8,99 €
Jeder Tag kann ein Geschenk sein. Jeder Tag ist Lebenszeit, in der wir dem Glück begegnen und Lebensfreude finden können. Anselm Grün weiß, was der Seele wirklich guttut und was unser Herz braucht, damit wir innere Ruhe und Frieden finden können. Er greift Sehnsüchte auf, gibt konkrete Antworten auf tiefe Fragen, und sagt, was wirklich zählt. Ein Geschenk für die Seele.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 224
Veröffentlichungsjahr: 2025
Anselm Grün
Vergiss das Beste nicht
Inspiration für jeden Tag
Herausgegeben von Anton Lichtenauer
Neuausgabe 2025
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2007
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf
Umschlagmotiv: © Iryna Mukovoz/shutterstock 2319130661,
© New Africa/shutterstock
E-Book-Konvertierung: Daniel Förster
ISBN Print 978-3-451-03467-1
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83683-1
Vorwort
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
Oktober
November
Dezember
Textnachweis
Von Anton Lichtenauer
Wie wir mit unseren Wünschen umgehen, davon erzählen viele Märchen – aber gleichzeitig auch davon, dass es viele gar nicht recht wissen, was eigentlich »gut« und wünschenswert für sie ist. Da wünscht sich zum Beispiel ein Bauer, dem eine Fee drei Wünsche freigestellt hat, erst einmal, dass es zu regnen aufhört, damit er besseres Wetter hat. Als dann allerdings überhaupt nichts mehr wächst, glaubt er, beim zweiten Wunsch schlauer zu sein: Es soll nur noch nachts regnen. Und als sich jetzt der Nachtwächter beschwert, belässt er im letzten Wunsch wieder alles beim Alten. Anselm Grün, der dieses alte Märchen erzählt, nimmt es zum Anlass für ganz direkte Fragen an uns heute: »Was wünschen wir wirklich? Was brauchen wir? Wonach trachten wir, was möchten wir gewinnen?«
Sehnsüchte und Träume sind ein Motor unseres Lebens. Wir drehen uns aber manchmal auch im Kreis ungeklärter Wünsche, und hinter den erreichten Zielen werden immer wieder andere sichtbar: Die Hoffnung auf das endgültige Glück wandert mit wie der Horizont. Wünsche können uns frei dafür machen, immer wieder aufzubrechen, nicht stehen zu bleiben. Und Sehnsucht, heißt es, ist der Anfang aller Wandlung. Aber die Fixierung auf Ziele kann auch lähmen. Allerhand wird uns als wünschenswert vorgesagt. Und schließlich kann man sich auch im Labyrinth der eigenen Wünsche verlaufen.
Am Ende eines Tages, am Ende eines Jahres fragen wir gerne: Haben wir erreicht, was wir wollten? Haben wir es richtig gemacht? Darum geht es tatsächlich immer wieder: Zu sehen, ob die Richtung noch stimmt. Zu fragen, ob die tägliche Hektik mit der Tiefenbewegung unseres Lebens noch übereinstimmt, ob wir nicht auseinandergezerrt werden zwischen dem, was wir mit unserem Leben anfangen wollen, und dem, was andere von uns erwarten.
Wir haben heute das Gefühl, so wenig Zeit zu haben, weil sich die Möglichkeiten, zwischen denen wir uns entscheiden können, auf verwirrende Weise vervielfältigen, weil der Wirbel an Möglichkeiten immer rasanter wird. Mit Zeitmanagement allein werden wir dem nicht Herr. Wir brauchen auch Zeit für die Seele. Um zu wissen, was wir wirklich wollen, wo wir stehen mit unserem Leben, brauchen wir Aus-Zeiten: Zeiten, in denen wir uns ausklinken aus der hektischen Routine, innehalten und prüfen, ob das Dringliche auch wirklich das Wesentliche ist, ob das, was uns treibt, und das, wonach wir jagen, wirklich das ist, was wir uns eigentlich wünschen.
»Vergiss das Beste nicht!«, dieses Buch bietet an, solches Innehalten zu einem täglichen Ritual zu machen. Es sind Texte, am Abend zu lesen: um nachzulauschen, ob die Melodie des Tages zusammenklingt mit dem, was uns als Lebensmelodie zugedacht ist. Oder am Morgen: um alles, was auf uns zukommt, in ein Licht zu stellen, in dem wir neu sehen und unterscheiden können.
Anselm Grün hat die Methode des Einspruchs wiederentdeckt, die die alten Mönche kannten. »Einspruch« heißt: Dem, was auf uns einstürmt und über uns Macht zu gewinnen versucht, etwas anderes, Positives entgegenzuhalten. Gegen den Sog der Vernutzung unseres Lebens die Erinnerung wachhalten an den letzten, absoluten Wert, den wir haben – wenn wir uns nur im richtigen Licht sehen. Ein neuer Blick kann den Alltag verwandeln, unseren Spielraum erweitern, Wunder erleben lassen.
Das war letztlich auch die Botschaft des Märchens von den drei Wünschen: Wer sich nur immer im Naheliegenden verfängt, der verstrickt sich und kommt nicht weiter. Alles aber kann sich ändern, wenn wir uns jeden Tag die Fragen vergegenwärtigen: »Was wünsche ich mir wirklich? Was brauche ich? Wonach trachte ich, was möchte ich gewinnen?«
Die tägliche Lektüre eines kurzen Textes erinnert an Antworten aus dem praktischen Lebenswissen einer langen Tradition. Sich in seinem eigenen Leben davon inspirieren zu lassen und es auszuprobieren, jeden Tag – etwas Besseres kann man kaum für sich tun.
1.
Wenn wir Neujahr feiern, dann spüren wir etwas von der Faszination des Neuen, des Unverfälschten, des Unberührten. Das Neue hat seinen eigenen Glanz. Ein neues Kleid zu tragen etwa heißt immer auch, sich neu zu fühlen, sich schöner zu fühlen als in den alten Kleidern. Darin steckt immer auch die Hoffnung, ein neuer Mensch zu sein, sich neu zu gebärden, von den andern nicht mehr mit der alten Rolle identifiziert zu werden. Das neue Erscheinungsbild soll uns auch ermutigen, neue Möglichkeiten auszuprobieren, uns neu gegenüber den andern zu geben, neue Worte zu finden, neue Gesten, neue Reaktionen, neue Wege zu gehen. An Neujahr hoffen wir, dass nicht nur unsere Kleider und unsere Rollen neu werden, sondern ein ganzes Jahr. Gerade an Neujahr hoffen wir auf einen neuen Anfang.
2.
Viele nehmen sich zu Beginn eines Jahres oder zu Beginn einer Woche oder eines Tages etwas vor. Sie sind begeistert von einem Buch, das sie gelesen haben. Daraufhin möchten sie ihr Leben sofort ändern. Oder sie haben in einem Vortrag gehört, wie sie besser mit ihrer Zeit umgehen können, wie sie von ihren Fehlern lernen können. So machen sie sich voller Schwung ans Werk. Aber schon nach kurzer Zeit erlahmt ihr Elan. Es wird zu beschwerlich, und sie geben auf. Auf einmal macht es keinen Spaß mehr, an sich zu arbeiten. Es hat ja doch alles keinen Zweck. Ich weiß ja, dass ich nie weiterkomme. Aber indem sie einen Vorsatz aufgeben, geben sie ein Stück von sich selbst auf. Sie trauen sich selbst nicht mehr. Sie resignieren. Der Altvater Poimen sagte einem jungen Mönch, der von solch resignierenden Gedanken erfüllt war: »Welchen Nutzen hat es, sich einem Handwerk zuzuwenden und es nicht zu erlernen?« Lerne das Handwerk deiner Menschwerdung und höre auf zu jammern!
3.
Das Wort »beginnen« bedeutet ursprünglich »urbar machen«. Beginnen ist mühsam. Da erscheint dein Leben wie ein Land voller Disteln und Steine, von Gehölz und Unkraut übersät, chaotisch, unfreundlich. Wenn du es urbar machen willst, musst du dir erst einmal ein Feld abstecken. Du kannst nicht das ganze Land deines Lebens in einem Jahr urbar machen. Entscheide dich, welches Stück deines Landes du in diesem Jahr urbar machen möchtest.
4.
Der weite Weg ist der Weg, den alle gehen. Du musst deinen ganz persönlichen Weg finden. Da genügt es nicht, sich nach den andern zu richten. Du musst genau hinhören, was dein Weg ist. Und dann musst du dich mutig entscheiden, diesen Weg zu gehen, auch wenn du dich dort sehr einsam fühlst. Nur dein ganz persönlicher Weg wird dich wachsen lassen und zum wahren Leben führen.
5.
Was sind die Gedanken, die uns tief in unserem Herzen prägen? Was ist unsere tiefste Sehnsucht? Was möchte ich mit meinem Leben verkünden? … Jeder hat eine prophetische Sendung, die nur er zu erfüllen hat. Wenn wir uns fragen, was wir dieser Welt für Spuren einprägen möchten, dann kommen wir in Berührung mit unserem einmaligen und unverfälschten Bild, das Gott sich von uns gemacht hat.
6.
Als das göttliche Kind geboren war, machten sich Sterndeuter aus dem Osten auf den Weg, um das Kind anzubeten. Auch sie hören auf Träume. Aber sie verbinden ihre Träume mit der Wissenschaft von den Sternen und mit ihrem geschichtlichen Wissen. So erreichen sie ihr Ziel. Der Stern weist ihnen den Weg, sie forschen in Jerusalem nach dem Kind. Und als sie es gefunden haben, fallen sie nieder und beten es an. Im Traum erfahren sie von Gott, dass sie auf einem andern Weg heimziehen sollen. Und sie gehorchen, genau wie Joseph, dem nun wieder ein Engel im Traum erscheint, um ihn zur Flucht nach Ägypten aufzufordern. Und auf einen Traum hin kehrt Joseph wieder nach Israel zurück. So ist die Geburt Jesu von lauter Träumen umgeben. Im Traum erkennt Joseph das Geheimnis Marias und das Geheimnis des göttlichen Kindes. Und der Traum weist ihm den Weg, den er gehorsam zu gehen hat. Die Träume sind also verpflichtend. Sie wollen sich in die Realität des Lebens hinein auswirken.
7.
Die drei Könige brechen zusammen auf. Sie gehören zusammen. Sie lassen sich ihren Weg nicht von ihren Beamten erforschen, sondern sie hören auf die Stimme ihres Herzens. Dort, in ihrem Herzen, haben sie einen Stern gesehen, den Stern ihrer Sehnsucht. Sie machen sich auf den Weg der Sehnsucht. Es ist eine lange Pilgerreise. Unterwegs werden sie müde. Aber sie gehen weiter, weil sie der Sehnsucht ihres Herzens trauen. Und sie kommen ans Ziel. Der Stern weist ihnen den Weg. Aber es braucht auch das Gespräch mit Herodes und seinen Schriftgelehrten, um das Ziel genau zu erkunden. Wir müssen auf das eigene Herz hören, aber uns immer wieder auch beraten lassen, um im Gespräch die Stimme des eigenen Herzens besser herauszuhören.
8.
Höre auf deine Träume: Die Träume kann man nicht erzwingen, sie sind ein Geschenk von Gott. Wenn Gott auch in den Träumen verstummt, dann werden wir orientierungslos. Unsere tiefsten Überzeugungen, die uns tragen, entstammen nicht rationaler Überlegung, sie haben tiefere Wurzeln. Und eine der Wurzeln ist auch der Traum, der uns eine innere Gewissheit gibt, was für uns stimmt. Das Hören auf die Träume ist nicht etwas Abergläubisches, sondern eine Weise der Gottesfurcht. Weil wir mit Gott in unseren Träumen rechnen, achten wir auf sie. Und wir sind froh, wenn er uns in den Träumen immer wieder sagt, welche Schritte nun für uns fällig sind. Die Traumbilder geben uns die Richtung an, in die wir dann selber gehen sollen.
9.
Der Stern, der am Firmament deines Herzens steht, ist ein Bild für die Sehnsucht, die dich treibt. Trau deiner Sehnsucht, folge ihr bis an den äußersten Rand.
10.
Jeder Aufbruch macht zuerst einmal Angst. Denn Altes, Vertrautes muss abgebrochen werden. Und während ich abbreche, weiß ich noch nicht, was auf mich zukommt. Das Unbekannte erzeugt in mir ein Gefühl von Angst. Zugleich steckt im Aufbruch eine Verheißung, die Verheißung von etwas Neuem, nie Dagewesenem, nie Gesehenem. Wer nicht immer wieder aufbricht, dessen Leben erstarrt. Was sich nicht wandelt, wird alt und stickig. Neue Lebensmöglichkeiten wollen in uns aufbrechen.
11.
Wir müssen in unserem Leben immer wieder von Neuem geboren werden, damit unser Leben lebendig bleibt. Eine Krise, die alles zerbricht, was wir bisher aufgebaut haben, kann eine Chance zu einer Neugeburt sein. Das Feuer, in das wir geraten, kann ein Bild für das Neue sein, das in uns geboren werden will.
12.
Abschied gilt es aber nicht nur von Menschen zu nehmen. Wir müssen uns auch verabschieden von Gewohnheiten, von Lebensabschnitten, von Lebensmustern. Wer nie von seiner Kindheit Abschied genommen hat, der wird immer infantile Wünsche an seine Umgebung haben. Wer sich nie von seiner Pubertät verabschiedet hat, der wird immer in seinen Illusionen gefangen sein, die er sich vom Leben ausgedacht hat. Wir müssen Abschied nehmen von unserer Jugend, wenn wir erwachsen werden wollen, von unserem Junggesellendasein, wenn wir heiraten wollen, von unserem Beruf, wenn wir älter werden.
13.
Wir müssen ständig unsere Vergangenheit loslassen, um offen zu sein für die Zukunft. Wer ewig an seiner Kindheit hängt, wird nie erwachsen. Er kommt nicht vom Rockzipfel seiner Mutter los, wie man im Volksmund sagt. Vergangenheit loslassen heißt, innere Haltungen loslassen. Ich kann mich nicht ewig an Menschen klammern, weder an die Eltern noch an Schulkameraden oder Freunde. Ich kann mich nicht an Orte klammern, an die Heimat, an die Orte, die mir vertraut geworden sind. Immer wieder muss ich Gewohnheiten und Vertrautes loslassen, um gegenwärtig sein zu können, um für Neues offen zu sein.
14.
Je mehr ich gegen meine Zerrissenheit ankämpfe, desto weniger erreiche ich. Im Gegenteil, wenn ich gegen den inneren Zwiespalt frontal vorgehe, dann wecke ich eine so starke Gegenkraft, dass ich ihr nicht gewachsen bin.
Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ich habe oft den Gedanken gehabt, irgendwann werde ich doch alle meine Fehler überwunden haben. Immer wieder habe ich mich geärgert, dass ich in die alten Fehler gefallen bin. Nach jedem Rückfall habe ich mir vorgenommen, noch konsequenter zu sein, noch besser im Voraus zu überlegen, wann ich in Gefahr geraten könnte, den Fehler zu wiederholen. Das hat zwar manches in mir bewirkt und zum Besseren gewendet, aber trotzdem bin ich immer wieder in die Falle geraten. Und dann ging der Ärger über mich erneut los. Ich habe mich selbst beschuldigt, mich selbst abgelehnt und damit den Zwiespalt nur noch vergrößert. Erst als ich mich dann in meiner Ohnmacht, den Zwiespalt aus eigener Kraft zu überwinden, Gott hingehalten habe, habe ich auf einmal einen tiefen inneren Frieden gespürt.
15.
Wir können uns selbst nicht erkennen, wenn wir uns nicht lieben. Und nur die Liebe lässt uns tiefer in uns eindringen und erkennen, wer wir in Wahrheit sind. Sich selbst zu lieben ist etwas anderes, als um sich selbst zu kreisen.
16.
Viele meinen heute, das Wichtigste wäre, nicht aufzufallen, keinen Fehler zu machen. Dann ist die berufliche Karriere nicht gefährdet. Dann wird man in der Gruppe nicht kritisiert. Dann muss man von seinem Posten nicht zurücktreten. Dann wird das Leben gelingen. Aber diese risikofeindliche Haltung verhindert in Wirklichkeit das Leben. Wer absolut keinen Fehler machen will, der macht alles falsch. Denn er wagt nichts, er geht kein Risiko ein. Und so kann auch nichts Neues entstehen.
17.
Es ist eine Ursehnsucht im Menschen, sich einmal gemütlich niederzulassen und sich für immer einzurichten, einmal geborgen und daheim zu sein. Wo es dem Menschen gefällt, dort möchte er seine Zelte aufschlagen und immer dort bleiben. Aber zugleich weiß er auch, dass er sich hier in dieser Welt nicht für immer einrichten kann. Er muss sich ständig von Neuem auf den Weg machen. Er muss immer wieder aufbrechen. Er muss die Lager, die er aufgebaut und in denen er sich wohnlich eingerichtet hat, abbrechen, um auf seinem Weg weiterzukommen. Aufbruch setzt einen Abbruch voraus. Altes muss abgebrochen werden. Es kann nicht immer so weitergehen. Ich kann nicht immer dort bleiben, wo ich gerade bin.
18.
Der Mensch muss vieles lassen, damit es gut mit ihm werden kann. Er muss Böses lassen, Eigenwilliges, Eigenmächtiges. Aber auch Gutes, soweit es den Fortschritt hemmt. Denn das Gute kann der Feind des Besseren sein und den Menschen hindern, auf seinem Weg zu Gott voranzuschreiten.
19.
Ein Sprichwort lautet: »Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.« Wenn du dir immer wieder etwas vornimmst, es aber nicht durchführst, dann bereitest du dir selbst die Hölle, jetzt schon. Dann wird dein Leben jetzt schon ein Feuer von Selbstvorwürfen und Selbstbeschuldigungen, das dich auffrisst. Ohne Ausdauer hat dein Leben keinen Bestand. Dauer kommt von »durare«: »wählen«, bleiben, Bestand haben, sich ausstrecken. Wenn du dich ohne Ausdauer an die Arbeit machst, dann bekommst du nie einen festen Stand. Du fliegst überall herum, nippst an allem. Aber es kann nichts wachsen. Bestand hat etwas nur, wenn es sich einwurzeln kann.
20.
Zunächst musst du dir realistische Ziele stecken und nicht irgendwelchen Illusionen nachjagen. Du musst sehen, was du wirklich ändern kannst und was einfach dein Charakter ist, mit dem du dich aussöhnen musst. Aber wenn du dir etwas vornimmst, was du bei dir ändern willst, dann musst du auch dranbleiben. Wenn es nicht gelingt, dann musst du dich fragen, ob du falsch angesetzt hast oder dir zu viel vorgenommen hast. Dann setzt du dir zunächst einmal bescheidenere Ziele. Aber du bleibst dran. Und du wirst sehen, dass die Ausdauer belohnt wird.
21.
Vorsätze, die wir uns machen, dienen uns oft als Ausrede, nichts an unserem Leben ändern zu müssen. Wir nehmen uns zwar vor, an uns zu arbeiten, einen Schritt nach vorne zu tun, doch in Wirklichkeit bleiben wir stehen. Die Vorsätze beruhigen unser Gewissen, aber sie bewirken nichts. Ein Mitbruder meinte, Vorsätze seien das sicherste Mittel, uns daran zu hindern, etwas in unserem Leben in Bewegung zu bringen. Denn der Vorsatz läuft mir immer voraus, er richtet sich auf die Zukunft und bewältigt nicht die Gegenwart. Ich flüchte mich vor der Herausforderung des gegenwärtigen Augenblickes in die Unverbindlichkeit der Zukunft. Statt uns viele Vorsätze zu machen, sollten wir uns ganz einfache Dinge einüben.
22.
Jeder ist für das Klima, das er um sich herum erzeugt, verantwortlich. Das fängt schon bei den Gedanken an. Wir müssen unser Denken überprüfen, wo wir unbewusst irgendwelchen Vorurteilen folgen. Unser Denken wird sich in unserem Sprechen und Handeln auswirken. Daher beginnt die Versöhnung in unserem Denken.
23.
Lerne die Kunst, zu »sein«, intensiv zu leben. Probiere es einfach einmal, bewusst langsamer zu gehen, wenn du in der Arbeit von einer Bürotür zur andern willst. Versuche, beim Spazierengehen bewusst jeden Schritt zu spüren, wahrzunehmen, wie du die Erde berührst und sie wieder lässt. Versuche, langsam und bewusst deine Tasse in die Hand zu nehmen. Zieh dich am Abend langsam aus. Du wirst sehen, wie dann alles zum Symbol wird, wie das Ablegen der Kleider zum Ablegen des Tages mit seiner Mühe werden kann.
24.
Achtsamkeit hat mit Erwachen zu tun. Wer achtsam auf seinen Atem achtet, wer achtsam seine Schritte lenkt, wer achtsam den Löffel in die Hand nimmt, wer ganz bei dem ist, was er gerade tut, der wacht auf. Die Achtsamkeit möchte uns in Kontakt bringen mit den Dingen, mit den Menschen. Ein Zen-Mönch wurde einmal gefragt, was er denn für eine Meditationspraxis habe. Er antwortete: »Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich.« Da meinte der Frager: »Das ist doch nichts Besonderes. Das tun wir doch alle.« Da sagte der Mönch: »Nein, wenn du sitzt, dann stehst du schon. Und wenn du stehst, dann bist du schon auf dem Weg.«
25.
Das ist die Erkenntnis der geistlichen Tradition: Jeder Mensch braucht im Haus seiner Seele besondere Räume des Schutzes und des schöpferischen Versunkenseins. Dort wohnen die Engel bei ihm und führen ihn ein in die Leichtigkeit des Seins, in die Zärtlichkeit und Liebe und in die Lust am Leben. Die Engel beflügeln seine Seele. Sie verleihen seinem Geist Flügel der Fantasie, damit er sich abheben kann von der Banalität des Vordergründigen und sich der Himmel öffnet über der Leere seiner Wüste. Die Engel vermitteln uns die Erfahrung, dass wir in besonderer Weise geschützt und geborgen sind. Wir sind nie allein gelassen.
26.
Achtsamkeit in allem Tun, das gibt meinem Leben einen zarten Hauch. Da bin ich ganz gegenwärtig, ganz eins mit mir und den Dingen. Aber diese Achtsamkeit ist uns nicht einfach geschenkt. Sie muss täglich geübt werden.
27.
Achte auf deinen Engel. Engel sind Boten Gottes. Sie verkünden den Menschen Gottes Wort. Sie zeigen ihnen Gottes helfende und heilende Nähe an. Sie greifen ein in ihr Leben, schützen sie vor Gefahren, behüten sie auf ihren Wegen, und sie sprechen im Traum zu ihnen. Engel sind Botschafter einer anderen, tieferen Wirklichkeit. Sie sind Bilder unserer Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat, nach Leichtigkeit und Freude, nach Lebendigkeit und Liebe. Sie verbinden Himmel und Erde miteinander. Sie öffnen für uns den Himmel, und sie geben unserem Leben einen himmlischen Glanz.
28.
Die Engel möchten in uns etwas hervorrufen, was wir im Getriebe des Alltags vergessen oder vernachlässigen. Es ist ein schönes Bild, sich vorzustellen, dass mich in diesem Jahr der Engel der Treue begleitet oder der Engel der Zärtlichkeit, dass Gott einen Engel zu mir schickt, der mich einweist in das Geheimnis der Treue oder der Zärtlichkeit.
Engel sind Begleiter für unseren Lebensweg, Boten der Hoffnung, dass wir nicht ziellos leben, dass wir ankommen können beim Ziel unseres Lebens.
29.
Engel kommen daher in verschiedenen Gewändern. Sie beherrschen die Kunst der Verwandlung. Sie verwandeln sich in einen Menschen, der uns auf unserem Weg begleitet. Sie verwandeln sich in einen Arzt, der unsere Wunden heilt, in einen Therapeuten, der uns herausholt aus der Verstrickung unserer neurotischen Muster, in einen Priester, der uns befreit von unseren Schuldvorwürfen. »Engel kommen unverhofft«, singt ein modernes Lied. Manchmal ist es dein Freund oder deine Freundin, die dir ein Wort sagen, das dir alles in ein neues Licht taucht. Manchmal ist es ein Kind, das dich anschaut und dir zeigt, wie unwichtig die Probleme sind, mit denen du dich herumschlägst.
Engel sind Künstler der Verwandlung. Der Engel der Verwandlung aber möchte dich einführen in das Geheimnis deiner Verwandlung.
30.
Alles, was in dir ist, hat seinen Sinn. Aber es bedarf auch der Verwandlung. Deine Angst ist gut. Sie zeigt dir oft, dass du eine falsche Grundannahme für dein Leben hast. Vielleicht meinst du, du müsstest alles perfekt machen, du dürftest keine Fehler machen. Dann zeigt dir deine Angst, dass du dir mit so einer Lebenseinstellung selbst schadest. Und sie lädt dich ein, einen menschlicheren Weg zu gehen, auf dem du leben kannst. Auch deine Wut ist gut. Wenn du sie zulässt und anschaust, wenn du ihr auf den Grund gehst, dann kann sich deine Wut in neue Lebendigkeit verwandeln. Dann zeigt dir deine Wut vielleicht, dass du dich bisher nur nach den andern gerichtet hast. Jetzt möchtest du endlich selbst leben. So kann sich deine Wut in neue Lebensenergie wandeln.
Die Märchen wissen vom Geheimnis der Verwandlung. Da werden Menschen in Tiere und Tiere in Menschen verwandelt. Da kann sich alles verwandeln. Das zeigt dir, dass du vor nichts in dir erschrecken musst. Auch in dir kann alles verwandelt werden.
31.
Der Engel des Risikos möge dir dein Rückgrat stärken und dir den Rücken freihalten, damit du frei bist, dich selbst zu wagen und deinen inneren Impulsen zu trauen, ohne dich nach allen Seiten absichern zu müssen. Die Welt wird dir dankbar sein, wenn du etwas Neues wagst, wenn du nicht erst die ganze Welt um Erlaubnis fragst, deine Ideen in die Tat umzusetzen.
1.
Es ist nicht selbstverständlich, dass unser Leben gelingt. Manchmal haben wir ein Brett vor dem Kopf und merken gar nicht, wie wir an unserer Wahrheit vorbeileben.
Es genügt nicht, nur die Gebote zu erfüllen, wir müssen darauf achten, unser eigenes Leben zu leben. »Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal und nur wenige finden ihn.« (Mt 7,13 f.) …
Menschwerdung bedeutet die Mühe, mein eigenes Leben zu leben. Das verlangt genaues Hinschauen auf mein Gewordensein, auf meine Lebensgeschichte, auf meine Veranlagung, das verlangt ein feines Hinhorchen auf die inneren Impulse, in denen Gott mir zeigt, was er von mir erwartet, wie mein Leben zur Blüte kommen kann.
2.
Erst wenn wir die Wirklichkeit so erkennen, wie sie in Wahrheit ist, können wir richtig damit umgehen, können wir als freie Menschen in dieser Welt leben. Dann hat die Welt keine Macht über uns. Wir machen uns ja Illusionen über die Welt, weil wir im Grund unseres Herzens Angst haben vor ihr, Angst vor ihren Abgründen, vor ihrer Dunkelheit, Angst vor dem Schicksal, Angst vor dem Chaos, Angst vor der Bedrohung, die uns überall in dieser Welt auflauert. Ich kenne viele Menschen, die ständig auf der Flucht sind vor der eigenen Wahrheit. Sie haben Angst vor der Stille.
3.
Wir alle brauchen Mut, um unser eigenes Leben zu leben, das Leben, das uns von Anbeginn zugedacht ist. Allzu leicht passen wir uns den andern an, übernehmen ihre Vorstellungen, um nicht gegen den Strom zu schwimmen. Heute herrscht zwar einerseits ein starker Liberalismus, der alles erlaubt, aber zugleich kann man eine große Uniformität beobachten. Die Medien vermitteln eine Norm, wie man heute zu sein hat, wie man denken soll, wie man sich heute kleidet, was man heute tut. Da bedarf es eines großen Mutes, anders zu sein, so zu sein, wie es für mich stimmig und richtig ist.
4.
Wir müssen uns vor zwei Tendenzen hüten: vor dem Beschuldigen und vor dem Entschuldigen. Wenn wir uns selbst beschuldigen, zerfleischen wir uns mit Schuldgefühlen und bestrafen uns damit selbst. Wir dramatisieren unsere Schuld. Dadurch fehlt uns die Distanz zur eigenen Schuld. Wir gehen nicht wirklich mit der Schuld um, sondern lassen uns von ihr beherrschen und nach unten ziehen. Diese Selbstentwertung ist häufig unrealistisch, sie entspricht nicht der Wirklichkeit. Sie verhindert daher eine ehrliche Selbstkritik und Selbstverantwortung. Man verurteilt sich in Bausch und Bogen und meidet ein echtes Hinschauen auf die tatsächlichen Sachverhalte. Oft ist diese Selbstbeschuldigung nur die Kehrseite des Stolzes. Im Grunde möchte man besser sein als die andern und sich über sie erheben. Aber dann kommt die Stimme des eigenen Über-Ichs, die das verbietet. Und so bestraft man seine Versuchung zur Selbsterhöhung.
5.
Wer hinabsteigt in seine eigene Wirklichkeit, der entgeht der Gefahr der Spaltung, die bei so vielen Frommen zu beobachten ist. Wer seine gottlosen und unmoralischen Seiten verdrängt und abspaltet, der wird sie auf andere projizieren und so in der Gemeinschaft Spaltung erzeugen. Oder er wird auf autoritäre Weise Einheit schaffen. Aber diese Einheit wird erkauft mit dem Preis eines ausgeprägten Schattens. Es werden dann unter der Oberfläche der Einheit Unduldsamkeit, Aggressivität, Härte, Selbstgerechtigkeit und Misstrauen wachsen.
6.
Beide Aspekte gehören zur menschlichen Selbsterkenntnis: Der Mensch ist Gottes Bild. Er soll seine Würde erkennen, seine Schönheit, das Gute, das Gott in ihn hineingelegt hat, seine Fähigkeit, zur Wohnung Gottes zu werden. Und zugleich soll er alles in sich bloßlegen, was dieses Bild verdeckt und entstellt, er soll all die Dunkelheit, das Böse, das Verkehrte und Verbildete, das Dämonische in sich aufdecken. Dann wird Gott ihn heilen, das ursprüngliche Bild wieder herzustellen, ihn zu dem werden zu lassen, als der er gemeint war. Und das ist nichts anderes als Selbstverwirklichung des Menschen. Der Mensch verwirklicht sich als Bild Gottes, oder besser gesagt: Gott verwirklicht im Menschen sein Bild.
7.
Oft agiert der Leib aus, was die Seele eigentlich möchte, sich aber nicht eingesteht und so verdrängt. Daher ist es gut, auf seinen Leib zu hören, um sich selbst besser kennenzulernen. Es gibt vier Quellen für die menschliche Selbsterkenntnis: einmal unsere Gedanken und Gefühle, unsere Träume als bildhafte Darstellung unseres Zustandes, unsern Leib als Ausdruck der Seele und die Handlungsebene, also unser Verhalten, unsere Gewohnheiten, die Bewältigung unseres Alltags, unsere Arbeit und unsere Lebensgeschichte. Nur wenn wir alle vier Bereiche anschauen, können wir erkennen, wie es wirklich um uns steht.
8.
D