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Vertrauen – der Königsweg zu innerer Lebensfreude und zu einem erfüllten Miteinander. Gerade in der Unsicherheit und Undurchschaubarkeit des Lebens und im Alltag, wenn alte Sicherheiten sich auflösen und Beziehungen immer mehr Belastungen ausgesetzt sind. Anselm Grün zeigt spirituelle Wege, die das Selbstvertrauen stärken, aber auch das Vertrauen in andere Menschen und in den tiefsten Grund unseres Daseins, dem wir noch im Tod tragend verbunden sind.
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Seitenzahl: 171
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Anselm Grün
Vertrauen schenken, Vertrauen stärken
Was unserem Leben Halt und Richtung gibt
Herausgegeben von Rudolf Walter
Ein einfach-leben-Buch
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Covergestaltung: Gestaltungssaal, Rosenheim
Covermotiv: © Annette Shaff / shutterstock
Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN Print 978-3-451-00816-0
ISBN E-Book 978-3-451-81882-0
Inhalt
VORWORT
1 DEM LEBEN TRAUEN – URBILDER
2 SELBST VERTRAUEN LERNEN
3 ANDEREN VERTRAUEN SCHENKEN
4 ZUVERSICHTLICH LEBEN – IN ALLER ANGST
5 LIEBE IST EIN FESTER GRUND
6 GOTT LÄSST KEINEN FALLEN
7 IM HAUS DER SEELE HEIMAT HABEN
QUELLEN
Soziologen haben das letzte Jahrhundert ein „Jahrhundert der Angst“ genannt. Ängste suchen die Menschen aber auch in unseren Tagen heim: Da ist nicht nur die Angst vor der Klimakatastrophe, die Angst vor einer immer größer werdenden Spaltung der Gesellschaft, die Angst vor Altersarmut und Hilflosigkeit oder Krankheit und Vereinsamung im Alter, und immer wieder auch die Angst vor dem Scheitern des eigenen Lebensentwurfes. Auch eine Angst, den Anforderungen der sich so rasant ändernden Welt nicht gewachsen zu sein greift um sich. Angst kann wie ein Alarmsystem wirken, das uns auf Gefahren aufmerksam macht und in uns Kräfte mobilisiert, uns zu schützen. Aber es gibt auch eine Angst, die uns lähmt, die uns beherrscht und uns immer mehr in uns selbst einschließt. Dann verlieren wir Halt, Sicherheit und Orientierung.
Die Psychologie hat uns wichtige Wege aufgezeigt, wie wir mitten in unserer Angst Vertrauen lernen können. Sie fragt nach den Ursachen der Angst und kümmert sich um ihre Entstehungsgeschichte im Leben des Einzelnen. Die Verhaltenspsychologie sieht den Grund dafür in unangemessenen Deutungen, die wir den Phänomenen um uns herum geben und versucht, diese Deutungen in Frage zu stellen und durch angemessenere Deutungen zu ersetzen.
Auch die spirituelle Tradition hat Erfahrungen im Umgang mit der Angst gesammelt. Schon die Bibel zeigt uns Wege, auf andere Weise mit der Angst umzugehen. Es geht dabei nicht darum, dieses Gefühl zu unterdrücken. Denn je mehr wir gegen die Angst kämpfen, desto stärker wird sie uns verfolgen. Der spirituelle Weg, mit der Angst umzugehen, ist das Gespräch mit der Angst. Was will die Angst mir sagen? Was macht mir Angst? Und warum macht es mir Angst? Weist mich die Angst auf falsche Grundannahmen für mein Leben hin, auf übertriebene Maßstäbe, denen ich mich unterwerfe, oder auf ein Selbstbild, das meiner Wirklichkeit nicht gerecht wird und mich überfordert? Die Angst kann zur Lehrmeisterin werden und sie möchte mich ermutigen, barmherziger mit mir selbst umzugehen, mich nicht ständig über übertriebene Erwartungen an mich selbst zu überfordern. Exegeten haben gezählt, dass in der Bibel 365 mal das Wort vorkommt: „Fürchte dich nicht!“ Die Bibel ist also ein Buch gegen die Angst, ein Buch, das uns mitten in der Angst ermutigt, dem Leben zu trauen und auf Gott zu vertrauen, der uns hält.
Die Angst ist mit unserer menschlichen Existenz gegeben. Martin Heidegger hat in seinem berühmten Werk „Sein und Zeit“ (1927) Angst als Grundbefindlichkeit des Menschen beschrieben: Sie zeigt dem Menschen, dass er in der Welt letztlich nicht zuhause ist. Sie zwingt uns zu erkennen, was das Wesen unserer Existenz ist. Eine Theologie, die diese Analysen ernst nimmt, sieht die Angst als eine Einladung, mein Leben letztlich in Gott zu gründen. Angst, so verstanden, stellt mich vor die Frage, woher ich mich eigentlich definiere: Von den Menschen und ihren Erwartungen und ihren Meinungen her oder letztlich von Gott her? Die Angst ist kein Gegensatz zum Glauben an Gott. Sie treibt mich vielmehr immer wieder auf Gott hin, dass ich in Gott meinen Grund suche und nicht in der Anerkennung durch die Menschen.
Die existentielle Psychotherapie, wie sie Irwin D. Yalom entwickelt hat, wirft der klassischen Psychoanalyse eines Sigmund Freud vor, dass sie das Phänomen der Todesangst völlig verdrängt hat. Aber das Gelingen des Lebens – so meint Yalom – hängt davon ab, ob ich mich der Todesangst stelle und sie in mein Leben integriere. Viele psychische Krankheiten sind letztlich der Versuch, der Todesangst aus dem Weg zu gehen. Heilung gelingt erst, wenn wir uns der Todesangst stellen.
Philosophie, Psychologie und Theologie stimmen darin überein: Wir können über das Vertrauen nur sprechen auf dem Hintergrund der Angst. Denn Vertrauen ist das Gegenteil von Angst und zugleich ist es die Heilung der Angst, die uns umtreibt. Vertrauen löst die Angst nicht auf. Sie nimmt ihr aber ihre Macht.
Bereits die Wüstenväter des 4. Jahrhunderts haben die Angst in ihrem Herzen ernst genommen. Aber sie haben sie relativiert, indem sie in die Angst die Worte aus Psalm 118 hinein gesprochen haben: „Der Herr ist mit mir. Ich fürchte mich nicht. Was können Menschen mir antun?“ Mit diesen Worten wollten sie die Angst nicht vertreiben. Sie gingen davon aus, was C.G. Jung 1600 Jahre später in einer psychologischen Sprache beschrieben hat: dass der Mensch immer zwei Pole hat, den Pol der Angst und den Pol des Vertrauens. Jeder spürt in sich immer beides. Wenn ich direkt gegen die Angst kämpfe, wird sie nur stärker. Die Mönche haben die Vertrauensworte in ihre Angst hinein gesprochen, damit sie mitten in ihrer Angst in Berührung kommen mit dem Vertrauen, das auch schon auf dem Grund ihrer Seele da ist, von dem sie sich aber oft abgeschnitten fühlen. Daher geht es darum, mitten in der Angst, das Vertrauen zu entdecken, das tief in unserer Seele verankert ist. Das Wort aus Psalm 118 weckt das Vertrauen in uns auf, so dass es vom Grund der Seele in unser Bewusstsein steigt. Dann wird die Angst in uns relativiert und das Vertrauen wächst langsam und wird immer stärker.
Vertrauen kann man in verschiedenen Aspekten beschreiben: Selbstvertrauen, Vertrauen zum anderen Menschen und Vertrauen in Gott. Diese drei Formen des Vertrauens gehören zusammen. Ich kann einem anderen nur vertrauen, wenn ich mir selbst vertraue. Und nur von einem Menschen, der keine Angst hat vor der eigenen Wahrheit, geht Vertrauen zu anderen aus. Das Vertrauen zum anderen hängt auch davon ab, dass ich keine Angst vor mir selbst habe. Viele trauen sich nicht, sich auf den Anderen einzulassen. Denn sie haben Angst, dass die anderen, je näher sie ihnen kommen, umso klarer ihre Schwächen erkennen werden. Aber sie möchten diese Schwächen verbergen. Auf der einen Seite sehnen sie sich nach Nähe und nach Vertrauen. Auf der anderen Seite weichen sie zurück, wenn andere ihnen näher kommen. Denn dann könnten sie ja die verdrängten Schwächen entdecken, die man vor aller Welt verborgen halten möchte. Sich selbst vertrauen heißt nicht, dass ich voller Selbstbewusstsein auftrete. Manchmal ist ein zu stark dargestelltes Selbstvertrauen Zeichen von Unsicherheit. Wer sich selbst vertraut, muss sich nicht ständig vor anderen darstellen. Sein Selbstvertrauen hängt nicht von der Bestätigung durch die Umwelt ab. Er traut sich selbst und ist daher frei, sich vor anderen ständig beweisen zu müssen.
Selbstvertrauen und Vertrauen zum anderen Menschen haben ihren Grund im Vertrauen auf einen tieferen, tragenden Grund, auf Gott. Wenn ich mich von ihm getragen und angenommen weiß, werde ich fähig, mich selbst anzunehmen und zu mir zu stehen. Selbstvertrauen zeigt sich darin, dass ich zu mir stehen, dass ich für mich einstehen kann. Wenn ich in Gott meinen Grund habe, oder – wie der hl. Paulus sagt – wenn ich im Glauben feststehe, dann kann ich auch zu mir stehen. Und wer zu sich stehen kann, der kann auch vor anderen Menschen für sich einstehen. Er muss sich nicht ständig verbiegen, um bei anderen Anerkennung und Bestätigung zu erhalten. Er steht zu sich wie ein Baum. Er steht einfach da.
Ich kann mir das Vertrauen allerdings nicht einfach befehlen. Ich kann mich auch nicht für das Vertrauen einfach durch einen Willensakt entscheiden. Aber ich kann mitten in den Ängsten, die ich mir selber eingestehe, die Hoffnung auf Gott setzen, dass er mich auch in den Krisen des Lebens begleitet und darauf vertrauen, dass ich auch dann, wenn die Zukunft der Welt immer dunkler wird, von seiner Fürsorge begleitet bin, dass ich – auch wenn es nach außen hin schwieriger wird – nicht scheitern werde. So sind gerade die Ängste, die die Menschen wegen ihrer persönlichen Zukunft und wegen der Zukunft der Welt umtreiben, eine Herausforderung, den tieferen Grund eines Vertrauens zu entdecken, der diesen Ängsten standhält.
So wünsche ich den Lesern und Leserinnen dieses Buches, dass sie den Mut haben, sich ihren Ängsten zu stellen, dass sie aber zugleich in sich auch das Vertrauen spüren, das Gott in den Grund unserer Seele eingepflanzt hat, und dass das Vertrauen auf Gottes Segen, der uns immer und überall begleitet, uns inneren Halt und unserem Leben Richtung gibt. Und dass dieses Vertrauen auch die Ängste schwächer werden lässt und letztlich überwindet.
Das Urbild des Vertrauens auf Gott ist in der Bibel Abraham. Er zieht auf das Wort Gottes hin aus aus dem Vertrauten, in dem er sich bisher geborgen und getragen wusste. Vertrauen ist für Abraham also nicht rückwärts orientiert, sondern eröffnet einen Raum in die Zukunft. Abraham weint nicht seiner Heimat nach, sondern er macht sich auf, eine neue Heimat zu suchen. Schon der Hebräerbrief hat das Vertrauen des Abrahams als Urbild des Glaubens gepriesen: „Er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde.“ (Hebr 11,8) Und er spricht von der Heimat, die Abraham und die Seinen suchten: „Hätten sie dabei an die Heimat gedacht, aus der sie weggezogen waren, so wäre ihnen Zeit geblieben zurückzukehren: nun aber streben sie nach einer besseren Heimat, nämlich der himmlischen.“ (Hebr 11,15 f)
Glauben und Vertrauen gehören für die Bibel zusammen. Wer auf Gott vertraut, der ist bereit, das zu lassen, woran er seine bisherige Existenz festgemacht hat, seinen Besitz zu lassen, seine Heimat zu verlassen, um nach einer inneren Heimat zu suchen. Allerdings malt uns die Bibel kein idealistisches Bild von Abraham. Auf seinem Weg in die Heimat, die Gott ihm angewiesen hat, wird er immer wieder auch von Misstrauen geprägt. Als er in Ägypten weilt, hat er Angst, der Pharao könnte ihn umbringen, weil er eine so schöne Frau habe. Also gab er sie als seine Schwester aus. Unser Weg zu Gott wird immer auch von Misstrauen begleitet sein. Wir machen uns auf den Weg. Aber wir möchten uns doch wieder absichern. Wir trauen dem Gott, der uns gerufen hat, doch nicht genügend. Wir treffen eigene Vorkehrungen, dass uns nichts Unvorhergesehenes widerfährt.
Vertrauen bedeutet, immer wieder Vertrautes zu lassen und sich auf Neues einzulassen. Das Vertraute schafft Vertrauen. Aber es kann auch festhalten. Das Vertrauen, zu dem Gott uns ermutigt, hilft uns auch, das, was uns bisher Heimat schenkte, loszulassen. Es lädt uns ein, uns auf Neues einzulassen. Weil wir in Gott unseren Halt haben, können wir das lassen, was uns hier Halt gibt: die Gewohnheiten der Vergangenheit, den Besitz, das Haus, in dem wir zuhause sind, die Beziehungen, die wir in unserer Heimat geknüpft haben. So ist das Vertrauen die Bedingung, das Leben in die Hand zu nehmen und es im Vertrauen auf Gott selbst zu gestalten.
Gott hat Mose zu Großem berufen. Doch der traut es sich selbst nicht zu, vor sein Volk hinzutreten und zu sagen: „Im Auftrag Gottes soll ich euch aus Ägypten in das Gelobte Land führen.“ Gott stärkt ihn, indem er ihn zwei Zauberstücke lehrt: Er soll seinen Stab auf die Erde werfen und er wird zur Schlange werden. Und er soll seine Hand in den Gewandbausch stecken. Dann wird sie aussätzig werden. Doch selbst diese beiden Fähigkeiten befreien Mose nicht von seinen Hemmungen. Er wirft ein, dass seine Zunge schwerfällig ist und er nicht gut reden kann. Gott wird zunächst zornig. Doch dann verweist er ihn auf seinen Bruder Aaron. Der soll für ihn und an seiner Statt zum Volk sprechen.
Mose ist der große und starke Führer. Doch die Kraft, in die er hinein gewachsen ist, um sich durchzusetzen: gegen den Widerstand des Pharao, gegen das ständige Murren seines Volkes, diese Kraft war nicht von Anfang an in ihm. Gott musste ihn erst ermutigen. Das ist auch für uns Ermutigung: Wir müssen nicht alles gleich können, wozu uns Gott beruft. Er wird uns die Fähigkeiten geben, die wir brauchen, um den Auftrag und die Sendung zu erfüllen, zu der wir uns von den leisen Impulsen unserer Seele berufen fühlen. Wir haben nicht aus uns heraus alles, was wir brauchen. Aber in dem Augenblick, in dem wir uns einlassen auf eine Aufgabe, die uns zugetraut wird, werden wir auch die Kraft in uns spüren, um die Aufgabe zu erfüllen.
Vertrauen spielt im Evangelium eine zentrale Rolle. Lukas schildert uns Maria als Urbild des Vertrauens. Jesus ist im Evangelium der, der uns Vertrauen schenkt. Maria wird uns als die vertrauende Frau vor Augen geführt. Doch was können wir von Maria lernen? Wenn wir voller Angst sind, dann hilft uns das Vertrauen Marias auch nicht weiter. Vielleicht bekommen wir sogar noch Schuldgefühle, weil wir nicht so vertrauen können wie Maria. Lukas lädt uns in seinem Evangelium ein, Marias Reaktion auf das Geschehen zu meditieren. Und indem wir das Vertrauen Marias anschauen, kann es in uns eindringen. In der Meditation verinnerlichen wir ihr Vertrauen. Und auf einmal werden wir fähig, wie Maria zu vertrauen. Wir verstummen dann nicht aus Angst vor dem Neuen wie Zacharias, sondern wir bekommen Mut, wie Maria über unsere Gefühle zu sprechen und uns auf das Unaussprechliche und Unsagbare einzulassen, das uns erwartet.
Das „Fiat“ der Maria wurde für viele im Glauben verankerte Menschen zum Modell einer Antwort auf ihre eigene Angst vor dem Neuen. Auf das Neue, das in der Geburt eines Kindes auf uns zukommt, und auf das Neue, das uns im Sterben erwartet, können wir nur mit Maria antworten: „Ja, Herr.“ Wir haben keine Gewissheit, was auf uns zukommen wird. Sicherheit hatte Maria auch nicht. Sie musste schon bald erfahren, dass dieses Neue für sie auch Leid bringen werde. Der greise Simeon wird ihr nach der Geburt ihres Kindes sagen: „Dir selbst wird ein Schwert durch die Seele dringen.“ (Lk 2,35). Das Neue ist wie ein Schwert, das unser Herz durchdringt, das uns verletzt und Altes von Neuem scheidet. Das Neue kann das Alte verwandeln. Aber manchmal wird es das Alte auch abschneiden, weil dies das Neue sonst hindern würde. Da brauchen wir wie Maria den Engel, der uns Vertrauen zuspricht. Und wir brauchen Maria als Vorbild des Vertrauens. In der Geschichte christlicher Spiritualität haben viele Menschen im Blick auf sie das Vertrauen gefunden, mitten in ihrer Angst vor dem Ungewissen die Worte der jungen Frau aus Nazaret nachzusprechen: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“
Matthäus und Lukas beginnen ihr Evangelium jeweils mit der Geschichte der Kindheit Jesu. Doch sie beschreiben weniger die Angst des Kindes als vielmehr die Angst der Erwachsenen vor dem Neuen, das in Gestalt des Kindes in ihr Leben einbricht. Matthäus schildert drei verschiedene Reaktionen auf den Einbruch des Neuen. Josef ist verwirrt durch die Schwangerschaft seiner Verlobten. Er möchte sie heimlich entlassen, sie also ohne rechtliche Sanktionen wieder freigeben. Normalerweise sollte eine Frau, die vor der Ehe schwanger war, gesteinigt werden. Josef wollte nicht dem Buchstaben des Gesetzes gerecht werden, sondern dem Menschen Maria. In seine Überlegungen hinein erscheint ihm im Traum ein Engel des Herrn und spricht ihn an: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.“ (Mt 1,20) Mit dem Kind, das Maria gebiert, bricht in der Tat etwas Neues und Unvorhergesehenes in das Leben des Josef ein. Bisher hat er immer getan, was richtig ist. Er hat sich in seinem Leben eingerichtet und nach Gottes Geboten gelebt. Das hat ihm Sicherheit verliehen und zugleich Vertrauen, dass sein Leben gelingen wird. Jetzt handelt Gott an ihm auf eine Weise, die er sich nicht erklären kann. So braucht er die Ermutigung des Engels, sich nicht zu fürchten und sich auf das Neue einzulassen.
Die zweite Reaktion auf den Einbruch des Neuen zeigen uns die Magier aus dem Osten. Sie haben den Stern aufgehen sehen, der den neugeborenen König verkündet. Sie sind fasziniert und machen sich auf den Weg, um den neugeborenen König anzubeten. Ihre Antwort ist also: Sie überwinden die Angst vor dem Neuen, indem sie es in ihr Leben integrieren.
Die dritte Reaktion auf die Angst vor dem Neuen schildert uns Matthäus in der Reaktion des Königs Herodes. Herodes hat Angst vor dem Kind, das die Magier aus dem Orient als den neugeborenen König der Juden bezeichnen: „Als der König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.“ (Mt 2,3) Der Mächtige hat Angst, das Neue könne ihn entmachten. Herodes hatte Macht über das Land und über die Menschen. Doch seine Macht war nicht Ausdruck seiner inneren Stärke, sondern sie war geprägt von seiner Angst. In seiner Angst hat er all seine Rivalen grausam ermordet. Aus der selben Haltung heraus muss er auch nach dem neugeborenen König der Juden forschen. In seiner Angst lässt er alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten. Herodes ist in seiner Angst gefangen. Und seine Politik, die er treibt, ist eine Politik aus Angst. Und so verbreitet er überall um sich herum nur Schrecken. Menschen, die aus Angst an ihrer Macht festhalten, missbrauchen die Macht. Und sie können sich nur an der Macht halten, indem sie anderen Angst machen.
Josef hatte Angst vor dem Unerwarteten und Neuen, das er nicht in sein Weltbild einordnen konnte. Der Engel hilft ihm, diese Angst zu überwinden. Am Ende der Kindheitsgeschichte erzählt uns Matthäus noch von einer anderen Angst. Als Josef hörte, „dass in Judäa Archelaus an Stelle seines Vaters