Verführt von einer Fremden - Charlene Sands - E-Book

Verführt von einer Fremden E-Book

Charlene Sands

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Beschreibung

Im Dunkel der Nacht schlüpft sie zu Luke ins Bett, verführt ihn und verschwindet vor dem Morgengrauen: ganz schön kess von Audrey! Einen Monat später sehen sie sich wieder. Seltsam: An die Nacht, die Audrey niemals vergessen wird, kann Luke sich nicht erinnern…

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IMPRESSUM

COLLECTION BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2013 by Charlene Swink Originaltitel: „Sunset Seduction“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 345 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733722395

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Normalerweise brachte Audrey Faith Thomas so schnell nichts aus der Fassung. Doch der Sturz ihres großen Bruders beim Amarillo-Rodeo vor sechs Monaten, bei dem seine Wirbelsäule schwer verletzt worden war, war zu viel gewesen. Die Situation war so ernst, dass Audrey im letzten Semester die Hochschule für Veterinärmedizin verlassen hatte, um ihn gesund zu pflegen.

Audrey erschauerte bei der Erinnerung daran und dankte dem Allmächtigen, dass Casey lebte und so streitlustig war wie eh und je. Doch die Angst, die sich jetzt in ihr ausbreitete, als sie hinter dem Steuer ihres Trucks saß und ihrem Schicksal entgegenfuhr, hatte nichts mit Caseys schrecklichem Fünf-Sekunden-Ritt und dem daraus resultierenden Abschied vom Rodeo zu tun. Es war eine andere Angst. Eine Angst, die sie verrückt machte und an sich selbst zweifeln ließ. Eine Angst, die in ihr das Verlangen auslöste, den Pick-up zu wenden und nach Reno zurückzufahren, anstatt unangemeldet auf der Sunset Ranch zu erscheinen.

Um Lucas Slade gegenüberzutreten.

Dem Mann, den sie verführt und dann mitten in der Nacht verlassen hatte.

Audrey schluckte und versuchte, sich ihr Verhalten zu erklären. Es gelang ihr nicht. Noch immer konnte sie nicht glauben, was sie getan hatte. Und auch wenn sie sich das Motiv für ihr Handeln immer wieder vorgebetet hatte – nichts hatte sich geändert.

Letzten Monat, nach einem Streit mit ihrem Bruder und anschließender dreiwöchiger Funkstille, hatte sie ihr Zuhause in Reno verlassen und sich zu seiner Hütte am Lake Tahoe gewagt, um sich mit ihm zu versöhnen.

Doch als sie ankam, schlief Casey tief und fest auf der Couch. Und der Letzte, mit dem sie im Gästezimmer, in ihrem Bett, gerechnet hatte, war Luke Slade – der Mann ihrer Träume, der Mann, an dem sie jeden anderen maß. Schon als Teenager hatte sie für ihn geschwärmt.

Bei seinem Anblick hatte sie augenblicklich ihren Verstand in den Urlaub geschickt. Das war ihre Chance. Und ihre prüde Erziehung würde sie nicht daran hindern, sich zu holen, was sie brauchte. Sein rechter Arm war eingegipst. Kein Grund für sie, sich ihm nicht zu nähern.

Luke hatte sie angeblinzelt. „Komm näher“, klang damals seine raue Stimme durch die Dunkelheit. Sie hatte seine Worte als Einladung betrachtet, zu ihm ins Bett zu klettern. Über die Konsequenzen hatte sie nicht nachgedacht. Warum auch? Es war eine wundervolle Nacht mit dem Mann gewesen, den sie seit Jahren heimlich liebte.

Audrey sah ihre getigerte Katze Jewel, die in der Transportbox auf dem Beifahrersitz schlief, entschuldigend an. „Es war ja nicht irgendein Typ. Es war Luke“, sagte sie, als erklärte dies alles. Die Katze öffnete die Augen, starrte Audrey an und kehrte dann ins Land der Katzenträume zurück. Audrey konzentrierte sich wieder auf die kurvenreiche zweispurige Straße, eine Abkürzung durch die Sierra Nevada zur Sunset Ranch.

Die gleißende Sonne blendete sie, also zog sie ihre knallig pinkfarbene Baseballkappe tiefer ins Gesicht. Nachdem sie den Gebirgspass überquert hatte, bog sie von der Straße ab. In der Ferne konnte sie schon die Sunset Lodge erkennen. Das elegante Resort war eins der überaus erfolgreichen Geschäftsfelder der Slades. Eine halbe Meile von der Lodge entfernt lag schließlich die Ranch.

„Wir sind gleich da“, sagte sie zu der schlafenden Katze.

Audrey konnte sich allerdings nicht so entspannen wie Jewel. Krampfhaft umklammerte sie das Lenkrad, und ihr Herz schlug wie verrückt, als ihre Zweifel und ihre Angst immer größer wurden.

Sie hätte in jener Nacht bei Luke bleiben und ihm am nächsten Tag mutig gegenübertreten sollen. Doch jedes Mal, wenn ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss, stellte sie sich vor, wie Casey aufwachen und sie im Bett mit seinem Freund finden würde. Er wäre ausgerastet. Deshalb hatte sie entschieden, dass es besser war, Luke und die Hütte zu verlassen.

Zwei Tage später, als sie endlich den Mut aufbrachte, ihren Bruder anzurufen, hatte sie den Grund für Lukes Besuch erfahren. Er wollte sich in Caseys Hütte am Lake Tahoe von seinem eigenen schrecklichen Unfall erholen, bei dem er unters Pferd gekommen war und sich den Arm und drei Rippen gebrochen hatte.

Jetzt würde sie Luke endlich treffen. Sie würde ihn auf die gemeinsame Nacht ansprechen und ihm vielleicht sogar ihre Liebe gestehen. Sie fragte sich, ob sie für ihn leichte Beute gewesen war, ein One-Night-Stand, eine Frau, die nicht wusste, was sie wollte. Wie dachte er darüber, dass sie ihn noch in derselben Nacht verlassen hatte?

Bald würde sie es wissen. Sie näherte sich dem Tor zur Sunset Ranch. Das schmiedeeiserne Emblem, das die untergehende Sonne am Horizont darstellte, markierte die östliche Einfahrt zur Ranch. Sie verlangsamte die Geschwindigkeit, rollte nur noch im Schritttempo vorwärts, spürte, wie sie der Mut verließ.

Noch könnte sie umdrehen und nach Hause fahren.

Hinter ihr drückte der Fahrer eines vollbeladenen Heuwagens auf die Hupe und riss sie aus ihren Träumen. Sie nahm es als Omen. Fahr weiter. Tritt deinem Schicksal mutig entgegen. Was auch immer es für dich bereithält.

Also los! Ein paar Minuten später parkte Audrey ihren Truck, nahm die Katzenbox und klopfte an Lukes Tür.

Nach ein paar endlosen Sekunden wurde die Tür geöffnet, und sie stand Lucas Slade gegenüber. Sein dunkelblondes Haar glänzte in der Sonne, die Strahlen küssten sein unrasiertes Gesicht. Faszinierend.

Wortlos starrte sie ihn an. Sie wollte nicht das Falsche sagen und damit alles vermasseln. Also schwieg sie und wartete darauf, dass er etwas sagte.

„Bist du das unter der Kappe, Audrey Faith?“

Himmel, sie hatte die verdammte Kappe vergessen. Sie nickte und schob sie zurück.

Luke strahlte. „He, komm her.“

Er wartete nicht, bis sie sich rührte, sondern trat mit ausgestreckten Armen vor. In diesem Moment war all ihre Angst vergessen. Er freute sich, sie zu sehen. Gott sei Dank.

Aber wenn sie damit gerechnet hatte, dass er sie umarmen und so küssen würde, wie er sie in der Hütte geküsst hatte, so wurde sie enttäuscht. Stattdessen zog er sie in eine geschwisterliche Umarmung und klopfte ihr zweimal freundschaftlich auf den Rücken, bevor er einen Schritt zurücktrat, um sie anzusehen.

„Was führt dich zur Sunset Ranch?“ Er blickte über ihre Schulter. „Ist Casey mitgekommen?“

„Oh … nein. Casey ist nicht bei mir.“

„Okay.“ Er nickte. „Komm ins Haus. Raus aus der Hitze. Und bring deine Katze mit.“

Sie hatte ihre Tigerkatze in der Transportbox ganz vergessen. „Das ist Jewel. Sie ist vor zwei Monaten von einem Wagen angefahren worden und stand eine Weile unter Schock. Jetzt leidet sie unter Trennungsangst, wenn ich sie zu lange allein lasse.“

Luke schaute sich die Katze genauer an. „Sie hat die ganze Reise von Reno hierher mitgemacht?“

Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, als er seinen Blick wieder auf sie richtete. Sie nickte.

„Glückliche Katze. Ich wette, sie genießt bei dir eine fürstliche Behandlung.“

Audrey stand da, völlig verwirrt über Lukes Reaktion. Er machte keine einzige Bemerkung über das Wiedersehen. Oder über die Nacht, die ihre Welt aus den Angeln gehoben hatte. Er schien nicht verärgert zu sein, nicht verletzt, erleichtert oder überhaupt irgendetwas. Sie konnte nicht sagen, was genau sie erwartet hatte, aber diese höflichen Floskeln ganz sicher nicht.

Wie angewurzelt stand sie da, doch dadurch ließ Luke sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm einfach die Transportbox und trug sie ins Haus.

Audrey riss sich zusammen und folgte ihm.

„Gut siehst du aus, Audrey Faith“, sagte er.

Du auch, dachte Audrey. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, als sie sich an die erotischen Träume der letzten vier Wochen erinnerte. Und jetzt stand sie dem Held ihrer Träume gegenüber. „Nenn mich bitte nur Audrey. Das Faith lasse ich seit ein paar Jahren weg.“

Luke lachte. Es war ein tiefes, sinnliches Lachen, genau wie sie es in Erinnerung hatte. Sicher, damals als Teenager hatte sie von Sinnlichkeit keine Ahnung gehabt. Sie wusste nur, dass sie den Klang seines Lachens liebte. „In Ordnung, Audrey“, sagte er sanft.

Gnade. Allein seine Art, ihren Namen auszusprechen, erregte sie.

Audrey rief sich zur Ordnung und folgte ihm ins Haus. Sie schaffte es sogar, den Blick nicht auf den knackigen Hintern in den engen Jeans zu heften. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Lukes dunkelblondes Haar, das ihm über seinen Kragen bis auf die Schultern fiel. Es war länger als in jener Nacht. Sie erinnerte sich, wie sie ihre Finger durch die dicken Locken hatte streifen lassen. Wie sehr sehnte sie sich danach, es wieder zu tun.

Die Nacht mit ihm schien ihr immer mehr wie ein unwirklicher Traum.

Luke stellte die Box auf das Sofa und drehte sich zu Audrey. „Es ist wirklich schön, dich zu sehen. Es ist lange her.“

Lange her? Sie hatte ihn erst vor einem Monat gesehen.

„Ich freue mich auch.“ Die Unterhaltung verlief anders als erwartet. In ihren schönsten Fantasien war Luke begeistert gewesen, sie zu sehen. Er hatte sie in sein Schlafzimmer getragen, ihr seine Liebe gestanden und sie angefleht, ihn nie wieder zu verlassen. Der Worst Case war gewesen, dass er geschimpft hatte, weil sie ungeschützten Sex mit ihm gehabt hatte und dann mitten in der Nacht weggelaufen war.

Aber dieses Gespräch war einfach nur merkwürdig.

„Ich freue mich wirklich über deinen Besuch.“ Luke bot ihr einen Platz an.

Sie setzte sich neben die Katzenbox. Luke nahm ihr gegenüber in einem Ohrensessel Platz. „Du siehst super aus.“

Lügner. Wie immer trug sie eine karierte Bluse und ausgebeulte Jeans. Die viel zu langen Haare hatte sie unter die Baseballkappe gestopft. „Danke, du auch. Geht es dir besser?“

„Ich kann nicht klagen. Mein Arm ist wieder in Ordnung.“ Als sie sich geliebt hatten, war er noch eingegipst gewesen, was Luke aber nicht daran gehindert hatte, sie in jener Nacht tausend herrliche Tode sterben zu lassen.

„Das ist … gut.“

„Was hast du so gemacht?“, fragte er höflich.

„Ich … Luke?“ Es gefiel ihr gar nicht, dass sie so verzweifelt klang, aber Luke ließ das Ich-bin-mitten-in-der-Nacht-über-dich-hergefallen – Thema völlig ungerührt links liegen.

Jetzt aber wurde sein Blick weich, und in seiner Stimme schwang Mitgefühl mit. „Was ist los, Honey? Hast du wieder mit Casey gestritten? Ist er immer noch so unerträglich?“

Sie lehnte sich verwirrt zurück. Gab er sich absichtlich so begriffsstutzig? Er musste doch wissen, warum sie den langen Weg zur Ranch auf sich genommen hatte.

„Wir streiten immer noch“, sagte sie, „aber anders.“

„Und wie?“ Er schien wirklich interessiert.

„Er kann mir keinen Hausarrest mehr aufbrummen, deshalb gebe ich ihm ordentlich Kontra.“

Luke lachte. „Das kann ich mir lebhaft vorstellen.“

Audrey rang sich ein Lächeln ab. Sie verstand es einfach nicht. Luke verhielt sich so, als wären sie nicht intim gewesen, als hätten sie keinen heißen Sex im Gästezimmer gehabt. War Sex etwas so Alltägliches für ihn, dass er gar nicht darüber nachdachte?

„Casey hat begriffen, dass ich erwachsen bin. Er benimmt sich mir gegenüber nicht mehr so herrisch wie früher.“

Sie wollte Luke klarmachen, dass Casey keine Rolle spielte. Was zwischen ihnen beiden passiert war, ging ihren großen Bruder nichts an.

„Dann hat er es also endlich geschafft loszulassen?“

„Er bemüht sich. Es ist besser als früher.“

Luke nickte, und sie starrten sich wieder an. „Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“

„Nein danke.“

„Okay.“ Er nickte wieder. Audrey merkte, dass er verstohlen auf seine Uhr sah.

„Halte ich dich von etwas ab?“

„Nein.“ Er richtete sich auf und schenkte ihr seine ganze Aufmerksamkeit.

Audrey wusste, entweder jetzt oder nie. Sie musste mit Luke über jene Nacht sprechen.

„Es gibt tatsächlich einen Grund, warum ich gekommen bin, Luke“, sagte sie leise. „Ich glaube, du weißt warum, aber wenn du willst, dass ich anfange …“

Luke zog nachdenklich die Stirn kraus. Dann schien der Groschen zu fallen. „Ach … Audrey.“ Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Sag nichts mehr. Ich hätte es in dem Moment wissen sollen, als ich dich vor meiner Tür stehen sah.“

Erleichtert lockerte Audrey die verspannten Schultern. Endlich. Jetzt würden sie über alles reden.

„Du hast von dem Job gehört, der auf der Ranch zu vergeben ist“, sagte er. „Casey hat dir wahrscheinlich davon erzählt. Wenn ich darüber nachdenke, dann gibt es niemanden, der so geeignet ist wie du, meinen eigensinnigen Hengst zu bändigen. Ich hätte selbst darauf kommen sollen, aber wir haben seit Jahren nicht miteinander gesprochen, deshalb bin ich gar nicht auf die Idee gekommen. Es ist tatsächlich so, dass ich Tribute zähmen und ausbilden muss. Eine große Aufgabe. Casey hat mir gesagt, dass du erst im Herbst wieder zurück an die Hochschule für Veterinärmedizin gehst.“

Audrey wurde blass, und ein Beben ging durch ihren Körper. Gleich würde er ihr ansehen, wie niedergeschmettert sie war. Das durfte nicht passieren.

Reiß dich zusammen, Audrey.

So langsam kapierte sie. „Ich … ja, das war der Plan“, stammelte sie.

Sie wünschte, sie hätte tatsächlich kehrtgemacht und wäre nach Reno zurückgefahren, statt hierherzukommen. Denn was sie gerade erlebte, war ein absoluter Albtraum.

Wir haben seit Jahren nicht miteinander gesprochen.

Sie könnte das wörtlich nehmen. Eigentlich hatten sie nicht gesprochen. Sie hatten die ganze Nacht lang nur geächzt und gestöhnt. Doch sie war nicht so naiv zu glauben, dass Luke das gemeint hatte.

Der Luke, den sie von früher kannte, hätte nicht um dieses Thema herumgeredet. Er wäre offen und ehrlich gewesen. Er hätte sich vermutlich entschuldigt, und das schlechte Gewissen hätte ihn gequält, weil er mit der Schwester seines besten Freundes geschlafen hatte. Audrey konnte nur eine logische Schlussfolgerung daraus ziehen.

Luke weiß nicht, dass wir miteinander geschlafen haben.

Wenn ihr jemand einen Dolch ins Herz gestoßen hätte, wäre der Schmerz nicht größer gewesen.

„Was sagst du dazu, Honey?“ Seine dunkle, melodische Stimme durchbrach ihre Seelenqual.

„Willst du den Rest des Sommers mit mir auf der Sunset Ranch verbringen?“

„Es sind Formalitäten, Audrey, aber wir müssen sie erledigen“, sagte Luke, als er ihr ein Bewerbungsformular für den Job auf der Sunset Ranch reichte.

Sie saßen in dem Büro der Slades. Audrey spürte Lukes Blick auf sich, als sie anfing, den Personalbogen auszufüllen. Ihr Verstand war auf Autopilot gestellt, als sie sich darauf festlegte, die nächsten zwei Monate als Pferdeflüsterin in Lucas Slades sehr lukrativem Pferdezuchtunternehmen zu arbeiten.

Audrey war mit dem Formular fertig und beugte sich vor, um Luke den Personalbogen zu reichen. Der frische Duft seines Aftershaves weckte Erinnerungen an ihre Küsse auf seinen Hals, seine Schultern und seine Brust. Es war derselbe Duft, den sie noch in der Nase gehabt hatte, als sie schon lange die Hütte ihres Bruders verlassen hatte.

Luke blickte flüchtig über den Personalbogen, dann lächelte er und stand auf. „Damit hast du den Job. Komm, ich zeige dir dein Zimmer.“

Ein paar Minuten später stand Audrey allein in ihrem neuen Zimmer. Ihr war ganz schwindlig, so viel war in den letzten dreißig Minuten passiert.

Sie hatte entdeckt, dass sie Sex mit einem Mann gehabt hatte, der sich nicht daran erinnerte.

Er hatte ihr einen Traumjob angeboten.

Und er hatte darauf bestanden, dass sie in einem Gästezimmer wohnte, das keine zehn Meter von seinem Schlafzimmer entfernt lag.

Audrey schaute auf Jewel, die es sich auf der Tagesdecke gemütlich gemacht hatte, ein getigertes Fellknäuel auf einer schwarz-gelb geblümten Decke. Das Zimmer war wunderschön und größer als jeder Raum, den sie bisher ihr eigen genannt hatte. Trotzdem hinterfragte sie ihre Entscheidung. Was habe ich getan?

Sie musste nicht lange nachdenken. Sie hatte getan, was sie tun musste. Sie hätte nicht gehen und riskieren können, Luke nie wiederzusehen. Nein, sie war da, wo sie sein musste. Sie hatte eine zweite Chance mit Luke bekommen.

Sicher, es tat weh, dass Luke sich nicht an die Nacht erinnerte, die für sie unvergesslich war. Hemmungslos hatte sie seine heißen Küsse erwidert und sich ihm so wild und leidenschaftlich hingegeben, dass sie im Nachhinein selbst erstaunt gewesen war.

Ich werde es nie vergessen.

Unwillkürlich gab sie ein zufriedenes Schnurren von sich. Die Katze hob den Kopf.

Audrey unterdrückte ein Kichern und trat ans Bett. „Schlaf weiter, Jewel“, flüsterte sie, setzte sich und streichelte die Katze, bis diese die Augen wieder schloss.

Oh, wie gern würde sie jetzt mit dem Tier tauschen. Keine Sorgen und keinen Kummer zu haben und den ganzen Tag schlafen zu können – was konnte es Schöneres geben?

Audrey erlaubte sich einen Moment des Selbstmitleids, bevor sie versuchte, das Leben wieder von der heiteren Seite zu betrachten. Luke vertraute ihr. Das war ein Vorteil. Er hatte ihr einen Job gegeben, der auf einer höchst angesehenen Ranch nicht leicht zu bekommen war. Und das nicht, weil er mit Casey befreundet war, sondern weil sie mit Tieren umgehen konnte. Er vertraute auf ihre Fähigkeiten und brauchte ihre Hilfe bei dem verdammten Pferd, das auf ihn getreten war und ihn schwer verletzt hatte.

Trib war eine Herausforderung, die sie meistern konnte.

Luke dazu zu bringen, sie nicht nur als die kleine Schwester seines Freundes zu sehen, würde mehr Arbeit erfordern.

„Ich weiß, dass wir zusammen gut sind“, hatte Luke gesagt.

Audrey seufzte.

Wenn er nur wüsste, wie recht er hatte.

Gleich nachdem Luke Audrey ihr Zimmer gezeigt hatte, ging er zurück ins Büro, um sich ihren Bewerbungsbogen noch einmal anzusehen. Audrey Faith Thomas, Halbschwester von Casey – obwohl niemand mehr erwähnte, dass sie nur eine Halbschwester war –, hatte ihre Eltern früh verloren, und Casey hatte sie großgezogen. Sie war die kleine Schwester gewesen, die ihm auf dem Rodeogelände immer hinterhertrottete. Luke fand, dass Audrey im Leben zu kurz gekommen war. Casey war überfürsorglich und sehr streng gewesen in seinem Bemühen, ihr Vater und Mutter zu ersetzen.

Die Tiere waren ihr Ausgleich gewesen, besonders die Rodeo­pferde. Wenn Audrey kam, wurden sie lammfromm.

Ihrer Bewerbung entnahm er, dass sie nach dem College in einer Tierarztpraxis in Reno gearbeitet hatte, bevor sie entschied, Veterinärmedizin zu studieren. Luke fiel auf, dass sie sehr oft ehrenamtlich in Tierheimen und auf Gnadenhöfen für Pferde gearbeitet hatte. Außerdem gehörte sie der Organisation „Freedom for Wild Horses“ an.

Luke nahm das Telefon und gab Caseys Nummer ein. „Hallo“, sagte er, als sein Freund sich meldete.

„Hi.“

„Deine kleine Schwester ist hier. Sie arbeitet jetzt für mich.“

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann: „Das hat sie mir nicht gesagt.“

Oh, oh. Luke mochte es gar nicht, zwischen die beiden zu geraten. „Nun, es hat sich so ergeben. Du musst mal erwähnt haben, dass ich Leute brauche. Egal, sie stand vor meiner Tür, und ich habe sie für die nächsten Monate als Pferdewirtin eingestellt.“

„Verdammt, Luke, ich kann mich nicht erinnern, mit ihr darüber gesprochen zu haben. Offensichtlich werde ich alt und vergesslich.“

Luke lachte. Casey war dreiunddreißig. „Ja, anscheinend. Hast du ein Problem damit, dass sie hier arbeitet?“ Nicht, dass Audrey seine Erlaubnis brauchte. Sie war vierundzwanzig und traf ihre eigenen Entscheidungen. Er hatte Casey aus einem ganz anderen Grund angerufen.

Casey zögerte. „Absolut nicht. Es ist nur, dass sie sich in letzter Zeit etwas komisch verhält. Du weißt schon, will allein sein und so etwas. Ich dachte, sie würde zur Hütte kommen und mit mir den Sommer dort verbringen. Sie war in Reno mit so einem Versager zusammen und hat sich endlich von ihm getrennt. Der Mistkerl hat sie betrogen. Meine kleine Schwester war wirklich am Boden zerstört. Ich glaube nicht, dass sie schon darüber hinweg ist. Ich hätte den Kerl am liebsten umgebracht.“

„Das kann ich mir vorstellen. Nun, jetzt ist sie hier. Sie wohnt im Haupthaus. Du musst dir keine Sorgen machen. Ich passe auf sie auf.“

„Wie immer. Ich weiß das sehr zu schätzen, Luke. Und ich verlasse mich darauf, dass du dafür sorgst, dass ihr keiner der Rancharbeiter das Herz bricht.“

„Mann, sie wird diejenige sein, die den Männern das Herz bricht.“

Casey lachte. „So rum ist das in Ordnung.“

„So, so. Mach dir keine Sorgen um Audrey. Außerdem kannst du jederzeit zu Besuch kommen.“

„Ich soll meine Hütte verlassen? Ich habe Bier, meinen Grill und kann den ganzen Tag tolle Frauen am See anschauen.“

Luke schoss das Bild einer besonders tollen Frau durch den Kopf – eine Blondine mit langen Beinen und einem strahlenden Lächeln –, die uneingeladen zu der Party am See gekommen war, die Casey an Lukes letztem Abend für etwa fünfzig Gäste geschmissen hatte. Die Frau hatte sofort Lukes Aufmerksamkeit auf sich gezogen, doch er hatte nicht einmal ihren Namen herausgefunden. Sie war spät gekommen und früh gegangen, hatte Luke aber immer wieder verführerische Blicke zugeworfen. Er wollte sich ihr gerade nähern, als er von jemandem aufgehalten wurde, der etwas über seine Tage beim Rodeo hören wollte.

„Hast du herausgefunden, wer diese Blondine war?“ Luke hatte guten Grund zu fragen.

„Du meinst diesen heißen Feger?“, fragte Casey. „Ich war zwar betrunken, aber nicht so betrunken, dass ich sie nicht gesehen hätte.

„Dann weißt du also, von wem ich spreche.“

„Ich habe herausgefunden, dass sie Desiree heißt.“

„Und?“

„Sie ist eine Bekannte eines meiner Nachbarn. Sie lebt irgendwo an der Ostküste und ist schon wieder weg. Mehr weiß ich nicht. Du hast deine Chance verpasst.“

Luke würde Casey keinesfalls verraten, was ihm selbst mit der Blondine passiert war. Luke behielt Privates für sich. Doch da er die Gastfreundschaft seines Freundes genossen und einige Wochen in Caseys Hütte gewohnt hatte, verspürte er ein schlechtes Gewissen, weil er Casey gegenüber nicht ganz ehrlich war. Aber wer prahlt schon gerne mit einem One-Night-Stand mit einer Fremden, egal, wie schön sie war? Nicht in der heutigen Zeit und in seinem Alter. Er war keine achtzehn mehr. Zu seiner Entschuldigung konnte er nur sagen, dass er wie betäubt gewesen war. Von den starken Schmerzmitteln.

Ständig quälten ihn vage Erinnerungen an die Nacht.

Zumindest wusste er jetzt, wer die geheimnisvolle Frau war. Sie war in jener Nacht die Aktive gewesen, was ihm sehr gelegen gekommen war, da er wegen seiner Verletzungen in seiner Beweglichkeit eingeschränkt gewesen war. Manchmal dachte er, dass er alles nur geträumt hatte, doch er erinnerte sich an kleine Details, wie zum Beispiel ihren frischen blumigen Duft, ihre langen blonden Haare, die seine Wangen streichelten, und seine totale Befriedigung und gute Laune, als er am nächsten Morgen erwacht war.

„Nun, damit ist das Geheimnis gelöst“, sagte Luke und dachte, dass es das Beste war, dass sie so weit weg wohnte. One-Night-Stands waren nicht sein Ding, komplizierte Affären noch viel weniger. Bisher hatte er keine Frau kennengelernt, die ihn länger als sechs Monate interessierte. Liebe konnte man nicht erzwingen. Das hatte er einmal auf der Highschool versucht, und am Ende war er derjenige gewesen, der an nicht enden wollendem Liebeskummer litt.

„Schade“, sagte Casey. „Sie war verdammt heiß.“