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Ein neuer Fall für die Eifeler Miss Marple, der unerwartet aus dem Ruder läuft … Als die pensionierte Kommissarin Frederike gerade in ihrem Eifeler Bauerngarten den Brennnesseln und dem Giersch zu Leibe rückt, tritt unerwartet das BKA in Person der jungen Leonie Jansen auf den Plan und bittet sie um Unterstützung. Die Abwechslung kommt Frederike gerade recht, und so erklärt sie sich bereit, den Lockvogel für eine Betrügerbande zu spielen, die es auf Senioren abgesehen hat. Die Spur führt an den südlichen Rand der Eifel, auf das Mosel-Kreuzfahrtschiff Wilma, und Frederike geht als reiche Rentnerin ausstaffiert an Bord. Rückendeckung bekommt sie dabei von ihrem Freund, dem forensischen Psychologen Willi Walther. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, als eines Morgens der junge Barkeeper Claudio tot aufgefunden wird. War das wirklich ein Unfall? Frederike hat da ihre Zweifel. Und welche Rolle spielt Willi dabei? Als sie zu allem Überfluss die Nachricht erreicht, dass bei ihr zu Hause eingebrochen wurde, ist sie hin und her gerissen zwischen der Sorge um ihr verwüstetes Heim und dem Wunsch, der Bande das Handwerk zu legen. Während sie noch mit der Spurensicherung und dem Versicherungsvertreter ringt, erfährt sie, dass Claudio tatsächlich ermordet wurde. Und Willi ist plötzlich nicht mehr zu erreichen … Wem kann Frederike noch vertrauen?
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Seitenzahl: 304
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Andrea Revers
Vertrau mir nicht
Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:
Schlaf schön
Komm gut heim
Hab keine Furcht
Lass die Vergangenheit ruhen
Andrea Revers wurde 1961 in Brühl/Rheinland geboren. Sie ist Diplom-Psychologin, studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften und machte eine Ausbildung zur Journalistin und Marketing-Beraterin. Sie lebt in der Eifel und widmet sich nach langjähriger Tätigkeit als Management-Trainerin und Coach nun voll und ganz dem Schreiben. Sie verfasste Bücher, Fachartikel und zahlreiche Kurzkrimis. 2011 wurde sie für den »Deutschen Kurzkrimipreis« nominiert. Ihre Romanreihe um die Ex-Kommissarin Frederike Suttner hat der Palette der Eifelkrimi-Literatur eine neue Farbe hinzugefügt und umfasst nun bereits fünf Bände.
www.andrearevers.de
Andrea Revers
Eifelkrimi
Originalausgabe
© 2024 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: [email protected]
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
Lektorat: Nicola Härms, Rheinbach
Druck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, Ulm
Printed in Germany
Print-ISBN 978-3-95441-696-7
E-Book-ISBN 978-3-95441-707-0
PROLOG
LEUDERSDORF, AN EINEM SCHÖNEN JUNITAG
KURZ VOR DER ABFAHRT
KOBLENZ, ES GEHT LOS
BEILSTEIN
ZELL AN DER MOSEL
ZELL AN DER MOSEL – IMMER NOCH
ZELL AN DER MOSEL – ABER WIESO?
ZELL AN DER MOSEL – IMMER NOCH
ZWISCHENSPIEL ZU HAUSE
BERNKASTEL-KUES, KURZ VOR DER ABFAHRT
ANKUNFT IN TRIER
TRIER
IMMER NOCH TRIER
TRIER, KURZ VOR DER ABFAHRT
WEITERFAHRT RICHTUNG COCHEM
COCHEM
WEITERFAHRT NACH KOBLENZ
KOBLENZ
KOBLENZ AM MORGEN
WIEDER ZU HAUSE
EPILOG
DANKE
»Vertrauen ist eine Oase im Herzen, die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.«
(Khalil Gibran)
Was tat das weh! Der junge Mann fasste sich an den Rücken. Eigentlich hatte er nur eine Orange aus der Kiste unter der Spüle holen wollen, doch als er sich aufrichtete, schoss ihm der Schmerz in die linke Hüfte, wie ein scharfes Messer. Gebückt stand er dort, mit Tränen in den Augen, nicht in der Lage, seinen Körper zu strecken. Hexenschuss! Er kannte dieses Elend, wenn der Ischiasnerv aufschrie.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich vorsichtig wieder in die Senkrechte begeben konnte. Danach versuchte er es tunlichst zu vermeiden, nach etwas zu greifen, das tiefer als in Hüfthöhe war. Er wollte sich nichts anmerken lassen und seinem Job professionell nachkommen, doch er zählte die Minuten bis zum Dienstschluss.
Die letzten beiden Stunden brachte er unter Schmerzen hinter sich. Als seine Schicht endlich zu Ende war, machte er sich auf den Weg zu seinem Zimmer, wo er diverse Schmerzmittel gelagert hatte. Man wusste ja nie! Am liebsten hätte er sich ins Bett gelegt, aber das musste warten. Mit vorsichtigen Schritten ging er in Richtung des Treppenhauses, wo sich auch der Lift befand. Dabei verfluchte er sich selbst. Warum hatte er nicht eine Blisterpackung in die Tasche seines Jacketts gesteckt, nachdem er es aus der Reinigung geholt hatte? Er wusste doch, dass der Ischiasnerv bei ihm gerne und jederzeit zuschlagen konnte. Ihm schauderte vor dem langen Weg in seine Kabine, aber es half nichts, da musste er jetzt durch. Gleich würde er zwei Tabletten einwerfen und damit hoffentlich die Schmerzen in den Griff bekommen. Wahrscheinlich könnte eine Massage helfen, aber im Moment wollte er sich nur ausstrecken. Es war still in der Lobby, die Rezeption nicht besetzt. Um diese Uhrzeit schliefen die meisten.
Er hatte die Treppe erreicht und hielt kurz inne, um durchzuatmen, die Hand aufs Treppengeländer gelegt. Nur noch ein paar Schritte bis zum Lift. Auf einmal nahm er wahr, wie sich jemand von hinten näherte und hinter ihn trat. Ein vertrauter Duft aus Zitrusnoten und Holztönen drang in seine Nase. Er lächelte. Starke Hände begannen zart, seine Schultern und seinen Nacken zu streicheln. Die sanften Berührungen ließen ihn erschauern. Lippen glitten seinen Hals entlang. Er schloss die Augen und lehnte sich an den warmen Körper an. Das tat gut. Die zärtlichen Küsse bereiteten ihm einen wohligen Schauer. Gänsehaut. Kurz vergaß er seinen Rücken und schnurrte wohlig unter den Liebkosungen. Ein Arm umfasste ihn am Hals und zog ihn zu sich, während die andere Hand in seinen Haaren wuschelte. Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, lehnte sich an und entspannte sich in der Umarmung. Plötzlich verspannte sich der Griff um seinen Hals, und die Hand am Kopf umfasste sein Gesicht. Ein kurzer Ruck, ein deutlich hörbares Knacken. Der Schmerz war vergessen. Im Tod vergangen.
Noch bevor er zusammenbrechen konnte, fasste jemand kräftig zu, hob ihn über die Brüstung der Treppe und stieß ihn die zwei Stockwerke hinab.
Von oben sah er aus wie eine Puppe, mit verrenkten Gliedern, den Kopf unnatürlich verdreht auf den Treppenstufen liegend. Der bunte Teppich mit seinen ornamentalen Mustern in den Farben des Orients harmonierte perfekt mit der Uniform. Es war einfacher gewesen als gedacht. Vertrauen war schon eine feine Sache!
Frederike arbeitete gerade im Garten, als sie das Gartentörchen quietschen hörte. Sie wohnte in einem kleinen Eifeldorf, war vor ein paar Jahren zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und hatte das elterliche Bauernhaus sanieren lassen, um dort ihren Ruhestand zu genießen. Mühsam richtete sie sich auf und wischte sich mit einem ziemlich schmutzigen Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht. Sie kniff die Augen zusammen, im Gegenlicht konnte sie nur eine dunkle Gestalt ausmachen.
»Hallo, Frederike, mir scheint, ich störe.« Eine junge Frau in Motorradkombi mit einem Helm in der Hand trat näher.
»Nicht, wenn du mit anpackst. Bei mir gibt’s Unkraut im Sonderangebot.« Frederike breitete die Arme aus. »Tach, Leonie, wie schön, dich zu sehen.«
Die beiden drückten sich ausgiebig. Es war schon eine Weile her, dass sie sich gesehen hatten. Leonie hatte zwar angekündigt, mal vorbeizukommen, aber als Mitarbeiterin des Bundeskriminalamts hatte sie viel um die Ohren und war daher nicht immer Herrin ihrer Zeit. Das kannte Frederike noch aus ihrer eigenen Berufstätigkeit bei der Düsseldorfer Mordkommission. Wie viele Feiern und Partys, Essenseinladungen und kulturelle Veranstaltungen hatte sie verpasst, weil sich mal wieder ein Täter nicht nach ihrem Terminplan richtete. Aber umso schöner, dass Leonie es heute geschafft hatte.
»Du, ich habe dein Motorrad gar nicht gehört. Wie hast du dich angeschlichen?«
Leonie lachte laut auf und schälte sich aus der Kombi.
»Puh, ist das heiß! Angeschlichen habe ich mich ganz und gar nicht. Ich glaube ja eher, dass du so in dein Dasein vertieft warst, dass dir alles rund um dich herum entgeht.« Sie ließ sich auf der Bank nieder und blickte sich um.
»Schön hast du es hier. Das ist mir beim letzten Mal gar nicht so aufgefallen.«
»Das war ja auch im April letzten Jahres.« Frederike war damals von einem rachsüchtigen Kunden, den sie vor dreißig Jahren aus dem Verkehr gezogen hatte und der nun wieder auf freiem Fuß war, bedroht und ihre Nichte Angela entführt worden. Eine der Spuren, die sie damals verfolgt hatten, führte zu einem Fall des Bundeskriminalamts, mit dem Leonie Jansen befasst war. So war diese zu der Ermittlertruppe rund um Frederike gestoßen.
»Jetzt ist wieder ein Jahr rum, und wir haben Juni. Schau dir mal die Rosen an.« Frederike deutete auf einen fünf Meter hohen Rosenbusch mit Hunderten von Blüten an der Hauswand.
»Ganz zauberhaft. Ja, das Wetter ist herrlich, und die Natur steht in voller Pracht. Da konnte ich nicht widerstehen und habe mich aufs Motorrad geschwungen. Diese Eifelstraßen sind ein wahres Fest!«
Frederike scheuchte Hannelore, ihren schwarzen Kater, vom Sitzpolster und ließ sich auf den Teakholzsessel fallen. Hannelore verzog sich murrend in die Wiese, drehte sich zweimal um seine eigene Achse und ließ sich dann ins Gras gleiten.
»Wohl wahr. Trotzdem – mitten in der Woche lässt du dich sicher nur sehen, wenn du etwas willst oder brauchst.«
Leonie lachte schallend auf. »Dir kann man echt nichts vormachen, was?«
Frederike grinste schief zurück. »Tut mir leid, ich kann nicht aus meiner Haut. Außerdem bin ich neugierig. Doch zuerst einmal: Willst du einen Kaffee oder ein Wasser?« Die Eifeler Gastfreundschaft ging schließlich vor.
»Gerne einen Kaffee. Ich bin schon seit Stunden auf den Beinen. Koffein wäre jetzt genau das Richtige.«
Kurze Zeit später saßen sie gemeinsam am Küchentisch, jede mit einem dampfenden Kaffeebecher vor sich. Hannelore hatte sich auf den Stuhl neben Leonie gesetzt und ließ sich von ihr schnurrend die Öhrchen kraulen. »Du bist aber auch zu süß, mein Lieber. Auch wenn du einen bekloppten Namen trägst. Ein stolzer Kater wie du müsste Hannibal heißen. Oder Zeus!«
»Du hast es anscheinend mit der griechischen Mythologie. Hannibal – der Eber meiner Tante hieß so. Lass mal, Hannelore ist ein schöner Name, und in der heutigen Zeit sollten wir uns von Klischees wie männlich und weiblich nicht die Möglichkeiten verstellen lassen.« Beim letzten Satz hatte Frederike dozierend den Zeigefinger gehoben.
»Deine Tante hatte einen Eber? Wie praktisch.« Leonie ignorierte Frederikes emanzipatorische Weisheiten.
»Ja, hatte sie. Und noch ein paar Hundert Schweine. Aber lenk nicht ab. Was genau führt dich her?«
Leonie nahm erst einmal einen großen Schluck Kaffee, dann blickte sie Frederike ernst an. »Ich glaube, ich könnte gut deine Hilfe gebrauchen.«
Frederike richtete sich im Stuhl auf. Aha! Sie gab es nur ungern zu, aber der Ruhestand machte ihr deutlich mehr Freude, wenn er nicht ganz so ruhig war. Und das hier versprach spannend zu werden. »Erzähl!«
»Wie du weißt, arbeite ich immer noch bei der Ermittlertruppe rund um den Cyberbunker in Traben-Trarbach.«
Frederike nickte.
Der Fall hatte vor einigen Jahren bundes-, ja weltweit Schlagzeilen gemacht. Eine Bunkeranlage, gefüllt mit Servern, auf denen kriminelle Geschäfte im Darknet abgewickelt wurden. Man hatte unfassbar große Datenmengen sichergestellt, die nun nach und nach ausgewertet wurden. Cybercrime – das umfasste Drogen- und Waffenhandel, Pädophilie, Erpressung, Datenhandel, Geschäfte rund um Mord und Raub und vieles mehr, das sich Frederike gar nicht ausmalen mochte.
Eigentlich war das LKA zuständig, aber da es in einigen Bereichen um organisierte Kriminalität ging, war auch das Bundeskriminalamt involviert, ebenso Interpol. Viele der Tatverdächtigen saßen im Ausland.
»Das Thema, das mich hierherbringt, ist eigentlich gar keine so große Sache für das BKA, aber für die Betroffenen schon«, fuhr Leonie fort.
»Was genau meinst du?«
»Wir haben festgestellt, dass jemand im Netz hochwertige Datensätze zu Betrugszwecken verkauft. Daten von älteren Menschen, Adressen und Telefonnummern, aber auch persönliche Informationen. Du hast sicher schon vom Enkeltrick gehört?«
Frederike nickte gespannt. »Klar. Aber wieso ist das dein Fall?«
Leonie errötete leicht. »Tatsächlich ist es eigentlich gar nicht mein Fall. Papa hat eine gute Bekannte, die man kürzlich abgezockt hat. Statt sich vorher an ihn zu wenden, hat sie einfach ihr ganzes Geld abgeholt und einem jungen Mann gegeben, um ihrem Patenkind aus einer Notlage zu helfen. Du weißt doch, wie das läuft.«
Frederike nickte. »Und was hat das mit deiner Arbeit zu tun?«
»Ich habe die Daten von Papas Bekannten mit den Datensätzen, die wir sicherstellen konnten, abgeglichen. Sie stand drin. Und nicht nur ihre Adresse und Telefonnummer, sondern auch Informationen über nahestehende Verwandte und über ihre Vermögensverhältnisse. Und das ist nicht nur bei ihr so.«
Frederike pfiff durch die Zähne. »Das ist richtig übel. Dann kann man ja sogar verstehen, dass jemand auf diesen bekloppten Trick reinfällt.«
»Inzwischen können die sogar Stimmen und Videos faken. Das wird immer schlimmer. Ich würde dem Ganzen gerne einen Riegel vorschieben – zumindest in diesem Fall –, und da kommst du ins Spiel.«
»Welche Spur verfolgst du? Und was kann ich dabei tun?« Ein unschöner Gedanke schoss Frederike durch den Kopf. »Lass mich raten – mit meinem Alter hat das aber nichts zu tun, sondern nur mit meiner Berufserfahrung, oder?«
Sie blickte Leonie scharf an, die prompt errötete. »Äh, ehrlich gesagt verfüge ich selbst auch über Berufserfahrung …« Das kam zögernd.
Frederike kniff die Augen zusammen. »Das dachte ich mir doch!« Doch dann grinste sie. »Gib es zu, du willst mich als Köder in der Rolle der naiven Alten.«
»Genau!«
»Na, mal sehen. Wie sieht dein Plan aus?«
Leonie griff zu ihrem Handy und öffnete das elektronische Notizbuch. Sie blätterte ein paar Seiten um. »Also: Ich habe mir die Datenbank mit den angebotenen Datensätzen mal genauer angeschaut. Die sind schon sehr spezifisch. Anhand der gespeicherten Informationen konnte man erkennen, dass es sich auf keinen Fall um eine Kundendatenbank handelt. Es fehlen Bankdaten, manchmal auch Telefonnummern oder Mailadressen.«
»Wahrscheinlich hat nicht jeder eine Mailadresse«, spekulierte Frederike.
»Möglich. Die Datensätze sind darüber hinaus aber sehr spezifisch. Familienstand, Einschätzung der Vermögenswerte, Verwandtschaften – das lässt eher auf einen Chat schließen, wo Menschen in Kontakt sind.«
»Aber bei solchen Datenbanken wäre normalerweise auch eine E-Mail-Adresse oder ein Social-Media-Account dabei, oder?«
»Genau. Und das führt mich zu der Vermutung, dass die Daten nicht im Internet gesammelt wurden, sondern im analogen Leben. Das macht bei der Zielgruppe auch mehr Sinn. Die wenigsten Ü70-Jährigen, die ich kenne, treiben sich in Chats herum.«
»Vielleicht eine Telefonseelsorge?«
»Unwahrscheinlich. Hier bleiben die Anrufer in der Regel anonym. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Gretchen, Papas Bekannte, bei der Telefonseelsorge anruft. Aber man weiß ja nie.«
Frederike blickte Leonie nachdenklich an. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich ohne einen konkreten Anhaltspunkt auf den langen Weg in die Eifel gemacht hast, um mich um Hilfe zu bitten.«
Leonie lächelte verlegen. »Na ja, konkret ist anders, aber eine Idee, wie man an die Daten gekommen ist. Ich bin mit Gretchen ihre Aktivitäten durchgegangen: Wo ist sie unter Leute gegangen, Vereine, Hobbys, Reisen? Dabei bin ich darauf gestoßen, dass sie im Herbst letzten Jahres eine Flusskreuzfahrt gemacht hat.«
Frederike nickte gedankenvoll. »Eine Flusskreuzfahrt? Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Eine Menge alter Leutchen, alle neugierig und kommunikativ, man unterhält sich, lernt sich kennen, erzählt sich Dinge. Da fällt der Austausch von Bankdaten nicht drunter, aber Verwandtschaften, Namen von Angehörigen und Ähnliches schon. Hast du das überprüft?«
»Habe ich. Ich habe Kontakt aufgenommen mit einigen Menschen, die in der Datenbank aufgeschlüsselt waren, und bingo! Das hat in acht von zehn Fällen gepasst.«
»Immer der gleiche Veranstalter?«
»Ja.« Leonie blätterte erneut in ihrem Notizbuch. »Seeland-Reisen. Sitzen in Frankfurt und sind spezialisiert auf Kreuzfahrten. Einer der Großen der Branche. Das hat mich dann wieder stutzig gemacht.«
»Inwiefern?«
»Man sollte doch meinen, dass da in einem deutlich größeren Stil Daten abgegriffen werden können. Entweder müsste es ein Insider sein oder die Kundendatenbank ist gehackt worden und das Unternehmen hat ›vergessen‹, das seinen Kunden mitzuteilen. Aber selbst wenn wir annehmen, dass die Daten in der Verwaltung abgeflossen sind, sehe ich nicht, wie persönliche Informationen zu den Reisenden es bis in die Verwaltung schaffen.«
Frederike schnalzte mit der Zunge. »Guter Punkt. Also muss es ein Insider auf einem Schiff sein.«
Leonie nickte. »Ja, das halte ich für wahrscheinlicher.
»Und du weißt auch schon, welches, stimmt’s?«
Leonie lachte auf. »Papa hat immer davon erzählt, wie schnell du Schlüsse ziehst. Das hat sich anscheinend mit den Jahren nicht geändert.« Leonies Vater war tatsächlich ein alter Düsseldorfer Kollege von Frederike. Leonie war in seine Fußstapfen getreten. »Ich habe die Wilma in Verdacht, ein Flusskreuzfahrtschiff, das in diesem Jahr auf der Rhein-Mosel-Strecke fährt.«
Frederike begann zu strahlen. »Und du möchtest, dass ich da mitfahre? Wie toll ist das denn! Das wollte ich schon immer mal machen. Aber ich dachte immer, ich wäre noch zu jung dafür.«
Leonie grinste. »Ach was! Du hast genau das richtige Alter.«
Frederikes Lächeln erlosch. »Echt? Ist es schon so weit?«
»Du musst nicht fahren, wenn du nicht willst.« Leonie schloss das Notizbuch und steckte ihr Handy wieder in ihre Brusttasche.
»Papperlapapp. Natürlich fahre ich und helfe dir, den Typen das Handwerk zu legen. Enkeltrick finde ich richtig böse. Alten Leutchen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ihr Erspartes aus der Tasche zu ziehen – da werde ich echt sauer. Nein, ich bin auf jeden Fall dabei. Wie ist der Plan?«
»Nächsten Mittwoch geht’s los. Ich habe mit der Reederei gesprochen. Die ist sehr daran interessiert, die Sache möglichst diskret beizulegen. Es ist keine gute Werbung, wenn sich herumspricht, dass eine Bande Krimineller es auf ihre Kunden abgesehen hat, um sie später abzuziehen. Man hat dir eine Einzelkabine mit französischem Balkon reserviert. Es geht von Koblenz nach Trier und wieder zurück. Fünf Übernachtungen mit Stopps in Beilstein, Zell an der Mosel, Bernkastel-Kues, Trier und Cochem.«
Leonie holte, während sie sprach, einen zusammengefalteten Flyer aus ihrer Hosentasche. »Hier ist schon mal das Programm. Ich schicke dir alle Details per E-Mail zu. Du hast doch eine E-Mail-Adresse, oder?« Sie grinste.
Frederike schnitt eine Grimasse. »Natürlich. Ich bin doch nicht von gestern.«
»Nein, natürlich nicht!« Leonie trank den letzten Schluck aus ihrem Becher. »Von vorgestern. Deshalb bist du ja so wertvoll für mich!« Sie grinste, während Frederike ihr erbost die Zunge herausstreckte.
Hannelore sprang von seinem Stuhl und strich Frederike maunzend um die Beine. Die schaute erschrocken auf die Uhr. »Was denn? Schon so spät?«
Sie sprang auf, öffnete den alten Küchenschrank und holte ein Döschen Katzenfutter heraus. »Willst du auch was, bevor du dich auf den Heimweg machst?«
»Katzenfutter? Eher nicht.«
Frederike lachte auf. »Nein, überhaupt etwas zu essen. Du bist ja schon den ganzen Vormittag unterwegs. Ich könnte uns etwas kochen.«
»Da sag ich nicht Nein. Aber wie gesagt nichts Katziges.«
»Schade, ich hätte hier gerade Makrele im Angebot.« Frederike füllte Hannelores Napf auf. Der Kater begann gierig zu schlingen.
Nach dem Essen begaben sich Leonie und Frederike in den Garten. Leonie hielt einen Espresso in der Hand. Frederike wollte sie nicht gehen lassen, bevor sie nicht mehr erfahren hatte: Was brauchte Leonie konkret, um die Enkeltrick-Bande dingfest zu machen? Frederike hörte gespannt zu und machte sich ein paar Notizen.
»Also beobachten, wie die Daten gesammelt werden und wer auf dem Schiff dahinterstecken könnte und dir dann berichten«, fasste sie zusammen.
»Genau. Und keine Alleingänge. Wir versuchen, den Kopf hinter der ganzen Aktion zu entdecken, und ich bin mir nicht sicher, ob der tatsächlich auf dem Schiff ist oder ganz woanders sitzt.«
»Keine Sorge. Ich hab’s verstanden: nur gucken, nicht anfassen!«
Leonie grinste. »Genau! So langsam muss ich los. Es ist noch eine gute Strecke bis Wiesbaden, und die fahre ich lieber im Hellen. Da sieht man wenigstens, was auf der Straße liegt.«
Dann stand sie auf, zog den Reißverschluss ihrer Kombi zu und schnappte sich den Motorradhelm. »Ich glaube nicht, dass es für dich gefährlich werden kann, aber trotzdem: Pass gut auf dich auf. Iiih, sind das Ameisen?«
»Oje, eine Ameisenstraße. Du hast den Helm in ein Nest gelegt. Warte, ich hole eine Bürste. Die müssen aus dem Helm, bevor du fährst.«
Leonie betrachtete angewidert das Gewimmel im Helminneren. »Ich habe jetzt wirklich keine Lust, mir das Teil aufzusetzen. Beißen die Viecher nicht sogar?«
Frederike nickte und betrachtete den Helm zweifelnd. »Ich könnte dir Insektenspray anbieten, aber der Gestank ist wahrscheinlich noch schlimmer als die kleinen Krabbler.«
»Nein danke. Mist! Was mache ich jetzt bloß?«
Frederike dachte kurz nach, dann hellte sich ihr Gesicht auf.
»Warte mal eben, ich habe da eine Idee.« Sie verließ den Garten durch das kleine Törchen und verschwand um die Hausecke. Kurze Zeit später kam sie zurück und hielt eine Halbschale mit passender Motorradbrille in der Hand. »Da, besser als nichts.«
Leonie betrachtete die Utensilien mit kritischem Blick. »Hast du die vom Sperrmüll?«
»Lass das mal nicht Max, meinen Nachbarn, hören. Nimm es als Kompliment, dass er dir die Sachen leiht. Normalerweise kommen die nur bei der Oldtimerrallye aus dem Schrank. Er fährt eine alte BMW mit Beiwagen.«
»Nach Oldtimer sehen die auch aus. Gut, ich probiere sie an. Ich muss jetzt wirklich fahren.«
»Los, setz auf. Ich will ein Foto machen!« Frederike griff nach ihrem Handy in der Rocktasche.
»Auf gar keinen Fall!« Widerstrebend setzte Leonie zuerst die Brille und dann den Halbschalenhelm auf.
Frederike war begeistert. »Du meine Güte, du siehst wirklich selten dämlich aus.«
»Na, na«, ertönte es vom Gartenzaun. Max war Frederike gefolgt. Auch er wollte sich das Schauspiel nicht entgehen lassen. »Schöne Maschine, die du da hast. Und der Helm steht dir besser als mir.«
»Hat der überhaupt eine Straßenzulassung?«
»Selbstverständlich. Aber ob er wirklich schützt, wenn es drauf ankommt, vermag ich nicht zu sagen.«
»Ich lasse es mal lieber nicht darauf ankommen!«, schnaubte Leonie und packte ihren ameiseninfizierten Helm unter den Arm. »In knapp zwei Wochen bringe ich die Sachen zurück. Ist das okay?«
Max winkte ab. »Alles gut. Das ist bloß einer meiner Reservehelme.«
Frederike drückte Leonie noch einmal. »Mach, dass du wegkommst. Und danke!«
Frederike war aufgeregt. Nicht nur ein neuer Fall, der mal so gar nichts mit Mord und Totschlag zu tun hatte – eine schöne Abwechslung –, sondern auch die Aussicht auf eine tolle Reise. Gut, es ging nicht in die Karibik, nur an die Mosel, aber immerhin. Frederike kannte die Gegend von früheren Ausflügen und schätzte die Landschaft ebenso wie die guten Weine. Jetzt galt es, die Reise zu organisieren. Was sollte sie bloß anziehen? Und wer zum Teufel würde sich um Hannelore kümmern? Das schwarze Fellknäuel lag im Gras zu ihren Füßen und genoss den lauen Sommertag. Es half nichts, sie brauchte Unterstützung. Zeit, ein Telefonat mit Angela, ihrer Nichte, zu führen.
Frederike hatte den Überblick verloren. Ihr halber Kleiderschrank lag ausgebreitet auf dem großen Bett, die andere Hälfte hing auf Kleiderbügeln überall im Raum an allen möglichen Haken und Vorsprüngen. Sie war gerade in die Sichtung verschiedener Wäschestücke versunken, als sich die Schlafzimmertür öffnete und Angela im Türrahmen stand.
»Du lieber Gott, was ist denn hier los? Große Modenschau oder ist Altkleidersammlung?«
»Irgendwie beides«, seufzte Frederike. »Ich wollte eigentlich bloß mal schauen, was ich auf meine Reise mitnehme, aber dabei sind mir Sachen in die Hände gefallen, die ich bestimmt schon seit dreißig Jahren nicht mehr getragen habe.« Sie dachte mit ein wenig Wehmut an die Zeit zurück. Damals hatte sie auch noch eine so gute Figur und lange Beine wie Angela gehabt.
»Und wahrscheinlich auch nicht mehr tragen wirst, oder?« Angela war zum Bett getreten und hob ein paillettenbesetztes Top hoch.
»Nichts da. Das passt super unter den roten Blazer.« Frederike griff nach dem Top und legte es auf einen kleinen Stapel.
Angela hockte sich auf die Bettkante. »Also sag noch mal, wann genau fährst du los? Und wie bist du überhaupt auf den Gedanken gekommen, so kurzfristig etwas zu buchen?«
Frederike hatte sie am Vorabend nur kurz über ihre Reisepläne unterrichten können, weil Angela auf dem Sprung zu ihrem Nachtdienst war. Sie arbeitete als Pflegefachkraft im Dauner Krankenhaus. So hatten sie sich für heute Nachmittag verabredet.
Frederike griff zu einem Zettel, der auf dem Nachttisch lag. »Hier, ich habe dir mal alle Daten aufgeschrieben. Klappt das mit Hannelore?«
Angela griff nach dem Zettel und nickte gleichzeitig. »Klar kümmere ich mich um ihn. Möglicherweise passe ich nicht immer genau seine Zeiten ab, aber ein bisschen Flexibilität tut dem Kater auch mal gut. Hannelore ist eine richtige Diva geworden seit seiner Entführung. Wo ist er eigentlich?«
Frederike drehte sich um die eigene Achse und blickte sich suchend um. »Irgendwo hier muss er sein. Er war doch gerade noch hier. Wo hat er sich verkrochen? Hannelore?«
Angela bemerkte, dass die Bettdecke am Kopfende ein gewisses Eigenleben entfaltete, und klopfte vorsichtig auf die leichte Erhebung. »Das müsste er sein. Wahrscheinlich hat er sich verkrochen, als er die Pailletten gesehen hat.« Sie beugte sich vor und spähte unter die Bettdecke. Schnurrbarthaare, zwei dunkle Augen, langsam robbte Hannelore zurück in die Welt und ließ sich von Angela kraulen.
»Mal ehrlich, wozu brauchst du den roten Seidenblazer und das Paillettentop? Haben die da Abendveranstaltungen? Du legst doch sonst so viel Wert auf Bequemlichkeit.« Angela betrachtete skeptisch die bereits im Koffer gelandeten Kleidungsstücke.
»Na ja, ich will schließlich was hermachen«, rechtfertigte Frederike sich halbherzig und ließ sich auf die andere Seite des Bettes sinken.
»Wow, du hast eine Louis-Vuitton-Tasche? Ich glaube es ja wohl nicht!« Angela angelte die Tasche zu sich und hielt sie hoch. »Wahnsinn. Wie kommst du nur an das ganze Zeug?«
»Hallo? Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens in Düsseldorf verbracht.«
Frederike hatte dort bei der Kripo gearbeitet. Das Leben war hart gewesen, Überstunden die Regel – da war der eine oder andere Frustkauf auf der Kö eine schöne Kompensation für entgangene Freuden gewesen.
»Erbe ich die, wenn du mal tot bist?«
»Also wirklich! Auf keinen Fall. Nachher bringst du mich noch um die Ecke, nur um der Tasche habhaft zu werden. Du kannst sie nach dem Urlaub haben.«
»Uiih«, freute sich Angela überschwänglich. »Aber warum warten? Stell dir vor, die fällt vom Schiff in die Fluten. Schon ist sie hin. Die ist doch viel zu schade für so eine Tour. Außerdem, wozu brauchst du überhaupt eine Handtasche auf dem Schiff? Ist doch alles inklusive. Und Taschentücher und Zimmerschlüssel passen in die Hosentasche.« Anscheinend konnte sie es kaum erwarten, die Tasche in ihre Hände zu bekommen.
»Nichts da, die muss mit. Ich muss schließlich nach was aussehen. Und da kommt mir die Tasche gerade recht.«
Angela wurde hellhörig. »Sag mal, was ist das eigentlich für eine Tour? Sind das alles Singles und du suchst dir einen heißen Freier? Oder wieso willst du da um jeden Preis Eindruck schinden?«
Frederike lachte verlegen auf. »Nein, natürlich nicht. Sehe ich aus, als hätte ich es nötig? Mir ist meine Unabhängigkeit ganz recht. Aber …« Sie zögerte.
Angelas Misstrauen war geweckt. »Wenn du schon so guckst – da ist doch was im Busch! Raus mit der Sprache: Was läuft hier?«
Frederike stand auf und wandte sich wieder dem Kleiderschrank zu. »Ich weiß gar nicht, was du meinst. Außerdem muss ich dich nicht um Erlaubnis fragen, wenn ich eine Reise mache.« Ihre Stimme klang leicht pampig.
Angela merkte, dass sie überzogen hatte. »Natürlich nicht. Aber ich würde gerne wissen, was los ist. Du planst spontan eine Reise, die bereits nächste Woche losgeht. Obwohl du noch keine Pflegestelle für Hannelore hast. Und stehst jetzt vor dem Kleiderschrank und kramst in den Überresten deiner bewegten Vergangenheit.« Sie stutzte und sog die Luft ein. »Das ist es! Das ist überhaupt keine Reise, stimmt’s? Du bist wieder auf der Pirsch!«
Frederike zögerte kurz, doch dann erhellte sich ihr Gesicht, und sie strahlte Angela an. »Ja genau. Leonie Jansen vom BKA hat mich um Hilfe gebeten. Ich soll auf der Flusskreuzfahrt für sie beobachten. Sie vermutet, dass dort eine Bande unterwegs ist, die es auf die Ersparnisse alter Leute abgesehen hat.«
»Und deshalb brauchst du die Tasche und die ollen Designerklamotten, um als reiche Rentnerin durchzugehen.« In dem Moment, in dem Angela das sagte, wurde ihr erst klar, was sie da sagte. »Moment mal, du bist nicht als Ermittlerin an Bord – du bist der Lockvogel!« Ihre Stimme hob sich. »Du willst allein auf ein Schiff, ohne Rückendeckung, und bringst dich dort selbst als Opfer ins Spiel? Was ist, wenn sie deine Tarnung durchschauen? Du bist vollständig auf dich allein gestellt. Auf keinen Fall!« Sie sprang auf. »Ich komme mit. Und Frank sage ich auch Bescheid.«
Frank war nicht nur Angelas Lebensgefährte, er arbeitete darüber hinaus auch bei der Wittlicher Kripo. Sie war schon fast an der Tür, als sie noch einmal herumfuhr und fauchte: »Oder weiß er das etwa schon, und ich bin wieder mal die Letzte, die was erfährt?«
Frederike hob beruhigend die Hände. »Du liebe Güte, jetzt komm mal runter. Zuerst einmal: Ich bin vierundsiebzig und weiß, was ich tue. Das war jahrelang mein Geschäft, also tu du jetzt bitte nicht so, als wäre ich alt und tatterig! Zweitens: Ich werde die ganze Zeit mit Leonie in Kontakt sein. Meinetwegen kannst du aber gerne Frank informieren. Mir ist es durchaus lieb, wenn die Kollegen von der örtlichen Kripo eingebunden sind und wissen, was ich dort vorhabe. Wahrscheinlich hat Leonie da sowieso schon angerufen. Drittens: Du fährst auf keinen Fall mit. Du bist nicht nur viel zu jung für so eine Reise, du versaust mir auch den Auftritt! Wie soll ich als Lockvogel fungieren, wenn meine Nichte mit an Bord ist?«
»Trotzdem! Ich kann mich ja zurückhalten. Niemand muss wissen, dass wir zusammengehören. Außerdem machen auch junge Leute inzwischen Flusskreuzfahrten.«
»Pfft, wahrscheinlich denken die bei einer jungen alleinstehenden Frau, dass sie sich dort ein Altertümchen organisieren will, einen Sugardaddy.«
»Iihh! Du hast eine grauenvolle Fantasie! Jetzt habe ich Kopfkino.« Angela war pikiert, konnte die Vermutung allerdings nicht von der Hand weisen. »Okay.«
Sie ließ sich resignierend wieder auf die Bettkante sinken. »Wahrscheinlich bekomme ich auch überhaupt keinen Urlaub. Aber trotzdem, mir behagt es nicht, dich dort allein zu wissen. Kann denn nicht vielleicht eine deiner Freundinnen mitfahren? Grete? Oder jemand vom St. Ägidius in Hillesheim?« Im Hillesheimer Altersheim hatte Frederike bei ihren Ermittlungen einige Freunde gefunden, die sie gerne tatkräftig unterstützen.
»Na ja, wenn du schon Angst um mich hast, die ich ein Profi bin, finde ich den Gedanken nicht besonders attraktiv, jemanden mit hineinzuziehen, der völlig unbeleckt ist von professioneller Ermittlungsarbeit. Da habe ich mehr damit zu tun, auf meine Reisegefährtin aufzupassen als auf alles andere. Das kann ich überhaupt nicht gebrauchen.«
Angela dachte nach. »Und wie wäre es mit Willi? Der kennt sich aus und könnte bestimmt auch helfen.«
Frederike dachte nach. Dann nickte sie gedankenvoll. »Ja, das könnte gehen. Willi wäre okay.« Sie hob den Finger. »Aber eins sage ich dir direkt: Wenn er keine Zeit oder keine Lust hat, fahre ich trotzdem. Und außerdem werde ich jetzt erst einmal klären, ob überhaupt noch jemand mitkann. Ohne Leonies Einverständnis und auch das der Reederei geht niemand mit mir aufs Schiff.« Sie stand auf und stapfte aus dem Schlafzimmer.
Angela kraulte noch einmal kurz den Kater, der sich inzwischen in eine Lage T-Shirts eingerollt hatte, und folgte dann seufzend ihrer Tante.
Als sie das Wohnzimmer betrat, war Frederike in ein Telefongespräch mit Leonie vertieft. Angela setzte sich in einen Sessel und zog die Beine an.
Frederike ging auf und ab. »Gut, ich kann verstehen, dass du das intern erst einmal abklären musst. Ich denke, dass Willi, also Doktor Wilhelm Walther, eine Bereicherung für die Ermittlung sein könnte. Er ist ein hervorragender Beobachter. Als forensischer Psychologe und offizieller Berater der Kripo Wittlich ist er mit Ermittlungsarbeit vertraut und kann durch sein Einfühlungsvermögen Menschen dazu bringen, ihr Innerstes zu offenbaren. Als Mann in den besten Jahren hat er außerdem noch ganz andere Mittel, ältere Damen dazu zu bringen, dass sie ihm ihr Herz ausschütten.«
Angela grinste vor sich hin. Anscheinend hatte sich Frederike schon an den Gedanken gewöhnt, dass Willi sie begleiten könnte. Es war bestimmt auch netter, jemanden um sich zu haben, mit dem man sich austauschen konnte und der einem den Rücken freihielt.
»Sag Bescheid, ob die Reederei noch eine Kabine zur Verfügung stellt.«
Frederike lauschte ins Telefon. »Nein, auf keinen Fall. Wir werden uns keine Kabine teilen.«
Angela hörte die Stimme am anderen Ende der Leitung, konnte die Worte aber nicht verstehen.
»Es macht doch keinen Sinn, als Pärchen aufzutreten, wenn ich als Lockvogel fungieren soll. Nein, für eine vernünftige Ermittlungsarbeit benötigen wir getrennte Kabinen. Aber du kannst der Reederei versichern – zu zweit sind wir wesentlich schlagkräftiger. Die Investition lohnt sich also.«
Frederike lauschte noch kurz in den Hörer, verabschiedete sich dann und wandte sich Angela zu. »Weißt du, deine Idee mit Willi gefällt mir ganz gut. Mal abgesehen davon, dass er dann auch mal aus dem Haus kommt, schätze ich seine Fähigkeiten, Situationen zu analysieren und Informationen zu beschaffen. Er ist absolut genial darin, Menschen zu ergründen, zu beobachten, sie ins Reden zu bringen. Das macht er besser als ich. Und zu zweit können wir uns aus verschiedenen Richtungen der Bande nähern und uns dabei gegenseitig Rückendeckung bieten.«
»Und es wundert sich auch niemand, wenn ihr euch auf dem Schiff anfreundet. Man braucht ja bloß zweimal mittags am gleichen Tisch zu essen, und schon ist man gut bekannt.« Angela war froh, dass Frederike ihren Vorschlag so wohlwollend aufgenommen hatte, und bemühte sich, ihre Entscheidung zu unterstützen. Jetzt musste bloß noch Willi zustimmen.
Zwei Stunden später saßen sie gemeinsam in Willis kleinem Appartement in der Hillesheimer Seniorenresidenz St. Ägidius. Willi war alleinstehend, eigentlich erst Mitte sechzig, aber schon seit ein paar Jahren frühverrentet. Er litt schwer an Diabetes und hatte deswegen ein Bein verloren. Vor ein paar Jahren war es ihm sehr schlecht gegangen, er kämpfte mit dem Tod und kam direkt aus dem Krankenhaus in die hiesige Pflegestation. Seitdem nutzte er die Möglichkeit des betreuten Wohnens. An den Tagen, an denen es ihm nicht gut ging, war er froh, schnell professionelle Unterstützung zu bekommen. Diese Tage waren erfreulicherweise in den letzten beiden Jahren seltener geworden. Er hatte sich wieder erholt, konnte sich mit seiner Beinprothese recht gut bewegen und arbeitete inzwischen immer mal wieder auf freiberuflicher Basis als psychologischer Berater für die Kriminalpolizei. Frank Junge war sein Neffe und Pflegesohn, und so hatte er inzwischen für Angela fast die Rolle eines Schwiegervaters in spe.
»Leonie Jansen vom BKA hat mich eben angerufen und mich offiziell gebucht.«
Frederike schaute ihn erstaunt an. »Tatsächlich? Sie bezahlen dich? Mich hat sie umsonst.«
Willi lachte. »Lass mich raten. Du bedienst die typisch weiblichen Stereotypen und hast kein Geld gefordert.«
»Stimmt. Leonie hat mich um einen Gefallen gebeten, und ich habe nicht lange nachgedacht. Außerdem zahlen sie ja die Reise. Und dir zahlen sie was? Da muss ich ja echt noch mal nachverhandeln.« Frederike blickte erbost aus der Wäsche.
Angela tätschelte beruhigend ihre Hand. »Meinst du nicht, dass du mit zweierlei Maß misst? Du bist eine gutsituierte Pensionärin. Willi verdient seine Brötchen als Freiberufler. Da ist es doch kein Wunder, dass man ihn anders behandelt.«
Willi griff nach seiner Kaffeetasse und murmelte in sich hinein: »Du bedienst auch die weiblichen Stereotypen, Angela!«
Frederike lachte auf. »Du hast ja recht. Ich denke aber, gleiche Arbeit gleiches Geld, oder?«
Willi nickte. »Sicher. Aber ihr könnt nicht erwarten, dass euch das jemand hinterherträgt. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass die Sache inzwischen deutlich größer geworden ist. Ursprünglich hat dich Leonie ja wohl nur um einen Gefallen gebeten. Durch meine Person bekommt das Ganze jetzt offiziellen Status. Am besten redest du noch mal mit ihr.«
Frederike winkte ab. »Nicht so wichtig!«
»Weibliche Stereotype!«, nuschelte Angela und grinste.
»Wenn es dich tröstet, für mich hat Leonie nur eine Kabine mit winzigem Fenster ohne Balkon raushandeln können.«
»Ja, das tröstet mich. Wenn wir uns besser kennen, darfst du dann auch mal bei mir auf dem Balkon sitzen.« Frederikes Ärger über die vermeintliche Ungleichbehandlung war verraucht. So eine Kabine mit Balkon war ja schließlich auch ihr Geld wert. Außerdem gab es all-inclusive. Das würde sie nach Herzenslust ausnutzen.
»So, meine Lieben, ich lasse euch dann mal allein, und ihr könnt einen Plan aushecken. Mich ruft der Dienst.« Angela erhob sich, bedankte sich noch einmal artig bei Willi für den Kaffee und zog von dannen.
Willi hob seine Kaffeetasse und prostete Frederike zu. »Auf unseren ersten gemeinsamen Urlaub!«
Sie lächelte und hob ebenfalls ihre Tasse. »Möge es nicht der letzte sein.«
Routenplan der Wilma für die Tage 1 bis 6, jeweils mit Ankunft und Abfahrtszeit:
Endlich war es so weit. Frederike stand mit ihrem gepackten Koffer und der großen Reisetasche in der Schlange und schob sich langsam nach vorne. Insgesamt waren es sicher noch über hundert Menschen, die mit ihr darauf warteten, an Bord genommen zu werden. Eine junge Frau stand direkt hinter der Reling an einem kleinen Counter und empfing die Gäste. So wie es von Weitem aussah, kontrollierte sie die Tickets und gab Hinweise, wie man zu seiner Kabine kam.
Hastig tastete Frederike nach ihrem Ticket, das ihr Leonie per Kurier zugeschickt hatte. Schließlich sollte sie nicht auffallen. Frederike war ein ganz normaler Gast wie alle anderen auch. Sie blickte sich um. Willi stand weiter hinten in der Schlange. Im Gegensatz zu Frederike trug er nur ein relativ kleines Köfferchen, wie sie neidisch bemerkte. Männer brauchten anscheinend nicht viel. Ersatzunterhose, Ersatz-T-Shirt, Kulturbeutel mit dem Nötigsten, das war’s. Bei ihr sah es da schon anders aus. Auch wenn die Reise nur knapp eine Woche dauern sollte, brauchte Frederike das volle Programm. Man wusste ja nie, wie sich das Wetter entwickelte und wie unfallfrei sie die zahlreichen Mahlzeiten und Büfettaufenthalte meistern würde. Die Hinweise des Reiseveranstalters waren auch nicht wirklich hilfreich gewesen: legere Kleidung, aber gehoben und beim Kapitänsdinner gerne auch was Schickes, allerdings keine Abendgarderobe. Das hätte ihr auch gerade noch gefehlt.
Willi hatte man eine kleine Kabine im Unterdeck gegeben, auf dem Flur, wo auch das Personal untergebracht war. Aber das hatte ihn nicht gestört, im Gegenteil. Er hatte gemeint, so könne er sich unauffällig bei den Personalunterkünften herumtreiben.
Frederike musterte das Motorschiff Wilma