VERDERBEN ÜBER THULE - Leif Inselmann - E-Book

VERDERBEN ÜBER THULE E-Book

Leif Inselmann

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Beschreibung

Norwegen, 9. Jh. n. Chr. Eine nie gekannte Bedrohung erwartet den Krieger Ragnar: Im fernen Norden, auf der sagenhaften Insel Thule, rüstet das Volk der Riesen zum Krieg. Nur er, der über die Toten gebietet, vermag sich ihnen entgegenzustellen. Zu spät erkennt Ragnar, dass die von ihm entfesselte Macht weit größeres Grauen in sich birgt – und dass der Auftrag mehr als sein Leben fordern wird... Der Roman VERDERBEN ÜBER THULE aus der Feder des deutschen Schriftstellers Leif Inselmann (Jahrgang 1998) ist eine Reise in die Welt der Untoten, Berserker und Blutfehden – und der zweite Band der historischen Dark-Fantasy-Serie DRAUGAR.

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LEIF INSELMANN

 

 

VERDERBEN ÜBER THULE - DRAUGAR II

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

VERDERBEN ÜBER THULE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by Leif Inselmann/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

 

Das Buch

 

 

Norwegen, 9. Jh. n. Chr.

Eine nie gekannte Bedrohung erwartet den Krieger Ragnar: Im fernen Norden, auf der sagenhaften Insel Thule, rüstet das Volk der Riesen zum Krieg. Nur er, der über die Toten gebietet, vermag sich ihnen entgegenzustellen. Zu spät erkennt Ragnar, dass die von ihm entfesselte Macht weit größeres Grauen in sich birgt – und dass der Auftrag mehr als sein Leben fordern wird...

 

Der Roman Verderben über Thule aus der Feder des deutschen Schriftstellers Leif Inselmann (Jahrgang 1998) ist eine Reise in die Welt der Untoten, Berserker und Blutfehden – und der zweite Band der historischen Dark-Fantasy-Serie Draugar. 

VERDERBEN ÜBER THULE

 

  Erstes Kapitel

 

 

Norwegen, A.D. 859

Es war Sommer in Norwegen. Doch seit Tagen beherrschte Kälte das Land, die Sonne hinter dicken Wolken voller Regen und Nässe verschwunden. Ein Schleier feuchten Nebels lag auch an diesem Morgen über dem Meer und schien selbst die Wellen zu ersticken, die sonst stets die schwarze See aufwühlten.

Thorgrim schnaufte grimmig, als er das Netz aus seinem kleinen Boot warf – es war bereits nass, noch ehe es das Wasser berührte. Dann ließ er sich auf der hölzernen Planke nieder und wartete. Mochte er auch die Witterung verfluchen, konnte es doch den Fischen egal sein!

»Macht schon, ihr schuppiges Getier«, brummte der Fischer. Es war nicht das erste Mal, dass er zu den Tieren der See sprach, von denen er hoffte, in seine Netze zu schwimmen. Das vertrieb die Ödnis, ein wenig.

Die Berge des nahen Landes waren nur als schemenhafte Umrisse zu erahnen, ansonsten kaum etwas zu sehen durch die Nebelschwaden. Vielleicht nicht das beste Wetter, um herauszufahren, doch irgendwann musste er die Fische schließlich ins Netz bekommen, wenn er sie später daheim zum Trocknen aufhängen wollte.

Irgendwann griff Thorgrim zu dem Trinkschlauch, der neben ihm im Boot lag, und nahm einen Schluck Met. Das wärmte zumindest ein wenig den Körper und reizte den von salziger Seeluft ausgedörrten Rachen, auch wenn der Trank nicht sehr gut zubereitet war. Und dieser Schluck musste zunächst reichen, er hatte noch einige Zeit auf dem Meer vor sich.

Gerade lehnte er sich gelangweilt im Boot zurück, als er plötzlich im Nebel einen Schatten gewahrte. Thorgrim zögerte einen Moment, dann stürzte er an die Reling, seine Augen durchbohrten wie Dolche den Dunst. Erst erkannte er es nicht mehr und glaubte, sich geirrt zu haben – einer jener Streiche, die die See den müden Augen eines alten Mannes spielte. Eine kühle Brise fuhr über das wettergegerbte Gesicht des Fischers und durch seinen offenen Bart – und lichtete dann wieder für einen Augenblick den Nebel, sodass Thorgrim den Umriss eines Schiffes erkannte. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, es war dort – gar nicht weit von seinem Fischerboot entfernt, das es um die doppelte Größe überragen musste.

Die Form des Schiffes kannte Thorgrim nicht, es war kein heimischer Drachen oder Knorr. Ein offenes Segel erhob sich über einem bauchigen Rumpf, es schien teilweise zerrissen und hing vollkommen schief zum Wind am Mast. Das machte Thorgim stutzig.

»He!«, rief der Fischer aus und seine Stimme verhallte über dem stillen Wasser.

»Wer da?!«

Es folgte keine Antwort. Auf Deck des Schiffes war keine Menschenseele zu erkennen – niemand ruderte, niemand richtete das geschundene Segel. Ein Geisterschiff?

»Ist jemand an Bord?«, brüllte Thorgim. Vielleicht würde jemand seine Hilfe benötigen. Und wenn auf dem rätselhaften Kahn niemand mehr am Leben war, umso besser, dann könnte er sich womöglich das Schiff und die Ladung aneignen.

Ein kleiner Schimmer von Glück für einen armen Fischer, der sich nie viel mehr vom Schicksal erhofft hatte, als sein bescheidenes Dasein noch ein paar Jahre zu fristen.

Als wieder keine Antwort kam, stieß Thorgrim die Paddel ins Wasser und begann zu rudern. Wenn das andere Schiff einen klaren Kurs hätte, sein Segel etwa nach dem Wind richten würde, hätte er es niemals einholen können – doch es dümpelte nur träge auf den Wellen hin und her.

Thorgrims sehnige Arme trieben sein kleines Fischerboot Stück für Stück vorwärts, langsam hinüber zu dem verlassenen Schiff im Nebel. Ihm war ein wenig unwohl zumute – natürlich kannte er all jene Geschichten von Meer Draugar, den ruhelosen Geistern ertrunkener Seemänner. Doch wieso sollte ausgerechnet ihn heimsuchen, was in den Legenden doch immer so weit weg war? Er schnaufte bereits ein wenig, als sein Boot endlich seitlich gegen den Rumpf des Schiffes stieß, von den Wellen immer wieder ein Stück weg- und dann wieder herangetragen. Notdürftig machte er ein Seil an der Reling fest, dann griff er mit den Armen hinüber und zog sich mühsam hinauf.

Erst landete er auf dem Bauch, bevor er sich mit den Händen wieder vom nassen, salzverkrusteten Deck hochstemmte.

»Hallo? Ist hier...?«

Thorgrim verstummte. Das Deck des Schiffes lag ruhig und leer vor ihm. Auf den ersten Blick keine Spur von einer Mannschaft. Erst mit dem zweiten erahnte Thorgrim, was hinten am Heck lag, vor den hölzernen Fässern und Kisten, die dort standen, ausgestreckt. Beine – und nun zeichneten sich vor Thorgrims Augen auch die beiden dunklen, zusammengesunkenen Gestalten ab, die dort saßen, mit dem Rücken schief an die klägliche Fracht gelehnt.

»Njörd steh mir bei«, hauchte Thorgrim.

Die Bohlen des Schiffes knarzten, als er sich Stück für Stück den Körpern näherte, jenen beiden, die als einzige noch übrig waren von der Besatzung. Ihre Kleider, weite Kutten, waren durchnässt, darunter zeichneten sich abgemagerte Körper ab. Ein verfilzter Bart umrahmte das Gesicht eines alten Mannes, doch die Augen, aus denen er Thorgrim ohne zu blinzeln anzustarren schien, waren dunkle Löcher, offenbar schon vor Langem ausgepickt von Möwen. Der übelkeitserregende Geruch von Verwesung zog über das Deck zu dem furchtsamen Fischer hinüber, der schon Bittgebete an alle Mächte der See auf den Lippen hatte.

Diese Männer, oder was von ihnen übrig war, sahen nicht nach Nordmännern aus, ihre Kleidung wirkte fremd genau wie das Schiff. Sich trotz des Gestanks überwindend, trat Thorgrim näher. Er erkannte, dass um den Hals des Alten eine Kette hing, daran ein schlichtes eisernes Kreuz. Christen!

Der andere Mann schien jünger, auch ihm aber war der Bart bereits ein ganzes Stück unordentlich gewachsen. Die Augen waren geschlossen und ersparten Thorgrim einen solchen Schrecken, wie ihn der böse Blick des Alten von sich schleuderte. Dann aber fiel Thorgrims Blick auf das, was im Schoße des Jünglings lag, von kraftlosen Händen umschlossen wie eine letzte Waffe im Angesicht des Todes.

Trotz der Kälte brach Thorgrim der Schweiß aus, als er sich nun, all seinen Instinkten zum Trotze, hinabbeugte und mit zitternden Fingern nach jenem schmierigen Stab griff, den die Hände des Fremden noch halb verdeckten. Er zog es heraus, ein Stück nur, bevor sich seine grausige Befürchtung bestätigte. Voller Schrecken zuckte er zusammen, als er erkannte, dass er den Knochen eines Menschen in Händen hielt.

»Bei Aegir, Ran und ihren Töchtern...«, keuchte Thorgrim.

Da riss der Mann vor ihm die Augen auf.

Thorgrim wich zurück, sein Herz hatte für einen Schlag ausgesetzt. Den Knochen verlor er aus dem Griff, denn unvermittelt hatte sich die Hand des Sitzenden wie im Krampf darum geschlossen.

Der junge Mann röchelte, hustete, seine Augen flogen wie irre auf Deck umher – bis sie dann doch Thorgrim fanden, ihn fixierten, nicht mehr von ihm wichen. Es war, als wollte der Junge sprechen, doch hervor kam nur ein kurzer Schwall übelriechender schwarzer Brühe – alles, was sein Magen noch hergab. Dann wieder Husten, heiseres Keuchen, Versuche zu sprechen...

Thorgrim war für einen Moment wie erstarrt, dann aber fing er sich wieder und begriff, dass die armselige Kreatur vor ihm kein Untoter war, kein Wiedergänger der See, sondern ein Mann, den allein Hunger und Durst beinahe in einen solchen verwandelt hatten.

»Hier«, keuchte Thorgrim und griff nach seinem kleinen Trinkschlauch.

Der Mann wollte wohl danach schnappen, doch seine Hände hatten nicht mehr die Kraft und glitten an dem braunen Leder ab. Vorsichtig also führte Thorgrim ihm das Behältnis an die aufgesprungenen Lippen.

Sofort begann der Mann zu trinken, dann zu husten. Den ersten Schluck erbrach er sofort wieder, dann aber hatten seine Hände die Kraft wiedergefunden, den Schlauch zu halten, jetzt ließen sie ihn nicht mehr von den Lippen. Nur Augenblicke dauerte es, da war der Met ausgetrunken, der leere Schlauch fiel in wieder kraftlosen Händen zu Boden. Wieder folgte Husten, erneut ein kleines Erbrechen, doch das meiste behielt der Geschundene bei sich.

»Wer seid Ihr?«, fragte Thorgrim.

Der Mann starrte ihn an und es war, als würde ein Funken von Intelligenz in seine glasigen Augen zurückkehren. Dann sprudelten Wörter hervor, heiser und leise, dann immer schneller und lauter. Angestrengt lauschte Thorgrim, doch er verstand nichts. Es war eine fremde Zunge, in der der Arme jetzt Worte unsäglichen Grauens hervorwürgte, als müsse er berichten, eilig und ausführlich und so schnell wie möglich. Immer wieder verhaspelte sich der Mann, doch seine Stimme brach nicht mehr ab, getrieben von einem panischen Willen, der nicht minder stark war als der bloße Überlebensdrang.

»Ich verstehe nicht!«, sprach Thorgrim, doch auch dies hielt den schon Totgeweihten nicht davon ab, weiterzusprechen. Zwei Worte aber hörte Thorgrim heraus, die der Mann so sehr betonte, immer wieder und mit an Besessenheit grenzender Eindringlichkeit: »Thule... Thule... Fomori...« Und dann, als der Mann seinen Blick wieder auf das Gesicht Thorgrims richtete, ein Hauch von Verstehen darin, immer wieder: »Ragnar... Ragnar... Ragnar!«

 

Die Männer standen in zwei Reihen, jeweils drei derselben Anzahl gegenüber. Der linke Fuß stand vorne, der rechte quer dazu weiter hinten. Ein Schild schützte jeden der seitlich ausgerichteten Körper, Schwerter und Saxe lagen in den Händen.

»Angriff.«

Mit eingeübten Schritten rückten sie aufeinander zu, dann folgten die Hiebe. Dumpfe Laute zeugten vom Aufprall der stumpfen Waffen auf die Schilde – dann schritten die Verteidiger aus, glitten in flüssiger Bewegung an ihren Angreifern vorbei. Die Klingen fuhren herum, nun ihrerseits auf die Gegner gerichtet, und stoppten knapp vor deren Körper.

»Gut.« Ragnar nickte. Noch war es zu früh für ein beherzteres Lob. »Jetzt anders herum.«

Durch den Schlagwechsel hatten die Männer mit ihrem Gegenüber den Platz getauscht. Nun griff jeweils der vorige Verteidiger an und wurde durch die Parade seinerseits wieder in die Defensive befördert.

»Jetzt die Erwiderung.«

Ragnar winkte den nächstbesten der jungen Männer heran, welcher sich wie gelernt gleich mit richtiger Beinstellung vor ihm aufbaute.

Keinen Moment zögerte Ragnar, sondern drang gleich mit einem Hieb seines Schwertes auf ihn ein. Der Junge, erst überrascht, wehrte gleich wie gehabt ab und schlug selbst zu – Ragnar aber drehte sich mit ihm und parierte seinerseits die Klinge mit seinem Schwert. Sofort griff er noch einmal an, jetzt langsam, und wiederholte die Parade.

»Versucht, es nachzumachen.«

Wieder schlugen Klingen und Schilde aufeinander. Ragnar beobachtete genau. Die Bewegungen mussten ins Blut übergehen. So mancher, der in jugendlichem Alter zur Schwarzen Schule von Snaldaborg stieß, hatte bereits eine Ausbildung mit der Waffe genossen – doch ebenso viele nicht, sie hatten sich nur durch irgendein einzelnes Talent hervorgetan. Und so gehörte zu den vielleicht anspruchsvollen Aufgaben, die Ragnar Draugabani in der Burg zukamen, auch die Ausbildung neuer Kämpfer. Immerhin regelmäßige Bewegung und Übung auch für seine eigenen Fähigkeiten.

Nun um die Mittagszeit herrschte bereits geschäftiges Treiben innerhalb des Burgwalls. Drüben in der Schmiede wurde gehämmert, aus der Bäckerei drang Rauch hervor. Und während sich die Gelehrten im Turm und in der Bibliothek in ihre Schriftrollen und Codices vertieften, kämpften draußen sechs junge Männer und ihr Lehrer mit den Waffen. Es hatte nun schon länger keine größere Herausforderung gegeben. Der Kampf gegen Önund den Berserker schien Ragnar bereits fern, ebenso wie sein ganzes altes Leben – obgleich es doch nicht einmal ein Jahr zurücklag. Nur eines erinnerte ihn in jedem Augenblick daran, wie viel weiter als diese Mauern doch seine Erlebnisse reichten – ein unscheinbares Schmuckstück, ein aus glänzendem Himmelseisen gefertigter Thorshammer, der Tag und Nacht an seiner Kette um Ragnars Hals hing. Genug Macht, um jederzeit mehr Tote aus ihren Gräbern heraufzubeschwören, als Snaldaborg Bewohner zählte. Und doch war es dieser Tage nur das sanfte Pulsieren des stets kalten Metalls auf seiner Haut, das ihn mit diesem Machtmittel verband, denn für all diese Macht, die er in Händen hielt, gab es keine sinnvolle Anwendung in diesem seinem Leben. Bis auf weiteres.

»Oh, wer sind denn die Vögel?«, fragte einer der Jünglinge, Aki war sein Name, als er sich nach einer weiteren Parade umblickte.

Ragnar folgte seinem Blick, ebenso die übrigen Männer, hin zu den beiden ärmlichen Gestalten, die gerade das Tor von Snaldaborg durchschritten. Ein alter Mann, bärtig und schäbig gekleidet, und ein zweiter, das Alter kaum zu schätzen, der nur langsame Schritte machte und von seinem Begleiter gestützt wurde. Es war geradezu eine Qual, ihm dabei zuzusehen, wie er sich schwerfällig vorwärtsschleppte.

»Die Siechenden schon wieder«, sprach Ragnar ohne wirkliches Interesse. Er kannte es nun schon zur Genüge: Vom nahen Festland strömten immer wieder Menschen, die unter Krankheiten und Gebrechen litten, nach Snaldaborg, dessen Bewohnern man schließlich allerlei Zauberkräfte nachsagte. Und in der Tat hatten diese ärztlichen Behandlungen dem Orden schon einiges Silber und vor allem Ansehen unter den einfachen Leuten eingebracht, das niemand missen wollte – auch wenn die meisten Heilungen, so es ihnen denn gelang, weniger auf Magie denn weltliche Arznei zurückgingen. Doch auch das Wissen eines Galen oder Aristoteles musste den Bauern wie exotische Zauberei vorkommen, also hielt sich ihr Ruf.

Die beiden Fremden sahen sich ein wenig ratlos um, bevor sie dann über den Hof marschierten, hin zum Turm in der Mitte der Burg. Ragnar war einen Moment versucht, ihnen den rechten Weg zum Ärztehaus zu weisen, doch da waren sie bereits an ihm vorbei – und am Turm würde man sie ohnehin weiterschicken. Er hatte genug zu tun mit seinen jungen Rekruten. Umso überraschter war er einige Zeit später, als einer seiner Kameraden aus dem Turm hervorkam und ihn zu sich winkte.

 

Ragnar stieg die Treppenstufen hinauf, bis er in den Saal der Meister trat. Askold, Jormun und Vilmund saßen auf ihren Plätzen, sie alle drei machten ein reichlich besorgtes Gesicht. Ragnar merkte sofort, dass es um eine bedeutsame Angelegenheit ging, denn auch Cyprianus, der Großmeister, war anwesend. Vor den weisen Männern, dankbar auf der hölzernen Gästebank zusammengesunken, erkannte er den einen der Besucher, jenen Geschwächten, der doch anhand seines Gesichtes so alt nicht sein konnte.

»Seid gegrüßt, Meister«, sprach Ragnar, bevor er sich – ein Stück entfernt von dem Fremden – ebenfalls auf der Bank niederließ.

»Ragnar«, erhob nun der ehrwürdige Cyprianus das Wort. »Kennst du diesen Mann?« Aus seiner Stimme war nicht herauszuhören, ob sein Ansinnen mehr oder weniger gutmütiger Natur war.

Der Angesprochene wandte seinen Kopf um und betrachtete den Fremden. Der war hager und wirkte schwächlich. Ragnar kam er nicht bekannt vor – doch als sich ihre Blicke trafen, da zeigte sich ein Anflug von Erkennen in den Augen des Fremden.

»Nein«, erwiderte er dann wahrheitsgemäß.

Der Fremde aber hob sofort an zu sprechen. »Hic est. Sine dubio, qui est disserui.« 

Ragnar war allzu erstaunt, den Besucher, der doch abgerissene Bauernkleider trug, Latein sprechen zu hören. Konnte es sein...

»Dieser Mann«, erklärte Vilmund, »wurde vor einigen Tagen von einem Fischer auf einem vor der Küste angetriebenen Schiff entdeckt. Er war der einzige Überlebende, die Überreste von zwei Leichen wurden an Bord gefunden. Der Fischer hat ihn versorgt. Und dann hierhergebracht, denn das einzige, was er von dem, was er sprach, verstehen konnte, war ein Name.«

»Dein Ruf eilt dir voraus«, fügte Askold hinzu. Ragnar blickte den Fremden misstrauisch an. »Woher kennt er mich?«

»Er berichtet«, erklärte Vilmund, »du hättest im vergangenen Jahr sein Kloster überfallen.«

Ja, Ragnar erinnerte sich. Doch welches meinte... »In Irland«, fügte Vilmund hinzu, damit war es klar.

»Das ist wahr«, sprach Ragnar. »Ist er hier, um Entschädigung zu fordern?«

»Dafür hätte er mehr Männer bringen sollen, nicht wahr?«, meinte Jormun, sein Blick strafte Ragnars Dummheit. »Nun, er ist nicht hier wegen seines Hasses auf dich. Sondern aus Hoffnung.«

»Hoffnung?« Ragnars Blick verriet offensichtlich seine Ungläubigkeit, denn nun sah der Fremde ihn wieder direkt an und begann in brüchigem Latein zu sprechen.

»Wir haben nichts so gefürchtet wie Euch«, sagte er und allein seine zusammengekauerte Körperhaltung verriet sein Unwohlsein. »Diesen Mann, der die Toten beherrscht... Doch es gibt größere Gräuel. Der Herr hat uns verlassen... er prüft uns, lässt uns für unsere Sünden bezahlen... Und nun komme ich, um Hilfe zu erflehen. Hilfe von dem, den wir fürchten, weil nur er... nur er es verstehen wird, nur er es besiegen kann.«

»Wen besiegen?« Ragnars Tonfall deutete Misstrauen an – diese Angelegenheit war wirklich beunruhigend, wenn sie selbst die Christenmänner aus der Ferne in seine Arme trieb.

Der Mönch sah wie gehetzt zwischen den Meistern hin und her.

»Gog und Magog«, sprach er dann. »Die Fomori. Die Söhne Anaks, Sprösslinge der gefallenen Engel...«

»Riesen«, sprach Jormun.

»Riesen?«, fragte Ragnar.

»Riesen«, bestätigte Cyprianus. »Es scheint eine Fügung des Schicksals zu sein, dass er damit ausgerechnet zu dir gekommen ist.«

Riesen also. Und Ragnar hatte schon etwas erwartet, mit dem er noch keine Erfahrung hätte.

»Was ist geschehen?«

Mit einer Geste übergab der Großmeister das Wort wieder an den Fremden und wechselte bei seinen nächsten Worten selbst ins Lateinische. »Berichte uns, was du erlebtest. Du findest keine Feinde an diesem Ort, und auch kein Misstrauen. Also lass nichts von allem aus.«

Der kränkliche Mönch nickte und räusperte sich, leckte sich nervös über die Lippen. Dann begann er in seinem gebrochenen Latein zu berichten. 

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

»Der Plan des Herrn führte uns nach Norden.

Irland lag hinter uns. Was gab es schon in diesem Land, das wieder und wieder von den Heiden heimgesucht wurde und von gottlosen Kriegen erschüttert? Unser Sinnen galt Thule, jenem Land im fernen Norden, das bereits die Alten erwähnten, doch niemals wirklich beschrieben. Doch auf dieser Karte, die wir halb zerfallen im Grab des Medardus fanden, war es verzeichnet. Was konnte dies anderes sein als ein Fingerzeig Gottes, der uns mit dem Überfall, dieser Demütigung unseres Klosters nur auf den Weg bringen wollte, der uns eigentlich bestimmt war?

Wir hatten also zwei Schiffe erworben und setzten Segel – im Wissen, dass wir unsere Heimat womöglich niemals wiedersehen würden. Nahe der Küste Britanniens fuhren wir hinauf, bis zum letzten Zipfel des Landes und den Orkneys, wo allerlei übles Gesindel hauste. Dann aber lag weites Meer vor uns – eine Strecke, die seit Jahrhunderten niemand befahren hatte, von deren Herausforderungen und unserem Ziel niemand etwas wusste. Nur dass dort, im fernen Norden, jene Insel auf uns wartete, die wir zu erreichen suchten.

Es wurde immer kälter auf dem Meer. Wir gerieten in einen Sturm, bei dem sich unsere Schiffe aus den Augen verloren. Doch unser Kurs war unbeirrbar und wir wussten, dass auch die Männer auf dem anderen Schiff es so hielten. Und so erreichten wir mit dem Willen Gottes schließlich unser Ziel.

Eine Woche waren wir auf See gewesen, als Land in der Ferne erschien. Thule!

Wir hatten es geschafft, unser Vertrauen auf den Herrn war belohnt worden. Doch woher sollten wir wissen, welch gottlose Gräuel in jenem Land auf uns warten sollten?

Die Küste des Landes war flach und bewaldet, weiter im Inland aber ragten mächtige, kahle Berge auf. Wir sahen weder Boote noch Häuser – war denn dieses Land völlig verlassen?

Wir fuhren an der Küste entlang, bis wir eine geschützte Bucht gefunden hatten. Dort gingen wir an Land. Was aber nun, wo wir unser Ziel erreicht hatten? Wir sahen niemanden: Keine Heiden, denen es das Wort Gottes zu bringen galt, auch nicht die Bewohner des Paradieses, das manche von uns erwartet hatten. So kamen wir zu dem Schluss, dass es unsere Bestimmung sein sollte, dieses Land zu besiedeln, abgeschieden von der Sündhaftigkeit der übrigen Welt.

Wir errichteten also zunächst ein Lager. Im Meer konnte man Fische fangen und die Schafe, die wir auf dem Schiff mit uns gebracht hatten, fanden reichliche Nahrung an Land.

---ENDE DER LESEPROBE---