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Unter falscher Flagge E-Book

Marc Jansen

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Beschreibung

Die Wahrheit liegt unter Wasser - Der Serienstart und erste spektakuläre Fall für Polizeitaucherin Svea Roth Die Party an Bord der Jacht von Baulöwe Teschner ist in vollem Gange, als plötzlich vier Gestalten in Neoprenanzügen das Boot kapern, die Gäste berauben und Teschner kaltblütig erschießen. Polizeitaucherin Svea Roth vom BKA Hamburg findet im trüben Schlick der Elbe die Tatwaffe, die große Rätsel aufgibt. Teschner war umstritten, aber wer wollte ihn aus dem Weg räumen? Oder sollte der Überfall etwas ganz anderes vertuschen? Je näher Svea der Lösung kommt, umso lebensgefährlicher wird es für sie - über und unter Wasser. Der erste große Einsatz für Polizeitaucherin Svea Roth

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Seitenzahl: 319

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Ähnliche


Marc Jansen

Polizeitaucherin Svea Roth

Unter falscher Flagge

Kriminalroman

 

 

Über dieses Buch

 

 

Die Wahrheit liegt unter Wasser – Der Serienstart und erste spektakuläre Fall für Polizeitaucherin Svea Roth

 

Die Party an Bord der Jacht von Baulöwe Teschner ist in vollem Gange, als plötzlich vier Gestalten in Neoprenanzügen das Boot kapern, die Gäste berauben und Teschner kaltblütig erschießen. Polizeitaucherin Svea Roth vom BKA Hamburg findet im trüben Schlick der Elbe die Tatwaffe, die große Rätsel aufgibt. Teschner war umstritten, aber wer wollte ihn aus dem Weg räumen? Oder sollte der Überfall etwas ganz anderes vertuschen? Je näher Svea der Lösung kommt, umso lebensgefährlicher wird es für sie – über und unter Wasser. Der erste große Einsatz für Polizeitaucherin Svea Roth.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Marc Jansen ist das Pseudonym des Schriftstellers und Drehbuchautors Derek Meister. Er wurde 1973 hoch im Norden Deutschlands geboren und studierte Film- und Fernsehdramaturgie. Die Nordsee zog ihn schon als Kind magisch an, und noch heute findet er seine Inspirationen auf langen Wanderungen am Strand. Marc Jansen schreibt seine Krimis gerne bei Seewind oder im Strandkorb an der Elbe. »Unter falscher Flagge« ist der erste Band mit Polizeitaucherin Svea Roth.

Inhalt

[Motto]

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Personenregister

[Leseprobe]

1. Kapitel

Holy diver

You’ve been down too long in the midnight sea

Ronnie J. Dio, »Holy Diver«

1

Svea Roth ging die Luft aus. Langsam, aber stetig.

Sie bewegte sich nicht.

Sie atmete nicht.

Sie schwebte. Im Dunkeln. Ganz ohne Gewicht, umhüllt von unberührter Finsternis.

Die Augen geschlossen, lauschte sie auf ihr Herz.

In gut drei Metern Tiefe, beinahe auf dem Grund des Kanals, drang die Stadt nur als gedämpftes Brummen zu ihr. Das Knarren ihres Hausboots, wenn es sich an den aufgehängten Reifen an der Kaimauer rieb, schien Kilometer entfernt. Von irgendwo aus der Dunkelheit summten Bootsmotoren, beruhigend, sie waren bloß das Atmen der vollkommen durch die schwerelose Finsternis geschluckten Stadt.

Hier unten existierte Hamburg nicht. Hier unten waren alle Probleme fern. Hier gab es nur sie. Sie, in ihrer eigenen Welt.

Allmählich verflog Sveas Zorn auf ihren Ex-Mann, und sie spürte, wie das kühle Nass ihr neue Kraft schenkte. Um sich herum fühlte sie nichts als die trostreiche Kälte, sie lauschte in sich und hielt weiter den Atem an, konzentrierte sich auf das Wasser, das gleichmäßig an ihren Wangen entlangströmte, und versuchte, ihren Kopf vollends zu leeren.

Die dritte Minute verstrich. Auch ohne Blick auf ihre Tauchuhr konnte sie die Zeit bis auf wenige Sekunden genau abschätzen.

Sie hatte mal gehört, ein Zeichen für beginnende Verwirrtheit sei es, wenn man eine Minute nicht mehr ordentlich abschätzen konnte.

Wenn es danach ging, war sie topfit.

Noch ein paar Dutzend Herzschläge, dann würde sie auftauchen. Auftauchen müssen.

Der Weltrekord lag bei über neun Minuten, bei den Frauen.

Neun Minuten ohne Luftholen im Schwimmbecken.

Sie hatte einmal die sechs gerissen, aber das war lange her. In einer anderen Zeit. In einem anderen Leben. Einem Leben, in dem Lena noch bei ihr war … Lena …

Ihr Gesicht begann zu prickeln. Das Prickeln wurde zu Stechen. Sie meinte, tausend Nadeln stächen in ihre Wangen, ihre Stirn, ihr Kinn …

Lena …

Vier Minuten …

Von Apnoetauchgang zu Apnoetauchgang tastete sie sich seit den letzten Monaten weiter vor, versuchte, Sekunde um Sekunde länger ihre Atmung und ihren Herzschlag zu kontrollieren.

Allerdings war sie heute nicht aus Trainingsgründen in den Neoprenanzug geschlüpft und die Hängeleiter ins Wasser hinabgestiegen. Heute Nacht war sie zum Abkühlen in ihr Reich getaucht, um nicht mehr über Lars oder Lena nachdenken zu müssen.

Lena … Da war sie schon wieder. Der Gedanke an ihre Tochter ließ sie …

Beruhige dich. Das Stechen ist nicht echt. Das Prickeln nur Einbildung. Es sind keine echten Schmerzen.

Seit Lenas Tod vor zwei Jahren fand sie nur schrittweise zu sich selbst, sekundenweise. Jede Woche ein bisschen länger, ein wenig mehr Gleichgewicht. Ein paar Herzschläge zusätzlich in der wohltuenden Finsternis unter Wasser.

Sie öffnete die Augen und sah auf die Uhr. 4 Minuten, 12 Sekunden.

Es kostete sie ungeheure Überwindung, nicht sofort aufzutauchen. Abermals versuchte sie, sich auf ihren Herzschlag zu konzentrieren.

Denke an nichts. An die Dunkelheit. An die frische Kälte. An die Freiheit hier unten …

Ihre Gedanken drifteten erneut ab.

Wie so oft in den letzten Monaten hatte Lars ein Treffen einfach verstreichen und sie ohne ein Wort sitzen lassen. An seinen Sachen, die noch bei ihr herumlagen, hatte er offensichtlich kein Interesse – ebenso wenig wie an einem ernsten Gespräch. Lieber wollte er sie demütigen und bestrafen. So konnte und durfte es nicht weitergehen.

4 Minuten, 23 Sekunden. Sie musste hoch. Es half alles nichts.

Ihr ging endgültig die Luft aus.

 

Svea tauchte an die Oberfläche.

Sofort kippte Hamburg zurück in ihr Leben. Der Verkehr von der B5 brummte als stetes Rauschen. Jemand hupte. Die Nachbarn auf dem Hausboot flussabwärts hörten Gangster-Rap. Grillen zirpten.

Sie blieb noch einen Moment auf dem Wasser liegen, hakte ihre Füße in die Hängeleiter und ließ sich treiben, beobachtete die wenigen Sterne, die es durch das Hamburger Licht schafften.

Das Stechen der tausend Nadeln im Gesicht verschwand. Langsam. Ruhig fand sie wieder in den Atem.

2

Einen Moment beobachtete Iris Teschner zufrieden, wie zwei Pärchen auf der winzigen, mit Lampions dekorierten Tanzfläche schwoften. Ihre wochenlange Planung der Party hatte sich ausgezahlt. Auf dem Schiff Gute Laune, einem kleinen Kahn auf der Elbe, amüsierten sich die feinen Damen in ihren bezaubernden Abendkleidern und die herausgeputzten Herren prächtig.

Tatsächlich hatte Vater nur ihr dieses schöne Fest zu verdanken. Er selbst hätte sicher bloß irgendeinen tristen Saal angemietet und mit seiner Firma zum Büfett geladen. Langweilige Reden, langweilige Gespräche, langweilige Musik.

Es wurde Zeit, dass sich in der Firma etwas änderte. Iris seufzte innerlich. Wann sah ihr Sturkopf von dämlichem Vater das endlich ein?

Sie war keine zwanzig mehr, und es wurde Zeit für eine Wachablösung. Wieso ließ ihr Vater sie nicht mitreden?

Iris spürte, wie die Wut langsam in ihr aufstieg. Für ihn war sie immer noch das kleine Mädchen, das nicht in der Lage war, einen Baukonzern wie seinen zu leiten. Aber statt seiner dreißigjährigen Tochter einen Platz im Vorstand anzubieten, hievte er bloß irgendwelche Trottel nach oben.

Die Band stimmte ein neues Lied an. Der Mann am Klavier und die schlanke Saxofonistin legten sich ins Zeug, um die wohlsituierte Gesellschaft aus Hamburger Unternehmern und hochrangigen Beamten in Stimmung zu bringen.

Gegen die schlechte Laune ankämpfend, nahm sie sich ein weiteres Kanapee vom üppigen Büfett und schlenderte Richtung Treppe, die zum Deck des Schiffes führte. Sie nickte stumm einigen Geschäftsfreunden ihres Vaters zu und ließ sich vom Service noch ein Glas Champagner reichen, dann trat sie hinaus aufs Außendeck.

Während das Partyschiff Gute Laune im Schritttempo die Elbe Richtung Blankenese hinabgefahren war, hatte sich eine fantastische Sommernacht über Hamburg gesenkt. Die Schwüle der letzten Tage war verflogen, die Dunkelheit hatte leichten Wind mit sich gebracht, der erfrischte. Iris überflog die Gäste, die plaudernd auf dem geschmückten Deck standen. Neben dem Geschäftspartner ihres Vaters auch die ganze Führungsetage, sämtliche Ingenieure und Bauleiter der Firma sowie etliche einflussreiche Köpfe aus dem Hamburger Senat. Sie erkannte den Staatsrat für Stadtentwicklung und Wohnen, der gerade angeregt mit der Senatorin für Umwelt, Klima und Energie sprach. Bis auf den Bürgermeister und seine Stellvertreterin waren eigentlich beinahe alle Staatssekretäre und Senatoren erschienen.

Der Wind trug den Geruch der Elbe und die Verheißung auf einen wunderbaren August zu ihr. Der perfekte Abend, um den Abschluss eines Millionenprojekts zu feiern und endlich ins Geschäft einzusteigen.

Heute, am Tag von Vaters Erfolg, würde sie Fakten schaffen. Sie hatte sich Mut angetrunken und würde Vater zeigen, was sie von ihm und seiner Firmenpolitik hielt. Es musste endlich eine Entscheidung getroffen werden.

Iris checkte kurz die Uhrzeit auf ihrem Handy und kontrollierte in der Spiegelung des Displays ihr Haar. Eine Strähne war immer so störrisch. Sie strich sie hinters Ohr.

Zwei ältere Damen, mit denen sie vor wenigen Wochen noch auf der Galopprennbahn Horn gefeiert hatte und die nun mit ihr plaudern wollten, vertröstete sie mit einstudierten Schmeicheleien auf später. An diesem Abend hatte sie wahrlich keine Lust, über das Verhandlungsgeschick ihres Vaters, des erfolgreichen Gründers der TeLo Bau GmbH, Small Talk zu halten. Nonchalant schlenderte sie die Reling entlang Richtung Bug und sah hinab aufs dunkle Wasser, das beruhigend vorbeizog. Die gleichmäßigen Wellen des Schiffs verzerrten rhythmisch das Spiegelbild des Mondes.

Iris fiel kurz ein schmales schwarzes Schlauchboot auf, das sich durch die Dunkelheit näherte. Sie meinte ein paar Leute darin auszumachen, doch als sie genauer hinsah, erloschen die Strahler, und das Boot verschmolz mit dem Dunkel. Einen Moment horchte sie über das Wasser, aber aller Motorenlärm wurde von der Musik geschluckt, die aus den Bordlautsprechern drang. Auf der Elbe war zu jeder Uhrzeit viel los. Sie schenkte dem Schlauchboot keine weitere Beachtung.

Langsam spürte Iris den Alkohol, stürzte ihren Champagner hinunter und beschloss, sich noch einen weiteren zu holen. Er beruhigte und machte sie stark für die Konfrontation mit ihrem Vater.

»Na, betrinkst du dich schön? Das kannst du ja auch am besten«, riss Iris’ Stiefmutter sie aus ihren Gedanken, während ihr aufdringliches Parfüm zu ihr wehte. Barbara war in ihrem verführerischen Kleid aus viel Nichts neben sie getreten.

»Charmant wie eh und je.« Iris bedachte ihre Stiefmutter, die kaum älter als sie selbst war, mit einem kalten Lächeln. »Willst du nicht unter Deck irgendeiner Servicekraft deine feuchten Geheimnisse zeigen?«

Barbara lachte. »Ich bin zufrieden mit deinem Vater, meine Beste. Im Gegensatz zu dir.«

»Wie geistreich.« Iris setzte wieder ihr charmantes Lächeln auf und entfernte sich ein paar Schritte.

»Das ist nicht der richtige Moment, um mit Hermann zu reden!«, rief ihre Stiefmutter ihr nach.

Iris antwortete nicht, sondern suchte ihn. Ihr bereits leicht ergrauter Vater stand achtern und strahlte an diesem Abend seines Triumphes etwas überaus Erhabenes aus. In seinem feinen Maßanzug und mit dem edlen Hemd – natürlich hatte sie es für ihn ausgesucht, Barbara hatte keinen Geschmack – wirkte er hanseatisch lässig und zugleich seriös. Ein Macher eben. Jemand, der mit seiner Baufirma wegweisend die Hamburger Wirtschaft prägte. Iris’ Vater lächelte höflich, hörte aufmerksam zu, nickte und wirkte dabei, als könnte er die Welt aus den Angeln heben.

Nachdem Iris näher getreten war, erkannte sie, dass sich Hermann mit den beiden Vorstandsvorsitzenden der Hamburg Port Authority und der Umweltsenatorin unterhielt. Lächelnd gesellte sie sich zu der Runde.

»Papa!« Sie stellte sich neben ihn. »Ihr sprecht doch nicht etwa übers Geschäft«, ermahnte sie ihn gespielt. »Und das, wo unten alle auf einen Walzer warten?«

Ihr Vater gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Da meinte Iris, einen metallenen Schlag zu hören. Doch die Musik war zu laut. War etwas gegen den Rumpf geschlagen?

Niemand schien das Geräusch gehört zu haben. Iris lauschte einen Moment, aber das Geräusch wiederholte sich nicht.

»Wir sind hier gleich fertig, Schatz«, drängte ihr Vater sie aus dem Kreis. »Vielleicht gehst du schon mal vor?«

Iris zögerte. Immer noch! Ständig behandelte er sie wie ein Kind, wie ein lästiges Irgendwas.

»Sprecht ihr über den Terminalausbau? Ich habe Pläne, die …«, versuchte sie geradeheraus ins Gespräch einzusteigen, erntete jedoch bloß verlegene Blicke. »Du hast ihnen meine Pläne nie gezeigt, oder? Papa?«

»Ich …« Er wollte antworten, aber plötzlich ertönten Schreie.

Iris riss den Kopf herum. Instinktiv wich sie zurück … Männer … Sie kletterten über die Reling und trugen Waffen. Jemand brüllte Befehle, Gäste schrien, das Saxofon quietschte ein Solo.

Was zum …?

Es lief alles wie im Traum ab. Regungslos sah Iris zu, wie eine bullige Frau von der Security ihre Waffe zücken und durch die verängstigten, flüchtenden Gäste auf die Angreifer anlegen wollte.

Doch einer der Männer war schneller, bedrohte sie mit einer Pistole und zwang sie, die Waffe niederzulegen.

Die Eindringlinge waren alle in Schwarz gekleidet. Tauchanzüge, Sonnenbrillen. Nur ihre Münder waren zu sehen. Iris zählte fünf, nein, vier. Vier Männer in schwarzen Neoprenanzügen, zwei davon bewaffnet. Einer trug ein Gewehr, der andere eine Pistole. Sie hielten die Leute in Schach. Die anderen beiden rissen Gäste zur Seite, schrien Befehle.

Da spürte Iris die Hand ihres Vaters, der sie beiseiteziehen wollte, aber sie stand wie angewurzelt, konnte sich nicht bewegen. Alles drang nur gedämpft wie in einem Nebel zu ihr durch. Die entsetzten Gäste, die vor Schmerzen stöhnende Security-Frau, Barbara, die auf Louboutins Richtung Treppe zurückstolperte.

»Komm! Wir …«, stammelte ihr Vater, aber da hatten sich die Männer bereits vor der Treppe aufgebaut und trieben auch Barbara mit vorgehaltenen Waffen zu den anderen.

Einer von ihnen … nein, es war eine Frau! Sie hielt ein Handy hoch und filmte, ein anderer hatte sich eine GoPro vor die Stirn geschnallt.

Was passiert hier …?

Iris’ Gedanken überschlugen sich. Es ging alles so schnell.

Mit einem Mal brüllte jemand: »Ausziehen!« Ein anderer packte die Umweltsenatorin, stieß sie brutal zu einem Tauchsack. »Alles da rein. Schmuck! Handy! Und ausziehen! Klamotten weg.« Die Senatorin schrie auf, als der Mann im Tauchanzug – oder war es auch eine Frau? – ihr das Kleid aufriss.

Hektisch sah sich Iris zu ihrem Vater um, der gerade das Wort ergriff. »Nehmen Sie die Waffen runter!«, befahl er mit fester Stimme. »Wir tun, was Sie verlangen. Aber lassen Sie meine Gäste …«

»Schnauze!«, fuhr der Kerl mit dem Gewehr ihn an.

Jemand rief Befehle. »Alle ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus! Alle knien sich hin!« Es war die Frau, die mit dem Handy filmte.

Iris’ Herz raste. Sie musste mit ansehen, wie selbst die Servicekräfte gezwungen wurden, ihre Kleider und Anzüge auszuziehen. Mit unbarmherziger Härte zwangen die Angreifer alle, sich halb nackt auf das Deck zu knien.

Auch Iris hockte sich hin und warf einen Blick zu ihrem Vater, der da kniete und offenbar der Dinge harrte, die da kommen mochten. Ihre Blicke trafen sich kurz, und er flüsterte ihr stumm zu, Ruhe zu bewahren.

Iris brachte es kaum über sich, ihr Kleid zu öffnen und es abzustreifen. Es war erniedrigend … Und sie fühlte sich ungeschützt, völlig hilflos. Da riss die Frau ihr den Stoff herunter. Knöpfe flogen. Iris schrie auf.

Wie in Trance gehorchten die verängstigten Gäste. Es gab kaum Gegenwehr, und wenn, wurde sie im Keim erstickt. Die vier Gewalttäter separierten jeden, der etwas zu sagen hatte – ob in der Firma oder im Hamburger Rathaus –, von seiner Begleitung. Iris wurde zu ihrem Vater und den anderen einflussreichen Persönlichkeiten gestoßen. Halb nackt mussten sich Staatsräte, Sekretäre und CEOs in einer Linie hinknien, während die anderen Gäste und das Personal unter Deck eingeschlossen wurden. Auch Iris tat wie befohlen und hockte sich zu ihrem Vater vorn in die Reihe.

»Einer nach dem anderen!«, kommandierte die Anführerin. »Hier her!« Unbarmherzig filmte sie ihre Gefangenen. Iris war sich mittlerweile sicher, dass es sich um eine Frau handelte. Eine trainierte, flachbrüstige Frau, ebenfalls in Neoprenanzug und Kopfhaube. Zackig befahl sie dem Ersten in der Reihe, zu ihr zu krabbeln und Geld, Schmuck, Uhren sowie Handys in den Tauchsack zu werfen. Nur ihre Kreditkarten durften die Leute behalten.

»Nicht!« Brutal wurde Iris nach vorn gestoßen. »Ich habe nichts, ich …«

»Ohrringe! Schmuck!« Die Frau hielt ihr genüsslich das Handy vor das Gesicht, filmte. Hastig riss sich Iris den Schmuck ab und warf ihn in den Sack.

Auf den Knien und bloß mit Slip und BH bekleidet, musste sie mit ansehen, wie der Staatsrat für Stadtentwicklung auf allen vieren zu der Bewaffneten vorkroch. Er hielt seine Kreditkarte, als wäre es eine weiße Fahne. Prompt bekam er einen Laptop gereicht. Der Mann wurde gezwungen, seine Kreditkartennummer einzugeben. Dann war der Nächste an der Reihe.

Einer der Angreifer, ein gedrungener Kerl, nahm von der Anführerin das Handy entgegen und filmte, wie sie sich in Pose stellte:

»Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Welt. Schaut auf dieses Hamburg. Seht euch diese Verbrecher an. Da wimmern sie, nackt und ohne Macht. Wir, die Mother-Nature-Front, fordern von jeder und jedem dieser kapitalfaschistischen Umweltverbrecher eine Spende. Eine Spende für die Natur, für unsere Welt! Für eine bessere Welt!«

Iris’ Vater war an der Reihe. Mit zitternden Händen musste er seine Kreditkartennummer eingeben. Alle anderen Daten waren bereits ausgefüllt. Sein Name und die hundertfünfzigtausend Euro, die er spenden sollte … An …? Iris konnte Sea Shepherd entziffern.

Der Typ mit dem Gewehr stieß sie zurück und ihren Vater näher zum Laptop.

»Das ist doch albern«, knurrte ihr Vater und begann, den Validation Code der Rückseite einzugeben. »Die buchen das doch zurück, wenn …«

Ein Schlag mit dem Gewehrkolben ließ ihn nach hinten kippen. Blut lief ihm aus einer Platzwunde an der Stirn. Benommen rappelte er sich auf, stöhnte.

»Sie verfluchter …«, fuhr Iris den Typen mit dem Gewehr an.

»Eingeben«, zischte die Anführerin und hielt den Laptop wieder Iris’ Vater hin. Dem rann Blut von der Stirn über die Wange. Grimmig tippte er seine Geheimzahl ein, den Gewehrlauf an der Schläfe. Schließlich wurde er von dem Gewehrmann gepackt und nach hinten zu Iris gezerrt. Der Nächste war dran.

»Geht’s dir gut?«, wollte Iris besorgt wissen, erhielt aber keine Antwort. Sie sah, wie ihr Vater seinen Zorn herunterschluckte und am ganzen Körper vor Wut über die Erniedrigung bebte. »Bleib ruhig. Papa …?«

Er nickte. Immerhin.

»Schnauze! Zurück!« Ohne erkennbaren Grund trat der Mann mit dem Gewehr vor und schlug Iris’ Vater mit dem Kolben erneut an den Kopf.

»Nein!« Mit einem wütenden Aufschrei packte Iris das Gewehr und zerrte es zur Seite, bevor der Typ ein zweites Mal auf ihren wehrlosen Vater eindreschen konnte.

Sie kippte dem Mann entgegen, der verlor das Gleichgewicht und prallte gegen die Reling. Er riss die Waffe hoch, brüllte etwas.

Da löste sich ein Schuss.

Der Knall war entsetzlich laut, dröhnte in Iris’ Ohren, hallte vom Ufer wider. Die Gäste schrien. Iris’ Vater, der sie gepackt hatte und zurückziehen wollte, stöhnte auf.

Voller Verzweiflung und Wut rang Iris mit dem Mann, stieß ihn mit aller Kraft nach hinten, über die Reling. Für eine Schrecksekunde konnte sie seinen überraschten Blick sehen, seine braunen Augen, die verwirrt dreinblickten, dann fiel er.

Er stürzte über das Geländer und klatschte neben dem Schlauchboot ins Wasser.

»Los! Das reicht! Los!« Eilig gab die Anführerin ihren Leuten ein Zeichen, die sofort einpackten. Sie warf ihrem Kollegen den Laptop zu und griff sich den gut gefüllten Tauchsack. Ohne zu zögern, sprangen die drei einfach über die Reling.

Reglos starrte Iris ihnen hinterher, bis sie ihren Vater stöhnen hörte …

Er war zusammengesackt. Sofort fasste sie ihn unter den Schultern, wollte ihn hochziehen, als sie etwas Warmes an ihrer Hand spürte …

»Papa?«

Es war Blut.

»Papa!«

Er fiel nach hinten, begann zu zucken. Eine Wunde. Die Brust. Der Schuss hatte ihn in die Brust getroffen!

Verzweifelt rang er nach Atem.

»Oh Gott, Papa!« Sie nahm seinen Kopf auf ihren Schoß.

Er wollte etwas sagen, aber es gelang ihm nicht. Stattdessen spuckte er Blut. In seinem Blick lag Todesangst.

Hektisch versuchte Iris, die Blutung zu stoppen, drückte die Hände auf seine Brust. Rot sickerte es zwischen ihren Fingern hindurch.

»Hilfe!«, schrie sie. »Holt doch Hilfe … Papa!«

Ein Außenbordmotor heulte auf. Die Angreifer verschwanden in die Sommernacht.

Iris drückte weiterhin ihre Hände auf die Wunde. Überall war Blut, und als sie aufsah, entdeckte sie Barbara. Ihre Stiefmutter stand unweit des Eingangs zum Deck und starrte blass zu ihnen herüber. Wie angewurzelt verharrte sie und glotzte. Sie unternahm nichts. Gar nichts.

Ihr Vater zitterte unter ihren Händen. Seine Lider flatterten. Er versuchte ihr etwas zu sagen, doch er bekam zu wenig Luft.

3

»Sag das bitte noch mal.«

»Low-level armed robbery. Das Schiff hat in Blankenese angelegt.«

»Low-level…«. Svea musste lächeln. Ihr junger Kollege beim LKA, Hendrik Drilling, war immer für eine Überraschung gut. »Seit wann kennst du dich mit Piraterie aus?«

»Seitdem ich dich kenne … Außerdem ist das die exakte Bezeichnung. Auch wenn’s technisch klingt. Apropos Technik: Die Technische ist übrigens auch schon unterwegs.«

Svea versuchte, neutral zu klingen. »Wieso?«

»Die wollen die Tatwaffe suchen.«

»Tatwaffe? Im Wasser?«

»Der Schütze wurde von Bord gestoßen. Mehrere Zeugen haben gesehen, wie er ohne Waffe wieder aufgetaucht ist.« Hendriks Stimme klang durchs Handy verrauscht. Wahrscheinlich saß er im Polizeiwagen und war bereits unterwegs zum Bootsanleger.

»Tote?«

»Ein Schwerverletzter. Angeschossen. Sag mal, hab ich dich geweckt?«

»Äh … Ja. Ich hab … ich hab schon geschlafen«, log Svea und stellte das Handy etwas lauter. Dann tigerte sie in ihrem Neoprenanzug durch die Küche und hinterließ nasse Tapser auf dem Parkett.

»Facto?«, frotzelte er. »Bei Besser lügen bist du aber mit Auszeichnung durchgerasselt.«

»Witzig, Hendrik.«

»Sag mal, Svea. Kann man eigentlich unter Wasser schlafen?« Ihr Kollege war erst seit einem Jahr in ihrer Abteilung, kannte jedoch bereits all ihre Marotten.

Svea nahm sich eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank und trat ans Fenster. Das Wasser des Elbekanals strömte ruhig und glatt der Nacht entgegen.

»Gab’s Stress mit Lars?«

»Was?« Sie blickte sich zum Schlafzimmer um, in dem sich Umzugskartons stapelten. Im Kleiderschrank hingen noch immer Lars’ Sachen. Nicht mal seine Lieblingsklamotten hatte er bei seinem Auszug mitgenommen. Von dem ganzen Kram zu schweigen, der sich in den Ehejahren angesammelt hatte. Bloß die Berge an Computerkrempel hatte er in den Tagen nach der Trennung eingepackt.

Trotz ihrer Wut auf Lars brachte Svea es nicht übers Herz, seine Sachen wegzugeben. Sie schlief lieber im Sessel, als sich mit diesen Erinnerungen, die im Schlafzimmer lauerten, auseinanderzusetzen. »Was meinst du?«, fragte sie, als ob sie keine Ahnung hätte.

»Ich dachte, ihr wärt verabredet gewesen und er wollte endlich seinen Kram holen?«

»Wollte er, ja.« Seufzend schloss sie die Augen, rief sich die Stille und Dunkelheit des Wassers in Erinnerung. »Weißt du, er kann noch nicht mal absagen. Noch nicht mal das kriegt er hin.«

»Hm. Verstehe. Lagere die Sachen doch extern ein. In einem Self-Storage. In Wandsbek gibt es einen.«

Sie ging nicht darauf ein.

»Na ja, du kannst ihm ja auch gleich hier vor Ort die Leviten lesen.«

Brummelnd begann sie, sich den nassen Neoprenanzug auszuziehen. Obwohl sie sich auf eine Aussprache vorbereitet hatte, wollte sie ihm jetzt nicht begegnen. Nicht so.

»Es ist immer gut, sich auszusprechen, Svea. Und das geht am besten, wenn man sich in die Augen sieht.«

»Wem sagst du das, Schatz«, wandte sie seufzend ein. Sie hatte absolut keine Lust, ausgerechnet mit Hendrik über ihren Ex zu sprechen – und noch dazu mitten in der Nacht. Bescheuerte Vorwürfe konnte sie heute wirklich nicht gebrauchen.

Sie wünschte sich, Lars wäre längst aus der Technischen Bereitschaft ausgestiegen und in irgendeiner anderen Einheit untergekommen. Ja, am besten in einem anderen Bundesland.

Svea wischte sich das Wasser aus ihren langen roten Haaren und hörte Hendrik aus dem Wagen aussteigen.

»Die Bereitschaft ist schon am Anleger. Gib ein bisschen Gas, Svea, ja? Ich schau mal, ob wir jemanden vernehmen können und was die Psychologen sagen. Beeil dich, wenn du mittauchen willst.«

»Du kennst mich doch.« Svea zog ihren Kleiderschrank auf. Neoprenanzug neben Neoprenanzug. In den Fächern lagen diverse Tauchmasken, Schnorchel und Badeanzüge. »Die Gäste sind noch auf dem Schiff?«

»Bis auf das Schussopfer.«

»Eppendorf? Uniklinik?« Das Telefon ans Ohr geklemmt, griff sich Svea den bequemsten Anzug und öffnete einen weiteren Schrank, in dem ihre Tauchausrüstung lagerte. Die Pressluftflaschen, Tarierwesten und unterschiedliche Atemgeräte, die sich in den Jahren angesammelt und die ihr überall auf der Welt gute Dienste geleistet hatten.

»Ja. Hermann Teschner. Der Gastgeber. Er wurde schwer verletzt. Ein Schuss in die Brust.«

»Ich bin in dreißig Minuten da«, erwiderte sie. »Sag Hansen, er möchte bitte warten, falls sie schon runter wollen.«

»Mach ich.«

Sie legte auf, warf den Neoprenanzug aufs Bett und zog sich einen Badeanzug an. Dann streifte sie sich eine Jeans und eine Bluse über.

Kurz darauf trug sie ihre Tauchausrüstung über die Gangway ihres Hausboots zu ihrem Wagen. Auch wenn sie Lars nicht sehen wollte, gegen einen weiteren nächtlichen Tauchgang hatte sie nichts einzuwenden.

 

Auf dem Anleger in Blankenese herrschte für die späte Stunde ungewöhnlicher Betrieb. Dutzende mobile Strahler waren aufgestellt worden. Die Gute Laune, ebenfalls taghell erleuchtet, hatte festgemacht, und Krankenwagen sowie diverse Polizeifahrzeuge parkten neben dem Lkw der Technischen Bereitschaft. Eine Handvoll Beamte war dabei, Pavillons und Zelte aufzubauen.

Sveas Kollegen vom LKA befragten die Gäste, während sich zwei Psychologen um drei Frauen kümmerten, die weinend vor einem der Rettungswagen standen. In ihren teuren Abendkleidern wirkten sie wie hingebeamt, wie Fremdkörper inmitten der konzentriert arbeitenden Beamten.

Im Licht der zahlreichen Powermoons konnte Svea die Mitarbeiter der Spurensicherung erkennen. Sie strahlten unwirklich in ihren weißen Overalls, während sie an Deck Spuren nahmen.

Sie versuchte, Hendrik im Getümmel auszumachen, aber wahrscheinlich war er bereits unter Deck.

Nachdem sie ihre Tauchausrüstung aus dem Fond genommen hatte, machte sie sich auf den Weg am Lkw vorbei Richtung Anleger.

Die WS25, eins der leichten Hafenstreifenboote der Wasserschutzpolizei, lag wenige Hundert Meter stromaufwärts in der Elbe vor Anker, und Svea sah, wie zwei Beamte Bojen versenkten. Vermutlich die Tauchmarkierungen, von wo aus die Suche nach der Tatwaffe starten sollte.

Sie ging am Partyschiff entlang. An der Reling baumelte ein Enterseil, und als sie hochblickte, bemerkte sie den imposanten Haken. Er sah wie selbst zusammengeschweißt aus. Keine Ware von der Stange.

»Wir dachten schon, du hast keine Lust.« Karl Hansen, der Leiter der Technischen Bereitschaft, sah von der Reihe an Tauchausrüstungen auf, die er auf dem Anleger gecheckt hatte. Er grinste schief, was immerhin ein paar seiner zahlreichen Fältchen aus seinem verknitterten Gesicht vertrieb und seinen Schnauzbart wippen ließ.

»Du weißt doch, wenn ich Wasser rieche …«

Der muskulöse Mann umarmte Svea herzlich. »Schön, dich zu sehen.« Hansen war ein Urgestein bei den Polizeitauchern. Letztes Jahr hatten sie sein vierzigstes Dienstjahr mit reichlich Küstennebel in einer Beachbar begossen. »Wir gehen dahinten rein. Ich hab die Stelle unterteilt, kannst du dir gleich auf der Karte ansehen.«

»Wie viele? Drei?«

»Ja.« Er nickte und nahm sich eins der Tauchjackets. Dann lief er den Anleger hinunter, und Svea folgte ihm. »Ihr geht zu dritt runter. Ich hab nur zwei Detektoren einsatzbereit. Die anderen beiden sind in der Reparatur.«

»Sagt der Mann von der Technischen Bereitschaft.«

Erneut musste Hansen lachen.

»Ist er auch da?«

Hansen blieb stehen. Sein mitfühlender Blick gefiel ihr nicht. Er machte sie so klein, degradierte sie zu einem hilflosen Mädchen. Aber sie wusste, dass Hansen es nett meinte. Nach den sechs Jahren, in denen sie in der Einheit mittauchen durfte, war er so etwas wie ihr Ersatzvater geworden.

»Ich schick Lars im zweiten Gang runter«, antwortete er schließlich. »Wenn du nicht mit ihm zusammen …«

»Doch … Doch«, unterbrach sie ihn. »Ist gut. Ist kein Problem. Wirklich nicht.«

Nochmals musterte er sie, diesmal skeptisch.

»Wirklich, Karl. Mir macht das nichts aus.«

Hansen fuhr sich über die Glatze und nickte, aber Svea sah ihm an, dass er ihr kein Wort glaubte. Kunststück, sie glaubte sich ja selbst nicht.

Ohne ein weiteres Wort ging sie voraus. Schon von weitem sah sie das Zodiac der Bereitschaft. Die Männer hatten das Schlauchboot zu Wasser gelassen und luden ihr Equipment ein. Als sie näher kam, erkannte sie im Licht der Scheinwerfer Lars. Ihr Ex war mit den Beinen in den Neoprenanzug geschlüpft, ließ das Oberteil aber lässig baumeln. Ihr hatte immer gefallen, wie natürlich er mit seiner Schönheit umgegangen war und wie wenig er mit seinem Sixpack und seiner Athletenfigur angegeben hatte. Nun war das Sixpack fort und seine Haut blass. Er schien sich auch seit ein paar Tagen nicht rasiert zu haben.

»Es wäre vielleicht gut, wenn jemand anderer bei mir den Buddy-Check macht«, wandte sie sich noch einmal an Hansen, der zu ihr aufschloss.

»Ich denke, da hast du freie Wahl, Svea. Kennst doch die Jungs.«

»Dann nehm ich dich.«

Hansen brummte zustimmend.

Als sie das Ende des Stegs erreichten, warf Lars ihr lediglich einen kurzen Blick zu.

War da Verachtung in seinen Augen?

Sofort spürte Svea, wie sie sich anspannte. Sie nickte ihm zu und wartete, bis Hansen außer Hörweite war, bevor sie ihm sagte: »Is’ ziemlich kindisch, immer wegzulaufen, Lars. Hm? Irgendwann musst du mal mit deiner Ex reden.«

Er antwortete nicht, sondern streifte sich den Neoprenanzug über und tat, als wäre sie Luft.

»Wenn du ein Problem damit hast, zu mir zu kommen, dann sag es. Verflucht nochmal, ich kann auch ’n Kaffee trinken gehen, während du dein Scheißzeug bei uns …« Sie berichtigte sich: »Bei mir rausholst.«

Er antwortete noch immer nicht.

»Meine Nähe ist schon zu viel, ja?«

»Ja«, brummte er endlich. »Das wär’ vielleicht nicht schlecht. Wenn du weg wärst.« Seine Stimme klang belegt, und als sie ihm in die Augen blickte, sah er schnell weg.

»Hast du getrunken, Lars?«

»Was?« Er schüttelte den Kopf.

Sollte sie ihm das glauben? Seit Lenas Unfall hatte er sich ständig besoffen. Wer weiß, was er in seiner Singlebude heute Abend getrieben hatte? Sollte sie Hansen einen Wink geben? Angetrunken zu tauchen war kein Kavaliersdelikt. Allerdings würde es Lars’ Ansehen in der Truppe extrem schaden.

»Du glaubst mir nicht, hm?«

Statt zu antworten, zog sie ihre Bluse aus. »Warum bist du nicht gekommen?«

»Ich hab’s ja versucht, verfickt nochmal.«

»Ach.«

»Ich war schon halb in Eilbek, aber …« Er winkte ab.

»Aber?«

»Geht dich ’n Scheiß an, Svea.«

»Geht mich … geht mich ’n Scheiß an?!« Sie atmete noch einmal durch. »Du hast versprochen, deine Klamotten abzuholen. Vor drei Monaten. Soll ich sie wegwerfen?«

Lars fixierte sie. »Von mir aus! Is’ doch scheißegal. Schmeiß sie weg. Wen interessiert’s?!«, zischte er so laut, dass sich Hansen und die beiden Taucher im Zodiac nach ihnen umdrehten.

Kopfschüttelnd wandte sich Lars von Svea ab. »Was glotzt ihr denn so?«, fuhr er seine Kameraden an und streifte sich einen seiner Tauchschuhe über. Er stand dabei sicher auf einem Bein. Betrunken war er also nicht. Oder sehr trinkfest.

Sie suchte nach einer Antwort, aber ihr fiel keine gute ein, und als sie endlich ansetzen wollte, hatte er sich bereits den zweiten Schuh übergestreift und seine Ausrüstung geschnappt.

Was hatte Hendrik gesagt?

Es ist immer gut, sich auszusprechen, Svea. Und das geht am besten, wenn man sich in die Augen sieht.

Hendrik. Kaum zwanzig und haute Weisheiten raus, als wäre er ihr Urgroßvater. Der hätte sicher dasselbe gesagt.

Svea seufzte. Gute Ratschläge … Die hatte sie auch haufenweise nach Lenas Tod bekommen – und alle hatten sich als unnütz herausgestellt.

Mürrisch sah sie Lars zu, wie er zu den beiden Tauchern ins Zodiac sprang. Sie hatte kaum ihre Weste angelegt, als Hansen zu ihr auf den Steg trat.

»Er steckt das mit Lena immer noch nicht gut weg, hm?«

»Glaubst du, ich tu das?«, fuhr sie ihn schroffer an, als sie beabsichtigt hatte.

»Heyho! Das hab ich nicht gesagt.«

»Entschuldige. Ich …« Sie versuchte runterzukommen. »Tut mir leid. War kein einfacher Tag.«

»Gib ihn nicht auf, okay? Lars braucht Zeit.«

Wie oft hatte sie das die letzten zwei Jahre gehört?

»Ich weiß nicht, Karl«, erwiderte sie leise. »Ich glaube nicht, dass wir das jemals gekittet kriegen. Und weißt du was?«

»Was?«

»Ganz ehrlich, ich weiß nicht mal, ob ich’s überhaupt kitten will.«

»Verstehe. Ist es wirklich okay, wenn du mit ihm tauchst?«

Sie nickte.

Trost spendend klopfte er ihr auf die Schulter. Dann half er ihr schweigend, die Pressluftflasche anzulegen, und führte den Buddy-Check durch, indem er alle Anschlüsse und sämtliche Ausrüstungsteile an ihrem Körper überprüfte. Lars so nah bei sich zu wissen, hätte sie nicht ertragen.

»Na, dann wollen wir mal«, meinte er aufmunternd. »Du gehst mit Lars und Walter runter. Dann Ulf, Michael und ich.«

Schweigend stimmte Svea zu.

4

Sie saßen Schulter an Schulter im Zodiac, das durch die Elbe schnitt. Der kühle Fahrtwind trug, obwohl es noch hundert Kilometer bis zur Mündung waren, den Geruch der Nordsee zu ihnen.

Svea vermied es, Lars anzusehen, und blickte die Elbe hinauf. Die Kräne der Hafenanlagen verrieten sich durch ihre Warnlichter in der Nacht. Sie liebte diese Stadt.

Svea schloss die Augen und sog die Sommerluft ein. Der Geruch erinnerte sie ein wenig an Santa Marta, an ihre Kindheit an der Karibik-Küste, und brachte ein bisschen Entspannung mit sich.

Eine Waffe im Fluss aufzuspüren war wie das Suchen einer Nadel im Heuhaufen. Allerdings war es gut, dass der Vorfall nicht einmal eine Stunde her war, da hatte die Strömung wahrscheinlich noch nicht allzu hart gearbeitet und die Waffe noch nicht allzu weit mitgenommen.

»Hier.« Lars reichte ihr einen der Metalldetektoren, während Hansen das Zodiac an der Boje festband.

Sie stellte das Suchgerät so ein, dass es Alufolie und kleine Metallteile wie Nägel nicht anzeigte. Aber aus Erfahrung wusste sie, dass jedes verrostete Fahrrad, jede Konserve und anderer Schrott, der in der Elbe lag, das Gerät piepen lassen würde.

Routiniert wusch Svea ihre Tauchmaske aus, setzte sie auf und streifte sich die Kopfhörer des Detektors über, dann machte sie sich für den Tauchgang bereit. »Lasst uns direkt unter der Boje beginnen und dann in immer größeren Kreisen den Grund absuchen«, schlug sie vor. »Standard.«

»Gut«, antwortete Walter, während Lars ihr stumm ein Okay zeigte.

Hansen instruierte sie noch ein letztes Mal, dann gab er grünes Licht. Gemeinsam mit Lars und Walter ließ sich Svea rücklings vom Zodiac ins Wasser fallen.

 

Blitzartig umschloss sie das dunkle Nass und schenkte ihr wie immer das tröstliche Gefühl von Geborgenheit. Sie schaltete ihre Tauchlampe ein, sah Lars und Walter keine zwei Meter entfernt und folgte den beiden hinab in die Finsternis. Ein Aal und eine Handvoll Brassen flüchteten in die Dunkelheit.

Hier in der Elbe war es kälter als im Kanal unter ihrem Hausboot und die Strömung um einiges stärker.

Gemeinsam tauchten sie bis zum Grund, auf dem büschelweise Seetang wuchs, und begannen systematisch mit der Suche. Svea wusste, wie schwer es von einem Schiff aus zu beurteilen war, wo etwas ins Wasser ging. Ohne Erfahrung in Sachen Peilung konnte man nur grob abschätzen, wie weit man vom Ufer weg war und auf welcher Höhe.

Sicherlich würden sie Hunderte Quadratmeter absuchen müssen.

Immer wieder ließ Svea den Detektor über den Schlick gleiten und versuchte, dabei möglichst wenig davon aufzuwühlen. Sie schwamm noch ein paar Meter weiter, schwenkte den Messfühler und …

Ein Piepen verriet ihr, dass sie auf Metall gestoßen war. Der Ton war nicht sehr intensiv, aber immerhin. Sofort gab sie den anderen Zeichen.

Erst nachdem die zwei ihrerseits signalisiert hatten, dass die Nachricht angekommen war, tauchte sie hinab zum Schlick. Sie deutete Walter, zu ihr zu kommen und sie zu unterstützen.

Es war nichts zu erkennen, aber als sie den Detektor noch ein paarmal hin und her streifen ließ, piepte er immer an derselben Stelle.

Walter leuchtete, während sie vorsichtig den Grund abtastete. Wolken aus Schlick verteilten sich und trübten das Wasser ein. Sie schluckten beinahe alles Licht der Strahler.

Endlich ertasteten Sveas Finger etwas im Morast.

Es war solide, und sie meinte, den kurzen Lauf einer Waffe … Sie zog es aus dem Dreck.

Ihr Licht streifte über ihre Handschuhe und über ein komplett verrostetes Metallstück. Es musste seit Jahrzehnten hier liegen. Schwer zu sagen, was es einmal gewesen war, denn …

Svea zuckte zurück. Ohne Warnung durchstieß ein riesiger Fischkopf die Schlickwolke und tauchte in ihren Lichtkegel. Ein Maul – so groß, dass ihr Kopf spielend hineingepasst hätte. Barteln, fast so lang wie ihr Arm. Winzige Augen glitzerten im diffusen Licht, dann drehte der Wels elegant bei und verschwand wieder in der Dunkelheit.

Ihr Herz raste. Svea rang nach Atem, versuchte sich zu beruhigen.

Bist du okay?, zeigte Lars.

Ja, bestätigte sie und bekam trotz Mundstück – weil Walter, der Hobbyangler, so begeistert die gigantische Größe des Welses zeigte – so etwas Ähnliches wie ein Lächeln hin.

Nachdem der Schreck verflogen war, bedeutete sie den beiden, weiterzusuchen.

Allerdings konnte sie nicht umhin, sich vorsichtshalber noch einmal nach dem unverhofften Besuch umzublicken. Von dem riesigen Fisch war jedoch nichts mehr zu sehen.

 

In den nächsten vier Stunden zogen die beiden Teams drei Fahrräder, den Teil eines Motorrads, eine Gewehrgranate aus dem Zweiten Weltkrieg, diverse Uhren und eine mit Muscheln besiedelte Geldschatulle aus dem Morast.

Svea und die Männer hatten jetzt einen Radius von gut dreißig Metern um die Boje abgesucht. Und jede Runde verschlang mehr Zeit. Dies war ihr letzter Tauchgang, dann würden sie abbrechen und morgen weitersuchen. Bei ihren Einsätzen mussten sie oft unverrichteter Dinge abziehen.

Ein Schwarm Döbel schwamm vorüber. Ihre weiß-silbernen Schuppen schimmerten wie ferne Sterne im Licht von Sveas Lampe.

Sie spürte die Müdigkeit in jedem ihrer Knochen, während sie am Ende ihres dritten Tauchgangs ein Stahlrohr aus dem Schlick zog und ernüchtert ins Netz zu dem anderen Metallschrott steckte.

Erschöpft sah sie auf ihren Tauchcomputer. Eine Art Uhr, die den Luftvorrat anzeigte. Der Sauerstoff war fast aufgebraucht.

Sofort gab sie Lars und Walter Zeichen, sie müsse gleich auftauchen. Die beiden bestätigten, dass sie ebenfalls nur noch wenige Minuten hatten.

Svea hatte Lars den Detektor überlassen. Als sie zu ihm schwamm, hielt er mit einem Mal inne und lauschte. Sie hob den Finger zum Fragezeichen, und er signalisierte, dass das Gerät sich gemeldet hatte.

Wieder ein Fahrrad, dachte Svea, bedeutete Lars jedoch, nachsehen zu wollen.

Noch einmal ließ er das Suchgerät wandern und hielt über etwas inne. Mit zwei Zügen war Svea unten. Wie bei jedem Fund zuvor tastete sie sich durch Algen und Modder. Sie spürte etwas Hartes, aber es war bloß ein Ast. Deswegen hatte der Sucher nicht gepiept …

Behutsam strich sie weiter über den Boden.

Da. Sie umfasste das Metall. Das Ding war schwer. Durch die Schlickwölkchen konnte sie seine Form nicht erkennen.

Als sie es ins klarere Wasser und vor ihre Tauchbrille ins Licht zog, war sie überrascht.

Sie hatten zwar gefunden, wonach sie suchten, aber Svea hatte mit einem alten Gewehr gerechnet. Einer Flinte oder einem Modell aus den 1950er Jahren. Eine jahrzehntealte Waffe aus einem vergessenen Schuppen …

Aber was sie da in ihren behandschuhten Händen hielt, sah nagelneu aus.

Es war ein modernes Sturmgewehr.

5

Svea legte den Plastiksack mit der schweren Waffe auf den Tisch, den das LKA