Versuch einer critischen Dichtkunst - Johann Christoph Gottsched - E-Book

Versuch einer critischen Dichtkunst E-Book

Johann Christoph Gottsched

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Beschreibung

In der Critischen Dichtkunst, seinem literaturtheoretischen Hauptwerk, argumentierte Gottsched für seine rationalistische Dichtungsauffassung, gemäß der Poesie Regeln zu folgen habe, welche sich mit den Mitteln der Vernunft begründen lassen. Der Phantasie räumte Gottsched keine Freiheiten gegenüber dem Vernünftigen ein, und auch das Wunderbare wurde durch die leibnizsche und wolffianische Theorie der möglichen Welten reglementiert. Aus diesen Vorgaben ergab sich Gottscheds ablehnende Haltung zur Darstellung übernatürlicher Erscheinungen, deren literarisches Paradigma in der zeitgenössischen Diskussion John Miltons religiöses Epos Paradise Lost war.

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Versuch einer critischen Dichtkunst

Johann Christoph Gottsched

Inhalt:

Johann Christoph Gottsched – Biografie und Bibliografie

Versuch einer critischen Dichtkunst

Ode.

Vorrede

Neue Vorrede

Horaz von der Dichtkunst, übersetzt und mit Anmerkungen erläutert.

Vorbericht.

Horaz

Von der Dichtkunst.

Q. Horatii Flacci

De Arte Poetica.

Erster allgemeiner Theil.

Das I. Capitel. Vom Ursprunge und Wachsthume der Poesie überhaupt.

Das II. Capitel. Von dem Charactere eines Poeten.

Das III. Capitel. Vom guten Geschmacke eines Poeten.

Das IV. Capitel. Von den dreyen Gattungen der poetischen Nachahmung, und insonderheit von der Fabel.

Das V. Capitel. Von dem Wunderbaren in der Poesie.

Das VI. Capitel. Von der Wahrscheinlichkeit in der Poesie.

Das VII. Capitel. Von poetischen Worten.

Das VIII. Capitel. Von verblümten Redensarten.

Das IX. Capitel. Von poetischen Perioden und ihren Zierrathen.

Das X. Capitel. Von den Figuren in der Poesie.

Das XI. Capitel. Von der poetischen Schreibart.

Das XII. Capitel. Von dem Wohlklange der poetischen Schreibart, dem verschiedenen Sylbenmaaße und den Reimen.

Anderer Besonderer Theil.

Das I. Capitel. Von Oden, oder Liedern.

Das II. Capitel. Von Cantaten.

Das III. Capitel. Von Idyllen, Eklogen oder Schäfergedichten.

Das IV. Capitel. Von Elegien, das ist, Klagliedern und verliebten Gedichten.

Das V. Capitel. Von poetischen Sendschreiben oder Briefen.

Das VI. Capitel. Von Satiren oder Strafgedichten.

Das VII. Capitel. Von Sinn- und Scherzgedichten.

Das VIII. Capitel. Von dogmatischen, heroischen und andern größern Poesien.

Das IX. Capitel. Von der Epopee oder dem Heldengedichte.

Das X. Capitel. Von Tragödien oder Trauerspielen.

Das XI. Capitel. Von Comödien oder Lustspielen.

Das XII. Capitel. Von Opern oder Singspielen.

Anhang I

Anhang II

Von äsopischen und sybaritischen Fabeln, imgleichen von Erzählungen

Von scherzhaften Heldengedichten.

Von milesischen Fabeln, Ritterbüchern und Romanen

Von heroischen Lobgedichten.

Von dogmatischen Gedichten.

Von Sinngedichten, Grab- und Ueberschriften.

Von Gedichten, die in neuern Zeiten erfunden worden.

Von allerley neuen Arten größerer Lieder, als Ringeloden, Sechstinnen und Gesängen.

Von Wirthschaften, Mummereyen, und Balletten.

Von Schäferspielen, Vorspielen und Nachspielen.

Von politischen Fabeln, und andern dergleichen Erdichtungen.

Von allerhand Arten von Scherzgedichten.

Von Wahlsprüchen, Sinnbildern und ihren Ueberschriften.

Anhang III

Johann Christoph Gottsched – Biografie und Bibliografie

Schriftsteller, geb. 2. Febr. 1700 zu Judithenkirch (Juditten) bei Königsberg i. Pr. als Sohn eines Predigers, gest. 12. Dez. 1766 in Leipzig, bezog frühzeitig die Universität Königsberg, um Theologie zu studieren, widmete sich jedoch bald ausschließlich dem Studium der Philosophie und der schönen Wissenschaften. 1724 flüchtete er aus Furcht vor den preußischen Werbern, die ihn wegen seiner stattlichen Größe ins Auge gefasst hatten, nach Leipzig, wo der berühmte Polyhistor J. B. Mencke ihn zum Privatlehrer seines ältesten Sohnes erwählte. Noch in demselben Jahre habilitierte sich G. mit einer im Geiste der Wolffschen Philosophie abgefassten Abhandlung und eröffnete Vorlesungen über die schönen Wissenschaften. Mencke führte ihn tu die Görlitzer poetische Gesellschaft ein, aus der G., zum Senior erwählt, eine »Deutsche Gesellschaft« (1727) und eine bedeutende Pflegestätte der Poesie und Beredsamkeit machte; sie besteht noch jetzt. 1730 wurde er zum außerordentlichen Professor der Poesie und 1734 zum ordentlichen Professor der Logik und Metaphysik ernannt. G. begann seine umfassende literarische Wirksamkeit bereits ein Jahr nach seiner Ankunft in Leipzig mit den Zeitschriften »Die vernünftigen Tadlerinnen« (Halle u. Leipz. 1725–26, 2 Bde.) und »Der Biedermann« (das. 1727), deren Hauptinhalt belehrende und erbauliche Aufsätze nach Art der englischen moralischen Wochenschriften ausmachten. Hierauf folgte eine Reihe andrer Zeitschriften mit vorwiegend ästhetisch-literarhistorischem Inhalt: »Beiträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit« (Leipz. 1732); »Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freien Künste« (das. 1745–54); »Das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit« (das. 1751–62). Durch diese Zeitschriften erwarb er sich ein unleugbares Verdienst um die Sprache, insofern er sie durch möglichste Verbannung der Fremdwörter, Deutlichkeit des Ausdrucks und künstlerische Durchbildung des Stiles zu vervollkommnen suchte. Neben seinen Zeitschriften sind seine Lehrbücher zu erwähnen: »Ausführliche Redekunst« (Hannov. 1728, 6. Aufl. 1759), »Grundlegung einer deutschen Sprachkunst« (Leipz. 1748) und vor allem der »Versuch einer kritischen Dichtkunst für die Deutschen« (das. 1730 u. ö.). Hier gibt er ein vollständiges System der Dichtgattungen, doch geht er nicht darauf aus, ihr inneres Wesen zu ergründen, sondern nur darauf, die Dichter zu äußerlicher Befolgung der überlieferten Regeln anzuhalten. Durch diese Tendenz seiner kritischen Dichtkunst geriet er mit den Schweizern Bodmer und Breitinger, welche die Theorie der Poesie tiefer auffaßten, in einen Gegensatz, aus dem sich seit 1740 eine heftige Polemik entwickelte. G. zog in dieser Polemik den kürzeren, zumal nachdem die Schweizer 1748 in Klopstock einen Dichter gefunden hatten, der ihre Ideale zu verwirklichen schien, und G. sich dadurch lächerlich machte, daß er gegenüber der Messiade den »Hermann« von Schönaich (s. d.) als die höchste epische Leistung der Deutschen anpries. Unter den dichterischen Gattungen wendete er dem Drama die meiste Sorge und Aufmerksamkeit zu. Hier waren es vor allem die Haupt- und Staatsaktionen und die Opern, denen er den Krieg erklärte, in dem er auch Sieger blieb. Er hatte sich vorgesetzt, ein deutsches Theater nach dem Muster des französischen zu gründen, und diesen Zweck suchte er mit seiner Gattin durch zweckmäßige Übersetzungen wie durch originale Produktionen zu erreichen. Sein aus Addison und Deschamps zusammengestoppeltes Trauerspiel »Der sterbende Cato« (Leipz. 1732) war freilich eine sehr schwache Leistung, wurde aber gleichwohl von seinen Anhängern bewundert. 1727 war der Theaterprinzipal Neuber mit seiner Truppe nach Leipzig gekommen; seine Frau, die eigentliche Seele der Unternehmung, ging auf Gottscheds Pläne ein und bewirkte wertvolle Reformen des Theaters, insbesondere des Spielplans. Später gab G. in seiner »Deutschen Schaubühne, nach den Regeln der alten Griechen und Römer eingerichtet« (Leipz. 1740–1745, 6 Bde.) eine Sammlung von Dramen heraus, die als Musterschöpfungen gelten sollten und aus Originaldichtungen von G. selbst, von seiner Gattin, von J. E. Schlegel, Quistorp, Uhlich sowie aus Übersetzungen von Racine, Corneille, Voltaire, Destouches, Molière, Holberg etc. bestanden. Der poetische Gehalt der Sammlung ist, was die deutschen Dramen betrifft, außerordentlich mager, aber sie verdient doch vom geschichtlichen Standpunkt aus Beachtung und Anerkennung. G. hatte infolge seiner Einmischung in die Angelegenheiten des praktischen Bühnenwesens manche Unannehmlichkeiten zu erdulden; 1741 zerfiel er mit der Neuberin, die ihn in einem Vorspiel verspottete, ein Ereignis, das von Joh. Christ. Rost (s. d.) in einem komischen Epos besungen wurde; 1753 wurde er durch sein Auftreten gegen Weises Operette »Der Teufel ist los« in eine ähnliche Streitigkeit verwickelt. Von da an beschäftigte er sich nur noch als Literarhistoriker mit der Bühne; eine Frucht dieser Studien ist sein »Nötiger Vorrat zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst« (Leipz. 1757–65), worin ein Verzeichnis aller dramatischen Produkte aus den Jahren 1450–1760 gegeben werden sollte. Das Werk ist nicht vollständig, aber noch heute ein wichtiges Hilfsmittel für das Studium der Geschichte des deutschen Schauspiels. Außerdem schrieb G. noch eine Menge Abhandlungen literarhistorischen und kritischen Inhalts sowie größere und kleinere philosophische Werke im Sinne der Wolffschen Schule. Auch übersetzte er mehrere wichtige Erzeugnisse der französischen Aufklärungsliteratur, z. B. Fontenelles Schrift über die heidnischen Orakel (Leipz. 1830); von Bayles »Dictionnaire« erschien unter seiner Leitung eine deutsche Übersetzung (das. 1741–44). In den Jahren von 1729–40 übte G. eine Art von literarischer Alleinherrschaft in Deutschland aus; dann sank sein Ansehen immer mehr, und seine vielseitigen Verdienste, seine nationale Begeisterung für die Hebung des deutschen Schrifttums wurden auch von Männern wie Lessing stark unterschätzt. Vgl. Danzel, G. und seine Zeit (Leipz. 1848); Breitmaier, Die poetische Theorie Gottscheds und der Schweizer (Tübingen 1879); Reicke, Zu Gottscheds Lehrjahren (Königsb. 1892); Krause, G. und Flottwell, die Begründer der deutschen Gesellschaft in Königsberg (Leipz. 1894); E. Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben (Kiel 1895–97, 2 Bde.); am besten: Waniek, G. und die deutsche Literatur seiner Zeit (Leipz. 1897). Mit Nachdruck wirkte neuerdings E. Reichel für die Anerkennung Gottscheds in den Werken: »Ein Gottsched-Denkmal« (Berl. 1900), »Gottsched. Biographische Skizze« (das. 1900), »G., der Deutsche« (das. 1901) und »Kleines Gottsched-Wörterbuch« (das. 1902) sowie durch Begründung einer »Gottsched-Gesellschaft« in Berlin.

Versuch einer critischen Dichtkunst, J. C. Gottsched

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Versuch einer critischen Dichtkunst

I.

Der Hochgebohrnen Gräfinn und Frauen,

FRAUEN

Ernestinen Wilhelminen, verwittweten Freyherrinn von Plotho, gebohrnen Reichsgräfinn von Manteufel,

Meiner insonders gnädigen Gräfinn und Frauen,

Der Hochgebohrnen Gräfinn, Johannen Henrietten Constantien, gebohrnen Reichsgräfinn von Manteufel,

Meiner insonders Gnädigen Gräfinn, wie auch

Der Hochgebohrnen Gräfinn,

Louisen Marianen, gebohrnen Reichsgräfinn von Manteufel,

Meiner insonders Gnädigen Gräfinn.

Ode.

O Muse! deren reizend Lied

Auch Felsenherzen an sich zieht,

Und durch die Kraft der Seyten zwinget;

Euterpe! schenk mir deine Gunst,

Und lehre mich die seltne Kunst,

Wie man so sanft als neu, so zart als edel singet.

Kein eitler Stolz bethört die Brust,

Als hättest du mich längst mit Lust

Die matte Cither schlagen lehren.

Mich gafft kein Faunus, kein Silvan,

Von wegen meiner Lieder an,

Und keine Dryas starrt, um meinen Ton zu hören.

Drum nimm nur itzt mein schwaches Rohr,

Bezaubre selbst der Hörer Ohr,

Begeistre du den Klang der Seyten:

Laß, wie bey Dichtern alter Art,

So Witz, als Anmuth hier gepaart,

Die herrschende Vernunft mit heitrer Stirn begleiten.

Ihr Gratien! entzieht euch nicht,

Und zeigt ein holdes Angesicht

Dem Dichter, der euch stets erhoben;

Der kein gezwungnes Wesen übt,

Und alles das, was ihr nicht liebt,

So wenig als ein Lied des rauhen Pans kann loben.

Hier seht ihr euer Ebenbild,

Drey Nymphen, die ein Geist erfüllt,

An Witz und Schönheit Halbgöttinnen:

Verstand und Anmuth sind hier gleich,

O! laßt mich dießmal nur durch euch

Ein auserlesnes Lied zu Ihrem Ruhm beginnen.

Wie war dir, edles Trojerblut,

Berühmter Paris! dort zu Muth,

Als Ida dich zum Richter machte;

Als dir die wohlbedachte Wahl

Von drey Göttinnen auf einmal,

Der größten Schönheit Preis, den goldnen Apfel brachte?

Es stund des Himmels ganze Zier,

Beglückter Prinz! zugleich vor dir,

Die sonst kein sterblich Aug erblicket;

Die Götter selbst beneiden dich,

Dein ganzes Blut beweget sich,

Und dein bezaubert Herz wird aus dir selbst entrücket.

O wärst du in der Meißnerflur,

Die so viel Gaben der Natur,

Als dort der Phrygerstrand verspüret:

Wo Pleiß und Elster, Lupp und Baar

Mehr sind, als dort Scamander war,

Und wo die Lindenstadt mehr Pracht als Troja zieret.

Da würdest du drey Schönen sehn,

Die mehr, als dazumal geschehn,

Dein Urtheil würden schwierig machen:

Weil gleicher Schönheit Glanz und Pracht,

Und gleicher Anmuth gleiche Macht,

Aus jeder Stirn und Brust, aus Mund und Augen lachen.

Was die Göttinnen einzeln ziert,

Wird hier beglückt vereint gespürt:

Muth, Geist und Reizung sind vollkommen.

Ein edler Sinn, ein weises Herz,

Die sanfte Huld, der süße Scherz,

Die haben hier zugleich den Aufenthalt genommen.

Der Liebesgöttinn Liljenhaut

Ward nie so schön als hier geschaut,

Auch nicht der Augen muntres Blitzen:

Es könnt auch Pallas selber nicht

Ein aufgeweckter Angesicht,

Nicht Juno Gang und Schritt von bessrer Art besitzen.

Noch mehr! hier herrscht die Tugend auch,

Die sonst, nach alter Dichter Brauch,

Sehr selten schöne Leiber schmückte:

Hier herrscht auch Munterkeit und Witz,

Dem sonst so selten Rang und Sitz

Bey schöner Glieder Bau und junger Anmuth glückte.

Der große Vaterlebet hier,

Der itzt mit eifriger Begier

Die Wahrheit und die Musen schützet:

Wie Er bisher mit kluger Hand

Dein Wohl erhöht, o Sachsenland!

Und dir, Sarmatien! mit Rath und That genützet.

Der Glanz, den Du gewonnen hast,

Als vormals Rambouillets Palast

Dich, eitles Frankreich! stölzer machte;

Dein alter Glanz verlosch bey Dir:

Doch er verjüngt sich schöner hier,

Als Spott und Trägheit ihn bey Dir in Abnahm brachte.

Kaum sah man hier des Grafen Haus,

So brach der Musen Eifer aus,

Ihr Trieb begunnte mehr zu schimmern.

Er selbst, als Phöbus, gieng uns vor,

Gleich sammelt sich der Künste Chor,

Nebst Witz und Wissenschaft, in SeinerTöchter Zimmern,

Beglückte Zeit! Beglückte Stadt!

Beglückter, wer Erlaubniß hat,

Den neuen Pindus selbst zu hören!

O müßte doch kein trüber Fall

Der angenehmen Seyten Schall

Lust, Wirkung, Kunst und Fleiß so edler Musen stören.

Empfangt denn, witzerfüllte Drey!

Dieß Buch, und setzt es jenen bey,

Die Eurem Geiste Nahrung geben.

Ihr liebt die Dichtkunst; schützt sie nun!

So wird Apollo Euer Thun,

Durch Kränze neuer Art, auf späte Zeit erheben.

Joh. Chr. Gottsched.

Vorrede

der zweyten Auflage, von 1737.

Geneigter Leser,

Hiermit habe ich das Vergnügen, dir eine neue und durchgehends verbesserte Auflage meiner Critischen Dichtkunst zu liefern. Es sind nunmehro eben acht Jahre verflossen, da ich dieses Buch zum erstenmal ans Licht stellete, und in währender Zeit ist dasselbe gänzlich abgegangen: obgleich die Regeln der Poesie eben nicht so häufig, als die Anleitungen zu andern freyen Künsten und Wissenschaften gesuchet werden. Wenn ich mir schmeicheln darf, daß dadurch viele einen bessern Begriff von der wahren Dichtkunst bekommen haben, als man vorhin insgemein gehabt; so ist mir die darauf verwandte Mühe reichlich belohnet worden. Zum wenigsten habe ich das Vergnügen gehabt, von vielen Orten her, schriftliche Versicherungen von unbekannten Personen, zu erhalten, daß sie, aus meiner Dichtkunst allererst, das rechte Wesen der Poesie einsehen gelernet. Ja was noch mehr ist, ich habe es mit Lust wahrgenommen, wie seit der Zeit nicht nur in Leipzig, sondern an sehr vielen andern Orten, die Schriften angehender Poeten ein ganz anderes Ansehen gewonnen; daraus denn nicht undeutlich zu spüren gewesen, daß die in meiner Dichtkunst enthaltenen Regeln, ihnen zur Richtschnur gedienet hätten.

Doch indem ich dieses süßen Vergnügens, als einer natürlichen Belohnung meiner critischpoetischen Bemühungen, erwähne: so ist es keinesweges ein Stolz oder eine Ruhmredigkeit, die mir solches in den Mund leget. Ich weis es nur gar zu wohl, wie wenige, von denen guten Früchten, die meine Dichtkunst getragen, mir eigentümlich zugehören. Diejenigen großen Leute, die alles, was sie schreiben, aus ihrem eigenen fruchtbaren Geiste hernehmen, und keinem Lehrmeister etwas zu verdanken haben, mögen auf ihre Schriften stolz werden. Sie haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht streitig machen kann. Sie sind so glücklich, dasjenige in sich selbst zu finden, was Leute von meiner Gattung, nach Art ämsiger Bienen, erst auf fremden Fluren, mit vieler Mühe, zusammen suchen müssen! Ihr unerschöpflicher Witz vertritt bey ihnen die Stelle großer Büchersäle, und einer langweiligen Belesenheit. Daher können sie ungescheut diejenigen Opfer sich selbst anzünden, die wir andern, unsern Vorgängern und Lehrern zu bringen pflegen. Was ist billiger, als daß ein jeder diejenige Quelle krönet, daraus er geschöpfet hat! Und ich bin versichert, daß niemand von diesen großen Geistern mir das Bekenntniß misgönnen wird, das ich schon in der Vorrede der ersten Ausgabe gethan habe: daß ich nämlich alles, was etwann in meiner critischen Dichtkunst Gutes enthalten seyn würde, nicht mir selbst, sondern den größten Critikverständigen alter und neuer Zeiten zu verdanken hätte. Ich erzählte nämlich daselbst gleichsam meinen poetischen Lebenslauf, rühmte diejenigen, aus deren Einsicht ich meinen größten Vortheil gezogen, und durch deren Schriften und mündliche Unterredungen, mir gleichsam die Augen zuerst aufgegangen wären. Und durch das alles war ich bemüht, meinen Lesern zu zeigen, wie ich allmählich auf den Vorsatz gebracht worden, eine critische Dichtkunst zu schreiben.

Dieses alles nun zu erwähnen, hatte ich dazumal die größte Ursache, indem ich als ein angehender Scribent noch in dem Ansehen nicht stund, welches meinen Regeln ein Gewichte geben, und meinem Buche, durch mich selbst, eine gute Aufnahme hätte versprechen können. Wie nöthig aber dieses bey allen sey, die sich zu öffentlichen Lehrern aufwerfen wollen, das sah ich nicht nur damals ein; sondern ich erkenne es noch diese Stunde. Wem ist es unbekannt, wie wenige Leser in diesem Falle unparteyisch sind, und bloß auf die Gründe, die jemand anführet, zu sehen pflegen? Und wenn ich gleich itzo die weitläuftige Erzählung weglasse, dadurch ich dazumal meinen critischen Regeln einigen Glauben zu erwerben suchte: so geschieht es keinesweges aus der Ursache, als ob ich mein eigenes Ansehen itzo schon für zulänglich hielte, meine Vorschriften und Urtheile zu bestätigen. Nein, ich erkenne es gar zu wohl, wie viel mir daran fehlet: und wenn bey vielen die von mir angegebenen Gründe nicht zulangen sollten, die vorgetragenen Lehren zu rechtfertigen; so muß ich von neuem, zu denen fliehen, die meine Vorgänger und Lehrmeister in der critischen Dichtkunst gewesen. Ich trage also auch bey dieser neuen Auflage kein Bedenken, zu gestehen, daß ich alle meine critischen Regeln und Beurtheilungen, alter und neuer Gedichte, nicht aus meinem Gehirne ersonnen; sondern von den größten Meistern und Kennern der Dichtkunst erlernet habe. Aristoteles, Horaz, Longin, Scaliger, Boileau, Bossü, Dacier, Perrault, Bouhours, Fenelon, St. Evremond, Fontenelle, la Motte, Corneille, Racine, Des Callieres und Füretiere; ja endlich noch Schaftesbury, Addison, Steele, Castelvetro, Muralt und Voltaire, diese alle, sage ich, waren diejenigen Kunstrichter, die mich unterwiesen und mich einigermaßen fähig gemacht hatten, ein solches Werk zu unternehmen.

Daß dieses mein Geständniß aufrichtig gewesen sey, das haben alle Blätter meines Buches sattsam darthun können: und ich habe darinnen auch selbst das Urtheil der Widriggesinnten für mich anzuführen, die mir gar einen Vorwurf daraus gemacht haben. Sie haben mich beschuldiget: ich hätte nur die Franzosen ausgeschrieben: und wäre nicht einmal über die rechten gekommen. Ich danke zuförderst diesen gelehrten Scribenten, für ein solch öffentliches Zeugniß: ob sie es wohl ohne große Scharfsinnigkeit haben ablegen können; nachdem ich selbst alle obige Schriftsteller alter und neuer Zeiten namhaft gemacht, und alles, was in meinem Buche gut war, ihnen zugeeignet hatte. Ich habe es schon oben erwähnet, daß ich so glücklich nicht bin, als gewisse große Geister, die ohne ihre Vorgänger in Künsten und Wissenschaften gelesen zu haben, dennoch ihrem Vaterlande lauter Meisterstücke vorlegen können. Und in dieser Empfindung meiner eigenen Schwäche beneide ich an Ihnen, alle die neuen Einfälle und Entdeckungen, womit sie die Critik schon bereichert haben.

Was aber das verhaßte Wort, ausschreiben, anlangt, dessen sich diese scharfsinnige Kunstrichter, nach der ihnen zukommenden dictatorischen Macht auf dem Parnasse, zu bedienen beliebet: so überlasse ich es zwar der Beurtheilung meiner Leser. Diese mögen es entscheiden, ob es nicht ein wenig zu hart sey; zumal von Leuten, die selbst noch nichts als etliche zusammen geraffte Noten und ein halb Schock Uebersetzungen gewisser Stellen haben drucken lassen. Doch gesetzt, sie behielten recht; so würde ich doch vor ihrem Machtspruche so wenig erschrecken, daß ich ihnen vielmehr mit dem berühmten Rollin, aus seiner Vorrede zur alten Historie, antworten würde: POUR EMBELLIR ENRICHIR MON LIVRE, JE DECLARE, QUE JE NE ME FAIS POINT UN SCRUPULE, NI UNE HONTE DE PILLER PAR TOUT, SOUVENT MÊME SANS CITER LES AUTEURS QUE JE COPIE, PARCE QUE QUELQUEFOIS JE ME DONNE LA LIBERTÉ D'Y FAIRE QUELQUES CHANGEMENS.JE PROFITE AUTANT QUE JE PUIS DES SOLIDES REFLEXIONS QUE L'ON TROUVE DANS – – JE TIRE AUSSI DE GRANDS SECOURS DE – – IL EN SERA AINSI DE TOUT CE QUI ME TOMBERA SOUS LA MAIN, DONT JE FERAI TOUT L'USAGE, QUI POURRA CONVENIR À LA COMPOSITION DE MON LIVRE, CONTRIBUER À SA PERFECTION.

Wollen sie wissen, wie ich diese meine Freyheit verantworten wolle, so werde ich ihnen, mit folgenden Worten eben dieses großen Mannes, die Erklärung geben: JE SENS BIEN QU'IL-Y A MOINS DE GLOIRE À PROFITER AINSI DU TRAVAIL D'AUTRUI, QUE C'EST EN QUELQUE FORTE RENONCER À LA QUALITÉ D'AUTEUR: MAIS JE N'EN SUIS PAS FORT JALOUX SEROIS FORT CONTENT, ME TIENDROIS TRÉS-HEUREUX, SI JE POUVOIS ÊTRE UN BON COMPILATEUR, FOURNIR UN LIVRE PASSABLE À MES LECTEURS, QUI NE SE METTRONT PAS BEAUCOUP EN PEINE, SI'L VIENT DE MON FONDS OU NON, POURVÛ QU'IL LEUR PLAISE.Und bey dieser Verantwortung werde ich so kühn, daß ich auch das Herz fasse, noch mehrere alte und neue Scribenten anzuführen, die ich bey dieser neuen Auflage gebrauchet habe, um mich theils in meinen alten Begriffen zu bestärken, theils aber auch dieselben noch vollkommener ins Licht zu setzen. Diese sind nun, von Italienern Riccoboni, in seiner Historie der italienischen Schaubühne; ferner das PARAGONE DELLA POESIA TRAGICA D'ITALIA CON QUELLA DI FRANCIA, eines Ungenannten, nebst der langen Einleitung des Herrn Muratori zu seinem TEATRO ITALIANO, so er 1728. in drey Octavbänden zu Verona heraus gegeben. Von Franzosen sind mir P. Rapin in seinen REFLEXIONS SUR LA POETIQUE, und in den COMPARAISONS DES GRANDS HOMMES; der Pater Brümois in seinem THEATRE DES GRECS; des Abts Hedelin von Aubignac PRATIQUE DU THEATRE, die uns der gelehrte Herr von Steinwehr neulich so geschickt ins Deutsche übersetzet hat; und des Herrn REMOND DE ST. MARD REFLEXIONS SUR LA POESIE EN GENERAL, SUR LES AUTRES PETITS POEMES, in meiner Arbeit behülflich gewesen. Von Engländern habe ich den Tractat eines Unbekannten THE TASTE OF THE TOWN IN ALL PUBLICK DIVERSIONS; ferner des Herrn Ramseys TRAVELS OF CYRUS, und des Herrn POPE ESSAY OF CRITICISM, nebst seiner LITTERARY CORRESPONDENCE fleißig zu Rathe gezogen, und beständig vor Augen gehabt. Ja auch von Alten habe ich mir aus des Plato Buche von der Republik, auch aus dem Cicero, Quintilian und Seneca so manches; von neuern Kunstrichtern aber den Casaubonus DE POESI SATYRICA, des Heinsius Buch DE TRAGOEDIAE CONSTITUTIONE, den Isaac Vossius DE POEMATUM CANTU ET VIRIBUS RHYTHMI; des Seb. Regulus Erklärung über das I.B. der Aeneis, nebst Rappolts POETICA ARISTOTELICA, zu Nutze gemacht. Und hiermit lege ich also allen, die gern Machtsprüche von Büchern fällen, ohne sie gelesen zu haben, nochmals das spottleichte Urtheil in den Mund: er hat ausgeschrieben!

Ob ich aber bey diesem meinem Ausschreiben, wie es ferner heißt, über die unrechten Bücher gerathen; das ist gleichfalls eine Sache, die ich lediglich dem Urtheile meiner Leser und allen Verständigen überlasse. Es kann seyn, daß der tiefsinnige Richter, der mir dergestalt den Stab gebrochen, hierinn eine bessere Einsicht hat, als wir andern unwissenden Leute. Es kann seyn, daß er die Schriften der Ausländer nach einem andern Probiersteine beurtheilet; nach welchem er dasjenige schlecht findet, was ich mit so vielen andern hochschätze. Allein, so lange er unserer Einfalt mit seiner Weisheit nicht unter die Arme greift; so lange er uns die wahren Kennzeichen guter Scribenten nicht bekannt macht: so kann er es von uns nicht begehren, daß wir alles so genau treffen sollten, als er es zu treffen gewohnt ist; und wir ersuchen ihn indessen um nichts mehr, als mit unsrer Schwachheit ein Mitleiden zu haben. Vielleicht werden wir es mit der Zeit auch noch einsehen lernen, wenn wir nur, unsrer natürlichen Trägheit wegen, so weit kommen können, als er schon gekommen ist.

Ich war anfangs Willens, aus meiner ersten Vorrede die Rechtfertigung des Titels, den ich meinen Buche gegeben, da ich es eine critische Dichtkunst genennet, und da ich behaupte, daß das Wesen der Dichtkunst in der Nachahmung bestünde, bey dieser neuen Ausgabe zu wiederholen. Allein bey reiferer Ueberlegung halte ich es für überflüssig. Das Critisiren ist seit einigen Jahren schon gewöhnlicher in Deutschland geworden, als es vorhin gewesen: und dadurch ist auch der wahre Begriff davon schon bekannter geworden. Auch junge Leute wissens nunmehro schon, daß ein Criticus oder Kunstrichter nicht nur mit Worten, sondern auch mit Gedanken; nicht nur mit Sylben und Buchstaben, sondern auch mit den Regeln ganzer Künste und Kunstwerke zu thun hat. Man begreift es schon, daß ein solcher Criticus ein Philosoph seyn, und etwas mehr verstehen müsse, als ein Buchstäbler; der nur verschiedene Lesarten, oder besser zu sagen, die Schreib- und Druckfehler sammlen; oder sonst aus einem ANTIBARBARO die lateinischen Wörter herzählen kann, die nur in den schlechtesten Scribenten der Römer vorkommen. Man hat auch schon ziemlich aufgehört, alle Reimschmiede für Poeten anzusehen, und weis hin und wieder von dem Inhalte der Gedichte mit ziemlicher Einsicht zu urtheilen. Ich will also lieber noch mit wenigem melden, was in dieser neuen Auflage sonderlich verändert oder verbessert worden.

Zuförderst habe ich des Horaz ARTEM POETICAM, in der Grundsprache zu meiner Uebersetzung drucken lassen: damit man bey meinem, hier und da noch sehr unvollkommenen Ausdrucke seiner Gedanken, die Zuflucht zu dem Grundtexte selbst nehmen könnte. Ohngeachtet ich nun meine Uebersetzung nochmals übersehen und zu verbessern gesucht: so ist mir doch eine Stelle entwischet, die einer Ausbesserung nöthig gehabt hätte; und die mir von einem werthen Freunde und großen Kenner des Alterthums angemerket worden. Es steht selbige bald forne, und heißt im Lateinischen

AEMILIUM CIRCA LUDUM FABER IMUS ET VNGUES

EXPRIMET ETC.

Hier sind die Worte AEMILIUM CIRCA LUDUM, nicht recht ausgedrückt, und sollten heißen:

Beym Fechterplatz Aemils läßt man sich Bilder gießen.

Was sonst fast in allen Hauptstücken für Veränderungen und Zusätze hinzugekommen, das will ich hier nicht nach der Länge erwähnen. Ich habe die Schreibart des ganzen Buches durch und durch verbessert, und so viel, als möglich, in einen untadelichen Stand gesetzt. Viele dunkle Stellen habe ich deutlicher gemacht, viele, die eines ausführlichern Vortrages bedurften, erläutert; viele Zeugnisse und Exempel aus den besten Scribenten angeführt; auch im andern Theile einige neue Stücke von meiner Arbeit, sonderlich in den Capiteln von Oden, Schäfergedichten und Elegien hinzugesetzt. In dem Capitel von Cantaten und von Opern, sind sonderlich ganz neue Absätze hinzugekommen, dasjenige, was ich vorhin nicht völlig ausgeführet hatte, mehr ins Licht zu setzen. In dem Capitel von Sinn- und Scherzgedichten ist eine kurze Abhandlung von Devisen und Sinnbildern eingerücket worden; auch in den übrigen Capiteln ist mancher, obwohl kleiner Zusatz, hin und wieder eingeflossen. Endlich habe ich auch in dem I. Th. in dem XII. Capitel von der poetischen Schreibart gewissen Einwürfen, die man mir wegen der Eintheilung der guten Schreibart neulich gemacht, ein Gnügen zu thun gesucht.

Was noch sonsten von Seiten des Verlegers bey dieser Auflage gutes geleistet worden, das wird dem geneigten Leser der Augenschein geben. Die Schrift ist neu, und weit sauberer, als vorhin. Das Papier ist stark und von ansehnlicher Größe. Auch an Zierrathen hat man es an bequemen Orten nicht fehlen lassen. Ja über das alles ist auch ein nützliches und vollständiges Register beygefüget worden. Durch alle diese Aenderungen nun ist das ganze Buch über zwey Alphabethe stark geworden, da sich vorhin alles in allem nur auf 40. Bogen belaufen hat.

Nun weis ich wohl, daß viele es sehr ungern sehen, wenn neue und vermehrte Ausgaben von Büchern, die sie schon besitzen, herauskommen. Allein zu geschweigen, daß niemand ein Recht hat, einem Schriftsteller die Ausbesserung seiner Arbeit zu verwehren; da ja ein Tag den andern lehret, und derjenige noch gebohren werden soll, der gleich auf einmal ein Meisterstück zu Stande bringen kann: so versichre ich dennoch, daß, in den wesentlichen Stücken, diese neue Auflage vor der erstern keinen Vorzug hat. Es sind hier noch eben die Grundsätze und Regeln anzutreffen, die in jener enthalten waren. Es ist nichts weggeblieben oder widerrufen worden, was von der geringsten Erheblichkeit zu seyn scheinen könnte. Folglich können diejenigen, welche die erste Auflage besitzen, sich derselben so ruhig bedienen, als ob gar keine neuere herausgekommen wäre.

Was endlich, aller angewandten Sorgfalt ungeachtet, dennoch für Druckfehler mit untergelaufen, das wird der geneigte Leser, gütigst zu verbessern belieben und dem Verfasser ferner zugethan und gewogen bleiben.

Neue Vorrede

zur dritten Auflage von 1742.

Mein Vergnügen, das ich bey der andern Ausgabe dieses Buches, vor vier bis fünf Jahren bezeuget habe, hat sich billig bey dieser dritten verdoppeln müssen. Die wiederholten zahlreichen Abdrücke desselben, haben sich in der halben Zeit verkaufen lassen, darinn die erste Auflage von 1729. abgegangen war; und mir also einen doppeltstarken Beweis, von der guten Aufnahme dieser poetischen Anweisung an die Hand gegeben. Wollte ich mich nun den angenehmen Empfindungen eines Schriftstellers überlassen, womit ihn die Eigenliebe bey solchen Vorfällen erfüllen kann; so hätte ich hier die schönste Gelegenheit dazu. Wenn andre, deren Bücher Ladenhüter bleiben, auf den verderbten Geschmack unsrer Landes-Leute schmählen: so dörfte ich nur auf den öffentlichen Beyfall der Käufer und Leser meiner Dichtkunst trotzen; und daraus entweder den gereinigten Geschmack der deutschen Nation, oder doch den Beweis herleiten, daß mein Buch nicht ohne Nutzen gewesen seyn müsse. So gerecht aber hierinnen meine Folgerungen vielleicht seyn würden, so will ich sie doch nicht selber machen, sondern es lieber der unparteyischen Nachwelt überlassen, ein freyes Urtheil davon zu fällen; welches weder ein Freund, der mir eine Vorrede dazu machte, noch ein Feind, dem das Glück meines Buchs ein Dorn in den Augen wäre, mit solchem Nachdrucke abfassen könnte.

Ich übergehe also diese schmeichelhafte Betrachtung billig mit Stillschweigen; und rechne es mir mit größerm Rechte für eine Ehre an, daß ich in dem Vorsatze, eine Critische Dichtkunst zu schreiben, seit einiger Zeit einen Nachfolger bekommen habe. Ein gelehrter Mann und Kunstrichter in Zürich hat sich die Mühe genommen, diejenige Bahn, die ich nunmehr vor dreyzehn Jahren, als ein junger Schriftsteller zuerst gebrochen, auch zu betreten, und ein doppelt stärkeres und folglich theureres Buch, als dieses meinige ist, von der Dichtkunst ans Licht zu stellen. Und was das angenehmste bey der ganzen Sache ist, so hat dieser tiefsinnige Mann, seiner gelehrten Waare keinen bessern und reizendern Titel geben zu können geglaubet, als wenn er ihn meinem Buche abborgete, und das seinige gleichfalls eine Critische Dichtkunst betitelte.

Ich weis wohl, daß es eigensinnige Köpfe giebt, die sich einbilden, ein Schriftsteller, der sich einmal gewisser Wörter bemächtiget hat, seiner Schrift einen Namen zu geben, der habe sich dadurch, nach dem Rechte der Natur, das Recht des Eigenthums darauf erworben, und sey nunmehro befugt, alle andre von dem Gebrauche derselben auszuschließen. Noch andre glauben mit dem scharfsinnigen Bäyle, und nach dem Beyspiele gewisser Schriftsteller voriger Zeiten: es sey eine Beschimpfung für den Urheber eines Buches, wenn sich bald darauf ein andrer über dieselbige Materie hermacht, und in einerley Absichten die Feder ansetzet. Denn, sagen sie, glaubte dieser neue Schriftsteller, daß sein Vorgänger seine Pflicht recht erfüllet, und sein Vorhaben zulänglich ausgeführet hätte: so würde er sich gewiß nicht zum andernmale daran gemachet haben. Eine Ilias nach dem Homer zu schreiben, das heißt also, nach der Meynung dieser Richter, eben so viel, als diesen Dichter mit seiner Arbeit verwerfen, und ihm auf eine verdeckte Art in die Augen sagen, daß sein Werck nichts tauge, und noch einmal ausgearbeitet werden müsse.

Allein so wahrscheinlich auch immermehr diese Schlüsse zu seyn scheinen mögen: so kann ich mich doch denenselben nicht ergeben. Ich sehe es gar zu deutlich ein, daß man mir durch solche Einstreuungen die Freude versalzen will, die ich über einen critischen Nachfolger von solcher Wichtigkeit, billig empfunden habe. Ohne Ruhm zu melden, bin ich der erste gewesen, der unserer Nation eine Critische Dichtkunst zu liefern das Herz, oder die Verwegenheit gehabt. Hätte ich nun darinn, nach dem Urtheile der Kenner, eine unnöthige Mühe übernommen; und wären andre aufgestanden, welche die Poesie von dem Joche der Beurtheilungskunst zu befreyen unternommen hätten: so wäre dieses unstreitig eine Kränkung für mich gewesen, zumal, wenn diese gar einen größern Beyfall bekommen, und das Andenken aller Critik gleichsam verhaßt und ehrlos gemachet hätten. Allein dieses harte Schicksal hat mich, zu allem Glücke, nicht betroffen. Die gelehrtesten Männer in Zürich bestärken durch ihren Beyfall mein Urtheil, daß es nöthig sey, eine Dichtkunst critisch einzurichten: ja, was das meiste ist, sie folgen meinem Exempel selber nach, und führen etwas von demjenigen, nach ihrer Art, weitläuftiger aus, was ich mit so gutem Grunde und Beyfalle angefangen hatte.

Bey dieser Vorstellung nun rühren mich die vorigen Einwürfe gar nicht. Der Gebrauch der Wörter ist ja von der Art derjenigen Dinge, die in dem Rechte der Natur, nach Art der Luft, des Sonnenlichtes und des Wassers großer Flüsse, bey allem Gebrauche derselben, unerschöpflich sind, und also allen gemein bleiben müssen. Warum sollte also nicht ein Schriftsteller das Recht haben, sein Kind zu taufen, wie er will, wenn gleich ein anderer dem Seinigen eben den Namen gegeben hat? Warum sollte dasjenige in Zürich niemanden frey stehen, was mir in Leipzig freygestanden hat? Oder, warum sollte ich böse werden, daß ein andrer meine Erfindung auf die kräftigste Art, die nur erdacht werden kann, gebilliget hat?

Der andre Einwurf scheint noch gefährlicher zu seyn, ist es aber in der That nicht; wenn man nur die Sache in genauere Betrachtung zieht. Es kömmt bey den Büchern nicht nur auf ihren Titel, sondern auch auf den Inhalt an. So gleichlautend oft jener auf zweyen Werken ist, so ungleich kann doch dieser letztere seyn; und ich darf mich, ohne stolz zu thun, nur auf die zürcher, und leipziger critische Dichtkunst beruffen. Der Inhalt unsrer Bücher ist in den allermeisten Stücken und Capiteln so weit von einander unterschieden, daß man sie schwerlich für einerley Buch halten wird, wenn man sie nur ein wenig betrachten will. Z.E. Da ich in meiner Dichtkunst, nach der allgemeinen Abhandlung des Zubehörs zur Poesie, von allen üblichen Arten der Gedichte gehandelt, und einer jeden ihre eignen Regeln vorgeschrieben habe; dadurch Anfänger in den Stand gesetzt werden, sie auf untadeliche Art zu verfertigen; Liebhaber hingegen, dieselben richtig zu beurtheilen: so hält die zürcherische Dichtkunst nichts von dem allen in sich. Man wird daraus weder eine Ode, noch eine Cantate; weder ein Schäfergedichte, noch eine Elegie; weder ein poetisches Schreiben, noch eine Satire; weder ein Sinngedicht, noch ein Lobgedicht; weder eine Epopee, noch ein Trauerspiel; weder eine Comödie noch eine Oper machen lernen. Alles dieses steht in der zürcher Dichtkunst nicht: es sey nun, weil etwa in allen diesen Stücken die Critik nichts zu sagen hat; oder weil man ein Poet seyn kann, ohne eins von allen diesen Stücken zu verfertigen. Wer also dieselbe in der Absicht kaufen wollte, diese Arten der Gedichte daraus abfassen zu lernen, der würde sich sehr betrügen, und sein Geld hernach zu spät bereuen.

Ich weis gewiß, daß viele hier voller Verwunderung fragen werden: was denn nun endlich in einer Dichtkunst von zween starken Octavbänden stehen könne, wenn es an den wesentlichsten Theilen eines solchen Buches fehlet? Allein diese Frage wird mir gewiß niemand machen, als der sich nicht besinnet, daß der Urheber derselben einer von den bekannten Zürcher Malern sey, welche vor zwanzig Jahren, in ihren sogenannten Discursen, die Sitten ihrer Stadt abgeschildert haben. Hat nun Herr von Fontenelle richtig geurtheilet, daß jedermann die Welt mit solchen Augen ansehe, die sich zu seinen Absichten schicken; der Held z.E. für einen schönen Platz, Menschen zu erwürgen; der Gärtner für einen bequemen Raum, Gärten zu pflanzen; der Verliebte, für eine gute Gegend zu buhlerischen Abentheuern u.s.w. was war wohl von unserm Maler anders zu vermuthen, als daß er die ganze Dichtkunst in eine Kunst zu Malen, verwandeln, und von lauter poetischen Malereyen, und denen dazu nöthigen Farben handeln würde? Fällt nun dabey jemanden die nützliche Regel ein, die obgedachten Zürcher Malern, von einem Kunstverständigen aus Hamburg, in einem schönen Sinngedichte gegeben worden, das im III. B. der Poesie der Niedersachsen, auf der 250sten S. steht; und verlangt er von mir zu wissen, ob sie in diesem Buche besser beobachtet worden, als in jenen sittlichen Malereyen? so muß ich ihm aus Höflichkeit die Antwort so lange schuldig bleiben, bis wir in Leipzig die zürcherische Bergsprache besser werden gelernet haben.

Wie also, damit ich wieder auf meinen Zweck komme, die Ilias Homers, durch die neuere Ilias desjenigen Dichters nicht um ihren Werth gebracht worden; der sich vorgenommen hatte, den ganzen trojanischen Krieg zu besingen, und tausend schöne Sachen nachzuholen, die sein Vorgänger übergangen hatte; indem vielmehr diese vermeynte größere Ilias, vom Aristoteles, in Ansehung der homerischen, die kleine Ilias genennet worden: also könnte es leicht kommen (doch ohne mich auf einige Weise mit dem Homer zu vergleichen, als mit dessen Werke mein Buch gar keine Aehnlichkeit hat) daß auch die zürcherische Dichtkunst, so stark sie ihrer Größe und Absicht nach ist, dennoch bey dem Mangel so vieler nöthigen Hauptstücke, von allen üblichen Arten der Gedichte, gegen die meinige zu rechnen, bey der Nachwelt, nur eine kleine Dichtkunst genennet würde.

Ich habe mich bisher mit Fleiß nur immer auf Zürich, und nicht auf die ganze Schweiz bezogen; ganz anders, als bisher von vielen unsrer misvergnügten Schriftsteller geschehen; die insgemein die Schuld von ein paar Kunstrichtern, der ganzen löblichen Eidgenossenschaft auf den Hals gewälzet haben. Und gesetzt, ich wäre selbst bisher, auch wohl in dieser neuen Auflage meiner Dichtkunst, in dieses Versehen gefallen: so will ich doch hiermit selbiges allen andern Einwohnern dieses ansehnlichen Landes abgebethen haben; seit dem ich von etlichen wackern und gelehrten Männern, aus benachbarten Cantons, belehret und versichert worden: daß die ganze Schweiz den zürcherischen Kunstrichtern in ihren Lehrsätzen und Urtheilen eben nicht beypflichte, vielweniger dieselben dazu bevollmächtiget habe, allem deutschen Witze Hohn zu sprechen. Ich will doch, weil man mir in Zürich das Exempel dazu gegeben hat, einmal auch als ein Mathanasius thun, und Stellen aus ein paar Briefen anführen, die ich deswegen, nur vor kurzem, und in währendem Drucke dieses Buches, erhalten habe.

Der erste vom 1. des Wintermonats hat folgendes:

Wir haben hier mit Freuden und Vergnügen gesehen, daß B – – und Br – – – hin und her in Deutschland nach Verdienen hergenommen werden. Der Hochmuth und die Einbildung dieser Leute ist unerträglich. Es ist sich aber nicht zu verwundern: die Herren von Zürich haben große Einbildung, weilen sie in dem ersten Canton der Schweiz gebohren sind. Es ist unglaublich, wie groß die Einbildung der Herren von Zürich wegen diesem Vorsitz ist, der doch nichts zu bedeuten hat. Ich versichere sie aber, daß Zürich von allen vernünftigen Schweizern als das helvetische Siberien, in welchem große Wörter- und Sprachmänner entstanden, da aber Witz und Verstand wenig Platz finden, angesehen wird. Die Sitten, die Sprache, die Lebensart, die Kleidung der Züricher ist von der unsern so unterschieden, daß man glauben sollte, sie wären mehr denn hundert Meilen von uns entfernet. Das ist gewiß, daß sie arbeitsame Leute, aber in geist- und vernünftigen Sitten, werden sie noch lange Zeit grobe Schweitzer bleiben.

Das andere Schreiben ist vom 3ten desselben Monats, und darinn drücket man sich so aus.

Wir nehmen an dem Kriege, den unsere Landsleute von Zürich wider die ganze deutsche Nation vorgenommen haben, kein Theil. Fertiget man sie ferner ab, wie es in einem periodischen Werke zu Leipzig erst vor kurzem geschehen ist, so wird ihnen die Lust vergehen. Wir wünschen unsern Landsleuten mehrere Liebe zum Frieden und zum natürlichen; so werden sie von Deutschland ablassen, und mit Miltons Liebhabern anbinden.

Nach solchen feyerlichen und einstimmigen Erklärungen zweener berühmten schweizerischen Gelehrten, habe ich meinem Gewissen nach, nicht anders gekonnt, als daß ich, an statt der allgemeinen Benennung die besondere erwählet; werde es auch künftig allemal so halten, wenn man mich nöthigen sollte, wider meine Neigung, meine Feder zu critischen Streitschriften zu ergreifen.

Kürzlich noch etwas von den Vorzügen dieser neuen Ausgabe zu erinnern, muß ich dem geneigten Leser folgendes melden. Zuförderst habe ich in diesem Buche vom Anfange bis zum Ende, die Schreibart nochmals mit der größten Sorgfalt und Aufmerksamkeit ausgebessert; als worinn man immer, nach Verfließung einiger Zeit, kleine Unachtsamkeiten entdecket, die man gleich anfangs nicht wahrgenommen. Zweytens habe ich auch in den Regeln und Vorschriften, zu mehrerer Erläuterung und Bestärkung derselben, noch manches beygefügt, das in den vorigen Ausgaben nicht gestanden; auch hin und wieder manchen Scribenten angeführt, worinn dasjenige mit mehrerm nachgelesen werden kann, was ich nur kurz hatte anführen können. Drittens habe ich auch an verschiedenen Orten, denen Einwürfen begegnen müssen, die man in öffentlichen critischen Schriften, zumal aus Zürich her, dagegen gemacht: doch habe ich mich sowohl der Namen meiner Gegner, als aller Anzüglichkeiten billig enthalten; als welche nichts zur Sache thun, und vielmehr einen Uebelstand machen würden. Habe ich aber, was den miltonischen Geschmack betrifft, den man uns, nach Verbannung des marinischen, mit Gewalt aufdringen will, mich bisweilen, von der Sache selbst harter Redensarten bedienet: so bedenke man, daß der Eifer wider ein besorgliches Uebel, welches den bisherigen Glanz unsrer Muttersprache und freyen Künste bald wieder verdunkeln könnte, uns leicht zuweilen einnehmen, und solche Ausdrückungen in den Mund legen kann, die man sonst ungern gebrauchen würde.

Endlich so ist das Wichtigste, und wodurch diese Ausgabe unfehlbar einen großen Vorzug vor allen vorigen erhalten wird, dieses: daß ich nicht nur im ersten Theile dieses Buches, mehr Exempel aus guten und schlechten Dichtern angeführet; sondern auch im andern Theile, bey allen Capiteln, wo vorhin Exempel von meiner eigenen Arbeit stunden, lauter Meisterstücke von unsern besten Dichtern eingeschaltet habe. Ich habe aber dieselben mit gutem Bedachte nicht eben aus den neuesten, die ohnedem in aller Händen sind, und die auch ohne mein Zuthun gelesen werden; sondern aus den altern, als Opitzen, Flemmingen, Dachen, Racheln, Neukirchen u.d.m. die nicht ein jeder hat, oder lieset, hergenommen. Ich will aber dadurch, daß ich sie zu Mustern anführe, nicht eben alle kleine Fehler der Wortfügung, des Sylbenmaaßes und der Reime billigen; die man noch hin und her, als Ueberbleibsel des vorigen Jahrhunderts anmerken wird. Nein, ich will nur den gesunden und männlichen Geschmack dieser Helden in unsrer Sprache und Dichtkunst anpreisen, und bekannter machen; um wo möglich, der neuen Sucht, gekünstelt, versteckt und unergründlich zu schreiben, die sich hin und her reget, zu steuren. Erlange ich dieses, so wird mich auch in diesem Stücke mein gefaßter Entschluß niemals gereuen.

Geschr. im Jenner 1742.

Gottsched.

Horaz von der Dichtkunst, übersetzt und mit Anmerkungen erläutert.

Vorbericht.

Ich habe es für dienlich erachtet, an statt einer Einleitung zu meiner deutschen Poesie, das treffliche Gedichte des Horaz zu übersetzen, worinnen dieser große Kenner und Meister der Poesie von der Dichtkunst gehandelt hat: ohngeachtet es eigentlich nur in Form eines Schreibens an ein vornehmes Geschlecht der Pisonen abgefasset ist.

Die Menge schlimmer Poeten mochte zu dieses Dichters Zeiten in Rom noch sehr groß seyn. Siehe den 108 v. des I Br. II B. Ein jeder, der nicht faul war, stümpelte etwas zusammen, das zwar ein ziemlich richtiges Sylbenmaaß hatte; aber weder durch seinen sinnreichen und feurigen Inhalt von dem Geiste, noch durch die ordentliche Einrichtung von dem Urtheile, noch endlich durch die regelmäßige Schreibart von der Kunst seines Meisters ein Zeugniß ablegte. Gleichwohl wollten alle diese Versmacher Poeten heißen: ja einige davon, die durch ihre Geschwindigkeit im Dichten, und durch den Beyfall des Pöbels verleitet waren, unterstunden sich gar, den großen Geistern, die sich dazumal am römischen Hofe aufhielten, den Preis streitig zu machen. Die Schriften unsers Horaz zeigen an hundert Stellen unzählige Spuren davon: und sogar Virgil, so wenig er sonst zur Satire geneigt war, hat sich nicht enthalten können, auf einen Bav und Mäv, als auf ein paar eingebildete Poeten, zu sticheln.

Horaz, einer der aufgeklärtesten Köpfe seiner Zeit, konnte aus einem gerechten Eifer für den guten Geschmack, den Stolz solcher Stümper nicht leiden: zumal, da er sehen mußte, daß der große Haufe seiner Mitbürger von diesen unzeitigen Sylbenhenkern ganz eingenommen war. Denn die Römer waren auch zu Augusts Zeiten lange so gescheidt noch nicht, als vormals die Athenienser in Griechenland gewesen waren. Die freyen Künste hatten in Italien spät zu blühen angefangen, und der gute Geschmack war damals noch lange nicht allgemein geworden. MANENTQUE ADHUC VESTIGIA RURIS, hieß es auch in diesem Stücke. Nach Regeln von Dingen zu urtheilen, das ist ohnedieß kein Werk für unstudirte Leute, ja nicht einmal für Halbgelehrte: und daher kam es, daß Horaz theils seinen Römern eine Anleitung geben wollte, wie sie die Schriften ihrer Poeten recht prüfen könnten; theils auch der großen Anzahl der damaligen Versmacher die Augen zu öffnen suchte, damit sie nicht ferner, aus blinder Eigenliebe, ihre Misgeburten für Meisterstücke ausgeben möchten.

In dieser Absicht nun trug er aus den griechischen Scribenten, die vor ihm davon geschrieben hatten, die vornehmsten Hauptregeln zusammen, und verfertigte ein herrliches Gedichte daraus. Er richtete solches an die Pisonen, das ist an den Vater Piso, der mit dem Drusus Libo im 738sten Jahre der Stadt Rom, als Horaz Jahre alt war, Bürgermeister geworden; und an dessen beyde Söhne. Dieser Piso war ein Liebhaber und großer Kenner der Poesie, und sein ältester Sohn mochte selbst viel Lust und Naturell dazu haben, wie aus dem Gedichte sattsam erhellen wird. Solchen ansehnlichen Leuten nun, die am kaiserlichen Hofe in großen Gnaden stunden, wollte Horaz eine Richtschnur in die Hand geben, darnach sie sich in Beurtheilung aller Gedichte achten könnten: Zu gleicher Zeit aber wollte er den guten Geschmack des Hofes in ganz Rom und Italien ausbreiten; nachdem er sich selbst, durch unabläßigen Fleiß in griechischen Büchern, sonderlich durch Lesung der critischen Schriften des Aristoteles, Crito, Zeno, Democritus und Neoptolemus von Paros, in den Regeln desselben recht fest gesetzet hatte.

Indessen muß niemand denken, daß hier der Poet ein vollständiges systematisches Werk habe machen wollen. Die größten Bewunderer desselben gestehen, daß es ohne alle Ordnung geschrieben sey, ja daß es bey weitem nicht alle Regeln in sich fasse, die zur Poesie gehören. Der Verfasser hat sich an keinen Zwang einer philosophischen Einrichtung binden wollen; sondern als ein Poet nach Veranlassung seiner Einfälle, bald diese, bald jene poetische Regel in einer edlen Schreibart versweise ausgedrückt, und mit Exempeln guter und schlechter Poeten erläutert. Aber alles, was er sagt, ist höchst vernünftig, und man kann sich von seinen Vorschriften kein Haar breit entfernen, ohne zugleich von der Wahrheit, Natur und gesunden Vernunft abzuweichen. Die unordentliche Vermischung seiner Regeln dienet nur dazu, daß durch diese Mannigfaltigkeit und unvermuthete Abwechslung der Sachen, der Leser destomehr belustiget und eingenommen wird.

Es ist diese Dichtkunst des Horaz bereits von dem berühmten Herrn von Eckardt ins Deutsche übersetzt worden, und in den poetischen Nebenstunden, die er unter den Buchstaben H.A.E.G.v.D. herausgegeben, anzutreffen.1 Ob ich es nun besser oder schlechter getroffen habe, als diese gelehrten Männer, das mag der geneigte Leser selbst beurtheilen. Ich hatte die erste Uebersetzung mehr als einmal durchgelesen, als ich schlüßig ward, mich selbst einmal an eben dieselbe Arbeit zu wagen: ich bildete mir aber nicht ein, daß es mir so viel Mühe kosten würde, als ich hernach in der That gewahr wurde. Die nachdrückliche Wortfügung der lateinischen Sprache, der zuweilen abgebrochene Ausdruck des Horaz, nebst vielerley Kunstwörtern und Alterthümern, die sich so schwer deutsch geben lassen; dieses alles, sage ich, machte mir die Arbeit so sauer, daß ich sie beynahe wieder hätte liegen lassen, als ich schon den dritten Theil davon fertig hatte. Doch nach Jahresfrist griff ich sie von neuem an, und brachte endlich das ganze Gedichte in den Stand, darinn ich es hier ans Licht stelle.

Ich rühme mich nicht, daß ich es von Zeile zu Zeile, vielweniger von Wort zu Wort gegeben hätte: denn dieses ist zum theil unnöthig, theils auch, aus obenerwähnten Ursachen, unmöglich gewesen. Aus fünfhundert lateinischen Versen habe ich mich genöthiget gesehen, fast 700 deutsche zu machen; wiewohl ich die Regel stets vor Augen hatte: Ein Uebersetzer müsse kein Paraphrast oder Ausleger werden. Habe ich aber nur in hauptsächlichen Dingen nichts versehen oder geändert: so wird mans verhoffentlich so genau nicht nehmen, wenn gleich der völlige Nachdruck aller horatianischen Sylben und Buchstaben nicht erreichet worden. Ein prosaischer Uebersetzer muß es hierinn genauer nehmen: einem poetischen aber muß man, in Ansehung des Zwanges, dem er unterworfen ist, schon eine kleine Abweichung zu gute halten; wenn er nur diesen Mangel durch eine angenehme und leichtfließende Schreibart ersetzet.

Dieses ist nun eine von den vornehmsten Absichten gewesen, die ich mir in diesem Gedichte vorgesetzet habe. Ich wollte den Horaz gern so übersetzen, daß man ihn ohne Anstoß, und wo möglich, mit Vergnügen in unsrer Sprache lesen könnte. Diesen Zweck aber würde ich nicht erhalten haben, wenn ich kein Bedenken getragen hätte, die Richtigkeit unsrer deutschen Wortfügung, nebst der Reinigkeit im Sylbenmaaße und in den Reimen, aus den Augen zu setzen. Das Gehör unsrer Landesleute ist im Absehen auf diese äußerliche Stücke überaus zärtlich. Kein Mensch liest itzo mehr Lohensteins Gedichte: das macht, sie sind bey so vielen gelehrten Sachen viel zu hart und zu rauhe. Selbst Hofmannswaldau ist nicht mehr so beliebt, als er sonst gewesen: das macht, daß er von seinen Nachfolgern, auch in der Reinigkeit der Verse, weit übertroffen worden. Ja diese Zärtlichkeit geht zuweilen so weit, daß man deswegen die allerelendesten Reime, die nur etwas ungezwungen fließen, bey aller ihrer Unvernunft und Niederträchtigkeit der Gedanken, für schön; und hingegen, bey einer kleinen Härte des Ausdruckes, die schönsten Gedichte großer Meister für elend und mager ausruffet. Wie ich aber itzo denen hier nicht das Wort reden will, die in der Rauhigkeit des Ausdruckes eine Schönheit suchen; sondern ihnen immer mit dem Horaz zuruffe:

NON SATIS EST, PULCHRA ESSE POEMATA; DULCIA SUNTO!

so kann ich auch deren Geschmack nicht verwerfen, die lieber ein angenehm fließendes als ein geradebrechtes Gedichte lesen. Habe ich also nicht Ursache gehabt, mich auch vor dem Ekel der zärtlichsten Ohren zu hüten; sonderlich in einem Gedichte, daraus sie die innern Schönheiten der wahren Poesie sollen beurtheilen lernen?

Ist es mir nun darinn nach Wunsche gelungen, so trage ich keinen Zweifel, daß meine Arbeit ihren Nutzen haben werde. Es ist nicht eines jeden Werk, sich mit dem Lateine der alten Poeten so bekannt zu machen, daß er seinen Horaz ohne Mühe verstehen, geschweige denn mit Lust lesen könnte. In deutscher Sprache wird er also vielen verständlicher seyn, und auch Anfänger auf einen guten Weg weisen, die sich vielleicht sonst durch üble Anführer hätten verderben lassen. Daß es bereits vielen so gegangen sey, daran ist wohl kein Zweifel: daß aber auch viele durch Horazen von ihren Irrwegen wieder zurecht gebracht worden, das könnte ich durch mein eigen Exempel erweisen, wenn es wichtig genug wäre. Doch Herr Hofrath Neukirch wird vermuthlich Ansehens genug haben, uns zu zeigen: daß auch Leute, die bereits in ganz Deutschland für große Poeten gehalten werden, in unserer horazischen Dichtkunst noch genug zu lernen finden. Er hat solches in einem Hochzeitgedichte von sich selbst öffentlich gestanden, welches er, allem Ansehen nach, aus Berlin nach Breßlau abgeschicket hat, und woraus ich hier ein paar Stellen anführen will. Es steht in der Hofm. W. Ged. VI Th. auf der 101 S.

Er ruffet gleich anfangs die Musen um Hülfe an, weil er abermal ein Gedichte nach Schlesien zu verfertigen vorhätte; dabey er denn besorgen müßte, daß es nicht mehr so gut, als die vorigen, würde aufgenommen werden.

Ihr Musen! helft mir doch, ich soll schon wieder singen;

Und ein verliebtes Paar in deutsche Verse bringen,

Und zwar in Schlesien. Ihr kennt dieß Land und mich,

Ihr wißt auch, wenn ihr wollt, wie sonst Budorgis sich,

Zum theil an mir ergetzt. Itzt scheinen meine Lieder

Ihm, wo nicht ganz veracht, doch mehrentheils zuwider.

Die Ursache, sagt er, wäre die Aenderung, so mit seiner Poesie vorgegangen. Er habe aufgehört, seinen Vers mit Muscatellersaft und Amberkuchen zu nähren. Es sey kein Zibeth noch Bisam, kein Plautus, Tacitus, Seneca oder Plato mehr darinn zu spüren; ja er habe auch so gar die Sinnbilder gänzlich ausgemustert.

Mein Reim ist mehrentheils ganz matt und ohne Kraft:

Das macht, ich tränk ihn nicht mit Muscatellersaft,

Ich speis ihn auch nicht mehr mit theuren Amberkuchen,

Denn er ist alt genug, die Nahrung selbst zu suchen.

Zibeth und Bisam hat ihm manchen Dienst gethan:

Itzt will ich einmal sehn, was er alleine kann.

Alleine? fraget ihr: Ja, wie gesagt, alleine:

Denn was ich vormals schrieb, war weder mein, noch seine.

Hier hatte Seneca, dort Plato was gesagt,

Dort hatt ich einen Spruch dem Plautus abgejagt,

Und etwan anderswo den Tacitus bestohlen.

Auf diesen schwachen Grund, ich sag es unverholen,

Baut ich von Versen oft ein ganzes Götterhaus,

Und ziert es noch dazu mit Sinnebildern aus.

Darauf sagt er, daß ihm alle diese Putzwerke itzo ganz lächerlich vorkämen, ungeachtet sie sonst viel hundert Leser verblendet, und ihm selbst viel Ruhm gebracht hätten. Man hätte ihn gar dem großen Opitz vorgezogen, den er doch noch niemals hätte erreichen können.

Wie oftmals muß ich doch der abgeschmackten Sachen,

Wenn ich zurücke seh, noch bey mir selber lachen!

Gleichwohl gefielen sie, und nahmen durch den Schein,

So schlecht er öfters war, viel hundert Leser ein.

Ha! schrie man hier und dar: vor dem muß Opitz weichen!

Ja, dacht ich, wenn ich ihn nur erstlich könnt erreichen.

Den Willen hätt ich wohl. So wie ich es gedacht,

So ist es auch geschehn. Ich habe manche Nacht

Und manchen Tag geschwitzt: Allein ich muß gestehen,

Daß ich ihm noch umsonst versuche nachzugehen.

Endlich bricht er in den feurigen Ausdruck aus, der uns die Qvelle anzeiget, daraus diese merkliche Veränderung seines Geschmacks in der Poesie hergeflossen. Es heißt:

O grausamer Horaz! was hat dich doch bewegt,

Daß du uns so viel Last im Dichten auferlegt?

So bald ich nur dein Buch mit Witz und Ernst gelesen,

So ist mir auch nicht mehr im Schreiben wohl gewesen.

Vor kamen Wort und Reim; itzt lauf ich ihnen nach:

Vor flog ich Himmel an; itzt thu ich ganz gemach.

Ich schleiche wie ein Dachs aus dem Poetenorden,

Und bin mit großer Müh noch kaum dein Schüler worden.

Kommt, sprech ich oftermals, Gold, Marmel und Porphyr!

Nein, denk ich wiederum, flieht, fliehet weit von mir:

Ihr seyd mir viel zu theur bey diesen schweren Jahren;

Ich habe jung verschwendt, ich will im Alter sparen.

Wie viel Schüler würde nicht Horaz noch bekommen, wenn alle deutsche Poeten, die dessen bedürftig wären, dem Exempel dieses wackern Mannes folgen wollten!

Die kleinen Anmerkungen, die ich unter den Text gesetzet, werden vermuthlich nicht ohne Nutzen seyn, und in mancher Sache ein gutes Licht geben. In Versen lassen sich nicht alle Alterthümer so erklären, daß man sie sattsam verstehen könnte, wenn man von der Zeit des Scribenten fast ein paar tausend Jahre entfernet ist. Gelehrtere Leser, die derselben nicht nöthig haben, können sie nach Belieben ungelesen lassen: wie mans mit den lateinischen Noten bey alten Scribenten zu machen pflegt, wenn man darinn schon geübt ist. Ich habe meinen Zweck erreicht, wenn nur Anfänger daraus meinen Poeten etwas besser verstehen lernen.

Fußnoten

1 Auch der berühmte Herr M. Lange in Lübeck hat nach der Zeit, als die meine schon fertig und gedruckt war, eine gleiche Arbeit ans Licht gestellet, der ich ihren Werth nicht abspreche.

Horaz

Von der Dichtkunst.

Fürwahr, ein artig Bild!1 Es steht ein Menschenkopf

Auf eines Pferdes Hals. Den dicken Vogelkropf

Bedeckt ein bunter Schmuck von farbigtem Gefieder:

Hernach erblicket man verschiedner Thiere Glieder.

Von oben zeigt ein Weib ihr schönes Angesicht,

Von unten wirds ein Fisch. Ihr Freunde, lacht doch nicht!

Wir wollen mit Geduld des Malers2 Thorheit schonen.

Indessen glaubet mir, ihr trefflichen Pisonen,

Dafern mein Wort was gilt: daß eine tolle Schrift,3

Wo weder Haupt noch Schwanz geschickt zusammen trifft,

Und nicht mehr Ordnung herrscht, als wenn ein Kranker träumet,

Sich unvergleichlich wohl zu solchem Bilde reimet.

Ich weis wohl, was man glaubt. Man spricht4 und bleibt dabey:

Ein Maler und Poet folgt seiner Phantasey;

Er kann sich seiner Kunst nach eigner Lust bedienen,

Und sich durch Geist und Witz, was ihm beliebt, erkühnen.

Ganz recht, ich geb es zu,5 und mach es selber so.

Allein man mische nie das Feuer in das Stroh;

Kein Tyger zeug ein Lamm, kein Adler hecke Schlangen.

Doch manches Dichters Schrift wird prächtig angefangen,

Man schmückt sie hin und her mit Edelsteinen6 aus,

Beschreibt Dianens Häyn, Altar und Götterhaus,

Entwirft mit großer Kunst des Rheinstroms Wasserwogen,

Und malt der Farben Glanz im bunten Regenbogen.

Das alles ist schon gut:7 nur hier gehörts nicht her.

Dort stürzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer:

Gesetzt, du könntest nun Cypressenwälder schildern,

Was hilft dir diese Kunst? da sich in deinen Bildern

Der Schiffbruch zeigen soll, den jener für sein Geld,

Nach überstandner Noth, mit Fleiß bey dir bestellt.

Dein stolzer Anfang pralt von seltnen Wundersachen,8

Wie reizt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen?

Kurz, alles was du schreibst muß schlecht und einfach seyn.9

Doch, Piso, trügt uns oft des Guten falscher Schein.

Streb ich der Kürze nach; mein Vers wird dunkel klingen:

Wer leichte Sachen liebt, wird niederträchtig singen.

Wer hoch hinaus will, schwillt. Wenn jener furchtsam schreibt,

Geschieht es, daß er gar am Staube kleben bleibt.

Wer sich bemüht, ein Ding sehr vielfach vorzustellen,10

Malt leicht den Stöhr ins Holz, den Eber in die Wellen.

So leicht ist es geschehn, auch wenn man sich bemüht

Von Fehlern frey zu seyn, daß sich der Kiel versieht.

Man läßt ein Fechterspiel aus dichtem Erzte gießen:

Da hat der Stümper nun die Nägel an den Füßen

Und jedes Haar des Haupts sehr künstlich ausgedrückt:11

Die ganze Bildung nur ist plump und ungeschickt,

Weil Ordnung und Gestalt und Stellung gar nichts taugen.

Viel lieber wünsch ich mir, bey schwarzem Haar und Augen,

Ein scheußlich Angesicht und krummes Nasenbein,

Als daß ein Vers von mir, wie dieses Bild soll seyn.

Ihr Dichter, wagt doch nichts, als was ihr wohl versteht,12

Versuchts, wie weit die Kraft von euren Schultern geht,

Und überlegt es wohl: so wird nach klugem Wählen,

Den Schriften weder Kunst, noch Licht, noch Ordnung fehlen.

Mich dünkt, daß sich allda der Ordnung Schönheit zeigt,

Wenn man das Wichtigste von vorne zwar verschweigt,

Doch räthselhaft entdeckt;13 und klug im Unterscheiden14

Die schönsten Sachen wählt, die schlechten weis zu meiden.

In neuer Wörter Bau, sey kein Poet zu kühn;15

Das ältste läßt sich oft auf neue Sachen ziehn,16

Nur muß die Redensart des Schreibers Sinn erklären.

Doch, sollten Kunst und Fleiß ein neues Ding gewähren:

So stellt mans ungescheut durch einen Ausdruck dar,

Der unsern Vätern noch was unerhörtes war.

Wer dieß bescheiden thut, dem kann mans nicht verwehren,17

Zuweilen kann man auch der Wörter nicht entbehren.

Die Griechenland uns leiht.18 Was Plautus und Cäcil

Vorzeiten Macht gehabt, das kann ja auch Virgil.

Hat Ennius uns nicht manch neues Wort gelehret?

Hat Cato das Latein nicht ebenfalls vermehret,

Und manche Redensart zu Rom in Schwang gebracht?

Wie kömmts denn, daß man itzt ein solches Wesen macht,

Wenn ichs zuweilen thu? Wer hat mich hier zu schelten?

Ein neuer Ausdruck muß gleich neuen Thalern gelten.

So wie es alle Jahr belaubten Wäldern geht;

Das welke Laub fällt ab, das neue Blatt entsteht:

So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verschwindet,

Indem sich unvermerkt ein neuer Ausdruck findet.

Dem Tode sind nicht nur wir Menschen unterthan,

Sein Arm greift alles das, was menschlich heißet, an.

Hier läßt ein Julius19 den neuen Hafen bauen,

Dem sich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen,

Ein königliches Werk! Was kann Augustus20 thun?

Er trocknet Seen aus, und kann nicht eher ruhn,

Als bis wir, wo der Wind die Flaggen pflegt zu wehen,

Ein fruchtbar Ackerland und fette Wiesen sehen.

Noch mehr, er ändert gar der Tyber alten Lauf,

Und schränkt die Fluthen ein. Das allzumal hört auf!

Der größten Werke Pracht, muß endlich untergehen:

Wie könnten denn der Zeit die Sprachen widerstehen?

So manch verlegnes Wort, das längst vergessen war,

Kömmt wieder an das Licht, und stellt sich schöner dar:

Und was man itzo braucht, das wird man einst vergessen;

Kurz, Sprachen müssen sich nach der Gewohnheit messen.21

In was für Versen man der Fürsten Heldenmuth,

Der Feldherrn Tapferkeit und wilder Krieger Wuth

Geschickt besingen kann, das hat Homer gewiesen,

Als er durch sein Gedicht Achillens Zorn gepriesen.22

Die Elegie23 war sonst ein Werk der Traurigkeit,

Allein sie ward hernach zugleich der Lust geweiht.

Wer sie zuerst erdacht, das ist nicht leicht zu sagen,

Da die Gelehrten selbst, sich noch darum befragen.

Archilochus erfand das jambische Gedicht,24

Darinnen trat das Lust- und Trauerspiel ans Licht:

Es ist auch sehr geschickt Gespräche drinn zu setzen,25

Bezwingt des Volks Geräusch26 und kann das Ohr ergetzen.

Der Götter hohes Lob, der Völker Alterthum,

Berühmter Helden Preis, der Kämpfer Kranz und Ruhm,

Und was ein Jüngling thut, den Wein und liebe zwingen,

Befahl der Musen Mund27 in Oden28 abzusingen.

Wenn ich von allem nun nichts gründliches versteh,

Und mich in jeder Art der Poesie vergeh,29

Bin ich denn ein Poet? Ich bins nicht; das sey ferne!

Was stört mich denn die Scham, daß ich die Kunst nicht lerne?

Wo Lust und Anmuth herrscht, da schreibt man nicht betrübt:30

Hingegen wo Thyest31 ein blutig Gastmahl giebt,

Da wird dein Trauerspiel sehr wiedersinnisch klingen,

Dafern dein matter Reim es niedrig wird besingen.

Nicht jede Schreibart kann auf jeder Stelle stehn,32

Zuweilen darf sich auch des Lustspiels Ton33 erhöhn:

Wenn Chremes zürnt und dräut, im Herzen Galle kochet,

Und bey geschwollner Brust mit frechen Worten pochet.

Im Klagen senkt sich auch das Trauerspiel mit recht,34

Darum spricht Telephus und Peleus platt und schlecht

Ohn allen Wörterpracht;35 denn soll man mit ihm weinen,

So muß uns erst sein Schmerz ganz ungekünstelt scheinen.

Laß dein Gedichte nicht nur schön und zierlich seyn,