Vom Albtraum zum Dreamteam - Peter R. K. Thaden - E-Book

Vom Albtraum zum Dreamteam E-Book

Peter R. K. Thaden

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Beschreibung

Der Jugend-Fußball in den 1960er Jahren ist mit dem der heutigen Zeit kaum zu vergleichen. Auf dem flachen Land war er auf Kreisebene organisiert. Die Fußballplätze der Vereine wiesen in der Regel lediglich Minimalstandards auf, Umkleidekabinen und Duschen waren nicht immer vorhanden. Bälle aus Schweinsleder und Trikots aus Baumwolle waren für uns Spieler gewöhnungsbedürftig. Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen jagten wir Jungs an jedem Wochenende mit Begeisterung dem Ball hinterher, getrieben von der Freude am Fußballspiel. In diesem Band schildere ich ausführlich in autobiografischer Form meine Zeit als Jugend-Kicker beim TSV Friedrichskoog und dem MTV Marne. Ich nehme den Leser mit auf eine spannende Zeitreise durch die Jahre 1963 bis 1965 und erzähle von deftigen Niederlagen, aber mehr noch von meinen positiven Erinnerungen an diesen Sport.

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Dieses Buch ist meinen Kindern Marc und Patricia sowie meiner Enkelin Elizabeth gewidmet.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 – Ouvertüre

Kapitel 2 – Schulabschluss

Kapitel 3 – Endlich, das runde Leder ruft

Kapitel 4 – Aller Anfang war schwer

Kapitel 5 – Mannschaftspuzzle

Kapitel 6 – Neue Ideen und frisches Blut

Kapitel 7 – Eine neue Herausforderung

Kapitel 8 – Neue Besen, neuer Geist

Kapitel 9 – Wasserknappheit

Kapitel 10 – Spreu und Weizen

Kapitel 11 – Spiel, Tor und Sieg

Kapitel 12 – Geisterspiel

Kapitel 13 – Niemand weiß, wie es ausgeht

Kapitel 14 – Fairplay geht anders

Kapitel 15 – Der zwölfte Mann

Kapitel 16 – Fragezeichen

Kapitel 17 – Wechsel auf die Zukunft

Kapitel 18 – Fußballerisches Intermezzo

Kapitel 19 – Ehrenämter

Kapitel 20 – Moorrege und der Weingeist

Kapitel 21 – Fußball, der Mittelpunkt meiner Welt

Kapitel 22 – Zeitenwende

Kapitel 23 – Schwarze Magie

Kapitel 24 – Bargeld lacht nicht immer

Kapitel 25 – Frischer Wind

Kapitel 26 – Baumwolle und Leder

Kapitel 27 – Die Bundesliga startet

Kapitel 28 – Premiere auf dem Jahnplatz

Kapitel 29 – Viel Neues

Kapitel 30 – Notizen am Rande

Kapitel 31 – Blick über den Tellerrand

Kapitel 32 – Bäumchen wechsel dich

Kapitel 33 – Lengede und Ludwig Erhard

Kapitel 34 – Sündenbock

Kapitel 35 – Unentschieden ist Trumpf

Kapitel 36 – Thriller in Dallas

Kapitel 37 – Hercules

Kapitel 38 – Neue Perspektiven

Kapitel 39 – Zerplatzte Träume

Kapitel 40 – Noch ein Abschied

Kapitel 41 – Die Fußball-Bundesliga und ich

Kapitel 42 – Die Karten werden neu gemischt

Kapitel 43 – Neuer Trainer, neue Wege

Kapitel 44 – Erst pfui...

Kapitel 45 – ...dann hui

Kapitel 46 – Die dritte Halbzeit

Kapitel 47 – Der Kapitän und sein Team

Kapitel 48 – Schlaflos in Marne

Kapitel 49 – Die Beatles, Ada und ich

Kapitel 50 – Höhen und Tiefen

Kapitel 51 – Willi, Kurt und Nikita

Kapitel 52 – Kehren neue Besen gut?

Kapitel 53 – Zwischenbilanz

Kapitel 54 – Besinnliche Zeiten

Kapitel 55 – Bälle und Barras

Kapitel 56 – Da war Musik drin

Kapitel 57 – Das Dreamteam

Kapitel 58 – Soll und Haben

Danke

Vorwort

Es war nicht mehr zu leugnen; das Fußballvirus hatte mich voll erwischt. Schuld daran war eindeutig der Schulfußball, durch den ich vom Bolzplatz-Helden zu einem ganz passablen Kicker geworden war. Es gab nur ein Problem für mich: meine Schulzeit neigte sich ihrem Ende entgegen. Die Abschlussprüfungen standen bevor und damit auch der Abschied von der Schule. Letztendlich bedeutete das für mich: keine Schule, kein Schulfußball mehr.

Triste Aussichten, wenn man so will; aber nicht nur für mich, sondern auch für meine Klassenkameraden, mit denen ich zusammen in der Schulmannschaft des Aufbauzuges Marne gespielt habe. Sie dachten ähnlich wie ich. Immerhin hatten wir im Vorjahr mit unserem Team in beeindruckender Weise die Fußball-Meisterschaft der Mittelschulen des Kreises Süderdithmarschen gewonnen. Darauf waren wir alle, die zu einer verschworenen Gemeinschaft geworden waren, mächtig stolz.

Wie die Schule, so sollte auch dieser sportliche Erfolg bald gänzlich der Vergangenheit angehören. Daran würde ich zwar nichts ändern können, die Gestaltung meiner eigenen sportlichen Zukunft lag jedoch einzig bei mir. Wenn es also mein sehnlichster Wunsch war, auch in Zukunft Fußball spielen zu wollen, dann musste ich mir etwas einfallen lassen.

Schon seit meiner Kindheit bin ich, zusammen mit meinen Spielkameraden aus unserer Straße, auf dem Bolzplatz, gegenüber beim Nachbarn, ausgelassen dem Ball hinterhergerannt und habe dabei die wesentlichen Grundzüge dieses Sports kennengelernt. Diese Art der Freizeitbeschäftigung diente letztlich aber wohl vornehmlich der Befriedigung meines damals enormen Bewegungsdranges.

Dagegen hatte der Schulfußball, den wir auf dem Aufbauzug in Marne spielten, schon etwas Besonderes, was Technik und Taktik anging. Das hat mich von Anfang an so fasziniert, dass ich alles darangesetzt habe, meine als Kind erworbenen fußballerischen Fähigkeiten zu verbessern. Folglich setzte ich mir das Ziel, in die Klassen- und später auch in die Schulmannschaft berufen zu werden.

Zu meiner Begeisterung ist mir beides sehr schnell gelungen. Am Ende war ich einer von drei „Amateuren“ in der Schulmannschaft; einer von den dreien, die keinem Fußballverein angehörten. Acht weitere Mannschaftskameraden waren mit ihren 14 bis 16 Jahren hingegen schon gestandene Fußballer mit einigen Jahren Wettkampferfahrung im organisierten Vereinsfußball; „Profis“ eben.

Für mich war es deshalb von großer Bedeutung, in dieser Mannschaft mitgespielt zu haben und letztlich am Meisterschaftserfolg beteiligt gewesen zu sein. Das konnte nach meinem Dafürhalten aber noch nicht alles gewesen sein; ich hatte Feuer gefangen. Es war der Erfolg mit meiner Schulmannschaft, der das Fußballvirus in mir dann vollends zum Ausbruch kommen ließ.

Trotz der höheren Lernbelastung, trotz kommenden Prüfungsquartals, fasste ich ziemlich schnell den Entschluss, einem Fußballverein beitreten zu wollen. Meine Eltern konnte ich von meinem Vorhaben überzeugen.

Die ganze Geschichte bis hierher habe ich ausführlich in meinem Buch „Drei Ecken, ein Elfer“ beschrieben. Sie umfasst den Zeitraum von 1946 bis 1962 und beschreibt meinen langen Weg zum Fußball. Meine nun folgenden Erinnerungen schließen an den vorgenannten Zeitraum an und schildern in autobiografischer Form meinen weiteren Lebensweg und meine Erlebnisse als Kicker in verschiedenen Jugend-Mannschaften des TSV Friedrichskoog und des MTV Marne. Meine Schilderungen spielen vor dem Hintergrund familiärer, regionaler und zeitgeschichtlicher Ereignisse, die mich berührt haben und die mir erwähnenswert erscheinen. Sie beruhen im Wesentlichen auf eigenen Erinnerungen und Aufzeichnungen, auf Erzählungen und Recherchen. Um ein stimmiges Gesamtbild des im Text erfassten Zeitraumes darstellen zu können, habe ich, soweit ich es für erforderlich hielt, allgemein zugängliche Quellen herangezogen und genutzt. Auf Anmerkungen und Literaturhinweise habe ich größtenteils verzichtet, weil ich meinen Weg als Jugendfußballer in den Vordergrund der Geschichte gestellt sehen möchte.

Um die Ursprünglichkeit der Dialoge zu erhalten, habe ich die wörtlichen Reden im Text häufig in plattdeutscher Sprache wiedergegeben.

Im Buchtext bezeichne ich den „Marner Turnverein von 1862“ bewusst und durchgängig als „MTV Marne“. Das war zur damaligen Zeit allgemeiner Sprachgebrauch und fand so auch in den Fußball-Tabellen und Spielberichten Berücksichtigung, obwohl der als „Männer-Turnverein von 1862“ gegründete Verein im Jahre 1920, nach Aufnahme einer Turnabteilung für Mädchen, in „Marner Turnverein von 1862“ umbenannt worden war. Erst in jüngerer Vergangenheit hat sich im Alltagssprachlichen die Bezeichnung „Marner TV“ durchgesetzt.

Peter R. K. Thaden

Im Mai 2024

1 Ouvertüre

Um keine unnötige Zeit zu verlieren, setzte ich meinen gefassten Plan relativ zügig um und wurde bereits Mitte Januar 1963 offiziell Mitglied beim Turn- und Sportverein Friedrichskoog. Mein Wunsch, dort in der Jugendabteilung meinem Hobby Fußball nachgehen zu können, schien somit relativ schnell in Erfüllung zu gehen. Mein künftiger Trainer, Uwe Schmidt, von allen nur „Uwe-Fisch“ genannt, bedeutete mir aber, dass es dazu noch eine Hürde zu nehmen galt: ich brauchte eine formelle Spielerlaubnis vom Fußballverband. Er wolle zunächst versuchen, für mich eine vorläufige Erlaubnis zu erhalten, damit ich schon im anstehenden ersten Spiel des neuen Jahres eingesetzt werden kann. Der Spieler-Pass mit der offiziellen Spielgenehmigung würde dann vom Fußballverband nachgereicht werden. Trotz allem Aktivismus, den Uwe an den Tag legte, musste ich auf mein erstes Spiel im Vereinstrikot des TSV Friedrichskoog jedoch warten.

Der Winter hatte Einzug gehalten und Dauerfrost und eine dicke, nahtlose Schneedecke verhinderten nachhaltig jegliche fußballerischen Aktivitäten im Freien. An Fußball spielen oder gar Training war nicht zu denken. Den Luxus einer Sporthalle, in die man zu Übungszwecken hätte ausweichen können, konnten sich zur damaligen Zeit die wenigsten Kommunen leisten. Mein Fußballenthusiasmus wurde durch diese witterungsbedingte Situation natürlich erheblich gedämpft. Der Winter zeigte sich mit aller Hartnäckigkeit.

Das hatte andererseits jedoch den Vorteil, dass ich meine Aufmerksamkeit und mein Engagement ungeteilt anderen, für mich sehr wichtigen, Dingen widmen konnte. Das, was jetzt anstand, würde nämlich entscheidenden Einfluss auf mein künftiges Leben haben.

2 Schulabschluss

Im Februar und März standen die Prüfungsklausuren sowie auch die mündliche Prüfung zur Erlangung der Mittleren Reife an. Da galt es für mich, neben dem aktuellen Unterrichtsstoff auch den aus der Vergangenheit gründlich durchzuarbeiten, damit ich mit einem guten Gefühl in die Klausuren würde gehen können. Neben einer gehörigen Portion Disziplin kostete dieses Lernen natürlich auch viel Zeit und Anstrengung. Dabei konzentrierte ich mich im Wesentlichen auf die Hauptfächer Mathematik, Englisch und Deutsch. Akribisch arbeitete ich den mir in diesen Fächern vormals vermittelten Stoff durch und frischte verblasste oder gar vergessene Kenntnisse wieder auf.

Mein Plan war es, nach Beendigung der Schule eine Ausbildung bei der Sparkasse zu beginnen. Den dafür erforderlichen Aufnahmetest hatte ich bereits in der Sparkassen- und Verwaltungsschule in Bordesholm erfolgreich absolviert. Jetzt fehlte mir nur noch das Zeugnis der Mittleren Reife; dann sei mir, laut Zusage der Sparkasse, der Ausbildungsplatz sicher. Es lag also einzig bei mir, diese letzte Hürde zu nehmen.

Klar, kurz vor dem Ende der Schulzeit verdichtete sich natürlich der zu treibende Lernaufwand ganz erheblich. Unsere Lehrer hatten uns diesbezüglich freilich oft genug vorgewarnt. Über die erhöhte Belastung durch das Lernen hinaus war ich bereits seit dem Sommer des vergangenen Jahres damit beschäftigt, meine sogenannte Jahresarbeit fertigzustellen. Wir Schülerinnen und Schüler aus den beiden Abgangsklassen waren aufgefordert worden, jeweils nach eigener Neigung ein Projekt zu entwickeln und abzuschließen, um dieses dann am Ende des Schuljahres einer Jury zur Benotung präsentieren zu können. Das Projekt konnte handwerklicher, schriftlicher oder kombinierter Art sein.

Ich hatte mich für die kombinierte Variante entschieden und baute in mühseliger Heimarbeit ein flugfähiges Segelflugzeugmodell. Als Zugabe fasste ich alle Bauschritte in schriftlichen Erläuterungen und Skizzen zusammen, die ich in gebundener Form meinem Werk belegte. Die Buchbindetechnik hierfür hatte uns unser Werklehrer Hannes Meinekat beigebracht. Diese Technik konnte ich bei der Erstellung meiner Broschüre perfekt anwenden.

Am Ende fand meine Jahresarbeit bei den Lehrern Anklang. Damit konnte ich die mit meinen Prüfungsklausuren erzielten Noten positiv abrunden. Sämtliche Mühen hatten sich diesbezüglich für mich also gelohnt.

Zusammen mit weiteren 35 Schülerinnen und Schülern erlebte ich dann am 12. März 1963 den letzten Schultag auf dem Aufbauzug in Marne. Er beschloss am Vormittag das Kapitel Schule mit der mündlichen Prüfung. In diese Prüfung ging ich einerseits optimistisch und motiviert, denn es konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Auf der anderen Seite gewann im kleinen Maße immer wieder die Nervosität die Oberhand. Die Ungewissheit über die zu erwartenden Fragen ließ grüßen. Am Ende stand dann aber bei mir und allen anderen Prüflingen die große Erleichterung. In einer nachmittäglichen Feierstunde im „Capitol-Kino“ in Marne erhielten wir 36 Schülerinnen und Schüler im Beisein und unter dem Applaus vieler Familienangehöriger von unserem Rektor Herbert Bull das Zeugnis der Mittleren Reife ausgehändigt. Für mich war es ein erhabenes Gefühl, dieses „Papier“ in Händen zu halten, war es doch der Lohn für vier mehr oder weniger anstrengende Jahre der Lernens.

Am Abend fand dann im „Holsteinischen Haus“ in der Norderstraße in Marne ein zünftiger Abschlussball statt. Lehrer, Schüler und Eltern bildeten bei dieser Veranstaltung noch einmal ein gemeinsames Ganzes, so wie ich es eigentlich in den gesamten vergangenen vier Schuljahren erlebt hatte. Wir alle feierten, festlich gekleidet, mit Musik und Tanz.

Es war die Zeit, in der wir jungen Leute unser Lebensgefühl durch die Musik des Rock and Roll und des Twist ausgedrückt sahen. Dementsprechend tanzten wir überwiegend nach Hits von Chubby Checker, Little Richard und Bill Haley und bemühten uns den ganzen Abend, unsere Hüften, Knie und Füße zu verdrehen, ohne dabei orthopädische Schäden davonzutragen. Um eventuellen Schmerzen vorzubeugen, leerten wir schon mal das eine oder andere Glas Alkohol.

Wie es wohl auf Schulabschlussfeiern so üblich ist, bekamen unsere Lehrer noch einmal ihr Fett weg. Nein, nicht grob und ehrverletzend. Mit viel Ironie und Hintersinn haben wir ihnen den Spiegel vorgehalten, in der Hoffnung, dass sie sich in einer stillen Stunde selber hinterfragen und sich zum Segen für uns nachfolgende Schülergenerationen in ihrer Art und Weise, wenn auch nur ein klein wenig, ändern mögen.

Im Rückblick war es eine würdige, stimmungsvolle Feier. Kein Wunder, der Druck des Lernens war von uns allen jäh abgefallen. Wir hatten alle unser heißersehntes Ticket in der Tasche und fühlten uns unendlich frei.

Auf der anderen Seite empfand ich persönlich aber die Auflösung des Klassenverbundes als Verlust von Geborgenheit. Alle werden wir jetzt in verschiedene Richtungen gehen und gemeinsam Erlebtes als Erinnerung mitnehmen. Ich hoffte nur, dass diese Erinnerungen nicht allzu schnell verblassen werden.

Am Tag nach der Entlassungsfeier stand der letzte Gang zur Schule an. Wir mussten unsere Jahresarbeiten, die bis dahin in unseren Klassenzimmern ausgestellt worden waren, abholen. Danach richtete ich meinen Blick dann auch schon in die Zukunft. Für mich hieß es von da an: Schule ade, Sparkasse, ich komme.

3 Endlich, das runde Leder ruft

Ab Anfang März schien die Natur dann endlich ein Einsehen mit uns Fußballenthusiasten zu haben. Es entwickelten sich endlich frühlingshafte Temperaturen. Unter den wärmenden Sonnenstrahlen schmolz die weiße Schneedecke innerhalb weniger Tage; unser bis dahin steinhart gefrorener Fußballplatz taute auf und war schnell wieder in einem Zustand, der uns das Training und das Fußballspielen erlaubte.

Trainer Uwe informierte meine Mitspieler und mich daraufhin, dass das erstes Punktspiel der Jungmannen unseres TSV am 17.03.1963, einem Sonntag, stattfinden soll. Kein geringerer als der spielstarke TSV Brunsbüttelkoog sollte uns als Gäste zum Rückrundenstart empfangen. Eine schwierige Aufgabe, so vermutete ich; und das alles nach nur zwei vorbereitenden Trainingseinheiten. Mehr Zeit blieb uns nicht, um uns für das erste Spiel zu wappnen. Zu viele Wochen des Wartens waren verstrichen; bis Ende Juni musste die Rückrunde gespielt sein.

Egal, jetzt sollte es endlich losgehen. Uwe gab mir den Rat, mich auf alle Fälle für einen Spieleinsatz bereitzuhalten. Meine endgültige Spielerlaubnis läge inzwischen vor. Spätestens am Sonnabend vor dem Auftaktspiel würde er die Mannschaftsaufstellung sowie die weiteren Informationen zum anstehenden Spiel durch Aushang bekannt geben.

Bis dahin hatte ich noch einige Tage Zeit, mich gedanklich mit den auf mich zukommenden Aufgaben auseinanderzusetzen. Fakt war nämlich, dass ich, 16 Jahre alt, aufgrund des Datums meiner Geburt und der bestehenden Stichtagsregelungen altersmäßig einer Mannschaft von 15-bis 16-jährigen Spielern, der sogenannten „Jugend“, angehören müsste. Mangels ausreichender Anzahl von Jungs im passenden Alter gab es im TSV kein Jugend-Team. Also rückte ich automatisch eine Altersstufe höher, in den Kader der Jungmannen. Ich würde also künftig mit 17- bis 18-jährigen Fußballern in einem Team zusammenspielen. Meine Gegenspieler wären dann ebenfalls mit ziemlicher Sicherheit älter als ich. Das schreckte mich aber keineswegs. Im Gegenteil, ich fieberte meinem ersten Spiel im Dress des TSV Friedrichskoog entgegen.

An dem besagten Sonnabend bin ich dann dreimal vergeblich die anderthalb Kilometer mit dem Fahrrad von zuhause bis zum Aushang-Kasten beim Vereinslokal Petersen, am anderen Ende der Hafenstraße, gefahren. An diesem nasskalten Tag war das zwar kein Vergnügen, etwas in meinem Innern zwang mich aber immer wieder auf mein Fahrrad. Dann, endlich, beim vierten Anlauf, hing die entscheidende Info im Kasten. Und tatsächlich: Uwe hatte sich die Mühe gemacht, die Mannschaftsaufstellung, vom Torwart bis zum Linksaußen, wie einen Tannenbaum zu gestalten. Oben stand der Name des Torwarts, darunter benannte er die beiden Verteidiger. Dann kamen die Namen der drei Mittelfeldspieler. Die Basis des Baumes bildeten die Namen der fünf Angreifer.

In dieser untersten Reihe entdeckte ich meinen Namen. Linksaußen sollte ich spielen. Meine Freude war groß. Ich sollte also tatsächlich dabei sein. Immerhin standen auf dem Zettel noch drei weitere Namen von Spielern, die Uwe als Ersatzleute nominiert hatte, die aber kaum oder keine Chancen für einen Einsatz besaßen. Auswechselungen im laufenden Spiel waren damals nämlich nicht gestattet. Man musste sich schon durch Können, Trainingsfleiß und Einsatz anbieten, um zu den ersten elf Spielern zu gehören. Als absoluter Neuling im Verein war mir sofort klar, dass meine Nominierung eine Art Vertrauensvorschuss war, den ich durch Leistung auf dem Platz würde bestätigen müssen. Damit, so war ich mir sicher, werde ich umgehen können.

Auf dem Zettel standen auch die Namen von einigen aktuellen und früheren Weggefährten von mir, die ich zu meiner Begeisterung bereits bei den beiden Trainingseinheiten hatte treffen können: Paul, der uns kleinen Grünschnäbeln vor einigen Jahren auf unserem Bolzplatz die Kunst des Fußballspielens nahegebracht hat, war als Torwart nominiert. Nun ja, Kostproben seines Könnens als Keeper hatte Paul uns seinerzeit schon gezeigt.

Gerhard und Rudolf waren meine Mitschüler und Mannschaftskameraden in der Klassen- und Schulmannschaft in Marne gewesen. Beide hatte ich dort als gute Fußballer mit unterschiedlichen Qualitäten kennengelernt. Gerd und Dieter schließlich, die ich ebenso schätzte, waren ehemalige Mitschüler von mir aus alten Volksschulzeiten. Sie standen Gerhard und Rudolf in nichts nach.

Dieses Wiedersehen mit alten Bekannten stimmte mich optimistisch, denn unter diesen Voraussetzungen dürfte sich meine Eingewöhnung in die Mannschaft vermutlich um einiges beschleunigen. Mit Verwunderung nahm ich aber die frühe Abfahrtszeit von acht Uhr bei einem angesetzten Spielbeginn von zehn Uhr zur Kenntnis. Nach meiner Einschätzung brauchte man doch bis Brunsbüttelkoog nur annähernd eine halbe Stunde Fahrzeit. Aber Uwe wird sich schon etwas dabei gedacht haben, vermutete ich und radelte frohen Mutes zurück nach Hause.

Dort begann ich mit einer guten Portion Vorfreude meine Sporttasche zu packen. Mein nagelneues Trikot, die Sporthose sowie Socken und Stutzen, alles fein säuberlich zurechtgelegt, verschwanden in der Tasche ebenso wie meine Fußballschuhe, Handtuch und Duschutensilien. Das Abenteuer Vereinsfußball nahm für mich Form an. Ich konnte ja nicht ahnen, was folgen würde.

4 Aller Anfang war schwer

Das war starker Tobak! Zu starker Tobak, wie ich fand. Und das dann auch noch in meinem allerersten Fußballspiel in einer Vereinsmannschaft. Ziemlich geknickt muss ich unmittelbar nach dem Spiel ausgesehen haben, dort, in der Umkleidekabine in Brunsbüttelkoog. Unser Spiel war gewaltig in die Hose gegangen. Ich musste mich erst einmal setzen, mich innerlich sammeln, meine Gedanken ordnen und versuchen zu begreifen, was alles ich an diesem Sonntagvormittag erlebt hatte. Vieles von dem würde ich in die Rubrik „enttäuschend“ einordnen wollen.

So wie ich fühlten sich aber scheinbar nicht alle meine Mannschaftskameraden. Gerade die zwei, drei Mitspieler, die es nötig gehabt hätten, in sich zu gehen und ihr Verhalten und ihre Leistungen zu hinterfragen, benahmen sich so, als wären sie bei diesem Match nicht dabei gewesen. Aber anstatt meine Finger in irgendwelche Wunden zu legen, zog ich es vor, stumm zu bleiben. Schließlich war ich der Neue und als Teil der Mannschaft selbstverständlich mit verantwortlich für das eingefahrene Spielergebnis.

Mit 0:8, in Worten: null zu acht, hatten wir dieses Spiel soeben vergeigt. Den Fußball lernte ich somit schon früh von seiner unangenehmen Seite kennen. Im Schnellverfahren. Und das bezog sich nicht nur auf das Spiel, auch das Drumherum ließ für mein Verständnis einige Wünsche offen. Jedenfalls im Vergleich zu den von mir im Schulfußball gemachten Erfahrungen.

In der Schulmannschaft hatten wir Spieler stets eine enge Gemeinschaft gebildet, in der einer für den anderen dagewesen war. Jeder Einzelne hatte sich stets dem Ziel, möglichst erfolgreich zu sein, untergeordnet. Auf und neben dem Platz bildeten wir Teammitglieder zu jeder Zeit eine verschworene Einheit. Der Erfolg in Form der Kreismeisterschaft hat uns diesbezüglich recht gegeben.

Nur mit Gemeinsinn, so dachte ich schon damals, lässt sich so ein Erfolg realisieren. Ich setzte voraus, dass Mannschaftssport überall so gelebt wird. Doch Pustekuchen. Heute musste ich eine andere Realität kennenlernen, die mich nachdenklich machte.

Mit dem Spielergebnis von 0:8 konnte ich umgehen, auch wenn es noch so negativ war. Es entsprang schließlich einem sportlichen Wettbewerb, in dem es üblicherweise Gewinner und Verlierer gibt. Für viele Nachlässigkeiten im und um das Spiel herum hatte ich jedoch kein Verständnis. Im Gegenteil, ich hielt es für absolut notwendig, die heutigen Abläufe zu überdenken, um daraus Maßnahmen abzuleiten, die uns auf den Erfolgsweg bringen könnten. Insofern war ich höchst gespannt auf die Schlussfolgerungen, die unser Trainer aus dem aktuell Geschehenen ziehen wird, um einen solchen Alptraum für die Zukunft auszuschließen.

Was war passiert? Nehmen wir das gesamte Desaster einfach einmal von Anfang an unter die Lupe.

5 Mannschaftspuzzle

Das Abenteuer begann schon vor der Abfahrt nach Brunsbüttelkoog.

Bereits fünfzehn Minuten vor der festgesetzten Zeit befand ich mich am Treffpunkt. Das Lampenfieber vor meinem ersten Vereinsspiel hatte dafür gesorgt, dass ich als Erster dort angekommen war. Nach und nach trudelten dann weitere fünf Mitspieler ein.

Als unser Trainer Uwe fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit am Treffpunkt erschien, wartete dort in der Morgenfrische ein verlorenes Häufchen von sechs der insgesamt vierzehn nominierten Spieler.

„Wat, mehr sünd wi nich?“, entfuhr es Uwe. „Wer fehlt denn noch?“

Es begann eine hektische Bestandsaufnahme mit anschließender Einordnung der noch fehlenden Spieler nach deren Wichtigkeit für unser Team.

„Wi fohrt rum un holt se von tohuus af“, entschloss sich Uwe, der eine solche Situation scheinbar kannte.

„Twee sett sik vörn bi mi in´t Auto, de annern klettert achtern rop.“ Mit diesen Worten animierte er uns, sein Fahrzeug zu entern. Ich staunte nicht schlecht über die etwas ungewohnte Transportmethode. Uwe arbeitete als Fischhändler in der elterlichen Fischräucherei in Dieksanderkoog. Der Name „Uwe-Fisch“ hatte also durchaus seine Bedeutung und war keineswegs abwertend gemeint. Im Gegenteil: Uwe war eine Institution im Dorf. Er war jedermann bekannt und bei allen beliebt. Mit seinem Lieferwagen fuhr er wochentags von Ort zu Ort und versorgte die Bewohner von Marsch und Geest auf festgelegten Touren mit allem, was die See an Delikatessen hergab.

An den Wochenenden rüstete Uwe seinen Lieferwagen dann für den Transport seiner Fußballer um. So, wie heute auch, nahmen dann zwei Spieler neben ihm in der Fahrerkabine Platz; wegen der dortigen Enge möglichst die Schmächtigen. Die anderen enterten die Ladefläche, setzten sich auf derselben auf den Hosenboden und ließen sich so transportieren. Die Plane bot Schutz vor neugierigen Blicken von außen. Aufgrund meiner Statur hatte ich das Vergnügen, in der Fahrerkabine mitfahren zu dürfen.

Als erster wurde Paul von uns aus dem Bett geklingelt. Sehr schnell war aber klar, dass Paul nicht einsatzfähig war. Es bedurfte nicht einmal des Vetos seiner Mutter, um uns davon zu überzeugen. Paul erlernte das Schmiedehandwerk. Ein Beruf, in dem Grobmotorik und schweres Werkzeug gefragt waren. Scheinbar hatte Paul den Schmiedehammer nur mit einer Hand angefasst, sonst hätte er die andere Hand damit nicht treffen können. Ein Torwart mit nur einer gebrauchsfähigen Hand? Geht nicht! Also wünschten wir Paul gute Besserung und baten ihn, den ihm verbliebenen Daumen für uns zu drücken. Er möge doch aber beim nächsten Mal besser rechtzeitig Bescheid sagen, wenn er nicht spielen kann.

„Wi fohrt nu no Manni“, gab Uwe die Richtung vor und bog nach links in die Koogstraße ein. Dort wohnte Manni, eine Personalie, die mir nicht in allerbester Erinnerung war. Heute war er aber aufgrund der Umstände ein gefragter Mann. Schade nur, dass er uns scheinbar endlos schmoren ließ.

„Ick kann mien Jung ni wook kriegen“, berichtete seine Mutter atemlos, als sie die Treppe wieder herunterkam.

„Uwe, du musst mol hoochgohn un dien Glück verseuken. He weer eerst halve Nacht weller tohuus.“

Uwe berichtete uns Mitfahrern später, als er sich wieder hinter das Steuer seines Lieferwagens gesetzt hatte: „Ik hefft Manni eenfach ut de Puuch trocken un em henstellt.“

Kopfschüttelnd fuhr Uwe fort: „Wi holt em gliek af. Nu fohrt wie erst mol no Peiter Paukztat un denn no Henry Schmidt.“

Peter, später auch Henry, saßen immerhin schon am Frühstückstisch, als Uwe bei ihnen jeweils Einlass begehrte. Beide waren dann auch noch am Kauen, als sie die Ladefläche des Transporters endlich, die eilig zusammengesuchten Sportklamotten unter dem Arm, bestiegen.

Bei Manni dauerte es, wen wundert´s, auch im zweiten Anlauf noch eine geraume Weile, bis er reisefertig war. Immerhin waren wir jetzt neun Mann stark; genug Leute um spielen zu dürfen, vermutlich zu dünn besetzt, um letztendlich erfolgreich sein zu können. Die Zeit reichte nicht mehr, um im weitläufigen Friedrichskoog noch mehr Spielern den Sportgeist einzuhauchen, der ihnen in der langen Spielpause scheinbar abhandengekommen war. Immerhin zeigte die Uhr bereits auf viertel nach neun, als wir endlich Richtung Brunsbüttelkoog aufbrachen.

Dort, im Stadion an der Goethestraße, angekommen, hieß es auch schon: umziehen. In der Umkleidekabine stand Trainer Uwe mitten im Gewusel seiner Spieler und versuchte, die nunmehr lückenhafte Mannschaftsaufstellung und das der Situation angepasste Spielkonzept unter seine Leute zu bringen. Der Geräuschpegel in der Umkleidekabine deutete aber an, dass nicht alle bereit waren, zuzuhören. Derweil streifte ich mir zum allerersten Mal die blau-weiße Spielgarnitur des TSV Friedrichskoog über und genoss diesen Moment trotz aller miterlebten Unzulänglichkeiten.

Ungeteilte Aufmerksamkeit erlangte erst der Schiedsrichter, der plötzlich die Kabinentür öffnete und uns Spieler nachdrücklich aufforderte, auf den Platz zu kommen, um das Spiel pünktlich anpfeifen zu können. Diesbezüglich würde er für uns keine Extrawürste braten wollen.

Als ich diese Ansage hörte, dachte ich nur: Donnerwetter, Respektsperson. Augenblicke später standen wir mit unserer dezimierten Mannschaft auf dem Sportplatz. Dort wartete unser Gegner bereits auf uns.

Nach erfolgter Seitenwahl versuchten einige meiner Mitspieler, trotz anderer Weisung vom Trainer, ihre Lieblingsposition für sich zu reklamieren. Auch bei nur neun Spielern kann es dabei selbstverständlich zu Überschneidungen kommen. Die daraufhin folgenden hektischen Diskussionen untereinander führten dazu, dass Uwes ausgegebenes Spielkonzept im Nu zu Makulatur wurde.

Selbstverständlich war der Schiedsrichter seiner angedeuteten konsequenten Linie treu geblieben und hatte das Spiel angepfiffen, obwohl einzelne meiner Mitspieler noch darüber stritten, wer ältere Rechte auf die beanspruchte Position geltend machen könne. So gingen die Brunsbüttelkooger vom Anstoß weg mit 1:0 in Führung. Eine bittere Lektion für uns.

Wer kann es unseren Gastgebern verdenken, wenn sie augenblicklich jubelten und uns anschließend, beim Zurückgehen in die eigene Spielfeldhälfte, ob unserer dargebotenen Wehrlosigkeit mitleidig anlächelten. Mich beschlich eine böse Ahnung, als ich meine Spielposition vor dem erneuten Anstoß wieder einnahm: Es könnte heute sehr ungemütlich für uns werden.

Es war mir bekannt, dass die Ligamannschaft des TSV Brunsbüttelkoog in der 2. Amateurliga spielt und sich dort im Tabellenmittelfeld befand. Für eine Stadt mit etwa 9.000 Einwohnern hielt ich das für eine beachtenswerte Leistung. Immerhin handelt es sich um die dritthöchste Liga. Entsprechend stark schätzte ich deshalb auch unseren heutigen Gegner ein, denn diese Spieler bilden ja letztendlich den Nachwuchs für die Ligamannschaft.

Unsere Kontrahenten spielten indes auch sehr strukturiert. Obwohl wir in der Unterzahl waren, entblößten sie ihre Abwehr nicht. Im Gegenteil, unsere zaghaften Angriffe wurden schon im Keim erstickt. Sie versuchten, ihre Überzahl im Mittelfeld zur Geltung zu bringen und konnten so, je nach Spielsituation, variieren; entweder verstärkten sie die Abwehr oder sie unterstützten ihren Angriff.

Dirigiert wurden sie dabei von ihrem Mannschaftskapitän, dem Mittelläufer, der uneingeschränkte Autorität in seinem Team zu besitzen schien. Er war der Einzige, der Kommandos gab und seine Mitspieler führte. Dabei hielt er auch Kontakt zu seinem Trainer am Spielfeldrand.

Im Grunde war das ein toller Anschauungsunterricht für uns, den unser heutiger Gegner uns bot. Leider hatten die Wenigsten von uns die Muße, das aufzunehmen. Jeder hatte genug mit sich selbst und noch mehr mit seinen Gegenspielern zu tun. So nahm das Drama dann seinen Lauf. Zur Halbzeit lagen wir mit 0:4 hinten. Erst mit 0:4, müsste ich eigentlich sagen.

Nach den ersten beiden schnellen Toren verfielen die Brunsbüttelkooger etwas in Schönspielerei und verloren ihre angedeutete Effektivität. Zum anderen machte Henry bei uns im Tor eine absolut gute Figur. Er vertrat Paul sehr engagiert und hielt bis dahin auch einige sehr schwierige Bälle. Bei den Gegentreffern war er allerdings machtlos. Völlig auf sich alleine gestellt, besaß er keinerlei Abwehrchancen. Unsere Abwehr hatte sich scheinbar immer einmal wieder für Momente aufgelöst.

Als Linksaußen hing ich völlig in der Luft. So erging es auch meinem verbliebenen Sturmpartner Hans auf der anderen Seite unseres Angriffs. Gerhard, der eigentlich unser dritter Stürmer im Bunde sein sollte, agierte zwangsläufig weit zurückgezogen im Mittelfeld. Er bemühte sich sichtlich um einen Spielaufbau. Um ihn dabei zu unterstützen, ließen wir Außenstürmer uns ebenfalls tief, meist bis zur Mittellinie, zurückfallen, damit wir überhaupt angespielt werden konnten. Von dort war der Weg zum gegnerischen Tor natürlich sehr weit; für Torgefahr konnten wir somit kaum sorgen, zumal unsere Gastgeber keine Not sahen, ihre Abwehr zu entblößen. Das bedeutete, dass jeder von uns Angreifern meist zwei gegnerischen Abwehrspielern gegenüberstand.

Uwes Halbzeitansprache zielte deshalb auch lediglich darauf ab, unser Abwehrverhalten zu verbessern und an unseren Kampfgeist zu appellieren.

„Wi wüllt hier nich so hooch verleren“, waren seine Schlussworte in der Kabine.

Aber auch die zweite Halbzeit brachte keine Veränderungen im Spielverlauf. Unnötigerweise sahen sich unsere Defensivspieler, die eigentlich genügend Abwehrarbeiten zu verrichten hatten, genötigt, uns Stürmern zeigen zu wollen, wie man auf Angriff spielt. Das Dumme daran war nur, dass deren Eigensinn spätestens in der Spielfeldhälfte des Gegners bestraft wurde. Dort nahmen ihnen die Gastgeber ohne viel Federlesens den Ball vom Fuß, initiierten einen Gegenangriff und schon zappelte der Ball wieder bei uns im Netz.

Dass er ein Musterbeispiel an Unbeherrschtheit war, zeigte ausgerechnet Manni: Als ich vorne, in Höhe der Mittellinie, angespielt worden war und mich einer Überzahl an gegnerischen Abwehrspielern gegenübersah, nahm ich etwas Tempo aus dem Spiel, hielt den Ball und schaute nach nachrückenden Mitspielern, um Optionen für ein sinnvolles Abspiel zu haben. Da kam urplötzlich Manni auf mich zu gerannt, nahm mir mit den Worten: „Geev her! Ik mook dat!“ den Ball vom Fuß und lief damit Richtung Tor der Gegenpartei. Nach einigen Schritten stolperte er jedoch, verlor den Ball und leitete damit einen Gegenangriff der Brunsbüttelkooger ein, den diese wiederum mit einem Treffer gegen uns abschlossen.

Bass erstaunt und mit Kopfschütteln habe ich diese mich herabwürdigende Attitüde meines Mitspielers registriert. Für mich kam das Schauspiel bei näherer Überlegung aber nicht gänzlich unerwartet. Hatte Manni nicht schon früher auf unserem Bolzplatz den Egomanen und Alleinunterhalter gespielt? Er hat sich seither offensichtlich nicht verändert, hält sich immer noch für den großen Zampano. Solche Mitspieler braucht man ebenso zwingend im Team wie Schmuck am Nachthemd. Das war meine Meinung zu der Szene. Dieser Vorfall passte aber nahtlos zu den Ereignissen dieses Vormittages.

Letztendlich kam es so, wie es kommen musste. Wir verloren die Begegnung mit 0:8 Toren, gekrönt von der von mir erlebten Eskapade meines Mitspielers Manni.

Dass ich anschließend bedient und wortlos in der Kabine auf der Bank saß, um den erlebten Albtraum zu verarbeiten, dürfte für jeden nachvollziehbar sein. Dabei war nicht so sehr die hohe Niederlage an meiner Betrübnis schuld. Nein, schon als junger Zuschauer bei Spielen der ersten Mannschaft des TSV Friedrichskoog hatte ich ja gelernt, Spiele zu bewerten, Niederlagen zu akzeptieren und Respekt vor gegnerischen Mannschaften zu haben. Außerdem sprach heute alles für die Brunsbüttelkooger, keine Frage. Sie waren fußballerisch besser gewesen und verfügten über den nötigen Teamgeist. Was mich am meisten betrübte, war der Umstand, dass unsere Mannschaft, zumindest heute, von einem Ungeist beseelt gewesen war. Ausreden für unser Desaster verboten sich meines Erachtens deshalb von alleine. Für mich war klar: Wenn wir künftig erfolgreich Fußball spielen wollen, wird sich einiges bei uns ändern müssen.

Immerhin war mir am Ende des Tages auch klar, warum Uwe den Treffpunkt so früh vor dem eigentlichen Spiel angesetzt hatte.

6 Neue Ideen und frisches Blut

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