Vampire Chronicles - Das Verschwinden - Karla Nikole - E-Book

Vampire Chronicles - Das Verschwinden E-Book

Karla Nikole

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Beschreibung

Sie sind über hundert Jahre alt, doch die wahre Liebe finden sie erst jetzt

Nino Bianchi und Haruka Hirano gehören als Nachkommen zweier der ältesten reinblütigen Vampir-Familien zur Elite ihrer Gesellschaft. Doch ihr sozialer Status kümmert die beiden gerade überhaupt nicht. Denn nach Jahrzehnten der Einsamkeit haben sie im anderen endlich ihr Gegenstück gefunden: die Person, die sie vervollständigt und all die Narben auf ihren Herzen verblassen lässt. Spätestens seit dem Ritual der Verbindung haben sie daher nur noch Augen füreinander. Aber als plötzlich auf der ganzen Welt hochrangige alte Vampire verschwinden, werden Nino und Haruka darauf aufmerksam. Denn schon vor fast zweihundert Jahren gab es ähnliche rätselhafte Vorkommnisse, die in den Chroniken der Vampire nur als "Das Verschwinden" beschrieben wird. Und als ein plötzliches "Verschwinden" sie persönlich betrifft, legen sie alles daran, diesen Geschehnissen Einhalt zu gebieten.

Band 2 der LORE-AND-LUST-Dilogie

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Seitenzahl: 443

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Karla Nikole bei LYX

Impressum

KARLA NIKOLE

Vampire Chronicles

DAS VERSCHWINDEN

Roman

Ins Deutsche übertragen von Bianca Dyck

Zu diesem Buch

Nino Bianchi und Haruka Hirano gehören als Nachkommen zweier der ältesten reinblütigen Vampir-Familien zur Elite ihrer Gesellschaft. Doch ihr sozialer Status kümmert die beiden gerade überhaupt nicht. Denn nach Jahrzehnten der Einsamkeit haben sie im anderen endlich ihr Gegenstück gefunden: die Person, die sie vervollständigt und all die Narben auf ihren Herzen verblassen lässt. Spätestens seit dem Ritual der Verbindung haben sie daher nur noch Augen füreinander. Aber als plötzlich auf der ganzen Welt hochrangige alte Vampire verschwinden, werden Nino und Haruka darauf aufmerksam. Denn schon vor fast zweihundert Jahren gab es ähnliche rätselhafte Vorkommnisse, die in den Chroniken der Vampire nur als »Das Verschwinden« beschrieben wird. Und als ein plötzliches »Verschwinden« sie persönlich betrifft, legen sie alles daran, diesen Geschehnissen Einhalt zu gebieten.

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

1

Anfang April

Es ist Mitternacht und Haruka sieht bewundernd dabei zu, wie Nino aus dem Badezimmer tritt. Dessen honigfarbene Haut strahlt ihren sinnlichen Duft von Zimt und Mahagoni aus, während das Licht einen engelsgleichen Schein auf seine wohlgeformten nackten Schultern wirft.

»Grazie per avere aspettato, tesoro.« Grinsend klettert Nino auf das Bett und schlägt die in lockere Jogginghosen gekleideten Beine unter.

Danke fürs Warten, Schatz, übersetzt Haruka in Gedanken, während er sich aus seiner seitlich liegenden Position erhebt, um sich der Haltung seines Gefährten vor ihm anzupassen. Nino beißt sich auf die Lippe. Da hebt Haruka eine Augenbraue. »Was ist denn?«

Nino greift mit der Hand an den großen Haarknoten in Harukas Nacken. Er löst das Band, zieht es nach vorne und erlaubt der schweren Fülle an Haar sich zu entfalten und auf Harukas Schultern herabzufallen. Mit den Fingern kämmt Nino die Haarspitzen. »Es ist so verdammt lang, Haru – und dick. Herrgott … Unglaublich. Wann wird dein Barbier es abschneiden, um es zu spenden?«

»Vielleicht in einem Monat?«, vermutet Haruka. Es ist eine wohltätige »Strafe« dafür, dass er zu bequem gewesen ist, sich die Haare schneiden zu lassen. Immer wenn er zu lange damit wartet, besteht sein Barbier darauf, es wachsen zu lassen, um es kranken Menschenkindern zu spenden. Seltsamerweise gibt es einen umfangreichen, weitgefächerten Markt für das Haar von reinblütigen Vampiren. »Bist du so weit?«, fragt Haruka. »Du wolltest mir etwas zeigen?«

»Ja«, antwortet Nino. »Sieh her.« Er hebt die flache Hand zwischen ihnen an. Das natürliche, strahlende Bernstein seiner Augen erglüht nun in einem lebhaften Rotorange. Die Farbe erinnert Haruka an einen lodernden Sonnenuntergang. Es ist die Farbe ihrer Liebe, ihrer einzigartigen Verbindung und gemeinsamen vampirischen Essenz.

Die Hand weiterhin geöffnet spannt Nino die Finger an. Als seine Kuppen rotorange zu leuchten beginnen, keucht Haruka. »Siehst du? Ich kann meine Energie ein wenig isolieren. Du beklagst dich ständig darüber, dass ich unsere Meditationen nicht ernst nehme. Aber ich mache Fortschritte.«

»Ich beklage mich nicht.« Haruka hebt das Kinn. »Ich ermutige dich … mit aller Leidenschaft.«

Nino lacht. »Genau.« Er streicht mit den Fingerspitzen über Harukas Kiefer. Ninos Berührung ist warm und sprudelnd, sie spiegelt seine innere Natur wider. Er streicht Haruka das Haar beiseite, streichelt über dessen Nacken und die zarten Erhebungen seiner oberen Wirbelsäule. Das Gefühl beruhigt Haruka und lässt seine Lider schwer werden.

»Ich kann sie immer noch nicht nach außen schieben, um irgendwas zu manipulieren«, sagt Nino leise mit sanfter Stimme. »Ich fühle mich ein bisschen wie E. T., aber es ist besser als nichts.«

Haruka öffnet die Augen, sein Blick ist ausdruckslos. Nino macht einen Schmollmund. »Haruka …«

»E. T. ist …« Er blickt zur Seite, während er hastig die überfüllten Ordner in seinem Kopf durchgeht. »Ein Tier … nein. Ein … Alien? Aus einer Fernsehserie für Kinder. Einem Film. Ich weiß, worauf du anspielst. Ehrlich.«

Nino erhebt sich und beugt sich vor, um einen flüchtigen Kuss auf Harukas Nase zu drücken. »Was habe ich doch für einen wunderbaren Gefährten, der mir zuhört, wenn ich über triviale Dinge rede. Womit habe ich so ein Glück nur verdient?«

»Die Freisetzung deiner Aura ist ein großartiger Fortschritt. Sie mit demselben Level an Beherrschung nach außen zu schieben wird unser nächstes Ziel sein. Meine Hoffnung ist, dass du defensive Fähigkeiten erlernst, so simpel sie auch sein mögen.«

»Ich weiß nicht, ob meine Aura dafür gemacht ist, Haru.«

»Meine Essenz in deinem Inneren gibt dir zweifelsohne das Potenzial dazu. Es ist nur eine Frage der Absicht und des Fokus, damit du dann die Kraft deinen persönlichen Fähigkeiten entsprechend formen kannst. Sollen wir jetzt meditieren, um es zu üben?«

Nino rümpft die Nase und kratzt sich den kupferbraunen Hinterkopf. Sein Haar ist an den Seiten kurz, aber das wellige Haupthaar trägt er länger. Modern, akkurat und schlicht. »Wir können es versuchen?«

Nachdem Haruka Nino das Haarband aus den Händen genommen hat, bindet er seine dunklen Strähnen wieder in einem tiefen Knoten zusammen. Sobald dieser fest sitzt, hebt er die Handflächen zwischen sie, während seine Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ruhen und sein Rücken gerade aufgerichtet ist. Nino atmet tief durch, bevor er nach seinen Händen greift.

Haruka entspannt sich, schließt die Augen und öffnet Nino seinen Geist. Das Ziel besteht darin, die vereinte Energie so zu kalibrieren, dass sie sie gemeinsam manipulieren können. Haruka versteht sich hervorragend darauf, seine Aura zu kontrollieren, was es ihm ermöglicht, sie auf vielfältige Art sehr präzise einzusetzen. Indem sie ihre Geister fokussieren und verbinden, kann er Nino dazu hinleiten, dies ebenfalls zu können.

Das haben sie schon unzählige Male versucht, aber ihre Experimente wurden immer vorzeitig beendet … Auf die eine oder andere Art.

Haruka atmet tief ein, leert seine Gedanken vollkommen und konzentriert sich auf die stürmische Energie seiner vampirischen Essenz tief in seinem Inneren. Ihre Wärme schwillt an und pulsiert außerhalb seines Körpers und lässt seine Augen hinter den geschlossenen Lidern hell erstrahlen.

Nun lenkt er seine Aufmerksamkeit auf die Stärke von Ninos Händen in seinen eigenen und reckt sich ihm mental entgegen. Als seine andere Hälfte – als fundamentaler, aber dennoch eigenständiger Teil von ihm.

In dieser Robe sieht er so sexy aus … Ist sie neu? Warum riecht er nur immer so verdammt gu…

»Nino.«

»Sorry.«

Einatmen, ausatmen und Haruka schiebt seine Aura weiter hinaus. Ninos Essenz wirbelt warm und lebhaft in die Ausuferung von Harukas kühler Energie. Haruka manipuliert seine Essenz so, dass sie eine große Kugel um sie herum bildet und es Nino erlaubt, seine eigene Aura hineinfließen zu lassen und die Form auszufüllen – sie idealerweise zu imitieren. Ninos Gedanken hallen wie ein Flüstern in Harukas Geist wider.

Eine Kugel … Form eine Kugel …

Haruka öffnet die glühenden Augen. Nino hält seine weiterhin geschlossen, die Augenbrauen hat er in strenger Konzentration zusammengezogen.

Und er ist nackt – Lass das. Kugel, Nino … Gott, er riecht unglaublich – Mist. Kugel.

Wie wenn ein Ballon platzt, löst Haruka abrupt den Griff von ihrer vereinten Energie. Ihr leuchtend rotoranges Licht glimmt und verglüht. Mit einem entschuldigenden Ausdruck im Gesicht öffnet Nino die bernsteinfarbenen Augen.

Noch bevor er die Worte aussprechen kann, verringert Haruka die Distanz zwischen ihnen und küsst ihn. Er lässt die Hand an Ninos Kopf gleiten und vergräbt die Finger in seinem dichten Haar, bevor sie sich darin verfangen. Haruka legt den Kopf schief, öffnet den Mund weiter, um Nino zu ermutigen, ihn hineinzulassen – um ihn voll und ganz zu spüren und zu kosten.

Nino zu küssen ist überwältigend, von einer Wucht, als würde man von einem sprudelnden, lodernden Tornado mitgerissen. Wenn Ninos Mund sich auf seinem befindet, ist es, als würde Haruka durch die Luft getragen und über einen roten Himmel der Wärme und Leidenschaft fliegen. Dabei verliert er sowohl das Gefühl für sich selbst als auch den Verstand.

Die Hände weiterhin in Ninos Haar vergraben, lässt er sich zurückfallen und zieht ihn mit auf das Bett. Er muss dessen Schwere auf sich spüren. Haruka lässt die Beine auseinanderfallen, sodass Nino zwischen ihnen Platz findet. In dem Moment, in dem Nino auf ihm liegt, vereinen sich ihre Lippen erneut zu einer leidenschaftlichen Explosion: Zungen winden sich und gleiten aneinander, hungrig und forschend. Er küsst Haruka gierig, als würde sein Verstand auf dem Spiel stehen. So als wäre der Geschmack und das Gefühl seines Mundes Ninos einziger Trost in Anbetracht vollkommenen Wahnsinns.

Nachdem Nino den Gürtel von Harukas Robe gelöst hat, hebt er sich an, um die Hand zwischen ihre Körper gleiten zu lassen und den Stoff beiseitezuschieben. Dann streicht er sanft mit den Fingerspitzen entlang der Mitte von Harukas Bauch. Er streift seinen Nabel, und Haruka seufzt und windet sich angesichts der Aussicht, dass Nino die Hand weiter sinken lässt.

Nino hebt den Kopf, wobei er den Kuss löst, und spricht mit gesenkter Stimme. »Ich habe mich nicht konzentrieren können … wieder mal.«

»Habe ich gehört«, haucht Haruka.

»Vielleicht …« Nino lässt den Kopf sinken, um Küsse auf Harukas Kiefer zu verteilen. »Bekomme ich heute Abend frei? Weil ein besonderer Tag ist.«

Haruka lässt die Hände an Ninos festem Rücken hinaufgleiten, dabei liebkost er die glatten Konturen der fein definierten Muskeln. »Ach ja?«, fragt er.

»Ich weiß, in unserer Kultur legen wir den Fokus für gewöhnlich auf hundertjährige Meilensteine, aber … heute ist unser einjähriges Jubiläum, Tesoro.«

Grinsend fährt Haruka die sanfte Rundung von Ninos Rücken nach. »Ist es bereits ein ganzes Jahr?«

»Mmhm. Asao hat deinen Terminkalender für heute Abend freigehalten, oder?«

»Ich denke schon.«

»Ich werde ein Abendessen für dich kochen«, flüstert Nino, bevor er sich herabbeugt, um ihre Nasen aneinanderzureiben. »Das Menü ist eine Überraschung. Und ich habe den Merlot gefunden, den wir getrunken haben, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Erinnerst du dich? Du bist in meine Bar spaziert und ich habe ganz vergessen, wie man atmet, als ich dich gesehen habe.«

Die Schmetterlinge in Harukas Bauch flattern umher, als er das Kinn hebt, um Ninos volle Lippen mit seinen zu verbinden. Er küsst ihn zweimal, bevor er sich wieder auf das Bett sinken lässt. »Das tue ich. Ich liebe es, wenn du für mich kochst.«

»Freu dich schon mal drauf.« Strahlend kniet sich Nino auf alle viere und blickt zu dem Nachtschrank neben dem Bett. »Hast du die neue Flasche in deinen oder meinen Schrank gelegt?«

»Deinen.«

Nino beugt sich an Harukas Kopf vorbei nach vorn und Haruka bewundert die ausgeprägten Linien seines Torsos. Beobachtet, wie sie sich bewegen und dehnen, während er sich streckt, um die Schublade zu öffnen. Ninos Körper ist von erlesener Schönheit, wie die Marmorstatue eines jungen griechischen Gottes, nur in goldenen Honig getaucht.

Nino hält erstarrt inne. »Du … Da … ist eine Ringschatulle drin.«

»Vielleicht solltest du sie öffnen?«

Einen Moment lang verharrt Nino regungslos, wobei er seinen Blick von Harukas Gesicht zur offenen Schublade huschen lässt. Dann beugt er sich weiter vor und greift nach der kleinen schwarzen Schachtel, bevor er wieder zurückklettert und sich auf die Unterschenkel setzt. Haruka richtet sich vor ihm auf.

Nino konzentriert sich auf die Schachtel aus Wildleder, seine Schultern heben und senken sich bei jedem Atemzug. Er versucht ruhig zu bleiben, doch Haruka kann die stille Freude spüren, die er ausstrahlt. Dann öffnet er die Schachtel und die beiden schön polierten Ringe, die Haruka ausgesucht hat, glänzen in dem gedämpften Licht.

»Gefallen sie dir?«, fragt Haruka.

»Ich …« Nino nimmt einen tiefen Atemzug und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich liebe sie. Haru, ich … Als ich davon gesprochen habe, schienst du mir nicht interessiert.«

»Ich bin an allem interessiert, was dir Freude bereitet«, sagt Haruka und nimmt Nino das Etui ab. Ringe auszutauschen und sie zu tragen, ist ein Menschen-Brauch, etwas, das unter verbundenen Paaren eher selten ist. Alles zwischen Vampiren ist organisch – die biologische Anziehung und die Verbindung dominieren alles andere und bedürfen keines materiellen Schnickschnacks und keiner Symbolik.

Doch wenn es seinen Gefährten glücklich macht, dann soll es so sein.

Haruka holt Ninos Ring aus der kleinen Halterung in der Schachtel. Das schwarze, glänzende Metall ist kühl an seiner Haut und das aufwendig gearbeitete Bernstein-Inlay spiegelt die Augen seines Ehemanns wider. Er greift nach Ninos Hand. »Mir ist bewusst, dass es unerwartet gekommen ist, als wir uns letztes Jahr verbunden haben … Mein Verhalten in dem Moment hat einiges zu wünschen übrig gelassen.«

Vorsichtig schiebt er den Ring auf Ninos Finger. Er sitzt perfekt. »Ich … Ich bin nicht gut darin, Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Aber du sollst wissen, dass du mich wieder zum Leben erweckt hast – du hast mich aus einem Ort der Bitterkeit und Einsamkeit geholt. Du warst mir gegenüber in deiner Güte immer aufrichtig. Und ich … Vielleicht werde ich niemals zum Ausdruck bringen können, wie dankbar ich dir bin. Wie sehr ich dich liebe.«

Haruka atmet tief durch, das Herz schlägt ihm bis zum Hals. So zu sprechen – freimütig und emotional – fällt ihm schwer. Daran ist er nicht gewöhnt, aber er möchte versuchen, offener und direkter zu sein, so wie sein Gefährte. »Danke, dass du mich gewählt hast. Dass du mich liebst«, sagt er und sieht Nino abwartend an.

Der schließt verzückt die Augen und lässt sich einfach auf die Matratze fallen – mit vollem Gewicht. Dann rollt er sich auf den Rücken und drückt die Hand mit dem Ring auf sein Gesicht. Haruka beugt sich über ihn. »Nino, was ist los?«

Er ergreift Ninos Handgelenk und zieht ihm die Hand von der Stirn. Sein gewelltes Haar ist wirr und seine honigfarbene Haut erhitzt. Tränen haben sich in seinen mandelförmigen Augen gesammelt und fließen nun aus den Winkeln hinab.

Haruka beugt sich hinunter, wischt und tupft mit den Fingerspitzen über die Tränen. »Mein Liebling, warum bist du so aufgewühlt?«

Keuchend hebt und senkt sich Ninos Brust. »Ich bin nur … ein wenig überwältigt.«

Haruka nickt verständnisvoll. »Das ist meine Schuld. Wenn ich dir solche Dinge häufiger sagen würde, dann würdest du nicht so heftig reagieren.«

»Haru, ich … Ich liebe dich mehr, als ich jemals sagen kann. Du ermutigst mich dazu, selbstbewusst zu sein und bist immer so geduldig. Ich danke dir dafür, dass du mir dein Herz anvertraust … Dass du dich mir schenkst.«

Haruka beugt sich hinunter und küsst Nino sanft auf die Lippen, während er die Hände an sein tränenverschmiertes Gesicht legt. »Willst du mir meinen Ring anstecken?«, fragt er. Nino nickt an der Matratze. Haruka greift nach der Schachtel, öffnet sie und reicht seinem Partner den Ring. Im Liegen hält Nino sich Harukas Hand vor das Gesicht und lässt den Ring auf den entsprechenden Finger seiner linken Hand gleiten.

Dann hebt er die Hand und greift den Kragen von Harukas Robe, um ihn zu sich hinunterzuziehen. Erneut entfernt er das Band aus Harukas Haar, sodass es in einer schwarzen Welle nach vorne fällt. Nino lässt seine Finger hindurchgleiten und streicht es Haruka aus dem Gesicht, während er ihn zu sich nach unten zieht, um seine geöffneten Lippen zu berühren.

Er küsst Nino. Die Bewegungen seines Gefährten sind so langsam und bedacht, dass Harukas Brust sich verengt. Als sie den Kuss unterbrechen und ihre Augen glühen, blicken sie einander in der warmen Dunkelheit an. Ninos Blick, der einem Sonnenuntergang gleichkommt, ist zärtlich, aber unverwandt. »Wirst du jetzt bitte Sex mit mir haben?«

Haruka beißt sich auf die Lippe. Er ist nicht sicher, ob er jemals so direkt sein wird, aber wenn es seinen Gefährten glücklich macht, dann soll es so sein.

2

Es ist Morgen und Nino betritt die Küche, in der Haruka bereits mit Junichi am Tisch sitzt. Die Türen, die hinaus in den Garten führen, sind geöffnet und erlauben der kühlen, süßen Luft und dem frühlingshaften Sonnenlicht den Raum zu durchdringen.

Während er sich auf die Küchenzeile zubewegt, kennt er nur ein Ziel: Die Kaffeekanne. Er lächelt in die Richtung der beiden Vampire. »Hey, Jun.«

Der große und attraktive Vampir der Ersten Generation mit der warmen mandelbutterbraunen Haut hebt grinsend den Blick, seine Augen haben die Farbe von schwarzem Marmor. Der ortsansässige Schneider und Designer von Okayama Junichi Takayama ist charmant. Nino kommt er wie ein männlicher Pfau vor, nur dass seine Federn vollkommen schwarz sind. Wenn das Licht auf ihn fällt, blitzt sein dunkles Federkleid wie eine schillernde Flüssigkeit auf.

»Guten Morgen, Nino.« Junichi nickt ihm zu, sein Englisch ist fließend und unbeeinträchtigt von seiner Muttersprache, genau wie bei Haruka. »Dein Ehemann und ich befinden uns in einer Sackgasse. Vielleicht kannst du uns helfen?«

»Was ist denn?« Nino gießt sich Kaffee ein. Er hat Junichi einmal gesagt, dass dieser ruhig Japanisch sprechen kann, wenn er sie zu Hause besucht – und sich nicht der Gewohnheit des Haushaltes anpassen muss, Englisch zu sprechen – aber er hat gelassen abgelehnt und behauptet, es wäre so »unterhaltsamer«.

»Es geht um die Hamamoto-Iseki-Hochzeit in sechs Monaten«, erklärt Junichi. »Wir können uns nicht entscheiden, ob Haruka einen Anzug oder traditionelle Kleidung tragen soll. Welche Wahl würdest du bevorzugen?«

Wartend hebt Junichi eine Augenbraue, während Haruka mit verschränkten Armen am Kopfende des Tisches sitzt und den Blick fokussiert auf den Brief vor sich gerichtet hat.

Nino stützt sich mit den Ellenbogen auf die Arbeitsplatte und hält die warme Tasse Kaffee mit den Fingern umschlossen. »Also, in einem Kimono sieht er majestätisch aus … aber modern und sexy in einem Anzug. Ich mag beides. Vielleicht bevorzuge ich den Kimono ein wenig? Oh, weißt du, was noch besser ist? Ein Yukata. Darunter ist er immer nackt. Nur eine Schicht.«

Junichi lacht. Haruka schüttelt den Kopf. Grinsend führt Nino die Tasse an seine Lippen. Immer wenn Haruka traditionell gekleidet ist, fühlt sich Nino, als wäre er mit einer dieser elegant zurückgelehnten Figuren auf einem Ukiyo-e Holzschnitt verbunden – vor allem jetzt, da sein Haar so lang und spektakulär ist.

»Das waren eine Menge Informationen.« Junichi grinst frech. »Ein Yukata ist nicht formell genug für eine Hochzeit, aber deine Vorliebe ist vermerkt. Vielleicht fertige ich ihm diesen Monat noch einige neue Roben an, bevor ich nach Europa fliege?«

Nino fühlt sich, als hätte er etwas beigetragen und strahlt. »Du wirst für drei Monate verreisen, richtig?«

»Genau. Meine ausländischen Kunden erwarten, dass ich die Ware persönlich abliefere.«

»Du bist unglaublich und einfach großartig, Jun. Alles, was du für Haruka anfertigst, passt perfekt zu ihm. Mein liebstes Teil war der Kimono, den du für seine Willkommensfeier letztes Jahr entworfen hast … Vielleicht sollte ich auch einen zur Hochzeit tragen?«

»Das wäre eine Möglichkeit.« Junichi blinzelt nachdenklich. »Ich werde über ein Design nachdenken, das zu dir passt.«

»Haru hat so viele, soll ich einfach einen von seinen anprobieren?«

»Auf gar keinen Fall. Ihr habt zwar dieselbe Größe, aber deine Schultern sind breiter und runder. Durch dein Training hast du eine definiertere Statur. Ich werde dich auf keinen Fall in einem zu engen, schlecht sitzenden Kimono herumlaufen lassen.«

Haruka lacht. Der tiefe, kehlige Klang erschreckt sowohl Junichi als auch Nino und sie wenden ihm ihre Aufmerksamkeit zu. »Entschuldigt bitte.« Er lächelt. »Die Vorstellung dieses Szenarios hat mich überrumpelt.«

»Willkommen im Gespräch, Tesoro.« Nino geht ans Ende der Küchenzeile, wo er sich mit der Hüfte anlehnt. »Was liest du da?«

»Eine förmliche Anfrage für einen Besuch.« Haruka zieht die dunklen Augenbrauen zusammen und atmet tief ein, seine Heiterkeit ist verflogen.

»Von jemandem, den du nicht magst?«, fragt Junichi.

»Von jemandem, den ich nicht kenne und von dem ich noch nie gehört habe.« Haruka hebt den Blick und sieht mit seinen burgunderroten Augen in Ninos Richtung. »Schenkst du mir bitte auch eine Tasse ein?«

Nino nickt und dreht sich dem Schrank zu, um eine herauszuholen. »Was ist die Absicht des Besuchs?«

»Eine Vorstellung.« Haruka verschränkt die Arme. »Der Vampir heißt Lajos Almeida, der zweifelsohne mit Ladislao Almeida aus Rio de Janeiro verwandt ist. Aber ich habe noch nie gehört, dass ein solcher Vampir zum Geschlecht dieses Clans gehört.«

Angespannt kommt Nino mit dem Kaffee für seinen Partner um den Tresen. Angesichts der Tatsache, dass sowohl Gael als auch Ladislao letztes Jahr verschwunden sind, fühlt es sich wie ein schlechtes Omen an, jemanden in ihrem Heim willkommen zu heißen, der dem Almeida-Clan angehört.

»Warum sollte jemand aus dem Almeida-Clan dich treffen wollen?«, fragt Junichi. »Ich sage es nur ungern, aber nachdem Ladislao verschwunden ist, hat sich die Situation in Brasilien beruhigt. Es ist offensichtlich, dass er die Wurzel allen Übels war. Verrückter Mann …«

»Du bist ihm begegnet?«, fragt Nino.

»Ja. Nur einmal, aber er hinterlässt einen bleibenden Eindruck.«

»Es besteht eine Verbindung zwischen uns«, sagt Haruka, während er den Kaffee von Nino entgegennimmt. »Wir sind letztes Jahr jemandem begegnet, der für den Almeida-Clan gearbeitet hat. Es hat eine Auseinandersetzung bezüglich der Forschung meiner Familie gegeben. Aber dann ist er verschwunden und seitdem habe ich ihn weder gesehen, noch von ihm gehört.«

Wie benebelt setzt Nino sich neben Haruka an den Tisch. Er spricht von Gael Silva, einem großen, tyrannischen Vampir der Ersten Generation, den sie vor über einem Jahr in England getroffen hatten. Er hatte Haruka angegriffen, nachdem er von Lore and Lust – einer beeindruckenden Sammlung von Berichten zur Bildung von vampirischen Verbindungen – erfahren hatte. Die Forschung ist von unschätzbarem Wert, weil sie einer geheimnisumwobenen Thematik Form verleiht.

Gaels drastische Reaktion hatte sowohl Nino als auch Haruka davon überzeugt, dass sie es vermeiden sollten, die Existenz des Manuskripts zu erwähnen. Jedenfalls Fremden gegenüber.

Mit den Fingerspitzen zieht Nino die Anfrage in sein Blickfeld, um sich über die Details zu informieren. Das Gesuch ist für in einem Monat datiert – das absolute Minimum an Zeit, das in Bezug auf förmliche Anfragen an Reinblüter noch als angebracht gilt. Nino schiebt den Brief weg, sodass er in der Mitte des Tisches liegt, und fühlt sich durch die düstere Vorahnung beunruhigt, die von ihm ausgeht.

Junichi nimmt sich den Brief, um ihn ebenfalls zu lesen, sein schwarzer Blick fliegt über das Papier. Dann hält er ihn sich vor die Nase. »Duftet intensiv … nach Salbei. Dieser Lajos ist vermutlich reinblütig?«

Haruka atmet geräuschvoll aus. Sorge steht ihm ins Gesicht geschrieben. »Sieht ganz so aus.«

»Mir gefällt das nicht.« Nino schüttelt den Kopf. »Wie hat er uns überhaupt gefunden? Als wir unsere Verbindung haben registrieren lassen, habe ich sichergestellt, dass alle unsere Angaben geheim bleiben. Wenn man online nach uns sucht, findet man nichts.«

»Oh, ihr beiden habt eure Verbindung bei den Menschen registrieren lassen?«, fragt Junichi. »Die meisten verbundenen Paare machen sich gar nicht die Mühe.«

Haruka hebt seine Kaffeetasse an die Lippen. »Mein Gefährte ist von sorgfältiger Natur – weitaus mehr als ich.«

»Es … ist einfach sinnvoll?« Nino grinst peinlich berührt. Die Entscheidung ist ungewöhnlich. Doch Nino erscheint es praktischer, wenn sie – für den Fall, dass etwas Ernstes passiert – rechtlich gesehen die Verantwortung füreinander tragen. Ohne Wenn und Aber.

Er sieht auf seine linke Hand auf dem Tisch hinunter und krümmt die Finger. Ein weiterer ungewöhnlicher Wunsch. Er seufzt, sein Herz fühlt sich angesichts des Ringes an seinem Finger ganz leicht an. Er ist aus schwarzem Zirkon, aber das Inlay besteht aus einem Bernsteinrelief. Er ist perfekt und sieht aus wie etwas, das sich in einem dichten Regenwald gebildet hat … Vielleicht sogar hinter einem Wasserfall verborgen war.

Die Erinnerung an Harukas Worte und verführerische Handlungen gestern Nacht, verursachen einen Rausch warmer Gänsehaut in Nino. Wenn Haruka sich gehen lässt, erinnert er Nino an einen Panther – dunkel, verführerisch und hingebungsvoll in jeder seiner Bewegungen. Er hat mehr als nur das gegeben, worum er gebeten wurde.

»Als ich dich letztes Jahr auf der Willkommensfeier getroffen habe, war mir sofort klar, dass du ein Vampir mit einem Plan bist.« Neckisch hebt Junichi eine Augenbraue in Ninos Richtung.

Nino schüttelt den Kopf. »Nein, I-ich habe nicht … nicht direkt …«

»So wie Haruka ohne weitere Frage deine Hand genommen und zugelassen hat, dass du ihn in den Wald entführt hast, hat Bände gesprochen.«

»Wir sind nicht in den Wald gegangen.« Haruka runzelt die Stirn.

»Alle waren ganz außer sich«, sagt Junichi. »›Wer ist dieser atemberaubende Vampir, der einfach hier reinspaziert kommt und sich unser Oberhaupt unter den Nagel reißt?‹«

»Sie haben sich beim ersten Versuch verbunden …«

»Asao.«

Harukas Bediensteter betritt das Zimmer – mit seinem graumelierten Haar, den breiten Schultern und hoch erhobenem Kopf. Trotz Harukas gerunzelter Stirn grinst der ältere Vampir und greift sich die Kaffeekanne. »Jun, hat er dir je erzählt, wie er anschließend ausgeflippt ist? Und das Haus demoliert hat?«

»Asao, diese Information ist jetzt nicht gerade angebracht«, mahnt Haruka.

»Es ist Euer Jahrestag.« Ungeniert zuckt Asao mit den Schultern. »Da ist es angebracht, über Vergangenes nachzudenken. Seitdem seid Ihr weit gekommen. Nicht, Nino?«

Nino kratzt sich den Hinterkopf. »Bitte … halte mich aus diesem Gespräch raus.« Haruka und Asao haben eine besondere Beziehung. Asao ist wesentlich älter und aus der Dritten Generation, seine reinblütige Vampirherkunft ist zweiten Grades. Als Haruka zwölf war, sind seine Eltern gestorben und Asao wurde als Vormund eingesetzt.

Die beiden Vampire erscheinen mehr wie ein neckender Vater und sein peinlich berührter Sohn, als wie Bediensteter und Herr. Als Nino und Haruka ihren Haushalt zusammengelegt haben, hat Nino schnell gelernt, bei solchen Meinungsverschiedenheiten den Mund zu halten.

»Alles Gute zum Jahrestag.« Junichi lächelt. »Wow. Beim ersten Versuch? So was kommt nie vor. Ihr beiden wart füreinander bestimmt. Es war Schicksal.«

»Das denke ich auch …« Nino lässt den Blick schweifen und begegnet Harukas weinroten Augen. »Aber mir wird immer gesagt, ich sei ein ›Romantiker‹.«

Haruka streckt die Hand aus und umfasst Ninos, bevor er sie an seinen Mund führt. »Ich bin dankbar dafür, dass der umwerfende und romantische bernsteinfarbene Vampir stets so geduldig mit seinem pragmatischen Gefährten ist.« Er hält den Blickkontakt aufrecht, während er die Lippen auf Ninos Finger drückt. In Ninos Bauch kribbelt es.

»Wir müssen in den nächsten fünf Minuten los, damit wir pünktlich beim Anwesen des Fujihara-Clans ankommen«, sagt Asao, bevor er einen Schluck von seinem Kaffee nimmt. Haruka tut es ihm gleich und steht dann auf.

Nino sieht zu ihm hoch. »Ich werde gegen sieben zurück sein, um mit dem Abendessen anzufangen.«

Nickend schiebt Haruka den Stuhl an den Tisch und stellt sich neben Nino. Er beugt sich herunter und drückt ihm zwei flüchtige Küsse auf den Mund. »Viel Glück in Osaka heute.«

»Danke.« Nino grinst. »Viel Glück mit der Übersetzung.«

Haruka stellt sich wieder aufrecht hin und reckt das Kinn in Richtung Junichi. »Kimemashita. Suitsu ja nakute, kimono wo kimasu. Jaa, mata atode.«

Junichi antwortet mit einem entschiedenen Nicken, bevor er Nino zuzwinkert. »Yappari kimono desu yo ne. Dewa boku ga tsukarasete itadakimasu. Steht das Mittagessen am Samstag noch?«

»Das tut es«, bestätigt Haruka. Er begibt sich zur Tür und Nino sieht ihm hinterher, um festzustellen, wie hochgewachsen und elegant er in seinen dunklen Anzughosen aussieht. Er trägt ein weißes Hemd mit einem dezenten Muster unter einem schicken grauen Pullover. Die schwere Fülle seines glänzenden Haares hat er ordentlich zurückgebunden. Der Inbegriff eines Historikers auf dem Weg zu seinen Forschungen.

»Bist du den Fujiharas mal begegnet?«, fragt Junichi, als sie alleine in der Küche sind. »Es ist die Familie mit den Zwillingen.«

»Ja …«, sagt Nino. Er weiß, wer sie sind, denn sie haben ihm unwissentlich etwas Wichtiges offenbart. Etwas, an dem er insgeheim zu knabbern hat, seitdem er gesehen hat, wie sein Gefährte mit den Zwillingen umgegangen ist. Nino ist immer noch verblüfft darüber, wie ruhig und liebevoll Haruka sich verhalten hat. Er weiß, wie zärtlich sein Gefährte sein kann. Aber ihn mit Kindern zu sehen hat Nino eine neue, verborgene Seite von Harukas Charakter gezeigt.

»Ich habe sie vor einigen Monaten getroffen«, sagt Nino, behält die Offenbarung bezüglich seines Partners jedoch für sich. »Sie wirken nett. Sie sind beide Erste Generation, richtig?«

»Ja, sie sind großartig. Und ihre Kinder sind besessen von Haruka. Eine überaus interessante Familie. Soras reinblütiger Vater ist dem Großen Verschwinden zum Opfer gefallen. Sie sagte, er hat sie eines Nachmittags auf einer Schaukel angeschubst und dann puff, als sie sich umgesehen hat, war er verschwunden. Sie war zu dem Zeitpunkt vielleicht fünf? Sie ist alleine nach Hause gegangen, und als sie dort ankam, war ihre Mutter vor Schmerz über die plötzliche Trennung von ihrem Gefährten zusammengebrochen. Nur eine Woche später verstarb sie.«

Allein die Erwähnung des Großen Verschwindens lässt Nino schaudern. Dabei handelt es sich um ein unerklärtes kulturelles Ereignis, das beinahe zwei Jahrhunderte zuvor stattgefunden hat. Etliche Reinblüter aus verschiedenen Gemeinden auf der ganzen Welt sind nach und nach verschwunden – aufgelöst wie Nebel im Wind. Ohne Erklärung. Selbst so viele Jahre später gibt es keine. Mit dem Ergebnis, dass die gesamte Population von reinblütigen Vampiren langsam schrumpft.

»Das habe ich nicht gewusst. Das hört sich schrecklich an.« Nino seufzt.

»Nicht?«, stimmt Junichi zu. »Und Kosuke, Soras Ehemann, kann direktes Sonnenlicht nicht gut vertragen. Sein Vater war aus der Ersten Generation und hat in seiner Jugend gerne von Menschen getrunken – einfach aus Spaß? Völlig verrückt. Seine Mutter ist reinblütig, aber sie ist nicht verschwunden. Sie leben in Shimane, glaube ich?«

»Haru hat mir erzählt, dass es die Blutlinie eines Vampirs für eine ganze Generation zerstört, wenn man zu viel von Menschen trinkt – vielleicht sogar länger. Die Blutlinie meiner Familie war nicht rein bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber ich glaube, Harus ist rein seit … irgendwas Verrücktes wie 200 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung.«

»Uraltes Blut.« Junichi schüttelt den Kopf, die Aussage hängt schwer zwischen ihnen. »Yayoi, Königin Himiko … Ich wette, seine Vorfahren waren furchteinflößend. Sie haben andere Vampire beim Trinken bestimmt vollkommen leer gesaugt. Jedenfalls hat Kosuke selbst nie von Menschen getrunken, den Zwillingen geht es also gut. Sora arbeitet Vollzeit im Krankenhaus meiner Mutter in Himeji, da sie Tageslicht vertragen kann, während Kosuke zu Hause bei den Kindern bleibt. Es wäre vermutlich einfacher für sie, eine nachtaktive Gemeinde zu finden, aber sie sind Haruka als Oberhaupt ziemlich treu ergeben – und dir jetzt natürlich auch.«

»Es gibt jede Menge interessanter Familien in unserem Reich«, sagt Nino nachdenklich. »Einige sind bescheiden und normal. Andere sind einfach grotesk. Hast du diesen neuen Clan getroffen, der gerade von Tokyo hergezogen ist?«

Junichi macht ein langes Gesicht. »Ja.«

»Wir haben sie besucht, um sie willkommen zu heißen, und es war total abgehoben – Marmorstatuen, gigantische Gemälde und ein imposanter Treppenaufgang. Es war wie aus einem kitschigen Drama. Der Sohn ist irgendein Underground-Rockstar?«

»Er ist ein kleiner Scheißer«, sagt Junichi spöttisch. »Er kommt mindestens einmal die Woche in meinen Laden, um mich zu nerven – ich soll ihm Versace, Gucci und Dolce & Gabbana bestellen, und dann alles für ihn auf seine Maße anpassen, bevor er es abholt. War ich in seinem Alter auch so arrogant und lächerlich? Ich kann nicht so schlimm gewesen sein …«

Lächelnd stützt Nino die Ellenbogen auf den Tisch. »Weißt du, Jun, du kannst auch vor Haru fluchen und einfach du selbst sein. Er mag von altem Blut sein und ein wenig anspruchsvoll, aber du musst dich vor ihm nicht verstellen. Er betrachtet dich als Freund.«

Junichi hebt frech grinsend eine Augenbraue. »Ich? Fluchen und tratschen vor meinem ehrenwerten, erhabenen und diplomatischen Reinblüter-Oberhaupt? Mein Vater würde sich im Grabe umdrehen und wieder rausklettern, nur um mich zu ohrfeigen.«

Das versteht Nino. Er ist selbst reinblütig, hat sich allerdings genauso gefühlt, während der Zeit, als er Haruka kennenlernte. Mit der Zeit jedoch hat seine stoische Fassade Risse bekommen und eine mitfühlende und geduldige Person zum Vorschein gebracht.

»Du solltest ihm eine Chance geben, er könnte dich überraschen.« Dann fällt Nino etwas auf und er verengt den Blick. »Warum fluchst und tratschst du vor mir?«

»Weil du vor mir fluchst und tratschst. Du hast das Siegel gebrochen, mein junger Freund.«

»Das ist in Ordnung.«

»Ich weiß, dass Haruka ein guter Mann ist«, sagt Junichi. »Es ist einfach, mit ihm zu arbeiten, und er ist nicht so aufgeblasen, wie er sein könnte, wenn man seine uralte Blutlinie bedenkt. Nicht so ein Albtraum wie die egoistische, dramatische Kratzbürste, die meine Quelle ist. Außerdem ist Haruka mit dir verbunden. Selbst wenn ich sonst nichts von ihm wüsste, würde mir das als Bestätigung vollkommen ausreichen.«

3

Das morgendliche Wetter ist warm und klar, die frische Luft duftet nach feuchter Erde und neuem Leben. Haruka schaut nach oben und mustert die bauschigen, weißen Wolken, die über den Himmel wandern, während er auf der vorderen Veranda wartet. Als die Tür schwungvoll geöffnet wird, richtet er seinen Blick in die Richtung und lächelt.

»Guten Morgen, Euer Gnaden«, sagt Sora und erwidert Harukas Lächeln, während sie die Tür weiter aufzieht. Sie verbeugt sich von der Hüfte aus, wodurch der gigantische lockere Dutt auf ihrem Kopf nach vorn rutscht. Als sie wieder aufrecht steht, richtet sie ihre rot umrandete Brille. »Herzlichen Dank, dass Ihr hergekommen seid.«

»Nur Haruka, bitte. Und es ist mir eine Freude. Entschuldigt die Verzögerung. Die letzten Wochen waren außergewöhnlich hektisch.« Haruka betritt den kühlen Eingangsbereich. Im Haus riecht es nach herbem grünen Tee, sauberem Tatami und etwas Süßem.

»Das kann ich mir vorstellen«, sagt Sora. »Seitdem Ihr zurück seid, sind alle so aufgeregt und brauchen etwas von Euch. Ganz zu schweigen von den gesellschaftlichen Veranstaltungen und …«

Das Geräusch kleiner, energischer Füße ertönt und wird zunehmend lauter, da sie sich auf Sora und Haruka zubewegen, sodass beide ihre Aufmerksamkeit auf den langen Flur richten. Haruka macht einen Schritt zurück, um sich auf den Zusammenstoß mit den kleinen Vampiren vorzubereiten.

»Shion, Amon, wartet …«

Haruka breitet die Arme gerade rechtzeitig aus, um das kleine Mädchen aufzufangen, das ihren Bruder überholt und mit voller Geschwindigkeit in seine Arme springt. Er hebt sie hoch, während der Junge gegen Harukas Beine prallt und die Arme um seine Knie schlingt.

»Du hast geschummelt, Shion.« Der Junge verzieht die Stirn zu einer niedlichen Falte. »Das ist nicht fair!«

»Guten Morgen, Haru-Sama.« Lächelnd ignoriert Shion ihren Bruder und macht es sich in Harukas Armen bequem. »Dad und ich haben Mochi für dich gemacht. Tee haben wir auch. Möchtest du welchen?«

»Ich habe auch geholfen«, beteuert ihr Bruder entrüstet.

Shion sieht betont desinteressiert auf ihren Bruder hinab, bevor sie ihre tiefbraunen Augen mit gleichgültigem Blick wieder auf Haruka richtet. »Amon hat auch geholfen.«

»Ich entschuldige mich vielmals für meine aufgedrehten Kinder«, sagt Sora und beugt sich hinunter, um den entschlossenen Sechsjährigen von Harukas Beinen zu schälen.

»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Ich würde mich sehr über Mochi und Tee freuen. Vielen Dank für die wunderbare Leckerei.« Welch Genuss. Obwohl Haruka keine menschliche Nahrung zu sich nehmen muss, genießt er sie dennoch. Das menschliche Blut, das in den Genen des Fujihara-Clans vorhanden ist, da sie Vampire der Ersten Generation sind, fordert dies allerdings. Sie benötigen sowohl menschliche Nahrung als auch Blut, um als Lebewesen mit vampirischer Biologie zu gedeihen.

Shion schreit schrill auf und schlingt die kleinen Arme fester um Harukas Nacken. Er streift seine Schuhe ab und läuft über den Parkettboden, um Sora den Gang hinunter zu folgen. Sie zieht ihren Sohn an der Hand mit sich, während sie in Richtung Küche gehen. Das Bild erinnert Haruka an einen eigensinnigen Welpen, der von seinem Besitzer hinterhergezogen wird.

»Sie sind wegen Eures Besuches schon den ganzen vergangenen Monat vollkommen aus dem Häuschen.« Sora lächelt angespannt, während sie mit ihrem kleinen Jungen ringt. »Sie sprechen über nichts anderes – sie haben Kosuke und mich in den Wahnsinn getrieben. ›Wann kommt Haru-Sama? Heute? Ist es heute so weit? Warum nicht heute?‹ Oh mein Gott, wir werden ihnen nie wieder etwas im Voraus erzählen. Ab jetzt gibt es nur noch Überraschungen.«

Haruka lacht, als sie in die Küche abbiegen. Das grelle Sonnenlicht fällt durch die offenen Fenster, und der moschusartige Duft von grünem Tee weht ihnen entgegen. Soras Gefährte Kosuke lächelt zur Begrüßung von der Küchenzeile aus, an der er mit einer Schürze um die Hüften steht.

»Guten Morgen, Euer Gnaden. Vielen Dank, dass Ihr uns bei diesem Projekt helft.«

»Bitte, nur Haruka. Es ist mir eine Freude. Ich entschuldige mich dafür, dass wir nicht früher damit beginnen konnten.«

»Keine Sorge. Wir wissen, wie beschäftigt Ihr seid …« Kosuke sieht seine Tochter stirnrunzelnd an. »Shion, im Ernst jetzt?« Er hält seine Hände ausgestreckt nach vorn, damit sie in seine Arme kommt, aber sie wendet sich ab. Ein deutliches »Nein, danke«. Ihr schwarzer Pferdeschwanz hüpft, während sie die Arme fester um Harukas Nacken schlingt.

»Ist schon okay«, sagt Haruka leise. »Das macht mir nichts aus.«

Entnervt schüttelt Kosuke den Kopf und dreht sich wieder zur Arbeitsplatte. Haruka mustert ihn einen Moment nachdenklich. »Kosuke, macht Euch das helle Licht hier drinnen nichts aus?«

»Ach nein, solange ich nicht nach draußen gehe oder direktem Sonnenlicht ausgesetzt bin, ist alles in Ordnung. Glücklicherweise ist meine Lichtempfindlichkeit nicht so stark wie bei anderen Vampiren mit ähnlichem genetischen Hintergrund – es ist nicht so schlimm, dass unser Haushalt nachtaktiv sein müsste, denn in der heutigen Zeit ist es schwer, einen solchen Lebensstil zu pflegen.«

»Da bin ich ganz Eurer Meinung. Es wäre schwierig, so eine veraltete Lebensweise aufrechtzuerhalten.« Haruka setzt sich mit Shion auf dem Schoß an den Küchentisch, wobei er gezielt den Stuhl im Sonnenlicht wählt. Sora schließt sich ihm an und zieht dabei einen immer noch aufgeregten Amon an ihre Seite.

»Haru-sama?«, flüstert Shion, hebt den Kopf und blinzelt ihn mit ihren braunen Augen an. »Du riechst wirklich gut …«

»Shion, meine Güte.« Sora runzelt die Stirn hinter ihrer trendigen Brille. »Ich frage mich, wem dieses Kind gehört? Jemand sollte ihre Eltern rufen …«

»Das finde ich auch!«, meldet sich Amon von der anderen Seite des Tisches. »Er riecht so gut, weil er ein Reinblüter ist.«

»Darf ich bei dir sitzen, wenn du liest?«, fragt Shion blinzelnd. Amon hüpft auf dem Schoß seiner Mutter auf und ab.

»Ich will auch Lateino lesen!«, ruft er.

»Es heißt Latein«, sagt Sora und rollt mit den Augen. »Haruka muss sich konzentrieren. Ihr beiden könnt nicht streiten und auf ihm rumklettern, während er arbeitet.«

Shion richtet ihre Aufmerksamkeit auf ihren Bruder. »Das werden wir nicht. Oder, Amon?«

»Werden wir nicht, versprochen.«

»Je nachdem, wie komplex das Testament und die Treuhandschaft sind, wäre ein wenig Gesellschaft zumindest zeitweise ganz schön?« Haruka streicht sich scherzhaft über den Kiefer. »Und auf jeden Fall bei der einen oder anderen Teepause?«

»Mom, er hat manchmal gesagt!«, fleht Shion und dreht den Kopf so abrupt um, dass ihr hüpfender Pferdeschwanz Haruka am Kinn trifft.

»Bei Pausen, Mom!«, fügt Amon hinzu.

Sora wirft Haruka einen zögernden Blick zu, aber der nickt zustimmend. »In Ordnung …« Sora seufzt. »Aber ihr müsst euch benehmen und auf Haruka hören, wenn ihr mit ihm im Arbeitszimmer seid.«

Ein Chor aus kleinen jubelnden Stimmen ertönt. Kosuke trägt ein Tablett mit Tee und gepresstem Klebreis zum Tisch. Die ovalen Süßigkeiten sind puderrosa und in grüne Blätter gewickelt – Kirschblüten-Mochi zur Feier des Frühlings.

»Haru-sama, was ist deine Lieblingsfarbe?«, fragt Shion.

»Hm … Ich mag Bernstein.«

»Ich auch«, sagt Shion.

»Ich auch!«, echot Amon.

Sora schnaubt. »Shion, du magst Grün …«

»Stimmt gar nicht, nicht mehr.« Shion hebt das Kinn. »Ich mag jetzt Bernstein.«

»Was ist Bernstein?«, fragt Amon ratlos. Dann bombardiert er ihn gleich mit der nächsten Frage. »Haru-sama, liest du gerne Mangas?«

»Ich habe noch nie welche gelesen«, sagt Haruka. »Vielleicht sollte ich das mal? Welche magst du?«

»Was?« Mit großen Augen hüpft Amon auf Soras Schoß auf und ab. »Du hast noch nie Mangas gelesen? Unmöglich. Dad liebt Mangas. Wenn Mom im Krankenhaus ist, liest er immer Mangas …«

»Okay, das reicht«, unterbricht Kosuke und hebt Amon vom Schoß seiner Gefährtin. »Seht Ihr, womit wir uns jeden Tag rumschlagen müssen? Kleine Wesen, die einfach nie aufhören zu reden.«

Haruka lacht schnaubend, während Shion sich auf seinem Schoß nach vorne streckt, um an die Mochi zu kommen. Er kann verstehen, dass Sora und Kosuko genervt sind. Es ist mehr als verständlich.

Für Haruka ist diese Umgebung allerdings etwas Besonderes. Bei jedem Besuch bei den Fujiharas wird ihm ganz warm ums Herz, wenngleich eine sanfte Melancholie mit im Spiel ist. Als er noch sehr jung war und gerade an der Schwelle seiner Verbindung stand, hat er sich sein Leben in etwa so vorgestellt. Oder zumindest gehofft, dass es so sein würde.

Nach einer Weile jedoch wurde klar, dass er diese Hoffnung aufgeben musste. Also hat er den stillen Wunsch tief in sich vergraben und nie wieder darüber nachgedacht.

Sein Leben hat nicht den Weg genommen, den er sich vorgestellt hatte, aber er ist unendlich dankbar. Er hat Nino. Eine zweite Verbindung. Eine schicksalhafte Begegnung und wundersame Umstände, die er niemals erwartet hatte. Mehr konnte man sich nicht wünschen. Und das tut er auch nicht.

Als Haruka nach Hause zurückkehrt, ist es bereits spät. Im Haus ist es still. Er geht in die Küche, wo das weiße Mondlicht durch die Scheiben der Gartentüren hereinscheint und auf den robusten Eichentisch fällt.

Während Haruka näher herangeht, sieht er voller Erstaunen dicke schwarze Kerzen, die mitten auf dem Tisch stehen und mit sanftem Flackern brennen. Daneben steht eine hohe gläserne Vase gefüllt mit roten Rosen, die in voller Pracht blühen. Die Atmosphäre voll dunkler Eleganz und Romantik.

Unverwandt befindet sich Nino hinter ihm und schlingt die Arme um Harukas Taille, um ihn an seine Brust zu ziehen. Er drückt einen festen Kuss genau unter Harukas Ohr. »Tesoro, bentornato a casa.«

Willkommen zu Hause, Schatz. Grinsend lässt Haruka sich in die Umarmung sinken. »Grazie, amore mio. Welch edler Anblick.«

»Es erinnert mich an dich.« Nino hebt die Hand, um den Kragen von Harukas Hemd nach unten zu ziehen. Dann lässt er den Kopf sinken und drückt noch einen zärtlichen Kuss auf Harukas Nacken. »Deine Aura und deine Augen haben seit unserer Verbindung nicht mehr in dem strahlenden Rosenrot geglüht. Ich vermisse es.«

Haruka dreht sich in seiner Umarmung und legt die Arme um Ninos Schultern. »Ich nicht«, sagt er. »Ich bevorzuge es, wenn meine Natur mit deiner verbunden ist.« Er lehnt sich vor, um Nino zu küssen und seinen reichhaltigen, zimt-durchtränkten Geschmack zu genießen. Als Haruka seine erste Verbindung mit Yuna einging, hatte sich seine innere Natur nicht so drastisch verändert. Bei seiner neuen Verbindung mit Nino, ist alles anders: Ihre offene Kommunikation, genau wie die Dynamik im Allgemeinen. Die Leidenschaft und die Liebe, die er empfindet, sind viel einnehmender – beinahe schon animalisch. Sich der Verlockung hinzugeben … Dabei zögert Haruka noch, aber er gewöhnt sich allmählich daran.

Nino hebt den Kopf, seine bernsteinfarbenen Augen leuchten. »Setz dich und ich gieße dir ein.« Gehorsam bewegt Haruka sich auf den Tisch zu, während Nino von hinter der Theke mit ihm spricht. »Ich habe eine weitere Überraschung für dich, aber sie ist noch nicht ganz fertig. Ich brauche noch etwas Zeit.«

»Wann kann ich mit dieser Überraschung rechnen?«

»Hm … Vielleicht nächsten Monat?« Nino kichert. »Ich habe mir ein bisschen zu viel vorgenommen. Wie läuft es mit dem Übersetzungsprojekt?«

»Es ist eine Herausforderung. Aber hervorragend.« Er macht es sich am Tisch bequem und blickt aus dem Fenster. Die Kirschblütenbäume im Garten wehen in schattigen Rosatönen und schwingen sanft in der nächtlichen Brise. »Ich lese zum Vergnügen viel auf Latein, aber mein Verständnis der Rechtsterminologie ist eingerostet. Ich werde bei meinem nächsten Besuch das Wörterbuch mitnehmen müssen.«

»Wie geht es den Fujiharas?«, fragt Nino und stellt ein großzügig gefülltes Glas Merlot vor Haruka ab.

»Wunderbar.« Haruka hebt das Glas an und nimmt einen Schluck, bevor er fortfährt. »Ihr Nest ist immer warm und einladend.«

»Ich denke … das können wir von unserem auch sagen«, sagt Nino vom Tresen aus, wo er die Teller anrichtet.

»Natürlich können wir das.« Haruka mustert ihn verwirrt. »Das sollte kein Vergleich werden.«

Nino kommt mit zwei großen Tellern in den Händen um den Tresen herum. »Du magst die Zwillinge sehr, oder? Wie heißen sie?«

»Das Mädchen heißt Shion und der Junge Amon. Ja, sie sind entzückend. Was haben wir denn hier?« Er sieht auf das kunstvoll angerichtete Essen hinab. Es riecht nach frischen Kräutern – warm, buttrig und deftig.

»Als ersten Gang gibt es scharf angebratene Jakobsmuscheln mit Salsa Verde. Wir haben insgesamt drei Gänge.«

Haruka läuft bereits das Wasser im Mund zusammen, während er die Gabel aufnimmt. »Il secondo?«

»Der zweite Gang besteht aus panierten Filetti di Cernia mit Sesam und gebratenem Gemüse. Und zum Nachtisch gibt es kleine Schokoladen-Lavakuchen mit Chili.«

Gott steh mir bei. Womit hat er dieses Wesen nur verdient? Diesen attraktiven wunderbaren Vampir, der ihn versorgt und verwöhnt. Der ihn liebt und ihn unterstützt. Haruka hat Mühsal und Tragödien erlebt – den Verlust seiner Eltern, als er noch ein Kind war, eine nie da gewesene gebrochene Verbindung. Dass Nino in sein Leben getreten war, fühlt sich für ihn an, als hätte das Leben in einer unglaublichen, dramatischen Geste aufrichtige Wiedergutmachung geleistet.

»Du hast dich selbst übertroffen«, sagt Haruka. »Das hier ist himmlisch. Wenn du deine Kunden im Kansai-Gebiet berätst, schlägst du dann auch Rezepte vor?«

»Manchmal, aber … Ich versuche meine Nase nicht zu sehr in ihre Speisekarte zu stecken, vor allem wenn es um Gerichte geht, mit denen ich mich nicht auskenne. Wenn ich es jedoch aus finanziellen Gründen für notwendig erachte, gebe ich ein paar allgemeine Ratschläge.«

»Welche zum Beispiel?«, fragt Haruka und nimmt einen weiteren Bissen von den gebratenen und buttrigen Jakobsmuscheln. Sie zergehen und schmelzen förmlich im Mund.

»Ich rate ihnen, die Speisekarte klein zu halten. Große Karten mit zu viel Auswahl können der Tod für Restaurants sein. Erstens ist es teuer, so viele Zutaten auf Lager zu haben. Und zweitens hat es Auswirkungen auf die Qualität.«

Haruka nickt. »Zutaten werden eingefroren, damit sie länger halten.«

»Genau, und das gefällt mir nicht«, sagt Nino. »Meine Philosophie lautet: Bereitet eure Gerichte frisch zu und zwar gut. Eine kleinere Speisekarte ist da Erfolg versprechender. Die meisten familiengeführten Restaurants in Japan folgen dieser Devise. Mir ist noch nichts allzu Abgefahrenes begegnet, weshalb ich es auch vermeide, große Ketten als Klienten anzunehmen.«

»Ja, ich kann mir vorstellen, dass es für große Unternehmen schwierig sein kann, an verschiedenen Standorten dieselben Veränderungen durchzuführen. Außerdem sind gefrorene Zutaten unabdingbar für die Lieferung.« Haruka nimmt den letzten Bissen seiner Jakobsmuscheln und freut sich schon auf den nächsten Gang. Er sieht zu Nino hinüber und sieht, dass sein Gefährte auf seinen halb vollen Teller starrt.

»Mein Liebling, warum isst du nicht?«, fragt Haruka.

Irgendetwas beschäftigt ihn. Nur wenn sie beide es zulassen, können sie die Gedanken des jeweils anderen lesen. Grundsätzlich haben sie entschieden, dass es besser ist, wenn sie einander Privatsphäre geben.

Nino atmet tief durch, bevor er seinen strahlenden Blick hebt. »Ich … Ich habe seit einigen Wochen etwas auf dem Herzen. Und ich habe das Gefühl, dass wir über dieses Thema längst hätten sprechen sollen, aber ich weiß einfach nie …«

»Nino, was ist denn?«, fragt Haruka, dessen Brust angesichts der plötzlichen Veränderung der Atmosphäre eng geworden ist.

»Du … und Yuna. Ihr wart doch zehn Jahre lang verbunden, oder?«

»Ja«, antwortet Haruka mit geduldigem Ton, aber angespanntem Körper. Das Letzte, worüber er sich unterhalten möchte, ist seine frühere Gefährtin. Vor allem an dem Abend ihres noch sehr jungen Jubiläums.

Nino rauft sich die Haare, was bei ihm ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass er unter Stress steht. »Warum … Warum habt ihr keine Kinder zusammen? Angesichts der Tatsache, dass ihr so lange zusammen wart, hätte ich gedacht, dass ihr welche haben müsstet.«

Seufzend lehnt Haruka sich in seinem Stuhl zurück. Der Appetit ist ihm vergangen.

4

Mein Timing ist schrecklich. Ninos Herz rast. Über dieses Thema macht er sich schon monatelang Gedanken, dass es an den Rändern seines Bewusstseins nagt. Bis jetzt hat er den Drang, darüber zu sprechen, allerdings immer unterdrückt, da er weiß, wie ungern Haruka über seine erste Gefährtin spricht.

Doch nun ist es so weit. Und es ergießt sich unbehaglich über ihr Jubiläumsabendessen.

»Yuna wollte keine Kinder«, sagt Haruka, ganz ohne zu blinzeln. Und mehr nicht.

»Und …?«, fragt Nino. »Das war dann das Ende vom Lied? Ihr beiden habt nie versucht …«

Haruka atmet hörbar ein, sein Blick wandert zu den Gartentüren. »Doch, haben wir. Sie ist einmal schwanger geworden, hat das Kind aber letztendlich verloren. Danach haben wir es nicht wieder versucht.«

Verdammt. Nino fühlt sich, als hätte ihm jemand vor die Brust geschlagen. Ihm schnürt sich die Kehle zu. »Ich … Das tut mir so leid …«

Haruka nickt. »Ich denke nicht gerne darüber nach.«

Für Nino wäre die nächstliegende Frage, ob Haruka dennoch Kinder möchte oder nicht. Möchte er eine große Familie? Sollten sie sich Hilfe suchen, damit sie irgendwann versuchen können, gemeinsame Kinder zu haben? Aber Nino kann diese Frage nicht einmal selbst beantworten. Er weiß nicht, was er möchte, da er erst seit Kurzem über dieses Thema nachdenkt.

In gewisser Weise fühlt er sich immer noch wie ein Heranwachsender. Er kann sich nicht vorstellen, für das Leben von jungen Vampiren verantwortlich zu sein – ihnen Dinge beizubringen und ihnen den Weg zwischen ihrer uralten Kultur und der Komplexität der modernen Gesellschaft zu weisen. Schließlich ist er selbst noch dabei, das zu meistern.

Haruka hebt sein Weinglas an, bevor er es an die Lippen führt und den Kopf nach hinten legt, um den Inhalt hinunterzukippen. Als dies getan ist, erhebt er sich vom Tisch. Panisch springt Nino auf und versperrt ihm den Weg.

Haruka runzelt die Stirn. »Was machst du?«

»Was machst du?«

»Ich hole mehr Wein.«

Einen Moment lang verharren sie in Schweigen. Gerade als Haruka um Nino herumgehen möchte, handelt dieser im Affekt. Er tritt auf Haruka zu und geht in die Hocke. Mit einer geschmeidigen Bewegung schlägt er ihm mit einem Arm in die Kniekehle, sodass Haruka strauchelt und Nino ihn hochheben und an seine Brust drücken kann.

Harukas Augen werden vor Schreck ganz groß. Er windet sich. »N-nino, lass mich runter.«

»Ich werde Euer Gnaden zum Tresen tragen …«

»Lass das.«

Lachend stellt Nino seinen verlegenen Gefährten wieder auf die Füße. »Seine Lordschaft protestiert gar sehr. Es überrascht mich, dass wir zwar dieselbe Größe haben, du aber gar nicht schwer für mich bist.«

»Bitte tu das nicht.«

»Warum?« Nino runzelt die Stirn. »Wenn wir Sex haben, hast du nichts dagegen, wenn ich dich hochhebe?«

»Das … Das ist etwas anderes.«

»Wieso das?«

»Da gibt es einen Zusammenhang«, sagt Haruka, wobei er versucht, Ninos Blick auszuweichen, während er an ihm vorbeizugehen versucht. Mit gerümpfter Nase stellt Nino sich erneut vor ihn.

»Also darf ich dich nur hochheben, wenn ich meinen Schwan…«

Keuchend und die weinroten Augen weit aufgerissen hebt Haruka die Hand und drückt Ninos Lippen mit den Fingern zusammen. Nino lacht dumpf. Haruka lacht ebenfalls und bedeckt sich mit der freien Hand das gerötete Gesicht.

Nino greift nach seinem Handgelenk und zieht Harukas Finger weg. »Ernsthaft, Haru? Es ist niemand außer uns hier. Selbst Asao und sein Überschall-Gehör sind ausgegangen. Warum wirst du jedes Mal so verlegen, wenn ich versuche, über unser Sexleben zu sprechen? Wir sprechen doch sonst über alles.«

»Weil es überflüssig ist, darüber zu reden.« Haruka atmet aus und fährt sich mit der Hand über das glatte schwarze Haar. »Ich bin schließlich mit dabei. Ich weiß, was wir tun.«

Nino tritt auf ihn zu, presst seine Hüfte an Haruka und drückt diesen so mit dem Hintern an den Tisch. Dann legt er die Hände auf Harukas Taille und beugt sich vor, um das kleine sexy Muttermal neben Harukas Nase zu küssen. »Der Herr des Anwesens ist es einfach nicht gewohnt, dass jemand mit ihm über unanständige Dinge spricht. Dabei könnte es doch lustig sein … Du könntest mir sagen, was dir gefällt?«

Grinsend schüttelt Haruka den Kopf. »Du weißt anhand meiner Reaktion, was ich mag … und ich kenne diese Worte auf Englisch überhaupt nicht.«

»Lügner. Kannst du sie auf Japanisch sagen?«

Er hält inne und blickt zur Seite. »Diese Worte gibt es auf Japanisch nicht.«

Da lachen sie beide. »Sturer Esel«, tadelt Nino. »In Ordnung, ich gebe fürs Erste auf. Ich übersehe einfach mal die Tatsache, dass du noch ungefähr fünfzehn andere Sprachen sprichst, und dass diese Worte definitiv im Japanischen existieren.«

Haruka lehnt sich vor, und Nino lässt den Kiefer sinken, damit sich ihre Zungen verbinden und gegeneinander bewegen können. Damit sie voneinander kosten können, wie zwei Liebende, die sich erneut miteinander vertraut machen. Harukas Mund ist immer einige Grad kühler als Ninos und schmeckt nach einem Hauch frischer Rosen. Die Empfindung lässt Nino an den Frühling denken – an einen verregneten Tag, an dem die Luft frisch und süß ist. Wie kann ein Kuss so ein lebhaftes Bild in seinem Kopf erschaffen? Ein Gefühl, als würde er durch einen traumähnlichen Nebel schreiten – in eine vollkommen neue Umgebung, in der er beschützt und innig geliebt wird. So etwas hat er vor Haruka noch nie erlebt.

Der Kuss ist stürmisch. Als Nino den Kopf neigt, drängt Haruka zurück und begegnet Ninos Intensität mit seiner eigenen. Bevor er jedoch die Zärtlichkeit unterbricht, greift Haruka mit der Faust in Ninos Haar und zieht seinen Kopf zur Seite. Seinen eigenen lässt er sinken und die Lippen über Ninos Halsbeuge streifen. Nino umfasst Harukas Taille fester und Haruka beißt in die linke Seite seines Halses, bevor er zu saugen beginnt.