Verbunden statt einsam - Sonia Lippke - E-Book

Verbunden statt einsam E-Book

Sonia Lippke

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Beschreibung

Bereits vor Corona war ein besorgniserregender Trend zu beobachten, der mittlerweile als »die andere Epidemie« (F.A.Z.) betitelt wird: Einsamkeit. Das Gefühl der Einsamkeit kann vielfältige negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit von Menschen haben. Und das betrifft nicht nur die Älteren in unserer Gesellschaft. Zwei Expertinnen aus Forschung und (Coaching-)Praxis haben sich zum Ziel gesetzt, zur Verbesserung dieses Zustands und zur Steigerung der Zufriedenheit betroffener Menschen beizutragen. Kleinschrittig und empathisch begleiten sie ihre Leser:innen auf dem Weg aus der Isolation. Konkrete Tipps, Übungen und Fallbeispiele, die die unterschiedlichen Gründe und Erscheinungsformen von Einsamkeit verdeutlichen, motivieren und zeigen Lösungen auf. Auch Einsamkeit als Folge von psychischen Störungsbildern oder als Begleiterscheinung von traumatischen Lebensereignissen wird thematisiert.

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Seitenzahl: 301

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Sonia Lippke & Christiane SmidtVerbunden statt einsamWege zu mehr Resonanz mit sich und anderen

Über dieses Buch

Einsamkeit ist keine Krankheit, aber sie kann krank machen 

Wir alle wollen verbunden sein mit anderen Menschen und uns zugehörig fühlen. Eine gewisse Zeit allein zu verbringen, kann zwar zur Erholung beitragen und mehr Resonanz mit uns selbst ermöglichen. Doch wann erwächst aus dem Alleinsein Einsamkeit? 

Einsamkeit steht im Widerspruch zu unserem Bedürfnis nach Verbundenheit und hat negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. 

Sonia Lippke und Christiane Smidt, zwei Expertinnen aus Forschung und (Coaching-)Praxis, zeigen Ursachen, Symptome und Folgen von Einsamkeit auf. Sie bieten kreative und erprobte Lösungswege an und geben Betroffenen, Angehörigen und professionellen Begleitenden Tools für Veränderungen an die Hand. Übungen und Fallbeispiele verdeutlichen die unterschiedlichen Gründe und Erscheinungsformen von Einsamkeit, motivieren und zeigen, was man selbst tun kann, um sich wieder gut mit anderen verbunden zu fühlen.

Sonia Lippke, Prof. Dr., ist Gesundheitspsychologin an der Constructor University Bremen mit einem Schwerpunkt im Bereich theorie- und evidenzbasierter Gesundheitsförderung.

Christiane Smidt ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Master Business Coach (DVNLP), Mediatorin (BM) und Dozentin in der Erwachsenenbildung. Sie arbeitet in eigener Praxis in Bremen.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2024

Coverfoto: © WoodenheadWorld (https://www.istockphoto.com)

Abbildungen 1.6, 2.1, 2.2, 11.1, 12.1 sowie auf S. 96 u. 114: © Greta Bischoff

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Wir behalten uns eine Benutzung des Werkes für Text und Data Mining i.S.v. § 44b UrhG vor.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0474-9

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0555-5 (EPUB), 978-3-7495-0556-2 (PDF).

Zu diesem Buch erhalten Sie Arbeitsblätter, die Ihnen die Auseinandersetzung mit dem Thema Einsamkeit erleichtern und Sie zum konkreten Handeln inspirieren sollen. Immer wenn auftaucht, können Sie sich das Material herunterladen. Gehen Sie dazu unter http://www.junfermann.de auf die Produktseite zum Buch und scrollen Sie etwas nach unten zur Mediathek. Dort finden Sie die Zusatzmaterialien.

Einleitung

Verbundenheit und Resonanz mit anderen sind seit Menschengedanken existenzielle Grundbedürfnisse. Werden sie nicht erfüllt, fühlen wir uns unwohl, isoliert und allein. Alleinsein ist nicht in jedem Fall eine Belastung: Eine gewisse Zeit allein zu Hause, in einer abgelegenen Berghütte oder an einem schönen See zu verbringen, kann zur Erholung beitragen, seelische Entlastung und mehr Resonanz mit uns selbst ermöglichen. Dies sind wichtige Voraussetzungen dafür, sich auch mit anderen verbunden zu fühlen. Doch wann erwächst aus dem Alleinsein Einsamkeit – und damit das Gegenteil von Verbundenheit?

Einsamkeit ist ein Zustand, der im Widerspruch zu unseren eigenen Bedürfnissen und Wünschen steht. Er wird als Mangel empfunden. Einsamkeit und das Gefühl von Mangel, ein Verlust oder der Wunsch nach Änderung kann jeden und jede von uns (be-)treffen. Mit diesem Buch richten wir uns insbesondere an die Menschen, die unter Einsamkeit leiden und Ansätze zur Selbsthilfe suchen. Wir wollen aber auch diejenigen ansprechen, die von Menschen in ihrer Umgebung wissen, die unter Einsamkeit leiden, und die ein Gespür für die möglichen Gründe bekommen und die Betroffenen unterstützen möchten. Denn: Einsamkeit ist keine Krankheit, aber sie kann einschränken oder sogar krank machen. Es gibt kein Medikament, das direkt gegen Einsamkeit wirkt.

Erinnern Sie sich an die extremen Einschränkungen während der Coronapandemie? Durch die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, die primär aus Kontaktbeschränkungen und freiwilliger Isolation bestanden, erfuhr ein Großteil der Menschheit, was es heißt, nicht nur allein, sondern auch einsam zu sein. Denn das Gefühl, mit anderen Menschen gut verbunden zu sein, wurde empfindlich getroffen. Nachdem die Impfkampagnen langsam Fahrt aufgenommen hatten und wir uns unter Auflagen wieder begegnen konnten, war es wie ein kollektives Aufatmen. Die meisten Menschen hatten ein verändertes Bewusstsein für den Wert ihrer sozialen Kontakte. Familie, Freunde, Gemeinschaft – vieles wurde intensiver wahrgenommen. Für viele Menschen war es wie die Wahrnehmung der Natur nach einem reinigenden Regen. Alles war auf einmal klarer und schärfer, und bisher Selbstverständliches wurde wie eine neue Errungenschaft gefeiert.

Diese Dimension der Einsamkeit unter Pandemiebedingungen war neu. Lockdown und Co. haben das Phänomen Einsamkeit für viele Menschen „fühlbarer“ gemacht. Als leidvolles Symptom kursierte es bereits lange vor Corona in unserer Gesellschaft. Die paradox anmutende Tatsache lautet nämlich: Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, zu diesem Buch gegriffen haben, weil Einsamkeit in Ihrem Leben eine Rolle spielt, dann sind Sie damit nicht allein.

Gemäß bevölkerungsrepräsentativen Umfragen in Deutschland gaben im Jahr 2019 ungefähr 18 Prozent der Befragten und im Jahr 2020 ca. 39 Prozent an, an einem oder mehr Tagen pro Woche einsam zu sein.1 Im Jahr 2024 fühlten sich laut einer Umfrage ca. ein Drittel der befragten Erwachsenen in Deutschland mehrfach pro Woche oder täglich einsam (vgl. auch Abb. 1.1).2

Dabei darf Einsamkeit nicht mit selbst gewähltem Alleinsein oder sozialer Isolation verwechselt werden. Unter „den Einsamen“ finden sich neben Menschen, die sich (nach einer persönlichen Krise oder einer längeren Krankheit) ausgeschlossen fühlen, auch Personen, die sozial gut eingebunden sind, aber dennoch darunter leiden, sich mit niemandem wirklich in Resonanz zu fühlen. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein und mithilfe dieses Buchs werden sie sichtbarer und damit bearbeitbar.

Mit diesem Ratgeber haben wir Ihnen eine „Schatzkiste“ aus Informationen und Informationsquellen, Anleitungen, Tipps und Empfehlungen zum Thema Einsamkeit und Resonanz zusammengestellt. Wir bieten Ihnen Antworten auf eine Vielzahl von Fragen, die sich einsame Menschen unserer Erfahrung nach oft stellen. Unsere Ausführungen können Sie bei der Bewältigung von Problemen und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Einsamkeit unterstützen. Auch wollen wir Ihnen helfen, Ihre persönlichen Ziele zu erreichen und das Erreichte langfristig aufrechtzuerhalten.

Ein Ratgeber verfolgt klassischerweise das Ziel, praktische Informationen und Handlungsoptionen bereitzustellen, um die Lesenden zu befähigen, ihre individuellen Herausforderungen zu bewältigen. Zudem wollen wir dazu beitragen, Ihr Wissen und Ihr Verständnis zu dem Themenkomplex Einsamkeit zu erweitern. Wir freuen uns, wenn Sie verstehen, warum und wieso bestimmte Tipps gegeben werden und welche Ermutigungen hilfreich sein können bzw. wieso bestimmte Ratschläge, die andernorts erteilt werden, evtl. nicht zum Erfolg führen. All das erfolgt aufbauend auf Erkenntnissen aus der Beratungspraxis und der wissenschaftlichen Forschung.

Unser Ziel ist es, dass Sie nach der Lektüre dieses Ratgebers und der Umsetzung der für Sie passenden Handlungsimpulse zufriedener sind, weil Sie folgendes für sich erreicht haben:

Sie haben für sich wertvolle soziale Kontakte und Beziehungen gefunden, sodass Sie sich

nicht

einsam

fühlen. Einsamkeit wird hier als emotionaler (= gefühlter) Zustand verstanden, der entstehen kann, wenn Sie das Gefühl haben, mit anderen nicht (ausreichend) in Verbindung zu stehen oder von anderen nicht (so, wie Sie es sich wünschen) verstanden zu werden.

Sie können besser einschätzen, ob Ihre Wünsche bzgl. Kontakten und Beziehungen wirklich „Ihre eigenen“ sind oder durch ein vermeintliches Ideal – suggeriert beispielsweise in den Medien oder durch soziale und kulturelle Normen – geformt wurden und damit gar nicht zu Ihnen passen.

Sie sind in der Lage, zu differenzieren, ob Sie wirklich neue Kontakte knüpfen und mehr Beziehungen aufbauen sollten, oder ob die Beziehungsqualität mit einigen Mitmenschen vielleicht auch durch die Reflexion Ihrer eigenen Verhaltensweisen verbessert werden kann.

Sie fühlen sich als Teil einer Gruppe und dieses Wirgefühl haben Sie fest verinnerlicht. Das Gefühl dieser sog.

sozialen Identität

ist größer als das Gefühl für sich selbst und dafür, wie wir uns selbst als „ich“ wahrnehmen. Entstehen kann die soziale Identität aufgrund von Gemeinsamkeiten wie Sport, kulturellen Aktivitäten, Religion oder anderen gemeinsamen Merkmalen.

Sie kennen mindestens eine Person, von der Sie Unterstützung, Hilfe und Verständnis bekommen und der Sie ebenfalls gerne zur Seite stehen. Diese

soziale Unterstützung

ist gegeben, wenn Sie wissen, auf wen Sie sich verlassen können, wenn es Ihnen mal schlecht geht oder Sie Hilfe brauchen, und wem Sie diese Unterstützung auch zurückgeben mögen.

Sie haben ein

soziales Netzwerk

bzw. sind in eines eingebunden. Ein soziales Netzwerk umfasst die Gesamtheit der Beziehungen und Verknüpfungen, die Sie zu anderen Menschen haben. Dies können Freunde und Freundinnen, Familie, Kollegen und Kolleginnen sowie andere Kontakte umfassen, die Einfluss auf Ihr Leben haben oder mit Ihnen bestimmte Eigenschaften teilen.

Sie gehen in

Resonanz

mit anderen Menschen. Der Begriff „Resonanz“ leitet sich ab vom lateinischen

resonare

und bedeutet „widerhallen“. In der Psychologie meint Resonanz das Mitansprechen von Gefühlen und den „Widerhall, den Gefühle oder Gedanken in einem anderen Menschen finden“

3

. Das bedeutet, dass wir mit anderen in Interaktion treten und mit ihnen „erfüllend“ kommunizieren. Wir hören zu und sind „da“, d. h., wir sind nicht abgelenkt durch andere Einflüsse. Wenn wir anderen Menschen zuhören, diese beobachten und wahrnehmen, dann ist dies auch immer ein Streben nach einem Verstehen von uns selbst. Resonanz ist ein dynamischer Prozess mit anderen Menschen – aber es geht auch um das subjektive Erleben von uns selbst mit anderen, um in Verbindung zu treten und gut verbunden zu bleiben.

Nun aber zurück zu ganz grundlegenden Fragen: Was ist überhaupt Einsamkeit? Wie und warum entsteht sie? Warum bzw. wann ist Einsamkeit unangenehm? Was ist der Nutzen von Einsamkeit und was sind die negativen Seiten, die die Einsamkeit mit sich bringen kann? Wie kann (mehr) gute Verbundenheit entstehen und gepflegt werden? Um diese Fragen wird es im Folgenden gehen und sie sollen auf Basis der aktuellen Evidenz (Wissen aus wissenschaftlichen Studien) und bewährten Erfahrungen aus der Praxis bestmöglich beantwortet werden. Die Perspektive der angewandten Forschung und des Wissenschaftstransfers (d. h. Menschen in der Praxis motivieren und befähigen, wissenschaftlich fundiert zu agieren) wird zusammengebracht mit der aus der Praxis des Coachings, der Betriebsführung und der Persönlichkeitsentwicklung. Angereichert durch persönliche Erkenntnisse zeigen wir Ihnen damit nicht nur die Problemfelder auf, sondern bieten auch verschiedene Lösungswege an – Wege, Ansätze und Hilfen für Betroffene und die ihnen nahestehenden Menschen. Diese Unterstützung können und müssen individuell ausgewählt und angepasst werden, denn es gibt keine Patentlösung.

Eine Welt, die von existenziell bedrohlichen Krisen gebeutelt wird (Fehl- und Desinformation, gesellschaftliche Spaltung, Cyberunsicherheit, bewaffnete Konflikte und Kriege, extreme Wetterereignisse und Umweltverschmutzung, demografischer Wandel, soziale Unsicherheit), verstärkt auch das Gefühl von persönlichen Krisen und damit bei einigen Menschen die Einsamkeit. In der psychotherapeutischen und Coaching-Praxis erleben wir Menschen, die das Weltgeschehen als bedrohlich empfinden und aus der Überforderung heraus in den ungewollten sozialen Rückzug gehen. Die Flut an Negativnachrichten verlangt zwar, dass wir uns Phasen des Rückzugs gönnen, um den Herausforderungen des Alltags langfristig standhalten zu können. Wenn dabei aber Austausch und Gemeinschaft mit anderen Menschen zu kurz kommen, wird das Leben ebenfalls beschwerlich(er). Das zu verstehen, ist ein wichtiger Schritt auf einem längeren Weg zurück zu dem Gefühl,

in ein soziales Netzwerk eingebunden zu sein,

enge und vertrauensvolle Beziehungen zu haben, die guttun, und

sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen.

Einsamkeit hat viele Gesichter und wir möchten Ihre Wahrnehmung für diese „Vielgesichtigkeit“ schärfen, also dafür, wie unterschiedlich Einsamkeit zum Ausdruck kommen kann. Wenn Sie das Ihnen bekannte Gesicht „Ihrer“ Einsamkeit in unseren Beschreibungen wiederfinden, können Sie noch besser verstehen, was dahintersteckt, und einen guten, (selbst-)empathischen Umgang mit Ihrer Einsamkeit bzw. sich selbst entwickeln. Wir möchten gemeinsam mit Ihnen herausfinden, wohin es für Sie gehen soll, möchten Ideen für Veränderung anbieten und Sie darin unterstützen, motiviert und freudvoll „dranzubleiben“, um den Zustand des ungewollten, belastenden und leidvollen Alleinseins bzw. Ausgeschlossenheitserlebens zu beenden bzw. zumindest zu reduzieren. Dieses Werk zielt auf eine bewusste Erweiterung des eigenen Horizonts ab – vor dem Hintergrund, dass Menschen, die in Einsamkeit leben, ein Vertrauen in sich selbst und auch andere Menschen brauchen, um aus diesem Zustand herauszukommen und kleinschrittig zu lernen, einen für sie passenden Weg zu mehr Verbundenheit und Resonanz zu finden. Das Gefühl der Bindungssicherheit ist dabei wichtig, denn der Glaube daran, dass wir anderen vertrauen können, und die Erwartung, dass sie verfügbar und ansprechbar sind, wenn wir sie brauchen, bedingt, wie wir Zeiten des Alleinseins und die Interaktion mit Mitmenschen wahrnehmen und gestalten: Bindungssicherheit kann die Grundlage dafür bieten, das zwischenzeitliche Gefühl der Einsamkeit positiv zu erleben und die Fähigkeit zu entwickeln, gut allein zu sein – weil wir uns sicher sind, dass es Menschen gibt, die grundsätzlich für uns da sind und auf die wir uns verlassen können. Im Gegensatz dazu erleben Menschen, die eher durch Bindungsunsicherheiten geprägt sind, Alleinsein, Abschied und Nicht-Zugehörigkeit als unangenehm, bedrohlich und möglicherweise sogar schmerzhaft. Diese Prägung kann durch zurückliegende Erfahrungen bedingt sein, die schwierig zu ändern sind. Aber das Verständnis, warum wir unterschiedliche Bedürfnisse und Wahrnehmungen haben, kann helfen, sich und andere anzunehmen und kleine Schritte der Veränderung zu gehen.4 Natürlich mag niemand ausgeschlossen sein, niemand sucht das Gefühl, nicht dazuzugehören, nicht gemocht zu werden oder nicht die gleichen Chancen zu haben wie „die anderen“. Aber wie wir damit umgehen, kann bedeutsam dafür sein, wie wir auf andere wirken und ob bzw. wie wir (wieder) Teil der Gruppe werden, zu der wir gehören möchten.

Insbesondere wenn Einsamkeit die Folge einer Erkrankung darstellt oder als Begleiterscheinung von belastenden Lebensereignissen auftritt, werden Impulse aus dem Außen benötigt, um Veränderung zu bewirken. Begeben Sie sich mit diesem Buch auf eine „gedankliche und gefühlte Reise“. Reisen weckt Neugierde und motiviert uns, neue Wege auszuprobieren, neue Perspektiven einzunehmen. Wir kommen mit anderen Menschen zusammen und erfahren, dass es gar nicht immer auf die gemeinsame Sprache ankommt, um verstanden zu werden. Wichtiger ist das Gefühl, gut mit anderen verbunden und wertgeschätzt zu sein, etwas miteinander teilen zu können und zusammenGlücksgefühle zu erleben.

Wenn Sie dieses Buch in die Hand nehmen und zu Ihrer Reise aufbrechen, nehmen Sie Ihre Gefühle, Gedanken und Sorgen also mit. Lassen Sie das Gelesene nicht nur theoretisch oder rational auf sich wirken, sondern kommen Sie ins Fühlen. Bevor Sie in Resonanz mit anderen gehen können, ist es wichtig, zunächst (mehr) in Resonanz mit sich selbst zu sein bzw. zu kommen.

Wir machen auf dieser (Lese-)Reise Halt an verschiedenen Stationen, die lauten:

Selbstreflexion

Impulse

Erste Ideen für den Umgang mit Einsamkeit

Weg zu anderen Gefühlen und Gedanken

Selbstreflexion kann dazu beitragen, negative Gefühle wie Einsamkeit besser zu verstehen: Welche Faktoren oder Lebensumstände bedingen Einsamkeit und soziale Eingebundenheit? So können zum Beispiel nicht zielführende Gedanken und ungesunde Selbstgespräche durch Reflexion deutlich gemacht und gestoppt werden. Reflexionen ermöglichen es uns, mit mehr Selbstmitgefühl und Kreativität auf Lösungssuche zu gehen.

Damit Sie gut in die Reflexion eintauchen können, empfehlen wir Ihnen für die Bearbeitung der vielen Fragen, die wir Ihnen im Verlauf des Buches stellen werden, Folgendes: Zusätzlich zu den vorgegebenen Schreibräumen hier im Buch nehmen Sie bitte ein leeres Heft oder eine Kladde dazu, um sich darin weiterführende Notizen machen zu können. Auf diese Weise legen Sie sich Ihre „persönliche Schatzkiste“ zum Thema „Wege aus der Einsamkeit und zu mehr Resonanz“ an.

Einsamkeit kann auch durch individuelle Faktoren verstärkt werden, wie zum Beispiel durch soziale Bedürfnisse und Autonomiestreben, wahrgenommene Diskrepanz zwischen benötigten und realen sozialen Beziehungen, Selbstwirksamkeitserwartung bzw. gelernte Hilflosigkeit. Durch die im Folgenden immer wieder an Sie gerichteten Reflexionsfragen können diese möglichen Barrieren identifiziert und Strategien entwickelt werden, um sie zu überwinden.

Wir (die Autorinnen) wissen nicht, was genau Sie derzeit bewegt. Wir kennen Ihren persönlichen Hintergrund nicht. Aber das ist auch nicht erforderlich, um hilfreiche Impulse für Veränderung zu geben. Unsere Impulse erfolgen in Form von sogenannten Tools, also Werkzeugen: Fragen, Techniken und Methoden aus dem Coaching, die sich bewährt haben und die in der Forschung als wirksam nachgewiesen wurden. Dazu zählen auch Hilfestellungen, um Ihr vielleicht noch recht diffuses Gefühl der Einsamkeit oder Unzufriedenheit klarer einordnen zu können, wünschenswerte Ziele zu definieren und diese Ziele in kleinere Zwischenziele zu unterteilen, damit sie besser umgesetzt werden können.

Am Ende der Kapitel erfolgt jeweils ein Fazit: Was folgt aus dem von uns Erläuterten, aus den Impulsen und Anstößen zur Selbstreflexion? Inspirationen verhelfen Ihnen zu ersten Ideen für den Umgang mit „Ihrer“ Einsamkeit, die peu à peu immer konkreter werden. Damit wollen wir Ihnen auch mögliche Wege zu anderen Gefühlen und Gedanken aufzeigen. Die Hoffnung und die Zuversicht ist der erste Schritt, dem dann viele weitere Schritte folgen. Machen wir uns also auf die gemeinsame Reise.

Viel Freude auf Ihrer persönlichen Expedition zu mehr Resonanz und guter Verbundenheit wünschen Ihnen

Christiane Smidt und Sonia Lippke

Anmerkung der Autorinnen

Wir vereinen in diesem Buch zwei Bereiche zum Thema Einsamkeit: die Erkenntnisse der Forschung in den Bereichen Psychologie, Gesundheitsförderung und Prävention, vertreten durch Professorin Sonia Lippke, und die Erfahrungen aus der Arbeit mit Menschen in Coaching- und Therapiezusammenhängen, vertreten durch Christiane Smidt. Dafür stützen wir uns auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Publikationen, die unsere Kollegen und Kolleginnen und wir bereits veröffentlicht haben. Die Quellen sind größtenteils im Literaturverzeichnis aufgeführt, sodass interessierte Leser und Leserinnen auch die Originaltexte aufsuchen können.

Begriffe wie „Leser“, „Partner“, „Freund“, „Patient“, „Kunde“, „Teilnehmer“ etc. verwenden wir häufig nur in der maskulinen Form. Wir meinen jedoch immer alle Genera, es sei denn, es ist anders vermerkt.

TEIL I: DAS GEFÜHL DER EINSAMKEIT

In den folgenden Kapiteln werden Sie erfahren, was Einsamkeit genau ist, wie wir feststellen können, ob Menschen einsam sind, wie verbreitet Einsamkeit ist und welche Bedeutung Einsamkeit für uns in der Gesellschaft hat. Dazu schauen wir uns verschiedene Daten an und gehen der Frage nach, ob wir es tatsächlich – wie in den Medien oft suggeriert – mit einer Einsamkeitsepidemie zu tun haben.

Wir betrachten Zusammenhänge mit Gesundheit und Wohlbefinden, um besser zu verstehen, ob und wann Einsamkeit zu einem Gesundheitsproblem wird – oder ob gewisse gesundheitliche Einschränkungen einsam machen.

Weitere Aspekte, die mit dem Gefühl des Ausgeschlossenseins und dem Risiko, missverstanden zu werden, zusammenhängen, werden wir beleuchten und genauer unter die Lupe nehmen: Alter, Freundschaft und Beziehung bzw. Singledasein, Wohnsituation, Kinder, Migrationsgeschichte, Lebensstil und digitale Kommunikation. Dabei stellen wir Ihnen immer wieder konkrete Fragen, die Sie zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema anregen können. Im dann folgenden Teil wollen wir diese Fragen nutzen, um mit Ihnen in den Austausch zu kommen – denn Austausch mit sich und anderen Menschen ist ein zentraler Schritt, um Einsamkeit zu überwinden. So werden Sie auch besser verstehen können, was bei Ihnen wirklich „los“ ist, was nur Einsamkeitsmythen sind und wo und wie Veränderungen möglich sind.

1. Einsam oder nicht einsam – das ist hier die Frage

Wir Menschen sind soziale Wesen und nehmen uns in der Gemeinschaft wahr. Das Gefühl, dazuzugehören, gut im Austausch zu sein, verstanden zu werden und solche Beziehungen zu haben, die wir uns wünschen, ist für uns zentral. Wer etwas vermisst, ist unzufrieden und kann sich einsam fühlen. Menschen leiden unter dieser Einsamkeit. Manche Menschen sind sich dessen nicht bewusst oder geben dies nicht zu. Sie sind vielleicht sozial gut vernetzt und es scheint so, als wären sie ausreichend verbunden, aber in Wirklichkeit fehlen ihnen andere Menschen, denen sie sich wirklich nahe fühlen. Das Verschweigen der Einsamkeit hängt u. a. auch mit dem gesellschaftlichen Umgang mit diesem Gefühl zusammen. Da sind Scham, Minderwertigkeitsgefühle und Misserfolgserleben nicht weit.

Wenn Sie dieses Buch im Hinblick auf Ihre eigene Lebenssituation lesen, haben Sie bereits einen großen Schritt getan: Sie sind der Einsamkeit als mögliche Ursache für Ihr Unglücklichsein oder Ihre Unzufriedenheit auf die Schliche gekommen und gestehen sich diese ehrlich ein. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Veränderung. Die gute Nachricht lautet: Grundsätzlich können wir selbst Einfluss darauf nehmen, in welchem Maß wir uns einsam fühlen oder auch nicht.

Um es gleich vorwegzunehmen: Einsamkeit ist nichts Objektives oder physiologisch Messbares. Ob Menschen sich einsam fühlen, lässt sich nur dann sicher feststellen, wenn sie ehrlich Auskunft über ihre Gefühle geben können. Menschen von außen zu beobachten, lässt lediglich die Annahme zu, dass diese sich einsam fühlen könnten. Dahinter steht aber primär die Erfahrungswelt des Beobachtenden, die ihn bzw. sie zu dieser Annahme veranlasst. Die gefühlte Wirklichkeit des Beobachteten kann ganz anders sein.

Glauben wir den Schlagzeilen, dann scheint es so, als würde Deutschland von einer wahren „Einsamkeitsepidemie“ heimgesucht.5 Für Sie haben wir uns das mal genauer angesehen. Dazu haben wir die aktuelle Lage und die Entwicklung der letzten Jahre analysiert.

1.1 Befindet sich Deutschland in einer Einsamkeitsepidemie?

Um diese Frage zu beantworten, wollten wir die Menschen in Deutschland selbst zu Wort kommen lassen und haben deswegen gefragt: „Wie oft fühlen Sie sich einsam?“ Es konnte geantwortet werden: „täglich“, „mehrfach pro Woche“, „einmal die Woche“ oder „selten / nie“. Die folgenden Daten wurden zum Teil bereits veröffentlicht6, zum Teil sind sie aber auch so aktuell, dass sie hier zum ersten Mal und exklusiv für Sie aufbereitet wurden.i Im Jahr 2023 gaben 5 Prozent an, sich „täglich“ einsam zu fühlen, von „mehrfach pro Woche“ berichteten 15 Prozent und mit „einmal die Woche“ antworteten 16 Prozent. Die weiteren 63 Prozent machten die Aussage, sich „selten oder nie“ einsam zu fühlen. Wie sich das Einsamkeitsempfinden in Deutschland im Vergleich zu vorherigen Jahren darstellt, zeigt Abbildung 1.1:

Abbildung 1.1: Anteil an befragten Menschen, die sich einsam fühlten im Lauf der letzten fünf Jahre

Vor Corona, im Jahr 2019, waren 18 Prozent der Befragten täglich, mehrfach pro Woche oder einmal pro Woche einsam (schwarzer, dunkelgrauer oder hellgrauer Balken in Abb. 1.1). Dieser Anteil nahm mit der Coronapandemie stark zu, er wuchs auf 39 Prozent (2020). Im Jahr 2021 war der Anteil von Menschen, die sich einmal pro Woche oder häufiger einsam fühlten, am größten (42 %). Aber auch wenn diese Zahlen sich wieder zum Positiven entwickelt haben, indem dieser Anteil im Jahr 2022 auf 32 Prozent und im Jahr 2023 auf 36 Prozent abnahm, konnte das Niveau aus der Zeit vor der Pandemie (2019 und davor) bisher nicht wieder erreicht werden.

Die erlebten persönlichen Krisen und die Kontaktbeschränkungen scheinen also einen langfristigen Effekt gehabt zu haben: Alles deutet darauf hin, dass die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie nicht nur kurzfristige, sondern bei einigen Menschen auch langfristige Folgen für die empfundene Einsamkeit haben. Auch wenn die Einsamkeitswirkung der Pandemie und der pandemieeinschränkenden Maßnahmen abzunehmen scheinen, fühlen sich nach der Pandemie immer noch mehr Menschen einsamer als vor der Pandemie.

Um genauer zu verstehen, wer sich einsam fühlt, können verschiedene Altersgruppen genauer betrachtet werden (Abb. 1.2). Was dabei auffällt: Die Mitglieder der ältesten Gruppe (60+ Jahre) scheinen sich gut verbunden, also durchschnittlich nicht einsam zu fühlen. Dagegen ist die jüngste Gruppe (18–29 Jahre) nicht so eindeutig optimistisch, d. h., das Einsamkeitsempfinden der Jüngeren scheint stärker ausgeprägt als in den anderen Altersgruppen.

Abbildung 1.2: Berichtete Einsamkeitshäufigkeit in den verschiedenen Altersgruppen (2023)

Abgesehen vom Zusammenhang mit der Coronapandemie zeigt sich mit Blick auf die Gesamtbevölkerung keine generelle Zunahme der Einsamkeit über die letzten Jahrzehnte, und dies ist auch in vielen anderen Studien so festgestellt worden.7 Um dies genauer zu betrachten, wollten wir des Weiteren von den Befragten wissen: „Fühlen Sie sich jetzt einsamer als vor der Coronapandemie?“ Der Antwort „Nein, überhaupt nicht“ stimmten 58 Prozent zu, „Eher nicht“ antworteten 25 Prozent, „Eher ja“ berichteten 13 Prozent und „Ja, vollkommen“ meinten 4 Prozent. Es scheint positiv, dass die meisten Menschen sich nicht einsamer fühlen als vor der Coronapandemie. Nicht vergessen sollten wir aber die 16 Prozent der Menschen, die sich nun einsamer fühlen – und dies sind eher jüngere Menschen (siehe Abbildung 1.3 mit den Mittelwerten der verschiedenen Altersgruppen):

Abbildung 1.3: Berichtete Zustimmung, sich einsamer zu fühlen als vor der Coronapandemie in den verschiedenen Altersgruppen (2023)

Nicht berücksichtigt sind hier stark gesundheitlich eingeschränkte Menschen wie von Post-Covid Betroffene oder pflegebedürftige Personen: Anhaltende oder wiederkehrende Beschwerden setzen diesen Menschen auch psychisch enorm zu, erschweren die Teilhabe und begünstigen Einsamkeit.8 Zusammenfassend können wir festhalten: In Deutschland hat die Einsamkeit allgemein über die Zeit nicht zugenommen. Auch wenn es methodisch schwierig ist, die Daten aus unterschiedlichen Studien zu vergleichen (Zeitraum, Alter der befragten Personen, untersuchtes Land und Messung der Einsamkeit), kommen viele andere Forschende ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Einsamkeit generell über die Zeit nicht zugenommen hat. Auch ein Bericht der europäischen Kommission9 und verschiedene andere deutsche Erhebungen der letzten Jahre lassen wissenschaftlich betrachtet keine Zunahme erkennen. Das heißt: Von einer „Epidemie der Einsamkeit“ zu sprechen, spiegelt eher die Sorgen von Menschen10, die Begleiterscheinung der (positiven) Entstigmatisierung oder mangelndes Verständnis von denjenigen, die darüber kommunizieren, wider. Der Ausdruck „Einsamkeitsepidemie“ (Loneliness Epidemic) ist vermutlich eher ein Indiz für die allgemeine Zukunftsangst, die Furcht vor modernen Lebensstilen und die Sorge, was bestimmte Lebensformen und Gesellschaftsideale mit sich bringen. Auch werden Menschen mit zunehmendem Alter nicht einsamer. Es scheinen eher die Jüngeren betroffen zu sein, und es gibt viel Hoffnung, dass Menschen in jedem Alter aus der Einsamkeit herauskommen. Und auch wenn es keine Zunahmen und keine Einsamkeitsepidemie gibt, so ist doch klar: Jeder und jede Einzelne, der bzw. die von Einsamkeit betroffen ist, ist eine bzw. einer zu viel und sollte die Chance bzw. Unterstützung bekommen, aus der Einsamkeit heraus und zu mehr Resonanz und Zufriedenheit zu kommen.

1.2 Faktoren, die Einsamkeit begünstigen können

Besonders in Lebensphasen, die Umbrüche beinhalten, ist das Risiko, unter zu wenig (erfüllenden) sozialen Beziehungen und unter Einsamkeit zu leiden, besonders hoch. Ein kurzer Überblick über die Ergebnisse der Erforschung der Einsamkeitsfaktoren kann Ihnen dabei helfen, Ihre eigene Situation besser einzuordnen und Ihr Empfinden – unter Berücksichtigung dieser Faktoren – genauer unter die Lupe zu nehmen.

Faktor Alter

„Es sind doch die alten Menschen, die einsam sind. Junge Leute sollten nicht von Einsamkeit reden, wenn sie mal ein bisschen allein sind!“ Haben Sie ähnliche Aussagen auch schon einmal gehört? Im obigen Abschnitt und den Abbildungen 1.2 und Abbildung 1.3 wurde bereits verdeutlicht, dass diese Aussage so nicht stimmt: Jüngere Menschen leiden stärker unter Einsamkeit, und Alleinsein ist nicht dasselbe wie Einsamkeit. Hier gilt es, das subjektive Empfinden besser zu verstehen.

Detaillierte Untersuchungen haben gezeigt, dass es einen sogenannten u-förmigen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Lebensalter gibt.11,12 Das bedeutet, dass junge (s. Abb. 1.2 u. 1.3) und hochaltrige Menschen (die wir in unserer eigenen Studie kaum berücksichtigt haben) durchschnittlich einsamer sind als diejenigen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren.

Einsamkeit betrifft also nicht nur hochaltrige Senioren, sondern ganz besonders jüngere Menschen. Es sind drei typische Lebensphasen definiert worden, in denen die Wahrscheinlichkeit, von Einsamkeit betroffen zu sein, steigt13:

Bei Jüngeren ist das die Phase nach der Schule, wenn sie für eine Ausbildung oder ein Studium ihre vertraute Umgebung verlassen, den Wohnort wechseln oder ins Ausland gehen. Ist alles fremd und neu, fällt es erst einmal schwer, so viele und gute soziale Beziehungen zu pflegen, wie dies vielleicht gewünscht wäre bzw. gebraucht würde. Neue Freunde müssen erst gefunden werden, der Weg dorthin ist vielleicht erst mal unangenehm.

Bei Menschen zwischen Mitte 40 bis Anfang 50 beginnt ein neuer Lebensabschnitt, sobald die Kinder aus dem Haus sind oder andere Bedingungen zu Änderungen führen. Das bisherige Leben und die Partnerschaft verändern sich, die eigenen Bedürfnisse, aber auch unerfüllte Wünsche, werden spürbar. Einsamkeit ist dann ein Gefühl, das diesen Zustand gut beschreiben kann und einen Impuls auslöst, etwas anders zu machen und dem Leben eine neue Qualität zu geben.

Bei über 80-Jährigen werden soziale Kontakte häufig aufgrund von eingeschränkter Gesundheit und Mobilität erschwert. Es versterben Gleichaltrige und neue Kontakte werden nicht mehr so einfach geknüpft – auch weil weniger Gleichaltrige verfügbar sind. So läuft diese Altersgruppe eher Gefahr, sozial isoliert zu werden. Aber das muss nicht sein, denn es gibt viele Möglichkeiten, um gut verbunden zu bleiben oder es wieder zu werden. Es gibt viele Beispiele von Menschen in dieser Altersgruppe, die sich nicht (oft) einsam fühlen.

Um zu verstehen, warum jüngere Menschen stärker unter Einsamkeit leiden, ist es auch wichtig zu erkennen, dass es unterschiedliche Phasen im Leben gibt: In jüngeren Jahren kommt es mehr auf eine Vielzahl von Kontakten an, unter denen dann die erfüllenden Beziehungen gesucht und intensiviert werden. Eine Partnerschaft wird aufgebaut und vielleicht eine Familie gegründet. Später kommen auch immer wieder neue Beziehungen dazu, aber dann kommt es nicht so sehr auf eine große Anzahl (Quantität) an möglichen sozialen Beziehungen an, sondern mehr auf die Qualität. Es verändern sich die Bedürfnisse, aber auch die Ansprüche. Wer frühzeitig gelernt hat, neue Kontakte zu knüpfen und Beziehungen so zu pflegen, dass sie erfüllend sind, dem fällt es auch später leichter. Wer viele negative Erfahrungen gemacht hat, ist vorsichtiger und muss erst mal wieder neuen Mut gewinnen.

Wie ging es Ihnen in Ihrer Jugendphase? Wie ging es Ihnen, nachdem Sie bei Ihren Eltern ausgezogen sind? In dieser Zeit kann Einsamkeit aufgrund des Übergangs zu neuen Lebensphasen, der Suche nach Identität und sozialer Integration erhöht sein. Was hat Ihnen in dieser Phase geholfen, neue Kontakte zu knüpfen, Menschen kennenzulernen und in einen Austausch zu kommen, der Ihnen gutgetan hat?

Haben Sie schon eine Zeit lang in einem anderen Land gelebt? Oder haben Sie eine einschneidende Erfahrung im Urlaub in einem anderen Land gemacht? Beispielsweise einen Armbruch auf Reisen und dann der Aufenthalt in einem Krankenhaus, in dem keiner Ihre Sprache gesprochen hat? Kennen Sie das Gefühl, dass es in einer ungewohnten Umgebung schwieriger ist, mit anderen Menschen in einen erfüllenden Austausch zu kommen?

Umzug oder Migration

Umzug in eine neue und fremde Umgebung, Migrationskontext und kulturelle Unterschiedlichkeit können das Gefühl des Ausgeschlossenseins und das Risiko von Missverständnissen verstärken. Aber das muss es nicht, denn Menschen, die offen sind für neue Erfahrungen und diese generell als Chance oder zumindest als anregend und spannend erleben, können die Situation auch nutzen und sogar etwas Positives daraus ziehen.

Den Verlust der vertrauten Heimat sowie kulturelle und sprachliche Unterschiede gilt es so zu bewältigen, dass ein neues soziales Netzwerk und eine erfolgreiche Integration gelingen können. Das kann schon damit beginnen zu verstehen, dass in einer neuen Nachbarschaft andere Gewohnheiten vorherrschen. Zum Beispiel können „Alteingesessene“ eher zurückgezogen leben und Einblicke in ihre Privatsphäre vermeiden wollen. Wenn in dieser Umgebung jemand einzieht, der es gewohnt ist, dass das Leben auf der Straße stattfindet, Gardinen als nicht notwendig ansieht und andere auch akustisch gerne am eigenen Leben teilhaben lässt, fühlen sich die Alteingesessenen befremdet oder sogar belästigt. Und „die Neuen“ fühlen sich ausgegrenzt und unverstanden, obwohl sie genauso behandelt werden, wie alle anderen. Wie wichtig ist es da, aufeinander zuzugehen, über Gewohnheiten und bisherige Erfahrungen, aber auch Bedürfnisse in Austausch zu kommen?!

Auch im Arbeitskontext kennen das viele Menschen: „Südländer“ wie Bayern gelten als redseliger als Norddeutsche. Ein freundlicher Plausch wird von den „kühlen Nordlichtern“ u. U. schon als aufdringlich erlebt. Andersherum fühlen sich dann Menschen, die mehr Austausch gewöhnt sind oder brauchen, ausgeschlossen oder gar isoliert, obwohl es in der Umgebung vollkommen normal ist, distanzierter zu sein, und sie von anderen Menschen keinesfalls als ausgeschlossen gesehen werden.

Ein Umzug oder Migration bringt Vielfalt mit sich – für die, die umziehen oder migrieren, aber auch für diejenigen, die als Zuzügler dazubekommen. Das kann erst mal als schwierig erlebt werden, aber es bietet auch viele Chancen. Letztere zu erkennen, fällt jüngeren Menschen offenbar leichter14, wohingegen Ältere stärker erwarten, dass „die Neuen“ sich anpassen. Neben diesen Einstellungen und dem Alter gibt es weitere Charakteristika, die die Offenheit für neue Erfahrungen bzw. das Risiko für Einsamkeit bestimmen, nämlich Persönlichkeitsmerkmale.

Persönlichkeit

Wer eher nach innen gekehrt und verschlossen (introvertiert) ist, hat größere Schwierigkeiten, auf andere zuzugehen und neue Situationen zu nutzen. Hinzu kommt, dass manche Menschen generell eine geringere Stressresistenz haben, also von Herausforderungen stärker belastet sind, als andere. Dies kann einhergehen mit mehr Ängstlichkeit, der Tendenz zur Impulsivität, einer erhöhten Selbstaufmerksamkeit, Reizbarkeit, Verletzlichkeit und schlechter Stimmung generell.

Sollten Sie sich in diesen Beschreibungen wiederfinden, dann bewerten Sie dies bitte nicht negativ! Es geht dabei um ähnlich individuelle Merkmale wie z. B. die Körpergröße. Vergleichbar mit Körpermerkmalen sind auch die Persönlichkeitsmerkmale zu einem Teil genetisch bedingt, also angeboren. Zu einem anderen Teil sind sie geprägt durch das, was wir erleben durch Mitmenschen (Beziehungs- und Bindungserfahrungen) und kulturelle bzw. gesellschaftliche Werte. Und nicht zuletzt bedingen wir diese Erfahrungen auch selbst durch das, was wir (ungewollt) sagen, (unbewusst) tun und wie wir reagieren bzw. wie wir auf andere wirken (z. B. durch unsere Zurückweisungsempfindlichkeit).

Wenn Sie eher introvertiert sind, zeichnet es Sie vielleicht zugleich aus, dass Sie sich selbst gut wahrnehmen können und sensibel sind. Eine eher besorgte Haltung und eine gewisse Ängstlichkeit können Sie vor negativen Erfahrungen schützen. Dass bestimmte Ereignisse Sie nicht „kalt“ lassen, dürfen Sie als Teil von Ihnen annehmen, der wertvoll ist und hilfreich sein kann. Wenn Sie darüber hinaus noch sehen, dass Sie mit der richtigen Strategie nicht nur trotz, sondern gerade wegen dieser Sensibilität gut auf andere zugehen bzw. diesen freundlich begegnen können, dann spricht nichts dagegen, dass Sie bald genauso gut vernetzt und verbunden sind wie ein extrovertierter Mensch, bzw. wie Sie es sich wünschen.

Arbeit und Arbeitslosigkeit

Menschen in Voll- oder Teilzeitbeschäftigung fühlen sich weniger oft einsam als Arbeitsuchende oder Studierende und Auszubildende (s. Abbildung 7.1)15. Ein (unerwartetes) Lebensereignis, das auf die Einsamkeit einzahlt, kann z. B. Arbeitslosigkeit sein. Der Verlust der Arbeit und damit verbundener wichtiger Rollen im Leben bedeutet nicht nur den Wegfall des Einkommens, sondern auch den Verlust der selbstverständlichen Kontakte zu Kollegen und Kunden und die Anerkennung durch die berufliche Stellung. In der Folge kann die Zeit, die auf das Suchen eines neuen Jobs verwendet wird, dann vielleicht für den Kontakt zu Freunden fehlen.

Viele erwerbslose Menschen erleben auch eine Unsicherheit in Bezug auf ihren persönlichen Wert. Sie zweifeln an ihrer Bedeutung für ihr direktes Umfeld und auch für die Gesellschaft an sich. Wo sind jetzt die Möglichkeiten, sich einzubringen, und wie kann mit der besonderen Herausforderung der Ablehnung umgegangen werden? Auch hier gibt es wieder viele Aspekte, die direkt und indirekt mit dem Gefühl der Verbundenheit bzw. der Einsamkeit im Zusammenhang stehen.

Beziehungsstatus und Haushaltsgröße

Alleinleben, Single sein oder Scheidung sind weitere Ereignisse, die zu mehr Einsamkeitserleben beitragen können. Wer allein lebt, kann sich trotzdem in einer Beziehung befinden, etwa wenn der Partner einen anderen Wohnort hat. Die Singlewohnung bietet gegenüber der Wohngemeinschaft Vorteile wie mehr Unabhängigkeit, mehr Freiheiten zu haben und weniger Rücksicht auf andere nehmen zu müssen. Viele ältere Menschen bleiben auch dann in ihrem Haus wohnen, wenn die Kinder ausgezogen sind und der Partner im Pflegeheim lebt oder verstorben ist. Dann wird aus dem Familienheim ein Einpersonenhaushalt. Auch wenn es banal klingt: Alleinleben bedeutet, dass nicht automatisch andere Menschen getroffen werden. Dafür muss eine Verabredung getroffen oder zumindest der Weg nach draußen in den Park, zum Verein oder ins Museum geschafft werden. Aus den Vorteilen der Unabhängigkeit wird ein Nachteil, wenn „Mehraufwand“ betrieben werden muss, um in Kontakt mit anderen Menschen zu bleiben.

Aber das Zusammenleben mit anderen Menschen kann auch Schwierigkeiten mit sich bringen: Die Beziehung zu Mitbewohnern in der Wohngemeinschaft oder einem Mehrgenerationenhaus kann kompliziert und spannungsreich sein. Gleiches gilt für einen Ehe- oder Liebespartner: Eine Partnerschaft allein ist keine Garantie dafür, sich gut sozial eingebunden und nicht einsam zu fühlen. So zeigen unsere eigenen Daten das folgende Bild (Abb. 1.4).

Abbildung 1.4: Menschen mit und ohne Partner, die berichten, sich einsam zu fühlen, unterscheiden sich, aber ein Partner ist kein Garant dafür, sich nicht einsam zu fühlen.

Auch wenn der Anteil derjenigen, die sich selten oder nie einsam fühlen, bei Menschen mit Partner deutlich größer ist als bei Singles (72 % gegenüber 46 %), gibt es doch auch einige Menschen, die sich trotz Partner täglich (3 %), mehrfach pro Woche (10 %) oder mindestens einmal pro Woche (15 %) einsam fühlen.

Eine geringe Beziehungsqualität oder häufige Partnerschaftskonflikte gehen mit dem Gefühl der Einsamkeit einher. Das Verständnis dieses Zusammenhangs ist deswegen wichtig, weil nicht das Fehlen eines Partners das eigentliche Problem ist: Es ist das Gefühl der nicht ausreichenden Verbundenheit. Weitere Kontakte neben der Partnerschaft können Abhilfe schaffen. Aber das Bestreben allein, einen (neuen) Partner zu suchen, wird das Gefühl der Einsamkeit (wahrscheinlich) nicht lösen. Vielmehr gilt es herauszufinden, wie eigene Erwartungen aussehen und ob diese realistisch sind. Es ist hilfreich, auf dem Weg zur Problemlösung bei sich selbst zu starten:

Was kann ich selbst in der Beziehung mit meinem Partner verbessern? Welche meiner Verhaltensweisen fördern das ungewünschte Verhalten meines Partners oder meines Kindes? Zu konkreten Beispielen kommen wir später im Buch bei den verschiedenen „Gesichtern der Einsamkeit“ (Kap. 4–8).

In den letzten Dekaden haben sich die üblichen Wohnformen und die verschiedenen Lebensstilfaktoren (vgl. unten) verändert und es hat sich der Trend fortgesetzt: Es leben mehr Menschen allein als je zuvor, was sich in der zunehmenden Anzahl an Einzelpersonenhaushalten widerspiegelt.16 Aber ist es so, dass diejenigen, die allein leben, auch häufiger einsam sind im Vergleich zu Menschen, die mit anderen zusammenleben? Die Vermutung, dass alleinlebende Menschen sich einsamer fühlen als Menschen, die mit anderen zusammenwohnen, konnte mehrfach belegt werden17. Die aktuellen Daten zeichnen folgendes Bild (Abb. 1.5):

Abbildung 1.5: Allein lebend oder mit anderen zusammen – wer fühlt sich häufiger einsam? Eindeutig diejenigen in großen Wohngemeinschaften.