Vertikales Bauen in Europa - Andrea Glauser - E-Book

Vertikales Bauen in Europa E-Book

Andrea Glauser

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Beschreibung

In den letzten zwei Jahrzehnten sind weltweit so viele Hochhäuser gebaut worden wie nie zuvor. Auch in Europa, wo lange Zeit vor allem Kirchtürme und Schornsteine vertikale Akzente setzten, prägen sie vermehrt das Gesicht der Städte. Die neuere monumentale Architektur ist mit vielfältigen Versprechen, Begehrlichkeiten und Befürchtungen verknüpft. Am Beispiel von Paris, London und Wien diskutiert diese Studie, welche Vorstellungen von Urbanität dabei im Spiel sind. Sie verortet das vertikale Bauen im Spannungsfeld von globalisierten Vergleichshorizonten einerseits und städtischem Eigensinn andererseits.

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Andrea Glauser

Vertikales Bauen in Europa

Eine soziologische Analyse

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

In den letzten zwei Jahrzehnten sind weltweit so viele Hochhäuser gebaut worden wie nie zuvor. Auch in Europa, wo lange Zeit vor allem Kirchtürme und Schornsteine vertikale Akzente setzten, prägen sie vermehrt das Gesicht der Städte. Die neuere monumentale Architektur ist mit vielfältigen Versprechen, Begehrlichkeiten und Befürchtungen verknüpft. Am Beispiel von Paris, London und Wien diskutiert diese Studie, welche Vorstellungen von Urbanität dabei im Spiel sind. Sie verortet das vertikale Bauen im Spannungsfeld von globalisierten Vergleichshorizonten einerseits und städtischem Eigensinn andererseits.

Vita

Andrea Glauser vertritt derzeit die Professur für Soziologische Theorie und Allgemeine Soziologie am Soziologischen Seminar der Universität Luzern.

Inhalt

IEinleitung

1Ausgangslage, Fragestellung

2Forschungsdesign – methodischer Zugang, empirisches Material

3Aufbau der Studie

IIDiskussionslandschaft und theoretische Bezüge

1Simmels Konzept der »Raumform« als Ausgangspunkt

2Auf den Spuren städtischen Eigensinns

3Stadt, Globalisierung, Beobachtungsfelder

4Architektur als »gebaute Gesellschaft«

5Konturen sozialwissenschaftlicher Hochhausforschung

IIIVertikales Bauen zwischen globalisierten Mustern und lokaler Besonderheit – Fallstudien zu europäischen Metropolen

1Entstehungskonstellationen, Übersetzungsdynamiken

2Paris

2.1Eine Ringautobahn als Bilderrahmen

2.2»Bertrand Delanoë a plusieurs tours dans son sac«

2.3Gegenstimmen

2.4Bilder von Paris und die Fixierung auf Schönheit

2.5Omnipräsentes London und die Distanzierung von der eigenen Geschichte

3London

3.1Das Prinzip »Flickenteppich« und ein extraterritoriales, überwachtes Zentrum

3.2Vertikalisierung als tour de force – Baupraxis und Rechtfertigungen

3.3»The skyline of London is out of control.« Unbehagen in der vertikalisierten Stadt

3.4Global City, hierarchisches Stadtverständnis und die Abgrenzung vom ›Kontinent‹

4Wien

4.1Brüchige Re-Fortifizierung des Zentrums und die Donau als soziale Begrenzung

4.2»Wien wächst wieder« – Wo Hochhäuser (noch) Modernität versprechen

4.3Katz-und-Maus-Spiele mit der UNESCO – Kritik an der Wiener Baupraxis

4.4Bilder der Stadt: Wien zwischen Morbidität und wiedererlangter Zentralität

4.5Dominante Ost-West-Blickachse

IVGebrauchsformen und Symbolik des aufragenden Bautyps

1Bedeutungsproduktion vor Ort – Hochhaus und städtischer Eigensinn

2Rolle und Wahrnehmung »ikonischer« Architekten

3»Monsters of the mere market« – Hochhaus, Kapitalismus, Überbietungslogik

4Ausblick

Anhang

Literatur

Dank

IEinleitung

1Ausgangslage, Fragestellung

»Himmelsstürmer sind wieder in«, hieß es in der Neuen Zürcher Zeitung anlässlich der Ausstellung »L’invention de la tour européenne« im Pariser Pavillon de l’Arsenal (Zitzmann 2009). Nach wechselhaften Konjunkturen spielt das Hochhaus in heutigen Debatten um Urbanität, Stadtentwicklung und Architektur eine herausragende Rolle, und es prägt unübersehbar das Gesicht der Städte: In den letzten rund 15 Jahren sind weltweit so viele Hochhäuser gebaut worden wie nie zuvor (Museum für Gestaltung Zürich/Janser 2011; Matzig 2017; Wood 2010). Vor allem in Asien – und hier besonders in China sowie in der Golfregion – wachsen Metropolen rasant in die Höhe. Aber auch in Europa, wo mit Ausnahme von Frankfurt am Main Hochhäuser in Stadtzentren lange Zeit weitgehend fehlten und vor allem Kirch- und Rathaustürme sowie Schornsteine vertikale Akzente setzten, mehren sich solche Projekte. Mittlerweile formulieren sogar Kleinstädte in ländlichen Gegenden Hochhauskonzepte und ergreifen Maßnahmen zur Förderung des aufragenden Bautyps (Ackermann 2011).

Diese Hinwendung zu einer stärkeren Vertikalisierung des Stadtbildes ist jedoch umstritten und konfliktreich. Wie der Bautyp des Hochhauses in europäischen Städten eingesetzt werden kann und soll – darüber gehen die Ansichten stark auseinander. Die Hochhausdebatten drehen sich dabei meist nicht nur um einzelne Bauprojekte, sondern grundsätzlich um Fragen nach ›erstrebenswerter‹ Urbanität sowie Macht in städtischen Räumen. Das vertikale Bauen involviert Interessenkonflikte und vereint vielfältige Versprechen und Schwierigkeiten: Wenn heute vom Hochhausbau die Rede ist, sind Verweise auf Bevölkerungswachstum und eine zunehmende Urbanisierung des sozialen Lebens meist nicht weit. Durch die Stapelung von Flächen soll zusätzlicher Raum generiert und der »Zersiedelung« (dem »urban sprawl«) Einhalt geboten werden. Vertikales Bauen wird gerne als Strategie propagiert, um Grün- und Freiflächen zu bewahren – ein veritables modernistisches Leitmotiv (Fromonot 2008: 16). Im Mittelpunkt solcher Diskussionen stehen vor allem, aber keineswegs ausschließlich, Büro- und Wohnräume. In Brasilien und Israel etwa gibt es Hochhausfriedhöfe, und ausgehend von New York wird seit einiger Zeit über Landwirtschaft im Wolkenkratzer – »vertical farming« – debattiert sowie mit einschlägigen Techniken experimentiert (Despommier 2011; Frazier 2017). Forderungen nach ›effizienter‹ Nutzung der Bodenfläche durch Hochhäuser werden nicht zuletzt mit Renditefragen verknüpft. Wo es die Bauordnung erlaubt, durch Stapelung von Flächen eine höhere Ausnutzung des Grundstücks zu erreichen, tangiert der Hochhausbau zentral auch ökonomische Interessen (Willis 1995).1

Das vertikale Bauen weckt zudem in Sachen Visualität Begehrlichkeiten: Stadtregierungen und Unternehmen greifen auf den augenfälligen Baustil zurück, um »Signale« zu senden und prosperierende Urbanität zu inszenieren bzw. zu simulieren (Bodenschatz 2000). Die neueren, für Zentrumslagen entworfenen Projekte sind typischerweise Prestigebauten par excellence. Sie stehen für einen, wie es gerne heißt, »glamourösen« Baustil, der ökonomisches und künstlerisch-architektonisches Kapital fusioniert und meist auch in technischer Hinsicht ambitioniert auftritt (Foster 2011; Peters 2003: 10; Sklair 2010). Offensichtlich verbinden sich mit diesen schillernden Monumenten nicht nur nüchtern-funktionale Anliegen. Gerade wegen ihrer Augenfälligkeit werden Hochhäuser jedoch auch häufig als »Störung« (oder Zumutung) wahrgenommen, zumal im Kontext von historischen Stadtbildern (Glauser 2016; Rodenstein 2006). Die Vorstellung, dass sich Hochhäuser von historischen Monumenten fernhalten sollten, ist keineswegs eine ausschließlich europäische. Wie verschiedene Quellen belegen, sorgten etwa auch in New York Wolkenkratzer in der Nähe von Kirchen für Irritationen. Ein Beispiel hierfür sind die Beschreibungen Henry James’ in The American Scene, in denen er beklagt, dass die Trinity Church (»poor old Trinity«) plötzlich von solchen Bauten – »monsters of the mere market« – umstellt sei (James 2000 [1907]: 375, 378). Hochhäuser gelten als schwierige Nachbarn, insofern sie ihre Umgebung im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten stellen, und sie gehen bezüglich Sicherheit und Finanzierung mit besonderen Herausforderungen einher – mit zunehmender Bauhöhe steigen die notwendigen Aufwendungen typischerweise überproportional an (Peters 2003; Zaera-Polo 2007). In den Bauordnungen vieler europäischer Städte ist die Möglichkeit einer höheren Grundstücksausnutzung durch Vertikalisierung stark beschränkt. Ob solche Regelungen, etwa zur Verhütung von Bodenspekulation, angebracht sind, darüber gehen die Ansichten auch von Expertinnen und Experten auseinander. Nicht zuletzt gibt der Energieverbrauch von Bürotürmen Anlass zu Diskussionen: Als »Energiefresser« seien solche Bauten kaum mit den Zielen des Klimaschutzes vereinbar, lautet eine verbreitete Kritik (Paquot 2008a; Wood 2010).

Im Zentrum dieses Buches steht die Frage, wie in europäischen Metropolen von der Möglichkeit des vertikalen Bauens Gebrauch gemacht wird und welche Interpretationen das Hochhaus dabei erfährt. Nach welcher Logik werden wünschenswerte von quasi illegitimen Bauten, ›mögliche‹ von ›unmöglichen‹ Standorten unterschieden und potentielle oder aktuelle Konflikte ausgetragen? Wofür steht das Hochhaus in der jeweiligen Stadt? Was wird überhaupt als Hochhaus aufgefasst, und welches sind die (expliziten und impliziten) Spielregeln, die den Umgang mit diesem Bautyp prägen?2 Meine Untersuchung interessiert sich für Parallelen und Unterschiede in städtischen Bau- und Diskussionspraktiken und verortet die unterschiedlichen Positionen im Spannungsfeld von globalisierten Mustern einerseits und individueller Stadtgeschichte – städtischem Eigensinn – andererseits. Ein besonderes Augenmerk gilt der Stadtplanung – also dem Agieren jener Akteure, die für das Erarbeiten von Strategien sowie die Umsetzung und Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben zuständig sind. Stadtplanungsämter haben zwar keineswegs in allen Ländern Europas dieselben Züge und dasselbe Gewicht; sie spielen jedoch in der europäischen Stadtgeschichte insgesamt eine wichtige Rolle und formen die Grenzen und Möglichkeiten gebauter Ordnung wesentlich mit (Albers 1997; Altrock/Schubert 2005; Siebel 2004a; Sutcliffe 1981; Weber/Crane 2012). Gerade weil das Hochhaus wie kaum ein anderer Bautyp polarisiert, ist es aufschlussreich zu beleuchten, wie sich diese Instanzen, welche die Stadt als Ganzes und nicht zuletzt auch das Gemeinwohl im Blick haben sollten, zum vertikalen Bauen stellen (Burckhardt 2013 [1981]; Burckhardt 2004 [1974]; Dröge/Magnin 2010: 105; Häußermann 1997).

Die Studie setzt bei der Beobachtung an, dass in vielen Städten, namentlich europäischen, die Hochhausdebatten maßgeblich Auseinandersetzungen um Stadtbilder sind, also die materialisierte (bzw. rekonstruierte) Geschichte eines Ortes. Ein zentrales Bezugsproblem der Stadtplanung ist denn auch das Verhältnis von historischem Stadtbild und neuen augenfälligen Bauten. Damit zusammenhängend spielen für die vertikale Entwicklung einer Stadt Grundsätze der lokalen Denkmalpflege und auch die Institution des »UNESCO-Welterbes« eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Wenn die Bewahrung lokaler Besonderheiten als Argument gegen den Hochhausbau ins Feld geführt wird, so ist zu berücksichtigen, dass häufig auch internationale Organisationen an solchen Positionierungen beteiligt sind: Die Verteidigung des ›Lokalen‹ gegenüber globalisierten Baumustern geht keineswegs ausschließlich oder primär von lokalen Akteuren aus, sondern wesentlich auch von global organisierten Interessenvertretungen (Betts/Corey 2015a; Boyer 1994).

Anders als in der Architektur- und Städtebaugeschichte und der Geografie, wo das vertikale Bauen intensiv erforscht wird, ist es in der Soziologie bislang nur am Rande auf Interesse gestoßen. Die Auseinandersetzung beschränkt sich auf vereinzelte Studien – etwa zum Wohnen im Hochhaus (Beng Huat 1997; Herlyn 1970), zu Wolkenkratzern im Kontext von »Ground Zero« (Jones 2006) oder zur vertikalen Stadtentwicklung Europas im 20. Jahrhundert (Rodenstein 2006; 2002).3 Was spricht dafür, diesem Phänomen in einer soziologischen Perspektive mehr Aufmerksamkeit zu schenken und einschlägige Fragen nicht einfach Historikerinnen, Kulturgeografen und Architektinnen zu überlassen? Zum einen ist das vertikale Bauen – gerade weil es konfliktreich ist – ein vielversprechender Ansatzpunkt, um aktuelle Vorstellungen von Urbanität zu rekonstruieren und zeitdiagnostische Fragen zu diskutieren: In den Auseinandersetzungen um Bauprojekte artikulieren sich Standpunkte bezüglich der Ideale einer Stadt und damit letztlich auch der Gesellschaft – sie werden so für die Forschung greifbar. Europäische Städte, die hinsichtlich globaler Höhenrekorde quasi als uninteressant abgetan werden könnten, sind in dieser Hinsicht ebenso aufschlussreiche Untersuchungsgegenstände wie Metropolen, in denen der Hochhausbau euphorisch betrieben wird und wo die weltweit höchsten Türme in den Himmel ragen. Zum anderen ist das vertikale Bauen mit Blick auf die Auseinandersetzungen um Globalisierung und Weltgesellschaft ein interessantes Phänomen. Ausgehend von Baupraktiken in den USA hat sich das Hochhaus in den letzten rund 100 Jahren weltweit verbreitet, wobei der Umgang mit dem Bautyp ortsspezifische Färbungen aufweist und zentral auch lokale Problemstellungen, Konflikte und Diskurse tangiert (King 2004; Ren 2011; Scharfenroth 2009; Taillandier u. a. 2009). Insofern hat der Tendenz nach jede Stadt ihr eigenes – einzigartiges – Verhältnis zum Hochhausbau (Museum für Gestaltung Zürich/Janser 2011). Das Beispiel des vertikalen Bauens verspricht damit aufschlussreiche Einblicke in das Zusammenspiel von Globalisierung und Lokalisierung – die lokale Rekonfiguration von globalisierten Mustern (Czarniawska 2010 [2002]: 7ff.).4 Die damit verbundene gleichzeitige Erzeugung von Homogenisierung und Heterogenisierung wurde bislang lediglich vereinzelt an räumlich-architektonischen Phänomenen ausgelotet (vgl. etwa Diener u. a. 2015; Jacobs 2006; King 2004).

Die vorliegende Untersuchung rekonstruiert weder die globale Expansion des Hochhauses noch die Möglichkeitsbedingungen solcher Verbreitungsprozesse – dazu hätte der Fokus selbstredend anders ausgerichtet werden müssen.5 Im Zentrum des Interesses steht vielmehr die Frage, wie Akteure die globalisierte Praxis des Hochhausbaus in besonderen städtischen Zusammenhängen interpretieren und welche Formen der Bedeutungsproduktion damit verknüpft sind. Eine solche Blickrichtung ist in den letzten Jahren vor allem von Vertreterinnen des »Skandinavischen Institutionalismus« propagiert und in fruchtbarer Weise zum Einsatz gebracht worden; ausgehend von solchen Studien konnte verdeutlicht werden, weshalb Globalisierung (auch) Differenzierung und Diversifizierung bedeutet und keineswegs nur Strukturangleichung mit sich bringt (Alasuutari 2015: 162ff.; Czarniawska 2010 [2002]). In der Auseinandersetzung mit dem aufragenden Bautyp drängt sich eine solche Perspektivierung besonders auf, da seine Verbreitung nicht selten als Paradebeispiel für die Uniformierung der Welt angeführt wird. Dass die Verhältnisse allein schon in europäischen Städten komplizierter sind, sollen die folgenden Fallstudien deutlich machen. Dabei interessiert vor allem auch die Frage, wie sich die Materialität gebauter Strukturen bei der Rezeption des Hochhauses in spezifischen Kontexten auswirkt.

2Forschungsdesign – methodischer Zugang, empirisches Material

Diesem Buch liegt die Überzeugung zugrunde, dass für das Verständnis dessen, wie die Bedeutung des Hochhauses (lokal) produziert wird, die Ebene der Stadt besonders relevant ist. Vor diesem Hintergrund umfasst das Forschungsdesign im Wesentlichen kontrastierende Fallstudien zu drei Metropolen. Im Fokus stehen die Hochhaus- und Stadtbildpolitiken der Städte Paris, London und Wien mitsamt den Konvergenzen und Divergenzen, die sich abzeichnen. Die solcherart analysierten Orte können und sollen nicht stellvertretend für die europäische Stadt stehen; derartige Strategien sind in den vergangenen Jahren angesichts der Heterogenität europäischer Städte zu Recht ins Kreuzfeuer der Kritik geraten (vgl. etwa Schubert 2001). Die Fallauswahl zielt vielmehr darauf, gewisse Konstellationen, die hinsichtlich aktueller Vorstellungen von Urbanität in (West-)Europa sowie mit Blick auf die Verschränkung von Globalisierung und Lokalisierung besonders interessant erscheinen, ins Blickfeld zu rücken. Mit »besonders interessant« sind in diesem Zusammenhang nicht besonders spektakuläre Bauprojekte gemeint, sondern das Interesse gilt hauptsächlich den Konfliktlinien – dem Ringen alter Metropolen um neue Skylines sowie den Wegen, die sie dabei einschlagen (Hoff 2009).

Mit den Fallstudien zu Paris, London und Wien beleuchtet die Untersuchung drei Städte, in denen das vertikale Bauen in den letzten Jahren in besonderer Weise für Unruhe sorgte. Bestrebungen, die Baupraxis stärker für den aufragenden Bautyp zu öffnen, haben sich in unterschiedlichen Formen als ausgesprochen kontrovers erwiesen. Auch fiel die Wahl im Rahmen eines theoretischen Samplings auf diese drei Städte, weil sich zwischen ihnen aufschlussreiche Kontraste abzeichnen, die vor dem Hintergrund bestimmter geteilter Züge umso markanter in Erscheinung treten. Alle drei Städte sind nicht nur touristisch hochfrequentierte Destinationen, sondern auch Hauptstädte, die im jeweiligen nationalen Kontext dominieren sowie darüber hinaus, im globalen Rahmen, als wichtige Zentren in ökonomischer, politischer und kultureller Hinsicht fungieren – mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Die heutigen Stadtgestalten sind das Ergebnis komplexer, sich über mehrere Jahrhunderte hinziehender Formierungsprozesse, und damit das Produkt verschiedener Bauphasen sowie der sie fundierenden gesellschaftlichen Konstellationen. In der Stadtforschung wurde ihnen vor allem deshalb Aufmerksamkeit zuteil, weil sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Schauplatz radikaler urbaner Transformationen wurden, die Maßstäbe setzten (Cohen/Frank 2013; Csendes/Opll 2006; Fehl/Rodríguez-Lores 1995; Frisby 2001; Harvey 2003; Olsen 1988). Dies gilt insbesondere für Paris – die »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts« (Benjamin 1977 [1935]). Um 1900 gehörten alle diese drei Städte, angeführt von London, zu den bevölkerungsreichsten weltweit und waren Inbegriff moderner Metropolen. Heute steht in Paris, London und Wien das bauliche Erbe stark im Fokus von (Re-)Inszenierungsarbeit und wird mitunter exzessiv bewirtschaftet. Gleichzeitig sind in allen drei Fällen städtische Akteure sehr um ein modernes Stadtbild bemüht – und schlagen dabei unterschiedliche Wege ein. Der für diese Städte charakteristische Umgang mit historischer und zeitgenössischer Architektur weist über weite Strecken eigensinnige Züge auf, die es hinsichtlich ihres »So-und-nicht-anders-Gewordenseins« genauer zu beleuchten gilt (Weber 1988 [1904]: 171).

Paris ist für die Auseinandersetzung mit dem Hochhausbau insofern zentral, als man in dieser Stadt unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche Strategien erprobte und davon wichtige Impulse für die vertikale Stadtentwicklung andernorts ausgingen. Dies gilt namentlich für die Konstruktion des Eiffelturms anlässlich der Weltausstellung von 1889 wie auch für die Errichtung des Bürohochhausviertels La Défense im Westen von Paris – außerhalb der Stadtgrenzen, aber in unmittelbarer Verbindung zum Zentrum. Ab den späten 1950er Jahren bis zu Beginn der 1970er Jahre gab es dezidierte Bestrebungen, die Stadt auch intra muros in eine veritable Hochhausmetropole zu transformieren; so entstanden zahlreiche Türme, die in dieser Zeit zu den höchsten in Europa zählten. Diese vertikalen Ambitionen gerieten indes stark unter Beschuss, und seit Mitte der 1970er Jahre kennt die Stadt vergleichsweise strenge Höhenbeschränkungen, die einem Hochhausverbot gleichkommen. Diese wurden in den letzten Jahren zwar leicht gelockert: Nach zähen, hitzigen Debatten haben die Stadtbehörden vereinzelt Solitärbauten mittlerer Höhe bewilligt, mit denen städtische ›Problemzonen‹ aufgewertet und verdichtet werden sollen (Taillandier 2009). Die konkrete Baupolitik orientiert sich allerdings weiterhin klar an der Devise, dass das städtische Zentrum von historischen Strukturen geprägt sein solle und neuere augenfällige Bauten im wahrsten Sinne des Wortes lediglich am Rande der Stadt tolerierbar seien. Die vorherrschende, auch in der Stadtplanung relevante Auffassung von Paris versteht diese Stadt als eine Art Kunstwerk von herausragender, historisch gewordener Schönheit, von der alles, was diese gefährden könnte, möglichst fernzuhalten ist. Die Stadtgrenzen, die durch die Ringautostraße Boulevard Périphérique in eigentümlicher Weise materialisiert sind, fungieren dabei als »Bilderrahmen« im Sinne Georg Simmels (1995 [1902]). Was nicht eindeutig für Singularität steht und eher Assoziationen an Quantität als an Qualität weckt – Hochhäuser im Kollektiv beispielsweise –, wird weitgehend in die Vorstädte verbannt.

London drängt sich insofern als Vergleichsfall auf, als diese Stadt für Akteure in Paris gegenwärtig wie auch historisch gesehen die maßgebliche Referenz darstellt(e) – nicht zuletzt in Fragen des Städtebaus. In der britischen Kapitale wurden in den letzten Jahren ebenfalls die Weichen für mehr vertikales Bauen gestellt, allerdings in weitaus radikalerer Form als in Paris. Seit gut 15 Jahren setzen die Stadtbehörden auf nichts Geringeres als eine Vertikalisierung des historischen und wirtschaftlichen Zentrums der Stadt (Grubbauer 2011b; Tavernor 2004). In und um die City of London und mittlerweile auch in vielen anderen Stadtteilen wurden in einer veritablen tour de force zahlreiche Türme errichtet, die europaweit zu den höchsten zählen. Zusammen mit Moskau, Istanbul und Frankfurt am Main gehört London zu jenen Städten Europas, die auch in zentralen Lagen ganze Rudel von Hochhäusern ins Stadtgefüge integrieren. Damit wird von der in europäischen Städten verbreiteten Idee, dass das Stadtzentrum wesentlich durch das historische Erbe dominiert sein soll – dieses Konzept war auch in London bis in die 1990er Jahre bestimmend –, deutlich Abstand genommen. Bemerkenswert ist, dass dieses Vorgehen von Akteuren vor Ort hauptsächlich damit begründet wird, dass London zusammen mit New York und Tokio zu den wichtigsten »Global Cities« gehöre und Türme der ›adäquate‹ Ausdruck von Londons Stellung als wichtiges Finanzzentrum und Weltmetropole seien. Zwar war und ist der Hochhausbau auch in London stark umstritten. Die Vertikalisierung der Stadt wie auch das angesprochene Deutungsmuster konnten sich jedoch in bemerkenswerter Weise durchsetzen; es fungiert dabei weitgehend als Ersatznarrativ zur Konzeption Londons als »Heart of the Empire« (Jacobs 1994: 760; Liedtke 2006: 8).

Der Umgang mit dem vertikalen Bauen in der Stadt Wien steht in mancher Hinsicht zwischen den Städtebau- und Hochhauspolitiken von London und Paris; zu den Verhältnissen in diesen zwei Städten zeichnen sich aufschlussreiche Parallelen und Kontraste ab. Außerdem ist das Fallbeispiel Wien mit Blick auf gegenwärtige Konfliktkonstellationen erhellend, in die nicht selten das UNESCO-Welterbekomitee involviert ist. In der österreichischen Kapitale wurde das Hochhaus vor allem in der Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhanges, die gerne als »zweite Gründerzeit« apostrophiert wird, zu einem verbreiteten Phänomen. Gestützt auf eine (Bild-)Semantik der Internationalisierung und die Konzeption Wiens als »Drehscheibe zwischen Ost und West« (Grubbauer 2011a: 20), verfolgte die Stadtregierung in den 1990er Jahren zunächst eine offensive Strategie im Umgang mit dem vertikalen Bauen und sah, ähnlich wie in London, auch an zentralen Orten der Stadt Hochhäuser vor. Die Bestrebungen, historische und zeitgenössische augenfällige Architekturen zu verzahnen, kollidierten indes bald mit der Strategie, die gesamte Wiener Innenstadt als »Welterbe« und damit als universal bedeutsames Artefakt von der UNESCO anerkennen zu lassen. Die Konsekration als »Welterbe« lief auf eine Re-Fortifzierung des Stadtzentrums hinaus. Vor diesem Hintergrund haben sich die Hochhausstrategien Wiens jenen von Paris angenähert. Dies kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Hochhaus in den zwei Städten – vor allem aufgrund divergierender historischer Erfahrungen – höchst unterschiedlich konnotiert ist. Zudem ist in Wien die Dominanz des Zentrums durch historische Strukturen umstritten und von einer ambivalenten Haltung geprägt. Dies zeigt sich nicht zuletzt in permanenten Katz-und-Maus-Spielen mit dem UNESCO-Welterbekomitee sowie dem Umstand, dass das »Historische Zentrum Wien« schließlich wegen eines geplanten Hochhauses im Juli 2017 auf die »Liste des gefährdeten Welterbes (Rote Liste)« gesetzt wurde.6 Es ist nicht ohne Ironie, dass im Falle Wiens der Hochhausbau auf der einen Seite in engem Zusammenhang mit der Errichtung der (vertikalen) »UNO City Vienna« steht und auf der anderen Seite das UNESCO-Welterbekomitee maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass die Stadtregierung heute eine vergleichsweise zurückhaltende Strategie verfolgt und Hochhäuser, wenn auch nicht konsequent, so doch stärker als ursprünglich geplant an dezentralen Standorten konzentriert.

Die Untersuchung dieser Städte und ihrer Hochhauspolitiken stützt sich auf die Methodik der »Grounded Theory«. Diese steht in der sozialphilosophischen Tradition des Pragmatismus und umfasst analytische Instrumente, anhand derer eine gegenstandsbasierte Theorie des vertikalen Bauens ausgearbeitet wird (Bryant/Charmaz 2010; Glaser/Strauss 1967; Strauss/Corbin 1996; Strübing 2008). Der Zugang der »Grounded Theory« zeichnet sich durch eine enge Verschränkung von theoriegeleiteter Datenerhebung und materialen Analysen aus. Der Forschungsprozess sieht dabei vor, dass zunächst relativ extensiv Daten erhoben und auf mögliche relevante Kategorien hin untersucht werden (»offenes Kodieren«). In den folgenden Schritten wird die Untersuchung spezifischer. Daten werden gezielt auf bestimmte Kategorien, deren Bedingungen, Konsequenzen und Kontexte hin analysiert (»axiales Kodieren«), um schließlich Kernkategorien auszuwählen und Zusammenhänge zwischen diesen und anderen Kategorien herauszuarbeiten (»selektives Kodieren«) (Strauss/Corbin 1996: 43–117). Ausgehend von diesem Ansatz wurde bewusst darauf verzichtet, Dimensionen für den Vergleich von Hochhauspraktiken und -debatten von Beginn an festzulegen und Städte in einer standardisierten Weise zu vergleichen. Vielmehr ging es zunächst darum zu eruieren, welche Städte sich überhaupt für eine Kontrastierung eignen, d. h. welche Baustrategien wo anzutreffen sind und wie die Diskussionen über diese Thematik verlaufen. Ausgehend davon habe ich die jeweilige Hochhauspraxis und die für sie relevanten Kategorien und Zusammenhänge genauer untersucht, wobei auch stadtspezifische Muster im Sinne von materialisierten Strukturen und Regulierungen sowie Beobachtungs- und Imitationsverhältnisse von Interesse waren. Vor diesem Hintergrund galt es, die drei Städte miteinander ins Gespräch zu bringen und die Auseinandersetzung mit Parallelen und Differenzen zu vertiefen.

Die empirische Analyse stützt sich auf verschiedene Erhebungsmethoden und Materialien. Um charakteristische bauliche Strukturen und Sichtbeziehungen in den Blick zu bekommen, waren – besonders in den frühen Phasen des Forschungsprozesses – ausgiebige Streifzüge und Erkundungstouren unumgänglich. Lucius Burckhardt (2011 [1996]; 2011 [1995]) hat diese Methodik treffend als »Spaziergangswissenschaft« und »Promenadologie« gefasst. Sie ist als ethnographische Methodik einem Erkenntnisstil des »Entdeckens« verpflichtet (Amann/Hirschauer 1997: 9). Weiter basiert die Untersuchung auf 23 themenzentrierten, nicht-standardisierten Interviews, die ich mit involvierten Akteuren aus den Bereichen Stadtpolitik und Stadtplanung sowie Architektur und Denkmalpflege in Paris, Wien und London sowie in Städten Deutschlands und der Schweiz zwischen 2010 und 2012 durchgeführt habe. Diese Gespräche hatten einerseits den Charakter von Experteninterviews, insofern sie zu Beginn der Untersuchung primär der Erschließung des Feldes und der Debatten dienten; auf der anderen Seite waren sie Teil des Untersuchungsgegenstandes und wurden daraufhin befragt, inwiefern sich in ihnen stadtspezifische Argumentationsmuster dokumentieren. Die Auseinandersetzung mit den drei Städten basiert zudem auf einer breit angelegten Dokumentenanalyse. Die einschlägige Quellenbasis umfasst eine Vielzahl publizierter und nicht-veröffentlichter Dokumente, welche für die jeweiligen Hochhausdebatten und -strategien zentral sind, wie etwa rechtliche Grundlagen (Bauordnungen) und Reglemente, Hochhausleitbilder, städtebauliche Entwicklungsstudien, Dokumentationen zu Denkmalpflege und Kulturerbe sowie politische Positionspapiere und Presseartikel. Von zentraler Bedeutung für die Untersuchung der Bau-, Deutungs- und Diskussionspraktiken in Paris, London und Wien waren ferner Studien zur Geschichte dieser Metropolen sowie zu Fragen des Städtebaus.

3Aufbau der Studie

Zunächst beleuchte ich die theoretischen Instrumente und Debatten, auf die sich meine Untersuchung des vertikalen Bauens bezieht. Ausgangspunkt dieser Sondierungen ist Georg Simmels Raumsoziologie, welche dieses Projekt in basaler Weise inspiriert hat. Simmel misst der Auseinandersetzung mit räumlichen Phänomenen zentrale Bedeutung zu und versteht diese gar als eine Art erkenntnistheoretischen Trick, um relevanten sozialen Mustern auf die Spur zu kommen. Vor dem Hintergrund dieser raumsoziologischen Überlegungen wird der Blick auf das Phänomen Stadt gelenkt. Richtungsweisend für die vorliegende Studie ist die Überzeugung, dass es sowohl der Heterogenität des städtischen Lebens als auch dem Eigensinn von Metropolen Rechnung zu tragen gilt. Prominenter Anknüpfungspunkt ist eine theoretische Perspektive, welche die »inevitable specificity of cities« betont und in den letzten Jahren an der Schnittstelle von Architektur, Soziologie und Geografie ausgearbeitet wurde (Diener u. a. 2015; 2005; Schmid 2015). Die Fallstudien zu Paris, Wien und London orientieren sich wesentlich an dieser Perspektive. Um das Verhältnis von städtischem Eigensinn und Globalisierung genauer fassen zu können, werden auch Debatten um Weltgesellschaft und die Verschränkung von Globalisierung und Lokalisierung aufgegriffen. Die erwähnte stadtsoziologische Perspektive erweitere ich durch Anleihen beim »Skandinavischen Institutionalismus«; dieser regt dazu an, sich verstärkt den Beobachtungs- und Imitationsverhältnissen von Akteuren zu widmen (Alasuutari 2015; Czarniawska 2010 [2002]). Daneben spielen in dieser Untersuchung auch vergleichsweise ›handfeste‹ Aspekte – gebaute Strukturen – eine zentrale Rolle. Solche werden bereits bei der Darstellung des Konzepts der Spezifität von Städten thematisiert und sodann mit Blick auf neuere Debatten zur Architektursoziologie vertieft. Hierbei gilt ein besonderes Augenmerk der bestehenden sozialwissenschaftlichen Forschung zum Hochhausbau. Diese zeichnet sich insgesamt durch eine weitreichende, wenig produktive Zweiteilung aus. Um die damit verbundenen Engführungen zu überwinden, drängen sich Forschungsdesigns auf, die zum einen den Besonderheiten der jeweiligen Kontexte Rechnung tragen und zum anderen konsequent auf Vergleich bzw. Kontrastierung setzen.

Der dritte Teil ist das empirische Herzstück der Untersuchung und umfasst die Fallstudien zu Paris, London und Wien. Von Interesse ist das Spannungsfeld von globalisierten Beobachtungs- und Vergleichshorizonten einerseits und eigensinnigen städtischen Praktiken andererseits. Die drei Fallstudien sind in ihren Grundzügen gleich aufgebaut und aus den theoretischen Überlegungen abgeleitet. Nach einem stadtspezifischen Auftakt rückt die Darstellung jeweils als erstes die wichtigsten Züge der gebauten Stadtlandschaft – das »urban territory« (Schmid 2015: 291) – ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieses bildet in materieller Hinsicht die Ausgangslage für weitere Urbanisierungsprozesse und damit auch für Hochhaus- und Stadtbildpolitiken. Zu dieser Dimension zählen nicht zuletzt die architektonischen Zeugen vergangener Hochhausstrategien. Ein besonderes Augenmerk gilt den Grenzziehungsprozessen sowie der Art und Weise, wie sich (formelle oder informelle) Spielregeln in den städtischen Raum eingeschrieben haben. Vor diesem Hintergrund wende ich mich den jeweils aktuellen Hochhaus- und Stadtbilddebatten zu und diskutiere, welche Versprechen und Schreckensszenarien in den drei Städten mit dem Hochhausbau verknüpft sind und wofür der Bautyp überhaupt steht. Von Interesse ist dabei namentlich auch, welche Strategien die Stadtplanung in Paris, London und Wien verfolgt(e) und wie diese Akteure in der Öffentlichkeit den vermehrten Hochhausbau begründen. Diese Rechtfertigungen sind selbstredend nicht mit den Gründen für diese Strategien gleichzusetzen. Die Legitimationen interessieren vor allem im Hinblick auf zeitdiagnostische Fragen. Ich gehe davon aus, dass soziale Ordnung – auch gebauter Art – einem »Rechtfertigungsimperativ« unterliegt, wobei sich Rechtfertigungen typischerweise auf gemeinwohlorientierte Konventionen zu beziehen haben (Boltanski/Chiapello 2003 [1999]: 46, 61; Boltanski/Thévenot 2007 [1991]).7 Dieser Rechtfertigungsimperativ ist untrennbar mit der Möglichkeit der Kritik verbunden. Diese ist ebenfalls Gegenstand der Untersuchung. Inwiefern sehen sich die verfolgten Hochhausstrategien mit Kritik konfrontiert? Wer bekämpft sie mit welchen Argumenten? Die rekonstruierten Debatten werden in zwei Richtungen hin genauer analysiert. Zum einen interessieren die Stadtbilder – die vorherrschenden Definitionen der Städte, die als zentrale sinnlogische Bezugspunkte in den Hochhausstrategien und Rechtfertigungsmuster aufscheinen. Es wird zu zeigen sein, dass diese hochgradig selektiven, kurzformelartigen Beschreibungen, die das Charakteristische einer Stadt fassen (sollen), häufig von Hochhausbefürwortern und -gegnern geteilt werden und als weitgehend unterhinterfragte Selbstverständlichkeiten im Umlauf sind. Zum anderen wird den Beobachtungs- und Imitationsverhältnissen nachgespürt. Erkenntnisse hierüber helfen zu verstehen, wie sich Akteure in einer Stadt orientieren und auf welchen Wegen das vertikale Bauen in die jeweilige Stadt gelangte. Ein zentraler Befund in diesem Zusammenhang ist, dass die Beobachtungsfelder der Stadtpolitik bemerkenswert eng sind und über weite Strecken eingespielten Blickverhältnissen folgen. Diese besonderen, von Tabus umstellten Bezugnahmen sind eng mit Fragen der Legitimität verknüpft und als Form der »identity and alterity construction« ein veritables Politikum (Czarniawska 2010 [2002]: 16). Der einschlägige Beobachtungs- und Vergleichsmodus unterscheidet sich nicht nur grundlegend von der Art und Weise, wie Städte etwa im Rahmen von Rankings in großer Zahl zueinander in Beziehung gesetzt werden, sondern auch von der Vergleichspraxis global agierender Architekten, die mehrheitlich die neuen schillernden Türme in den untersuchten europäischen Metropolen und andernorts verantworten. Ziel dieses Teils des Buches ist es, die ortsspezifischen Färbungen der Hochhausdebatten und Baupraktiken in Paris, London und Wien herauszuarbeiten und zu verdeutlichen, in welchen Bedingungen sie gründen.

Der vierte und letzte Teil greift die wichtigsten Befunde der Fallstudien nochmals auf und vertieft die Auseinandersetzung mit den Gebrauchsformen und der Symbolik des aufragenden Bautyps. Ich werde argumentieren, dass eine allgemeine Bedeutungstheorie des Hochhauses zum Scheitern verurteilt ist, da die Bedeutung solcher Bauten wesentlich in lokalen Zusammenhängen (mit-)produziert wird. Zudem werden ausblicksartig einige weitere Aspekte betrachtet, die sich im Rahmen der Fallanalysen als besonders bemerkenswert abgezeichnet haben: Dazu gehören die Rolle bzw. die Wahrnehmung der global agierenden »ikonischen Architekten« (Sklair 2010) und die Beziehung von Hochhaus, Kapitalismus und Finanzindustrie.

IIDiskussionslandschaft und theoretische Bezüge

1Simmels Konzept der »Raumform« als Ausgangspunkt

Die Motivation, das Zusammenspiel von Globalisierungs- und Lokalisierungsprozessen in Auseinandersetzung mit einem räumlich-architektonischen Gegenstand zu untersuchen, speist sich wesentlich aus Georg Simmels raumsoziologischen Überlegungen. Für Simmel ist die Beschäftigung mit räumlichen Fragen nicht einfach eine unter vielen. Seine Arbeiten zum Raum basieren vielmehr auf der Überzeugung, dass die Auseinandersetzung mit räumlichen Ordnungen Einblicke ins soziale Leben vermitteln kann, die sich auf anderem Wege kaum gewinnen ließen (Simmel 1992a [1908]: 689). In diesem Zusammenhang interessiert vor allem sein Konzept der »Raumform«.8 Simmel versteht Raum als Bedingungs- und Möglichkeitsform, die sich durch bestimmte »Grundqualitäten« auszeichnet, mit denen die »Gestaltungen des Gemeinschaftslebens rechnen« (Simmel 1992a [1908]: 690). In der Möglichkeit zur Verschmelzung mit einer bestimmten Bodenausdehnung (1), zur Zerleg- und Begrenzbarkeit von Raumgebilden (2), zur räumlichen Fixierung (3), zu sinnlicher Nähe und Distanz (4) sowie zu Ortswechsel bzw. Bewegung (5) identifiziert er fünf räumliche Dimensionen, die für das soziale Leben potentiell relevant sind und von denen in selektiver Weise Gebrauch gemacht wird (Simmel 1992a [1908]: 696–748). Anhand zahlreicher Beispiele, etwa mit Blick auf den Nationalstaat und die katholische Kirche, diskutiert er, wie sich unterschiedliche soziale Wechselbeziehungen zu diesen Raumqualitäten stellen, welche konkreten Raumgebilde hieraus entstehen und wie diese ihrerseits auf das soziale Leben zurückwirken. Ohne entsprechende räumliche Ordnungen können sich Simmel zufolge gewisse Formen von sozialen Wechselbeziehungen gar nicht formieren. So ist etwa das soziale Gebilde des Staates ohne die Möglichkeit, mit einer bestimmten Bodenausdehnung zu verschmelzen (»Ausschließlichkeit des Raumes«), nicht denkbar (Simmel (1992a [1908]: 690). Zentral ist der Umstand, dass Simmel nicht etwa den erwähnten Grundqualitäten der Raumform eine unmittelbare Wirksamkeit zuschreibt. Vielmehr sind es seiner Auffassung nach die sozial konstruierten räumlichen Ordnungen, die das gesellschaftliche Leben prägen. Insofern geht er klar von einem Primat des Sozialen aus.

Die Beobachtung der sozialen Gebrauchsweisen dieser räumlichen Grundqualitäten fungiert als eine Art erkenntnistheoretischer Trick, um relevanten sozialen Unterschieden auf die Spur zu kommen. Gemäß Simmel stellt sich Räumlichkeit für die Soziologie primär als ein Problem der vergleichenden Rekonstruktion von räumlichen Relevanzen. Diese manifestieren sich in unterschiedlichen Selektions- und Syntheseleistungen, die auf ihre sozialen Voraussetzungen und Konsequenzen hin zu untersuchen sind. Seine raumsoziologischen Überlegungen bilden für die Untersuchung des Hochhausbaus einen fruchtbaren Ausgangspunkt. Die Möglichkeit zur Stapelung bzw. zur vertikalen Konstruktion taucht in Simmels Argumentation zwar nirgends explizit auf. Diese Dimension kann jedoch, ähnlich wie die anderen genannten Qualitäten, zur Beobachtung und Befragung sozialer Mechanismen und Wechselbeziehungen eingesetzt werden. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei primär verschiedene Städte sowie die Art und Weise, wie und mit welcher Begründung auf die Möglichkeit des vertikalen Bauens Bezug genommen wird. Es interessieren die Selektivität im Umgang mit dieser Möglichkeit und die Frage, wie sich diese verstehend erklären lässt. Die Untersuchung geht von der Annahme aus, dass für das Verständnis der Konvergenzen und Divergenzen im Umgang mit der Hochhausfrage globale Beobachtungs- und Kommunikationszusammenhänge ebenso zentral sind wie stadtspezifische lokale Konstellationen, und dass Pfadabhängigkeiten bei gebauten Strukturen potentiell besonders ins Gewicht fallen (Bourdieu 1997 [1993]; Schmid 2015).

Wenn auch das Phänomen Hochhaus in sozialwissenschaftlichen Diskussionen eher am Rande auftaucht, so gibt es insgesamt doch eine rege Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Architektur, Stadt und Gesellschaft, die auch Fragen des vertikalen Bauens tangiert. Insbesondere der Trend zu spektakulärer, monumentaler Architektur ist in der Soziologie zu einem vielfach interpretierten Phänomen avanciert. Der Besuch einiger Diskussionsbaustellen soll verdeutlichen, welche Muster die Thematisierung von Stadt und (Hochhaus-)Architektur gegenwärtig prägen und wie sich die vorliegende Untersuchung zu diesen stellt. Da die Diskussionen um Urbanität und gebaute Umwelt insgesamt kaum noch zu überschauen und in sich stark ausdifferenziert sind, gestaltet sich dieser Streifzug zwangsläufig selektiv – er rückt gezielt gewisse Thematisierungen ins Blickfeld, die für die Hochhausfrage und deren Konzeption in diesem Rahmen besonders brisant sind.

2Auf den Spuren städtischen Eigensinns

Max Webers berühmter Text »Die Stadt«, der erstmals 1921 im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik erschien, beginnt bezeichnenderweise mit der lapidaren Feststellung: »Eine ›Stadt‹ kann man in sehr verschiedener Art zu definieren versuchen.« (Weber 1980 [1921]: 727) In der Tat wurden und werden in den Sozialwissenschaften unterschiedlichste Annäherungen erprobt, wobei je nach Perspektive andere Dimensionen des Städtischen ins Blickfeld geraten. In ›klassischen‹ Arbeiten – allen voran in Georg Simmels Essay »Die Großstädte und das Geistesleben« (1984b [1903]) – wird das Charakteristische der Großstadt primär in Abgrenzung zum Leben auf dem Lande, im Dorf und in der Kleinstadt ausgelotet. In jüngerer Vergangenheit hat diese Art von Kontrastierung allerdings an Prominenz eingebüßt. Auf der einen Seite sind Forderungen laut geworden, Verflechtungen zwischen Metropolen und ihrem scheinbaren Gegenteil besser und präziser Rechnung zu tragen: Diese Autorinnen und Autoren lenken den Blick auf die komplexen Zusammenhänge zwischen Stadt und Land – zwischen Metropolen und Kleinstädtischem bzw. Suburbanem oder Dörflichem – und argumentieren, dass Urbanität nicht schlicht mit Stadt identifiziert werden könne.9 Für eine solche Sichtweise hatten sich bereits Louis Wirth in »Urbanism as a Way of Life« (1938) und Henri Lefebvre in Die Revolution der Städte (2014 [1970]) stark gemacht. Ausgehend von seiner Diagnose der »verstädterten Gesellschaft« sprach sich Lefebvre (2014 [1970]: 9f.) dafür aus, nicht der Stadt im engeren Sinne, sondern primär dem »Stadtgewebe« Aufmerksamkeit zu widmen: »Mit ›Stadtgewebe‹ ist nicht nur, im strengen Sinn, das bebaute Gelände der Stadt gemeint, vielmehr verstehen wir darunter die Gesamtheit der Erscheinungen, welche die Dominanz der Stadt über das Land manifestieren. So verstanden sind ein zweiter Wohnsitz, eine Autobahn, ein Supermarkt auf dem Land Teil des Stadtgewebes.« Die Aufforderung, beim Nachdenken über Urbanisierung nicht vorschnell an (politischen) Stadtgrenzen halt zu machen, hat nichts an Aktualität eingebüßt.

Auf der anderen Seite hat sich in den letzten Jahren das Gewicht von Stadt-Land-Kontrastierungen insofern relativiert, als sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf Differenzen zwischen Städten richtete. Dieses Interesse an unterschiedlichen Spielarten des Städtischen ist zwar keineswegs neu – es prägt beispielsweise die Analysen Max Webers (1980 [1921]) –, doch haben solche Auseinandersetzungen im Kontext von Globalisierungsdebatten einen beispiellosen Auftrieb erfahren. Nicht zuletzt als Reaktion auf Einschätzungen, die mit Globalisierung vor allem eine Angleichung von Stadtbildern und den Verlust ›authentischer‹ Stadtstrukturen verbinden,10 sind in den letzten Jahren mehrfach Stimmen laut geworden, die das Augenmerk auf gegenläufige Tendenzen richten und betonen, dass Globalisierung zu einer bemerkenswerten Ausdifferenzierung städtischer Wirklichkeiten führe (vgl. etwa Soja/Kanai 2007; Schmid 2015).11 Die einschlägige Diagnose lautet in zugespitzter Form: »Globalization has not ironed out differences; on the contrary it has heightened them.« (Herzog 2015: 9)

Das vermehrte Interesse an Unterschieden zwischen Städten sowie deren spezifischen Konturen berührt grundsätzliche Fragen zum Gegenstand soziologischer Stadtforschung, die für diesen Zusammenhang zentral sind. Ob und inwiefern dem Besonderen einzelner Städte überhaupt soziologische Relevanz zukommt, darüber gehen die Ansichten stark auseinander. Auf der einen Seite gibt es Forscherinnen und Forscher, welche die sozialwissenschaftliche Bedeutung von städtischer Einzigartigkeit klar relativieren und die ›eigentliche‹ stadtsoziologische Mission in der Analyse unterschiedlicher Stadttypen und/oder typischer städtischer Phänomene ausmachen. Auf der anderen Seite haben sich Forschende in letzter Zeit vermehrt und dezidiert für eine Beschäftigung mit eigensinnigen Zügen einzelner Städte ausgesprochen und sich auf den Standpunkt gestellt, dass ohne eine solche Wichtiges aus dem Blickfeld verschwinde. Sinn und Möglichkeit von Typisierungen werden zwar kaum grundsätzlich infrage gestellt, jedoch mit der Forderung verknüpft, diese nicht subsumptionslogisch, sondern ausgehend von einer breiten Auseinandersetzung mit besonderen städtischen Konstellationen anzugehen. Einhergehend mit diesen Forderungen sind in den letzten Jahren programmatische Forschungsperspektiven zur Untersuchung städtischen ›Eigensinns‹ entworfen worden. Deren Anspruch besteht darin, die entsprechenden Auseinandersetzungen theoretisch zu fundieren sowie Blickrichtungen für empirische Untersuchungen zu skizzieren (Berking/Löw 2008; Frank 2012; Gehring 2008; Schmid 2015).

Die Perspektive, an welche diese Untersuchung anknüpft, betont die »inevitable specificity of cities« und ist über einen längeren Zeitraum hinweg an der Schnittstelle von Soziologie, Architektur und Geografie ausgearbeitet worden (Diener u. a. 2015; 2005; Schmid 2015). Dieser Zugang ist für mein Forschungsprojekt aus mehreren Gründen besonders anschlussfähig. Zum einen trägt er in kaum zu übertreffender Weise der Materialität von Urbanisierung Rechnung und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie Stadt auch als gebaute Struktur entsteht, sich reproduziert und soziale Wirksamkeit entfaltet. Die einschlägigen konzeptionellen Überlegungen sind für die Auseinandersetzung mit dem vertikalen Bauen in unterschiedlichen städtischen Konstellationen fruchtbar: Sie eröffnen analytische Blickrichtungen und schärfen damit den Blick für wesentliche Aspekte der Wahrnehmung, der Herausbildung und der Wirkungsweise des Stadtkörpers. Zum anderen ist diese Perspektive für die Untersuchung interessant, weil sie einige wesentliche Grundannahmen mit der Simmel’schen Raumsoziologie sowie dem »Skandinavischen Institutionalismus«, an den meine Untersuchung ebenfalls anknüpft, teilt und in produktiver Weise ergänzt. Die zentralen Konturen dieses Zugangs und seine Implikationen für diesen Forschungszusammenhang werden auf den folgenden Seiten genauer erläutert.

Die im Band The Inevitable Specificity of Cities entfaltete Perspektive setzt bei der Überzeugung an, dass Städte spezifische Züge aufweisen und diese, wie oben skizziert, auch durch Globalisierungsprozesse nicht verschwinden (Diener u. a. 2015). Die im Zusammenhang mit Stadtentwicklung beobachtbare Gleichzeitigkeit von Homogenisierungs- und Heterogenisierungstendenzen wird dabei ähnlich wie von Czarniawska (2010 [2002]) und anderen Vertreterinnen des »Skandinavischen Institutionalismus« vor allem darauf zurückgeführt, dass globalisierte Muster auf lokal unterschiedliche Bedingungen stoßen und an diese angepasst werden (müssen): »The confrontation of general tendencies with local conditions leads to the formation of the most diverse urban situations.« (Schmid 2015: 305) Die Spezifität von Städten wird als etwas verstanden, das über einen längeren Zeitraum hinweg Prozesse der Urbanisierung strukturiert. Um diesem Eigensinn auf die Spur zu kommen, werden entlang der Begriffe »territory«, »power« und »difference« drei Analysedimensionen vorgeschlagen, um im Sinne von Blickrichtungen die Auseinandersetzung mit dem Besonderen von Städten anzuleiten (Herzog 2015: 11; Schmid 2015: 291). Der Begriff »territory«, der eine erste Blickrichtung bezeichnet, verweist auf die materialisierte Stadtlandschaft, die sich in Auseinandersetzung mit dem ursprünglich natürlichen Raum zu einer »second nature« herausgebildet hat (Schmid 2015: 291f.).12 Dieses gesellschaftlich konstruierte städtische Territorium fungiert, wie Schmid unter Rückgriff auf David Harvey argumentiert, als zentrale Ausgangslage für weitere Urbanisierungsprozesse. Die Territorien im Sinne gebauter Strukturen würden diese Prozesse in eine bestimmte Richtung lenken und damit, in paradox anmutender Weise, zugleich ermöglichen als auch begrenzen:

»The production of the built environment, with its material structures, creates new possibilities of communication, interaction, and cooperation – yet at the same time these structures fix the material characteristics of the territory on a long-term basis, they hinder or preclude many alternative possibilities of development and thus also determine the broad outlines of any future development.« (Schmid 2015: 291)

Der Auseinandersetzung mit dem gebauten, materialisierten Stadtraum – seinem Gewordensein und strukturierenden Einfluss – wird vor diesem Hintergrund zentrale Bedeutung für das Verständnis von Urbanisierung attestiert. Ein besonderes Augenmerk gilt den längerfristigen Einschreibungen. Schmid betont, dass das »urban territory« eine bemerkenswerte Trägheit aufweise und damit zusammenhängend der Städtebau vergleichsweise stark von Pfadabhängigkeiten geprägt sei: »[T]he built environment cannot be changed overnight, or at least not without causing massive destruction and devaluation of existing investments. Thus an urban fabric arises that can often barely be fundamentally changed and can only be adjusted with considerable efforts.« (Schmid 2015: 295)

Eine zweite Dimension ist mit dem Begriff »power« assoziiert, wobei sich die Bedeutung dieses Begriffs eher indirekt, über den Gebrauch, erschließt und angesichts der großen Spannweite an Aspekten, die er bezeichnet, zwangsläufig etwas vage bleibt. Im Blickfeld stehen primär jene ›Kräfte‹, welche für die Gestaltung eines bestimmten städtischen Territoriums und die Art und Weise, wie Urbanisierung gelenkt und kontrolliert wird, maßgeblich sind (Schmid 2015: 291). Besondere Aufmerksamkeit gilt all jenen Regeln und Prozeduren, welche für die Formung der gebauten Umwelt wesentlich sind und die, wie Schmid argumentiert, zwischen den Polen »formell/informell«, »legal/illegal« und »traditional/modern« oszillieren können. Angesichts der breiten Palette an potentiell relevanten Aspekten stellt sich die Frage, wie die im Zentrum des Interesses stehende Gestaltungsmacht empirisch gefasst und analysiert werden kann. Ein für diesen Zusammenhang durchaus anschlussfähiger Vorschlag lautet, bei der Konstituierung von Grenzen anzusetzen, wobei damit keineswegs ausschließlich politisch-administrative Grenzen gemeint sind, sondern Grenzziehungsprozesse in unterschiedlichen Formen (Schmid 2015: 297). Im Zusammenhang mit dem Hochhausbau lenkt dieser Fokus den Blick unter anderem auf die Frage, wie und mit welchen Begründungen im Rahmen der Stadtplanung Orte definiert und abgegrenzt werden, die für das vertikale Bauen (nicht) in Frage kommen. Darüber hinaus lässt sich die Frage der Grenzziehung auch auf den Umgang mit Höhenbestimmungen beziehen und analysieren, wie diese festgelegt und welche Sichtverhältnisse hierbei als wünschenswerte von quasi unerwünschten visuellen Kompositionen unterschieden werden.

Eng verknüpft mit dieser Fokussierung auf Begrenzung ist das Interesse an der Art und Weise, wie die jeweiligen (abgegrenzten) Territorien beschrieben und definiert werden. »No city exists apart from the multitude of discourses that it prompts«, betont die Literaturwissenschaftlerin und Soziologin Priscilla Ferguson (1994: 38), wobei sie von einem komplexen, keineswegs widerspruchsfreien Verhältnis von erzählter und gebauter Stadt ausgeht. Welches sind die für die städtische Praxis zentralen diskursiven und/oder visuellen Repräsentationen, welche das Verständnis eines bestimmten Stadtraumes prägen? Insofern diese Repräsentationen stets selektiv und nie schlicht ›neutral‹ sind, bilden sie zentrale Ansatzpunkte, um die Regulierungen eines städtischen Territoriums zu verstehen (Schmid 2015: 297ff.). Sie umfassen (in selbstverständlicher Manier artikulierte) Vorstellungen davon, was zu einer bestimmten Stadt passt und was nicht, welche Formen von Urbanität erstrebenswert sind oder was als schön oder hässlich anzusehen ist. Solche Beschreibungen sind von relativer Dauerhaftigkeit und im jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Kontext zu verstehen. Im Zusammenhang mit Machtfragen ist nicht zuletzt von Bedeutung, dass sie sich zu quasi unhinterfragten ›Gewissheiten‹ und Stereotypen verfestigen können. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Gegenüberstellung von Paris intra muros und den Banlieues mit ihrer stark normativen Färbung (Firley/Gimbal 2011: 216; Schmid 2015: 298).

Was heißt dies nun bezogen auf das vertikale Bauen? Diese Perspektive regt dazu an, nach den expliziten und impliziten Regeln zu fragen, die in den unterschiedlichen Städten beim Hochhausbau zum Tragen kommen und die potentiell oder tatsächlich umkämpft sind. Dazu zählen nicht nur rechtskräftige Bestimmungen wie Bauordnungen oder ausdrückliche Empfehlungen wie Hochhausleitbilder, sondern auch informelle Logiken im Umgang mit augenfälliger Architektur. Ferner sind die Vorstellungen der jeweiligen Stadt und/oder des jeweiligen Quartiers von Interesse, auf die sich die Rechtfertigungen von Hochhauspolitiken und die Kritiken an diesen beziehen. Ich gehe von der Vermutung aus, dass sich Städte hinsichtlich ihres Umgangs mit dem vertikalen Bauen gerade auch deshalb unterscheiden, weil solche Vorstellungen kontextabhängige Züge aufweisen, die wiederum Differenzen in den Regulierungen mit sich bringen. Dies führt dazu, dass Städte im wahrsten Sinne des Wortes unterschiedlich geformt werden.

Eine dritte, mit dem Begriff der »difference« assoziierte Blickrichtung regt dazu an, den Konsequenzen von Urbanisierung – konkreter noch: der Stadt als Differenzmaschine – nachzuspüren. Ausgangspunkt hierfür ist die Beobachtung, dass Urbanisierung Interaktionen zwischen unterschiedlichen Akteuren anstößt und so Differenzen produziert (Schmid 2015: 291). Wie manifestieren sich solche Unterschiede im Stadtraum, wie werden sie fassbar? Schmid versteht diese Differenzen als emergentes Phänomen: »It is important to understand that these differences are dynamic: they are not something a city has; they are something a city constantly produces and reproduces.« (Schmid 2015: 301) Unter Rückgriff auf Simmels Überlegungen zur Grossstadt lässt sich argumentieren, dass die »urban condition« an sich Differenzierung befeuere (Schmid 2015: 302). Von Interesse ist in diesem Zusammenhang vor allem, welche Muster sich im Umgang mit Differenz abzeichnen – wie offen oder geschlossen bestimmte städtische Gebiete gegenüber Differenzen sind, ob es Formen der Offenheit im Sinne einer Akzeptanz von »Nichtidentischem« (Theodor Adorno) gibt und wie sich dies in räumlichen Ordnungen ausdrückt.

Mit der Anknüpfung an die eben skizzierte Perspektive, welche die Spezifität von Städten betont, nimmt diese Untersuchung Abstand von einigen anderen in der aktuellen Stadtforschung diskutierten Ansätzen, die ebenfalls als forschungsleitende Zugänge in Frage kämen: Es handelt sich dabei auf der einen Seite um Positionen, die zwar auch auf die Untersuchung städtischen Eigensinns bezogen sind, in konzeptioneller Hinsicht jedoch andere Wege als den hier verfolgten einschlagen. Andererseits ist an solche Perspektiven zu denken, welche die erkenntnistheoretische Relevanz der Auseinandersetzung mit dem Besonderen von Städten relativieren und die zentrale ›Mission‹ der stadtsoziologischen Forschung vor allem darin erblicken, unterschiedliche Stadttypen und/oder typische städtische Phänomene zu erkunden. Im Zusammenhang mit der erstgenannten Position ist vor allem das Forschungsprogramm der »Eigenlogik der Städte« zu erwähnen, das in den letzten rund zehn Jahren entwickelt wurde und namentlich in der deutschsprachigen Forschungslandschaft Gewicht erlangt hat (vgl. Berking/Löw 2008; 2005; Berking/Löw 2008; Frank 2012; Löw 2012).13 Dieser Zugang teilt, ungeachtet wesentlicher Differenzen, verschiedene Anliegen mit der oben skizzierten Perspektive und drängt sich deshalb einer näheren Betrachtung auf. Eine zentrale Annahme lautet, dass das Besondere von Städten quasi System habe und sich auf das »Wahrnehmen, Denken und Handeln ihrer Bewohner« auswirke, wobei die spezifischen Konturen einer Stadt unter Rückgriff auf Bourdieu’sche praxistheoretische Konzepte als »Eigenlogik« konzeptualisiert werden (Löw 2008: 68, 76).14

Es ist ein wichtiges Verdienst dieses Ansatzes, auf Scheuklappen in der soziologischen Untersuchung des Städtischen aufmerksam gemacht und den Blick für die (potentielle) Relevanz von städtischem Eigensinn geschärft zu haben. Überzeugend sind dabei namentlich die mit der oben skizzierten Perspektive geteilten Bestrebungen, der Materialität des Städtischen und Fragen der Repräsentation verstärkt Rechnung zu tragen. Dies gilt ebenfalls für die Art und Weise, wie der Blick auf das relationale Bezugssystem von Metropolen – den »Konnex der Städte« – gelenkt wird, dessen Bedeutung in der stadtsoziologischen Forschung ansonsten weithin unterschätzt wird (Löw 2008: 96ff.).

Allerdings ist der Zugang auch auf unterschiedlichen Ebenen mit (konzeptuellen) Schwierigkeiten verknüpft, weshalb er hier nicht als forschungsleitender Ansatz zum Tragen kommt. Diese Schwierigkeiten betreffen die theoretische Fundierung der Perspektive. So weist die Art und Weise, wie »Eigenlogik« konzipiert wird, totalisierende Züge auf. Die Grundvermutung lautet, dass die für eine Stadt charakteristischen Muster »alle Lebensbereiche durchziehen«: Sie manifestieren sich sozusagen in jedem Handgriff, jeder Fassadengestaltung und nicht zuletzt in der Regulierung des Verkehrs (Löw 2008: 62f.).15 Diese dezidiert strukturalistisch angelegte Vorstellung einer stadtspezifischen »Grammatik« lässt dabei weitgehend außer Acht, dass nicht alles gleichermaßen kontextabhängig ist (Löw 2008: 140). Ob sich beispielsweise in stark formalisierten, globalisierten Kommunikationsmodi, wie sie für den Devisenhandel charakteristisch sind (Knorr-Cetina/Bruegger 2002), stadtspezifische Muster in ähnlicher Weise abzeichnen wie in der gebauten Form – der Architektur eines Ortes –, ist fraglich. Gerade auch wenn es sich mit der »Kontextabhängigkeit« keineswegs immer so verhalten dürfte, wie auf den ersten Blick vermutet, so ist in konzeptioneller Hinsicht doch stärker in Rechnung zu stellen, dass es diesbezüglich markante Unterschiede geben kann. Fraglich ist auch, ob es sinnvoll ist, prägende Muster für eine gesamte Stadt zu unterstellen. Angesichts der Komplexität etwa von Megacities und überhaupt des städtischen Lebens wäre auch denkbar, dass es Muster gibt, die sich nur in bestimmten Teilen einer Stadt bemerkbar machen. Diese Möglichkeit findet zu wenig Beachtung. Zwar wird die Frage sozialräumlicher Grenzen städtischer Eigenlogik explizit angesprochen und überzeugend als primär empirisch zu klärende Frage präsentiert; die einschlägigen Überlegungen bleiben jedoch auf Stadtränder bezogen und werden kaum als etwas reflektiert, das eine Stadt auch im Kern berühren kann (Löw 2008: 73). Schließlich wäre auch eingehender zu diskutieren, wie sich die unterstellten Unterschiede in der stadtspezifischen Produktion von Sinn zu Formen der gesellschaftlichen Differenzierung und damit verknüpfter Sinngenerierung verhalten – unabhängig davon, ob diese Bereiche nun als »Felder«, »Systeme«, »Sinnprovinzen« oder »Wertsphären« konzeptualisiert werden.

Dass großes Gewicht auf die Rekonstruktion stadtspezifischer Muster gelegt wird, ist allerdings in der sozialwissenschaftlichen Stadtforschung, wie oben erwähnt, keine Selbstverständlichkeit. Ein wichtiges Beispiel für Zugänge, die sich vor allem für ›typische‹ Erscheinungen von Städten interessieren, sind die zahlreichen, in sich keineswegs einheitlichen Bestrebungen, die »europäische Stadt« – meist in Abgrenzung zur »amerikanischen Stadt« – als spezifischen Typus zu fassen (vgl. etwa Bagnasco/Le Galès 2000; Frey/Koch 2011; Häußermann 2001; Häußermann/Haila 2005; Lenger/Tenfelde 2006; Siebel 2004b).16 Weil sich diese Studie spezifisch für den Hochhausbau in Europa interessiert und auch in der untersuchten Praxis der Horizont des ›Europäischen‹, wie zu zeigen sein wird, keine geringe Rolle spielt, lohnt es sich, diese Perspektive und die Gründe, die gegen eine konzeptuelle Orientierung an ihr sprechen, genauer zu betrachten. Charakteristisch für diese Bestrebungen ist, dass sie Differenzen zwischen europäischen Städten zwar nicht in Abrede stellen, diese jedoch als weniger bedeutsam veranschlagen als die unterstellten geteilten Merkmale.17 So hebt der Historiker Hartmut Kaelble für das 20. Jahrhundert zwar »die enorme Vielfalt von Stadtformen und städtischen Lebensweisen in Europa« hervor, vertritt aber gleichwohl die These, dass sich ungeachtet solcher Differenzen Parallelen in der Entwicklung europäischer Städte finden würden, anhand derer sie sich klar von »außereuropäischen Städten« unterscheiden ließen: »Am langsameren Stadtwachstum, an der wirkungsvolleren Stadtplanung, an der größeren Seltenheit von Millionenstädten, an der speziellen Nutzung der Zentren, an den besonderen sozialen Gegensätzen in der Stadt, am besonderen Aussehen erkennt man europäische Städte im Allgemeinen sofort.« (Kaelble 2001: 264, 273)18 Eine andere Variante der Abgrenzung der europäischen Stadt stützt sich auf die Behauptung, dass sich die Unterschiede zwischen europäischen Städten innerhalb bestimmter Grenzen bewegen würden, welche als äußere Konturen dieses Stadttypus anzusehen seien. Charakteristisch für diese Strategie ist, dass sie es weitgehend vermeidet, ausdrücklich gemeinsame Merkmale ins Spiel zu bringen bzw. solche beim Namen zu nennen. So schreibt Sassen im Vorwort des Bandes Cities of Europe, dass die Publikation auf die Spezifizierung eines »European city type« ziele, um sogleich zu konstatieren: »The effort of this volume is not to find homogeneity. Rather, together the chapters document the fact of enormous heterogeneity among European cities, but within a framework that does not deborder the European city type.« (Sassen 2005: xviii)

Die Rede von der europäischen Stadt im Singular ist – wie übrigens auch das Konzept »der amerikanischen Stadt« (Marcuse 1989: 42) – verschiedentlich ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, nicht zuletzt, weil Differenzen zwischen »der europäischen Stadt« und anderen Stadtformen zwar vielfach behauptet, aber selten vertieft untersucht und dokumentiert worden sind. Schubert (2001: 271) moniert, dass die Rede von der europäischen Stadt »inflationäre Ausmaße« erreicht habe, wobei er am einschlägigen Sprachgebrauch nicht nur eine mangelnde Trennschärfe sowie überzogene Verallgemeinerungen kritisiert, sondern vor allem auch eine stark normative Färbung: Mit dem Begriff werde häufig eine bessere, humanere Form der Modernisierung heraufbeschworen, und sein Gebrauch sei »nicht selten ideologisch motiviert, analytisch aber unscharf«. Angesichts der oben skizzierten Thesen von Kaelble betont er die Notwendigkeit, bei der Untersuchung von Urbanität in Europa nicht einseitig auf Gemeinsamkeiten zu fokussieren, sondern auch »relevante Differenzen zu reflektieren« bzw. solche nicht nur primär als ›Abweichungen‹ schlicht zu konstatieren (Schubert 2001: 270). Mit seiner Kritik macht er deutlich, dass auch Zugänge, denen es um die Erarbeitung von Stadttypen geht und die an geteilten und divergierenden Mustern in der globalen Stadtentwicklung interessiert sind, de facto nicht um die Auseinandersetzung mit konkreten Einzelfällen herumkommen, wenn »eine sachgerechte Abstraktion und Verallgemeinerung« vollzogen sein will (Schubert 2001: 286). Annäherungen, die einer subsumptionslogischen Perspektive verhaftet sind, bergen die Gefahr eines eurozentrischen Schematismus und leisten primär dem »Mythos ›europäische Stadt‹« Vorschub.

Im Rahmen dieser Studie wird zwar hie und da auf in Europa ›typische Erscheinungen‹ in Sachen Städtebau oder Stadtplanung verwiesen, doch soll damit nicht impliziert sein, Städte in Europa würden sich grundlegend von Städten anderer Kontinente unterscheiden. Gegen die Unterstellung einer europäischen Stadt im Singular spricht nicht nur die von Schubert kritisierte Normativität des Konzepts, sondern namentlich auch die Tatsache, dass Städte in Europa wie Metropolen anderer Kontinente zu vielgestaltig sind, um in produktiver Weise auf einen Typus reduziert werden zu können. Inwiefern etwa Baupraktiken in Städten unterschiedlicher Kontinente überhaupt divergieren und konvergieren, ist über weite Strecken eine noch zu erforschende Frage. Mit den Fallstudien zu Paris, London und Wien soll vor allem der Blick dafür geschärft werden, dass es auch zwischen westeuropäischen Metropolen markante Differenzen gibt, die sich nicht nur im Stadtbild manifestieren, sondern auch im Beobachtungshorizont bzw. der Orientierung von Akteuren – in der Art und Weise etwa, wie sie ›Referenzstädte‹ auswählen und wie globalisierte Trends rezipiert werden. Zudem ist die vorliegende Untersuchung von der Überzeugung getragen, dass auch die Frage nach Parallelen und Unterschieden zwischen europäischen und außereuropäischen Metropolen verstärkt empirisch zu erforschen ist.19 Das Konzept der »europäischen Stadt« und die Frage nach dem ›Europäischen‹ sind jedoch in anderer Hinsicht für dieses Buch durchaus bedeutsam: Wie weiter unten noch genauer diskutiert wird, ist es von zentralem Interesse, ob bzw. inwiefern einschlägige Konstruktionen im Feld der Stadtplanung und -politik bei der Diskussion von Baufragen relevant sind.

Den Eigensinn von Städten bei der Untersuchung des vertikalen Bauens ernst zu nehmen, geht nicht zuletzt mit einer kritischen Perspektive auf das aktuell omnipräsente Erklärungsmuster »Städtekonkurrenz« einher. In den letzten Jahren hat sich die Rede von der »Städtekonkurrenz« oder dem »Städtewettbewerb« nicht nur in medialen Diskursen sowie in politischen und wirtschaftlichen Diskussionszusammenhängen zu einem Topos verfestigt. Die Vorstellung von einer (allgegenwärtigen) städtischen Konkurrenz ist auch in soziologische Beschreibungen von Urbanität tief eingelassen, nicht zuletzt, wenn kulturelle Aspekte, etwa Stadtbildfragen oder symbolische Implikationen von Großbauprojekten, zur Diskussion stehen. Diese heute in stadtsoziologischen Analysen nahezu selbstverständliche Konkurrenzvermutung ist kaum ausschließlich ein Reflex auf Diskurse in anderen gesellschaftlichen Bereichen (wie etwa Politik, Medien oder Wirtschaft), sondern über weite Strecken auch ›hausgemacht‹ – das Resultat interner Diffusionsprozesse. In den sozialwissenschaftlichen Debatten sind es hauptsächlich zwei Perspektiven, welche die Wettbewerbsthematik in den Mittelpunkt rücken und von wo aus sich gewisse Thesen und Grundannahmen in verkürzter Form in weite Gebiete der Diskussionslandschaft verbreitet haben dürften. Zu diesen zwei theoretisch übrigens durchaus unterschiedlich gelagerten Diskussionszusammenhängen zählt zum einen die Perspektive der kritischen, in unterschiedlichen Formen und Graden an Marx orientierten Geografie und ihre Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie sich neoliberale Tendenzen in der Stadtentwicklung artikulieren und wie Städte – etwa auf der Basis von Managementtheorien – unternehmerisch ›getrimmt‹ werden (vgl. etwa Hackworth 2007; Harvey 1989; Heeg/Rosol 2007). Diese Thematisierungen sind typischerweise im breiteren Kontext von Diagnosen angesiedelt, in denen eine umfassende Ökonomisierung des Sozialen konstatiert wird. Zum anderen haben auch die in den letzten Jahren rege diskutierten Thesen zur »creative city« bzw. zur »creative class« die Verbreitung des Denkens in Termini der Konkurrenz befeuert. Diese primär aus wirtschaftswissenschaftlichen Diskursen abgeleiteten Thesen, die vergleichsweise konventionelle Vorstellungen von Wettbewerb an das Phänomen Stadt herantragen, betonen Aspekte wie Diversität und Kultur als zentrale Standortvorteile (Florida 2005; Landry 2001; Vivant 2009b).

Der ›Erfolg‹ des Deutungsmusters Städtekonkurrenz in seinen unterschiedlichen Spielarten zeitigt in der stadtsoziologischen Diskussionslandschaft keineswegs nur produktive Folgen. Gerade wenn es um Architektur geht, tendiert die Diskussion durch die Art und Weise, wie Konkurrenz als Erklärungsmuster ins Spiel gebracht wird, gerne dazu, ein verkürztes Bild städtischer Realitäten zu zeichnen und von zentralen Fragen abzulenken. Diese Tendenz umfasst (mindestens) drei Problemdimensionen: Erstens wird in der Wahrnehmung und bei der Beschreibung von Stadt Konkurrenz häufig verallgemeinert und insofern überstrapaziert, als die Möglichkeit anderer Verhältnisse aus dem Blickfeld gerät. Vor diesem Hintergrund erscheint dann nahezu alles, was städtische Institutionen bzw. Parteien lancieren – ihre Programme und Projekte – als eine Form von Wettbewerbsstrategie. Namentlich auch Bemühungen um ein attraktives Stadtbild, was immer damit gemeint sein mag, sowie die Bewilligung und Förderung schillernder Monumentalbauten werden solcherart in den Blick genommen.20 Die Diagnose der Städtekonkurrenz fungiert dabei als nicht weiter hinterfragte Prämisse. Diese Tendenz infrage zu stellen, drängt sich nicht zuletzt mit Blick auf Studien auf, die explizit zu gegenteiligen Einschätzungen gelangt sind. Das wohl prominenteste Beispiel ist Sassens Arbeit zur »Global City«, die das Zusammenspiel einer bestimmten Form von Urbanität mit der sich globalisierenden Finanzökonomie ins Zentrum des Interesses rückt. Sassen (2002; 2001 [1991]) thematisiert »Global Cities« als zentrale Steuer- und Kontrollzentralen, in denen sich Akteure, Ressourcen und Funktionen verdichten. Sie thematisiert diese räumliche Konzentration als Voraussetzung dafür, dass Unternehmen aus dem Bereich der Finanzindustrie und der spezialisierten Dienstleistungen ihre Tätigkeit überhaupt global ausweiten können. Sassen vertritt die These, dass sich während der Herausbildung dieser Form von »Knoten« die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Städten neu formiert und akzentuiert hat. Im Hinblick auf »Global Cities«, wozu weltweit rund 100 Städte gezählt werden, warnt sie davor, Metropolen einseitig als Wettbewerbseinheiten zu begreifen: