört der spezielle Klang mittlerweile einfach dazu.
Sobald der Vogel ausreichend mit Mehl eingerieben ist, schabe und schneide ich das Fleisch und die Sehnen von den Knochen, als würde ich eine Holzskulptur schnitzen. Das ist wichtig, um Fäulnis oder Schadinsekten erst gar keine Chance zu geben. Es ist ein recht grober Vorgang, ich bin alles andere als zimperlich. Mit jedem Stückchen Fleisch, das ich entferne, steigt mir der Geruch des Federkleids in die Nase, vermischt mit Nuancen von Blut und der schweren Note der alten Holzstellagen. Von draußen dringt dumpf der Klang des Waldes zu mir vor, Vogelzwitschern, Windrauschen, aber ich konzentriere mich auf das, was hier drin stattfindet. Diesen Teil der Präparation mag ich besonders gern. Die dünnen Gliedmaßen in meinen Händen fühlen sich so zerbrechlich an, dabei bräuchte ich einiges an Kraft, um sie zu zerschmettern.
Das Federkleid inklusive Knochen wird nun gereinigt und getrocknet. Dafür habe ich einen Eimer Wasser mit Seifenlauge und einem Schuss Insektenschutzmittel versetzt. Eine trübe, nicht gerade einladende Suppe, deren penetranter Gestank das ganze Atelier erfüllt. Bei den meisten Tieren kommt zusätzlich ein Salzbad zur Gerbung zum Einsatz, in dem die Haut mehrere Tage eingeweicht und anschließend getrocknet wird. Bei Vögeln hat das keinen Sinn, da das Federkleid darunter leiden würde.
Ich habe den Falken eben in der Lauge verschwinden lassen, als ich eine Gestalt am Fenster vorbeihuschen sehe.
Mein Herz macht einen nervösen Satz. Niemand verirrt sich auf meine abgeschiedene Lichtung. Rasch trockne ich die Hände an meiner Schürze ab und eile aus dem Haus. Die klare Luft des Morgens kriecht unvermittelt in meine Nase, als ich konzentriert in alle Richtungen schaue. Das Vogelzwitschern wirkt plötzlich doppelt so laut, der Wind hat aufgefrischt und zerrt verbissen an meiner Kleidung. Nichts zu sehen. Ich gehe eine Runde ums Haus, berühre Sträucher und Büsche, als könnten sie mir bestätigen, was ich da eben gesehen habe. Immer noch nichts. Habe ich mir die Bewegung vor dem Fenster am Ende nur eingebildet? Manchmal passiert das, wenn meine Sinne zu sehr auf die Arbeit konzentriert sind und ich die Außenwelt komplett vergesse. Da wirkt aus dem Augenwinkel ein im Wind wippender Ast plötzlich wie ein lebendiges Wesen.
Vielleicht sollte ich eine Pause machen. Der Falke befindet sich ohnehin in seinem Reinigungsbad. Ich gehe ins Haus zurück, entzünde ein Feuer im Ofen und setze Wasser für einen Tee auf. In den kleinen verwinkelten Räumen des Hauses hält sich noch die Kühle der letzten Nacht, und ich atme den vertrauten Geruch des alten, in Stierblut eingelassenen Deckenholzes ein. In der Küche finde ich mich trotz schlechter Lichtverhältnisse leicht zurecht, alles hat seinen fixen Platz.
Mit meiner Teetasse gehe ich in die Stube, wo Hexe bereits ungeduldig vor ihrer leeren Futterschüssel wartet. Mit ihrem pechschwarzen langen Fell ist sie oft nicht vom dunklen Kachelofen zu unterscheiden, der wie ein versteinerter Troll in der Ecke steht. Sie stürzt sich gierig auf die Mischung aus Reis und gekochtem Hühnerfleisch. Ich selbst schiebe mir bloß rasch eine Banane in den Mund, um meinen knurrenden Magen zu beruhigen. Wenn ich arbeite, habe ich nie großen Appetit. Auch wenn ich mit dem Essen etwas nachlässig bin, während der Präparationsphasen achte ich streng auf saubere Kleidung sowie Handschuhe und halte möglichst Ordnung. Nicht so wie mein Großvater. Er kam mir vor wie ein Schlächter mit seiner schmutzigen Schürze und dem chaotischen Arbeitstisch. Ein Metzger bei der Schlachtung, nur unheimlicher.
Erst mit der Zeit begriff ich, mit welchem Feingefühl und wie respektvoll er mit den Tieren umging. Er glaubte fest daran, dass auch Tiere eine Seele haben. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber ich versuche mir dabei stets eines bewusst zu machen: Die meisten Tiere waren alt oder krank. Ihre Zeit war gekommen.
Hexe ist fertig mit ihrer Schüssel und sitzt schwanzwedelnd vor mir auf dem Teppich. Ihre Art, mich zu fragen, was als nächstes Spannendes passiert. Sie wurde von ihren früheren Besitzern im Tierheim abgeliefert, weil sie angeblich zu stürmisch war. Offenbar wussten diese Leute nicht, wie Hunde funktionieren; dass sie Auslauf und Aufmerksamkeit brauchen genauso wie strenge Regeln. Und dass es einem Hund selbst in jungen Jahren das Herz bricht, wenn er abgegeben wird. Die meisten Leute wissen überhaupt sehr wenig über irgendwas.
»Jetzt bist du bei mir«, raune ich ihr lächelnd zu. Eine ganze Welt habe ich ihr zum Austoben geschenkt. Ihr gehört das Haus, die Lichtung, der Wald. Hier hat sie alles, was sie braucht, und noch viel mehr.
Ich lasse sie nach draußen und schaue auf einen Sprung im kältegeschützten Gewächshaus vorbei. Es liegt etwas abseits am Rand der Lichtung und verleiht diesem Ort einen Hauch von Zivilisation. Ich versuche so viel wie möglich selbst anzubauen, Karotten, Kartoffeln, Salat, Kräuter und dergleichen. Hin und wieder gelingt es mir auch, ein paar Kürbisse großzuziehen. Während Hexe ihr wolliges Fell im feuchten Gras reibt, zupfe ich Karotten aus der Erde und schneide frische Petersilie ab.
Die Sonne sieht man hier nur selten. Die umliegenden Berge schieben Unwetter ins Tal, die den Wald regelmäßig unter tiefgrauen Wolken und Nebel begraben. Ich spüre, dass es bald regnen wird. Mit der geernteten Petersilie und den Karotten gehe ich zurück Richtung Haus, da bemerke ich abermals etwas Seltsames. Fußabdrücke im Gras, nicht viele und sehr klein. Die Spuren eines Kindes? Aber was zum Teufel hätte ein Kind hier zu suchen?
Die Fährte verliert sich auf dem Schotter, den ich vor dem Haus gestreut habe, da der Boden bei Schlechtwetter sonst zu leicht morastig wird. Erneut werfe ich einen Blick in alle Richtungen. War da doch jemand vorhin bei meinem Fenster?
Erste dicke Tropfen berühren meine Stirn. Ich rufe Hexe zu mir und eile mit ihr ins Haus, ihre schmutzigen Pfoten hinterlassen Abdrücke auf dem Boden. Im nächsten Moment beginnt es zu schütten. Mit verschränkten Armen stehe ich am Fenster und blicke nach draußen in den Regen. Wer auch immer bei meinem Haus herumgeschlichen ist, hat jetzt zumindest einen guten Grund, sich aus dem Staub zu machen.
Ich kehre zurück ins Atelier, Hexe bleibt in der Stube, da sie weiß, dass sie hier drin nichts zu suchen hat. Ein Blick in den Eimer zeigt: der Falke braucht noch ein bisschen. Zeit, um auf dem Handy meine E-Mails zu checken.
Im Posteingang finde ich eine Anfrage zu meinen aktuellen Preisen für mittelgroße Hunde. Der Wettbewerb ist hart, wer billig ist, macht in der Regel das Rennen. Ich stelle mich ans Fenster, wo ich für gewöhnlich den besten Empfang habe, und tippe eine kurze Antwort.
In einer guten Woche bekomme ich bis zu drei Kundenanfragen, in einer schlechten keine einzige. Der Verdienst variiert. Theoretisch habe ich fixe Preise, die sich an meinem Arbeitsaufwand und der gewünschten Gewinnspanne orientieren; für Kleintiere wie Hamster, Wellensittiche oder Meerschweinchen berechne ich zwischen hundert und fünfhundert Euro, teurer wird es in den größeren Gewichtsklassen wie Hunde, Katzen oder auch kleinere Wildtiere. Besondere Anfragen wie Rennpferde oder Hirsche bewegen sich sogar in einer Preisklasse zwischen zwanzig- und siebzigtausend Euro. Das kommt allerdings äußerst selten vor. Kunden mit solchen Anliegen wenden sich an große Präparationsfirmen, die entsprechende Lager- und Kühlkapazitäten haben, der Rest geht lieber zur Konkurrenz. Hier in der Gegend habe ich nicht gerade den besten Ruf und muss nehmen, was ich kriegen kann. Das bedeutet leider, dass ich meine Preise oftmals anpassen muss, um überhaupt etwas zu verdienen.
Doch es gibt einige wenige, die meine präzise und hochwertige Arbeit zu schätzen wissen und bereit sind, das zu zahlen, was ich verlange. Dadurch habe ich mir im Laufe der Zeit eine kleine, aber feine Stammkundschaft aufgebaut, die seit Jahren halbwegs mein Auskommen sichert. Hauptsächlich bewegen sich die Aufträge im Bereich des Kuriosen – eine Nische, die die wenigsten kennen. Fabelwesen. Ungeheuer. Das ist meine Spezialität.
Ich biete diesen Dienst nicht aktiv an. Wer mich beauftragen will, der findet mich. Diskretion ist das A und O. Mein bester Kunde im Kuriositätenbereich heißt Walter Hillmann, ein verschrobener alter Mann im Rollstuhl mit einem Faible für alles, was es nicht gibt. Einhörner, Greifen, Lindwürmer, die Liste der Exponate ist lang. Zuletzt durfte ich einen Mantikor für ihn bauen: Menschenkopf, Löwenkörper, Schwanz eines Skorpions. Zwei Meter hoch, drei Meter zwanzig lang. Scharlachrotes Fell, schwarze Mähne, Zähne so groß wie ein menschlicher Finger. Für solche Präparate braucht man natürlich ein Körpermodell. Zunächst fertige ich detailgetreue Zeichnungen an, aus welchen der Kunde seinen Favoriten auswählt. Dann wird modelliert, manchmal ganz altmodisch aus Ton, aber viel öfter aus dem leichteren Schaumstoff, kleinere Körperteile wie Zunge oder Krallen oft auch aus Kunststoff. Über das fertige Modell kommt dann die gegerbte Haut der jeweiligen Tiere. Löwenfell sowie Mähne sind echt, bloß mit der Farbe habe ich beim Mantikor etwas nachgeholfen. Die Krallen stammen von den Tatzen eines Braunbären, das Gebiss von einem Tiger.
All diese Einzelteile zu besorgen ist kostspielig. Und oft alles andere als legal. Zum Glück verfüge ich über gewisse Branchenkontakte, die mir entweder mein Großvater vermacht hat oder die ich mir selbst aufgebaut habe.
Ich hatte gehofft, einen neuen Auftrag von Hillmann im Postfach zu finden, da der letzte schon eine Weile zurückliegt. Stattdessen leuchtet der Absender eines anderen Stammkunden auf: Lothar Jungblut. Er hat sein Geld mit Immobilien gemacht und residiert in einer Villa auf einem Hügel nahe der Stadt. Alle paar Monate beehrt er mich mit einer neuen kryptischen Anfrage. Er schreibt seine Mails auch nicht selbst, das erledigt sein Assistent.
Sehr geehrtes Fräulein Valkyria,
Herr Jungblut hätte einen neuen Auftrag für Sie. Gewichtsklasse II, Kostenpunkt nach persönlicher Einschätzung. Wir erwarten Sie zur Auftragsbesprechung morgen in Herrn Jungbluts Haus, Punkt 11 Uhr vormittags.
MfG
A. K.
Ich antworte sofort. Kunden dieser Art muss man pflegen.
Komme morgen zur gewünschten Uhrzeit vorbei.
Gruß
V.
Jetzt aber zurück zu meinem Falken.
Nachdem ich ihn aus dem Bad genommen habe, kommt er in ein Tuch gewickelt für kurze Zeit in die Schleuder, um das Gröbste an Feuchtigkeit aus dem Gefieder zu ziehen. Anschließend reibe ich ihn innen und außen wieder mit Kartoffelmehl ein, um die letzte Feuchtigkeit aufzusaugen. Das hilft beim nächsten Arbeitsschritt, dem eigentlichen Präparieren. Dafür knipse ich mit der Zange Drahtstücke von den Rollen am Boden und bilde damit ein stützendes Gerüst rund um die erhalten gebliebenen Knochen, auch für den Kopf und die Flügel. Drum herum wickle ich ganz feine Holzwolle zur Nachbildung der vom Knochen entfernten Muskulatur. Ich habe immer noch meinen Großvater im Ohr, wie er predigt, dass man niemals stopfen darf, so wie es früher praktiziert wurde, sondern tatsächlich wickeln muss, da dies viel realistischer wirkt.
An das fertig gewickelte Gerüst bringe ich anschließend die Haut mit dem Federkleid an. Danach beginne ich mit dem Annähen der Haut. Hier ist wieder Fingerspitzengefühl gefragt. Nadelstich für Nadelstich wird mein Kunstwerk vollendet, der Faden ist dick und robust, darf später aber nicht zu sehen sein. Es dauert bis zum Nachmittag. Der Falke hat nun Stand und wird auf ein großes Stück Holz platziert. Augen und Farbnachbesserungen an Schnabel und Füßen werde ich morgen erledigen. Jetzt heißt es erst einmal Feierabend. Ich zupfe das Federkleid zurecht und befreie es von überschüssigem Mehl.
Als ich das Licht des Ateliers abschalte, verschwindet das Präparat in der Dunkelheit, und ich stelle mir gerne vor, dass das Tier jetzt Frieden hat. Nach dem Schließen der Tür halte ich für ein paar Sekunden inne. Ich denke wieder an die Worte meines Großvaters: dass es auch für die Tiere einen Himmel gibt und dass jemand bei ihnen bleiben muss, damit sie den Weg dorthin finden. Als Kind fand ich diesen Gedanken wunderschön. Unbedingt wollte ich so jemand werden. Eine Begleiterin für die Toten auf dem Weg ins Jenseits. Eine Walküre – so hat mich mein Großvater manchmal scherzhaft genannt. Daher auch mein Künstlername Valkyria. Ich wollte etwas Kurzes, Einprägsames, das zugleich auch mich und meine Arbeitsphilosophie repräsentiert.
Jetzt bin ich mal dies, mal das. Künstlerin für die einen, Leichenfledderin für die anderen. Wie lautete noch mal die E-Mail von Jungbluts Assistenten? Kostenpunkt nach persönlicher Einschätzung. Das verspricht ein lukrativer Auftrag zu werden, und lukrative Aufträge habe ich mehr als nötig. Auch wenn ich Jungblut nicht mag. Aber wer bin ich, über andere zu urteilen? Ich stelle keine Fragen und erledige meinen Job. Das ist es, was meine Kunden an mir schätzen. Davon finanziere ich mein Haus, mein Atelier, meine einsame Welt.
Morgen also. Ein neuer Auftrag aus Teufels Küche.
DERMORGENISTKALT, und es liegt der Geruch des nahenden Winters in der Luft.
Heute gibt es viel zu tun. Ich muss den Falken fertigstellen, davor steht mein Besuch bei Jungblut an. Außerdem gehen mir die verdächtigen Fußabdrücke und die huschende Gestalt nicht aus dem Kopf. Besser, ich schaue vor meinem Besuch bei Jungblut beim Bunker vorbei, falls es den Herumtreiber auch dorthin verschlagen hat. Ich kann keine Eindringlinge gebrauchen. Dieser Wald gehört mir. Wenn man mich sucht, findet man mich nicht. Mein Haus ist so tief in der Wildnis versteckt, dass man es nur entdeckt, wenn man den Weg dorthin kennt. Wer hier lebt, möchte vergessen werden. Und manchmal vergisst man sogar sich selbst – vergisst, wer man war, bevor man in diese malerische Abgeschiedenheit gekommen ist. Bevor die Stille zu jenem Geräusch wurde, das man am häufigsten hört. Ich wollte Hexe und mich hier verstecken, so wie man einen Schatz versteckt. Niemand soll uns je finden.
Ich bin gut im Verstecken von Dingen. Habe früh gelernt, das zu schützen, was mir lieb und teuer ist. Hier draußen sind wir sicher. Für diese Sicherheit würde ich kämpfen. Mit allem, was ich habe. Das wird der Eindringling schon noch merken.
Eben erst ist die Sonne hinter den Wipfeln aufgetaucht. In der nebligen Morgendämmerung wirkt der Wald wie verwunschen. Breite Schatten ziehen über den Boden wie die Spuren eines Fabelwesens, das bei Nacht heimlich durch die tiefen Schluchten oder über die steilen Hänge wandert. Nur ein falscher Schritt, ein unbedachtes Geräusch, und du stöberst es auf.
Ich glaube nicht an Fabelwesen, wohl aber an Geister. In Wäldern wie diesen ist es für sie besonders leicht, sich versteckt zu halten. In all den finsteren Winkeln und Höhlen, an all den verlassenen Orten, die längst vergessene Geschichten und Legenden erzählen. Es gibt eine Mühle im Herzen des Waldes, im tiefsten Inneren dieser dunklen, stillen Wildnis, wo die Geister ihre Feste feiern. Was so gut versteckt ist, kann unmöglich unbewohnt sein.
Ich mache mich auf den Weg, Hexe begleitet mich. Der Bunker fungiert als eine Art Zweigstelle meines Ateliers, ausgelegt für besonders komplizierte Aufträge. Als ehemaliges Wasserreservoir ist er ans örtliche Stromnetz angeschlossen, zusätzlich habe ich zwei Wärmepumpen, die mein abgeschiedenes, unterirdisches Reich im Notfall am Laufen halten. Über die Jahre habe ich mir dort unten ein richtiges kleines Labor eingerichtet. Manche Kunden wünschen kein normales Präparat, sondern eine Darstellung des Gewebes und der Muskulatur, Professoren zum Beispiel oder Ärzte. In solchen Fällen greife ich auf die hohe Kunst der Plastination zurück, hierbei muss Körperwasser durch Kunststoff ersetzt werden. Ich bin stolze Besitzerin einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Vakuumkammer, sowie einer Vakuumpumpe und einer explosionsgeschützten Tiefkühltruhe. Teuer, aber letztendlich eine lohnende Investition.
Mein Urgroßvater war als Landbesitzer für die Instandhaltung des Bunkers zuständig gewesen. Doch nun ist er schon seit Jahrzehnten stillgelegt und in Vergessenheit geraten. Ich erreiche ihn in wenigen Gehminuten, ich kenne den Weg und habe keine Scheu vor Gestrüpp und Bergauf-Passagen. Hinter Büschen, Tannen und großen Wackelsteinen liegt er gut versteckt. Direkt in einen Hang hineingebaut, alt und von Gestrüpp umwuchert, blickt er stillschweigend dem Verfall entgegen. Der einzige Schlüssel befindet sich in meiner sicheren Obhut.
Zuallererst drehe ich eine Runde um das Gebäude auf der Suche nach weiteren verdächtigen Fußspuren. So weit, so gut, alles wirkt unverändert. Beruhigt schließe ich auf und öffne die ächzende Metalltür. Gleich dahinter verlaufen Steinstufen ins vermeintliche Nichts. Wo es früher nach Moder roch, kriecht mir nun der sterile Geruch eines Krankenhauses entgegen. Ich nehme die Taschenlampe, die neben der Tür an der Wand hängt, und leuchte mir meinen Weg hinunter ins Labor.
Schemenhaft zeichnen sich die Stellagen, die Arbeitstische und die Azetontanks, die bei der Plastination benötigt werden, in der Dunkelheit ab. Wie klobige Gräber ragen die Umrisse vor mir auf. Ich finde den Schalter an der Wand, und Leuchtstoffröhren springen an. Kantige Formen und spiegelglatte Flächen kommen zum Vorschein. In einem der Tanks habe ich bis vor Kurzem den Kopf eines Wildschweins gelagert. Eigentlich wollte ich ihn für eines von Hillmanns Fantasiegeschöpfen verwenden, doch als dieser kurzerhand den Auftrag stornierte, hatte ich keine Verwendung mehr dafür. Also habe ich ihn eingefroren. Verrechnet wurde er Hillmann selbstverständlich trotzdem.
Konzentriert gehe ich den Raum ab. Halte Ausschau nach Schmutz, Ungeziefer oder anderen unangenehmen Überraschungen. Doch alles ist blank und steril, ebenmäßig und modern. Auch wenn ich gerade nichts im Bunker zu tun habe, bin ich gerne hier unten, genieße die aus allen Winkeln strömende Perfektion und bestaune meine Schmuckstücke. Ich öffne die Lade mit den Skalpellen – mein größter Stolz. Gerade, saubere Schnitte, Präzisionsarbeit, darauf lege ich Wert. Von den Skalpellen geht es weiter zum großen Arbeitstisch. Mit den Handflächen streiche ich über das kühle Metall, spüre die glatte Oberfläche und komme sofort in Stimmung, mein nächstes Meisterwerk zu beginnen. Eine offene Packung Müsliriegel liegt rechts auf einem Beistelltisch. Es gibt auch fließendes Wasser und einen kleinen Kühlschrank, in dem ich stets ein paar Sachen eingelagert habe. Brote, Joghurts, manchmal sogar Obst. Auch Hexe hat eine eigene Decke und einen Vorrat an Futter.
Ein Geräusch oben an der Tür lässt mich herumfahren. Da draußen schleicht jemand herum. Wieder der Herumtreiber von gestern? Ich schalte das Licht ab, stürme die Stufen hinauf und aus dem Bunker. Nebelschwaden wabern zwischen den Bäumen wie geisterhafte Leintücher. In der Ferne ruft ein Uhu, der Wind trägt das Geräusch in alle Richtungen. Erneut knackst etwas im Unterholz. Ich drehe mich um und entdecke eine kleine Gestalt am Hang über dem Bunker. Ein Kind, tatsächlich. Zunächst bin ich erleichtert, doch dann wird es mir urplötzlich klar: Kinder haben hier erst recht nichts zu suchen, verflucht!
»He, was machst du da? Komm da sofort runter, das hier ist Privatbesitz! Sieh zu, dass du verschwindest!«
Ein kleines Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt. Sie hat die Kapuze ihres Mantels über den Kopf geschlagen und weicht erschrocken zurück.
»Du warst gestern doch bei meinem Haus, nicht wahr? Ich hab dich gesehen. Hau sofort ab! Herumschnüffeln gehört sich nicht!«
Endlich zeigt mein Geschimpfe Wirkung. Sie läuft unbeholfen seitlich den Abhang hinunter und verschwindet zwischen den Bäumen wie ein kapuzentragendes Gespenst.
»Neugieriges Gör«, murmle ich, während ich die Tür doppelt und dreifach verschließe.
Bisher haben sich nie Menschen in diese Gegend verirrt. Deswegen ist dieser Ort ja so perfekt. Niemand sieht, was ich treibe im Inneren dieses Bunkers.
Noch einmal gehe ich die nähere Umgebung ab, lausche in die Stille. Keine Schritte, kein Knacksen. Das Mädchen ist weg. Und das wird hoffentlich auch so bleiben.
MEINGROSSVATER hat mir einen alten Jeep hinterlassen. Als er noch lebte, durfte ich nicht damit fahren. Trotz der zerkratzten Lackierung, des ratternden Getriebes und der fadenscheinigen Sitzbezüge war er fest davon überzeugt, dass nur er dieses Schrotthaufens würdig sei. Eine witzige Gemeinsamkeit, die er mit meinem Vater hatte. Der war genauso pingelig, wenn es um seinen heiß geliebten BMW ging. Meiner Mutter borgte er das Auto ausschließlich, wenn sich ihres in der Werkstatt befand, und selbst dann nur unter sehr strengen Auflagen. Ironischerweise war es der BMW, mit dem sie den Unfall hatten. In alle Einzelteile zerlegt. Genau wie sie.
Jetzt parkt der Jeep meist unbewegt in einem Blechschuppen am Rand der Lichtung, weil ich es bevorzuge, meine Wegstrecken zu Fuß zu bewältigen. Und wieder: welch Ironie.
Bewegung ist mir wichtig. Ich laufe jeden Tag mindestens drei Kilometer und versuche meinen Körper in Schuss zu halten. Das Hantieren mit kiloschweren toten Tieren hält die Muskeln zusätzlich auf Trab. Seit mein Großvater vor drei Jahren gestorben ist und ich seine kleine Präparationsstube übernommen habe, hat sich mein Aussehen stark verändert. Mein Körper ist drahtiger geworden, geformt von Disziplin und harter Arbeit. Weil mich mein langes dunkles Haar beim Arbeiten gestört hat, habe ich mir vor einiger Zeit einen Kurzhaarschnitt zugelegt. Damit wirke ich kühler und kantig, manchmal ernte ich schiefe Blicke. Mich stört das nicht. Sollen sie Abstand halten.
Im Laufe des Vormittags sind die Temperaturen ein Stück gestiegen. Die Sonne scheint und lässt den Wald in bunten Farben erstrahlen. Ich mag Tage wie diese, wenn die Düsternis der Lebendigkeit weicht und die Geistergeschichten tief in den Verstand zurückgedrängt werden. Sosehr ich mein Leben im Wald auch genieße, manchmal hätte ich gern etwas mehr Licht um mich herum. Selbst im Sommer gibt es Plätze, wo die Schatten niemals ganz verschwinden. Sie bleiben dann zwangsläufig auch in deinem Kopf, lassen dich Dinge sehen oder Gedanken verfolgen, die zu absurd sind, um sie laut auszusprechen. Wie etwa die Angst, ganz plötzlich Schritte hinter dir zu hören, oder das eisige Gefühl, im Haus nicht allein zu sein, obwohl du mit absoluter Gewissheit weißt, dass niemand da ist und auch niemand kommen wird, selbst wenn du um dein Leben schreist.
Hexe läuft wie immer ein Stück voraus. Ihr schwarzes Wuschelfell huscht durch das Unterholz, während sie überdreht den Boden beschnüffelt. Ab und zu lugt ihr Kopf hervor, wenn sie stehen bleibt und sich nach mir umsieht. In Gedanken an Jungblut grummelt mir ein wenig der Bauch. Denk an das Geld, sage ich mir immer wieder.
Der Wald wird langsam lichter, wir nähern uns der Straße. Gadenhof, eine Fünftausend-Einwohner-Gemeinde mit dem künstlichen Charme eines Winterskiortes, liegt an einem Fluss, der die Zivilisation von der Wildnis trennt. Schon von Weitem höre ich das Wasser rauschen. Als silbern glitzerndes Band schlängelt es sich entlang der Straße, über eine malerische kleine Brücke gelangt man auf die andere Seite. Soeben möchte ich Hexe zu mir rufen, um sie an die Leine zu nehmen, da merke ich, dass ich sie aus den Augen verloren habe. Komisch. Sonst macht sie sich nie aus dem Staub. Da höre ich sie plötzlich nicht weit entfernt bellen, dazu mischt sich das Lachen eines Kindes.
Ich folge den Geräuschen, und hinter einer Wegbiegung entdecke ich Hexe zusammen mit dem Mädchen von vorhin. Es versucht lachend, Hexe einen Stock aus dem Maul zu ziehen.
»Hexe, hierher!«, rufe ich.
Das Mädchen erschrickt, Hexe kommt schwanzwedelnd zu mir gelaufen. Den Stock nimmt sie mit. Wütend ziehe ich ihn weg, und sie schaut mich mit ihren großen braunen Augen unschuldig an.
»Hallo«, sagt das Mädchen und lässt die Kapuze herunter. Ein langer blonder Zopf fällt über ihre Schulter. Ihre Wangen sind von der Kälte gerötet, und sie mustert mich mit strahlend blauen Puppenaugen. Ich starre wütend zurück, packe Hexe am Halsband und lege ihr die Leine an.
»Wie heißt der Hund?«, will das Mädchen wissen.
»Hexe.«
»Das ist aber ein komischer Name.«
»Bist du hier ganz allein unterwegs?«
»Unser Haus liegt gleich da drüben!« Sie zeigt Richtung Osten, wo hinter den Wipfeln bereits Dächer zu erkennen sind. »Ich heiße Klara, und du?«
»Du solltest nicht allein im Wald herumlaufen. Was hast du hier zu suchen?«
»Spielen.«
Ich ziehe Hexe von dem Stock weg, an dem sie soeben zu kauen begonnen hat. »Der Wald ist kein Ort zum Spielen. Du solltest nach Hause gehen. Hast du keine Schule?«
Sie lacht. »Heute ist doch Samstag.«
Was weiß ich. Da draußen vergisst man schnell die Tage, die Zeit, seinen eigenen Namen. Ich weiß nur, dass ich einen Termin habe, und den sollte ich nicht versäumen.
»Geh nach Hause«, wiederhole ich. »In dieser Gegend kann man sich leicht verlaufen.«
Sie sieht sich verwundert um. »Ist aber so schön hier. Kennst du dich gut aus im Wald?«
»Redest du immer so viel mit Fremden?«
»Du bist keine Fremde, ich hab dich vorhin schon gesehen.«
»Richtig, und da bist du mir schon ungut aufgefallen.«
»Ich hab von dir gehört. Du bist doch die Frau, die da draußen in dem alten Haus lebt. Die Frau, die Tiere ausstopft.«
»Dann weißt du sicher, dass ich ab und zu auch Menschen ausstopfe. Kleine Mädchen ganz besonders gern.«
Sie reißt erschrocken die Augen auf. »Du lügst doch!«, sagt sie.
Ich drehe mich nach dem Weg um. Ich möchte mich nicht länger mit ihr aufhalten, aber genauso wenig sollte ich dieses Kind weiter hier herumstreunen lassen. Wer weiß, ob sie dann nicht auf blöde Gedanken kommt und zurück zum Bunker schleicht. Oder zu meinem Haus. Besser, ich sorge höchstpersönlich dafür, dass sie verschwindet.
»Wo genau wohnst du?«, frage ich.
»Da drüben.« Sie zeigt auf eines der Häuser hinter den Wipfeln. Es ist nicht weit weg. Zehn Minuten maximal.
Ich seufze verärgert und strecke ihr die Hand hin. »Dann komm, ich bring dich nach Hause.«
»Wieso, was hab ich gemacht?«
»Du gehorchst nicht, wenn man dir was sagt! Ich bring dich jetzt zu deinen Eltern.«
»Nein, das ist unfair!«
»Keine Widerrede, du kommst jetzt mit!«
Sie führt mich zu einem Neubau, hellgelb gestrichen, mit flachem Dach und abgedecktem Pool im Vorgarten. Ungemein hässlich, aber so sehen die meisten Häuser hier aus. Modern, austauschbar und ohne jeden Charme. Das Haus meiner Eltern war ganz anders. Kleiner und älter, ja, aber auch viel wohnlicher, nicht so steril. Meine ich zumindest. Leider erinnere ich mich an sehr wenig, was vor dem Unfall passiert ist.
Ein gepflasterter Weg führt an kahlen Blumenbeeten und einer fein getrimmten Hecke vorbei. Hexe wartet auf dem gepflegten Rasen.
Mittlerweile ist es kurz vor elf Uhr. Mist. Vergeblich suche ich eine Klingel und hämmere schließlich mit der Faust gegen die Tür.
Mir öffnet ein junger blonder Mann mit blauem Hemd und Kaffeebecher in der Hand.
»Ist das Ihre Tochter? Ich hab sie im Wald gefunden.«
Er wirkt verwirrt und stellt eilig den Becher weg. Seine Augen schweifen zwischen mir und Klara hin und her. »Tut mir leid. Hat sie etwas ausgefressen? Klara?«
Die Kleine schüttelt energisch den Kopf. Dann schlüpft sie ins Haus und murmelt ihm zu: »Das ist die Hexe aus dem Wald.«
Ich funkle sie wütend an, ihr Vater lächelt entschuldigend. »Ich bin mir sicher, dass sie keine Hexe ist, okay? Jetzt ab mit dir und lass mich das klären.«
»Aber Papa, wenn ich’s dir doch sag! Das ist ganz sicher die Hexe aus dem Wald! Die, von der alle in der Schule reden!«
»Geh jetzt in dein Zimmer, Klara.«
»Pass auf, sie stopft Tiere aus und manchmal auch Menschen!«
»Tut mir wirklich leid«, sagt er errötend zu mir, während er die Kleine weiter ins Innere schiebt. »Also, was hat sie denn angestellt?«
»Sie ist mir unbeaufsichtigt im Wald über den Weg gelaufen, zweimal.«
»Ach so«, antwortet er erleichtert, »und ich hab schon befürchtet, sie hätte Probleme gemacht.«
»Nein, aber sie war unbeaufsichtigt.«
»Sie war doch gar nicht weit weg.«
Genau das mag ich nicht an Städtern – sie unterschätzen die Natur und all die Gefahren darin.
»Wie dem auch sei«, sage ich und schaue genervt auf meine Armbanduhr. »Wegen der Kleinen komme ich zu spät zu einem wichtigen Termin, also sagen Sie ihr bitte, dass sie nicht mehr allein herumspazieren soll, okay? Und schon gar nicht auf meinem Privatbesitz.«
»Natürlich, das mache ich. Ich wollte wirklich nicht, dass sie Ihnen Umstände bereitet. Wir sind eben erst hergezogen, wir kennen die Gepflogenheiten hier noch nicht so gut.«
»Passen Sie einfach besser auf sie auf.«
»Ist Ihr Termin denn sehr bald?«
»Jetzt gleich.«
Er dreht sich nach seiner Tochter um, die sich eben im Wohnzimmer vor den Fernseher gesetzt hat. »Wie weit ist es von hier? Soll ich Sie mit dem Auto hinbringen?«
»Nein, vielen Dank.«
»Doch, doch, ich bestehe darauf!« Im Nu hat er sich Sportschuhe angezogen und hält einen Schlüssel in der Hand. »Kommen Sie, ich bring Sie schnell hin.«
Ich weiche einen großen Schritt zurück.
»Das ist wirklich nicht nötig«, sage ich eindringlich.
»Ist das Ihr Hund, der da auf meinen Rasen pinkelt?«
»Hexe, aus!«
Er lacht. »Lassen Sie mich Ihren Chauffeur spielen, und wir sind quitt, einverstanden?«
Die Kirchturmglocken läuten. Punkt elf Uhr. Selbst wenn ich laufe, brauche ich für die Anhöhe, auf der Jungbluts Anwesen thront, mindestens zehn Minuten. Und jetzt fällt Hexe auch noch ein, dass sie Gras aus dem Rasen rupfen muss.
»Gut, dann fahren wir«, sage ich.
ERHEISSTJONATHAN, ist vierunddreißig und offenbar der neue Tierarzt in der Stadt. Ich wusste gar nicht, dass der alte gestorben ist.
Jonathan schlägt vor, mit Hexe doch beizeiten mal für einen Routinecheck in seiner Praxis vorbeizuschauen. Ich lächle bloß verkrampft und konzentriere mich auf die Straße. Er jedoch redet ungestört weiter, dabei strahlt er mich mit blaugrauen Augen an. Er ist Witwer, seine Frau starb vor einigen Jahren an Krebs, seitdem kümmert er sich allein um die Kleine. Das alles erzählt er mir, obwohl wir uns gar nicht kennen. Obwohl ich nicht mal antworte.
»Tut mir echt leid, dass Sie wegen Klara Umstände hatten«, sagt er zum wiederholten Mal, als wir am Fuß des Berges angelangt sind. »Sie kennt die Gegend noch nicht und wollte sich nur mal ein bisschen umsehen. Sie war schon immer eine kleine Abenteurerin.«
»Das kann ich verstehen, aber dieser Wald ist nichts für Kinder. Man verirrt sich leicht.«
»Und Sie sind also die berühmte Tierpräparatorin?«
Ich zucke bloß mit den Schultern.
»Das ist nämlich das Erste, was man hört, wenn man mit den Leuten hier redet. Sie scheinen eine Attraktion zu sein.«
Abermals fällt mir keine Antwort ein.
»Die meisten finden wohl, dass Sie irgendwie … ungewöhnlich sind. Aber das ist ja nichts Schlechtes«, fügt er hastig hinzu. »Wo jetzt lang?«
»Links. Und dann einfach der Nase nach.«
Er biegt ab und beschleunigt ein wenig, sodass Hexe auf dem Rücksitz hin und her geworfen wird.
»Und Sie haben jetzt einen Termin mit einem Kunden?«, fragt er und grinst im nächsten Moment betreten. »Entschuldigen Sie, falls ich zu neugierig bin. Sie sind die erste Tierpräparatorin, die ich kennenlerne.«
»Ist nichts anderes als das, was Sie machen. Nur dass bei mir die Tiere schon tot sind.«
Er nickt, als klinge das vollkommen plausibel. Ist es ja auch, doch die meisten hätten mich nach einem solchen Spruch schief angeschaut.
»Ich bin gespannt auf meine Arbeit hier«, wechselt er das Thema. »Als neuer Arzt muss man sich immer erst eine gewisse Vertrauensbasis schaffen. Man hat mir angeboten, die alte Praxis von Dr. Raabe zu übernehmen, aber ich arbeite lieber in meiner eigenen. Mal sehen, ob die Leute den Weg zu mir finden.«
Ich verkrieche mich weiterhin in meinem Schweigen. Am liebsten würde ich die Tür öffnen und rausspringen. Mit ihm in diesem engen Auto zu sitzen, so nahe beieinander, fühlt sich nicht gut an. Dass er so hartnäckig die Konversation sucht, macht es nicht besser. Was haben die Menschen gegen Stille?
»So, da wären wir.« Er hält vor dem gold lackierten Gittertor, das am Ende der Straße auf uns wartet. Endlich. »Wow. Das sieht ja richtig nobel aus. Wem gehört das denn?«
»Lothar Jungblut, ein ziemlich reicher Kerl.«
»Also bei dem Tor glaube ich das sofort. Gibt’s da drin auch perlenbesetzte Aufzüge?«
»Weiß nicht.«
Er dreht sich lächelnd zu mir. »Vielen Dank, dass Sie Klara nach Hause begleitet haben. Ich wollte nicht, dass Sie sich unsertwegen verspäten.«
»Keine Ursache. Die Kleine soll einfach aufpassen.«
Ich steige aus und lasse Hexe aus dem Auto springen.
»Sie können jederzeit in meine Praxis kommen«, ruft er aus dem Fenster. »Sie wissen ja jetzt, wo ich wohne. Die Praxis ist gleich ans Haus angebaut.«
»Danke, auch fürs Fahren.«
Während er wendet, drücke ich den Summer neben dem Tor. Eine knarzige Stimme meldet sich via Gegensprechanlage. »Sie sind zu spät.«
Gleich darauf wird das Tor geöffnet.
Die Einfahrt ist lang. Das weitläufige Parkareal strotzt nur so vor zur Schau gestellter Perfektion und Protz: akkurat gepflegte Blumenbeete, stets fein geharkter Kies, getrimmte Büsche und Buchsbäume in Form verschiedenster Tiere. Im Sommer erstrahlt hier alles in tausend Farben, jetzt im Herbst wechselt die Szenerie zu rotbraunen Hecken und reichlich Laub auf dem makellosen Rasen. Zwei Gärtner sind gerade dabei, die Blätter zu großen Haufen zusammenzukehren. An der doppelten Eingangstür wartet A. K. bereits auf mich. Ein aufgeweckter Bursche, zwar nur halb so groß wie ich, aber immer versucht, einen Kopf größer zu wirken. Stets im Anzug, einparfümiert, gegeltes Haar. Wofür A. K. steht, weiß ich nicht, vermutlich für ArschKriecher. Wortlos nimmt er mich in Empfang und begleitet mich das weite Treppenhaus hoch Richtung Büro. Hexe macht auf mein Kommando artig Sitz und wartet bei der Eingangstür.
Arschkriecher hat Mühe, mit seinen kurzen Beinen Schritt zu halten. Mehr schlecht als recht überholt er mich, um seinem Boss mein Erscheinen anzukündigen. Kurz darauf werde ich ins Büro gebeten. Deckenhohe Fenster, dunkle, schwere Vorhänge und massenhaft Trophäen an den Wänden. Die meisten davon habe ich präpariert. Ich erkenne meine Handschrift sofort, auch wenn ich mich nicht an jedes einzelne Tier erinnere. Rechts befinden sich die herkömmlichen Präparate, Wildtiere, Vögel, Fische. Links ist die Kuriositätenwand. Bloß dass man sie keineswegs als solche erkennt. Das ist Jungbluts Fetisch. Während Hillmann auf die äußere Überraschung setzt, geht es Jungblut um das Innere des Kunstwerks. Um die Geschichte dahinter, die Herkunft. Es sind gewöhnliche Tiere. Katzen, Hunde. Doch hier kann ich mich an alle erinnern. An jeden einzelnen Handgriff.
Jungblut residiert an einem verhältnismäßig kleinen Schreibtisch, wie gewohnt trägt er einen schwarzen Anzug mit Krawatte, hinter seinen Brillengläsern schauen die dunklen Augen hervor. Sein graues Haar ist streng zurückgekämmt, und der künstliche Tannenzapfengeruch seines Aftershaves hängt in der Luft. Er deutet auf den Stuhl ihm gegenüber. Wortlos sinke ich ins Polster.
»Sitzen Sie bequem? Möchten Sie vielleicht noch einen Fußschemel?«
»Passt schon, danke.«
»Da bin ich aber beruhigt.« Seine Stimme ist tief und sanft. Alles, was er sagt, klingt so harmlos. »Möchten Sie einen Tee? Schwarztee mit Zitrone, richtig?«
Bevor ich antworten kann, stellt mir Arschkriecher eine Tasse vor die Nase, ehe er ganz schnell und lautlos wieder verschwindet. Die Tasse ist filigran und kunstvoll bemalt, mit echtem Silberlöffel und garantiert uralt. Es widerstrebt mir, es zuzugeben, aber hier schmeckt der Tee besonders gut.
»Wie geht es Ihnen?«, fragt Jungblut.
»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.«
Jungblut winkt ab. »Nie nehmen Sie Ihren Hund mit ins Büro. Ich würde ihn so gern mal streicheln.«
»Ihr Laufbursche hat gesagt, Sie hätten einen neuen Auftrag für mich.«
Ein lebloses Lächeln kriecht über sein Gesicht. »Charmant wie eh und je.«
»Ich möchte Ihre Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen.«
»Das tun Sie nicht. Ich verbringe gern Zeit mit Ihnen. Ich habe das Gefühl, wir beide verstehen einander.«
Ich antworte nicht.
»Nun denn.« Jungblut betätigt einen Summer, kurz darauf bringt Arschkriecher eine weiße Katzentransportbox herein. Er stellt sie zwischen seinem Boss und mir auf den Schreibtisch und lässt uns abermals so unverzüglich allein, als stünde der Raum in Flammen. Ich beuge mich ein Stück nach vorn, um einen Blick ins Innere der Box zu werfen.
»Eine Perserkatze«, sage ich. »Wunderschön.«
»Allerdings, das ist sie.«
»Woher haben Sie sie?«
Er sieht mich überrascht an. Natürlich, diese Frage stelle ich normalerweise nicht. Ich weiß nicht, wieso sie mir so plötzlich herausgerutscht ist. Meine Aufgabe beschränkt sich allein auf die Präparation, alles andere möchte ich nicht wissen.
»Wie lange ist es her?« Ich strecke einen Finger durch das Gitter und berühre das Fell. »Sie fühlt sich noch warm an.«
»Sie ist eben erst verschieden. Sie war fünfzehn, ein stolzes Alter. Es ging ihr am Schluss nicht mehr gut. Ihre Schönheit hat darunter sehr gelitten. Deswegen sind Sie hier. Helfen Sie ihr, wieder schön zu werden.«
Ich ziehe den Finger zurück und nicke.
»Wie lautet die Vorgabe?«, frage ich.
Er öffnet eine Lade seines Schreibtisches und zieht ein Foto daraus hervor. Umgedreht legt er es vor sich auf den Tisch, schiebt es aber nicht wie sonst zu mir herüber.
»Sagen Sie, Fräulein … haben Sie eigentlich viele Kunden wie mich?«
»Seit wann interessiert Sie das?«
»Ich bin einfach neugierig. Gibt es mehr Menschen wie mich? Menschen, die verstehen, was Sie tun? Ein paar zumindest?«
»Sie haben sicher dafür Verständnis, dass ich über keinen meiner Kunden nähere Auskunft geben kann.«
»Papperlapapp.« Er wirft die Lade zu und rollt ein Stück mit seinem Stuhl zurück. »Wir beide sind doch Freunde. Sie können mir vertrauen.«
»Wir sind keine Freunde«, antworte ich.
»Ist das so? Wie schade. Dennoch bin ich dankbar, dass sich unsere Wege gekreuzt haben. Sie beherrschen die seltene Kunst des Seelenkonservierens. In niemandes Obhut würde ich diese Schneekönigin lieber wissen als in Ihrer. Sie werden gut auf sie achtgeben, nicht wahr? Sie werden diese Katze unsterblich machen.«
»Natürlich. Wie immer.«
Er schiebt das Foto über den Tisch. Ich stelle die Teetasse weg und drehe es um.
Es zeigt die weiße Perserkatze im Gras liegend mit einem Kristallanhänger. Die blauen Augen schimmern wie ein ganzer Ozean im Sonnenlicht. Für solche Tiere werden horrende Summen bezahlt. Auf der Rückseite des Fotos steht eine Anleitung, wie das Tier präpariert werden soll. Körperhaltung, Blickrichtung und dergleichen. In diesem Fall steht sogar das Lieblingsfutter des Tieres dabei. Offenbar soll ich eine kleine Schüssel künstlicher Käsehäppchen daneben platzieren. Damit die Katze niemals hungrig sein muss. Ich stecke das Foto in meine Jackentasche und nicke erneut.
»Zehntausend«, sage ich.
»Sie werden ja immer teurer.«
»Es hieß, Kostenpunkt nach persönlicher Einschätzung.«
»Nach meiner persönlichen Einschätzung.«
Ich lasse einen Moment verstreichen. Die größten Geizhälse sind doch immer die Millionäre. »Achttausendachthundert. Günstiger geht’s nicht.«
»Die letzte Katze kostete acht drei. Die war nicht kleiner als diese hier.«
»Doch, war sie. Wollen Sie nun meine Dienste in Anspruch nehmen oder nicht?«
»Aber mein Fräulein, Sie müssen nicht gleich ruppig werden. Acht fünf. Damit wir fair bleiben.«
Ich schlucke meine Wut routiniert hinunter und zwinge mich, pragmatisch zu denken. Für einen solchen Betrag müsste ich einen Haufen Haustiere präparieren und mit jeder Menge Menschen sprechen. Das hier ist zwar hart, aber es erspart mir viel Zeit und Arbeit.
»Einverstanden«, würge ich hervor.
Er grinst wie auf Knopfdruck. »Wunderbar. Wie schön, dass wir uns so schnell einig werden. Wir sind gute Geschäftspartner.«
»Wie immer die Hälfte im Voraus, der Rest bei Lieferung.«
»Wie immer.«
»Möchten Sie eine andere Augenfarbe? Oder soll ich sonst etwas verändern?«
»Nein. Halten Sie sich bloß an die Anleitung. Vollführen Sie Ihre Magie.«
Ich stehe auf und hebe die Box vom Tisch. »Sie hören von mir, wenn das Präparat fertig ist.«
»Küss die Hand, mein Fräulein.« Und an die Box gerichtet: »Bis bald, meine Schönheit. Hab eine gute Reise.«
»Sie können sich auf mich verlassen.«
Ich verabschiede mich, Arschkriecher bringt mich zur Tür. Erst als ich zurück an der frischen Luft bin und Hexe mich schwanzwedelnd begrüßt, habe ich das Gefühl, wieder frei atmen zu können.
EINEKÜHLE,