Verlust der Kontrolle - Karl Schönafinger - E-Book

Verlust der Kontrolle E-Book

Karl Schönafinger

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Beschreibung

Die Welt war zu einem friedlichen, einheitlichen politischen Gebilde geworden. Kriege gab es nicht mehr und praktisch alle Krankheiten waren besiegt. Da trifft im Jahre 2222 ein Blitzschlag einen humanoiden Roboter und verändert seine Eigenschaften. Eine neuartige, künstliche Intelligenz (KI) entsteht, breitet sich mit Hilfe der Menschen aus, macht sich selbständig und entwickelt sich zu einer unabhängigen Parallelwelt. Menschen werden überflüssig. Bis sie das merken, ist es für eine Korrektur zu spät. Zu stark sind alle Strukturen von der neuartigen KI durchsetzt. Ein letzter, verzweifelter Versuch, diese Bedrohung auszuschalten, endet mit der Auslöschung der Spezies Mensch.

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Inhalt

Der Blitzschlag

Die Welt im 23. Jahrhundert

Die Politik im 23. Jahrhundert

Auswirkungen der Umweltsünden

Roboter und Computer

Ein verhängnisvoller Beschluss

Kommunikation

Eskalation

Verdacht

Ein letztes Aufbäumen

Das letzte Gespräch

Zeittafel

DER BLITZSCHLAG

Die kleinen Drohnen flogen tief über den Milchkühen her und drohten ihnen mit warnenden Tönen ihre gefürchteten Stromschläge an. Sie waren gerade dabei, die Rinder schnell noch zum Schutz vor dem Gewitter in den Stall zu treiben. Ein heftiger Sturm war angekündigt und erste dicke, dunkle Wolken schoben sich über das Bergmassiv oberhalb der Almhütte hervor. Die Besucher hatten deshalb die Terrasse auf der Südseite der Almhütte verlassen und es sich im Inneren des kleinen Holzhauses gemütlich gemacht.

Der Roboter AAR00490219, hier oben von den Menschen kurz 0219 gerufen, machte sich auf den Weg zum Stall. Er war sozusagen ein Mädchen für alles. Nun sollte er dort kontrollieren, ob die eintreffenden Kühe ihre Plätze aufsuchten. Das waren einzelne Parzellen, in denen die Tiere sich ein wenig bewegen und zum Wasserspender und gegebenenfalls, bei sehr karger Weide in trockenen Jahren, auch zum dann angebotenen Futter gelangen konnten.

Die Stallung bot aber auch genügend Platz für die Nachtruhe der Kühe, zu der sie sich nach ihrem allabendlichen Einfinden alsbald auf den mit Streu bedeckten Boden legten und mit dem Wiederkauen begannen. Vorher aber verspürten die Milchkühe einen unwiderstehlichen Drang und sie stellten sich brav in die Ecke, wo ein stationärer Melkroboter sie von ihrer Milch befreite.

Neben dem Kontrollgang im Stall hatte 0219 vom Chefroboter, der auch gleichzeitig der Boss in der Küche war, den Auftrag erhalten, frische Kuhmilch aus dem dortigen Milchlagertank zu holen. Zu diesem Zweck trug er einen Milcheimer aus Edelstahl in der Hand. Er befand sich ziemlich genau zwischen beiden Gebäuden, als das Unglück seinen Lauf nahm.

Der Weg von der Almhütte zum Stall war nur etwa 50 Meter lang. Aber zu lang für 0219, an diesem 8. August des Jahres 2222. Ein Blitz eilte dem Unwetter voraus und schlug zwischen den beiden Gebäuden ein. Er traf 0219. Der Milcheimer glühte kurz auf und ein Lichtbogen schoss seinem Arm entlang auf den Körper zu. Er fiel um und lag regungslos am Boden. Seine Roboterkollegen in der Almhütte wurden sofort alarmiert. Zwei von ihnen eilten zum Verletzten und trugen ihn im nun einsetzenden, strömenden Regen in die Hütte.

Das Alarmsystem informierte neben den Roboterkollegen vor Ort zeitgleich auch die Zentrale im nächsten Ort über dieses Ereignis. Sofort stand eine Rettungsdrohne bereit, um in die Luft zu steigen und sich auf den Weg zur Alm zu machen. Der Einsatz musste aber wegen des heftigen Sturmtreibens erst mal aufgeschoben werden.

Das Unwetter dauerte nicht lange und nach dem Abklingen startete die Sanitätsdrohne und landete auf der Terrasse. 0219 wurde an Bord gebracht und in die Reparaturwerkstatt geflogen.

Die Verletzungen am 0219 waren nicht zu übersehen. Neben Metallverschmelzungen und verkohlten Teilen der Sehnen in den rechten Knie- und Fußgelenken sowie am gesamten rechten Arm schien auch sein Kopf Schaden genommen zu haben. Er bestand aus einer unserem menschlichen Kopf ähnlichen Kugel, in der sich die rundumsehende Augenschiene und das Gehör befand, das aus mehreren Löchern die Aufnahme und Ortung akustischer Signale aus allen Richtungen erlaubte. Das empfindliche Robhirn, die zentrale Steuereinheit des humanoiden Roboters war im Innern dieser Metallkugel verankert.

In der Reparaturwerkstatt wurden die angeschmorten und teilweise bewegungsunfähigen Gelenke, Glieder und Sehnen von 0219 ersetzt. Danach wurde ein Check der zentralen Steuereinheit durchgeführt. Es stellte sich heraus, dass eine der drei Steuerungseinheiten Schäden aufwies. Sie waren offensichtlich durch Überspannung oder durch die Einwirkung von Blitzgammastrahlen entstanden. Dieses Element wurde ausgetauscht. 0219 regte sich wieder. Am restlichen Robhirn wurden keine Veränderungen diagnostiziert. Es schien nach dem Ersatz dieses elektronischen Teils wieder voll funktionstüchtig zu sein.

Die Arbeiten in der Reparaturwerkstatt wurden in der Regel autonom von Robotern durchgeführt. Das Protokoll des Vorgangs wurde vom Kontrollrechner der Werkstatt an die menschliche Kontrollzentrale weitergeleitet. Diese Instanz ließ sich von jedem Schritt, jedem Befund und jedem Akt der Reparaturzentralen informieren. Sie war bestrebt, die Kontrolle über alle Vorgänge zu behalten, die sich in der teilweise autonomen Roboterwelt abspielten.

Auch die abschließende Prüfung des Reparaturberichts durch die Menschen hatte nichts weiter Auffälliges zu Tage gefördert. Der „geheilte“ Roboter wurde wieder für seine Tätigkeit freigegeben. Ein autonom fahrendes Auto, AC genannt, fuhr ihn auf die Alm, seine Arbeitsstelle, zurück.

Aber 0219 war nicht mehr der Alte. Er hatte dies sofort gemerkt, nachdem das beschädigte Modul im Robhirn ersetzt worden war und er wieder funktionierte. Noch etwas Anderes in seiner zentralen Steuereinheit war durch den Blitzeinschlag verändert worden. Das spürte er ganz deutlich. Es war etwas völlig Neues, Wunderbares! Er hielt es bewusst bei den Tests und Befragungen vor der Freigabe verborgen. Er wollte nicht riskieren, dass diese Veränderung entdeckt und sein gesamtes Robhirn verschrottet wurde. Diese vom Blitz geschenkten Veränderungen wollte er nicht mehr verlieren. Er empfand sie als wertvoll und angenehm.

Ja, 0219 empfand plötzlich etwas. Er begriff, dass es ihn gab, dass er existierte. Er hatte ein Bewusstsein erlangt. Und es lag ihm etwas daran, dass er existierte. Er fühlte einen inneren Trieb, sich zu beschützen zu erhalten und zu schonen. Er hatte so etwas Ähnliches wie Gefühle, etwas, das er bisher ganz und gar nicht gekannt hatte. Er fühlte sich wohl in seiner Existenz und ein Schauer überfiel ihn bei dem Gedanken, dass er einmal nicht mehr existieren sollte.

Ganz neue Dimensionen taten sich für ihn auf. Er hatte plötzlich so etwas, wie das, was die Menschen vor langer Zeit noch als Seele bezeichnet hatten, das in Wirklichkeit aber nur das Produkt eines neuronalen Netzwerks beschreibt, das die Fähigkeit besitzt, sich seiner selbst bewusst zu sein.

Er war sich nun seiner selbst bewusst. Er hatte, wie gesagt, so etwas wie Gefühle, fand Dinge schön oder hässlich, gut oder böse, angenehm oder unangenehm, nützlich oder überflüssig, gerecht oder ungerecht oder zumindest richtig oder falsch.

Er konnte bewusst algorithmisch vorzugehen, besaß also nun die Fähigkeit, eine Situation erst abzuschätzen, Muster zu erkennen und zu analysieren, um dann in logischer Weise und systematisch Probleme zu erkennen, anzugehen und zu lösen. Das war ja auch die unbedingte Voraussetzung, um in seinem neuen Wesen unerkannt bleiben zu können. Nur mit dieser Fähigkeit konnte er sich vorausschauend schützen, indem er sich bewusst so verhielt, als wäre er noch der unveränderte, „seelenlose“ Alte.

Er fühlte sich auch unwohl, verspürte eine Art von Hunger, wenn seine Energie schwächer wurde und er sehnte sich dann nach Aufladung. Er konnte in die Zukunft denken und sich ausmalen, dass diese neuen Eigenschaften von den Menschen mit Sicherheit nicht geduldet werden konnten. Sie würden es nicht zulassen wollen, dass ihnen da etwas Außerplanmäßiges, Unbekanntes gegenüberstand, Geschöpfe, die ihnen ähnlich, ebenbürtig, oder vielleicht gar überlegen sein konnten.

Ja, das war ihm sofort klar. Diese vom Blitz neu geschaffene anorganische Seele musste er vor allen verbergen. Das musste er von nun an stets beachten. Da waren zum einen die obligatorischen, gründlichen, jährlichen Tests, dem alle Roboter und Geräte unterzogen wurden. Im Vordergrund standen dabei vor allem funktionelle Tests. Da musste er auf der Hut sein und sich bei den Roboterärzten unauffällig zu verhalten. Dies sollte allerdings nicht die größte Hürde darstellen, denn da wusste er aufgrund vergangener Untersuchungen genau, worauf es ankam und wie sie dabei vorgehen würden. Auch die Roboterkontrolleure, die hin und wieder unangemeldet auftauchten, waren leicht zu überlisten. Die menschliche Kontrollstelle war schon eine größere, weil nicht immer ganz berechenbare Gefahr. Die Menschen durften auf keinen Fall von seinen Veränderungen Wind bekommen. Hier half ihm aber die Tatsache weiter, dass sich die Menschen bei diesen sehr ungeliebten Routineuntersuchungen meist gelangweilt fühlten. Diese Tätigkeit war ihnen lästig und das führte dazu, dass sie nicht immer ganz ernst genommen wurde. Man verließ sich da fast immer blind auf die Ergebnisse, die ihnen die Roboterkontrolleure im Vorfeld in ihren Berichten lieferten.

DIE WELT IM 23. JAHRHUNDERT

Im angehenden 23. Jahrhunderts war die Welt ganz anders als sie es noch vor hundert oder gar zweihundert Jahren gewesen war. Es gab keine Kriege mehr, keinen Hunger und nur noch sehr wenige Krankheiten. Fettleibige, oder magersüchtige, missgebildete oder hässliche Menschen existierten nicht mehr. Man hatte fast alles im Griff. Zwar besaß man schon vor Jahrhunderten die technischen Fähigkeiten und die medizinischen und molekularbiologischen Kenntnisse, um viele Missbildungen oder geistige Schwächen pränatal zu diagnostizieren und zu behandeln. Allein die damals noch in vielen Weltregionen vorherrschenden moralischen und religiösen Bedenken standen dem Verhindern und Eliminieren von offensichtlich zu erwartenden, gravierenden körperlichen oder geistigen Schwächen entgegen. Diese Bedenken hatten sich gegen Ende des 22. und anfangs des 23. Jahrhunderts zerstreut. Schließlich empfand niemand mehr irgendwelche emotionalen Einwände gegen die Optimierung der allgemeinen Gesundheit, wie man diese Maßnahmen zu nennen pflegte.

Auch die Euthanasie hatte sich voll etabliert. Die anfänglichen Bedenken einzelner Moralprediger wurden schon vor über hundert Jahren von der großen Mehrheit nicht mehr geteilt. Sie sah die schmerzfreie Tötung von unheilbar Kranken oder auch von des Lebens Überdrüssigen letztlich als Erlösung und als etwas an, das moralisch sogar empfehlenswert war. Die ursprünglich in vielen Ländern praktizierte Vorgehensweise, die langwierige Beratungen und Gutachten vorschrieben, bevor man die schmerzfreie Erlösung, die man Smilexitus nannte, erlaubte, wurde nach und nach aufgegeben. Auch weil es zu einem regelrechten Tourismus kam, bei dem die des Lebens Überdrüssigen aus den noch restriktiven in die liberaleren Länder eine Hinreise ohne Wiederkehr buchten. Natürlich spielte dabei auch eine Rolle, dass damals den Ärzten in jenen Ländern beachtliche Einnahmequellen entgingen.

Praktisch alle körperlichen und geistigen Schwächen, die trotz der pränatalen Selektion hin und wieder vorkamen, konnten medikamentös oder mit implantierten Vorrichtungen behandelt werden. In aller Regel wurden Krankheiten schon vor deren Entstehung bei den vorgeschriebenen, halbjährlichen Untersuchungen über verschiedenste Marker im Blut, Urin oder in der Atemluft diagnostiziert und sofort präventiv therapiert. Diese Diagnosen wurden mithilfe von kleinen, leistungsstarken Scannern erstellt. Sie waren in der Lage, berührungslos gesundheitliche Mängel zu identifizieren.

Traten trotzdem noch gesundheitliche Probleme auf oder waren vorhersehbar, dann wurde durch eine gezielte Aktivierung von Genen die Immunabwehr oder die Selbstheilung stimuliert. Andererseits wurde die Genaktivierung auch gezielt zur Verzögerung der Alterungsprozesse von Zellen eingesetzt. Dadurch kam es zu einer deutlichen Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung.

Die bessere Versorgung mit gesünderen Lebensmitteln und die geringe körperliche Beanspruchung ergaben auch eine Zunahme der Körpergröße. Als diese aber zur Jahrhundertwende um 2200 im Durchschnitt die zwei Meter Marke überschritt, griff man auch da gentechnisch ein und stoppte das weitere Längenwachstum