Vielleicht liebst du mich übermorgen - Patjabbers - E-Book
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Vielleicht liebst du mich übermorgen E-Book

Patjabbers

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Beschreibung

Der autobiografische Roman von Influencer und Big Brother-Finalist Pat – ein Bekenntnis zur Homosexualität, eine Suche nach sich selbst und eine Hommage an das Leben Jung, schwul und hoffnungsvoll verliebt. Das ist Ricko in Milan. Er kann sein Glück kaum fassen, da taucht der hübsche Lenny auf und bringt die Beziehung ins Straucheln. Milan aufzugeben ist für den vernarrten Ricko allerdings keine Option – durch seinen unaufhaltsamen Kampfeswillen gerät sein Leben in Schieflage. Seine krankhafte Liebe treibt ihn nicht nur in die Essstörung, sondern bringt ihn schließlich sogar dazu, ein großes Opfer zu bringen: sich selbst.  »Ich bin sprachlos. Das Ganze ist so fesselnd, emotional und grandios geschrieben. Es ist wirklich eine Freude das Buch zu lesen. Die Schilderung ist schonungslos offen. Deshalb auch so authentisch.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Eine aufregende Geschichte mit einem Schuss Dramatik, wobei die Emotionen nicht zu kurz kommen. Eine großartige Geschichte, die ich gerne weiterempfehle.« ((Leserstimme auf Netgalley))  »Unglaublich ehrlicher und vor allem privater Einblick in das Leben von Pat, der einen definitiv nicht kalt lässt.« ((Leserstimme auf Netgalley)) 

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© Piper Verlag GmbH, München 2020

Redaktion: Elisa Kieselmann

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: unter Verwendung einer Fotografie von Sebastian Rosmus und weiteren Motiven von Shutterstock.com

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchlohe)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Barbie oder Ritterburg

Knabberspaß

Urknall der Gefühle

Wolke 7

Mein erster Freund

Coming-out

»Ein ganzer Sommer«

Mr. Smart

Neue Gefühle

Zweitausendundfünf

Falscher Empfänger

Single

Fame One

Sex und Nachhilfe

Knock-out

Imagewechsel

Er, Berlin und ich

Schwuler Spion

Für immer fort

Ein Freund, ein guter Freund

»Happy Birthday, Großer!«

Nachwort.

Barbie oder Ritterburg

»Ich zähle jetzt bis drei, und wenn du dann nicht unten bist, schmeiß ich es in den Müll. Dann wirst du nie erfahren, wie nah du deinem großen Traum warst!«

Ich liebte meine Mutter zwar sehr, aber sie konnte auch echt anstrengend sein.

»Eins.«

Stille.

»Zweeeei.«

Stille. Aber diesmal länger.

»Und die letzte Zahl heißt …«

Ich seufzte und gab nach. »Ja, warte kurz!«, rief ich ihr die Treppe herunter.

Wie so oft hatte ich keine Lust, wegen irgendeiner unwichtigen Sache meinen Hintern aus dem Bürostuhl zu erheben, um herunterzulaufen. Meine Mutter hielt hin und wieder Dinge für wichtig, denen ich nicht einmal einen Hauch Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Meine Zeit nutzte ich nämlich sinnvoll; ich chattete gerade ganz angeregt auf meiner absoluten Lieblingsplattform Knuddels – das erste Chatportal, auf dem ich mich trotz meines jungen Alters anmelden durfte. Eine ganz neue Welt. Mehr oder weniger anonym mit anderen unbekannten Menschen hin- und herschreiben. Super aufregend. Es faszinierte mich regelrecht.

»Ricko, jetzt komm endlich!« Sie blieb hartnäckig.

Allerdings klang ihre Stimme diesmal besonders aufgeregt. Meine Neugierde siegte, und ich ging die Treppe hinunter.

Mit einem breiten Grinsen hielt sie mir einen Flyer unter die Nase. Ein Radiosender veranstaltete sein alljährliches Kinderfest am Salzgittersee in Lebenstedt. Inklusive diverser C-Promis. Ich hatte schon einmal davon gehört, konnte mich jedoch nicht dafür begeistern. »Ah ja, schön. Und?«

Dafür war ich heruntergekommen? Was interessierte mich irgendein Fest mit sogenannten Stars, die sowieso kaum jemand kannte, abgesehen von den pubertierenden Mädchen, die auf alles standen, was vermeintlich gut aussah, eine halbe Tonne Schmiere in den Haaren hatte und vorgab, singen zu können. Zumal ich es als absolute Frechheit empfand, dass meine Mutter auf die Idee kam, ich hätte Interesse an einem Kinderfest. Ich befand mich schließlich im besten Alter eines Teenagers auf der Zielgeraden zum Erwachsensein. Mir fehlten lediglich ein paar Jahre bis zur Volljährigkeit.

Völlig genervt darüber, dass meine Neugierde gesiegt hatte und mich umsonst die fünfzehnstufige Treppe herunterschlurfen ließ, fragte ich meine Mutter: »Und was soll ich da?«

Ihr breites Grinsen wurde nicht kleiner.Mit einem begeisterten Kopfnicken, das mich aufforderte, den Flyer genauer anzusehen, drückte sie ihn mir in die Hand.

Seufzend nahm ich das buntbedruckte Stück Papier entgegen und überflog die angekündigten Stars.

»Kenn ich nich’, kenn ich nich’, kenn …«

STOPP!

Schlagartig nahm mein Gesicht den begeisterten Ausdruck meiner Mutter an. Sie musste bereits geahnt haben, dass ich nun verstand, weshalb sie so aufgedreht war, denn sie tippelte unruhig mit den Füßen.

»Oh-mein-Gott. Vanessa! Wie geil ist das denn?«

Vanessa S. hatte ich zwischen all den anderen unwichtigen Möchtegernsängern entdeckt. Meine Vanessa S.

Das war dann natürlich etwas völlig anderes.

Kinderfest hin oder her, natürlich wollte ich dort hinfahren. Gar keine Frage. Im Rhythmus einer Nähmaschine knutschte ich meiner Mutter abwechselnd die Wangen. Sie lächelte zufrieden.

Dann rannte ich zum Telefon und wählte aufgeregt die Nummer meiner Freundin Sarina. Vanessa S. war für sie zwar nicht gerade ein Highlight, aber sie wusste, wie sehr ich für sie brannte. Deswegen war sie sofort dabei. Irgendwer musste mich schließlich auffangen, wenn ich drohte, umzukippen.

Ich flatterte durch das ganze Haus wie ein wild gewordenes Hühnchen, das gerade noch rechtzeitig der Guillotine entkommen konnte. Monatelang schmachtete ich Vanessa an, und nun war ich kurz davor, sie leibhaftig erleben zu können. Ein Traum ging in Erfüllung. Es fiel mir schwer, mich zu beruhigen.

»Hier mein Schatz, trink das und mach nicht mehr so lange da oben«, sagte meine Mutter, während sie einen Teebeutel in der Tasse versinken ließ, aus der heißer Dampf emporstieg.

Ach ja! Fast hätte ich meinen Chat auf Knuddels vergessen. Knuddels war für mich wie ein heiliger Gral. Ich hatte endlich die Möglichkeit, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Mit schwulen Jungs.

Dass ich das männliche Geschlecht interessanter fand als Mädchen, wusste ich bereits seit einigen Jahren. Denn als ich in die Pubertät kam, lief die zweite Staffel Big Brother in den deutschen Flimmerkisten. Ein Reality-Format, für das ein paar Wahnsinnige für mehrere Monate in ein Haus bzw. einen Container gesperrt wurden, um sich rund um die Uhr von Kameras bewachen zu lassen. Als Belohnung für hundert Tage Durchhaltevermögen winkten dem Sieger satte 250.000 DM. Eine nette Gage. Zugegeben, ich hätte es auch gemacht. Ich hatte diese Sendung geliebt. Nicht nur, weil ich es äußerst spannend gefunden hatte, wie ein Bewohner nach dem anderen seine Nerven verlor, sondern wegen eines ganz besonderen Kandidaten: Walter. Ein dunkelhaariger Österreicher mit einem muskulösen Körper, der perfekt war. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Eben genau richtig. Als wäre das nicht schon reizvoll genug, verzauberte er mich jeden Abend mit seinem sympathischen Dialekt und einem Lächeln, das mich förmlich zum Schmelzen brachte. Diese Grübchen – ein Traum. Ich hatte täglich eingeschaltet und ließ mir jede Folge auf Kassette aufnehmen, falls ich sie verpasste.

Je länger ich Walter beobachtet hatte, desto stärker fiel mir auf, dass ich in ihm nicht nur ein Vorbild sah. Dazu sei gesagt, dass für mich jeder gut aussehende Mann ein Vorbild war. Wenn er dazu auch noch sympathisch war, dann wünschte ich ihn mir als großen Bruder. Als verwöhntes und doch unzufriedenes Einzelkind wollte ich sowieso immer Geschwister haben.

Ich spürte allerdings, dass ich mir Walter nicht als Bruder wünschte. Es war etwas anderes, wonach ich mich bei ihm sehnte. Brüderliche Empfindungen waren es jedenfalls nicht. Anfangs konnte ich meine Gefühle nicht einordnen, sie waren mir völlig neu. Ich wusste, ich mochte diesen Kerl sehr, ohne ihn persönlich zu kennen.

Eines Nachts half mir dann ein feuchter Traum, die Gefühle, die ich hatte, deuten und einordnen zu können. Ich war Hals über Kopf verknallt. In einen Mann. In Walter. Bisher hatte noch niemand diese Gefühle in mir ausgelöst. Weder im echten Leben noch durchs Fernsehen. Während die Mädels aus meiner Klasse für die Backstreet Boys schwärmten, war ich eher Team Spice Girls. Besonders Victoria Beckham fand ich toll. Ja okay, vielleicht war ich sogar ein bisschen in sie verliebt. Dachte ich zumindest, denn rückblickend betrachtet, war das wohl nur diese übliche kindliche Schwärmerei gewesen, die mir die Gesellschaft aufgezwungen hatte: Wenn ich mich verliebte, dann doch bitte in eine Frau. So hatte ich es gelernt.

Mädchen schwärmten für die süßen Kerle einer Boyband. Die Jungs, wenn überhaupt, für Mädchen. Wobei die Jungs in dem Alter eher wenig Interesse am anderen Geschlecht hatten. Auch nicht für Sängerinnen. Die hatten eher Fußball im Kopf.

Ich war in jeglicher Hinsicht anders. Schon immer. Ich störte mich auch nicht an meiner neuesten sexuellen Erkenntnis. Dann stand ich eben auf Männer. Für mich war das in Ordnung.

Ich war sowieso viel zu beschäftigt damit, mir hübsche Typen anzuschauen, statt mein Dasein infrage zu stellen und mir den Kopf zu zerbrechen, wie verwerflich es wohl wäre, schwul zu sein.

Zugegeben sah ich nicht alles so locker. Als meine Mutter von meiner Homosexualität erfuhr und halbwegs gelassen reagierte, fiel mir schon ein riesiger Stein vom Herzen. In meinen Vorstellungen reagierte sie zwar noch gelassener auf die magischen Worte »Mama, ich bin schwul«, als es dann tatsächlich der Fall war, aber sie musste es wohl erst einmal sacken lassen.

Sie und ich waren wie Zwillinge. Ein eingeschworenes Team, da passte kein Blatt zwischen. Logisch, dass sie sich längst denken konnte, auf welche Reise es für ihren Sohn gehen würde. Sie verdrückte zwar erst ein paar Tränchen, aufgrund ihrer Sorge, keine Enkelkinder zu bekommen, beruhigte sich dann aber schnell und quetschte mich daraufhin nach meinem Männergeschmack aus. Meine Mutter war – wie ich – der neugierigste Mensch der Welt. Wir teilten uns die oberste Stufe auf dem Siegertreppchen. Sie hatte schließlich genügend Plätze für sich ganz allein: den ersten Platz für die herzlichste, gutmütigste, humorvollste und liebenswerteste Mama des Planeten. Bei jedem beliebt. Nicht nur bei ihren eigenen Freunden und ihren Kollegen, sondern auch bei meinen besten Freundinnen. Sarina wünschte sich sogar, dass meine Mama auch ihre wäre. Das konnte ich gut nachvollziehen. Meine Mama tolerierte alles und jeden, solange er glücklich damit war. Ich hatte es demnach mit meinem Outing ziemlich leicht bei ihr.

Meinem Vater hingegen, ein eingesessener Biker und Präsident eines Motorradclubs, wollte ich davon lieber nichts erzählen. Der bekam schon einen halben Herzinfarkt, wenn er homosexuelle Handlungen im Fernsehen sah. Und waren es bloß zwei händchenhaltende Männer. Dann regte er sich so sehr darüber auf, dass er rot anlief und sich in Rage redete.

»Wie kann man so etwas im Fernsehen zeigen? Und das im Vorabendprogramm, wo auch Kinder noch wach sind. Ekelhaft!«

Mir war klar, dass eher die Hölle gefrieren würde, als dass ich ihm davon berichtete, wie anziehend ich beispielsweise Walter aus dem Big-Brother-Haus fand. Das wäre für ihn der absolute Worst Case gewesen. Dicht gefolgt von meinen schulischen Noten in Mathe. Das war ihm nämlich auch sehr wichtig: Erfolg. Mit aller Strenge versuchte er, aus mir einen Abiturienten zu machen. Sein Sohn ein Realschüler? Dieser Zustand war für ihn wie meine Mathenoten: Mangelhaft bis ungenügend.

Mein Gott hatte ich viele Nachmittage meiner Kindheit damit verbracht, unter seiner strengen Aufsicht Gleichungen zu lösen. Löste ich sie nicht schnell genug, konnte ich dabei zusehen, wie sein Kopf die Farbe einer Tomate annahm. Es dauerte darauffolgend nie lange, bis dieser rote Kopf förmlich zu platzen drohte.

Er erinnerte mich dann immer an einen Stier in der Arena. Meine Rolle in diesem Stierkampf? Das rote Tuch. Die Zündschnur meines Vaters war so lang wie ein Mäuseköttel. Dementsprechend laut wurde es bei uns, wenn ich mal wieder mit einer Fünf nach Hause kam. Und das war eher die Regel als eine Ausnahme. Er brüllte manchmal so laut, dass er zu husten anfing. »Mit deinem Zeugnis wirst du dir den Arsch abwischen können!«, war dabei einer seiner wiederkehrenden Standardsätze. Manchmal äffte ich ihn leise nach. Er hörte es nie. Dafür war sein Organ selbst zu laut. Er brüllte und brüllte, und ich wartete ab, bis er so stark hustete, dass er aufgab und ich in mein Zimmer gehen konnte. Ein Choleriker vor dem Herrn.

Ich hatte es gehasst. Die beste Note meiner bisherigen mathematischen Schullaufbahn war, trotz aller Bemühungen, nur eine einmalige Drei – immerhin befriedigend. Da war mein Vater sogar etwas stolz. »Super mein Junge, geht doch!«, lobte er mich.

Wenn er dann mal seine selten liebevollen Phasen hatte, in denen er mich gar hin und wieder in den Arm nahm, überforderte mich das enorm. Es war mir unangenehm, und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, so fremd war es mir. Ich war jedes Mal froh, wenn ich seiner Umarmung irgendwie entfliehen konnte.

Zu häufig hatte ich das Gefühl, dass Papa in mir den reinsten Versager sah. Und dann war ich auch noch sein einziger Sohn. Man möge sich vorstellen, was passiert wäre, hätte ich die magischen Worte an ihn gerichtet: »Papa, ich bin schwul«. Ich mochte nicht einmal darüber nachdenken. Schlafende Hunde sollte man bekanntlich nicht wecken. Wobei mein Vater höchstens im Halbschlaf gewesen sein konnte.

Schließlich war ich nie der Sohn, der im Park auf Bäume kletterte, sich im Wald kleine Höhlen baute oder täglich mit eingesauten Klamotten nach Hause kam. Ich raufte mich auch nie mit anderen Schulkameraden. Stattdessen erfüllte ich das Klischee eines angehenden schwulen Jungen voll und ganz.

In den alljährlichen Dänemarkurlaub, den mein Vater mit seinem Bikerclub jedes Jahr im Herbst veranstaltete, fuhr ich immer gerne mit. Aber nur, wenn auch die Frauen dabei waren. Sprich, auch meine Mutter.

Bei einem Stadtrundgang mit der ganzen Truppe hatte ich einmal meinen Vater überredet, einen Blick in dieses riesengroße Spielwarengeschäft werfen zu dürfen. Er und seine Bikerfreunde warteten derweil, bis ich fertig war. Kurze Zeit später kam ich herausgelaufen und schrie wie verrückt, dass es dort sogar eine Puppe mit dunkler Hautfarbe gebe und ich diese doch unbedingt haben müsse. Mit einem drohenden, gleichzeitig verzweifelten Blick versuchte mein Vater, meine Tonlage herunterzuschrauben. Ohne Erfolg. Jeder hatte es mitbekommen, und ihm war es offensichtlich mehr als unangenehm, dass sein Sohn statt eines ferngesteuerten Autos oder einer Ritterburg nach einer Puppe schrie.

Natürlich hatte ich diese Puppe bekommen. Aber von meiner Mutter. Ich war schließlich ein verwöhntes Einzelkind, wie es im Buche stand. Auch mein Kinderzimmer glich einem absoluten Barbieparadies. Keine meiner Freundinnen hatte so viele blonde Püppchen in ihrem Regal. Wenn ich also gerade einmal nicht mit mathematischen Gleichungen gequält wurde, verbrachte ich meine Zeit nach der Schule damit, meine Barbies zu frisieren, ihnen die schönsten Kleider anzuziehen und meine eigenen kleinen Fashionshows zu kreieren. Vermutlich gab es deshalb in meinem Freundeskreis ausschließlich Mädels. Die Jungs wollten von mir nichts wissen. Das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Am allerliebsten spielte ich jedoch mit meinen Freundinnen Vater-Mutter-Kind. Natürlich war ich weder der Vater noch ein anderes männliches Familienmitglied. Ich bestand jedes Mal darauf, die große Schwester sein zu dürfen. Diese hatte dann lange blonde Haare und besaß ein Schminkset mit allen Farben, bei denen selbst der Regenbogen vor Neid erblasst wäre. Außerdem modelte sie in meinen Vorstellungen für den Quelle-Katalog. Mindestens.

Ich war aber auch absolut zufrieden mit dem, was ich war. Ein Junge. Anders als die anderen, aber mit voller Freude auf das Leben. Auf ein Leben als Schwuler.

Knabberspaß

Vanessa S. – ich konnte mein Glück kaum fassen, sie live performen sehen zu können. Überschwänglich haute ich in die Tasten und berichtete meinem Chatpartner auf Knuddels von den großartigen Neuigkeiten. Wir tauschten schon eine ganze Weile Nachrichten aus und verstanden uns gut. Er war zwar nicht der erste und einzige Junge, mit dem ich schrieb, aber irgendwie war es mit ihm immer besonders spannend. Ich mochte seine Art. Immer mit einem lockeren Spruch und einer Portion Witz. Mit Humor konnte man mich beeindrucken. Nicht selten brachte er mich mit seinen Anekdoten zum Lachen, und er machte nie einen Hehl daraus, dass er Jungs anziehend fand. Im Gegensatz zu mir beschrieb er sich allerdings als bisexuell. Er fühlte sich also zu beiden Geschlechtern hingezogen.

Obwohl wir uns kaum kannten, berichtete er mir einmal von einem spritzigen Erlebnis mit einem Mädchen auf einer Party. Da ich selbst noch von keinerlei sexuellen Erfahrungen berichten konnte, ausgenommen die mit mir selbst, saß ich umso gespannter vor meinem Monitor, wenn seine Storys mit schlüpfrigem Inhalt gefüllt waren. Auch wenn ich mir noch lieber eine gleichgeschlechtliche Story gewünscht hätte, aufregend fand ich es trotzdem. Mit jedem Satz, mit dem er unseren Chat fütterte, wurde ich kribbeliger und knabberte an meinem Fingerknöchel.

Zwischen ihm und dem Mädel habe es auf dieser Party geknistert und sie seien daraufhin nach draußen in einem Gebüsch verschwunden, um sich noch detaillierter unter die Lupe nehmen zu können. Ohne Stoff dazwischen. Er verriet mir, dass er in diesem Gebüsch seinen ersten Blowjob bekommen hatte. Ich musste grinsen wie ein kleines Schulmädchen. Ein Blowjob also. Ich wusste natürlich, was er damit meinte, aber dennoch überforderte mich der Begriff ein wenig. Gleichzeitig stieg in mir die unaufhaltsame Neugierde auf, noch mehr darüber erfahren zu können. Schon oft hatte ich mir die Frage gestellt, wie es wohl sein würde, solch eine Erfahrung zu machen. Anders, als es womöglich ein heterosexueller Junge täte, stellte ich mir diese Frage natürlich beidseitig. Im wahrsten Sinne des Wortes aus beiden Betrachtungswinkeln. Einmal von oben nach unten und einmal von unten nach oben. Ein Geben und Nehmen eben, bis zum Schluss.

Ich grub einen Schneidezahn in meine Unterlippe und wartete gespannt auf weitere Details.

Die Spannung zerschlug sich jedoch recht schnell. Einen Schluss gab es zwar, aber ohne Schuss. Die Geschichte hatte kein Happy End, weder für ihn noch für das Mädel. Ihr hatte dieser Blowjob, im Gegensatz zu ihm, wohl nicht gefallen. Mit verzogener Miene brach sie das Ganze mittendrin ab und ließ ihn allein inmitten des Gestrüpps zurück. Der Arme, dachte ich. Oder die Arme? Beide hatten sich diesen Moment wohl schöner vorgestellt. Stellte ich es mir vielleicht auch schöner vor, als es tatsächlich sein würde? Ich verneinte mir die Frage selbst. Viel zu groß war meine Neugier. Jetzt erst recht.

Ich musste schmunzeln. Mal wieder brachte er mich zum Lachen. So vertraut hatte ich zuvor noch mit keinem Jungen auf Knuddels geschrieben. So oft wie mit ihm hatte ich mich dort auch noch mit niemandem amüsiert. Und wenn, dann ungewollt. Es gab unzählige peinliche Gestalten in diesem Portal. An Perversion teilweise kaum zu übertreffen. Grauhaarige Lustmolche, selbst überschätzende Prolls oder auch die sogenannten Faker. Das waren dann irgendwelche Idioten, oft Schwulenhasser, die Hasstiraden von sich gaben.

Umso glücklicher schätzte ich mich, dass ich so einen coolen Typen getroffen hatte.

Ich erwischte mich dabei, wie mein Lachen in ein verträumtes Seufzen überging. Ich mochte diesen Jungen. Mit jedem Chat ein bisschen mehr. Außerdem machte er mir immer wieder Komplimente zu meinen Bildern.

Während das Foto in seinem Profil stets unverändert blieb, war meins das reinste Bäumchen-wechsel-dich.

Seit ich meine Pummelphase überwunden hatte, liebte ich es, Bilder von mir mit dem Fotoapparat meiner Eltern zu machen. Ich war bereits Stammkunde im Drogeriemarkt unseres Dorfes. Nahezu wöchentlich kaufte ich mir dort einen 36er-Film und knipste zu Hause drauf los. In diversen Outfits stellte ich mich auf Position, und der Selbstauslöser tat den Rest. Anschauen konnte ich mir die Bilder erst, nachdem die Drogerie sie für mich hatte entwickeln lassen. Es war also jedes Mal aufs Neue das reinste Überraschungsei. In den seltensten Fällen waren die Fotos vorzeigbar. Mit Glück konnte ich ein bis zwei Bilder gebrauchen, während die übrigen zerrissen im Müll landeten.

Auch wenn mein Taschengeld sehr darunter leiden musste, der Abwechslung auf meinem Knuddels-Profil tat es gut. Jedes neue Foto bedeutete ein weiteres Kompliment von meinen Chatpartnern. Vor allem von ihm.

Mein Herz klopfte immer ein bisschen, sobald ich den Chatroom Boys only betrat und sah, dass er online war. Knabberspaß. Mir war zuerst gar nicht aufgefallen, wie zweideutig dieser Nickname war. Ich selbst hatte aber auch nicht gerade das bescheidenste Pseudonym: Fame One. Eine stupide Zusammensetzung aus dem Namen meiner Lieblingscastingshow »Fame Academy« und der daraus entstandenen Band »Become One«. Nicht sehr einfallsreich, aber allemal besser als Knabberspaß.

Das tat meiner kleinen Schwärmerei aber keinen Abbruch. Sein Foto im Profil ließ nämlich erahnen, dass der Nickname zum User passte: ein braunhaariger, großer Typ, lässig zurückgelehnt auf einem Stuhl mit zusammengekniffenen Augen. Die Hände gefaltet auf dem Schoß, und seine etwas grimmige Mimik gab er der Sonne zur Schuld. Vermutlich hätte es bessere Bilder von ihm gegeben, aber man konnte deutlich erahnen, dass abgesehen davon ein hübscher Kerl dahinterstecken musste. Außerdem mochte ich seine braune Lederjacke, die er passend zur Jeans kombiniert hatte. Er hatte mir verraten, dass das Foto in Hamburg entstanden war, wo er mit einem Kumpel auf die Piste ging.

Damit hatte er mich ein weiteres Mal beeindruckt. Allein mit einem Kumpel in einer weit entfernten Stadt feiern? Krass. So etwas durfte ich gar nicht. Allerdings war Knabberspaß etwas älter als ich. Ganze zwei Jahre. Also fast volljährig.

Ich fand es aufregend und irgendwie auch reizvoll, dass ich mit einem Siebzehnjährigen schrieb. Vor drei Monaten war ich schließlich noch vierzehn gewesen. Da klang siebzehn fast alt.

Weniger cool fand ich jedoch, dass ihm meine geliebte Vanessa S. kein Begriff war. Okay, ich musste zugeben, sie war keiner der Weltstars wie Britney Spears oder Mariah Carey. Sie hatte gerade mal den vierten Platz der Castingshow Deutschland sucht den Superstar erreicht. Aber für mich war sie es. Mein persönlicher Weltstar.

Schon immer hatte ich ein Faible für Frauen gehabt. Offensichtlich nicht aus sexuellem Interesse. Ich war einfach ein Fan vom weiblichen Geschlecht. Für mich waren sie liebevoller als Männer. Herzlicher, sozialer und freundlicher. Am liebsten war mir natürlich meine Mutter. Auch meine Tanten mochte ich viel mehr als meine Onkel. Ich verbrachte ebenso lieber Zeit mit meinen Cousinen als mit meinen Cousins. Und auch bei den Stars und Sternchen fokussierte ich mich auf die Ladys. Tic Tac Toe, Blümchen, Spice Girls,und eben meine geliebte Vanessa S.

Deswegen war ich entrüstet darüber, dass Knabberspaß nichts von ihrer Existenz wusste. Deutschland sucht den Superstar war in aller Munde, und die Viertplatzierte trat auf dem alljährlichen Kinderfest in seiner Stadt auf. Wie konnte er davon nichts wissen? Ich wollte gerade meine Empörung in Worte tippen, da kam er mir mit einer Nachricht zuvor, die meine Finger erfrieren ließ.

»Cool, dass du auch da sein wirst. Vielleicht sehen wir uns? Werde mit ein paar Freunden hingehen! Sprich mich einfach an. Ich bin Milan. ;-)«

Puh. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte schon irgendwie wissen, wie er wohl im echten Leben aussah, aber so schnell? Das Fest war schließlich bereits am Sonntag. Also keine vier Tage mehr. Verunsichert, welche Antwort ich ihm geben sollte, tippte ich waghalsig drauflos, in der Hoffnung, irgendwie gelassen zu wirken.

»Ah cool o. k., ich bin Ricko. Muss erst mal offline. Meine Mathehausaufgaben wollen gemacht werden, bevor mein Vater von der Arbeit kommt. Bis dann.«

Ich wollte gerade das Chatfenster schließen, da ploppte seine Handynummer auf.

»Kannst ja dann schreiben, wo du genau bist. Wäre schade, wenn man sich verpasst. Bis dann!«

Wow, okay. Er schien ernsthaft Interesse an mir zu haben. Das beruhte einerseits auf absoluter Gegenseitigkeit, andererseits war ich nicht sicher, ob ich für ein Treffen im realen Leben schon bereit war. Wir schrieben erst einige Wochen miteinander. Eine Handynummer hatte ich zuvor noch nie von jemandem bekommen. Meine hätte ich niemals in diese virtuelle, unberechenbare Welt voller düsterer Gestalten geschickt. Seine Nummer speicherte ich vorsichtshalber noch ab, bevor ich mich an meine Schulaufgaben machte.

Urknall der Gefühle

Unausweichlich kam der Sonntag. Kaum ein Auge hatte ich zugetan. Die halbe Nacht dachte ich darüber nach, wie es wohl sein würde, ihm zu begegnen. Natürlich freute ich mich immer noch unglaublich darüber, meine schöne Vanessa live zu erleben, aber Knabberspaß war nun mindestens genauso präsent in meinen Gedanken. Knabberspaß hieß also Milan. Noch nie zuvor hatte ich diesen Namen gehört. Ich mochte ihn und ertappte mich dabei, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht breitmachte.

»Wo bleibst du denn?«, riss mein Vater mich aus meinen Gedanken. »Wenn du deine Vanessa nicht verpassen willst, dann müssen wir jetzt los!«

Er hatte sich bereit erklärt, Sarina und mich nach Salzgitter zu fahren. Von meiner Heimat Braunschweig ein halbstündiger Katzensprung mit dem Auto. Mein Vater unterstützte mich in jeglicher Hinsicht, wenn es um Frauen ging. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass er heilfroh war, wenn es eine Frau in mein Herz geschafft hatte. Und sei es bloß eine Prominente. Hauptsache weiblich. Es schien ihm irgendwie Hoffnung zu geben. Vielleicht ahnte er, dass ich ihm diese wohl früher oder später nehmen würde. Lieber später als früher.

Es war ein sonniger Junitag, und ich spürte, dass ich es mit meinem Outfit zu gut gemeint hatte. Mir war unglaublich heiß und ich schwitzte unaufhörlich. Aber es war zu spät, wir waren bereits unterwegs. Außerdem stand mir das graue Shirt mit den weißen Ärmeln echt gut. Ich wollte schließlich chic aussehen. Und das nicht nur für Vanessa, würde sie tatsächlich einen Blick zu mir herüberwerfen.

Um vierzehn Uhr erreichten wir den Salzgittersee. Nun begann die große Suche nach dieser Insel, auf der sich das ganze Spektakel abspielen sollte. Vorbei an zahlreichen Fressbuden, Hüpfburgen und Kinderunterhaltungsprogrammen kamen wir recht schnell zum Ziel. Ich sah die große Bühne schon von Weitem. Mein Herz raste. Es war kurz davor, mir durch den Bauch bis in die Hose zu rutschen. Gleich war es so weit, und ich würde Vanessa sehen. Kaum hatten wir uns einen Platz in einer der vorderen Reihen gesucht, kam sie auch schon hervor.

»Salzgitter, seid ihr gut drauf?«, brüllte sie ins Mikro. Meine Vanessa. Vor lauter Aufregung vergaß ich, meine Kamera bereitzuhalten. Ich kramte sie hektisch aus meinem Rucksack. Diesen Moment wollte ich schließlich für immer festhalten. Nun stand ich da und filmte jede kleinste Bewegung meines Superstars.

Sarina teilte meine Euphorie eher weniger und schien sich fast ein wenig zu langweilen. Zumindest sah ich sie im Augenwinkel gähnen. Mir war klar, dass sie nur mir zuliebe dabei war. Immerhin freute sie sich sehr für mich und hatte schon Tage zuvor gestichelt: »Na, bist du schon aufgeregt?«

Und wie ich das war. Wenn sie gewusst hätte, dass es nicht nur an Vanessa lag.

So richtig genießen konnte ich ihre Performance allerdings nicht. Da war immer dieser Hintergedanke. Milan. Er sollte doch auch hier irgendwo sein.

Ich bemühte mich, meine volle Konzentration dem Konzert zu widmen, und filmte einfach weiter. Ohne Erfolg. Es half nicht. Der Gedanke ließ mich nicht los. Was, wenn er mich die ganze Zeit beobachtete, und ich stand da mit meiner blöden Kamera in der Hand, wie so ein kleiner Teenager? Ich drehte mich immer wieder um und hielt nach ihm Ausschau. Wie sollte ich ihn denn überhaupt erkennen zwischen all diesen Menschen? Schließlich hatte ich ihn zuvor nur auf einem Foto gesehen. Ich schaute mich weiter um und filmte nur noch halbherzig in Richtung Bühne.

Obwohl ich gedanklich auf diesen Moment vorbereitet war, traf er mich heftig aus dem Nichts.

Da war er plötzlich.

Hinter ein paar kreischenden Mädels entdeckte ich ihn. Es gab keinen Zweifel, das war er. Milan. Mein Herz pochte wie wild. Ich hatte ja schon geahnt, ihn möglicherweise an diesem Tag zu sehen, doch fest damit gerechnet hatte ich, um ehrlich zu sein, nicht.

Ich nahm sofort die Kamera herunter und zerrte Sarina hektisch aus der Menge. Was wäre, wenn er mich entdecken würde? Oder ganz direkt auf mich zukäme, um ein Pläuschen zu halten? Um Himmels willen. Panik machte sich in mir breit. Meine Hände waren schwitzig. Ich wollte nur noch weg. An meinen persönlichen Weltstar verlor ich nicht mehr den geringsten Gedanken. Ich hatte andere Sorgen.

Als Sarina mich völlig irritiert fragte, weshalb ich so plötzlich wegwollte, gab ich vor, mir wäre schwindelig und ich würde lieber von weiter weg zugucken wollen. Wir drängelten uns durch die Menschen und stellten uns an den Rand.

Sarina stand nun vor mir. Milan mit genügend Abstand, um mir Sicherheit zu geben, ein paar Meter vor uns. Perfekt. So konnte ich ihn gut beobachten, ohne dass es weder Sarina noch ihm selbst auffiel. Sarina wusste nichts von meiner Vorliebe zum gleichen Geschlecht, geschweige denn von Milan.

Und da stand er nun. Weißes T-Shirt, blaue Jeans und wuschelige braune Haare. Auch seine Haut wirkte überdurchschnittlich braun gebrannt, dafür, dass es erst Juni war. Als käme er gerade aus dem Süden. Sein Shirt ließ leichte Brustmuskeln erahnen. Sie zeichneten sich ab, obwohl es nicht einmal eng anliegend saß. Seine Augen kniff er wieder etwas zusammen. Wie auf dem Foto in seinem Profil. Die Sonne strahlte allerdings auch aus allen Poren. Und auch aus meinen Poren setzte sich etwas ab. Schweiß. Ich schwitzte und zitterte. Irgendetwas passierte in mir. Ein gänzlich unbekanntes Gefühl. Ich wurde immer nervöser. Meine Aufregung vor dem Vanessa-Konzert war ein Hasenpups dagegen.

Ich hatte nie an die Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Wie sollte man auch jemanden lieben können, wenn man ihn nur einmal gesehen hatte? Das erschien mir schon immer schwachsinnig. Frei von jeglicher Logik. Aber musste Liebe überhaupt logisch sein? Ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass sich in mir dieses seltsame Gefühl breitmachte. Vom Herzen in den Bauch und wieder zurück. Wie ein Pingpongspiel in Lichtgeschwindigkeit. Fast unangenehm. Aber nur fast.

War es das? Fühlte sich so Liebe auf den ersten Blick an? Es war alles so fremd. Und doch irgendwie ein bisschen wohlig. Ich konnte nicht aufhören zu grinsen.

»Krass, wie du die anhimmelst. Du strahlst über beide Ohren, Ricko. Wie süß!«

Mist. Das war knapp. Sarina ging glücklicherweise fest davon aus, dass mein Strahlen etwas mit Vanessa zu tun hatte. In Wirklichkeit spielte Vanessa ab diesem Moment aber keine Rolle mehr. Nicht einmal eine Nebenrolle. Stattdessen starrte ich Milan fast zwanghaft an. Wieder musste ich grinsen, als ich darüber nachdachte, wie passend sein Nickname auf Knuddels war.

Plötzlich riss mich etwas aus meinen Gedanken. Das nächste Gefühl, das mich überkam, fühlte sich nicht mehr schön an. Milan stand zwar immer noch neben seinen Freunden, aber ein blondes Mädchen saß nun auf seinen Schultern. Das irritierte mich. Wieso tat sie das? Konnte sie nicht selbst stehen? Wollte sie bloß einen besseren Blick haben oder einfach in seiner Nähe sein? So eine blöde Kuh. Ich wäre gern an ihrer Stelle gewesen. Für einen kurzen Moment war ich richtig sauer. Ich dachte darüber nach, ob dieses Mädchen dasselbe war, wie das aus dem Gebüsch, das ihn stehen gelassen hatte?

Nein, wohl kaum. Ich versuchte, mich zu beruhigen. Ich kannte diese Person ja überhaupt nicht. Genauso wenig wie Milan. Er war ja bloß ein Junge aus dem Knuddels-Chat. Aber von nun an war er der süße Junge aus dem Knuddels-Chat. Diesen Zusatz fand ich sehr wichtig, denn süß war er, das konnte ich trotz einiger Meter Entfernung deutlich sehen.

Dieses komische Gefühl blieb jedoch. Gehörte das auch zur Liebe auf den ersten Blick? Wenn ja, dann hätte ich gerne verzichtet. Das hätte sich der Gefühlemacher wirklich verkneifen können.

Oder war das etwa Eifersucht? Nur, weil da ein Mädchen auf den Schultern eines Jungen saß, die ich beide nicht einmal kannte? Er erwähnte ja, dass er bisexuell sei. Hatte er innerhalb dieser paar Tage eine Freundin gefunden? Bitte nicht.

Mittlerweile wollte ich einfach nur noch nach Hause. Vanessa S. hatte die Bühne sowieso verlassen. Nicht einmal geklatscht hatte ich richtig für sie. So ein Mist. Mir wurde das alles zu viel. Viel zu viel Stoff für meine Gedanken. Außerdem hatte ich tierischen Durst und durchgeschwitzt war ich ebenfalls. Sarina schaute mich mit einem erleichterten Blick an, als ich meinen Vater bat, uns abzuholen.

Auf dem Nachhauseweg überlegte ich, ob ich ihm schreiben sollte. Seine Nummer hatte ich ja. Milan, der süße Junge aus dem Knuddels-Chat und nun auch der süße Junge vom Kinderfest. Mit dem blonden Mädchen auf der Schulter. Da war es wieder, dieses blöde Gefühl. Ärger machte sich in mir breit. Das nervte mich alles. Ich kramte mein Handy heraus und schrieb ihm eine SMS.

»Na, wie wars auf dem Kinderfest? Hab gesehen, du hattest viel Spaß mit deinem blonden Weib auf deinen Schultern. Viel Spaß noch mit der.«

Im selben Moment, als ich auf Absenden klickte, bereute ich es bereits. Keine Ahnung, wieso ich das geschrieben hatte. Vor einer Handlung nachzudenken, war noch nie meine Stärke. Das hatte mir mein Vater auch mal vorgeworfen. Wohl zu Recht. Selbst schuld.

Als Milans Antwort kam, hätte ich mich am liebsten geohrfeigt.

»Bist du blöd? Das war einfach nur eine gute Freundin von mir.

Kein Grund, deshalb eifersüchtig zu sein.«

Beschämt von mir selbst, aber mindestens genauso erleichtert atmete ich auf. Nur eine gute Freundin also. War wohl eine Kurzschlussreaktion von mir. Aber wirklich eine absolut beschissene. Wie peinlich. Wir kannten uns kaum, und ich machte eine solche Szene. Wie sollte ich diesen vermasselten Eindruck wiedergutmachen? Er musste denken, ich sei völlig plemplem.

Glücklicherweise lag ich falsch. Milan wollte sich so schnell wie möglich mit mir treffen und bedauerte, dass nur einer von uns den anderen live gesehen hatte.

»Ich bin gespannt, wie du das wiedergutmachen wirst, dass du mir nicht mal Hallo gesagt hast. Mir würde da etwas einfallen! ;-)«

Ich musste lachen. Ich hatte noch nie in meinem Leben geflirtet und wusste nicht so richtig, wie ich auf solche Zweideutigkeiten reagieren sollte. Das war jedenfalls typisch für Knabberspaß.

Mein neuestes Foto, in meinem Profil auf Knuddels, gefiel ihm diesmal besonders gut. So gut, dass er ein persönliches Kennenlernen offenbar gar nicht abwarten konnte. Leider musste ich ihm vorerst einen Korb geben. In einer Woche stand ein dreiwöchiger Familienurlaub nach Sardinien an, und ich wollte schließlich für das erste richtige Treffen gut aussehen. Der Frühling war bislang absolut geizig mit der Verteilung seiner Sonnenstrahlen gewesen und meine Hautfarbe glich der einer Kalkleiste. Im Gegensatz zu seiner. Wieder musste ich an seine braun gebrannten, muskulösen Oberarme denken. Vor allem als dieses Mädchen auf seinen Schultern saß und er sie an den Oberschenkeln festhielt, damit sie nicht fiel, konnte ich seine gewölbten Oberarmmuskeln ganz besonders gut erkennen. Sie waren sogar ein wenig aderig, darauf stand ich schon immer. Auch damals bei Walter von Big Brother hatte ich die Adern angeschmachtet, wenn er seine Muskeln anspannte.

Dennoch. Es wäre wirklich blöd gewesen, sich zu treffen und dann, bei Wiederholungsbedarf, drei Wochen pausieren zu müssen. Also beschloss ich, erst mal zu warten, bis ich aus dem Urlaub wiederkam. Dann aber braun gebrannt. Wie er. Und zu allen Schandtaten bereit.

Vielleicht war es ein Fehler, die Sommerreise abzuwarten, wie ich mir auf Sardinien eingestehen musste, denn meine Gedanken drehten sich ununterbrochen nur um ihn. Egal, ob ich am Strand, im Ferienhaus, in der Disco oder im Restaurant war. Meine Gedanken an Milan ließen mich nicht los. Auch wenn die Situation auf dem Kinderfest im Nachhinein, dank meiner überflüssigen Eifersuchtsaktion, eine eher unangenehme Erinnerung war, ließ ich den schönen Teil immer wieder Revue passieren – seinen Anblick.

Zum Glück hatte ich mein Handy mit im Gepäck, und wir schrieben täglich mehrere Nachrichten. Meistens konnte ich schon morgens einen süßen Guten-Morgen-Gruß lesen. Meiner Handyrechnung tat das zwar ganz und gar nicht gut, aber das war es mir wert. Es musste einfach sein. Ich sah schon jetzt den roten Kopf meines Vaters, während er sich die Handykosten vor Augen halten würde und vor lauter Meckern ins Husten käme. Egal, sollte er doch.

Ich ging täglich am Strand joggen. Schließlich wollte ich noch etwas Fett verlieren, bevor er mich das erste Mal sah. Mit seinem Astralkörper konnte ich nämlich nicht mithalten. Dass ich kein Adonis war, konnte man über der Kleidung nicht sehen. Äußerlich schien ich recht schlank. Nur die blöde Plauze sollte weg. Sie war klein, aber sie war existent – und ich hasste sie.

Milan hingegen hatte einen tadellosen Bauch. Auf dem Kinderfest war sein T-Shirt etwas hochgerutscht, als das Mädchen von seiner Schulter abstieg. Da hatte ich natürlich ganz besonders hingeschaut. Ich verlor mich immer wieder in meinen Tagträumen. Das half mir, die Zeit bei den Italienern zu überstehen.

Irgendwann nahmen dann auch diese drei elendig langen Wochen ein Ende, und ich war wieder zu Hause in Braunschweig. Ich fühlte mich fast ein wenig undankbar. Sarina war noch nie im Urlaub gewesen. Ihre Eltern konnten sich nicht einmal einen Trip an die Ostsee leisten. Ich hingegen brutzelte drei Wochen unter der Sonne Sardiniens und konnte es gar nicht abwarten, die Insel zu verlassen. Aber ich hatte schließlich einen triftigen Grund dafür.

Mittlerweile konnte es auch mir nicht mehr schnell genug gehen. Ich war so gespannt, Milan endlich kennenzulernen. Nach meiner dreiwöchigen Internetabstinenz las ich bei Knuddels einen Eintrag in meinem Gästebuch, den er mir während meiner Abwesenheit geschrieben hatte.

»Na du Sonnenurlauber. Liegst schön in der Sonne und wir grillen hier bei strömendem Regen. Freu mich auf unser Treffen. Liebe Grüße Milan«

Immer wieder las ich mir seine Zeilen durch und strahlte dabei übers ganze Gesicht. Das Date konnte kommen.

Wolke 7

Mein Wecker klingelte. Es war Samstag. Ein spätsommerlicher Septembermorgen. Normalerweise hatte dieses ohrenbetäubende Ding am Wochenende absolute Sendepause. Wir standen von Anbeginn auf Kriegsfuß. Aber diesmal war alles anders.

Es war so weit.

Unser erstes Treffen stand tatsächlich bevor. Und das nicht nur für ein paar Stündchen, wie es bei einem ersten Treffen eher üblich war. Milans Eltern waren über Nacht fort, und er hatte vorgeschlagen, dass wir die sturmfreie Bude doch nutzen sollten. Erst war ich mir etwas unsicher, ob ich wirklich direkt beim ersten Date die Nacht bei jemandem verbringen sollte, aber er hatte sicherlich ein Schlafsofa für Gäste. Also war ich einverstanden. Ich hatte ihn bereits live gesehen, und wie ein Mörder sah er nun wirklich nicht aus. Aber das sahen sie meistens nicht. Egal.

Abgemacht hatten wir, dass ich den Zug nach Salzgitter-Lebenstedt um 17.48 Uhr nehmen würde. Okay. Das schaffte ich locker. Dachte ich zumindest.

Mein Tagesplan war straff. Ich musste unbedingt noch in die Stadt fahren, um mir neue Klamotten zu kaufen. Irgendetwas, das zu meiner braun gebrannten Urlaubshaut passte. Etwas Helles, das nicht auftragen würde. Es sollte einfach alles perfekt werden. Mein Geldbeutel hingegen versicherte mir etwas anderes: Ebbe. Also musste meine Mutter herhalten. Es gab da nur ein klitzekleines Problem, denn sie war wegen einer verhunzten Hausarbeit, die ich mit Beginn des neuen Schuljahres zurückerhielt, immer noch sauer auf mich. Wie Papa in dieser Situation zu mir stand, war klar. Ich konnte mich glücklich schätzen, überhaupt das Haus verlassen zu dürfen.

Die Zeit drängte. Ich fuhr also mit dem Fahrrad zum Blumenladen und kaufte ihre Lieblingsblumen. Rote Rosen. So wie ich es immer tat, wenn ich mal wieder Mist gebaut hatte.

Die Blumenverkäuferin aus unserem Dorf schmunzelte jedes Mal, wenn ich ihren Laden betrat. Dabei nickte sie mechanisch. Als wüsste sie ganz genau, weshalb ich vorbeikam. Ich fühlte mich immer etwas ertappt und wurde das Gefühl nicht los, dass meine Mutter schon einmal mit ihr darüber gesprochen hatte. Meine schlechten Noten waren für ihr Blumengeschäft, wirtschaftlich betrachtet, jedenfalls ein Segen. Egal, ich hatte es eilig. Zu eilig.

In der einen Hand die Rosen, in der anderen Hand das Lenkrad sauste ich los. Ich schaute immer wieder auf die Uhr. Es gab noch einiges zu tun.

Dabei missbrauchte ich den Fußweg als Rennstrecke, trat in die Pedale, als wäre ich auf der Flucht, und achtete nicht auf diese blöde Einfahrt. In diesem Moment fuhr ein weißer Transporter heraus. Mit voller Wucht prallte ich gegen dieses große Ungetüm, mit dem Kopf voran machte ich einen Satz über das Lenkrad, die Motorhaube entlang, und landete auf der anderen Seite des Wagens. Fuck. Da lag ich nun. Ich verspürte einen dumpfen Schmerz im rechten Handgelenk. Der Fahrer eilte panisch mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck aus seinem Auto und half mir hoch. »Um Gottes willen, Junge! Hast du dir etwas getan?«

Außer meinem Handgelenk tat mir jedoch nichts weh. Ich versicherte dem Fahrer, dass mir nichts passiert wäre und es mir gut ginge. Gemeinsam sammelten wir die Blumen auf, bevor ich mich wieder auf mein Rad setzte, das den Zusammenstoß besser überstanden hatte als meine Hand.

Ich radelte hastig nach Hause, und auf Befehl meiner Mutter stattete ich der Notfallambulanz noch einen Besuch ab. Verstauchtes Handgelenk lautete deren Diagnose. Meinetwegen. Störte mich nicht. Heute konnte mir nichts die Stimmung vermiesen.

Meine Mutter konnte ich mit ihren Lieblingsblumen glücklicherweise gnädig stimmen.

Ich schrieb Milan mein kleines Unglück und bekam eine SMS zurück, die mich etwas irritierte.

»Oh, du Armer und dann noch die rechte Hand. Dann kannst du mir ja gar keinen runterholen.«

Hä? Wieso schrieb er mir denn so etwas? Wir kannten uns doch noch gar nicht so richtig. Ich wusste ja, wie er war. Es war nichts Untypisches. Eigentlich hätte es mich nicht wundern dürfen, aber in Anbetracht dessen, dass ich die kommende Nacht bei ihm verbringen würde, stieg in mir noch mehr Aufregung auf. Meinte er das ernst? Ich hatte bisher keinerlei Erfahrung damit. Wollte er etwa heute mit mir … Nein. Quatsch. Ich verdrängte diesen Gedanken schnell. Außerdem war das unser allererstes Date. Er hatte sich bestimmt nur einen Scherz erlaubt.

Viele Gedanken konnte ich mir darum auch gar nicht mehr machen. Schließlich hatte ich immer noch keine neuen Klamotten, und die Zeit arbeitete deutlich gegen mich.

Vier Stunden später kam ich dann doch noch mit drei neuen Shirts zu Hause an.

Es war mittlerweile 17 Uhr. Der Bus zum Hauptbahnhof fuhr in exakt 31 Minuten. Ich sprang schnell unter die Dusche und stylte mir die Haare. Von meinen drei neuen Shirts entschied ich mich für ein hellblaues mit ein paar Aufnähern darauf. Mit gepacktem Rucksack verabschiedete ich mich von meiner Mutter, der ich erzählte, ich würde bei meiner lieben Freundin Franzi übernachten, und fuhr dann direkt zum Bahnhof. Die Zeit war knapp.

Am Braunschweiger Hauptbahnhof angekommen, rannte ich aus dem Bus, zog ein Ticket und sprintete rasch zu den Gleisen. Das, was ich dort oben noch zu sehen bekam, war ein abfahrender Zug Richtung Lebenstedt. Verdammt. Wütend stampfte ich auf den Boden und machte mit einem lauten Fuck einige Passanten auf mich aufmerksam.

Völlig aus der Puste stand ich nun da mit meinem Gepäck. Ganze zwei Stunden hieß es jetzt zu überbrücken. So ein Mist.

Ich schrieb Milan eine SMS und machte es mir dann auf dem Bahnhof mit der neuesten Ausgabe der BRAVO bequem. Ich las sie echt gern, aber immer so, dass die Leute um mich herum das Cover nicht sehen konnten. Ich war schließlich keine Zwölf mehr.

Die Zeit verging, und natürlich konnte mir der Zug nicht ein weiteres Mal entkommen. Zweiundzwanzig Minuten Zugfahrt. In diesen zweiundzwanzig Minuten war ich so aufgeregt wie Vanessa S. vermutlich vor ihrem ersten Auftritt. Nein, noch stärker. So aufgeregt wie ein kleines Kind, das am Heiligen Abend mit der Nase an der Fensterscheibe klebte und auf den Weihnachtsmann wartete. Mindestens.

Der Zug bewegte sich eher ruppig als sanft gleitend über die Schienen. Meinen Kopf konnte ich nicht wie sonst an die Scheibe lehnen, ohne einen Schädelbasisbruch zu erleiden. Die grüne Landschaft zog an mir vorbei, im Wechsel mit ärmlich wirkenden Plattenbauten.

Salzgitter wurde seinem Ruf mal wieder konsequent gerecht. Ich war bisher nicht oft hier gewesen, aber es bestätigte sich beständig; nicht in hundert Jahren würde diese Stadt einen Schönheitspreis gewinnen. Ich war sowieso verwundert gewesen, als ich erfahren hatte, dass er hier wohnte. Das passte irgendwie nicht zu ihm. Wobei. Woher wollte ich wissen, ob das zu ihm passte? Ich kannte ihn ja kaum. Mir wurde etwas mulmig.

Wie sollte ich ihn überhaupt begrüßen? Eine feste Umarmung? Das wäre mir am liebsten gewesen. Obwohl, vielleicht wollte er das gar nicht. So in der Öffentlichkeit. Erst recht nicht in Salzgitter. Bei uns in Braunschweig nannte man diese Stadt auch »Salzghetto«. Nein, eine Umarmung käme eher nicht so gut. Zwei Jungs umarmten sich auch nicht. Sie machten eher ein lässiges Shakehands. Das ploppte dann auch immer so laut. Jeden Morgen konnte ich das Spektakel in der Schule beobachten, wenn die coolen Typen sich begrüßten. Jeder Handschlag ploppte. Und wenn sie dann reihum gingen, ploppte es eine gefühlte Ewigkeit. Plopp, plopp, plopp. In so etwas war ich noch nie gut. Ich war eher der »Umarmungs-Typ«. So begrüßten meine Mädels und ich uns immer. Manchmal drückte ich sie besonders fest, um ihnen zu zeigen, wie gern ich sie hatte.

Wie ich Milan nun begrüßen sollte, wusste ich aber immer noch nicht so richtig. Ich entschied, ihm ganz normal die Hand zu geben. Damit konnte ich nichts verkehrt machen.

Die elektronische Frauenstimme riss mich aus meinen Gedanken. »Lebenstedt – Endstation«. Ich bekam ganz feuchte Hände. Es war so weit.

Kurz vor Ankunft klingelte mein Handy. Sarina. Einen unpassenderen Zeitpunkt hätte sie sich nicht aussuchen können, aber wegdrücken konnte ich sie auf keinen Fall. Sie lag mittlerweile in einer Klinik für essgestörte Jugendliche. Sie war an Magersucht erkrankt und sogar aus der Schule genommen worden. Ich fühlte mich verpflichtet, den Anruf anzunehmen.

Der Zug rollte ein, und ich versuchte, Milan durch die schmierigen Zugfenster erblicken zu können. Mit Erfolg. Ich sah ihn bereits am Gleis stehen. Sofort hatte ich ihn erkannt. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig.

Ich stieg aus dem Zug und versuchte aufmerksam, Sarinas Sorgen zuzuhören. Es blieb beim Versuch. Es fiel mir schwer, genau jetzt in diesem Moment ein guter Freund zu sein, und ich musste zugeben, dass ich erleichtert war, als sie auflegen musste. Viel Zeit für ein schlechtes Gewissen blieb jedoch nicht, denn er kam direkt auf mich zu. Milan. Wow.

Ende der Leseprobe