Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes - David Hume - E-Book

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes E-Book

David Hume

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Beschreibung

Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand ist der Titel, unter dem das Buch An Enquiry Concerning Human Understanding von David Hume im deutschsprachigen Raum bekannt geworden ist. Während Hume für seine Schrift von Seiten der Schulmetaphysik scharf angegriffen wurde, regte er wichtige Veränderungen in der nachfolgenden Philosophie an. Der Herausgeber der deutschsprachigen Erstausgabe, Johann Georg Sulzer, selbst Anhänger Christian Wolffs und keineswegs ein Skeptiker wie Hume, bezeichnete diesen als "Wohlthäter der Philosophie", nach dessen Kritik das Feld der Metaphysik neu bestellt werden könne. Das Buch, das zu den wichtigsten Werken Humes zählt, besteht aus zwölf Essays, die die Themen aus dem Erstlingswerk Humes, A Treatise of Human Nature (Ein Traktat über die menschliche Natur), wieder aufnehmen. Nachdem die umfangreiche 1739/40 erschienene Schrift wenig Erfolg hatte, vereinfachte Hume für die Enquiry die Form und setzte etwas andere Schwerpunkte. In einer der gängigsten deutschsprachigen Ausgaben werden die zwölf Abschnitte wie folgt überschrieben: Über die verschiedenen Arten der Philosophie Über den Ursprung der Vorstellungen Über die Assoziation der Vorstellungen Skeptische Zweifel in betreff der Verstandestätigkeiten Skeptische Lösung dieser Zweifel Über die Wahrscheinlichkeit Von der Vorstellung der notwendigen Verknüpfung Über Freiheit und Notwendigkeit Über die Vernunft der Tiere Über Wunder Über eine besondere Vorsehung und ein zukünftiges Dasein Über die akademische oder skeptische Philosophie

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Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

An Enquiry Concerning Human Understanding

David Hume

Inhalt:

David Hume – Biografie und Bibliografie

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Vorwort.

Abtheilung I. Ueber die verschiedenen Arten der Philosophie.

Abtheilung II. Ueber den Ursprung der Vorstellungen.

Abtheilung III. Ueber die Verbindung der Vorstellungen.

Abtheilung IV. Skeptische Zweifel in Betreff der Thätigkeiten des Verstandes.

Abtheilung V. Skeptische Lösung dieser Zweifel.

Abtheilung VI. Ueber die Wahrscheinlichkeit.

Abtheilung VII. Ueber den Begriff der nothwendigen Verknüpfung.

Abtheilung VIII. Ueber Freiheit und Nothwendigkeit.

Abtheilung IX. Ueber die Vernunft der Thiere.

Abtheilung X. Ueber die Wunder.

Abtheilung XI. Ueber die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.

Abtheilung XII. Ueber die Akademische oder Skeptische Philosophie.

Fußnoten

Zusätze

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes, David Hume

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849626150

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

David Hume – Biografie und Bibliografie

Berühmter skeptischer Philosoph und klassischer Geschichtschreiber Englands, geb. 26. April 1711 in Edinburgh, gest. daselbst 25. Aug. 1776, studierte anfänglich die Rechte, wurde dann Kontorist zu Bristol und ging 1734 nach Frankreich, um sich in unabhängiger Stellung ganz literarischer Beschäftigung zu widmen. Drei Jahre brachte er zu Reims und im Jesuitenkollegium La Flèche mit der Verarbeitung seiner philosophischen Ideen, die ihn schon seit dem 18. Jahre beschäftigten, zu, als deren Frucht sein »Treatise upon human nature« (anonym, Lond. 1738–40, 3 Bde.; neueste Ausg. 1888; deutsch von Jacob, Halle 1790–91; 1. Teil von Lipps, Hamb. 1904) sowie seine »Essays moral, political and literary« (Edinb. 1742, Lond. 1748; neueste Ausg. von Green u. Grose, 1898, 2 Bde.; deutsch von Tennemann, Jena 1793) erschienen. Beide Werke zogen aber die Aufmerksamkeit nicht besonders auf sich. Nach Hause zurückgekehrt, ward er Gesellschafter des Marquis von Annandale, befreundete sich mit den Führern der spätern sogen. schottischen Schule, Hutcheson, Oswald, A. Smith u. a., und nachdem eine Bewerbung um Lehrstühle an der Universität Edinburgh durch die Geistlichkeit vereitelt worden waren, nahm er den Antrag des Generals Saint Clair an, ihn als Sekretär auf seine Gesandtschaftsposten nach Wien und Turin zu begleiten. In der letzteren Stadt arbeitete er sein erstes Werk um und machte mehrere Abhandlungen daraus, von denen die bedeutendste: »Enquiry concerning buman understanding« (Lond. 1748; deutsch von Sulzer, 1755; von v. Kirchmann, 5. Aufl., Leipz. 1902; von Nathanson, 2. Aufl., das. 1903) ist, zunächst aber auch ziemlich unbeachtet blieb. Dasselbe gilt von der nach seiner Rückkehr in Schottland ausgearbeiteten »Enquiry concerning the principles of morals« (Edinb. 1751; deutsch von Masaryk, Wien 1883). Erst seine »Political discourses« (Lond. 1752; deutsch von Kraus, Königsb. 1813), die Sammlung der »Essays and treatises on several subjects« (Lond. 1755, 4 Bde.; neue Aufl. 1810, 2 Bde.; deutsch von Pistorius, Königsb. 1755, 4 Bde.) und die »Natural history of religion« (Lond. 1755; deutsch von Paulsen, Berl. 1876) erregten die Aufmerksamkeit der Kritiker und besonders die Angriffe Warburtons und Hurds, die er jedoch nie einer Entgegnung würdigte. Als Bibliothekar der Juristenfakultät in Edinburgh faßte er 1752 den Plan, eine Geschichte seines Vaterlandes zu schreiben.Diese berühmte »History of England from the invasion of Jul.Caesar to the revolution in1688«, die in vielen Ausgaben existiert und ihrem Verfasser 2800 Pfd. Sterl. Honorar eintrug (Lond. 1754–63, 6 Bde.; Prachtausgabe von Bowyer, das. 1806, 10 Bde.; 1880, 3 Bde.; mit Smollets Fortsetzung, das. 1796, 13 Bde.; neue Ausg. 1864, 8 Bde.; mit Fortsetzung von Hughes, 1866, 18 Bde.; deutsch von Dusch, Bresl. 1762–71, 6 Bde.; von Timäus, Lüneb. 1804–07, 2 Bde.), zog ihm jedoch wegen ihrer Unparteilichkeit viele Feinde zu. 1763 begleitete er den Grafen von Hertford als Gesandtschaftssekretär nach Paris. Hier kam er auch mit Rousseau in nähere Verbindung, den er sodann bewog, mit ihm nach England zu gehen (1766), wo er ihm eine Pension auswirkte. Doch war das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden von sehr kurzer Dauer. 1767 wurde H. zum Unterstaatssekretär ernannt, zog sich jedoch schon 1769 nach Edinburgh zurück. Nach seinem Tod erschienen seine Autobiographie (engl., Lond. 1777; lat. 1787) und seine »Dinlogues concerning natural religion« (das. 1779; deutsch von Schreiter, Leipz. 1781). Seine »Philosophical works« erschienen gesammelt zu Edinburgh 1827, ferner, von Green und Grosse herausgegeben, London 1874, 4 Bde.

H. geht in der Philosophie von dem Locke-Baconschen Empirismus aus und will eine gründliche Erörterung über die menschlichen-Kräfte anstellen sowie die Grenzen unsrer Erkenntnis bestimmen. Alle unsre Vorstellungen sind nach ihm teils Impressionen, d. h. sinnliche Eindrücke, teils Begriffe oder sogen. Ideen; letztere sind nur Kopien der ersteren und als solche weniger stark und lebhaft. Unsre Überzeugung von Tatsachen und unser Räsonnement über sie, durch das wir die Grenze der Sinneswahrnehmung überschreiten, beruht auf Empfindung, Gedächtnis und den Schlüssen aus dem Kausalnexus, d. h. dem Verhältnis von Ursache und Wirkung. Die Kenntnis dieser Kausalverbindung und Wirkung entsteht nicht aus Schlüssen a priori, sondern lediglich aus der Erfahrung: wir schließen, indem wir ähnliche Folgen von ähnlichen Ursachen erwarten, aus dem Prinzip der Gewohnheit der Verknüpfung verschiedener Erscheinungen, d. h. aus einem Prinzip der Assoziation der Vorstellungen. Selbst das allgemeine Kausalgesetz, dass alles Geschehene eine Ursache hat, ist nur durch die Gewohnheit gebildet. Nur zufolge der Erfahrung glauben wir an Dinge außer uns selbst; da aber die Sinne täuschen, so kennen wir nur unsre Vorstellungen von den Dingen, nicht die Dinge selbst. Es gibt daher keine Kenntnis außer der Erfahrung, keine Metaphysik. Ebenso wie den Kausalbegriff kritisiert H. den Begriff der Substanz, den unsre Einbildungskraft erdichtet, um verschiedene Qualitäten in Zusammenhang miteinander zu bringen. Das Ich ist nichts als ein Komplex von Vorstellungen, für die wir nicht einen einheitlichen Träger annehmen dürfen. Geht die Anwendung des Kausalgesetzes nicht über die Erfahrung hinaus, und gibt es keine Substanzen in Wirklichkeit, so müssen die Begriffe Freiheit, Notwendigkeit, Unsterblichkeit, ebenso die Beweise für das Dasein Gottes der skeptischen Beurteilung anheimfallen. In religiösen Dingen gibt es nur einen Glauben, kein Wissen; doch haben sich die Religionen sämtlich mit psychologischer Notwendigkeit entwickelt. Die ethische Wertschätzung bezieht sich nach H. weniger auf solche Eigenschaften, die dem Inhaber selbst nützlich sind, als vielmehr auf soziale Tugenden, d. h. auf Wohlwollen, das angeboren und uninteressiert ist, und auf Gerechtigkeit, die mehr durch Reflexion entsteht. Damit wir nun den nützlichen Trieben und nicht den verderblichen nachgehen und so sittlich handeln, muss es ein natürliches, moralisches Gefühl geben, das ist die Menschenliebe oder Sympathie, Freude an dem Glück der andern, Schmerz über ihre Leiden. Bei seiner Umsicht berücksichtigt H. in der Ethik freilich auch das individuelle Wohl. Humes Erkenntnislehre hat auf Kant bedeutend gewirkt und den neuern Positivismus mitbegründet, seine Ethik ist von größtem Einfluss auf die Adam Smiths sowie auf die Entwickelung der neuern Ethik in England gewesen. Vgl. Burton, Life and correspondence of D. H. (Lond. 1846, 2 Bde.); Jodl, Leben und Philosophie David Humes (Halle 187:.); Compayré, La philosophie de D. H. (Par. 1873); Pfleiderer, Empirismus und Skepsis in D. Humes Philosophie (Berl. 1874); Gizycki, Die Ethik D. Humes (Bresl. 1878); Huxley, H. (Lond. 1879); Masaryk, Humes Step s und Wahrscheinlichkeitsrechnung (Wien 1881); Knight, H. (Lond. 1887); »Letters of David H. to William Strahan« (hrsg. von Hill, das. 1888); Lechartier, David H., moraliste et sociologue (Par. 1900); Klemme, Die volkswirtschaftlichen Anschauungen D. Humes (Jena 1900); Schatz, L'œuvre économique de D. H. (Par. 1902); Orr, David H. and his influence on philosophy and theology (Lond. 1903).

Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes

Vorwort.

Die meisten von den Sätzen und Ausführungen sind bereits in einem dreibändigen Werke unter dem Titel: »Eine Abhandlung über die menschliche Natur« veröffentlicht worden. Der Verfasser hatte den Plan dazu schon als Student entworfen, und bald darauf schrieb und veröffentlichte er das Werk. Es hatte keinen Erfolg; der Verfasser erkannte seinen Irrthum, zu schnell zur Veröffentlichung geschritten zu sein und arbeitete es um; viele Mängel in der Begründung und noch mehr in der Darstellung sind hoffentlich dadurch beseitigt worden. Trotzdem haben Kritiker, welche die Philosophie des Verfassers ihrer Aufmerksamkeit gewürdigt haben, alle ihre Angriffe gegen jene Jugendarbeit gerichtet, welche der Verfasser jetzt nicht mehr anerkennt. Man hat so die angeblichen über ihn errungenen Triumphe gefeiert, obgleich solches Verfahren allen Regeln der Offenheit und Redlichkeit widerspricht und einen auffallenden Beleg zu den polemischen Künsten abgiebt, welche der fromme Eifer anzuwenden sich für befugt erachtet.

Deshalb wünscht der Verfasser, dass die gegenwärtige Arbeit allein als die angesehen werde, welche seine philosophischen Ansichten und Grundsätze enthält.

Abtheilung I. Ueber die verschiedenen Arten der Philosophie.

Die Moral-Philosophie oder die Wissenschaft der menschlichen Natur kann auf zwei verschiedene Weisen behandelt werden, von denen jede ihren besonderen Werth hat und zur Unterhaltung, Belehrung und Verbesserung der Menschheit beitragen kann. Nach der einen ist der Mensch zum Handeln geboren und wird in seinen Massregeln durch Geschmack und Gefühl bestimmt; er verfolgt den einen Gegenstand und vermeidet den anderen nach dem Werthe, den diese Gegenstände zu haben scheinen, und nach dem Lichte, in dem sie sich darstellen. Da die Tugend anerkanntermassen das Werthvollste von Allen ist, so malen die Philosophen dieser Gattung sie in den lieblichsten Farben, entlehnen von der Dicht- und Redekunst deren Mittel und behandeln ihren Gegenstand in jener leichten und fasslichen Weise, welche die Phantasie anregt und das Interesse erweckt. Sie wählen die treffendsten Bemerkungen und Beispiele aus dem täglichen Leben und bringen die unterschiedenen Charaktere in den richtigen Gegensatz. Sie locken durch die Aussichten auf Ruhm und Glück in die Pfade der Tugend und erhalten darin durch gesunde Grundsätze und glänzende Beispiele. Sie lassen den Unterschied zwischen Tugend und Laster fühlen; sie erwecken und regeln die Empfindungen, und indem sie so in dem Herzen die Gesinnung für Rechtschaffenheit und wahre Ehre wach rufen, glauben sie den Endzweck ihrer Anstrengungen ganz erreicht zu haben.

Die Philosophen der zweiten Gattung betrachten den Menschen mehr in dem Lichte eines denkenden als handelnden Wesens; sie suchen mehr seinen Verstand zu bilden, als seine Sitten zu bessern. Die menschliche Natur gilt ihnen als ein Gegenstand philosophischer Prüfung; sie untersuchen sie mit ängstlicher Sorgfalt, um die Grundsätze zu entdecken, welche unsern Verstand leiten, unsere Empfindungen erwecken und uns zum Lob oder Tadel der Dinge, der Handlungen und des Benehmens veranlassen. Sie halten es für eine Schmach der Wissenschaft, dass die Philosophie noch nicht die Grundlagen der Moral, des Denkens und Urtheilens unzweifelhaft festgestellt hat; dass sie von Wahrheit und Irrthum, von Tugend und Laster, von Schönheit und Hässlichkeit fortwährend spricht, ohne die Quelle dieser Unterschiede bezeichnen zu können. Sie unternehmen diese schwierige Aufgabe und lassen sich durch keine Hindernisse abschrecken. Von besondern Fällen gehen sie zu allgemeinen Sätzen fort und ruhen nicht, bis sie die obersten Grundsätze erreicht haben, welche in jeder Wissenschaft die Grenze der menschlichen Erkenntniss bilden. Ihre Untersuchungen erscheinen dem gewöhnlichen Leser trocken, ja unverständlich; aber ihr Streben geht auf die Beistimmung der Kenner und Weisen, und sie halten sich für die Anstrengungen eines ganzen Lebens genügend entschädigt, wenn sie einige verborgene Wahrheiten entdecken, welche zur Belehrung der kommenden Geschlechter beitragen.

Unstreitig zieht die Menge jene leichte und verständliche Philosophie dieser strengen und tiefen vor, und Viele werden sie nicht blos für angenehmer, sondern auch für nützlicher als die andere erklären. Jene fügt sich mehr dem gewöhnlichen Vorstellen; sie erregt das Herz und die Empfindung; sie behandelt die Grundsätze, welche das Handeln bestimmen, bessert so das Benehmen der Menschen und bringt sie ihrem Muster von Vollkommenheit näher. Die strenge Philosophie stützt sich dagegen auf eine Geistesrichtung, welche in das Praktische und Thätige sich nicht einlässt; sie verschwindet, wenn der Philosoph die Dämmerung verlässt und in das Tageslicht tritt, und ihre Grundsätze können nicht leicht einen Einfluss auf das Handeln und Benehmen erlangen. Die Gefühle des Herzens, die Erregungen der Leidenschaften, die Gewalt der Affekte machen alle Folgerungen solcher tiefsinnigen Philosophen zu nichte und bringen sie auf die gleiche Stufe mit jedem gewöhnlichen Menschen wieder herab.

Man muss auch anerkennen, dass jene leichte Philosophie den dauerhaftesten und gerechtesten Ruhm erworben hat, und dass jene tiefsinnigen Denker bisher nur eines vorübergehenden Rufes bei ihren eigensinnigen und unwissenden Zeitgenossen sich haben erfreuen, aber ihn bei der gerechten Nachwelt sich nicht haben erhalten können. Der tiefsinnige Philosoph begeht in seinen Schlussfolgerungen leicht ein Versehen; ein Missgriff hat beim Weiterschreiten andere nothwendig zur Folge; auch schreckt er vor keinem Ergebniss zurück, selbst wenn es sonderbar erscheint oder der Volksmeinung widerstreitet. Aber ein Philosoph, der nur das Gemeinverständliche in schönen und anziehenden Farben wiedergeben will, geht nicht weiter, wenn er zufällig in einen Irrthum geräth; er kehrt in die richtige Bahn zurück und schützt sich vor jeder gefährlichen Täuschung, indem er sich wieder auf den gesunden Verstand und die natürliche Empfindung beruft. Der Ruhm Cicero's blüht noch heute, während der von Aristoteles verloschen ist. La Bruyère tönt über das Meer und bewahrt noch seinen Ruf, während der Ruhm von Malebranche auf seine Nation und sein Zeitalter beschränkt geblieben ist, und Addison wird vielleicht noch mit Vergnügen gelesen werden, wenn Locke ganz vergessen sein wird.

Der strenge Philosoph ist ein Charakter, welcher der Welt meist nicht genehm ist; man meint, dass er weder zum Nutzen noch zum Vergnügen der Gesellschaft etwas beitrage; denn er lebt fern vom Verkehr mit Menschen und ist in Regeln und Begriffe vertieft, welche dem Verständniss dieser fern liegen. Auf der andern Seite wird reine Unwissenheit noch mehr verachtet, und in einem Zeitalter und Volke, wo die Wissenschaften blühen, gilt es als ein sicheres Zeichen der Rohheit, keinen Geschmack für diese edlen Beschäftigungen zu besitzen. Man sucht meist den vollkommnen Charakter zwischen diesen beiden Extremen; ein solcher besitzt gleiches Geschick und Geschmack für Bücher, Gesellschaft und Geschäft; er bewahrt sich in der Unterhaltung die Schärfe und Feinheit, welche aus der Pflege der schönen Wissenschaften entspringen, und im Geschäft die Rechtlichkeit und Genauigkeit, welche das natürliche Ergebniss einer guten Philosophie sind. Um solche vollkommene Charaktere zu bilden und häufiger zu machen, sind Werke im leichten Stile die nützlichsten. Sie ziehen nicht zu sehr vom Leben ab, verlangen für ihr Verständniss keine tiefe Anstrengung oder Einsamkeit und geben ihren Zögling der Menschheit zurück, erfüllt mit edlen Gefühlen und weisen Vorschriften, die für alle Lagen des menschlichen Lebens anwendbar sind. Vermittelst solcher Werke wird die Tugend liebenswürdig, die Wissenschaft angenehm, die Gesellschaft belehrend und die Einsamkeit unterhaltend.

Der Mensch ist ein vernünftiges Wesen, und als solches empfängt er seine wahre Nahrung von der Wissenschaft. Aber die Schranken des menschlichen Verstandes sind so enge, dass man hier weder mit der Ausdehnung, noch mit der Gewissheit des Erwerbes zufriedengestellt wird. Der Mensch ist aber nicht blos ein vernünftiges, sondern auch ein geselliges Wesen; dennoch kann er nicht immer angenehmen und unterhaltenden Umgang geniessen und nicht immer die Empfänglichkeit dafür sich bewahren. Der Mensch ist auch ein thätiges Wesen; er muss wegen dieser Anlage und wegen der mannichfachen Bedürfnisse des menschlichen Lebens sich dem Geschäft und der Arbeit unterziehn; aber die Seele verlangt nach Erholung und kann nicht fortwährend die Last der Sorgen und Anstrengungen ertragen. Die Natur scheint daher ein gemischtes Leben als das dem Menschen angemessenste zu bezeichnen; sie warnt ihn, sich keiner dieser Neigungen zu sehr hinzugeben und dadurch die Fähigkeit für andere Beschäftigungen und Vergnügen einzubüssen. »Folge deinem Trieb nach Wissen,« spricht sie, »aber dein Wissen bleibe menschlich und in Verbindung mit dem Leben und dem Handeln; ich verbiete nutzlose Gedanken und grüblerische Untersuchungen; ihre Strafe sei das trübsinnige Grübeln, zu dem sie dich führen, die endlose Ungewissheit, in die sie dich verwickeln, und die Kälte, mit der deine angeblichen Entdeckungen bei deren Mittheilung aufgenommen werden. Sei ein Philosoph, aber bleibe mitten in all deiner Philosophie ein Mensch.«

Begnügte man sich, die leichte Philosophie der eindringendern und tiefern Philosophie nur vorzuziehn, ohne letztere zu tadeln oder zu verachten, so möchte diese allgemeine Ansicht immer zulässig sein, und Jedem frei stehen, sich nach seinem Geschmack und Sinne zu unterhalten. Aber man geht oft weiter und verwirft schlechthin jede tiefere Untersuchung oder sogenannte Metaphysik. Wir wollen daher das in Betracht ziehn, was für sie spricht.

Der nächste erhebliche Vortheil der strengen und tiefer eindringenden Philosophie ist ihre Unterstützung der leichten und gemeinfasslichen, welche ohne jene in ihren Begriffen, Grundsätzen und Beweisen niemals den erforderlichen Grad von Genauigkeit erreichen kann. Alle schönen Wissenschaften sind nur Schilderungen des menschlichen Lebens in seinen mannichfachen Zuständen und Verhältnissen; sie erfüllen uns nach der Beschaffenheit der von ihnen gebotenen Gegenstände mit mancherlei Gefühlen des Lobes oder Tadels, der Bewunderung oder des Spottes. Ein Künstler kann hier nur auf grössern Erfolg für sein Werk rechnen, wenn er nicht blos feinen Geschmack und schnelle Auffassung besitzt, sondern auch eine genaue Kenntniss der innern Werkstatt, der Thätigkeiten des Verstandes, der Wirkungen der Leidenschaften und der verschiedenen Empfindungen, durch die sich Laster und Tugend unterscheiden. Wenn auch diese innern Nachforschungen und Untersuchungen mühsam werden, so sind sie doch für denjenigen gewissermassen unentbehrlich, welcher mit Erfolg die äusserlichen und sichtbaren Erscheinungen des Lebens und der Sitte beschreiben will. Der Anatom zeigt dem Auge die hässlichsten und unangenehmsten Gegenstände, aber seine Wissenschaft nützt dem Maler selbst bei einer Venus oder Helena. Während dieser die üppigsten Farben seiner Kunst benutzt und seinen Gestalten die zierlichsten und reizendsten Stellungen giebt, muss er immer dabei den innern Bau des menschlichen Körpers beachten und die Stellung der Muskeln, die Einrichtung der Knochen und den Gebrauch und die Gestalt jedes Theils und Organs kennen. Genauigkeit hilft immer der Schönheit, und richtiges Denken der zarten Empfindung. Es ist vergeblich, das Eine durch Erniedrigung des Andern heben zu wollen.

Ueberdem zeigt sich, dass in jeder Kunst und jedem Geschäft, selbst in solchen, die dem Leben und Handeln am nächsten stehen, der Geist der Genauigkeit, wie er auch erworben sei, sie alle der Vollkommenheit näher bringt und den Interessen der Gesellschaft dienlicher macht. Mag daher der Philosoph auch den Geschäften fern bleiben, so muss doch der Geist der Philosophie, wenn er von Einzelnen sorgsam gepflegt wird, sich allmählich durch die ganze Gesellschaft verbreiten und in jede Kunst und jeden Beruf eine ähnliche Genauigkeit einführen. Der Staatsmann wird in Theilung und Ausgleichung der politischen Mächte vorsichtiger und scharfsichtiger werden; der Rechtsgelehrte wird für seine Ausführungen mehr Methode und schärfere Gründe gewinnen, und der Feldherr mehr Regelmässigkeit für seinen Dienst und mehr Vorsicht in seinen Plänen und Unternehmungen. Die Festigkeit der modernen Staaten in Vergleich zu den alten, und die Schärfe der modernen Philosophie sind in gleichem Grade gewachsen, und dies wird auch in der Zukunft stattfinden.

Selbst wenn keine andere Frucht aus diesen Studien reifte, als die Befriedigung einer unschuldigen Wissbegierde, so wäre auch dies nicht zu verachten; denn sie vermehrt jene wenigen heilsamen und harmlosen Freuden, welche dem Menschengeschlecht zugetheilt sind. Der sanfteste und unschädlichste Gang dieses Lebens führt durch die Pfade der Wissenschaft und Erkenntniss; Jeder, der ein Hinderniss von diesen Pfaden wegräumt oder eine neue Aussicht eröffnet, muss als ein Wohlthäter der Menschen gelten. Diese Untersuchungen mögen peinlich und ermüdend sein; aber es verhält sich hier mit der Seele, wie mit dem Körper; sind sie mit Kraft und üppiger Gesundheit ausgerüstet, so verlangen sie nach anstrengenden Uebungen und finden ihr Vergnügen in dem, was den meisten Menschen schwer und mühevoll erscheint. Die Dunkelheit ist für den Geist so schmerzlich wie für das Auge; Licht aus der Dunkelheit zu entnehmen, sei diese Arbeit auch noch so schwer, muss nothwendig erfreulich und ergötzend sein.

Man hat indess diese Dunkelheit der tiefern und eindringendern Philosophie nicht blos als peinlich und ermüdend getadelt, sondern auch als eine Quelle unvermeidlichen Schwankens und Irrthums dargestellt. Dies ist allerdings der gerechteste und annehmbarste Vorwurf gegen einen grossen Theil der metaphysischen Untersuchungen; man sagt, sie seien keine wahre Wissenschaft, sondern nur das Ergebniss nutzloser Anstrengungen menschlicher Eitelkeit, welche in Gegenstände eindringen will, die entweder dem Verstand unzugänglich oder das Werk eines listigen Aberglaubens sind, welcher auf ebenem Boden sich nicht vertheigen kann, und deshalb in dieses verworrene Gestrüpp sich verkriecht, um seine Blösse zu decken und zu schützen. Verjagt vom freien Felde, fliehen diese Räuber in den Wald und liegen auf der Lauer, um durch jeden unbewachten Zugang in den Geist einzubrechen und ihn durch religiöse Furcht und Vorurtheile zu überwältigen. Der stärkste Gegner wird besiegt, wenn er einen Augenblick in seiner Wachsamkeit nachlässt, und Viele öffnen aus Feigheit und Thorheit den Feinden die Thore und empfangen sie freiwillig mit Ehrfurcht und Unterwürfigkeit als ihre legitimen Herrscher.

Ist dies indess ein hinreichender Grund für den Philosophen, um von solchen Untersuchungen abzustehen und den Aberglauben in den Besitz seiner Schlupfwinkel zu lassen? Folgt daraus nicht umgekehrt die Nothwendigkeit, dass man den Kampf in die geheimsten Schlupfwinkel des Feindes übertragen muss? Vergeblich ist die Hoffnung, dass der Mensch durch häufige Täuschungen endlich zum Verlassen dieser luftigen Forschungen bestimmt werden und das wahre Reich der menschlichen Vernunft entdecken werde. Viele sind bei der steten Wiederaufnahme solcher Forschungen sichtlich interessirt, und blinde Verzweiflung darf vernünftiger Weise in den Wissenschaften nie Platz greifen; da trotz der Erfolglosigkeit früherer Versuche immer Raum für die Hoffnung bleibt, dass die Anstrengung, das gute Glück und der gesteigerte Scharfblick der folgenden Generationen zu Entdeckungen gelangen werde, die der Vorzeit unerreichbar waren. Jeder kühne Geist wird den schwierigen Preis zu gewinnen suchen, und die Fehlschläge seiner Vorgänger werden ihn eher reizen als entmuthigen; er hofft, dass ihm allein der Ruhm aufbewahrt sei, eine so schwere Aufgabe zu lösen. Das einzige Mittel, um die Wissenschaft mit einem Male von diesen nutzlosen Versuchen zu befreien, ist die Natur des menschlichen Verstandes streng zu untersuchen, und durch eine genaue Erforschung seiner Kräfte und Fähigkeiten zu zeigen, dass er für solche entlegene und verborgene Gegenstände durchaus nicht geeignet ist. Man muss sich dieser Arbeit unterziehn, um nachher in Ruhe zu leben, und man muss die wahre Metaphysik mit Sorgfalt treiben, um die unwahre und verfälschte zu zerstören. Die Trägheit, welche Manchen vor dieser trügerischen Philosophie bewahrt, wird sammt Anderem durch die Wissbegierde überwogen; und die Verzweiflung, die zu manchen Zeiten hervorbricht, weicht später übertriebenen Hoffnungen und Erwartungen. Genaue und richtige Untersuchungen sind hier die einzigen und allgemein gültigen Heilmittel für Jedermann und jede Frage; sie allein können jene unverständliche Sprache aus der Philosophie und Metaphysik entfernen, welche sie, in Verbindung mit dem Aberglauben, für unbefangene Forscher undurchdringlich macht und ihr den Schein von Wissenschaft und Weisheit verleiht.

Neben dem Vortheile, dass man nach sorgfältiger Untersuchung sich des unsichersten und lästigsten Theiles der Gelehrsamkeit entledigt, gehn aus einer sorgfältigen Untersuchung der Kräfte und Fähigkeiten der menschlichen Natur auch viele positive Vortheile hervor. Die geistigen Thätigkeiten haben das Merkwürdige, dass sie, obgleich am innigsten uns gegenwärtig, doch in Dunkelheit gehüllt scheinen, wenn das Nachdenken sich auf sie richtet. Das Auge kann nicht leicht die Linien und Grenzen erkennen, welche sie sondern und unterscheiden. Diese Gegenstände sind zu fein, um immer denselben Anblick und dieselbe Lage zu bieten; sie müssen augenblicklich erfasst werden, mittelst einer höhern Einsicht, welche Naturgabe ist und durch Uebung und Nachdenken sich steigert. Es ist deshalb schon eine beträchtliche Aufgabe der Wissenschaft, die verschiedenen Thätigkeiten der Seele kennen zu lernen, die einen von den andern zu sondern, sie in die passenden Abtheilungen zu bringen und die anscheinende Verwirrung zu lösen, in welcher sie sich befinden, wenn sie zum Gegenstande der Untersuchung und des Nachdenkens gemacht werden. Dieses Ordnen und Unterscheiden, was in Bezug auf äussere Dinge und Gegenstände der Sinne kein Verdienst ist, steigt im Werthe, wenn es sich auf diese Thätigkeiten der Seele richtet, und zwar im Verhältniss zur Schwierigkeit und Mühe, welche der Ausführung anhaftet. Sollte man auch nicht über diese geistige Geographie und Abgrenzung der verschiedenen Theile und Kräfte der Seele hinauskommen, so gewährt schon dies Genugthuung. Je selbstverständlicher solche Wissenschaft erscheinen mag (aber sie ist es durchaus nicht), desto grössere Schande trifft die, welche sie nicht kennen, und doch auf Gelehrsamkeit und Philosophie Anspruch machen.

Auch bleibt kein Raum für den Vorwurf, dass diese Wissenschaft unsicher und chimärisch sei; man müsste denn an einer Zweifelsucht festhalten, welche alles Nachdenken und selbst alles Handeln zerstört. Man kann nicht bestreiten, dass die Seele mit gewissen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet ist; dass diese Kräfte sich von einander unterscheiden; dass das für die unmittelbare Wahrnehmung wirklich Verschiedene durch Nachdenken gesondert werden kann, und dass daher Wahrheit und Irrthum an allen Fragen dieses Gebietes haftet, und zwar eine solche Wahrheit und ein solcher Irrthum, die nicht jenseit des Bereichs des menschlichen Verstandes liegen. Es giebt viele naheliegende Unterscheidungen dieser Art, wie zwischen Wollen und Verstand, Phantasie und Leidenschaften, welche von jedem menschlichen Wesen begriffen werden. Die feinen und philosophischen Unterscheidungen sind nicht weniger wirklich und gewiss, wenn sie auch schwerer zu fassen sind. Einzelne, namentlich neuerliche Erfolge bei diesen Untersuchungen können einen bessern Begriff von der Gewissheit und Festigkeit in diesem Gebiet der Erkenntniss gewähren. Sollte es denn die allein würdige Aufgabe für einen Philosophen sein, das wahre System der Planeten festzustellen und die Ordnung und die Stellung dieser fernen Körper zu ermitteln? Sollte man die Männer nicht beachten, welche mit so viel Erfolg die Gebiete der Seele erforschen, wobei doch Jedermann so innig betheiligt ist?

Weshalb sollte man nicht hoffen, dass die Philosophie bei sorgfältiger Pflege, und ermuthigt durch die öffentliche Aufmerksamkeit, in ihren Untersuchungen immer weiter kommen und endlich gleichsam die verborgenen Springfedern und Kräfte entdecken werde, welche die menschliche Seele in ihrer Thätigkeit stützen und leiten? Die Astronomen hatten sich lange begnügt, aus den sichtbaren Erscheinungen die wahre Bewegung, Ordnung und Grösse der Himmelskörper zu beweisen, bis sich endlich ein Philosoph erhob, welcher durch ein glückliches Nachdenken auch die Gesetze und Kräfte bestimmte, durch welche der Lauf der Planeten geleitet und in Ordnung gehalten wird. Das Gleiche ist in andern Gebieten der Natur vollbracht worden. Und man hat keinen Grund, an einen gleichen Erfolg bei den Untersuchungen der Kräfte und der Einrichtung der Seele zu verzweifeln, wenn mit gleicher Fähigkeit und Vorsicht vorgegangen wird. Es ist wahrscheinlich, dass die eine Kraft und der eine Vorgang in der Seele von dem andern abhängt, welche wieder auf allgemeinere zurückgeführt werden können, und vor, ja selbst nach einem sorgfältigen Versuch wird es schwer sein, genau zu bestimmen, wie weit man mit solchen Untersuchungen gelangen könne. Sicherlich werden solche Versuche tagtäglich, selbst von denen gemacht, welche am nachlässigsten philosophiren, und nichts ist nothwendiger für den Eintritt in ein solches unternehmen, als die höchste Sorgfalt und Aufmerksamkeit, damit, wenn das Ziel im Bereich des menschlichen Verstandes liegt, es endlich erreicht werde, und wo nicht, mit Zuversicht und Sicherheit aufgegeben werden könne.

Diese letzte Ansicht ist sicherlich nicht wünschenswerth und darf nicht zu voreilig angenommen werden. Denn wie viel müsste von der Schönheit und dem Werthe dieser Art der Philosophie nachgelassen werden, wenn man dies zugeben wollte. In der Moral suchte man bisher gegenüber der grossen Mannichfaltigkeit und Verschiedenheit der Handlungen, welche Billigung oder Missbilligung hervorrufen, nach irgend einem allgemeinen Grundsatz, von dem dieser Unterschied der Urtheile sich ableitete. Und obgleich man aus Liebhaberei für Prinzipien dies oft zu weit getrieben hat, so verdient es doch sicherlich Entschuldigung, wenn gewisse allgemeine Regeln gesucht werden, auf die sich alle Laster und Tugenden mit Grund zurückführen lassen. Aehnliches hat man in der Kunst, in der Logik, in der Staatswissenschaft versucht, und zwar nicht ohne Erfolg, obgleich vielleicht nur längere Zeit, grössere Sorgfalt und ausharrenderer Fleiss diese Wissenschaften ihrer Vollkommenheit näher bringen kann. Wollte man mit einem Male all diese Unternehmen zurückstellen, so wäre dies sicherlich voreiliger, unüberlegter und eigenwilliger, als die dreisteste und absprechendste Philosophie, welche je ihre rohen Gebote und Grundsätze den Menschen aufzudringen versucht hat.

Wenn aber diese Untersuchungen der menschlichen Natur zu hoch und unverständlich erscheinen, so darf man dies doch nicht als einen Grund für ihre Unwahrheit geltend machen. Es scheint vielmehr natürlich, dass das nicht so augenfällig und leicht sein kann, was bisher so vielen weisen und gründlichen Philosophen entschlüpft ist. Trotz aller Mühe, welche diese Untersuchungen uns kosten sollten, werden wir uns sowohl in Bezug auf Nutzen, wie Annehmlichkeit, für hinreichend belohnt halten, wenn wir damit den Vorrath von Kenntnissen über Gegenstände von so unsäglicher Wichtigkeit etwas vermehren könnten.

Trotz alledem bleibt das tiefere Denken, in welchem solche Untersuchungen sich bewegen, keine Empfehlung, sondern eher ein Nachtheil für sie. Vielleicht kann diese Schwierigkeit durch Sorgfalt und Geschick und durch Vermeidung aller überflüssigen Ausführlichkeit überwunden werden. Und so habe ich in der folgenden Untersuchung einiges Licht über Dinge zu verbreiten gesucht, deren Unsicherheit den Weisen, und deren Dunkelheit den Unwissenden bisher zurückgeschreckt hat. Wohl mir, wenn es mir gelingt, die Trennung der beiden Arten zu philosophiren dadurch zu beseitigen, dass ich die Gründlichkeit mit der Klarheit, und die Wahrheit mit der Neuheit versöhne.

Noch glücklicher würde es mich machen, wenn ich durch solche leichtere Weise der Behandlung die Grundlagen jener dunklen Philosophie erschüttern könnte, welche bisher nur dem Aberglauben als Schutz und dem Unsinn und Irrthum als Deckmantel gedient hat.

Abtheilung II. Ueber den Ursprung der Vorstellungen.

Jedermann wird einräumen, dass ein erheblicher Unterschied zwischen den Vorstellungen der Seele besteht, je nachdem man den Schmerz einer ausserordentlichen Hitze oder das Vergnügen einer mässigen Wärme fühlt, oder je nachdem man diese Empfindung nur nachher in das Gedächtniss zurückruft oder im Voraus sich vorstellt. Diese Vermögen können die Wahrnehmungen der Sinne nachahmen oder abbilden, aber sie können niemals die ganze Kraft und Lebhaftigkeit der ursprünglichen Empfindung erreichen. Das Höchste, was selbst bei ihrer stärksten Aeusserung man von ihnen sagen kann, ist, dass sie ihren Gegenstand in so lebhafter Weise darbieten, dass man beinahe meint, ihn zu fühlen oder zu sehen. Aber niemals können sie, Fälle der Geistesstörung durch Krankheit oder Irrsinn abgerechnet, einen solchen Grad von Lebhaftigkeit annehmen, dass man diese Vorstellungen nicht von einander zu unterscheiden vermöchte. Der Dichter kann selbst mit den glänzendsten Farben seiner Kunst einen Naturgegenstand nicht so ausmalen, dass man seine Beschreibung für eine wirkliche Landschaft hält. Der lebhafteste Gedanke erreicht hier die dunkelste Empfindung nicht.