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Aya hat Schuldgefühle und macht sich selber für den Tod ihrer besten Freundin und Schwester verantwortlich. Zusammen mit ihrem Freund Merlin macht sie sich in den Untiefen des Internets auf die Suche nach Hinweisen darüber, was Leonie in den Selbstmord getrieben haben könnte.
Dabei stoßen die beiden auf ein geheimnisvolles Spiel, das Leonie spielte und beginnen es ebenfalls, um die Zusammenhänge zu ergründen.
Schon bald steigert sich Aya zu sehr in das Spiel hinein, welches sich als bittere Realität enntpuppt, und es beginnt für Merlin der Kampf um das Leben seiner Freundin.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Sie stand am Abgrund und sah hinab. Unten fuhren die Autos wie kleine Spielzeugminiaturen auf der Straße, bogen über Querstraßen ab und hielten an Ampeln und Zebrastreifen an. Es sah aus, als würde dort unten eine andere Welt sein, die sich dreht und in der die Zeit vergeht. Hier oben auf dem Dach jedoch stand die Zeit still, es drehte sich nichts und nur der Moment war von Bedeutung. Nichts konnte Leonie den Moment nehmen. Sie hatte sich entschieden. Sie hatte gespielt und nun war das Spiel zu Ende. Ihre letzte Quest, der Endboss, nur ein Schritt trennte sie von den Credits des Spiels. Nur ein Schritt trennte sie davon, zu gewinnen, es demjenigen zu beweisen, der ihre Quests stellte.
Sie atmete schwer.
Ihr Herz zog sich zusammen und schien zu krampfen.
Sie trat einen Schritt vor.
Kippte.
Fiel.
Flog.
Aya saß in sich zusammengesunken auf dem Bett und starrte in die Leere. Sie war in Gedanken versunken und dachte darüber nach, ob sie etwas dafür konnte, ob sie in irgendeiner Weise schuld war, oder ob sie vielleicht der Auslöser gewesen war. Merlin saß neben ihr, hatte ein Bein angewinkelt und den Arm um sie gelegt. Tröstend streichelte er ihr über den Rücken, wie automatisch bewegte sich seine Hand auf und ab und strich über das Shirt, in der Hoffnung, der Freundin irgendwie zu helfen. Er war sich unsicher, ob es ein gutes oder doch vielleicht eher ein schlechtes Zeichen war, dass Aya nicht weinte. Sie weinte oft, war ein sehr sensibler Mensch, aber nun weinte sie nicht. Sie saß einfach nur da und starrte blicklos auf das Handy, auf dem sie das Profilbild ihrer Freundin anzeigen ließ. Ihrer Freundin, die sie immer 'Sis' oder 'Schwesterchen' nannte. Er gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange und lehnte seine Stirn dann gegen Ayas Schulter. Gerade wollte er ansetzen etwas zu sagen, als sie den Mund aufmachte und fragte: „Glaubst du, ich bin schuld?“
Merlin drehte den Kopf, bis er ebenfalls auf den Handybildschirm sehen konnte, dann sagte er mit fester Stimme: „Nein, niemand ist schuld. Nur sie allein.“
„Meinst du?“, fragte Aya.
Merlin zuckte mit den Schultern und nahm den Arm der sie streichelte, herunter, um ihn um ihre Hüfte zu legen. „Ich denke, sie war zu dumm um sich Hilfe zu suchen, hat sich vor allem und jedem verschlossen und vermutlich wollte sie sich auch gar nicht helfen lassen. Ich denke auch, niemand hätte sie aufhalten können. Nicht einmal du als ihre Schwester.“ Seine Worte waren bitter, doch Aya wusste, dass er schon immer eine drastische Ansicht hatte, was ihre Schwester anging. Er wollte gerne helfen, ebenso wie sie selber, aber sie ließ es einfach nicht zu und man bekam mit der Zeit das Gefühl, sie wollte es auch nicht zulassen.
Aya drehte den Kopf, und nuschelte in seine Haare: „Sie hat mich immer wieder gebeten mit ihr zu schreiben, sie hat sich vernachlässigt und alleingelassen gefühlt, weil ich nur Abends mit ihr geschrieben habe… ich…“ Sie schluckte und blinzelte nun doch aufkommende Tränen weg: „Ich fühle mich schuldig.“ Merlin setzte sich auf und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Rau legten sie sich auf ihre Wangen und zwangen sie, ihm ins Gesicht zu sehen: „Schatz! Du bist nicht schuld.“ Seine Augen suchten ihre und fingen ihren Blick ein. „Wenn sie gewollt hätte, dass du etwas weißt, dann hätte sie dir das gesagt. Hör auf so zu denken.“
Aya lief eine Träne aus dem Augenwinkel: „Sie war meine Schwester...“
„Ja.“, sagte Merlin.
„Sie ist gesprungen...“
Er küsste ihre Träne weg und zog sie an sich: „Schatz, alles wird gut.“ Jetzt endlich rannen ihr die Tränen über die Wangen und sie zitterte in seiner Umarmung: „Man hat… man hat sie vom Boden aufsammeln müssen. Geplatzt!“ Ihre Stimme brach und war kaum zu verstehen. Merlin fragte nicht nach was sie gesagt hatte. Es war nicht richtig. Stattdessen strich er ihr einfach über den Hinterkopf und küsste ihr Ohr.
„Sie werden mich befragen. Als Zeugen. Bestimmt.“ Sie wischte sich eine Träne weg, ehe sie in das Shirt ihres Freundes tropfte.
„Die Polizei?“, harkte er nach.
„Ja.“, nickte Aya . „Ich weiß doch nichts und das tut mir so leid. Ich bin ihre beste Freundin gewesen und kann nicht einmal ein kleines bisschen dabei helfen, ihren Selbstmord zu klären!“
Sie zog die Nase hoch und schwieg bebend vor Trauer und nun auch vor aufgekommener Wut.