Vergessen auf den Kanaren - Giuseppe L. L. Terracciano - E-Book

Vergessen auf den Kanaren E-Book

Giuseppe L.L. Terracciano

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Beschreibung

Mir war bewusst, dass es in den nächsten Wochen oder Monaten nicht möglich sein würde, nach Hause zurückzufliegen. Ich richtete mir ein kleines Büro in einer Ecke unseres Parks ein. An diesem Platz gab es einen Steintisch, vier Korbsessel und einen ummauerten Grill. Zu meiner Linken stand eine etwa fünf Meter hohe Bougainvillea, deren Zweige vom Wind bewegt die überall um uns herum verstreuten Palmen wie bei einem Lichtspiel verdeckten. Neben der Bougainvillea stand eine Pfefferpflanze. Auf dem Tisch lag mein eingeschaltetes Handy, das Tablet und ein Notizblock mit kariertem Papier. Ich beschloss wieder zu schreiben. Es entstand der 3. Teil der Trilogie einer Lebensgeschichte: Vergessen auf den Kanaren 1. Teil: Im Galopp zu den Sternen ISBN: 978-3-7392-9050-8 2. Teil: Anders leben – Das Glück in der Toskana ISBN: 978-3-7412-0265-0

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Für Traudel

Ein besonderer Dank geht an meinen Bruder Mimmo, der die Werte und Traditionen unserer Familie bewahrt,

und

an meinen lieben Freund Michael.

Die beschriebenen Orte und Personen existieren, doch wurden die Namen der Personen teilweise geändert.

Andere Werke von Giuseppe L. L. Terracciano

2013 Italienisch Al galoppo verso le stelle

2014 Italienisch Finalmente vivere

2015 Deutsch Im Galopp zu den Sternen

2016 Deutsch Anders leben – Das Glück in der Toskana

2017 Italienisch Le stelle che non cadono

Inhalt

BIOGRAFIE

EINFÜHRUNG

VERGESSEN AUF DEN KANAREN

ERZÄHLUNGEN

GEDICHTE

BRIEFE

CULINARIUM

Biografie

Giuseppe L. L. Terracciano wurde am 11. April 1940 als letztes von sechs Kindern in Casoria bei Neapel geboren.

Nach dem Besuch der Volksschule und einer Lehrzeit in Neapel zog Terracciano als Siebzehnjähriger infolge eines Abkommens zwischen Deutschland und Italien für achtzehn Monate nach Deutschland um. Hier lernte er die deutsche Sprache beim Goethe-Institut in München und erhielt eine technische Ausbildung bei der Firma Kienzle-Apparatebau in Villingen im Schwarzwald, die ihn anschließend bei ihrer Filiale in Paris als Techniker einstellte.

Terracciano lebte von 1959 bis 1961 in Frankreich. 1961 kehrte er nach Deutschland zurück und startete seine Laufbahn bei der Firma Olivetti in Frankfurt.

Mit 22 Jahren unterrichtete er die Technik von Rechen- und Buchungsmaschinen und realisierte neue Ausbildungswege.

Mit 29 Jahren gründete und leitete Terracciano die Elektronik-Schule, in der die Technologie der Olivetti-Computer unterrichtet wurde.

Mit 31 Jahren wurde er mit verschiedenen Großprojekten beauftragt, darunter die EDV-Organisation für das komplexe Duty-free-Shop-Projekt des neuen Frankfurter Flughafens, der am 14. März 1972 von Bundespräsident Dr. Heinemann eingeweiht wurde.

Mit 32 Jahren übernahm Terracciano die Leitung einer Gruppe von Spezialisten zur Entwicklung von technisch-wissenschaftlicher Software.

1980, als Vierzigjähriger, verließ er Olivetti und wurde vom Martini & Rossi-Konzern zunächst als System-Analyst-Manager und dann als Direktor der Organisation eingestellt.

1982 kehrte er als Direktor der Austro Olivetti Gesellschaft in Wien zu Olivetti zurück.

1984 übernahm Terracciano die Position eines Olivetti-Area-Managers für Europa und Skandinavien; sein Aufgabenbereich war das International Business Development.

Im Alter von 48 Jahren zog sich Terracciano ins Privatleben in die Toskana zurück.

EINFÜHRUNG

Aus dem Buch von Giuseppe L. L. TerraccianoAnders leben – Das Glück in der Toskana

Auf einer der vielen Reisen nach Deutschland, wo ihre beiden Töchter lebten, machte mich Traudel mit einem der Berge der Voralpen bekannt.

Die Seilbahn brachte uns auf eine Höhe von 1.320 m. Ein sanfter Berg mit üppiger Vegetation. Das war Traudels Welt gewesen, bevor sie mich geheiratet hatte. Sie kannte jeden Weg, jede Ecke, von der aus wir die Aussicht bewundern konnten.

An der Bergstation angekommen machten wir uns sofort auf einen Weg, der breit genug war, um nebeneinander zu gehen, sodass sich Traudel nicht vor jeder Kurve vergewissern musste, ob ich ihr noch folgte, und sie so auch keinen steifen Nacken bekam.. Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir einen kleinen Platz, von dem aus wir eine spektakuläre Landschaft bewundern konnten, mit Bergen nah und fern, Dörfer mit ihren roten Dächern, hier und da verstreut, die Traudel alle zu kennen schien.

Wenn Traudel in den gegenüberliegenden Bergen einen Weg erblickte, der um den Berg herumführte, in den Wald eindrang, kurz darauf wieder herauskam und Kurven nach oben zog, war sie verklärt und konnte ihre Begeisterung nicht zügeln.

Da waren eine Bank und rechts daneben ein richtiges kleines Naturparadies. Da waren Gänseblümchen, wilde Orchideen, Arnika, gelber Enzian, ein paar Venuspantoffeln und dann blühende Minze und, in einer Ecke, Grashalme mit filigraner Struktur. Weiter, an den Seiten des noch zu beschreitenden Weges, waren eisenhaltige Rhododendren und Farne in allen Größen zu sehen.

Ich war überrascht und fasziniert von diesem Berg. Ich spürte in mir eine große Dankbarkeit gegenüber der Natur, die mir in den schönsten Farben gekleidet alles bot, was sie hatte. Jede einzelne Blume verströmte einen schwachen, fast nicht wahrnehmbaren Duft, aber alle zusammen schufen sie einen Duft, der für mich neu war.

Ich fühlte einen inneren Frieden, es war beruhigend. Allmählich entdeckte ich eine andere Welt, einen anderen unentgeltlichen Reichtum großzügiger Natur, der als Belohnung nur darum bat, nicht völlig ignoriert zu werden, und der mit einem einzigen Blick, wenn auch abgelenkt, zufrieden war.

Ich verliebte mich in den Berg und seine Natur, die so anders war als die im Tal. Es tat mir gut, mich von den tausend alltäglichen Dingen zu lösen, die den Geist bedrängten und daran hinderten, das große Geschenk des Lebens in seiner ganzen Größe zu entdecken. Auch das Leben war ohne Bedingungen gegeben, außer dass es angenommen und bis zum Ende in Würde gelebt wurde.

Wir setzten das Laufen fort, aber ich war nicht mehr derselbe. Ich beobachtete sorgfältig alles, was zu beiden Seiten des Weges wuchs. Traudel zeigte mir die Früchte der verschiedensten Pflanzen; die Früchte, die wir essen konnten, und welche, die wir unbedingt meiden sollten, auch wenn sie harmlos erschienen. Vor allem diese glänzenden roten Kugeln, die wie Johannisbeeren aussahen, oder diese glänzenden schwarzen Kugeln, die wie Holunderbeeren aussahen, durften wir nicht berühren!

Ich fühlte mich leicht und schwebte fast über dem Weg. Ich wollte noch nicht zurück.

An einer bestimmten Stelle des Weges blieb Traudel stehen und begann, rosafarbene, ins Rot tendierende Früchte in Form eines kleinen, aber sehr weichen Tannenzapfens zu pflücken. Sie bot sie mir alle in ihrer offenen Hand an.

«Iss», sagte sie, «das sind Himbeeren. Es sind duftende Beeren voller Vitamine.»

Ich probierte ein paar. Von diesem Moment an war mein Blick nicht mehr auf den noch zu gehenden Weg gerichtet, sondern auf die Seiten auf der Suche nach Himbeeren.

Wie schön, diese Himbeeren so «en passant» zu nehmen und langsam im Mund zergehen zu lassen; es war ein wahrer Genuss. Ich hatte keine Zeit, sie langsam in meinem Mund zergehen zu lassen, denn Traudel streckte eine volle Hand nach der anderen aus, während ich gleichzeitig nur drei oder vier pflücken konnte. An den Seiten des Weges unten gab es auch Walderdbeeren, aber Traudel sagte mir, ich solle sie nicht essen, auch wenn sie sehr lecker seien. Vielleicht seien sie vom Fuchs berührt worden und wir könnten nicht wissen, welche Krankheit der Fuchs gehabt haben könne. Himbeeren hingen zu hoch, um vom Fuchs berührt zu werden.

Die Bäume in unserem Garten in Caprese Michelangelo waren so stark gewachsen, dass sie jedes Jahr beschnitten werden mussten. Die vierhundert Büsche, die die Luft mit Düften überfluteten, während die Morgensonne sie wärmte und ihre Blumen sanft erweckte, mussten ständig gepflegt werden. Die im Garten verstreuten Statuen hatten mit der Zeit eine Patina erhalten. Auch uns beiden zeichnete die Zeit eine kleine noch unauffällige Patina ins Gesicht.

Wir feierten viele Geburtstage in unserem wunderschönen Nest, wir hatten viele Freunde, die uns Zuneigung und Gesellschaft schenkten. Wir machten viele Reisen, wir empfanden viele Emotionen. Es heißt, wenn man alt ist, lebt man von Erinnerungen. Nun, wir hatten so viele Erinnerungen gesammelt, dass wir ein langes Alter füllen könnten, aber wir waren nicht alt und wollten es auch nicht werden. Unsere Zukunft musste auch weiterhin unsere Gegenwart sein.

Wir wollten uns nicht mit einem Leben abfinden, das seinen Weg wie bisher fortsetzte.

Wir waren es, die dem Leben den Weg bereiten und seinen Weg gestalten wollten. Es lag in unseren Fähigkeiten, Tugenden, die jeder von uns von Natur aus besaß, zu entscheiden, ob wir aus unserem Leben eine ungepflegte Straße machten, ohne Kurven, ohne grüne Flächen, trocken, wie die Schienen eines Zuges, die am Horizont immer mehr zueinander ziehen bis sie im Nichts verschwanden.

Wir wollten, dass unser Leben ein üppiger Garten war, mit einer großen Vielfalt an Pflanzen und Blumen, Orchideenwiesen, Farnen neben wunderschönen Granatäpfeln, Bächen und Wasserfällen, Teichen mit reflektierten Bildern des Libellenflugs. Ein kleines Paradies, das wir noch mit Pflanzen und Blumen erweitern könnten, die zusammen mit uns jeden Tag aufs Neue wachsen würden. Nein, wir waren nicht alt; wir waren nur ein wenig müde.

Manchmal brach ein Gedanke aus meiner Kontrolle und trat in einen Dschungel verwirrter und nebulöser Visionen ein, die darauf bestanden, eine dunkle und schmerzhafte Zukunft darzustellen, der wir gegenüberstehen würden.

Der Realismus überzeugte uns davon, eine Entscheidung zu treffen, die nicht mehr aufgeschoben werden konnte:

Die Kräfte ließen nach und es wurde mühsam, das Anwesen in Ordnung zu halten. Wir verkauften das Haus.

Um nicht den Stress zu erleiden, der entstand, wenn wir unser Haus mit allen Möbeln verlassen mussten und das andere Haus zum Einzug noch nicht fertig war, brachte ich Möbel und Kartons in ein noch nie bewohntes «Durchgangshaus», das uns liebevolle Freunde zur Verfügung gestellt hatten. Wir hätten dann viel Zeit gehabt, in Ruhe zu entschieden, wo wir unser nächstes Nest bauen wollten. Das Haus mit sehr dicken Mauern, ganz aus Stein, stand in einer verlassenen Gegend, etwa zehn Kilometer von Caprese Michelangelo entfernt, am Fuße einer alten Festung, von der das Haus seinen Namen erhalten hatte: La Rocca. Man erreichte es, indem man den See von Montedoglio umrundete und die letzten drei Kilometer auf einer weißen Straße zurücklegte, die im Nichts endete.

Die Lage des Hauses bot einen atemberaubenden Blick auf den Caprese-Hügel.

Ein Haus, in dem wir uns wie Tarzan und Jane glücklich und frei fühlten. Nur mit den Lianen musste ich aufpassen, denn schon einmal war ich im Garten in Caprese von der Leiter gefallen und der Krankenwagen musste mich wegen eines Wirbelbruchs ins Krankenhaus bringen; geschweige denn von einer Liane zu fallen!

Wir lebten drei Jahre in der Rocca; ein unbeschwertes Leben im Freien, wie Nomaden. Wir grillten oft auf dem Holzgrill und kochten Fisch oder Fleisch, begleitet von Salaten oder gegrilltem Gemüse; der Wein hat nie gefehlt. Wir aßen meistens im Freien und zählten abends die Sterne, deren Namen ich immer noch nicht wusste, obwohl Traudel sie mir unzählige Male wiederholt hatte.

Das Meer war näher an der Rocca als am Haus in Caprese. Traudels kleines Auto war immer bereit. Sonnenschirm, Strandtücher und Kühlbox waren die Standardausstattung des Kofferraums. Pinarella begrüßte uns mit seinem langen Strand und dem Pinienwald mit den fröhlichen Gesängen der Zikaden.

Die Winter waren hart, weil es sehr kalt war und wir trotz Kamin, Keramikherd und Heizkörper das Haus nicht heizen konnten. Uns war bewusst, dass wir in der Rocca nicht lange leben könnten.

Nach einer weiteren eingehenden Analyse beschlossen Traudel und ich, neu anzufangen. Das nächste neue Leben musste sich mit mehr Ruhe entfalten; anscheinend. Wir fanden ein Haus in Deutschland in einer kleinen Siedlung mit 490 Einwohnern auf einer Höhe von 700 Metern. Das Dorf, das Traudel gerne mit «Gotteshof» übersetzte, lag nicht weit von unseren Enkeln entfernt. Der Name der Straße, in der sich das Haus befand, hieß ins Italienische übersetzt «Nel Prato di Fiori».

Das Haus fiel uns sofort auf: Es war sehr schön, massiv, groß, umgeben von Birken und Tannen. Es hatte einen gepflegten Garten von 1.000 Quadratmetern. Es hat uns gefallen.

Im März 2007 kauften wir es. Die Eigentümer zogen im Mai desselben Jahres um. Sie sagten mir, dass auch sie ein «Durchgangshaus» mieten würden, um darauf zu warten, dass ihr neues Zuhause fertig werde. Der Baumeister, der das große Haus umbauen sollte, war sehr fähig. Wir verstanden uns sofort. Ich ließ ihm die Freiheit, die Handwerker einzustellen, die er für richtig hielt, um das Haus nach meinen Anweisungen komplett umzugestalten. Ich kam jeden Freitag aus Italien, überprüfte, ob die geplanten Arbeiten ausgeführt worden waren, und bezahlte. Danach legten wir die Arbeiten für die nächste Woche fest.

Am 1. Juli 2007, 18 Jahre nach unserer Ankunft, verließen wir die Toskana und zogen nach Deutschland um. War es ein endgültiges Domizil? Ich wusste es nicht: Unsere Zukunft war unsere Gegenwart.

Wir gingen oft zurück zur Rocca. Unsere Freunde, wunderbare Menschen, hatten das Haus nicht mehr vermietet; wir durften es bewohnen, wann und wie oft wir wollten. Wir haben es immer so vorgefunden, wie wir es verlassen hatten. Ein glückliches Stück unseres Lebens war mit der Rocca verbunden geblieben, mit der fast wilden Natur, die drei Jahre lang unser Lebensraum gewesen war.

Es war seltsam, nie Sehnsucht nach unserem «Nest» von Caprese Michelangelo verspürt zu haben: Die Emotionen eines immer neuen und anderen Lebens ließen keinen Raum für die Vergangenheit. Wir werden vielleicht später darüber nachdenken, wenn wir mit dem immer «neu beginnen» des Lebens aufhören und ein Leben von Erinnerungen beginnen werden, aber ich denke nicht, dass wir damit aufhören werden.

Das Haus in Deutschland ist sehr schön geworden. Der Baumeister war sehr fachkundig gewesen. Im Schlafbereich hatten wir ein elegantes und komfortables persönliches Badezimmer gebaut. Dazu hatte ich Waschbecken, WC und Bidet aus Italien mitgebracht. Während die Arbeiter die Teile aus dem Auto entluden, sah ich, wie der Meister den Kopf schüttelte: Die mitgebrachte Toilette konnte nicht montiert werden, weil sie eine Wandbefestigung hatte, während die Abflussrohre auf den Boden gelegt worden waren. Es war ein Freitag. Ich rief den Lieferanten in Italien an, drehte mich um und fuhr weg. Ich kam früh morgens in der Rocca an. Zum Glück schliefen die Wildschweine noch. Auch ich schlief ein paar Stunden und fuhr dann nach Sansepolcro, um die Toilette mit dem Bodenanschluss zu beladen. Am Samstagabend, nach weiteren 800 Kilometern, übergab ich sie dem Baumeister.

Traudels kleines Auto hatte Fabrikat und Farbe geändert. Die im Winter sehr kalten Temperaturen in Göttlishofen und der immer reichlich fallende Schnee erforderten ein Auto, wenn auch klein und leicht, robuster und sicherer.

Der Kofferraum war leer; es gab keine Sonnenschirme und keine Kühlboxen mehr für das Picknick am Strand von Pinarella. Zudem hatte ich eine Anhängerkupplung und einen Fahrradträger montiert. Von Mai bis Oktober warteten zwei Fahrräder darauf, dass ich, sobald ich aufwachte, in Traudels Ohr das Wort «Sonne» flüstern würde. Dann aus dem Bett, eine geizige Dusche und ein kleines Frühstück, und dann ab auf Wege, die an Seen und Bächen entlangführten und Lichtungen überquerten. Traudel machte oft einen Halt, um mit den auf den Wiesen grasenden Kühen zu sprechen. Sie kannten Traudel und ließen sich ihre Schnauze streicheln. Auch die Pferde galoppierten Traudel entgegen, sobald sie sie sahen: Sie wussten, dass Traudel immer einen Apfel für sie hatte.

Ein neues Leben entfaltete sich vor uns und wollte gelebt werden.

VERGESSEN AUF DEN KANAREN

Jedes Jahr im Februar fuhren Traudel und ich für drei weiße Wochen nach Alta Badia in den Dolomiten. Das Skifahren bedeutete für uns absolute Freiheit. Die verschneiten Hänge, die Sonne in den noch nicht hohen Morgenstunden ließ auf Schritt und Tritt Milliarden von Kristallsplittern auf dem Schnee funkeln. Während wir glücklich und sorglos die Pisten, die wir mit geschlossenen Augen kannten, herunterfuhren, summten wir, jeder für sich, noch nicht geschriebene Melodien. Diese Idylle fand ein Ende, als Traudel über Schmerzen im linken Knie klagte. Dieser Schmerz bedeutete «nie wieder» Ski zu fahren. Ich weigerte mich, die Bedeutung von «nie wieder» zu akzeptieren. Ich sagte, dass jedes «nie wieder» uns der individuellen Freiheiten beraube und den Reaktionswillen schmälere. Immer noch einige «nie wieder» und wir werden Gefangene des Alters sein und wenn wir einmal in seinen Griff geraten, werden wir kein Entkommen mehr haben. Aber nein! Wir können diese Situation nicht akzeptieren, ohne zu reagieren. Das sofort auftauchende Problem erwies sich als schwer zu lösen. Reagieren bedeutete, mit einer Reaktion zu reagieren, die als Ergebnis einer Aktion anderer ausgeführt wird. In der Physik ist Reaktion jede Aktion, die als Reaktion auf eine andere Aktion gleich und entgegengesetzt ist. Auf jeden Fall waren wir von der Notwendigkeit überzeugt, mit einer Reaktion auf die entstandene Situation zu antworten. Aber mit welcher Aktion hätten wir der Aktion von Traudels verletztem Knie entgegenwirken können? Wir verbrachten Tage damit, gemeinsam über eine Lösung nachzudenken. In den ersten Nächten nach dem Unfall taten wir so, als würden wir schlafen, um uns gegenseitig zu beruhigen, aber wir wussten, dass wir manchmal wach waren und nach Inspiration suchten.

Beim Frühstück kam die lang ersehnte Reaktion. Um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, führte ich die Tasse mit dem Kaffee wie immer zum Mund, aber anstatt zu trinken, stellte ich sie zurück in die Untertasse. Auch Traudel hatte ihre Tasse in der Untertasse gelassen, sah mich mit zwei großen Fragezeichen in ihren schönen grünen Augen an und wartete darauf, dass ich etwas sagte. Und ich sprach. Mit ruhiger und entschiedener Stimme verkündete ich, dass die Reaktion auf «nie wieder» «anstatt» sein würde: «Wir werden die drei Wochen mit Skiern in den Dolomiten durch ebenso viele Wochen mit Badeanzügen an einem Ort abseits der Kälte ersetzen, wo wir einen Teil des Winters in der Sonne und Wärme der Kanarischen Inseln verbringen können.»

Dieses noch in den Kinderschuhen steckende Projekt begeisterte uns. Wir waren aufgeregt. Die Imagination präsentierte uns surreale und fantastische Bilder. Wir waren uns darüber bewusst, dass unsere Interpretation völlig subjektiv war, dass sie die Grenzen der konkreten Realität sprengte. Der Übergang von einer Situation der Verzweiflung, in die uns Traudels verletztes Knie gebracht hatte in eine Situation des Staunens angesichts außergewöhnlicher und unerwarteter Dinge, ließ uns träumen. Träume nähren die Seele und geben dem menschlichen Handeln einen Sinn, aber es brauchte Kraft und Willen, um sie zu verwirklichen. Wir müssten bereit sein, unser Schicksal in die Hand zu nehmen und es zu lenken, anstatt es zu erleiden. Die Realität ließ nicht lange auf sich warten; wir mussten uns entscheiden, wo, wie und wann es weiter in Richtung unseres Ziels ging: die Kanarischen Inseln.

Das «Wie» und «Wann» legten wir für einen Moment beiseite; das «Wo» tauchte sofort auf: Welche Insel sollten wir für unseren Aufenthalt wählen? Wir konsultierten verschiedene Dokumente über den Archipel und seine Inseln, wir lasen Reiseberichte von regelmäßigen Touristen, die die Gebiete sehr gut kannten. Jede Seite, die wir durchblätterten, brachte uns diesen faszinierenden Inseln näher und ließ sie immer vertrauter erscheinen. Unsere Herzen schlugen bei dem bloßen Gedanken, sie besuchen zu können. Wir waren überrascht und begeistert von den gewonnenen Erkenntnissen:

Die Kanarischen Inseln bestehen aus sieben große plus mehrere kleine Inseln, die alle vulkanischen Ursprungs sind und im Atlantischen Ozean vor der Küste Nordwestafrikas liegen. Sie bilden eine autonome Gemeinschaft Spaniens. Dazu zählen: Gran Canaria, Tenerife, Fuerteventura, Lanzarote, La Gomera, La Palma, El Hierro. Jede Insel unterscheidet sich in Landschaft und Umgebung von den anderen, aber alle teilen die Qualität ihrer Strände entlang der 1.560 Kilometer langen Küste. Die Temperaturen liegen das ganze Jahr über bei 23 Grad. Ein Klima ohne Gefahr von schlechtem Wetter.

Gran Canaria