Versöhnung auf dem Hartlhof - Paul Friedl - E-Book

Versöhnung auf dem Hartlhof E-Book

Paul Friedl

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Beschreibung

Am Morgen nach dem Kirchweihsonntag wird der Hartl-Hans ermordet aufgefunden. Der junge Bauer war kein friedfertiger Mann. Aufbrausend und herrisch, gab er immer Anlass zu Zank und Raufereien und hatte wegen seines jähzornigen Wesens mehr Feinde als Freunde im Dorf. Selbst mit seinem eigenen Bruder vertrug er sich nicht. Aber wer ist so weit gegangen und hat Hand an ihn gelegt? Paul Friedl hat es in diesem Roman erneut verstanden, die Atmosphäre des dörflichen Lebens einzufangen und eine Fülle markanter Gestalten lebensnah darzustellen.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2006

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Studio von Sarosdy, Düsseldorf

eISBN 978-3-475-54701-0 (epub)

Worum geht es im Buch?

Paul Friedl

Versöhnung auf dem Hartlhof

Am Morgen nach dem Kirchweihsonntag wird der Hartl-Hans ermordet aufgefunden. Der junge Bauer war kein friedfertiger Mann. Aufbrausend und herrisch, gab er immer Anlass zu Zank und Raufereien und hatte wegen seines jähzornigen Wesens mehr Feinde als Freunde im Dorf. Selbst mit seinem eigenen Bruder vertrug er sich nicht. Aber wer ist so weit gegangen und hat Hand an ihn gelegt?

Paul Friedl hat es in diesem Roman erneut verstanden, die Atmosphäre des dörflichen Lebens einzufangen und eine Fülle markanter Gestalten lebensnah darzustellen.

Taghell lag der Vollmondschein auf dem weiten Dorfplatz, und blendend strahlte die weiße Mauer unter dem flachen Giebel des Schmidtbräu. Die beleuchteten Fenster der Gaststube zu ebener Erde und die des Tanzsaales im ersten Stock glühten scheinlos. Nur das gewölbte Haustor gähnte in schwarzer Finsternis. Die Gassen und der Platz, auf dem sie zusammenführten, lagen still und menschenleer. Gegenüber dem Schmidtbräu glänzten die weiten Kronen der großen Angerlinden silbern und deckten unter sich dunkle Schatten, die bis zum leise plätschernden Dorfbrunnen hinüberreichten.

In die Stille schrummte dumpf und schütternd der Brummbaß der Kirchweihmusik hinter den Fenstern des Tanzbodens, und aus der Gaststube quoll ein kurzer Lärm, wenn sich dort die Türe in den Hausgang kurz öffnete. Das Stampfen und Juchzen, Reden und Musizieren verschmolz zu einem Summen, das sich unter dem Dach des Schmidtbräu staute. Nur ein girrendes Mädchenlachen stach ab und zu aus diesem Gebrodel heraus.

Droben in der Kirchgasse schloß der Landpolizeimeister Schindler die Haustüre hinter sich, sah hinüber zu der Uhr am mondbeschienenen Kirchturm, die gerade die Mitternacht anzeigte, rückte den Gürtel zurecht und stieg gemächlich die Stufen zur Gasse hinunter. Die kurze Kirchgasse zum Dorfplatz ließ er sich Zeit, sah sich aufmerksam auf dem leeren Platz um und horchte auf die Geräusche, die in dieser Nacht, in der man die Kirchweih feierte, alle aus dem Hause des Schmidtbräu kamen. Aus der Gaststubentür drangen für einen Augenblick streitende Stimmen bellend in den hallenden Hausgang, und das Zuschlagen der Türe knallte wie ein Schuß auf den Platz hinaus.

Droben im Tanzsaal sangen sie rauh zu einem Zwiefachen, und nahe bei einem Fenster schlug wohl jemand mit der Faust auf dem Tisch den Takt dazu.

Horchend stand Schindler eine Weile auf dem Platz.

Der Höhepunkt des Festes schien erreicht, die Gemüter waren erhitzt vom Trinken und Tanzen, Sticheln und Streiten, Singen und Lachen, und es war Zeit, daß er jetzt an das Heimgehen erinnerte. Wenn die Musikanten aufhörten, würde es nicht mehr lange dauern, bis der letzte Kirchweihgast sich ohne Aufforderung auf den Heimweg machte. Den letzten konnte man ja ein wenig auf die Beine helfen. Große Schwierigkeiten hatte er mit den Dorfleuten nicht. Es gab wohl einige Feindschaften und ein paar Burschen, die im Rausch gerne krawallten und kraftmeierten, aber schon die Arbeit des nächsten Tages machte sie wieder vernünftig. Einige kleine Keilereien hatte es wohl schon gegeben, wenn aber die Beteiligten sich dann vor dem Richter wegen leichter Körperverletzung und den meist damit zusammenfallenden Vergehen zu verantworten hatten, versagte doch immer wieder ihre Bauernschläue, und reumütig zahlten sie ihre Strafen oder saßen ihre Haft ab. Er hatte eigentlich nur einen Burschen im Dienstbereich, dessen Neigung zu Raufhändeln ihm wirklich zu schaffen machte. Das war der Älteste vom Hartlhof, der Hans, auf den man nach der ersten Halbe Bier schon achten mußte, und der immer wieder eine Gelegenheit zum Streiten und Raufen fand, obwohl die anderen ihm aus dem Wege gingen.

„Der Hartl ist natürlich auch wieder dabei, benimmt sich aber ganz manierlich“, hatte sein Kollege, der Hauptwachtmeister Breuer, ihm noch vor einer Stunde berichtet.

Er sah auf seine Armbanduhr. Es war zehn Minuten nach zwölf.

„Jetzt langt’s“, sagte er vor sich hin und schritt auf das Gasthaus zu.

Da klang hinter den Fenstern des Tanzsaales ein brüllender Schrei auf, so laut, daß er das verfilzte Gesumme übertönte. Schindler sah am Haus empor.

„Aha“, brummte er grimmig.

Sekundenlang verstummte aller Lärm im Haus, dann aber folgte ein Krachen und Splittern, brüllten und heulten zehn, zwanzig Männerstimmen auf, und gellten verängstigte Frauenstimmen. Das Toben auf dem hölzernen Tanzboden sprengte ein Fenster und drang in die Nacht. Mit einem heiseren Bellen fuhr der Hofhund aus dem Haustor auf den Platz, und als der Polizeimeister der vom Hausgang aus aufwärts führenden Stiege zurannte, kamen ihm die ersten Flüchtenden entgegen, erschreckte Frauen und Mädchen, Burschen und Männer, die sich lieber aus dem Staube machten, um nicht einmal als Zeugen erscheinen zu müssen. Mit den Ellenbogen machte er sich Platz und kämpfte sich zur Saaltüre durch, aus der nun alles ins Freie wollte. Ein schmächtiger Bursche duckte sich und schlüpfte unter seinen fuchtelnden Armen durch. Er hielt ihn auf.

„Was ist los?“

„Ich will nix damit zu tun haben“, zischte dieser verbissen und drängte die Stiege hinab. Seine Wange war aufgeschrammt und ein Rockärmel heruntergerissen. Zwischen Saaltüre und Schenke mühte sich der Schmidtbräu vergeblich, durch die Flüchtenden zu kommen und mit dem Ochsenziemer den balgenden Haufen in der Saalmitte auseinander zu treiben. Seine Leibesfülle hinderte ihn, und mit puterrotem Gesicht fluchte er und fuchtelte mit der Ochsensehne. Schindler griff über die Köpfe und nahm dem Wirt das Schlagwerkzeug ab. Mit einem Sprung war er bei dem balgenden Menschenknäuel, das sich in der Mitte des Tanzbodens zwischen umgestürzten und zerbrochenen Stühlen und Tischen wälzte und nur aus schlagenden Armen und stampfenden Füßen zu bestehen schien. Der Höllenlärm war verstummt, und dem Poltern und Keuchen der Raufenden und dem Klatschen der Schläge gewichen.

„Auseinander da!“

Er riß einen jungen Burschen zurück, daß dieser sich überschlug, und ließ die Ochsensehne auf die breiten Buckel niedersausen. Fluchend zerteilte sich der Haufen, die Arme zogen sich zurück, die einen stämmigen jungen Mann am Boden festgehalten hatten, und die Fäuste hörten auf zu schlagen. Die Getroffenen hielten sich die Köpfe und hasteten aus dem rauch- und staubgefüllten Raum.

Der am Boden Liegende sprang auf und griff nach einem zerbrochenen Stuhl. Sein Gesicht war zerschlagen und verzerrt, und fast besinnungslos in seiner Wut suchte er nach seinen Gegnern.

„Jetzt ist a Ruh, Hartl“, donnerte der Polizeimeister ihn an.

„Wo ist er, der Hund, der meineidige“, ächzte dieser und hob taumelnd den Stuhl zum Schlag. Da fuhr ihm die Faust Schindlers an die Brust, daß er wieder hintüber fiel.

„Raus alles! Schluß ist!“

Hinter den Tischen kamen die letzten unbeteiligten Burschen und Mädchen hervor, und der Saal leerte sich. Der Hartl Hans war wieder aufgestanden und wischte sich mit den Fäusten die Augen.

„Den bring ich um, Herr Wachtmeister, so wahr ich –“

„Jetzt verschwinden Sie! Und wenn ich heut nacht noch einmal was hör, dann sperr ich Sie ein, verstanden?“ fuhr Schindler ihn grob an: „Morgen reden wir schon weiter, und wenn Sie den Heimweg net schleunigst finden, dann leucht ich Ihnen schon, darauf können Sie sich verlassen!“

„Ich mach mir’s heut noch aus, heut!“ knirschte der junge Bauer und torkelte hinter den letzten aus dem Tanzsaal. Ihm folgten die Musikanten.

„Ausgegangen ist es wie eine richtige Kirchweih“, meinte einer von ihnen zum Bräu, der ihm die Antwort schuldig blieb und zornig und bekümmert die der Schenke zunächst liegenden Trümmer seines Mobiliars zur Seite räumte.

Polizeimeister Schindler stand noch in der Mitte des leeren Saales und sah sich die Verwüstung an. Ungläubig schüttelte er den Kopf: wie man nur in wenigen Minuten ein solches Trümmerfeld schaffen konnte! Zornig wog er noch immer den Ochsenziemer in der Hand. Das würde wieder eine Arbeit, bis der Tatvorgang festgestellt, die Beteiligten ermittelt und die Anzeige fertig war.

Neben dem Musikpodium in der Ecke des Saales sah er noch ein Paar stehen. Bleich und verstört der Hartl Jakob, der Bruder des jungen Bauern, der heute unter die Fäuste der Dörfler gekommen war, und bei ihm die Lisl, die Tochter der Kramerin vom unteren Dorf, ein flachshaariges Mädel mit einem blassen, schmalen und nicht unschönen Gesicht. Über zerbrochene Stühle steigend, ging Schindler zu den beiden. Beim ersten Blick erkannte er, daß auch der Hartl Jakob einen Schlag ins Gesicht erhalten hatte, seine linke Wange war gerötet und das Auge verschwollen. Zweifelnd fragte er: „Sind Sie auch beteiligt gewesen?“

„Nein, ich net, Herr Kommissär“, preßte der jüngere Hartlbauer heraus und sah verlegen und bedrückt zu Boden.

„Nein, er ist net dabeigewesen, aber –“ Das in Zorn und Abscheu erstarrte Gesicht des Mädels löste sich in Tränen auf. „Schuld bin eigentlich ich, aber ich kann nix dafür. Der Hans – vor alle Leut hat er auf seinen Bruder eingeschlagen, und der hat sich net einmal gewehrt. Der Kapplknecht und der Sagschnitter haben dann den Hans weggerissen, und dann – ist es losgangen. Dann haben sich die andern auch eingemischt – aber net der Jakob, der ist alleweil bei mir geblieben.“ Heftig wischte sie mit dem Taschentuch über die Augen und stellte sich neben den Burschen, als müßte sie ihn verteidigen. „Der Jakob hat überhaupt nix getan, net einmal gegen seinen Bruder hat er sich gewehrt, obwohl der auf ihn eingeschlagen hat. Der Sagschnitter Martin hat sich ins Mittel gelegt und den Hans zurückgerissen.“

„So, der Martin“, brummte Schindler und dachte an den Burschen, der ihm gleich zu Anfang schon auf der Stiege begegnet war. „Und was ist denn zwischen euch Brüdern? Müßt ihr ausgerechnet vor allen Leuten eure Zwietracht austragen?“

Der Jakob schwieg, aber die Lisl gab schnell für ihn die Antwort: „Da bin auch wieder ich schuld, Herr Kommissär! Der Hans – ich hab ihn net mögen und kann ihn überhaupt net leiden, weil er so grob und zornig ist und alleweil so mit seiner Kraft prahlt und rauft, und – ich und der Jakob – und das ist ihm net recht, und deswegen verfolgt er ihn Tag und Nacht, und als er mich zum Tanzen holen wollt, da hab ich net mögen, und er hat gemeint, der Jakob hätt’ mir untersagt, daß ich mit seinem Bruder tanzen tät. Dann hat er zugeschlagen.“

„Na ja, das werden wir schon herausfingerln, und diese Geschichte wird für die Beteiligten net billig werden. Jetzt machen wir aber die Bude zu. Gute Nacht!“

Die Kramerlisl nahm den Jakob am Arm, und er ließ sich von ihr wie ein Träumender aus dem Saal und die Stiege hinab ins Freie ziehen.

Schindler sah sich indes noch einmal im Saal um.

Umgestürzte Tische, zerschlagene Sessel und die Scherben der Trinkgläser boten ein wüstes Bild. Staub und Rauchfahnen zogen unter der niederen Decke, Hüte lagen in Bierlachen, und die Glasscherben glitzerten.

Dem Schmidtbräu kam nun erst der Zorn: „Auf Heller und Pfennig zahlen mir die Lackeln den Schaden, das garantier ich! Und ins Haus kommt mir der Hartl Hans nimmer. War so schön gewesen, und ist den ganzen Tag net das geringste passiert, bis net der wieder seinen Rausch beinander gehabt hat.“

„Na ja, den kriegen wir diesmal schon und die andern auch. Gute Nacht!“

Der Polizeimeister verließ den Tanzsaal, ging die Stiege hinunter und sah noch im Gastzimmer nach. Auch hier waren inzwischen alle Gäste gegangen, und die Kellnerinnen räumten die Gläser ab und stellten die Stühle auf die Tische. Als er auf den Dorfplatz hinaustrat, verdrückten sich die letzten in den Schatten der Dorfgassen. Am Brunnen lehnte der Hartl Hans und wusch sich das Gesicht.

„Gehen Sie jetzt endlich heim, Hartl!“

Der Bauer knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste: „Zwanzig über einen, aber ich werd quitt mit den Lumpen!“ „Machen Sie jetzt, daß Sie weiterkommen, sonst geb ich Ihnen eine Nachtherberg!“ wurde Schindler grob. „Wer ohne Zuschlagen net auskommen kann, dem geschieht ganz recht, wenn er einmal selber sein Heu kriegt.“

„Was? Ja, Himmel –“ Der Hans fuhr auf, als wollte er sich auf den Polizeibeamten stürzen.

„Marsch jetzt, und keinen Muckser mehr, sonst kannst von mir auch noch eine Watschen mitnehmen!“

Da machte sich der Hartl Hans taumelnd und zornbrennend davon. Als er auf dem Weg nach Langfurth zu verschwand, hallte sein Schelten und Fluchen noch eine geraume Zeit von den hölzernen Stadel wänden zurück. Eine Weile stand der Polizeimeister noch und horchte in die taghelle Nacht. Beim Schmidtbräu wurde ein leeres Bierfaß rumpelnd über das Pflaster des Hausganges gerollt. Knarrend schloß sich das Haustor.

Langsam ging Schindler die stille Kirchgasse hinauf. Zehn Jahre war er nun schon hier im Ort, und er hatte sie kennengelernt in diesem Zeitraum, die biederen und fleißigen Waldbauern und ihre Zusammengehörigkeit in Verwandtschaften und Freundschaften. Die Alten gehörten mit ihren Anschauungen noch einer vergangenen Zeit an, und die Jungen waren durch den Krieg nicht besser geworden. Unter ihnen waren einige, die, je mehr Bier sie hatten, desto rauflustiger und streitsüchtiger wurden. Er kannte diese unleidigen Dorfgenossen und behielt sie auch im Auge. Der Ärgste war wohl dieser Hartl Hans. Aufbrausend und stichelnd, herrisch und herausfordernd hatte er immer wieder Anlaß zu Stänkereien und Tätlichkeiten gegeben und war wegen solcher Delikte schon mehrmals vorbestraft. Er hatte im Ort mehr Feinde als Freunde und vertrug sich mit dem eigenen Bruder nicht, der erst vor zwei Jahren aus russischer Gefangenschaft gekommen war. In allem war der Jakob das Gegenteil von seinem groben und aufsässigen Bruder, war ruhig und freundlich, ließ sich wenig in den Wirtshäusern sehen und schien ein festes Verhältnis mit dieser Elisabeth Brenner, der Tochter der Kramerin vom unteren Dorf, zu haben. Passen ganz gut zusammen, die zwei. War da nicht der Hartl Hans oft im Kramerhause, ehe der Jakob aus der Gefangenschaft zurückkam? Zwei feindliche Brüder auf einem Hof, und noch dazu zwei solche, wie die Hartlsöhne es waren, das würde noch mehr Unannehmlichkeiten bringen. Unverständlich war ihm die Haltung der alten Hartlin, die ihrem Ältesten die Stange hielt und den Jakob einen Duckmäuser schimpfte, an den sie sich, seit er aus der Gefangenschaft gekommen war, nicht mehr gewöhnen konnte. Ihr störrischer und rauflustiger Ältester war ihr mehr ans Herz gewachsen. Wenn dieser einmal einen Tag vertrank, während der Jakob seine Arbeit tat, machte das der alten Bäuerin gar nichts aus. Sonderbar, daß sie so an dem Hans hing, der seinem Vater so ähnelte. Wie oft war doch die Hartlin auf die Station gekommen, um die Polizei zu holen, wenn ihr Mann im Rausch wieder einmal das Geschirr zertöppert und sie tätlich bedroht oder wirklich geschlagen hatte. Das hätte für die Hartlbäuerin eigentlich eine Lehre sein können. Der Hartlhof hatte schon öfter die Polizei im Haus gesehen als zehn andere Höfe zusammen.

Der Kapplknecht hatte also zuerst mitgerauft und der Martin, der Sagschnitter von der Racklmühle. Na ja, auch keine Unbekannten. Es waren immer wieder die gleichen, und die Feindschaft zwischen ihnen und dem Hartl Hans war auch schon Jahre alt.

Bis sie den heutigen Schaden bezahlt und ihre Strafen abgesessen hatten, würde wohl wieder Ruhe im Dorf sein. Daß Mannsbilder, die schon in den Dreißigern standen, ohne Saufen und Raufen nicht auskommen konnten, war ihm schleierhaft. Als ob es keine andere Unterhaltung gäbe!

Als er die Haustüre aufsperrte, sah er noch zur Turmuhr hinüber. Halb zwei zeigten die blinkenden, mondbeschienenen Zeiger.

Schweigend gingen der Hartl Jakob und die Kramerlisl dem untern Dorf zu. Sie hatte ihn bei der Hand genommen, und besorgt sah sie ihn von der Seite an. Kopfschüttelnd starrte er vor sich hin.

Im geringen Abstand lagen hier die Gehöfte, etwas von der Straße abgerückt. Die schmalen Wiesenstreifen vor den Häusern gleißten im Mondlicht. Beim Mitterwallner heulte der Hund auf und jaulte lang anhaltend. Weiter unten klang ein ferner Juhschrei. Dort tauchte der Weg in das enge Bachtal zur Racklmühle und stieg drüben wieder zum Wald empor.

Der Jakob blieb stehen und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Vom eigenen Bruder muß ich mich schlagen lassen – vor alle Leut!“

Sie hing sich fest an seinen Arm, ratlos und verzweifelt. „Ist ja net deine Schuld gewesen, Jakob, und die Leut kennen dich und deinen Bruder.“

„Ich hätt’ mich wehren sollen, hätt’ ihn niederschlagen sollen!“

„Nein, ich bin froh, daß du in die Keilerei net verwickelt worden bist!“

„Was ich die zwei Jahr, die ich von Rußland zurück bin, eingesteckt hab, ist genug gewesen. Jetzt mag ich nimmer. Ist mein Bruder, aber heut hat er mir das letzte Fünkerl von Bruderlieb ausgetrieben. Wenn er noch einmal auf mich losgeht, kann ich für nix mehr garantieren.“

Sie drückte bange seinen Arm. „Geh, Jakob, so darfst doch net reden! Mußt denn daheim bleiben? Du kannst doch als Stallschweizer und Oberknecht überall hingehen. Solche Leute sind heut gesucht, will sowieso niemand mehr in der Landwirtschaft arbeiten.“

„Lisl, ich hab in Rußland alleweil nur an eins denken müssen: an unsern schönen Hof, und hab mich soviel gefreut drauf. Das hab ich alles noch in mir. Mich freut die Arbeit daheim, weil ich in dieser Sach aufgewachsen bin. Ich weiß net, wie das ist, wenn man für eine fremde Sach arbeiten sollt. Wenn die Mutter nur ein bisserl anders wär! Seit ich wieder da bin, ist was zwischen uns, ich weiß net, was. Der Hans liegt ihr halt in den Ohren. Ich versteh das nimmer. Es ist der Mutter gleich, ob er zur Arbeit geht oder net, und sie sagt nix, wenn er den schönsten Arbeitstag im Wirtshaus versauft. Wenn ich was sage, dann heißt es: Zwei tun halt net gut auf einem Hof.“

„Drum mein ich ja, du sollst gehen. Brauchst ja net weit wegzugehen. Wir können dann alle Sonntag beinander sein, bis wir – weißt, entweder geh ich dann zu dir, wenn du eine gute Stellung hast, oder du heiratest halt auf unser Kramerhäusl. Meine Mutter kann nimmer lang aushalten, und der Hannes weiß ja, daß er grad noch mit dem Leben davongekommen ist bei seinem Motorradunfall. Er redet nix und sitzt den ganzen Tag umeinander. Net einmal schreiben und rechnen kann er mehr, und oft ist mir ganz bang, wenn er so jammert oder vor sich hin stiert und sich den Kopf hält. In der Nacht rennt er herum. Da ist es kühl und gut, sagt er. Er erbarmt mich soviel. Die Sorg um den Hannes frißt die Mutter noch ganz auf.“

Ihre Worte hatten den jungen Hartl abgelenkt, und die Anteilnahme ließ ihn seinen eigenen Kummer vergessen. „Hat halt jedes sein Kreuz.“

Erleichtert atmete sie auf, froh darüber, daß sie ihn nun auf andere Gedanken gebracht hatte.

„Ist eine so schöne Mondnacht heute, gell? So selten schön, daß ich gern noch ein Stünderl heraußen bleiben möcht.“ Sie mußte ihn noch eine Weile aufhalten, damit er heute nicht noch einmal mit seinem rabiaten Bruder zusammentraf. Der würde inzwischen wohl schon daheim sein und mit seinem Rausch ins Bett sinken. Morgen war wieder ein anderer Tag, und nüchtern würde der Hartl Hans seinen Groll auf den eigenen Bruder schon bezähmen.

Beim Mitterwallner fing der Hofhund wieder zu heulen an.

„Handlung der Maria Brenner“ stand auf einem Schild über der Türe eines alten Holzhauses an der Straße. Darüber lief eine hölzerne Altane unterm Dach, und der Mond blitzte in blanken kleinen Fenstern.

„Setzen wir uns noch ein bisserl auf die Hausbank“, bettelte sie.

Unschlüssig stand er: „Ich weiß net! Ist mir gar net gut und tat lieber gleich heimgehen. Ich glaub, ich muß heut noch mit dem Hans ein Wörtel reden, sonst bringt mich der Zorn um.“

Sie wurde bleich vor Angst. „Geh, bleib noch ein bisserl.“ Er ließ sich zur Bank neben der Haustüre ziehen.

Dort saßen sie, schauten über das mondbeschienene Oberdorf und hingen ihren Gedanken nach.

„Eigentlich bin ich der Grund, daß du und der Hans euch nimmer versteht, und das druckt mich oft recht hart. Aber ich kann nix dafür! Ich hätt’ den Hans net mögen, auch wenn er net so grob und verrauft war. Er ist ja fast alle Tag um unser Häusl geschlichen und hat sich zwei-, dreimal am Tag Zigaretten bei uns 'geholt. Als ich ihm gesagt hab, daß ich ihm nix will und er mich in Ruh lassen soll, da hat er geflucht wie ein Wilder. Er wird dafür sorgen, daß ich auch keinem anderen Mannsbild gehören werde, hat er gesagt.“

Der Jakob wußte darauf nichts zu antworten.

„Als dann du aus der Gefangenschaft kommen bist – ich weiß eigentlich gar nimmer, wie es zugangen ist, daß wir zwei –“

„Eins geht mir net in den Kopf, Lisl“, sagte er bedächtig und aus seinem Sinnen heraus, „trotz der alten Feindschaft zwischen deiner und meiner Mutter hätt’ die meinige anscheinend nix dagegen gehabt, wenn du mit dem Hans gegangen wärst. Weil aber ich es bin, der dich heiraten will, ist keine Ruh mehr daheim. Den ganzen Tag mäkelt sie.“

Beide hatten in dieser Minute den gleichen Gedanken. Die Feindschaft zwischen dem Hartlhof und den Brennerischen war alt und ortsbekannt. Einmal waren die Saller Lena, die heutige Hartlbäuerin, und der Brenner ein stolzes, junges Paar gewesen, bis der Brenner die Eifersüchteleien und Zornausbrüche der reichen Sallerbauerntochter satt hatte und nichts mehr von ihr wissen wollte. Als er dann eine einfache Dirn heiratete, die auf dem Hartlhof gedient hatte, die Mutter von Lisl, war es zu vielen unguten Szenen gekommen. Vor der Kirche hatte die Saller Lena versucht, der Brennerin den Schleier herunterzureißen, hatte sie auf der Straße beschimpft und bespuckt. Auch als sie schon die Hartlbäuerin war, legte sich diese Feindschaft nicht. Es lag lange zurück. Der Brenner lebte nicht mehr, und auch der Hartl war schon gestorben. Früh waren die Lisl und der Hannes schon Halbwaisen geworden, und die Brennerin hatte die kleine Landwirtschaft aufgeben müssen und eine Krämerei aufgemacht. Es war gutgegangen, bis im Vorjahr der Hannes mit dem Motorrad stürzte und nun an den Folgen dahinsiechte. Die Hartlin hatte sich mit ihrem trunksüchtigen Mann nie vertragen, und auf dem Hartlhof waren Zank und Streit schon am Tage nach der Hochzeit angegangen. Bis das Trinkerleben den Hartl umgebracht hatte. Was aber seit dreißig Jahren zwischen der Hartlbäuerin und der Brennerin bestand, wollte nicht vergehen. Alle Mühe, die die Kramerin sich schon gegeben hatte, die zänkische Bäuerin zu versöhnen, war fehlgeschlagen. Jede freundliche Anrede wurde mit geiferndem Zorn und Unflat belohnt.

Da nahm der ganze Ort Partei für die Kramerin und rückte von der gehässigen Hartlbäuerin ab. Nur ihre eigene Verwandtschaft hielt noch zu ihr. So hatten sich im Dorf zwei Parteien gebildet, und die Gegensätzlichkeit der Alten hatte sich auch auf die Jungen übertragen.

„Auch meine Mutter hat lange gebraucht, bis sie hat glauben können, daß wir zwei einmal heiraten wollen. Dann aber hat sie gesagt, sei froh, wenn dann endlich die Feindschaft aus der Welt geschafft würde.“

„Ich seh schon, ich muß anders auftreten daheim“, meinte er entschlossen, „wenn ich mir alles gefallen lasse, wird überhaupt keine Ruh!“

„Ich weiß net“, sagte sie, „es ist deine Familie, sind deine Mutter und dein Bruder. Tu mir den Gefallen, und nimm bald eine Stellung an.“

„Knecht bin ich daheim halt doch net“, meinte er bekümmert, „ich tu meine Arbeit selber, und anderswo ist ein Anschaffer da, ist ein anderer Bauer, und ich bin der Knecht, daran müßt ich mich erst gewöhnen. Aber das eine sag ich dir: jetzt wird es anders, und ich geb auf ein böses Wort auch ein solches zurück, und wer auf mich haut, auf den hau auch ich.“

„Geh, Jakob! Bist alleweil so ein ruhiger Bursch gewesen. Und so hab ich dich mögen. Am liebsten tat ich sagen, du sollst heute gar nimmer heimgehen, damit du net mit dem Hans zusammenkommst, solang er seinen Rausch hat.“

Er erhob sich von der Bank. „Nein, Dirndl! Du mußt dich ausschlafen, und ich geh jetzt. Ich vergeß schon net, was du gesagt hast.“

Sie schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn, streichelte mit ihrer weichen Hand über seine Wange und das verschwollene Auge: „Du bist halt doch vernünftiger, gell? Mußt dir alleweil denken, daß es net immer gleich bleibt. Kommst morgen nach der Abendsuppe auf eine Weile vorbei?“

„Ja, gern! Gute Nacht!“

Sie sah ihm nach und war froh, als er beim Sallerhof die Dorfstraße verließ, um hinterm Dorf über die Hochfelder heimzugehen. An Schlafen wollte sie in dieser Nacht gar nicht denken, sie wurde die Unruhe nicht los. Die Haustüre war unversperrt. War also der Hannes noch unterwegs?

Der Mond schien in die Wohnstube, so daß Lisl auf das Licht verzichtete. Die Stubenluft war warm und drückend. Leise öffnete sie ein Fenster. Die Kramerin, die schlaflos gelegen hatte, stand auf und erschien in der Kammertür.

„Hab euch schon reden hören. Der Hannes ist noch nicht da. Der hat wieder keinen guten Tag. Mir ist ganz Angst worden vor ihm. Er ist so seltsam. Den Kopf zerreißt es ihm, hat er gejammert und sich net halten lassen. Mein Gott, was wird das mit dem Buben noch werden!“

„Beim Bräu haben s’ heut gerauft“, erzählte die Lisl der Mutter, und bekümmert saß diese auf der Wandbank und hörte ihr zu. Seufzend meinte sie, nachdem die Lisl mit dem Erzählen zu Ende war:

„Dirndl, ich fürcht halt, daß das mit dir und dem Jackl nix Gutes bringt. Besser wär’s, wir hätten mit den Hartlleuten gar nix zu tun.“ Schmal und schlank war sie wie ihre Tochter, und früher hatte sie auch das gleiche Flachshaar. Nun aber war ihr Haar schlohweiß, obwohl man ihrem Gesicht das hohe Alter nicht anmerkte.

„Aber Mutter, der Jakob ist ganz anders. Er hat mir heut versprochen, daß er von daheim weggeht und sich einen Dienstplatz als Schweizer oder Oberknecht sucht.“

„Ich glaub’s ja“, resignierte die Kramerin, „aber es wird halt doch keine Ruh werden. Dann wird es heißen, wir hätten den Jackl verhetzt, daß er fortgegangen wäre.“

Die Lisl trat vor den Spiegel und zog das Spenzerl aus, das sie über dem Dirndlkleid getragen hatte.

„Wennst halt doch einmal nachschauen tätst, ob der Hannes net um das Haus herum oder im untern Dorf ist? Wollt mich selber schon aufmachen. Hab keine Ruh, wenn der Bub net im Haus ist.“

„Ja, Mutter, ich schau, vielleicht find ich ihn. Zum Schlafen ist mir eh net.“

Die Lisl zog das Spenzerl wieder an, wartete, bis sie sah, daß die Mutter wieder zu Bett gegangen war, und verließ das Haus. Sie ging um den kleinen Stadel und durch den Obstgarten hangaufwärts. Ein ausgefahrener Feldweg führte dort zu den Hochfeldern. Auf halber Höhe stand eine mächtige Linde, in deren Schatten die Sallerbauern die Totenbretter ihrer Verstorbenen aufgerichtet hatten. Auf diesen Holztafeln hatten sie vor ihrem Begräbnis gelegen, der Bauer und die Bäuerin und ihre Eltern, deren Namen Wind und Wetter schon auf den Brettern gelöscht hatten.

Stehenbleibend sah sie über die Feldhänge hin. Diese Totentafeln scheute sie schon seit den Kindertagen, und wenn sie nicht daran vorbei mußte, war es ihr lieber. Der Hund des Mitterwallners heulte nun wieder so dumpf und jämmerlich, und das klang drunten in den Häusern des Dorfes unheimlich nach. Mit einem unterdrückten Schrei fuhr sie zusammen, als durch ein Kornfeld am Wege ein Rauschen kam und sich jemand herausarbeitete. „Hannes!“ Erschrocken stand der Angerufene und schaute sie lange an.

„Komm, geh heim, die Mutter ängstigt sich schon.“

Wie ein Gehetzter, der am Ende seiner Kräfte war, ließ sich der junge Mann auf den Feldrain nieder. Sie redete ihm gut zu, zog ihn am Arm hoch und dann den Weg hinab. Er ließ es willig geschehen.

Sie hielt mit Mühe die Tränen zurück. Welch ein strammer Bursch war ihr jüngerer Bruder gewesen. Noch vor einem Jahr! Ein guter Schlosser und ein allzeit fröhlicher Mensch. Seine große Liebe hatte dem Motorrad gegolten, bis er damit in der Kurve bei der Racklmühle einen Straßenbegrenzungsstein streifte und mit einem schweren Schädelbruch und anderen Verletzungen über ein halbes Jahr im Krankenhaus lag. Ein armer, elender Mensch war er nun mit seinen neunzehn Jahren, der keiner Arbeit mehr nachgehen konnte und zeitweilig keinerlei Erinnerungsvermögen besaß. Auch das Sprechen fiel ihm schwer, wenn er sich aufregte, und sein Stammeln verstanden selbst die Mutter und die Schwester meist nicht.

Vor dem Haus zögerte er und sträubte sich.

„Laß mich – heraußen.“

Als sie ihn bei der Hand nehmen wollte, um ihn in das Haus zu ziehen, schauerte sie zusammen. „Mein Gott, hast dir weh getan? Du bist ja voll Blut!“

Sein Gesicht zuckte, und vergeblich mühte sein Mund sich um die Antwort. Unbeholfen starrte er auf seine Hände.

„Der Hartl – der Hartl –“

Sie führte ihn an den Hausbrunnen und wusch ihm die blutverkrusteten Hände. Sie zeigten keine Verletzung.

„Wo bist denn da hinkommen?“

„Der – Hartl –“

Er schüttelte den Kopf, sein Kinn zuckte.

„Komm jetzt!“ Leise, um die Mutter nicht zu wecken, brachte sie ihn durch den Hausgang über die Stiege in seine Kammer.

Zitternd wie ein Frierender ließ er sich zu Bett bringen.

„Der Hartl –“

Ihr kam die Angst. „Was ist denn, Hannes, sag, was ist mit dem Hartl?“

„Oh!“ Er hielt sich mit beiden Händen den Kopf und schloß die Augen.

„Schlaf jetzt“, redete sie ihm gut zu und verließ die Kammer. Als sie aus dem Fenster ihres Stübchens sah, zeigte sich der kommende Tag schon an. Drüben beim Sallerbauern krähte schon der Hahn.

Ohnmächtig vor Zorn und Rausch hatte der Hartl Hans den Dorfplatz verlassen. Das zerschlagene Gesicht schmerzte ihn, und die Fußtritte, die er abbekommen hatte, verspürte er am ganzen Körper. Von einer Wegseite zur anderen taumelte er, lehnte sich beim Kapplhof, dem letzten Haus des Dorfes auf dem Wege nach Langfurth, an die Stadelwand und versuchte, des Rausches Herr zu werden. Mit den Händen tastete er den Kopf und das Gesicht ab.

„Ich werd noch quitt mit euch! Ich zahl es euch heim“, knirschte er und torkelte weiter. Übermächtig kam ihm die Wut, und heiser brüllte er seine Racheschwüre in die Nacht.

„Du notiger Sagschnitter, du Lump, dich erschlag ich!“ Mit den Armen fuchtelnd wandte er sich noch einmal zurück und drohte nach dem Kapplhof hinunter: „Kapplknecht! Merk dir den Tag! Der wird dich noch reuen!“

Auf dem freien Feldweg gaben die Häuser und Stadel kein Echo mehr, und sein Schreien verklang. Vor sich hinbrummend, stieg er bergauf, wo eine Viertelstunde überm Dorf der Hartlhof inmitten seiner Wiesen und Felder lag. Der Mond gab ihm einen taumelnden Schatten mit, der ihn gestikulierend begleitete. Noch einmal fing er zu toben und zu schreien an, als er in einen tief eingeschnittenen und von Haselstauden besäumten Hohlweg einbog. Fluchend griff er immer wieder nach der Gesäßtasche: „Umbringen hätte ich einen sollen! Eher hab ich keine Ruh und keinen Respekt! Saukalt stech ich noch einen ab!“

Die Haselnußbüsche schatteten in den Hohlweg und verdrängten das Mondlicht.

„Den Jackl hau ich aus! Mit der Peitschen hau ich ihn aus –“ Über einen Stein stolpernd schlug er hin. Brummend und scheltend mühte er sich wieder hoch, schwankte und torkelte weiter. Sinnierend blieb er stehen.

Der Jakob soll heiraten! Aber eine andere und nicht das Kramerdirndl. Eine von außerhalb. Hatte sie ihn nicht mögen, sollte sie auch den Jakob nicht haben. Er schüttelte sich. Wenn er sich an die Kramerlisl herangemacht hätte, wär das der Mutter ganz recht gewesen. Aber was hätte sie von ihm verlangt? In das Leutmaul solle er die Lisl bringen, in das Dorfgerede. Sollte ihr das Heiraten versprechen und sie dann sitzenlassen. Dann hätte die Mutter ihm den Hof übergeben und das bare Geld. Alles, hatte sie gesagt, alles sollte er haben, wenn er nur der Kramerin und deren Tochter das antun könnte, wie sie es sich ausgedacht hatte.

Wenn er sich heute daran erinnerte, dann wußte er, daß er der Mutter den Gefallen nicht getan hätte. Was konnte die Lisl dafür, daß zwei alte Weiber sich feind waren?

Er lachte grimmig vor sich hin. Da hätte die Mutter nachgeben müssen, und er würde sie auch nicht fragen, wenn er einmal eine heimbringen würde auf den Hof. Wenn es der Mutter nicht paßte, konnte sie ins Beihäusl wandern. Würde sich ohnehin keine junge Bäuerin mit dem zänkischen Weib vertragen können.

„Der Hartlbauer bin ich“, renommierte er vor sich hin, „und ich zeig ihnen das noch.“

Der Nebel in seinem Kopf hatte sich etwas verflüchtigt, und sein Gang wurde sicherer. Er mußte auf die vielen groben Steine achten, die hier aus dem Weg ragten. Dösend erreichte er die Mitte des Hohlweges, wo dichte Erlstauden in ihrem Schatten die dunkle Nacht bargen. Etliche Schritte war er in diesen Schatten hineingetorkelt, als sich hinter ihm von den Stauden eine Gestalt löste und auf ihn zusprang.

Stöhnend sank er vornüber.

Über die Felder rannte geduckt ein Mann dem Dorf zu.

Ein letzter großer Schmerz riß den Oberkörper des Hartl Hans empor, die Hände suchten und krampften sich in die Grasbüschel. Mit einem gurgelnden Schrei fiel er wieder auf das Gesicht und streckte sich.

Vom Dorf herauf drang dumpf das langgezogene, jammernde Heulen eines Hundes.

Am Kirchweihmontag blieb das Dorf länger in der Ruhe als an anderen Tagen. Unlustig und mit schweren Köpfen krochen die Ehhalten auf dem Kapplhof erst aus den Federn, als die Sonne schon eine Weile am Himmel stand. Mit verschlafenen Gesichtern gingen sie der morgendlichen Stallarbeit nach. Schwankend unter der Last trug die Resl, die Stallmagd, eine Schwinge voll Kleegras aus der Tenne hinüber zum Stall, wo der Wenzl, der Knecht, sich eine Pfeife angezündet hatte und träge nach einer Sense griff. Übernächtigt gähnte er und meinte mit einem schiefen Lachen:

„Ist ja noch ganz nett geworden, gestern, was meinst, Resl?“

Sie war ein hochgewachsenes, festes Frauenzimmer, rotgesichtig und resolut, und da sie gesonnen schien, ihre Meinung in längeren Worten zu sagen, stellte sie die Schwinge an der Stalltür ab.

„Wär ganz schön gewesen und hat den ganzen Tag nix gegeben, aber als ich gesehen hab, daß der Hartl Hans wieder seinen Rausch sitzen hat, hab ich mich schon auskennt. Was geht’s aber euch an, was der mit seinem Bruder zum Ausmachen hat? Wär net so schlimm geworden, wenn ihr Rammeln euch net dreingemischt hättet!“

„Dem Hans haben die Prügel gar net geschadet, und ich hätt’ mich net gerührt, wenn net schon der Sagschnitter hineingesprungen wär. Wollt die zwei grad net zusammenlassen. Daß dann auch gleich die anderen eingegriffen haben, dafür kann ich nix.“

„Dich hätt’ es überhaupt nix angegangen!“

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