Verdorbene Jugend - Horst Riemenschneider - E-Book

Verdorbene Jugend E-Book

Horst Riemenschneider

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Beschreibung

Der Autor beschreibt die Jahre seiner Lehrzeit im Waffenwerk Suhl, seine Zeit beim Reichsarbeitsdienst von der pommerschen Ostsee bis nach Südfrankreich und nach Holand und schließlich seinen kurzen Einsatz an der Ostfront im Frühjahr 1945 und die sich anschließende sowjetische Kriegsgefangenschaft, die ihn bis ins Kasachische Karaganda führte und aus der er erst 1949 nach Ronneburg heimkehrte.

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Horst Riemenschneider

Verdorbene Jugend

Februar 1940 bis November 1949

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Herausgeber: Edeltraud Radochla, geb. Riemenschneider

radochla verlag ruben 2016

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-938555-44-6

Noch eine Geschichte, Vati

So begannen die Sonntagmorgen, als wir noch in Ronneburg wohnten, Mutti bereits aufgestanden war, um das Frühstück zu bereiten, das Feuer in der Stube und in der Küche anzuheizen, den Tisch zu decken und dann zu rufen: Aufstehen, es wird Zeit!

An eine Kindheit mit so vielen Geschichten erinnere ich mich, so vielen Sonntagmorgengeschichten. Es war der Tag, an dem Vati ausschlafen konnte, und es war der Tag der Geschichten für mich. Es muss um 1958/​1959 gewesen sein. Für mich mit meinen sechs oder sieben Jahren waren das Abenteuer aus einer fernen Zeit, die Geschichten von den langen Bahnfahrten und dem vielen Kohldampf, von der Arbeit im Schacht und vom Mausen. Doch was anderes sollte der Vater der Tochter aus seiner Jugend erzählen, die der Krieg verdorben hatte? Erst im Laufe der Jahre konnte ich manches richtig verstehen. Dann gab es anderes zu tun.

Später, viel später besann sich Vati darauf, seine Geschichte aufzuschreiben. In den 1990er Jahren, schon von einem Schlaganfall und von Krankheit gezeichnet, nahm er diese große Bürde auf sich. Eine elektronische Schreibmaschine hat er sich angeschafft, von der wir dann per Diskette die Texte übernehmen und bearbeiten konnten. Seine letzte Überarbeitung erfolgte 2001, ein Jahr später erlag er seinem Leiden.

Seit 2002 liegen die Manuskripte nun als Nachlass bei mir. Zeit, um Abstand zu gewinnen und Nachsicht, Verständnis, Begreifen für die eine oder andere Sichtweise. Es bleiben Fragen: Hat diese verdorbene Jugend nachgewirkt? Haben sich Wertungen und Lebenseinstellungen aus dieser Zeit verfestigt? Sind Alternativen vielleicht ebenso extrem gesucht worden? Was macht das aus einem Menschen, wenn er in seiner Erinnerung an die Jugend beständig schreibt: „Wir mussten … “? Auch die Frage, ob ich den Text veröffentlichen soll, musste ich mir beantworten. Doch ich denke, dass angesichts zunehmender Interpretation von Geschichte das Wort von Zeitzeugen immer wichtiger wird.

Ich habe versucht, vorsichtig stilistische Straffungen vorzunehmen, ohne in die Intensionen des Autors einzugreifen. Namen und Orte erscheinen so, wie in der Erinnerung des Autors.

Edeltraud Radochla

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Noch eine Geschichte, Vati

Vorwort

Teil 1Lehrjahre

Aufnahmeprüfung

Ein neuer Lebensabschnitt

Der erste Arbeitstag

Wie es weiter ging

Der erste Fliegeralarm

Eine Fahrradtour

Ein lustiges Ereignis

Das Geld

Die Appelle und die Arbeitszeit

Die Berufsschule im ersten Lehrjahr

Die Hauptsache

Eine ungute Einlage

Direktor Lange

Das Schulungslager

Wieder im Betrieb und im Heim

Endlich Vaters Unterschrift

Zum Wintersport

Zurück in die Lehrwerkstatt

Der neue Ausbildungsleiter

Die Zeit nach Haider

Der Lehrjahreswechsel

Eine neue Wohnstätte

Neue Seiten

Die Freizeit in Dietzhausen

Ein neuer Freund

Doppelflinten

Werkstattwechsel

Forellenfang

Kontakt im Dorf

Wanderungen

Das letzte Lehrjahr

Die Facharbeiterprüfung

Als Friedensstifter

Wehrertüchtigungslager

Böse Buben

Freispruch und neues Wirkungsfeld

Der Krieg kommt näher

Die letzten Wochen in Dietzhausen

Ein erster Blick zurück

Teil 2Reichsarbeitsdienst

Sammelfahrt ins Ungewisse

Im Sondertrupp

Lagerwechsel

Wachhabender

Mit der Waffe und dem Spaten

Vereidigung

Die Fahrt zum Einsatz

Der Einsatz bei Istres

Freizeiten in Südfrankreich

Zur Flugabwehr

Zum Lehrgang

Der neue Standort bei Rotterdam

Warten auf Ziele

Noch ein Lehrgang

Weiter warten auf Ziele

Die Invasion in der Normandie

Tiefflieger

Kultur

Eine neue Besatzung

Wahnsinn

Nicht erkennbar

Ablösung

An der 8,8-Zentimeter-Kanone

Die Fahrt nach Rogasen

Teil 3Wehrmacht und sowjetische Kriegsgefangenschaft

Zum Militär

Als Pferdekutscher

An die Ostfront

Halt, stehen bleiben

Unglaublich, aber wahr

Der große Marsch

Eine faule Zeit beginnt

Eine Bahnfahrt unter Kohldampf

In Focşani

Die Fahrt nach nicht in die Sowjetunion

Kriegsgefangenenlager Mordwes

Der erste Kolchoseinsatz

Der Winter 1945/46

Eine unreife und gefährliche Idee

Wieder eine Reise ins Ungewisse

Karaganda, Lager 99/15

In der Werkzeugzeche

Lageralltag

Die letzten Monate in Zeche Drei

Die neue Arbeit

Das Ergebnis der Meckerei

Nochmal ein Kolchoseinsatz

Zur Arbeit in den Schacht

Beim Aufbau in Karaganda

Die Heimfahrt

Schlussbetrachtungen

Vorwort

Die Schilderung über meine „verdorbene Jugend“ umfasst drei Teile: Die Lehrzeit, die Zeit im Reichsarbeitsdienst und meine kurze Militärzeit mit der sich anschließenden langen Kriegsgefangenschaft.

Ich habe nur das aufgeschrieben, was ich noch wusste. Ich wollte außerdem nur schildern, wie es war. Nicht mehr – und ein Roman sollte es schon gar nicht sein. Die eine oder andere Sache hätte ich noch besser ausschmücken können, doch ich hatte Angst, dass ich es nicht mehr schaffe. Mit 75 Jahren muss man mit dem Lebensabschluss schon eher rechnen, als wenn man jünger ist. Vorher hatte ich aber keine Zeit und keine Lust zum schreiben. Außerdem waren mir die technischen Voraussetzungen nicht gegeben. Ich hatte jedoch einige schriftliche Aufzeichnungen und meine Berichtshefte aus der Lehrzeit, die mir bestimmte Zeiten dokumentierten. Zeiten, die ich nicht mehr dokumentarisch belegen kann, habe ich nach meiner Erinnerung niedergeschrieben.

Horst Riemenschneider

Bürgel auf einer alten Ansichtskarte, Familiennachlass

Teil 1 – Lehrjahre

Aufnahmeprüfung

Es war an einem Februar Vormittag im Jahr 1940. Ich saß in den hinteren Bankreihen in der 8. Klasse der Volksschule im thüringischen Bürgel. Der Fußboden des Klassenraumes war erst vor wenigen Tagen vom Schuldiener Herrn Wilhelm geölt worden. Es roch noch stark nach diesem Öl. Besser gesagt, es „miefte“.

Ich kann nicht mehr sagen, in welcher Stunde es war, als jemand an die Klassenzimmertür klopfte. Der Lehrer und Schulleiter Dr.Langheinrich ging zur Tür und öffnete diese. Meine Mutter drängelte sich herein, um für mich die sofortige Freistellung zu erlangen, weil ich nach Suhl zur Aufnahmeprüfung für eine Lehrstelle müsste. Da gab es erst einen Disput, in dem der Lehrer behauptete, dass ich ohnehin diese Prüfung nicht bestehen würde und doch lieber die von ihm vorgeschlagene Lehrstelle im Kupfer-Schiefer-Bergbau im Mansfeld annehmen solle. Es gab einen kleinen Streit darum. Schließlich durfte ich mit meiner Mutter mitgehen.

Daheim konnte ich dann das Schreiben lesen, das von den „Wilhelm-Gustloff-Werken, Waffenwerk Suhl“ stammte. Darin stand, dass ich dort am folgenden Tag um 9.00 Uhr zur Aufnahmeprüfung vorsprechen soll. Warum ich nun heute schon von der Schule geholt wurde, erfuhr ich von der Mutter nicht, denn ich sollte ja erst am nächsten Morgen mit dem ersten Bus losfahren. Meine Großmutter erklärte mir, wie ich mich in Jena verhalten sollte, um schnell vom „Volkshaus“ zum Bahnhof Jena-West zu kommen. Ich müsse mich beeilen. Nun ging es noch darum, was ich anziehen soll. Schließlich war ich ausgestattet mit einer Jungenunterhose, einem gewöhnlichen Hemd, was ich nur unter einem Pullover tragen konnte, den Knickerbockerhosen von Onkel Hans, einer Joppe, die ich von Kaufmanns Jahn geschenkt bekam und ein Paar Schuhen von Onkel Fritz, sowie ein Paar Stümpfen, die aber meine eigenen waren. Eine Mütze hatte ich nicht. Besonders auf die Joppe war ich stolz, entsprach sie doch meiner Größe und hatte zum Aufhängen eine kleine silberne Kette. Die Knickerbockers waren mir deutlich zu groß, Sie fielen mir fast bis an die Ränder der hohen Schnürschuhe, die auch zu groß waren, aber das sah man nicht so.

Am nächsten Morgen lag etwas Schnee. Als der Bus in Jena am „Volkshaus“ ankam, ging ich schnell los. Ich hastete die Straße zum Westbahnhof hoch. Das kam mir recht komisch vor und ich wollte eigentlich vorsichtshalber noch mal nach dem Weg fragen, aber, es gab niemand, den ich fragen konnte. Ich kam natürlich am Bahnhof an, erspähte den Fahrkartenschalter und löste eine Fahrkarte nach Suhl. In der Bahnhofshalle war kein Mensch zu sehen. Da entdeckte ich den Eisenbahner an der Sperre. Ich ging gemütlich dahin und fragte, ob der Zug nach Weimar-Erfurt schon da sei. „Da steht er“, war die Antwort. Nun wurde ich aufgeregt. Ich gab meine Karte zum knipsen und im gleichen Moment pfiff etwas. „Pfuff“ hörte ich und gewahrte, dass der Zug begann abzufahren. Ich riss dem Mann die Karte aus den Händen und stürmte auf den nun bereits fahrenden Zug zu. „Zurückbleiben!“, hörte ich, aber mich konnte in dem Moment kaum etwas aufhalten. Ich hangelte nach einem der Griffe, machte die nächste Tür auf und verschwand im Abteil. Eine etwa 40-jährige Frau drohte mir mit dem Finger und sagte: „Das ist verboten.“ Das wusste ich natürlich auch. Hatten wir sogar der Schule gelernt.

In Jena hatte ich nichts mehr vom Schnee bemerkt. Erst als der Zug in höheres Gebiet in Richtung Groß-Schwabhausen kam, wurde die Umgegend wieder weiß und der Schnee höher und höher. Bis Oberweimar fuhr der Zug normal. Zu meinem Glück muss er wohl bereits in Jena-West verspätet abgefahren sein. Ab Oberweimar gab es viele Stehzeiten und ich ahnte, dass ich meinen Anschlusszug auf Bahnsteig fünf in Erfurt nicht mehr erwischen werde. Einige Fahrgäste maulten: „Ein bisschen Schnee und schon geht bei der Bahn nichts mehr. Von wegen, die Deutsche Reichsbahn ist schnell und zuverlässig.“ Diesen Spruch sollte ich in meinem Leben noch oft hören. Meine Voraussicht wurde bestätigt: Der Zug in Erfurt war längst abgefahren. Unsere Verspätung war zu groß. Zum Glück stand schon der nächste Zug nach Meiningen bereit. Aber dessen Abfahrt lag schon nach der Zeit, zu der ich in Suhl und im Betrieb sein sollte.

Ich begab mich in ein Abteil, in dem schon ein älterer Herr und eine junge Frau saßen. So hoffte ich, jemand zu haben, den ich fragen konnte, wann es Zeit für mich zum Aussteigen sei. Vorsichtig tastete ich mich vor. Ich wollte ergründen, wo sie hinfahren. Beide wollten nur bis Arnstadt. So saßen wir eine Weile bibbernd vor Kälte in dem Zug, den man wohl nicht zu heizen gedachte, obwohl draußen auf den Bahnsteigen die Nebelschwaden von den Heizanschlüssen nur so vom Wind vorbei getrieben wurden.

Endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Warm wurde er nicht und Verspätung hatte er auch. In Neudietendorf stiegen weitere Fahrgäste zu. Bis Arnstadt hielt der Zug noch zweimal und dort wechselte das ganze Abteil, außer mir. Neue Fahrgäste stiegen zu und als ich wieder fragte, wie viel Stationen es bis Suhl seien, erhielt ich unterschiedliche Auskünfte, sodass ich unsicher wurde. Von Arnstadt dauerte es noch ein ganzes Stück, bevor man mit dem Personenzug dort ankam.

Schließlich war Suhl erreicht. Meine Großmutter Luise hatte mir eingeschärft, vom Bahnhof aus nach links zu gehen. Wenn man in Suhl aus dem Bahnhofsgebäude kam, konnte man nur nach links gehen. Dass aber gemeint war, vorn an den Bahnschranken nach links zu gehen, habe ich dann erst nach einer halben Stunde mitbekommen, als ich zurück laufen musste. Ich ging also los und gelangte in die Innenstadt von Suhl und hinter dem Marktplatz wagte ich nun doch eine Mann anzusprechen. „Ha, da biste verkehrt, mei Jung,“ sagte der und meinte ich müsste genau in die andere Richtung gehen. Weiter sagte er etwas von einer Stunde Weg. Nun spurtete ich aber los, nachdem ich mich kurz bedankte.

Als ich ein Stück hinter den Bahnschienen war, sah ich ein großes Betriebsgebäude, an dem ich so ein „G“ erkannte, wie es im Briefkopf zu sehen war. Ich ging heran und fragte, ob ich zur Abteilung Berufsausbildung hier käme. Doch ich erhielt die Auskunft, dass es bis dahin noch ziemlich eine Stunde Weg sei. Im Eilschritt und zeitweise im Laufschritt versuchte ich bald an mein Ziel zu gelangen. Auf meinem Weg sah ich schon einen großen Schornstein und vermutete zwar richtig, dass der zu dem Betrieb gehört, zu dem ich wollte, doch der Schornstein stand am oberen Ende des Betriebes und die Abteilung Berufsausbildung war am unteren Ende, was ich damals noch nicht wissen konnte. Endlich kam ich an einen großen Betriebseingang und hastete dahin. Wieder war ich verkehrt. Ich erhielt die Auskunft, dass nun noch weitere zehn Minuten Weg nötig seien. Ich hastete weiter und gelangte schließlich an einen weiteren großen und nun endlich den richtigen Betriebseingang.

„Zur Abteilung Berufsausbildung“, bat ich, nach dem ich ein klägliches „Heil Hitler“ stotterte. Mir war ganz schön die Luft knapp geworden. Ich gab dabei meinen Brief durch das geöffnete Schalterfenster, hinter dem einige Männer in graublauen Uniformen saßen. Einer von ihnen kam heraus und forderte mich auf, mitzukommen. Er hatte kurze rötliche Haare, trug eine Stahlrahmenbrille, die wie Gold glänzte. Die Gläser der Brille waren etwas oval. Im Gesicht und am Hals hatte der Mann viele Sommersprossen. Der Wachmann ging mit mir durch den großen Torgang, der nach der damaligen Bauweise sehr modern war. Danach ging es zweimal nach rechts und durch eine Doppeltür. Dort kam ein Treppenaufgang. Es ging drei Etagen hoch und nach links in einen breiten Gang. In der Mitte des Ganges hielt der Wachmann inne und klopfte an eine Tür.

Auf das „Herein“ von drinnen öffnete der Wachmann die Tür und wir gingen in einen für mich eigenartigen Klassenraum, der mich ganz schön einschüchterte. Es war der Physiksaal, wie ich später erfuhr. Er hatte stufenweise aufsteigende Sitzreihen und vor den Sitzreihen eine breite große Tafel. In etwa der Hälfte der Bänke saßen ebensolche Kandidaten wie ich. Vor ihnen ein streng aussehender, gut gekleideter Mann, der mich aufforderte, meine Joppe draußen auf dem Flur anzuhängen. Dann musste ich mich in der vordersten Reihe auf die Bank neben dem Mittelgang setzen. Von da aus konnte ich nun kurze Zeit verfolgen, was den letzten vor mir für Fragen gestellt wurden. Keine davon hätte ich lösen können.

Nachdem ich die Fragen nach meiner Verspätung beantwortet hatte, rief mich Herr Janz, wie er sich vorstellte, an die Tafel. Als ich bei ihm auf dem Tafelpodest stand, fragte er mich, welchen Beruf mein Vater hätte. Mit etwas Stolz sagte ich, dass er Schornsteinfegermeister sei. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich mir einen Schornstein vorstellen könne. Nachdem ich das bestätigte, gab er mir Maße an, mit denen ich das Volumen eines Schornsteins bestimmen sollte.

Ich begann zu rechnen. Bald war ich fertig und meiner Sache recht sicher. Er schaute sich das kurz an und sagte, dass das falsch wäre. Ich suchte einen Fehler und fand keinen, worauf ich entgegnete, dass nichts falsch sei. Er behauptete wieder, dass das falsch sei. Ich prüfte noch einmal und behauptete wieder, dass die Rechnung richtig sei. Dann sagte Herr Janz: „Du kannst doch nicht sagen, es sei richtig, wenn ich sage es ist falsch!“ „Dann haben Sie falsch gerechnet“, entgegnete ich. „Nun gut“, fing er wieder an, „aber wenn die hier alle sagen, es ist falsch?“ „Dann haben alle falsch gerechnet“, bestand ich weiter auf der Richtigkeit meiner Rechnung.

Firmenlogo des künftigen Lehrbetriebes

Ich durfte mich setzen. Herr Janz hielt eine kurze Ansprache und sagte abschließend, dass wir alle die Prüfung bestanden hätten. Ob wir eingestellt würden entscheide sich aber erst, wenn das Abschlusszeugnis der Schule im Betrieb vorliege.

Ich war erst einmal froh, dass Langheinrichs Voraussage nicht eingetroffen war. Was er mir ins Zeugnis schreiben würde, war dennoch ungewiss. Im Grunde genommen war ich ein ziemlich fauler Hund. Es gab Tage oder Stunden, da hatte ich einen ganz guten Durchblick. In der Note Faulheit hätte ich mir aber eine Eins verdient.

Zunächst hatte ich nun vor, meinen Onkel Hans und dessen Frau aufzusuchen, die in einer Suhler Siedlung ein Einfamilienhaus bezogen hatten. Diese Siedlung von zahlreichen Neubau-Einfamilien-Häusern nannte man „Lautenberg-Siedlung“ und wurde wohl vom „Gustloff-Werk“ in die Wege geleitet. Die Gustloff-Werke nannten sich zusätzlich „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ und von so einem Betrieb erwartete man derartige Maßnahmen.

Ich ging zurück nach Suhl und fragte mich durch. Kurz vorm Dunkel werden fand ich das Haus. So hatte ich auch eine Unterkunft für die Nacht. Am nächsten Tag fuhr ich nach Bürgel zurück. Ich hab mit der bestandenen Prüfung nicht geprahlt, aber etwas stolz war ich doch.

Ein neuer Lebensabschnitt

Endlich war die ersehnte Schulentlassung da. Das Abschlusszeugnis war auf den 20. März 1940 datiert. Die Entlassungsfeier fand in Bürgel in der „Schärbelschänke“ statt. Die Rede vom Schulleiter war vorbei und es war gegen 19.00 Uhr. Der Wirt, Herr Heller, stellte das Radio lauter, weil Nachrichten kommen sollten. Die Zeugnisse hatten wir schon erhalten. Jedenfalls kamen nun die Nachrichten vom Radio und wir erlebten eine große Enttäuschung. Hatten wir doch gedacht, dass für uns nun viele Dinge erlaubt sind, so wurde an diesem Tag ein neues Jugendgesetz verkündet, was uns große Einschränkungen auferlegte. Zum Beispiel wurden Tanzveranstaltungen verboten. Das begründete man damit, dass man in der Heimat nicht sorglos tanzen könne, während die Soldaten „im Felde“ stehen. Laut diesem Jugendgesetz durften wir uns nicht mehr ohne Erziehungsberechtigte nach 21.00 Uhr auf der Straße oder in Gaststätten aufhalten. Rauchen war auch verboten. Erst ab 18 Jahren war alles, außer Tanzen, gestattet. Alkohol brauchte man nicht zu verbieten, den gab es sowieso nicht. Nur besonders dünnes Bier.

Mit einem Zeugnis der miesen Mittelmäßigkeit wurde ich eingestellt. Das Warten darauf war fast wie eine Folter. Alle meine Schulkameraden traten ihre Lehrstelle an oder wussten, wann sie beginnen sollten. Erst am 1. April 1940 kam die Mitteilung, dass ich eingestellt werde und am 8. April die Lehrzeit begänne. Wenn ich im Lehrlingsheim wohnen möchte, sollte ich am 7. April anreisen und mich in Suhl, in der Hohenfeldstraße 68 melden. Mein Lehrvertrag lautete auf „Technischer Zeichner“.

In der Mitteilung stand auch, wie ich mich auszurüsten hätte, wenn ich im Lehrlingsheim wohnen möchte. Dort war es billiger, also, kam für mich nur das Lehrlingsheim infrage. Meine Ausstattung wurde ganz schön teuer: Drei Braunhemden, zwei kurze schwarze Hosen, eine lange Winterhose mit Winteruniformbluse der Hitlerjugend, sechs Paar graue Kniestrümpfe, ein Paar braune Halbschuhe, ein Paar schwarze hohe Schuhe und noch viele andere Sachen. Wir hatten kein Geld und unser Vater war im Krieg. So wurde alles gepumpt. Mit Ach und Weh hatte ich am Sonnabend vor meiner Abreise alle Sachen beisammen. Nun fehlte noch die Bestätigung, dass ich in der Hitlerjugend sei. Bei der Übernahme von den Pimpfen zur Hitlerjugend hatte ich mich gedrückt. Mit etwas Schiss in den Hosen ging ijoch zu Neuschäfer in die Villa am Bürgeler Südgraben. Das ging alles glatt. Und nun war ich reisebereit.

Am Sonntag, dem 7. April 1940 gegen sieben Uhr, fuhr der Zug. Meine Mutter brachte mich zum Bahnhof in Bürgel. Auf der Straße vorm Bahnhof gab sie mir noch einen Schmatz auf die Wange, als der Zug von Eisenberg kommend zu hören war. Das war das einzige Mal, dass ich so etwas von meiner Mutter bekam, seit ich mich erinnern konnte.

Am Nachmittag kam ich in Suhl an und fragte mich durch, wie ich zum Lehrlingsheim der „Gustloff-Werke“ komme. Dabei erfuhr ich, dass der Betrieb auch „BSW“ genannt wurde. Als ich in die „Hohe Feldstraße“ wollte, wurde ich mehrmals berichtigt, dass da kein Lehrlingsheim sei. Man schickte mich zu einer grünen Villa, wo aber niemand zu hören und zu sehen war. So fragte ich nur noch nach der „Hohen Feldstraße“. Endlich bekam ich den richtigen Hinweis. Das Lehrlingsheim war nämlich umgezogen. Nun fand ich die Straße und lief von Nr.1 bis zur 68. Dort befand sich ein großes Tor, was gleichzeitig die ganze Straße versperrte. Es stand aber die richtige Nummer daran. Eine Tür stand offen, durch die das Sonnenlicht strahlte. Von weitem hörte ich Musik, erzeugt mit einer Schrammel oder wohl richtig Waldzither genannt. Je näher ich dem Tor kam, um so lauter wurde die Musik. Als ich durch die offene Tür trat, war rechts ein kleines Häuschen mit einem großen geöffneten Fenster. Hinter diesem saß ein Mann an einem Tisch, der dort auf der Zither spielte. Auch er hatte wieder so eine graublaue Uniform an, wie ich sie schon bei den Betriebswachen gesehen hatte.

Deckblatt einer Werbebroschüre aus dem Jahr 1942

Als er mich gewahrte, unterbrach er sein Spiel und forderte mich auf, ein Stück weiter die große und breite Treppe hinaufzugehen, wo mich „der Ehrhard“, der Heimleiter, schon erwarten werde. Ich ging über eine geschotterte Straße auf die Treppe zu. Etwas geblendet von der Sonne stieg ich die Stufen hinauf und stolperte an einem kleinem Pfahl, der vor den Brettern steckten, welche die Stufen bildeten. Mein Persil-Karton, in dem ich statt einem Koffer meine Habseligkeiten untergebracht hatte, kullerte die Stufen wieder hinunter. Gleichzeitig kam der Heimleiter in Hitlerjugend-Uniform einen schrägen Weg herunter, der hinter einem Schotterplatz nach links unter einer Baracke entlang führte. Verschämt holte ich meinen Persil-Karton zurück.

Der Heimleiter kam heran und sagte: „Du hast ja das Knie aufgeschlagen. Du gehst gleich mal zur Susi – das ist meine Frau – und lässt dich verbinden. Ich bin der Heimleiter und Gefolgschaftsführer und heiße Ehrhard Haider.“ Er nahm mir gleich meinen Persil-Karton ab und führte mich den schrägen Weg hoch, von wo ein Weg zu der in der Mitte stehenden Baracke abging. Ich sollte an die Tür klopfen, doch im gleichen Moment erschien eine schlanke, nette und hübsche Frau mit großen, blauen Augen. Das sah ich erst genauer, als ich dann bei ihr ankam. Der Heimleiter rief ihr zu, sie möge mich verbinden. Zu mir sagte er, ich möge dann hoch kommen zur Stube Eins. Dabei deutete er mir den Weg an, der zu einer seitlich, fast am Zaun entlang führenden Treppe führte. Die Treppe war ebenfalls aus Brettern und davor eingeschlagenen Pflöcken hergestellt, der Tritt der Stufen war mit dunkler Schlacke geebnet.

Während der Heimleiter mit meinem Persil-Karton weiterging, bog ich ab zur Susi. Die lotste mich in den Vorraum der Baracke, in dem es erst an einer Brüstung entlang ging. In dem Vorraum stand in einer Ecke ein Schemel, auf den ich mich setzen sollte. Susi besah sich mein Knie und sagte dann, dass das halb so schlimm sei. Sie betupfte die Wunde mit Jod, wobei ich bald durch die Decke der Baracke gefahren wäre, denn so brannte das. Aber vor so einer schönen Frau biss ich die Zähne fest zusammen. Während Susi mich versorgte, ein Mullstück auf die Wunde legte und über kreuz zwei Pflasterstreifen, sagte sie: „Du bist nicht der erste, dem das passiert. Sind ja auch verrückte Stufen.“ Dann durfte ich gehen.

Als ich die schon erwähnte Treppe hochgegangen war, ging es an einer langen Baracke entlang, in deren Mitte ein Turm stand, der ebenfalls, wie die Baracken, aus Holz war. An der anderen Seite der Baracke waren nummerierte Türen. In die Nummer Eins sollte ich eintreten. Als ich durch die Tür trat, kam ich erst in einem kleinen Vorraum. Dann kam eine weitere Tür. In der nächsten Stube befanden sich der Heimleiter und ein anderer junger Mann, der eine Hitlerjugend-Uniform trug. Er hieß Robert Kleingünter und erwies sich als Stubenältester. Er war im zweiten Lehrjahr. In der Stube standen zwei große Tische mit Bänken und an den Stirnseiten je ein Schemel. In der Mitte des Raumes befand sich ein Stützbalken und neben diesem ein großer Kanonenofen, dessen Rohr durch das Dach ging. Vorn neben dem Eingang stand ein großer Schuhschrank. Der Heimleiter und der Stubenälteste zeigten mir mein Bett und wie es herzurichten sei. Während sie gerade demonstrierten, wie der Bezug über die Decke zu ziehen sei, kam ein weiterer Bewohner. Es war Waldemar Hüsing aus Göttingen. Er bekam das Bett unter mir und den Spind neben meinen, der gleich neben dem Bett stand. Hüsing sagte zu den beiden Bettenbauern, dass sie gleich mit seinem Bett weitermachen könnten. Das taten sie aber nicht. Waldemar Hüsing war schon 18 Jahre alt und kein regelrechter Lehrling. Er hatte das Abitur abgelegt und wollte studieren. Vorher sollte er ein Jahr als Volontär im Werk arbeiten. Was das war, wusste ich damals nicht. Er musste sich jedenfalls so verhalten wie wir Lehrlinge.

Die Stube hatte an jeder Seite zwei Fenster. Der vordere Tisch stand an der Türseite quer vor den beiden Fenstern, während der andere Tisch mit einer Stirnseite vor den anderen beiden Fenstern stand. So stand er auch an den Fußenden der Doppelbetten, man hatte aber noch genügend Platz zum Sitzen am Tisch. Die Baracken gehörten zum ehemaligen Arbeitsdienstlager von Suhl.

Der Heimleiter kam später mit weiteren Neuankömmlingen, von denen nur einer zu uns hereingeschickt wurde. Es war Hans Syndermann aus Lüneburg. Robert Kleingünter, der Stubenälteste wies ihn ein. Gegen 19.00 Uhr ertönte draußen ein langer Pfiff mit einer Trillerpfeife und der Pfeifer rief: „Raustreten zum Abendessen!“, was dann noch einige Male wiederholt wurde.

Robert Kleingünter führte uns herunter zum Speisesaal. Zu ihm gelangte man durch eine Mitteltür oder eine Tür neben der Küche, die praktisch über dem Wachhäuschen lag. Von der Küche her wurden die Tische, die mindestens für 16 Mann Platz boten, nach den Stubennummern besetzt, wodurch wir als erste an der Küche sitzen konnten. Der letzte und zwölfte Tisch befand sich in der Nähe einer kleinen Bühne.

Der Heimleiter stellte uns die Köchin vor. Sie war eine stramme, große Frau mit blonden Haaren, hatte ein ovales Gesicht, war freundlich, aber bestimmt. Sie ließ nichts durchgehen, wie wir später feststellten. Gundula war ihr Name. Ihr zur Seite stand eine etwas ältere Frau aus Dresden. Während Gundula noch keine vierzig war, hatte ihre Küchenhilfe die Fünfzig schon überschritten. Sie bedauerte uns immer, wenn wir schwere Stunden zu überstehen hatten. Dafür hatte uns Gundula fest im Griff. Das Geschirr war derb und nicht so leicht zerbrechlich. Vor allem die Tassen waren recht stabil. Die ganze Küchenausrüstung entsprach der vom Reichsarbeitsdienst, wie auch alles andere im Heim vom Reichsarbeitsdienst stammte. Gundulas Kakao schmeckte uns und das Essen ebenso. Ich war zufrieden.

Nachdem wir abgeräumt hatten – es wurde auch gleich ein Tischdienst für jeden Tisch bis zur nächsten Woche eingeteilt –, erklärte uns der Heimleiter wie der weitere Ablauf unseres Wohnens im Heim vonstatten gehen sollte. Um 21.00 Uhr war Zapfenstreich. Jeder hat dann im Bett zu liegen. Der Stubenälteste hat dem „Führer vom Dienst“ bei dessen Erscheinen in der Stube eine Meldung zu machen, in der besondere Probleme wie Krankheiten oder das Fehlen einer Person, auch Schäden in der Stube, in die Meldung einzubeziehen waren. Die Meldung habe in Ausführung des „Deutschen Grußes“ zu erfolgen. Am Morgen würde gegen 4.30 Uhr geweckt. Daran anschließend erfolge in Turnhemd und Turnhose Frühsport. Nach dem Frühsport sei Waschen, Bettenbau und Stubendienst dran. Gegen 5.30 Uhr sei Frühstück, wozu jeder seine Brotbüchse für drei Doppelstullen mitbringen und füllen müsse. Fragen würden die Stubenältesten sicher beantworten können. Der Heimleiter wünschte uns eine gute Nacht und entließ uns auf die Stuben.

Kurz vor 21.00 Uhr ging Robert Kleingünter als Stubenältester an seinen Spind und holte ein Horn heraus, mit dem er zum Zapfenstreich blasen wollte. Wir betrachteten der Reihe nach das Horn und dann ging Robert los. Kurz darauf hörten wir ihn blasen. Er blies die Melodie vier mal hintereinander. In jede Himmelsrichtung ein mal. Bald darauf kam Robert wieder und scheuchte uns ins Bett. Für viele von uns war das neu, so hoch in einem Bett zu liegen und man fragte sich, ob man da nicht heraus und herunterfallen könne. Oben schliefen auf unserer Stube Hans Syndermann und ich. Unter mir lag Hüsing und unter Syndermann lag Franke. Die beiden voll belegten Betten standen an der Fensterwand, von wo man durch die Fenster noch besser als im Speisesaal ins Tal oder nach Suhl schauen konnte. Nun aber nicht mehr, denn die Fensterläden waren zugeklappt, weil verdunkelt werden musste. Das war der Schutz vor feindlichen Flugzeugen, die in der Nacht kommen könnten.

Der erste Arbeitstag

Wir bemerkten, wie Robert Kleingünter kurz vor halb fünf geweckt wurde. Nun ging der Ernst des Lebens los. Er tutete vier mal und kam dann zurück. Wir waren schon eifrig dabei, unsere Betten zu machen. Kurz nach Robert kam der „Führer vom Dienst“, der Heimleiter. Robert machte Meldung: „Stube eins alles auf und gesund. Keine besonderen Vorkommnisse.“ – „Danke“, entgegnete der Heimleiter und wünschte uns einen guten Morgen, was wir gemeinsam erwiderten. Kurze Zeit darauf ertönte ein Trillerpfiff und es wurde zum Frühsport herausgerufen. Trapp, trapp ging es los. Danach ging es zurück in die Stube und zum Waschraum. Viel Ruß wurde nicht gemacht. Im Laufschritt ging es zurück in die Stube.

Ich hatte gleich am ersten Tag und in der ersten Woche Stubendienst und musste mich ganz schön sputen, um bis zum Frühstück angezogen und fertig zu sein. Ich schaffte es, weil Hüsing mir zur Hand ging. Ich stellte den Besen gerade in die Ecke, da hieß es: „Raus treten!“ Wir strömten nach draußen und es ging in schnellen Schritten zum Speisesaal. Am Vorabend hatten wir die Order bekommen, die Hitlerjugend-Winteruniform anzuziehen. Dazu hatte ich nun sogar ein Mütze, eine Skimütze, wie sie zur Uniform getragen wurde.

Zum Frühstück gab es „Lorke“, das heißt Malzkaffee, und Marmeladenbrot. Nach dem Essen traten wir am Essenschalter an und nahmen die Frühstücksration in Empfang. Dann mussten wir die Treppen bis ins Tal überwinden. Im Tal angekommen, hatten wir in Marschkolonne anzutreten und los ging es. Kurz nach dem Abmarsch hieß es: „Ein Lied!“ – und vorn wurde angestimmt. Ich weiß nicht mehr, was wir damals sangen, aber ich weiß noch, dass ich mich ärgerte, weil für mich zu tief gesungen wurde.

Der Marsch führte Richtung Heinrichs und die große Esse des Betriebes kam uns näher und näher. Links von uns sahen wir den Sprungturm eines Sommerbades und ich freute mich schon auf das Baden gehen im Sommer. Bald darauf kamen wir auf die Hauptstraße. Einige meckerten wegen des weiten Weges. Auf beiden Seiten der Straße liefen Frauen und Männer in die gleiche Richtung wie wir. Die Mehrzahl bog aber dann zum Haupttor ab. Unser Marsch ging an einem weiteren Tor vorbei, wo man aber nur wenig Leute sah. Alle, die dort hinein wollten, führten ein Fahrrad mit. Später erfuhren wir, dass man dort nur mit einem Fahrrad durchgehen konnte, wofür auf dem Betriebsausweis eine zusätzliche Marke aufgeklebt sein musste. Links von uns bemerkten wir, wie von der Eisenbahn die Züge fuhren. Es musste gerade ein Zug gehalten haben, oder auch zwei, denn es kamen uns große Menschentrauben entgegen. Auch Omnibusse hatten uns überholt und bogen zum Betrieb ab. Wir marschierten bis zum Tor der Berufsausbildung. Der Bahnhof Heinrichs lag in der Nähe des Berufsausbildungseinganges. Ein Stück vor dem Eingang führten zwei Eisenbahnschienen über die Straße vom Betrieb zum Bahnhof, wo man einen recht steilen Anstieg ausmachen konnte. Wir bogen aber nun von der Straße ab und marschierten durch das Tor.

Hinter dem Tor hieß es dann: „Vorne kurz treten! – Reihe rechts!“. Wir marschierten die mir schon bekannte Treppe hinauf. Oben ging es durch eine Tür nach rechts in einen riesigen Saal. Wir wurden auf unsere Plätze eingewiesen. Hinter uns saßen schon auf voll besetzten Stühle Hitlerjungen, die nicht alle die Winteruniform trugen, sondern das Braunhemd und kurze Hosen.

In gedämpfter Unterhaltung warteten wir. Der Saal füllte sich mehr und mehr. Die Stühle für uns Neulinge standen längs in Richtung der Bühne auf der rechten Seite des Saales. Teilweise waren hinter uns noch Faltwände aufgezogen. Auf der Bühne war ein riesengroßes Hitlerbild. Vor der Bühne stand ein Rednerpult. Auf der Bühne links und rechts je eine Fahnengruppe und dann noch junge Männer in blauen Arbeitsanzügen, von denen einige einen neuen Vorschlaghammer bei sich führten. Die Hammerträger nahmen verschiedene Positionen ein. Einmal trugen sie den Hammer auf der Schulter oder er stand mit dem Stiel nach oben vor den leicht gespreizten Beinen.

Die Gustloff-Werke hatte sich für eine Einstellungs- und Freisprechungsfeier gerüstet. Wir wurden also in den Betrieb feierlich aufgenommen und die, die ihre Facharbeiterprüfung bestanden hatten, wurden feierlich frei gesprochen, also vom Ausbildungsvertrag gelöst. Sie wurden Gesellen, zunächst aber Jungfacharbeiter genannt. Dazu gab es nun mehrere kernige Nazireden, Gedichte und gesungen wurde auch, zum Schluss das Deutschlandlied und „Die Fahne hoch!“ Die Stimmung im Raum war sehr feierlich. Schon die ausgewählte Musik brachte das hervor. Ein Streichquartett spielte „Deutschland heiliges Wort“ und je nach Ablauf einige andere Stücke. Die Jungfacharbeiter, die uns Neuen direkt gegenüber saßen, wurden der Reihe nach aufgerufen und erhielten in Gruppen ihren Facharbeiterbrief. Einer von ihnen hielt eine Dankesrede. Ich war sehr beeindruckt.

Lehreinführung 1940, Horst Riemenschneider in der 2. Reihe rechts

Später standen wir in einer großen Werkstatt, wo man uns in Gruppen zu je 20 Lehrlingen einteilte. Ich kam in die Gruppe eins zum Lehrausbilder Huckert oder so ähnlich. Seinen Namen konnte ich mir schon damals nicht merken. Ihm war noch ein Geselle untergeordnet. Beide waren so um die 40 Jahre. Der Meister hieß Dietz und organisierte alles. Er hatte sein „Käfterle“, wie wir sagten, gleich gegenüber der Eingangstür. Hinter ihm war die Werkzeugausgabe, ein etwa gleich großer Bereich. Beide Bereiche lagen hinter einer etwa 1,20 Meter hohen Holzbarriere, auf die starke, durchsichtige Glasscheiben gesetzt waren, über die man nicht hinüberreichen konnte. Das ganze machte einen modernen Eindruck. Wenn man durch die stählerne Doppeltür in die Werkstatt eintrat, war links eine Wand und man musste sich vor dem Meistersitz nach rechts wenden in einen breiten Gang, an dessen Ende sich vor einem Fenster für die Lehrausbilder der Gruppe eins ein ähnliches „Käfterle“ befand, wie das des Meisters. Es war aber um eine Stufe höher gesetzt. Zwischen dem Gang, in dem wir 120 Lehrlinge „in Linie“ antreten konnten, und den Werkbankreihen befanden sich vier starke Säulen, an denen verschiedene Maschinen standen. Das waren Schleifböcke und Bohrmaschinen. Auf der in dieser Blickrichtung liegenden linken Seite waren nur Werkbänke. Auf der rechten Seite, die durch den Treppenaufgang kürzer war, stand gleich um die Ecke ein Glühofen. Dieser wurde mit Gas betrieben. Auch ein Ambos stand dort und in der Ecke ein Bunsenbrenner. Zwischen Ambos und Bunsenbrenner befand sich ein Wasserbottich. Dann kamen weiter Werkbänke und ein freier Platz. Hinter dem freien Platz stand an der Wand, gleich neben dem „Käffterle“ der Lehrausbilder, eine Drehmaschine. Damals sagte man noch Drehbank dazu.

Meine Gruppe arbeitete an den Werkbänken hinten links. Ich erhielt meinen Platz in der zweiten Reihe. Er lag an einem Gang. Bei der Verteilung der Plätze ging es danach, wie der betreffende Schraubstock zur Körpergröße passte. Der Schraubstock sollte so hoch sein, dass bei den auf die Schraubstockbacken aufgestützten Ellenbogen die zur Faust geballte Hand des Armes noch bequem unter das Kinn passte. Für jene, für die kein Schraubstock gefunden wurde, richtete man die Höhe ein. Dazu wurden entweder ein oder mehrere passende Klötze unter den Schraubstock gebaut oder entfernt. Kleinere Kerle, die trotz der Entfernung der Unterlagen noch nicht hinreichten, bekamen unter die Füße einen dreieckigen Untersatz aus Holz, der für die geforderte Fußstellung ausreichte. Solche Fälle gab es mehrere, denn wir waren ja meistens erst vierzehn Jahre alt und noch im Wachsen.

Es bekam jeder einen Platz an einem Schraubstock, egal, welchen Beruf man erlernen wollte. So auch zwei Mädchen, die eine kaufmännische Ausbildung anstrebten. Ich konnte mir auch noch immer nichts unter dem Beruf des „Technischen Zeichners“ vorstellen. Das verriet ich aber niemandem. Ich musste, wie die anderen, erst einmal das Feilen lernen.

Nachdem die Plätze eingeteilt waren, ging es in den Keller zu den Umkleide- und Waschräumen. Jeder bekam einen Spind zugewiesen, in dem man seine Tasche ablegen konnte. Die für uns bestellten Arbeitsanzüge waren noch nicht eingetroffen. Wieder oben angekommen, erhielt jeder in einem Rollschrank neben der letzten Werkbank ein Fach, in dem er die Brotbüchse aufbewahren konnte. Danach wurde der Schrank abgeschlossen. Unsere Brotbüchsen waren aber meistens schon leer. Wir wurden weiter eingewiesen, dass vor dem Frühstück und vor dem Mittagessen ein Waschraum aufgesucht wird, wo die Hände zu waschen sind. In dem Waschraum, der eine Treppe tiefer lag, waren viele Waschbecken, ich schätze so um die dreißig. Neben dem Ausgang des Waschraumes, waren etwa 20 Handtücher aufgehängt, mit denen wir uns die Hände abtrocknen konnten. An den Waschbecken befanden sich Behälter mit Waschpaste. Vor dem oben liegenden Speiseraum stand der „Lehrausbilder vom Dienst“ und kontrollierte, ob die Hände sauber waren.

Als erstes erklärte uns der Lehrausbilder die Grundbegriffe des Feilens und zeigte, wie es gemacht wird. Für jeden lag ein U-Stahlstück bereit. Das wurde mit den Schenkelenden nach oben quer in den Schraubstock gespannt. Die Feile sollte gleichmäßig über die beiden Schenkelenden mit dem entsprechenden Druck geführt werden. Ein allgemeines Fietschen begann und wurde fast unerträglich, bis die Lehrausbilder uns erklärten, dass die U-Stahlstücke tiefer gespannt werden müssten. Laufend wurden unsere Übungen von den Ausbildern überprüft und korrigiert. Bald war es Mittag geworden und unser Weg führte über den Waschraum zum Speisesaal.

Schon im Anschreiben für die Anreise war uns mitgeteilt worden, wie viel Geld für welche Zwecke wir mitbringen sollten. Das waren Gelder für die Arbeitsanzüge, die Schulbücher und letztlich auch für Essenmarken zum Mittagessen. Das Essen kostete 60 Reichspfennige, für uns Lehrlinge die Hälfte.

Frühstück und Mittagessen wurde in zwei Schichten eingenommen. Das erste Lehrjahr war immer in der zweiten Schicht. Im Speisesaal hatte jede Gruppe ihre festgelegten Plätze. Die Gruppen saßen in mehreren Längsreihen. Am Ausgang zur Betriebsberufsschule stand eine Tischreihe quer vor den Stirnseiten der anderen Tischreihen, an welcher der Betriebsleiter der Berufsausbildung, der noch nicht vorhandene und erwartete Abteilungsleiter, Meister Dietz und der Berufsschulleiter Dr.Wacker sowie einige Lehrer ihre Frühstücks- und Mittagspausen verbrachten. Unsere Plätze waren am seitlichen Gang an einer Faltwand. Die Lehrausbilder saßen bei ihren Gruppen an den Plätzen, die der Querreihe mit den höheren Herren am nächsten waren. Die Essenausgabe war gleich links, wenn man von der Lehrwerkstatt in den Speiseraum trat.

Die Mittagspause dauerte eine halbe Stunde und die Frühstückspause 15 Minuten. Fünf Minuten vor dem Ende jeder Pause ertönte ein Pipszeichen, wonach man sich umgehend an seinen Arbeitsplatz zu begeben hatte. Zum Händewaschen vor jeder Pause durften wir dafür etwa fünf Minuten früher gehen. Die Werkstattuhr hing an der Wand am Meistersitz. Diese Wand trennte die Lehrwerkstatt von dem großen Festsaal. Nach dem Mittagessen fietschten wir noch eine gute Stunde weiter. Auf einmal ertönte ein Pfiff mit einer Trillerpfeife. Der Lehrausbilder vom Dienst rief: „Werkstücke ausspannen, Werkzeuge einpacken und Werkbänke abkehren!“

Wir hatten jeder einen großen und vollen Werkzeugkasten unter der Werkbank, in den zwanzig Feilen der verschiedensten Längen und Profile auf dem Kastenboden einsortiert waren. In einem angeschraubten Winkeleisen war für jede Feile eine Aussparung, in welche die entsprechende Feile zwischen Heft und Angel hinein passte. Darüber waren zwei Schübe. Im oberen Schub waren die Messzeuge in grün ausgepolsterten Vertiefungen und im unteren Hammer, Meißel, Körner, Reißnadel und weitere Dinge. Zwischen dem Werkbankfuß und dem Werkzeugkasten war ein kleiner Ölbehälter angebracht. Hinter dem Schraubstock war an einem erhöhten Rand ein Gestell für die technischen Zeichnungen. Bei der Erklärung hörte ich das erste mal das Wort „Technische Zeichnung“. Hinter dem Werkbankfuß unter dem Schraubstock hing ein Handfeger. Im unterem Schub im Werkzeugkasten hatte jeder noch eine Gewindebürste. Damit wurden die Werkstücke abgebürstet. Er war untersagt, Späne oder andere Anhaftungen von den Werkstücken zu pusten.

Der Lehrausbilder vom Dienst mahnte: „Fertigwerden!“ und pfiff kurz darauf mit seiner Trillerpfeife. Wir mussten antreten. Die rechten Flügelmänner standen nach dem „Käffterle“ unserer Lehrausbilder. Wir blickten in Richtung Bahnhof Heinrichs.

Das ging dann so: „Stillgestanden! – Richt Euch! – Augen gerade aus! – Zur Meldung die Augen links!“ – und er postierte sich vorm Lehrmeister Dietz und meldete, dass wir angetreten waren. Wir Neulinge aus dem Lehrlingsheim marschierten durch Heinrichs und die Sonne schien auf die Rücken unserer Vordermänner. Dann mussten wir die lange Treppe hochsteigen. Bei diesem Rückmarsch waren nun auch die dabei, die direkt zum Betrieb angereist waren. So wurden dann noch drei weitere Lehrlinge in die Stube eins einquartiert. Sie stammten alle drei aus Frankenhain in der Rhön. Das brachte nun mehr Leben in unsere Bude. Sie kannten sich und brauchten nicht zu testen, wie der eine oder der andere wohl reagieren würde. So schwafelten sie munter darauf los und wir standen außen vor. Dazu benutzten sie ihren Dialekt, der dem Suhler ähnlich war. Außerdem kannten wir die Probleme in ihrem Dorf nicht.

Einer von ihnen, Rudi Dietzel, wurde von Robert Kleingünter eingewiesen. Er meckerter, weil er zum Schlafen nun hochsteigen müsse. Auch wenn er sich so mal hinlegen wolle, müsse er immer hochklettern. Die anderen zwei mussten das noch freie Doppelbett beziehen. Unter ihnen war noch ein Dietzel, mit Vornamen Heinz. Der dritte im Bunde hieß Ernst Abbe. Die drei Frankenhainer waren „Anlernlehrlinge“ und hatten nur zwei Jahre Lehrzeit. Solche Berufe waren Dreher, Fräser und Hobler, Schweißer und Härter wohl auch.

Wie es weiter ging

Der nächste Tag begann im Heim wie der erste Tag. Robert tutete vier mal und es ging raus aus den Betten. Beim Marschieren konnte ich mich wieder ärgern, weil die Lieder zu tief angestimmt wurden. Ich hatte noch keinen Stimmbruch.

Heute ging es gleich zu den im Keller liegenden Umkleide- und Waschräumen, wo wir unsere Tasche im zugeordneten Spind ablegen konnten. Wir gingen nur mit der Brotbüchse nach oben. Die musste ja in das Fach im Rollschrank, der kurz vor sieben Uhr verschlossen wurde. Im Keller kam man so ohne weiteres auch nicht an sein Spind. Dazu musste erst der Schlüsselkasten durch den Lehrausbilder vom Dienst geöffnet werden, der dann gleich wieder verschlossen wurde, wenn der letzte Schlüssel wieder im Kasten war. Für jede Gruppe gab es einen Schlüsselkasten. Die waren in der Nähe der betreffenden Spindreihen angebracht. Wer zu spät kam, hatte ein Spießrutenlaufen zu überstehen.

In der Werkstatt, genau Lehrwerkstatt I, abgekürzt LW I, warteten wir an unseren Plätzen der Dinge die da kommen sollten. Fünf vor sieben hupte es. Es war also der Piepston zu vernehmen, der von Lautsprechern ausgestrahlt wurde. Über diese Lautsprecher konnten auch Durchsagen erfolgen oder Rundfunksendungen übertragen werden. Es erfolgte wieder ein Trillerpfiff mit der Aufforderung, anzutreten. Das hatte im Marsch-Marsch-Tempo zu erfolgen. In einer knappen Minute standen wir. Nach der Meldung an den Meister gab der seine Anweisungen. So war das dann jeden Morgen. Noch vorm Signal zum Arbeitsbeginn wurde weggetreten und man stand um sieben vor seinem Schraubstock. Nun konnten wir uns weiter an unseren U-Stählen auslassen. Wir erlernten Ausdauer und dazu zu schweigen. Die Schruppfeilen, die wir benutzen sollten, waren am Blatt um die 400 Millimeter in der Länge. Scharf war keine von ihnen, aber darum ging es auch nicht am Anfang. Das Führen der Feile war wichtig.

Nebenbei wurden Wege erledigt. So kam ich an diesem Tag das erste Mal in das Büro. Es lag eine Treppe tiefer. Der Weg dort hin führte über den Speisesaal zur Werkberufsschule. In dem dortigen Gang die erste Tür links war das Büro. Gleich hinter der Tür befand sich eine Barriere, die nicht gestattete, weiter in diesen Raum zu treten. Der Raum war so groß wie ein Klassenraum der darüber liegenden Berufsschule. Als Büro galt nur ein kleiner Teil dieses Raumes. Der Rest war auf den dazugehörigen Schreibtischen mit Zeichengeräten voll gestellt. Dort arbeiteten die ersten Technischen Zeichner, die ich erblicken durfte. Ich wusste es nicht genau. Ich ahnte es nur.

Unsere Gruppe feilte bis Mittag. Nach dem Mittag gingen wir in die Schule. Wir erfuhren, in welchen Fächern wir unterrichtet werden. Darunter war auch Technisches Zeichnen. Ich hatte ab diesem Tag im ersten Lehrjahr jeden Dienstag Berufsschule. Der Marsch ins Heim begann an diesem Tag später, also erst nach der regulären Arbeitszeit für Lehrlinge unter 16 Jahren.

Die folgenden Tage wurden neben der Feilerei dazu benutzt, weitere Aufnahmebedingungen zu erledigen. So der Gang zu Betriebsarzt und zum Fotografen, von dem das Passbild für den Betriebsausweis aufgenommen wurde.

Ebenfalls wurden uns verschiedene Verhaltensregeln beigebracht. Wenn einer zur Toilette musste, die im Keller war, hatte er sich beim Lehrausbilder abzumelden. Dazu musste man sich in der Haltung „Stillgestanden“ in der Nähe des Lehrausbilders postieren und warten, bis er zum Ausdruck brachte, das er einem Anliegen Gehör schenken würde. Vor dem Sprechen hatte der Bittende einen ordentlichen „Deutschen Gruß“ zu leisten. Nach dem Gruß war zu sprechen. Der Lehrausbilder überprüfte dann, ob nicht andere der Gruppe schon unterwegs waren und gestattete dann oder nicht.

Wenn man nun unterwegs war, hatte man Vorgesetzte ordentlich zu grüßen. Im Treppenhaus mit Kopfwenden und außerhalb mit „Deutschem Gruß“. Beides ohne zu sprechen. Traf man unterwegs zwei Vorgesetzte an, die im Gespräch waren und dazu den gesamten Weg nutzten, hatte man Haltung anzunehmen und zu warten. Wenn die Vorgesetzten aufmerksam würden, sei zu fragen, ob man vorbeigehen dürfe. Man hatte so zu fragen: „Lehrling sowieso bittet vorbeigehen zu dürfen.“ Erst wenn das gestattet wurde, durfte man weitergehen. So ähnlich war es auch, wenn man zur Toilette wollte. In diesem Fall musste man dann sagen: „Lehrling sowieso bittet austreten gehen zu dürfen.“

Im Lehrlingsheim wie im Betrieb wurde militärische Disziplin gefordert. Beim Heimleiter Erhard Haider empfand man das nicht so. Er pflegte mehr einen „kumpelhaften“ Umgang mit uns, war hilfsbereit aber bestimmt. Er machte keine Ausnahmen. Ich glaube, wir alle hatten volles Vertrauen zu ihm. Man konnte sich mit jedem Problem an ihn wenden. Nach meinem heutigen Wissen würde ich ihm hohes pädagogisches Geschick nachreden.

Mit meinem Geschick sah es da nicht so gut aus. Das betrifft nicht die fachliche Ausbildung im Betrieb, sondern das Leben außerhalb desselben. Im Frühjahr eines jeden Jahres fanden im deutschen Reich die Sportwettkämpfe der Jugend statt. Zum Sportabzeichen wurden in der Regel die Disziplinen 100-Meterlauf, Weitsprung und Schlagballweitwurf gefordert. Wer 150 Punkte erreichte, bekam das Sportabzeichen. Ich weiß nicht mehr, wo wir das im Heim gemacht haben. Jedenfalls war ich unter den besten Zehn von den 80 Lehrlingen im Heim, die man als Hitlerjugendgefolgschaft zählte. Diese zehn Besten mussten zum Ausscheid in der nächst höheren Klasse. Ich glaube, die nannte sich „Gebiet“. Dieser Wettkampf fand auf dem Suhler Sportplatz statt, wo ich nicht nur das erste mal eine Aschenbahn sah, sondern sie auch noch benutzen durfte.

Der dazu vorgesehene Tag war kalt und regnerisch. Vom Warmmachen oder Warmlaufen hatte ich keine Ahnung und verhielt mich vor dem 100-Meterlauf recht ruhig, um Kräfte zu sparen. Das war die erste Disziplin, die ich absolvieren sollte. Ich ging an den Start und bibberte vor Aufregung und Kälte. Neben mir hockten recht kräftige Kerle, die mindestens ein Jahr älter waren als ich. Die sah ich dann auch von hinten und ich strengte mich an, sie aufzuholen. Doch als ich glaubte heranzukommen, spürte ich in meinem linken Oberschenkel einen stechenden Schmerz und musste noch vor dem Ziel aufgeben. Ich humpelte danach zum Weitsprung. Dort hockte ich mich zur Seite und wartete, bis ich aufgerufen wurde. Ich lief an und der stechende Schmerz kam bald wieder. Ich verwechselte dazu noch mein Sprungbein und sprang links ab. Ich sackte aber nur noch in den Sand der Sprunggrube und da war erst einmal Schluss.

Erhard Haider war aber gleich da und man trug mich zu einem Auto, in dem er mit mir zum Docktor Schirmer in Suhl gefahren wurde. Der wollte einen Muskelriss festgestellt haben. Nun war für mich das Stehen am Schraubstock erst einmal zu Ende. Vier Wochen hatte ich Ausfall.

Im Heim angekommen, erwartete mich eine andere Überraschung. Mit der hätte ich aber rechnen können. Vor einiger Zeit hatte ich während des Schlafens einen Pubs gelassen, bei dem ein Teelöffel voll Nasses dabei war. Als ich es an dem betreffenden Morgen bemerkte, war die Sache schon relativ trocken. Um es zu verstecken, legte ich eine dünne Wolldecke darüber, die als Reserve immer am Fußende des Bettes auf der Decke lag. Während ich beim missglückten Sportwettkampf war, wurde von den im Heim Gebliebenen ein Wäschewechsel durchgeführt. Die hatten dann ihren Spaß und ich das Schämen. Sie meinten, und das war wohl Hüsings Idee, ich hätte einen Pfennig im Bett versteckt gehabt.

Haider kam dazu und meinte, dass das jedem einmal passieren kann, aber ich hätte mich doch gleich um ein frisches Laken bemühen sollen.

Es dauerte nicht lange, und ich musste erneut in das Krankenzimmer. Da war ein Lehrling aus dem Thüringer Wald, der wollte mir unbedingt „die Freß vollhaue“. Warum, das könnte nur er sagen. Er gehörte nicht in meine Gruppe im Betrieb, also auch nicht in meine Schulklasse. Er wohnte im Heim in einer der letzten Stuben der Neulinge und saß deshalb auch nicht in der Nähe meines Tisches beim Essen. Er war sogar einer von denen, die am Schraubstock eine Unterlage benötigten. Ich ging ihm so gut es ging aus dem Weg. Doch an einem Nachmittag, nach der Arbeit, gelang es ihm, mit mir eine Keilerei anzufangen. Als er mich nicht bezwingen konnte, begann er zu schlagen. Ich wehrte mich so gut ich es vermochte. Beim Abdrehen von meinem Gegner verpasste ich ihm einen Schlag, der ihm wohl reichte, doch mir am rechten Handballen, auf der kleinen Fingerseite, einen Bluterguss einbrachte. – Im Ergebnis musste ich meine rechte Hand einige Zeit in Lehm einpacken.

Im Betrieb ging der Grundlehrgang Metall weiter. Ich hatte die Fehlzeit so recht und schlecht aufgeholt. Nachdem wir die Schenkelenden des ersten U-Stahlstückes fast abgefeilt hatten, gab es ein neues U-Stück mit den gleichen Abmaßen wie das vorher bearbeitete. Wir hatten schon beim ersten U-Stück gelernt nach Anriss zu feilen, wobei der erste Anriss noch vom Lehrausbilder vorgenommen wurde. Die anderen Anrisse besorgten wir selbst. Beim Bearbeiten mit der Feile ging es nun darum, dass beide Anrisse an den Schenkeln des U-Stahles gleichmäßig noch zu sehen waren. Beim zweiten U-Stahl wurden in der Regel nur zweimal angerissen. Dann ging es an die Stegfläche. An dieser Fläche übten wir das „eben feilen“.

Zur Überprüfung der Ebenheit dieser Fläche benutzten wir ein Haarlineal. Bei diesen Arbeiten, dem eben und winklig feilen habe ich aufgeholt. Komplizierter wurde dann das Feilen der Stirnseiten, doch das gelang mir ebenfalls ganz gut. Beim winklig feilen wurde zum Überprüfen ein rechter Winkel benutzt. Die dafür verwendeten Winkel waren sehr genau und wurden, wie auch das Haarlineal sehr pfleglich behandelt. Wenn wir diese Messzeuge benutzten, wurde auf der linken Seite hinter dem Schraubstock ein dicker Lappen ausgelegt, auf dem diese Messzeuge abgelegt werden konnten. Nach der Nutzung oder zum Feierabend wurden die Messzeuge mit einem Lappen abgewischt und hauchdünn mit Vaseline eingerieben. So kamen sie dann in ihr Fach.

Nachdem das U-Stück fertig war, wurde ein Flachstahlstück bearbeitet. Das musste eben, winklig und maßhaltig gefeilt werden. Zum Messen benutzten wir eine Schieblehre, mit der man bis 0,1 Millimeter genau messen konnte. Die Sache wurde immer komplizierter, aber ich fand Gefallen daran und überlegte, ob ich nicht meinen Beruf wechseln könne. Nach den Informationen, die wir erhielten, war das im ersten Lehrjahr möglich, wenn es sich um einen Beruf handelt, der im Betrieb ausgebildet wird. Dazu müsste man die Unterschrift des Vaters erhalten. Meiner war aber zu diesem Zeitpunkt nicht greifbar. Er war zur Wehrmacht eingezogen und beteiligte sich gerade an der Besetzung Polens. Ich hatte also kaum Gelegenheit, meinem alten Herren meinen Wunsch beizubringen und dazu noch seine Unterschrift einzuholen. Die Feldpost war viel zu lange unterwegs.

Die Metallbearbeitung war nicht das einzige, was mich reizte, den Beruf zu wechseln. Vielmehr war es die Möglichkeit, Büchsenmacher zu werden. Dafür interessierte ich mich nun mehr, je länger ich in der Lehre war. Ich begann also recht bald, meine Berufswunschänderung zu verbreiten, sagte dazu gleich, dass es mit der Unterschrift des Vaters Probleme geben könnte. Zunächst wurde ich aber als Technischer Zeichner weitergeführt.

Unsere Tätigkeiten im Betrieb mussten wir in einem Merkheft niederschreiben, in dem der Lehrausbilder wöchentlich seinen Kontrollvermerk darunter setzte. Diese Tätigkeiten mit den dazu passenden Zeichnungen wurden dann in ein „Werkstattheft“ übernommen. Die Werkstatthefte wären aber noch nicht geliefert und das müsste alles nachgeholt werden.

Weiter erfuhren wir, das wir noch ein mehrwöchiges Ausbildungslager absolvieren sollten. Da es zur Zeit noch nicht möglich wäre, das Ausbildungslager durchzuführen, seien während der Arbeitszeit Ordnungsdienste geplant. Zu diesem Ordnungsdienst wurde jeweils ein Ausmarsch angesetzt. So ein Ausmarsch ging in der Regel zum Betriebstor hinaus hinter den Bahnhof Heinrichs. Da ging links am Bahnhof vorbei eine Unterführung zu einem Tal, durch das ein Feldweg führte. Auf diesem Feldweg übten wir die Grundstellung und das Wenden. Auch das Grüßen wurde geübt. Auf der sich nach links in den Grund anschließenden Wiese übten wir das Antreten.

Gleichzeitig war das eine Möglichkeit uns zu triezen. „Zwo mal links schwenk! – marsch, marsch!“ und so weiter, wo es auch einmal andersherum ging, wo das Hinlegen und das „Sprung auf, marsch marsch“ nicht fehlte. Wir hatten ja nun unsere Arbeitsanzüge und da durfte man uns eben so richtig scheuchen.

Der erste Fliegeralarm

Wir sollten unsere Kleidung so auf unseren Schemeln ablegen, dass wir uns schnell anziehen konnten. Man sagte dazu auch „Päckchen bauen“. Das wurde in der freien Zeit im Lehrlingsheim geübt. Auch Probealarme wurden durchgeführt, wobei es vor allem darum ging, uns im Dunkeln schnell anzuziehen.

Der Heimleiter war mit uns zufrieden. Wir hatten im Heim keine Keller und so auch keine Schutzräume. Dazu war vereinbart, dass wir in die Keller der Einfamilienhäuser gehen könnten, die am Berg über dem Arbeitsdienstlager standen. An der oberen Grenze dieses Lagers war noch ein Tor, von dem aus man über eine etwa 80 Meter breite Wiese in mittlerer Hanglage zu diesen Häusern gelangen konnte. Unsere Baracke stand etwa zehn bis zwölf Meter vom oberen Zaun entfernt, wo es natürlich auch schräg nach oben ging, aber wesentlich steiler als auf der Wiese. Man konnte das eher als eine Böschung betrachten. Dazu kam noch, dass man von der linken Seite aus einen Weg aufgeschüttet hatte, der mindestens mit einem Gespann befahren werden konnte.

Durch dieses Tor sind wir bei schönem Wetter zur Arbeit gegangen. Da war es etwas näher zum Betrieb. Wir konnten einen hinteren Betriebseingang nutzen und so war der Weg nicht zu weit. Für Lehrlinge, die im oberen Betriebsbereich eingesetzt waren, wirkte sich das besonders günstig aus. Doch dazu gehörte ich noch nicht. Bei schönem Wetter deshalb nur, weil der Hang in das Tal bei Heinrichs schlammig und glatt wurde. Da konnte man sich gut die „Klamotten einsauen“. Wenn wir auf der Anhöhe zum Betrieb gingen – wir marschierten da nicht mehr – war es interessant zu sehen, wie sich der Dampf der Lokomotiven bei ruhiger Morgenluft wie eine Perlenkette über den Zug und dann über das Tal streckte. Eine Zeit lang konnten wir auch zusehen, wie ein Flugzeug, eine Dornier II, gegen die Nonnen, einen Holzschädling, Gift versprühte. Das Flugzeug stürzte ab und es kreiste dann kein anderes mehr.

Inzwischen lernten wir unsere Leute vom Luftschutzkeller kennen und es gab ein „Probesitzen“. Die Häuser gehörten zur Lauterbergsiedlung in der auch das Haus meines Onkels Hans stand. Unsere „Kellerhäuser“ standen am Rand des Berges und das Haus von Onkel Hans befand sich am anderen Ende dieser Siedlung. Ich hab mich dort bei Tante Lotte ab und zu einmal sehen lassen. Onkel Hans war ebenfalls eingezogen.

Der Krieg war nun schon über zehn Monate lang und keiner von uns glaubte, dass es einmal in dieser Gegend zu einem Bombenangriff kommen werde, zumal wir nun schon Frankreich besiegt hatten. Doch da ertönten in einer Nacht die Sirenen. Wir verhielten uns wie geübt und saßen dann im zugewiesenen Keller. Ich weiß nicht mehr, wie lange der Alarm andauerte. Wir waren endlich froh, wieder in unsere Koje zu kommen.

Nach unserem Ermessen war weiter nichts geschehen. Wir hatten uns aber getäuscht. Nicht einmal so sehr weit entfernt von unseren Kellern, aber in Richtung unseres Betriebes, waren drei Bomben eingeschlagen. Erhard Haider, der Heimleiter, schlug uns vor, die Bombentrichter gemeinsam aufzusuchen. Erwartungsvoll ging es los. Zum oberen Tor hinaus gingen wir an den „Kellerhäusern“ vorbei in Richtung Albrechts. Etwa auf der halben Strecke zu diesem Ort bogen wir nach links in die Richtung zu unserem Betrieb ab. Bald sahen wir drei große Löcher, die Bombentrichter. Wir erkannten auch, dass die Bomben fast in den Betrieb gefallen wären. Das abwerfende Flugzeug hatte genau die Richtung zur Mitte des Betriebes gehabt und die Bomben zwei oder drei Zehntelsekunden zu früh ausgelöst. Der letzte Trichter war am Rand des Hanges, der zum Betrieb abfiel. Und der war steil. Wir konnten das alle gar nicht fassen. Keiner von uns hatte ein Flugzeugbrummen oder die Bombeneinschläge gehört. Wir redeten von einem Geisterflugzeug. Später, in den letzten Kriegsmonaten wurde die gesamte Lauterbergsiedlung, wo vor allem Gustloff-Arbeiter wohnten, von Bomben zerstört.

Als ich in den 1980er Jahren einmal kurz dort oben war, fand ich zwar neue Häuser aber nicht die alte Struktur wieder. Tante Lotte war 1942 in das Stadtzentrum von Suhl gezogen.

Eine Fahrradtour

Ich kann nicht genau sagen, ob die Fahrradtour nach dem Städtchen Römhild vor oder nach den Ferien statt fand. Jedenfalls durften alle, die ein Fahrrad besaßen, bei dieser Tour mitfahren, egal in welchem Lehrjahr sie gerade waren. Ich hatte kein Fahrrad und hätte mir auch keines kaufen können. Der Betrieb verkaufte damals noch Fahrräder zum Preis um die 70 bis 80 Reichsmark. An diesen Fahrrädern war die Bezeichnung BSW, was die alte Betriebsbezeichnung war und Berlin-Suhler-Waffenwerk bedeutete. So ein Fahrrad hatte ich mir gewünscht, aber mein Weihnachtsmann hatte kein Geld und verzichten hatte ich inzwischen gelernt.

Bald war auch die Möglichkeit nicht mehr gegeben, ein solches Fahrrad zu erstehen. Doch irgendwie hatte ich herausbekommen, dass bei Tante Lotte ein Damenfahrrad herumstand. Ich ging also dahin und fragte, ob sie mir das leihen würde. Mit zögern und zaudern stimmte sie zu. Sie benötigte es dringender, als zu einer Fahrradtour. Nun konnte ich doch mitfahren.

An dem vorgesehenen Sonnabendnachmittag ging es los. Vor Themar hatte ich einen Platten. Haider beorderte einen zweijährigen Lehrling zu mir, der den Weg kannte und der etwas mehr Ahnung vom Flicken hatte als ich. Die Panne erwischte mich bei der Abfahrt nach Themar. Wir fuhren nicht sehr schnell, denn Haider hielt das Tempo so, dass man gefahrlos anhalten konnte. Als wir in Themar ankamen, wartete noch ein weiterer zweijähriger Lehrling auf uns. Zu dritt ging es dann die Straße in Richtung Römhild hoch. Die Gleichberge, die durch einen Sattel verbunden sind, waren links von unserer Fahrtroute zu sehen. Bald waren wir in Römhild. Unser Ziel war das Kinderheim in dieser Stadt.

Es war wohl so, dass man zwischen beiden Heimen Verbindung hielt. Die Heimkinder hatten dadurch bessere Möglichkeiten, einen guten und gefragten Beruf zu erlernen. Ich erfuhr, dass Robert Kleingünter, unser Stubenältester, auch aus diesem Heim stammte. Geboren war er aber in Österreich.

Das schönste war aber, dass in diesem Heim ein kleines Schwimmbad war. Wir konnten uns nach Herzenslust im Wasser tummeln. Das war die schönste Badegelegenheit die ich jemals hatte. Wir konnten bis zum Dunkeln im Wasser bleiben. Übernachtet haben wir auf einem Dachboden von einem Nebengebäude des Heimes. Früh ging es gleich mit einem kühnen Sprung ins Wasser. Am Nachmittag traten wir die Heimfahrt an, die ohne Probleme vonstatten ging.

Ein lustiges Ereignis

Es ging auf den Herbst zu und im Betrieb kamen Studenten aus Jena zum Einsatz. Man hatte vor, gemeinsam mit den Studenten und den Lehrlingen des Lehrlingsheimes einen Abend zu gestalten. Nun war gefragt, was wir dazu alles beitragen können und wir sollten uns etwas für diesen Abend einfallen lassen. Mit dem Einfallen war das kein Problem, waren wir doch aus sehr vielen Gegenden Deutschlands zusammengewürfelt und viele kannten einen Sketsch oder andere spaßige Dinge.

Nun wurde ausgeknobelt, was man alles anstellen wollte. Es war bekannt, dass der Betriebsberufsschulleiter Dr.Wacker zugegen sein und auch übernachten würde. So war nun vorgesehen, dass einer, der einen Clown spielen sollte, mit Hüsings Luftgewehr über dem dunklen Anzug von Dr.Wacker eine Portion Mehl verschießen sollte. Das sollte die Krönung werden. So war es dann auch. Den Clown spielte der Lehrling Schönfelder, der aus der Sonneberger Ecke stammte. Er hatte dann alles in der Hand und wir hielten uns die Bäuche vor lachen. Der Mehlschuss wurde natürlich vorher ausgetüftelt, bis er so ankam, wie man sich das vorgestellt hatte. Keiner hätte gedacht, dass Schönfelder so etwas drauf hatte. Er sprach so eigenartig, dass man schon darüber lachen musste.

Mit dem Mehlschuss sollte das so dargestellt werden, dass es dem Tell’schen Schuss glich. Schönfelder holte sich dann einfach Dr.Wacker und postierte ihn. Da man nun keinen Apfel zur Verfügung hatte, war ein Käseschachtel aus Pappe dazu auserkoren. Die hat er versucht mit der hohen Kannte auf den Kopf von Dr.Wacker aufzubringen, was natürlich nicht gleich gelang. Das ergab schon allerhand Spaß. Er versuchte das mehrmals mit den entsprechenden Kommentaren. Zuletzt sollte Dr.Wacker die Dose selbst festhalten, was er aber spaßig verweigerte. Schönfelder legte schließlich die Käsedose flach auf den Kopf und schoss nun mit dem erwarteten Erfolg. Das war der Schluss dieses Abends. In der Nacht haben Lehrlinge des dritten Lehrjahres das Gesicht des Dr.Wacker noch mit schwarzer Schuhkreme eingeschmiert, während Wacker in seinem Gästebett schlief. Das wurde vom Heimleiter nicht sehr freundlich aufgenommen.

Die Studenten und Wacker mit Anhang schliefen in einer der Baracken, die unterhalb der Lager- oder Hohen Feldstraße lagen. Dr.