Vampirsohn - J. R. Ward - E-Book

Vampirsohn E-Book

J. R. Ward

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Beschreibung

Seit Jahrzehnten wird der Vampir Michael im Keller eines uralten Hauses gefangen gehalten. Bis die toughe Anwältin Claire ihm gezwungenermaßen einige Tage Gesellschaft leistet und in ihm eine bis dahin unbekannte Leidenschaft entfacht.

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Seitenzahl: 144

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Titel der amerikanischen Originalausgabe STORY OF SON Deutsche Übersetzung von Petra Hörburger und Corinna Vierkant
Redaktion: Natalja Schmidt Copyright © 2008 by Jessica Bird Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling ISNB 978-3-641-05352-9
www.heyne-magische-bestseller.dewww.penguinrandomhouse.de
Inhaltsverzeichnis
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Epilog
Copyright
Für meine Familie: all meine Bluts- und Wahlverwandten.
1
Claire Stroughton griff nach ihrem Coffee-to-go-Becher, ohne ihre Augen von dem Testament zu nehmen, das sie eben aufgesetzt hatte und nun schnell noch einmal durchsah.
»Ich hasse es, wenn du das machst.«
Claire warf ihrer Assistentin am anderen Ende des Büros einen Blick zu. »Was denn?«
»Wenn deine Hand wie eine wärmegesteuerte Rakete im Blindflug auf den Kaffee zuschießt.«
»Mein Kaffeebecher zieht meine Hand eben magnetisch an.«
Martha rückte ihre Designer-Brille auf der Nase zurecht. »Na dann ist es ja gut, dass das Ding einen Deckel hat. Übrigens, du wirst zu spät zu deinem 17-Uhr-Termin kommen, wenn du jetzt nicht gehst.«
Claire stand auf und zog sich ihre Kostümjacke an. »Wie spät ist es denn?«
»14 Uhr 29. Bei diesem Verkehr brauchst du für die Fahrt nach Caldwell mindestens zwei Stunden. Dein Wagen wartet unten. Und das Konferenzgespräch mit London beginnt in exakt sechzehn … fünfzehn Minuten. Gibt es irgendetwas, das ich vor dem langen Wochenende noch für dich erledigen soll?«
»Ich habe mir die überarbeiteten Fusionsdokumente für Technitron angesehen und bin damit nicht ganz zufrieden.« Claire reichte ihrer Assistentin einen Papierstapel hinüber, der dick genug war, um als Türstopper zu dienen. »Bitte schick diese Unterlagen gleich per Kurier an die Wall Street Nummer 50. Ich möchte mich Dienstagmorgen um 7 Uhr mit den gegnerischen Anwälten zu einer Besprechung treffen. Sie sollen zu uns kommen. Brauchst du noch etwas von mir, bevor ich gehe?«
»Nein, aber ich würde eines gerne wissen: Was für ein sadistischer Langweiler bestellt seine Anwältin zu einer Besprechung um 17 Uhr am Freitag vor dem Labor-Day-Wochenende?«
»Der Kunde ist eben König. Und ob sadistisch oder nicht, das ist Ansichtssache.« Claire packte das Testament in eine Dokumentenmappe und schnappte sich dann ihre Handtasche. Während sie sich noch einmal in ihrem geräumigen Büro umsah, überlegte sie kurz, welche Arbeit sie über das Wochenende erledigen wollte. »Was habe ich denn jetzt noch vergessen?«
»Deine Tablette.«
»Ja, richtig.« Claire nutzte den kleinen Rest Kaffee in ihrem Becher, um die letzte der Tabletten hinunterzuspülen, die sie die vergangenen zehn Tage hatte einnehmen müssen. Als sie die Tablettenverpackung in den Papierkorb warf, fiel ihr auf, dass sie eigentlich schon seit Sonntag nicht mehr niesen oder husten musste. Das Zeug hatte offensichtlich gewirkt.
Verdammte Flugzeuge, diese klimatisierten Bazillenschleudern!
»Begleitest du mich noch zum Lift?«
Claire gab Martha auf dem Weg zum Fahrstuhl noch ein paar letzte Anweisungen, während sie gleichzeitig einigen der etwas mehr als 200 Anwälte und Assistenten, die bei Williams, Nance & Stroughton arbeiteten, zum Abschied zuwinkte. Martha hielt mit ihr Schritt, obwohl sie noch immer den riesigen Papierstapel in den Armen hielt. Genau das schätzte Claire an ihrer Assistentin ganz besonders: Sie war immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wurde.
Bei den Aufzügen angekommen, drückte Claire auf den Pfeil nach unten. »Okay, ich denke, das ist alles. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.«
»Danke, gleichfalls. Und gönn dir endlich mal eine Pause, okay?«
Claire betrat den mit Mahagoni vertäfelten Lift. »Geht nicht. Technitron steht am Dienstag an. Ich werde wohl den Großteil des Wochenendes hier verbringen.«
Vier Minuten später manövrierte sie ihren Mercedes im Schritttempo durch den dichten Verkehr von Manhattan und versuchte, möglichst schnell aus der Stadt zu gelangen. Elf Minuten später wurde sie mit London verbunden.
Das Konferenzgespräch dauerte 53 Minuten, und Claire war beinahe froh darüber, dass sie mehr oder weniger im Stau steckte, denn das virtuelle Meeting verlief nicht gut. Das war recht häufig der Fall. Fusionen und Übernahmen von Firmen im Wert von mehreren Milliarden Dollar waren nie einfach und nichts für schwache Nerven. Das hatte ihr schon ihr Vater beigebracht.
Dennoch war Claire erleichtert, als sie das Gespräch endlich beenden konnte und sich nur noch auf die Fahrt konzentrieren musste. Caldwell, New York, war nur ungefähr 150 Kilometer von der Innenstadt entfernt, aber Martha hatte Recht gehabt. Der Verkehr war höllisch. Offensichtlich versuchten alle gleichzeitig, dem Big Apple den Rücken zu kehren und die Stadt auf demselben Weg zu verlassen wie Claire.
Für gewöhnlich würde sie sich eigentlich gar nicht die Zeit nehmen, um einen Klienten zu Hause aufzusuchen, aber Ms Leeds war aus vielen Gründen ein Sonderfall, und zudem nicht in der Lage, einfach selbst im Büro vorbeizukommen. Wie alt war sie jetzt? Einundneunzig?
Oder vielleicht noch um einiges älter? Claires Vater hatte bereits eine halbe Ewigkeit als Anwalt für Ms Leeds gearbeitet, und nach seinem Tod vor zwei Jahren hatte Claire die Klientin von ihm übernommen – zusammen mit seinem Anteil am Familienunternehmen. Als sie seinen Platz am Tisch der Kanzleipartner übernahm, war sie die erste Frau in der Geschichte von Williams, Nance & Stroughton, die es bis in die Vorstandsetage geschafft hatte. Und diese Position hatte sie sich redlich verdient, ungeachtet dessen, was im Testament von Walter Stroughton gestanden hatte. Sie war eine hervorragende Anwältin für Fusionen und Übernahmen. Es gab kaum bessere.
Wie schon für Claires Vater war Ms Leeds ihre einzige Klientin im Bereich Treuhand- und Nachlassvermögen. Die alte Dame besaß dank Beteiligungen an verschiedenen Unternehmen, die allesamt von WN&S vertreten wurden, ein Vermögen von rund zweihundert Millionen Dollar. Diese Beteiligungen bildeten die Basis ihrer Geschäftsbeziehung. Ms Leeds hielt gerne an Altbewährtem fest, und ihre Familie zählte bereits seit Gründung der Kanzlei im Jahre 1911 zu deren Klienten. So war das also. Ein F&Ü-Rockstar verwaltete das T&N für eine SHA.
Oder in allgemein verständlicher Sprache ausgedrückt: Eine Spezialistin für Fusionen und Übernahmen kümmerte sich um das Treuhand- und Nachlassvermögen einer Seniorenheimanwärterin.
Und – unglaublich aber wahr – die Arbeit lohnte sich sogar. Das Testament und die darin genannten Stiftungen waren recht überschaubar, wenn man sich einmal damit vertraut gemacht hatte, und Ms Leeds war verglichen mit den meisten Firmenkunden sehr umgänglich. Die alte Dame war auch eine einträgliche Klientin, wenn es um ihr Testament ging. Sie nahm Änderungen an ihrem letzten Willen auf dieselbe Weise in Angriff wie manche Leute die Gartenarbeit, und bei einem Stundensatz von 650 Dollar bekam Claire dadurch mit der Zeit ein ganz nettes Honorar zusammen. Ms Leeds war ständig damit beschäftigt, den Teil ihres Vermögens, den sie wohltätigen Zwecken stiften wollte, zu verändern. Wie bei einer grünen Hecke stutzte sie Bereiche davon zurecht oder riss einfach alles aus und legte es ganz neu an, wenn sie wieder einmal ihre Meinung änderte.
Die letzten beiden Änderungen hatte Claire telefonisch abwickeln können. Daher konnte sie nicht gut ablehnen, als Ms Leeds sie diesmal um ein persönliches Treffen bei sich zu Hause bat.
Ein Treffen, das hoffentlich schnell wieder vorüber sein würde.
Claire hatte das Anwesen der Familie Leeds erst ein einziges Mal besucht, und zwar um sich nach dem Tod ihres Vaters persönlich vorzustellen. Der Besuch war ganz gut verlaufen. Ms Leeds hatte offensichtlich bereits Bilder von ihr gesehen und daraufhin ihre »damenhafte Haltung« gelobt.
Was eigentlich ein Witz war. Getreu der Maxime »Kleider machen Leute« war Claires Kleiderschrank voll von konservativen Kostümen mit Röcken, die ihre Knie verbargen. Aber die teuren Business-Outfits dienten nur als Fassade. Sie verfügte über denselben Geschäftssinn wie ihr Vater und hatte auch dessen Streitlust geerbt. Äußerlich mochte sie vielleicht von Kopf bis Fuß wie eine Dame aussehen, aber im Inneren war sie ein echter Killer.
Die meisten Leute erkannten ihren wahren Charakter etwa zwei Minuten nach der ersten Begegnung. Aber es war gar nicht schlecht, dass Ms Leeds sich diesbezüglich hatte täuschen lassen. Sie war eine Dame der alten Schule und gehörte einer Generation an, in der anständige Frauen überhaupt nicht gearbeitet hatten – und schon gar nicht als Staranwältinnen in Manhattan. Offen gesagt war Claire überrascht gewesen, dass Ms Leeds nach dem Tod von Claires Vater nicht zu einem der anderen Partner gewechselt war, aber im Wesentlichen kamen sie ganz gut miteinander aus. Bislang hatte ihre Beziehung nur einen kleinen Knick erhalten, als sie sich das erste Mal persönlich getroffen hatten und die alte Dame Claire gefragt hatte, ob sie verheiratet sei.
Claire war ganz bestimmt nicht verheiratet. Sie war es nicht und hatte auch nicht das geringste Interesse daran, es irgendwann mal zu sein. Nein, danke! Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war irgendein Typ, der darüber bestimmen wollte, wie lange sie im Büro bleiben konnte oder wie hart sie arbeiten sollte, oder wo sie wohnen würden oder was sie zu Abend essen sollten.
Eliza Leeds hingegen gehörte definitiv zu den Leuten, die eine Frau hauptsächlich über den Mann an ihrer Seite definierten. Daher hatte sich Claire schon auf etwas gefasst gemacht, als sie ihr erklärte, dass sie keinen Ehemann hatte.
Ms Leeds hatte zunächst etwas erschrocken gewirkt, sich aber rasch wieder gefangen und war dann schnell zu der Frage nach einem festen Freund übergegangen. Die Antwort war dieselbe. Claire hatte keinen Freund und wollte auch keinen, und nein, Haustiere auch nicht. Danach war es längere Zeit still gewesen. Aber dann hatte die Frau gelächelt, einen kurzen Kommentar aus der Richtung »Ach, wie sich die Dinge doch verändert haben« abgegeben, und dann wurde das Thema fallengelassen. Zumindest für den Moment.
Jedes Mal, wenn Ms Leeds im Büro anrief, fragte sie nach, ob Claire inzwischen einen netten Mann gefunden hatte. Das war ganz in Ordnung. Sie gehörte eben einer anderen Generation an. Und die alte Frau nahm die Neinsgnädig hin – vielleicht weil sie selbst nie verheiratet gewesen war. Offensichtlich hatte sie eine nicht ausgelebte romantische Ader oder so etwas Ähnliches.
Wenn Claire ehrlich war, fand sie den ganzen Beziehungskram todlangweilig. Nein, sie war keine Männerhasserin. Und nein, die Ehe ihrer Eltern war nicht gescheitert. Tatsächlich hatte ihr Vater sie immer unterstützt. Sie hatte weder negative Erfahrungen mit Beziehungen gemacht, ein beeinträchtigtes Selbstwertgefühl oder irgendwelche Erkrankungen, noch war sie jemals Opfer eines Missbrauchs gewesen. Sie war klug, liebte ihre Arbeit, und sie war dankbar für das Leben, das sie führte. Heim und Herd waren einfach nicht ihr Ding. Fazit? Sie respektierte Frauen, die in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter aufgingen, beneidete diese aber nicht im mindesten um ihre Aufgaben. An Weihnachten war sie nicht zu Tode betrübt, nur weil sie alleine war. Sie brauchte auch keine Kindergeburtstage, Zeichnungen am Kühlschrank oder selbst gebastelte Geschenke, um ein erfülltes Leben zu führen. Und Valentinstag und Muttertag waren einfach nur zwei weitere Seiten im Kalender.
Dafür liebte sie den Kampf im Sitzungszimmer. Das Verhandeln. Die kniffeligen Details des Gesetzes. Das aufregende Gefühl, die Interessen eines Zehn-Milliarden-Dollar-Unternehmens zu vertreten – sei es bei der Übernahme einer anderen Firma, beim Veräußern von Aktivposten oder beim Feuern eines Geschäftsführers, der nicht genehmigte Personalausgaben im achtstelligen Bereich zu verantworten hatte.
All dies war es, was ihr Spaß machte, und da sie bereits mit Anfang dreißig in ihrem Job auf dem obersten Treppchen stand, hatte sie eine verdammt gute Position inne. Das einzige Problem, das sie hatte, waren Leute, die eine Frau wie sie nicht verstehen konnten. Was für eine Doppelmoral! Männer durften ihr ganzes Leben der Arbeit widmen und galten dann als attraktive Top-Manager und nicht als einsame alte Jungfern mit Intimitätsproblemen. Warum konnte für Frauen nicht dasselbe gelten?
Als die Spannbrücke von Caldwell endlich vor ihr auftauchte, wollte Claire nur noch das Treffen hinter sich bringen, anschließend zu ihrem Apartment in der Park Avenue fahren und mit den Vorbereitungen für den Technitron-Showdown am Dienstag beginnen. Mal sehen, vielleicht bliebe sogar genug Zeit, um nochmal ins Büro zurückzukehren.
Das Anwesen der Familie Leeds bestand aus einem vier Hektar großen Park, vier Wirtschaftsgebäuden und einer Mauer, die sicher nur mit einer Kletterausrüstung und dem durchtrainierten Körper eines Fitnesstrainers zu überwinden war. Das Herrenhaus war ein riesiger Steinkoloss auf einer Anhöhe, eine pompöse Zurschaustellung des Vermögens. Der Komplex war während der Zeit der Neugotik in den 1890er-Jahren erbaut worden. Für Claire sah es wie ein Domizil aus, in dem sich Vincent Price sicher wohlgefühlt hätte.
Sie fuhr die kreisförmige Auffahrt hinauf, parkte vor dem Eingang, der sie an das Portal einer Kathedrale erinnerte und schaltete ihr Handy auf Vibrationsalarm um. Sie nahm ihre Tasche und ging auf das Haus zu. Dabei kam ihr der Gedanke, dass ein Kreuz in der einen und ein Dolch in der anderen Hand auch nicht unpassend gewesen wären.
Oh Mann, wenn sie das ganze Geld der Familie Leeds besäße, würde sie in einer etwas weniger düsteren Umgebung leben und nicht in diesem Mausoleum.
Eine Seite der Doppeltür öffnete sich, bevor sie den Türklopfer in Form eines Löwenkopfes betätigen konnte. Der Butler der Familie Leeds, der vermutlich schon über hundert Jahre alt sein musste, verneigte sich.
»Guten Abend, Ms Stroughton! Darf ich fragen, ob Madame die Schlüssel im Wagen gelassen hat?«
Wie war nochmal sein Name … Fletcher? Ja, so hieß er. Und Ms Leeds mochte es, wenn man ihn mit seinem Namen ansprach. »Nein, Fletcher.«
»Vielleicht könnten Sie sie mir überlassen? Für den Fall, dass der Wagen umgeparkt werden muss.« Als sie daraufhin die Stirn runzelte, meinte er leise: »Ich fürchte, Ms Leeds geht es nicht sehr gut. Falls ein Krankenwagen kommen muss …«
»Tut mir leid, das zu hören. Ist sie krank oder …« Claire ließ den Satz unvollendet, als sie ihm ihre Schlüssel übergab.
»Sie ist sehr schwach. Kommen Sie bitte mit.«
Fletcher bewegte sich mit genau jener Art langsamer Würde, die man von einem Mann erwartete, der die formelle Uniform eines englischen Butlers trug. Und er passte wunderbar zur Inneneinrichtung. Das Haus war offenbar von Leuten eingerichtet worden, die auf eine lange Ahnenreihe des Geldadels zurückblicken konnten, und in den Räumen stapelten sich mehrere Schichten von Kunstwerken, die über Generationen hinweg gesammelt worden waren. Das unbezahlbare Sammelsurium an Gemälden, Skulpturen und Möbeln mochte zwar aus verschiedenen Epochen stammen, fügte sich aber dennoch auf wundersame Weise zu einer stimmigen Einheit zusammen. Aber was für ein Aufwand der Unterhalt dieses Museums sein musste! Das Abstauben der vielen Objekte war bestimmt vergleichbar mit dem Mähen von zehn Hektar Gras mit einem Schieberasenmäher – sobald man damit fertig war, musste man wieder von vorne beginnen.
Claire und Fletcher nahmen die massive, geschwungene Freitreppe in den ersten Stock und gingen dann den Gang entlang. Auf beiden Seiten hingen an mit roter Seide bespannten Wänden Porträts verschiedener Mitglieder der Familie Leeds, deren blasse Gesichter von den dunklen Leinwänden leuchteten, und deren zweidimensionale Augen die Besucherin mit Blicken zu verfolgen schienen. Es roch nach Möbelpolitur und altem Holz.
Am Ende des Ganges klopfte Fletcher an eine mit Schnitzereien verzierte Tür. Als eine leise Entgegnung zu hören war, machte er die Tür weit auf. Ms Leeds saß halb aufrecht in einem Bett vom Format eines Fußballfeldes. In diesem Ungetüm wirkte sie wie ein Kind und so zerbrechlich wie Glas. Überall, wo man hinblickte, war weiße Spitze zu sehen: am Baldachin, der das Bett überdachte, an der Matratzenumrandung, und auch vor den Fenstern hingen Spitzenvorhänge. Das Zimmer wirkte wie eine Winterlandschaft – inklusive Eiszapfen und Schneewehen, nur die Kälte fehlte.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Claire.« Ms Leeds’ Stimme war so schwach, dass kaum mehr als ein Flüstern zu hören war. »Und bitte verzeihen Sie, dass ich Sie nicht ordentlich begrüßen kann.«
»Das ist schon in Ordnung.« Claire kam auf Zehenspitzen näher und achtete darauf, keinen Lärm oder abrupte Bewegungen zu machen. »Wie fühlen Sie sich?«
»Besser als gestern. Vielleicht habe ich mir eine Grippe zugezogen.«
»Ja, im Moment scheint sie gerade zu grassieren. Es freut mich, dass Sie schon wieder auf dem Weg der Besserung sind.« Claire fand es überflüssig, zu erwähnen, dass sie wegen eines ähnlichen Infekts auch gerade Antibiotika hatte einnehmen müssen. »Ich werde mich auf jeden Fall beeilen, damit Sie sich bald wieder ausruhen können.«
»Aber Sie bleiben zumindest auf eine Tasse Tee. Nicht wahr?«
Fletcher meldete sich zu Wort: »Soll ich den Tee bringen?«
»Bitte, Claire. Bleiben Sie doch zum Tee.«
Verdammt. Eigentlich wollte sie schnellstmöglich nach Hause.
Der Kunde ist König. Der Kunde ist König. »Aber natürlich.«
»Gut. Fletcher, bringen Sie den Tee, und servieren Sie ihn, wenn wir meine Unterlagen durchgesehen haben.« Ms Leeds lächelte und schloss die Augen. »Claire, setzen Sie sich zu mir. Fletcher bringt Ihnen einen Stuhl.«
Fletcher sah nicht so aus, als ob er in der Lage sei, einen Fußschemel herbeizuholen, geschweige denn einen Sessel, auf dem sie sitzen konnte.
»Nicht nötig«, sagte Claire hastig. »Ich kann mir doch selbst einen Stuhl holen.«
Ohne auch nur einmal Luft zu holen, hievte der Butler mit Leichtigkeit einen antiken Polstersessel herüber, der aussah, als ob er es gewichtsmäßig mit einem Straßenkreuzer aufnehmen könnte.