Vernetzt Euch! - Lina Ben Mhenni - E-Book

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Lina Ben Mhenni

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Beschreibung

'Ich will, dass die Welt sich verändert. Sie wird sich aber nur verändern, wenn die Wahrheit verbreitet wird, wenn wir uns vernetzen.' Erstmals in der Geschichte haben Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter ein diktatorisches Regime zu Fall gebracht. Die 27-jährige Lina Ben Mhenni war eine der Internetaktivisten, die den tunesischen Diktator Ben Ali vertrieben haben. Sie ist auf die Straße gegangen, hat mit anderen Demonstranten die Freiheit gefordert. Sie hat fotografiert, gefilmt und berichtet, dort, wo keine Presse erlaubt war. Ihr Blog 'A Tunisian Girl' ist zu einem wichtigen Nachrichtenforum der arabischen Oppositionsbewegung geworden. In ihrer Streitschrift fordert Ben Mhenni die Leser auf, sich politisch zu engagieren und zu vernetzen. Ein Aufruf, der uns alle betrifft.

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Das Buch

Lina Ben Mhenni ist die mutige Stimme der tunesischen Revolution. Erstmals in der Geschichte haben Blogs und soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter ein diktatorisches Regime zu Fall gebracht. Die 27-jährige Lina Ben Mhenni war eine der Internetaktivisten, die den tunesischen Diktator Ben Ali vertrieben haben. Sie ist auf die Straße gegangen, hat mit anderen Demonstranten die Freiheit gefordert. Sie hat fotografiert, gefilmt und berichtet, dort, wo keine Presse erlaubt war. Ihr Blog »A Tunisian Girl« ist zu einem wichtigen Nachrichtenforum der arabischen Oppositionsbewegung geworden. In ihrer Streitschrift fordert Ben Mhenni die Leser auf, sich politisch zu engagieren und zu vernetzen. Ein Aufruf, der uns alle betrifft.

Die Autorin

Lina Ben Mhenni, Tunesierin, 27 Jahre, arbeitet als Dozentin für Linguistik und Übersetzerin an der Universität Tunis. Sie wurde mit dem Blog-Award der Deutschen Welle ausgezeichnet.

Die Übersetzerin

LINA BEN MHENNI

VERNETZTEUCH!

Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky

Ullstein

Die französische Originalausgabe erschien 2011unter dem Titel Tunisian Girl – Blogueuse pour un printemps arabe bei Indigène éditions, Montpellier

Quellenangabe zu Seite 25:

http://www.anonnews.‌org/?p=press&a=item&i=115

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie

etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder

Übertragung können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

ISBN 978-3-8437-0137-2

© Indigène éditions, Juni 2011

© der deutschsprachigen Ausgabe

2011 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin

Satz und eBook:

Den Märtyrern

Den Freiheitsliebenden

Meinem Vater, dem Mann meines Lebens

Meiner Mutter, die mich zweimal zur Welt gebracht hat

Meinem Bruder, weil er zu meinem Leben gehört

Leila und Abdennaceur, die während der Revolution

meine Verzweiflung geteilt haben

Den Bloggern und Cyber-Aktivisten, die an uns geglaubt

und gehandelt haben

Meinen Freunden

Den politischen Häftlingen, die in den Gefängniszellen wahnsinniger Diktatoren vermodern

Den arabischen Völkern, die für einen arabischen Frühling kämpfen

Den unterdrückten Völkern weltweit

Dem Frieden, der Freiheit, dem freien Wort

 

 

 

Ich bin Bloggerin und werde es bleiben. Die Ereignisse der letzten Monate, von denen hier die Rede sein soll, haben mich in dieser Überzeugung bestärkt.

Ich beobachte, was in Tunesien passiert, insbesondere seit dem 14. Januar 2011, jenem Tag, an dem wir uns von der Last, dem Alptraum namens ZABA befreit haben – gemeint ist Zine el-Abidine Ben Ali, seit dem 7. November 1987 tunesischer Präsident mit dem Gebaren eines Diktators. Jetzt hat er seinen Platz zwar geräumt, aber er hat vieles hinterlassen, Gefährten, Gewohnheiten, eine Menge Gewalt.

Ich bin ein freies Elektron und möchte es bleiben. Seit ich im Internet aktiv bin, stoße ich oft auf Unverständnis, weil ich mich keiner politischen Partei anschließe: »Allein kannst du gar nichts bewirken.« Die Erfahrung hat mich das Gegenteil gelehrt. Ich hatte Gelegenheit, diverse politische Parteien hautnah zu erleben, ich bin führenden Parteivertretern begegnet und konnte dabei feststellen, dass ihre Methoden nicht zielführend sind, dass ihre ganze Arbeit sich darin erschöpft, andere kleinzureden sowie Tagungen und Versammlungen zu organisieren. Sie vergeuden ungeheuer viel Zeit damit, sich untereinander zu befehden und um wichtige Posten zu streiten. Jetzt wollen sie über die jungen Leute Macht erlangen. Und ich will mir weiterhin die Unabhängigkeit bewahren. Wir, die Blogger, sind frei, wir haben es immer abgelehnt, uns zu einer wie auch immer gearteten Organisation zusammenzuschließen, obwohl andere uns dazu bewegen wollten. Hin und wieder versammeln wir uns, wie 2008 und 2009 in Beirut beim BarCamp der arabischen Blogger, aber nur, um Erfahrungen auszutauschen. Bei der Parteiarbeit wird die Zeit streng eingeteilt, man ist eingespannt, gefesselt, an die politische Agenda gekettet und kann nicht sofort reagieren. Die Unmittelbarkeit geht verloren. Es gibt lauter Vorschriften, Protokolle, Grenzen. Ein freies Elektron kennt keine Grenzen. Ein Blogger oder eine Bloggerin ist tausend Mal schlagkräftiger, schneller. Es gibt keine Hierarchie. Alle können sich am Entscheidungsprozess beteiligen. Im Bereich des Cyber-Aktivismus leistet jeder, was er kann, und ein jeder trägt zum Ganzen bei – wie es bei der tunesischen Revolution der Fall war. Alle Tunesier haben die Revolution mitgetragen, keiner war der Anführer, aber alle haben sie auf die eine oder andere Weise angeführt.

»Fehler 404«

Auf Facebook und Twitter, den beiden großen sozialen Netzwerken, führten wir schon seit einigen Jahren umfangreiche und wirkungsvolle Aktionen gegen Zensur und Folter durch. Ich erinnere mich noch genau an meine erste eigene Zensurerfahrung. Es war im Jahr 2008, als ich im Rahmen eines Fulbright-Stipendiums in den USA Arabisch unterrichtete. Der Blog, den ich mit meinem damaligen Freund – einem regimekritischen Journalisten, den ich von Facebook her kannte – gegründet hatte, war von der Regierung Ben Ali gesperrt worden, weil wir es wagten, dort politische Tabu-Themen zu behandeln. Wutentbrannt haute ich in die Tasten – eine halbe Stunde später erschien mein erster Beitrag gegen Zensur auf dem Bildschirm. Sami Ben Gharbia, ein bekannter Cyber-Aktivist, bot mir an, ihn auf Global Voices Online zu veröffentlichen, der Website einer internationalen, gemeinnützigen Vereinigung von Bloggern, die sich gegenseitig über die Ereignisse in ihrer jeweiligen Blogosphäre informieren. Ich habe sofort zugesagt. In meinem Beitrag schrieb ich: »Tunesische Internetnutzer sind inzwischen so vertraut mit der Fehlermeldung ›404 not found‹, dass sie eine virtuelle Gestalt namens Ammar 404 erfunden haben, die mit der Zensurschere bewaffnet ist. Versuchen Sie doch mal, YouTube oder Dailymotion aufzurufen, wenn Sie in Tunesien sind: Sie werden umgehend mit dieser Fehlermeldung konfrontiert! Falls Sie die Nachrichten auf Al-Dschasira oder Al-Arabiya verfolgen möchten, meldet die staatliche tunesische Internetbehörde, dass sie Ihnen diesen Dienst leider nicht zur Verfügung stellen kann. Wenn Sie sich mit Berichten aus erster Hand über den Alltag und die Sorgen der Tunesier informieren wollen, indem Sie eine Website wie Tunisian News, aafaq.‌org oder nawaat.‌org konsultieren, werden Sie wieder zu lesen bekommen: Leider können wir Ihnen keinen Zugang gewähren. Sie sind ein Ausländer in Tunesien, und ein Freund hat Ihnen den Link zu seinem Blog zukommen lassen, damit Sie einen Blick darauf werfen können – tut uns leid, aber das ist zurzeit nicht möglich. Über die tunesische Zensur wird jetzt weltweit berichtet, vor allem seit der Sperrung des sozialen Netzwerks Facebook. […] Mein Blog ist nicht der einzige, der in Tunesien zensiert wurde. Die Liste ist lang. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass die Zensur von einem oder zwei weiterer Blogs ans Licht kommt: Astrubal, Mochageb, enne9ed, Samsoum, For Gafsa, Against Censorship, Free Word, Free Race etc. […] Das Problem ist aber, dass die Repression sich nicht auf Zensur beschränkt. Sie geht so weit, dass die Internauten festgenommen und eingesperrt werden können.« Unmittelbar nach diesem ersten individuellen Beitrag habe ich mich an einem kollektiven Aufruf gegen die Sperrung von Facebook beteiligt. Sechzehn Tage später erteilte Ben Ali den Befehl, das Netzwerk wieder zugänglich zu machen.

Als Ende Dezember 2008 während des brutalen israelischen Überfalls auf den Gazastreifen Hunderte Zivilisten bei den Luftangriffen und der anschließenden Bodenoffensive ums Leben kamen, nahm ich in Tunis an sämtlichen Protestdemonstrationen dagegen teil. Ich war über die Wintersemesterferien nach Hause gefahren und prangerte diese Verbrechen in meinem Blog an. Die Demonstrationen waren in unserem Land größtenteils verboten oder unterdrückt worden, obwohl sie das Regime gar nicht betrafen. In dieser Zeit erfuhr ich auch von einem großen Unrecht, das Angehörige der Präsidentengattin, der berüchtigte Trabelsi-Clan, an tunesischen Bürgern begingen. Sie wollten die Bewohner von El Bratel, einem Gebäudekomplex in der Hafenstadt La Goulette, vertreiben, um sich das Gelände anzueignen und dort ein Parkhaus oder Einkaufscenter zu errichten. Ich bin mit meinem Freund, dem Journalisten, hingefahren. Die Siedlung war von Polizisten umstellt, während mit schwerem Gerät bereits ein Teil der Häuser abgerissen wurde, vor den Augen der ohnmächtigen, sprachlosen Bewohner. Es ist uns gelungen, ein paar Fotos zu machen und Augenzeugenberichte aufzunehmen. Als ich das Material noch am selben Abend ins Internet stellte, erklärten mich alle für verrückt und rieten mir, das Handtuch zu werfen.

Ich habe trotzdem weitergemacht. Im Februar 2009 fiel mir nach meiner Rückkehr in die USA der Artikel einer Internet-Freundin ins Auge, er handelte von fünf Studenten, die in den Hungerstreik getreten waren. Damit wollten sie gegen ihren Ausschluss von der Universität in Tunis protestieren, der aufgrund ihrer Tätigkeit bei der allgemeinen tunesischen Studentengewerkschaft UGET erfolgt war. Da die Streikenden keinen Internetzugang hatten, nahm ich telefonischen Kontakt zu ihnen auf. Mit Hilfe meines Freundes Wissem Sghaïer, einem UGET-Aktivisten und Mitglied der Oppositionspartei PDP (Demokratische Fortschrittspartei), der mich mit den neuesten Informationen versorgte, berichtete ich im Netz über den Verlauf ihrer Kampagne. Wir führten stundenlange Diskussionen über Skype. Ich schrieb kontinuierlich und veröffentlichte die Fotos, die man mir zukommen ließ. Ich setzte mich auch mit mehreren NGOs in den USA in Verbindung, von denen einige sogar Unterstützungskampagnen ins Leben riefen. Der Streik hielt neunundfünfzig Tage an, aber die Regierung hüllte sich beharrlich in Schweigen. Der Zustand der Studenten verschlimmerte sich zusehends. Manche von ihnen mussten mehrmals ins Krankenhaus gebracht werden. Mit jedem Tag schwebten sie in größerer Lebensgefahr. Schließlich haben engagierte Vertreter der Zivilgesellschaft die Studenten dazu gebracht, ihren Streik zu beenden.

»Ich bin Fatma«