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Als die Unterwelt brannte, dachte ich, das wäre das Ende. Es stellt sich heraus, dass es erst der Anfang ist. Luzifers Tod ist eine Katastrophe, die die Welt betrifft. Der plötzliche Verlust seiner Magie wendet das Blatt zum ersten Mal seit über zwei Jahrzehnten. Die Menschen versammeln sich. Sie randalieren. Es fühlt sich an wie der Anfang eines Krieges. Als ob das nicht genug sei, ist Bree nicht mehr die Schwester, an die ich mich erinnere – und ihr Wunsch, in die Hölle zurückzukehren, verursacht mehr Feuer, als ich zu löschen vermag. Die Dinge ändern sich. Grenzen werden gezogen. Jeder muss sich für eine Seite entscheiden. Sogar ich. Manchmal braucht die Welt eine Heldin. In einer Stadt, die bereits auf dem Weg in die Hölle ist, braucht sie vielleicht nur eine Dämonin.
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Seitenzahl: 393
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DÄMONEN VON NEW CHICAGO
BUCH DREI
Kel Carpenter
Veröffentlicht von Kel Carpenter
Copyright © 2021, Kel Carpenter LLC
Überarbeitet von Ariana Lambert
Titelbild von Covers by Juan
Übersetzt von Tatjana Becijos
Alle Rechte sind gemäß den internationalen und panamerikanischen Urheberrechtskonventionen vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, elektronisch oder mechanisch, einschließlich Fotokopien, Aufzeichnungen oder Informationsspeicher und -abrufsystemen, ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältigt oder übertragen werden.
Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Orte, Personen und Ereignisse sind entweder der Fantasie des Autors entsprungen oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen, Organisationen, Ereignissen oder Orten ist rein zufällig.
Warnung: Die unerlaubte Vervielfältigung oder Verbreitung dieses urheberrechtlich geschützten Werks ist illegal. Kriminelle Urheberrechtsverletzungen, auch solche ohne finanziellen Gewinn, werden vom FBI untersucht und können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 250.000 US-Dollar geahndet werden.
Erstellt mit Vellum
Kapitel 1
Kapitel 2
3. Ronan
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
8. Ronan
Kapitel 9
10. Ronan
Kapitel 11
12. Ronan
Kapitel 13
14. Ronan
15. Nathalie
Kapitel 16
17. Ronan
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
25. Ronan
Kapitel 26
Kapitel 27
28. Ronan
Kapitel 29
Kapitel 30
31. Ronan
Kapitel 32
33. Ronan
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Danksagung
Für meine Eltern, Shilo und Jody.
Ihr habt euch tapfer geschlagen.
Niemand spricht über den anderen Verlust, den Verlust, der in uns geschieht. Wir verlieren Menschen und Dinge, aber wir verlieren auch Teile von uns selbst. Wir trauern auch um diese fehlenden Teile. Wir trauern um sie und wir trauern um uns. Aber ich glaube, der Verlust dieser Teile schafft Raum. Für Neues. Dafür, die Verletzungen anderer zu verstehen und sie in unseren leeren Räumen willkommen zu heißen.
Caroline George, Dearest Josephine
Jemand hatte mir mal erklärt, dass Whiskey das Gift des Teufels sei.
Ich war geneigt, dem zu widersprechen. Denn wenn dem so wäre, würde das Zeug nicht so fürchterlich schmecken.
Trotzdem leerte ich das Schnapsglas und schluckte die Flüssigkeit, ohne eine Grimasse zu ziehen. Jetzt nach dreißig Drinks wurde es einfacher. Und ein Ende war nicht in Sicht.
Ich knallte das Glas auf den Tisch und warf dem Alpha mir gegenüber einen erwartungsvollen Blick zu. Er kniff die Augen zusammen und registrierte, dass meine Wangen nicht rot wurden. Mein Puls hatte sich weder beschleunigt noch verlangsamt. Meine Pupillen waren nicht geweitet.
Ich konnte sie natürlich nicht selbst sehen, aber ich wusste es.
Denn ich war ein waschechter Dämon, wie Nathalie es ausdrücken würde.
Welchen Schaden auch immer der Alkohol angerichtet hatte – er war verschwunden, bevor ich den nächsten Shot trinken konnte. Es war tatsächlich ein kleines Wunder, dass ich einen leichten Schwips hatte, der mir half, den Geschmack des billigen Alkohols zu ertragen.
Als Mensch hatte ich mir Alkohol nicht leisten können.
Das konnte ich auch jetzt nicht, aber davon hatte mein Trinkgegner keine Ahnung.
»Komm schon!«, provozierte ich. »Was bist du für ein Alpha, dass du dich von mir schlagen lässt?« Meine Worte zeigten Wirkung und spornten ihn an. Er nahm die Flasche und schenkte sich ein weiteres Glas ein.
Die um uns versammelten Leute feuerten ihn an, die Hälfte davon stinksauer, weil ich sie bereits unter den Tisch getrunken hatte.
Seine Muskeln zuckten. Ein Schweißfilm überzog seine Stirn. Trotz seines übernatürlichen Blutes hatte sein Körper Mühe, das Gift so schnell zu verarbeiten wie meiner.
Darauf zählte ich.
Er kippte seinen Schnaps hinunter, und ich schenkte mir noch einen ein und trank ihn auf ex, noch bevor er überhaupt geschluckt hatte.
»Das kannst du besser«, sagte ich, wobei meine Stimme einen säuerlichen Ton annahm und meine Bitterkeit zum Vorschein brachte. Er wusste nicht, warum. Ich hatte meine eigenen Gründe, in dieser heruntergekommenen, beschissenen Bar zu sein.
Angesichts der Tatsache, dass es sich um die letzte übernatürliche Einrichtung der Stadt handelte, aus der ich noch nicht verbannt worden war, wollte ich nicht gehen, bevor ich nicht das bekommen hatte, weswegen ich gekommen war.
Bestrafung.
Befreiung.
Absolution.
… oder etwas Ähnliches.
Als sich seine Augen blau färbten, wusste ich, dass sich sein Wolf erheben würde. Von allen übermenschlichen Spezies waren sie oft am einfachsten zu provozieren. Ihre Magie und ihre niederen Instinkte waren meinen eigenen näher. In gewisser Weise verstand ich sie. Die Arroganz. Das Territorialverhalten. Das Bedürfnis nach Kontrolle.
Wäre ich nicht zum Dämon gemacht worden, hätte ich ein Wolf sein können.
Zu seinem Pech war ich das aber nicht. Aber ich verstand nur zu gut, wie er funktionierte.
»Willst du noch einen Versuch wagen? Oder kommst du zu spät zu deinem Kreiswichsen? Wenn es dir zu viel wird, kannst du ruhig gehen.«
Meine Worte waren frech. Kühn. Und sie erfüllten ihren Zweck.
Holz schrammte gegen Holz, als er seinen Stuhl zurückschob. Er stand so abrupt auf, dass das Möbelstück nach hinten kippte. Das Biest von einem Mann, bestimmt dreißig Zentimeter größer und hundert Pfund schwerer, funkelte mich von der anderen Seite des Tisches böse an.
»Für einen Menschen bist du ziemlich respektlos«, sagte er. Sein schwacher Südstaatenakzent war von Dunkelheit durchdrungen und verriet mir, dass er kurz davor war, durchzudrehen.
Ich blinzelte einmal träge und zeigte mich unbeeindruckt. Ich starrte ihn direkt an, während ich nach der Flasche griff und sie an meine Lippen führte.
Dieses Zeug zu trinken, war schon eine Strafe für sich. Trotzdem kippte ich den halben Inhalt in ein paar großen Schlucken hinunter.
Mein Kopf drehte sich ein wenig. Die Wirkung setzte endlich ein. Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus und wurde zu einem Brennen.
Ich mochte das Brennen. Ich liebte es.
Ich lebte dafür.
Schade, dass ich nur eine kurze Zeit in diesem Rauschzustand bleiben würde, bevor sich mein Körper erneut selbst heilte. Verdammte Magie. Ich konnte mich nicht einmal richtig besaufen und mich in Selbstverachtung suhlen.
Ich knallte die Flasche ein wenig zu hart auf den Tisch. Sie zerbrach und zerschnitt meine Haut, wobei Kristallsplitter über den Tisch flitzten.
Ich könnte sagen, dass ich die Kontrolle über meine Kraft verloren hatte. Dass sie mir für eine Sekunde entglitten war und das zerbrochene Glas das Ergebnis darstellte.
Doch das wäre gelogen …
»Ups«, sagte ich, wohl wissend, dass die zerbrochene Flasche meine Tarnung auffliegen lassen hatte. Ich stand auf, etwas wackelig, weil der Alkohol schneller als sonst durch mein Blut floss. Während meine Magie wirkte, verfinsterten sich meine Augen immer mehr.
Er würde wissen, dass mehr in mir steckte, als ich vorgegeben hatte, aber er würde nicht wissen, was ich war. Nicht, solange meine Male von einem Rollkragenpulli verdeckt wurden.
Einst hatte ich diese Pullis getragen, um vorzugeben, ein Mensch zu sein. Wie ein Kind hatte ich geglaubt, mein Wesen verdrängen zu können.
Jetzt trug ich die Klamotten, weil mich anderenfalls niemand herausfordern würde.
Aber ich brauchte diese Herausforderung. Ich wollte für einen leichten Gegner gehalten werden. Denn nur so bekam ich das einzige, was mir half, mit dem dunklen, wachsenden Gefühl in meiner Brust umzugehen, das sich bildete, wenn ich an jene Nacht zurückdachte.
Als könnte er meine Gedanken hören, stürzte der Wolf über den Tisch und seine Krallen wurden zu Klauen. Dunkle Haare stellten sich in seinem Nacken und seinem Gesicht auf und seine braunen Augen färbten sich blau.
Ich atmete tief durch und mein Puls beschleunigte sich endlich mit einem Gefühl, das fast wie Vorfreude anmutete.
Die Enden seiner Krallen streiften mich kurz und fügten dem Feuer in mir ein schmerzhaftes Knistern hinzu.
Aber sie drangen nie in meine Haut ein.
Die Luft wurde kühl, als sich ein dunkler Schatten bildete. Draußen heulten die Winde wie Ghule auf der Jagd. Die Kraft verdichtete sich und es roch nach Ozon und aufziehenden Stürmen. Es fühlte sich an, wie ein Blitz, der durch meine Adern schoss und jedes bisschen Gefühl wegbrannte. Es schmeckte nach Chaos.
Die Übernatürlichen in der Bar hatten nur den Bruchteil einer Sekunde Zeit, um sich zu orientieren und zu fliehen – oder um sich zu entscheiden, ihre Position zu halten. Ronan trat aus den Schatten, seine Augen loderten vor dunkler Wut. Er packte den Alpha, als wöge der nichts. Seine Hand schloss sich um den Hals des niederen Monsters und hielt es fest.
»Gib mir einen Grund, dich am Leben zu lassen!«, sagte Ronan. Er erhob seine Stimme nicht. Er schrie nicht. Er brüllte nicht. Er sprach leise wie die Nacht, voller Unberechenbarkeit.
Die verbliebenen Übernatürlichen in der Bar zerstreuten sich wie Kakerlaken im Licht. Der Barkeeper verweilte und beobachtete die Situation mit wachsamen Augen. Ein Teil von mir fühlte sich schlecht. Er versuchte lediglich, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und zu überleben. Er hatte nicht darum gebeten, dass ich mit meinen Problemen an seine Tür klopfte und seine Bar verwüstete. Nein, das hatte ich ganz allein zu verantworten.
Meine Selbstverachtung wuchs und fütterte das wütende Biest in mir.
Der Alpha zitterte.
»Harvester«, sagte er mit Ehrfurcht, Respekt und mehr als ein bisschen Angst.
Er war nicht so dumm, wie er schien. Ronan würde ihn freilassen. Das tat er immer, wenn sie mir nicht wehtaten und er die Aufrichtigkeit in ihren Gedanken lesen konnte. Ich hatte diese Fähigkeit nicht, aber seine Worte waren glaubwürdig. Ich brauchte keine Magie, um das zu erkennen.
»Gib. Mir. Einen. Grund!«, antwortete Ronan mit noch immer harter Stimme. Die Wut war noch nicht verflogen. Ich legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen.
»Sie hat falsch gespielt und mich nicht respektiert«, sagte der Wolf und rang nach Worten.
»Du wolltest ihr also wehtun? Um ihr eine Lektion zu erteilen?«, fragte Ronan und ein unmenschliches Schnurren durchzog seinen Tonfall. Unbehagen kroch durch meinen Körper.
Der Wolf schluckte, dann nickte er. »Ja.«
»Gehst du so mit Frauen um, die dich nicht respektieren?«
Der Wolf zögerte. »Ich wusste nicht, dass sie dir gehört …«
Falsche Antwort.
In der Zeit, die Ronan brauchte, um das schwarze Feuer zu beschwören, wurde mir klar, dass ich mein Opfer falsch eingeschätzt hatte. Der Alpha hatte nicht einmal Zeit zu schreien, als die Flammen ihn verzehrten – Fleisch, Blut und Knochen.
Einen Moment später waren nur noch ein verkohlter Fleck und angespannte Stille übrig. Ronan richtete seinen Blick auf mich.
Der Dämon wandte seinen Blick nicht ab, als er dem Barkeeper sagte: »Ich lasse dir das Geld, das dich meine Atma an Waren gekostet hat, auf dein Konto überweisen, unter der Bedingung, dass du sie nie wieder bedienst.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass der Barkeeper schnell nickte.
»Ja. Dan…« Er hatte noch nicht einmal zu Ende gesprochen, als Ronan mich bereits am Arm packte und die Schatten näherkamen.
Fuck!
Nicht schon wieder.
Ich schlug wie wild auf die Dunkelheit um mich herum ein. Oh, ich war sauer. Natürlich trafen meine Fäuste nicht, aber als die Schatten verschwanden, stand Ronan direkt vor mir. Seine große Hand hielt meinen Arm fest umklammert, seine Finger waren schon weiß, weil er so fest zudrückte. Ohne meine Magie wäre mein Arm geprellt, wenn nicht sogar gebrochen gewesen.
So aber nahm ich den Schmerz kaum wahr.
Der Whiskey trübte noch immer meinen Verstand. Er machte mich nachlässig und brachte mich durcheinander. Ich mochte es, wenn die Übernatürlichen, mit denen ich kämpfte, mir die Scheiße aus dem Leib prügelten. Es gefiel mir weniger, wenn es Ronan war, der mir gegenüberstand. Seine dunklen Augen sahen zu viel. Ich spürte ihr Urteil, ihr Mitleid. Und das mit jeder verstreichenden Sekunde.
Ich hasste es.
»Fick dich!«, spie ich ihn an. Meine Faust flog wieder, aber er packte sie in der Luft und seine langen Finger umschlossen meine mit erdrückender Kraft.
»Gerne«, erwiderte er. Wut und Bedauern und etwas, das sich wie Verrat anfühlte, schwelte zwischen uns. Seine Lippen trafen auf meine – heiß, hart und fordernd.
Das Brennen in mir steigerte sich zu einem Crescendo.
Ich stöhnte auf und biss zu. Blut floss und ich leckte es von seiner Haut. Meine Zunge bohrte sich in seinen Mund und strich über seine Unterlippe. Dann biss er zurück.
Ich schrie auf, als der Schmerz in meiner Zunge aufloderte – gefolgt von der glühenden Hitze, die mich durchfuhr, als er an ihr saugte.
Feuer züngelte in meinen Händen und Ronan zog sich zurück.
Sein glühender Blick schoss zu den weißen Flammen. Auch wenn sie alles andere zu zerstören vermochten, konnten sie ihm nichts anhaben. Ich riss meine Hände weg und er ließ es zu. Mit diesem Gedanken kam die Bitterkeit. Ich schloss meine Hand zu einer Faust und das Feuer erlosch augenblicklich, bis nur noch Rauch zurückblieb.
Ich musste mich nicht umsehen, um zu wissen, dass wir vor Nathalies Haus standen. Dorthin hatte er mich bisher jedes Mal gebracht – und die Male häuften sich.
Das war meine letzte Bar in New Chicago gewesen.
Zumindest die letzte Bar für Übernatürliche.
Selbst im Zustand der Selbstzerstörung konnte ich mich nicht dazu durchringen, ein menschliches Lokal zu betreten. Nicht mit dem Zorn, den ich hinterließ.
»Das muss aufhören«, sagte er. »Das Ausgehen, das Trinken. Glaubst du wirklich, dass sich dadurch etwas ändert? Dass sie dich dann wieder sehen will?«
Meine Hand schoss schneller hervor, als er es hätte vorhersehen können; eine Reaktion auf die sofortige Wut, die ich verspürte, weil er es gewagt hatte, sie zu erwähnen.
Meine Faust traf ihn direkt am Kiefer.
Ein Knacken hallte durch die leere Straße.
Ronan fluchte und spuckte einen Schwall Blut auf den Beton. Zwei weiße Zähne schimmerten im Mondlicht.
Reue überkam mich, Schuldgefühle krochen in mir hoch. Ich wollte meine Nägel so tief in meine Haut bohren, dass ich sie herauskratzte – weil ich nicht fühlen wollte. Ich konnte nicht einmal darüber nachdenken.
»Lass sie da raus!«, sagte ich und meine Stimme war eiskalt und tödlich, obwohl in mir ein Inferno tobte. Der Whiskey war bereits am Abklingen. Der Rausch verflog und ich stand kalt und nüchtern vor meinen Entscheidungen.
»Nein!«
Seine unverhohlene Missachtung machte mich nur noch wütender. Anstatt einen weiteren Schlag zu landen, drehte ich mich um und ging hinein. Er packte mich wieder und riss mich zurück.
Ich stürzte mich auf ihn und fletschte in meiner Wut meine Reißzähne. Blitze zuckten über meine Haut. Ein heißer Wind wehte durch New Chicago und brachte dunkle Wolken mit sich.
Ronan hob den Kopf und beobachtete die Veränderung.
»Das Ganze geht schon viel zu lange so. Über einen Monat ist vergangen, Piper. Ich kann zwar darauf warten, dass du es auf die Reihe bekommst, aber ich weiß nicht, ob das je der Fall sein wird. Von deiner Umwelt ganz zu schweigen.«
Ich beruhigte die Magie in mir und löschte die Blitze mit einem Gedanken aus. Meine Reißzähne behielt ich. Er sollte wissen, dass ich es ernst meinte, auch wenn seine Worte etwas in mir auslösten. Sie rüttelten den Teil in mir auf, der etwas zwischen ihm und mir witterte, und zerrten an dem letzten Fetzen Menschlichkeit, den ich in mir trug.
Aber ich wollte nicht.
Gefühle zu haben, war zu viel. Ich konnte mich nicht auf schöne Emotionen beschränken, denn die Schuldgefühle ließen mich nicht los. Wenn ich auch nur einen Zentimeter nachgab, nahmen sie sich gleich tausend Kilometer.
Es war also besser, gar nichts zu fühlen.
»Geh nach Hause, Ronan!«, sagte ich leise und hundertprozentig nüchtern.
»Nicht ohne ein Versprechen.«
O nein, darauf würde ich nicht hereinfallen. Ein Versprechen war nur ein anderes Wort für eine Abmachung, wenn man es mit Dämonen zu tun hatte – und ich war jetzt einer, gebunden an die Gesetze der Magie, genau wie er.
»Vergiss es!«
»Du weißt doch gar nicht, was ich will.« Das Schnurren in seiner Stimme war eine Herausforderung. Das machte mich wütend und es half auch nicht, dass ich es verdammt leid war, dass er dieses Gespräch mit mir führen wollte.
Meine Schwester hasste mich. Das hatte sie auch gesagt, bevor sie verlangt hatte, sie zurück in die Hölle zu schicken. Als ich mich geweigert hatte, war sie gegangen, und ich hatte sie seitdem nicht mehr gesehen. Es gab also nichts zu besprechen.
Ich hatte nichts zu sagen.
»Das spielt keine Rolle. Die Antwort ist Nein. Ich gebe keine Versprechen mehr.« Ich zog wieder an meinem Arm, aber er rührte sich nicht.
»Schwachsinn!«, sagte er. »Das war’s also? Du hast das alles mitgemacht – bist ein Dämon geworden, hast mich beschworen und deine Schwester zurückgerufen – und gibst jetzt einfach auf? Wo ist die Piper, die einen Dämon gerufen und gesiegt hat? Wo ist die Frau, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat, um einen Freund zu retten? Wo bist du?«
Seine Ungläubigkeit entging mir nicht. Ich versuchte, mein Zurückweichen zu verbergen.
»Manchmal läuft das Leben nicht so, wie wir es wollen. Manchmal spielt es keine Rolle, wie sehr wir uns bemühen. Manchmal bekommen wir kein Happy End.« Ich zuckte mit den Schultern. »Das wirst du noch früh genug lernen.«
»Nein, das werde ich nicht. Du hast mich aus der Hölle geholt, und ich werde dasselbe tun, wenn ich muss.« Seine Gewissheit hätte vielleicht eine andere Piper wachgerüttelt, aber nicht diese. Nicht mich.
»Hübsche Worte werden dieses Mal nicht funktionieren, Ronan. Ich will deine Hilfe nicht. Ich brauche sie nicht …«
»Was ist daraus geworden, nicht mehr zu lügen?«
Ich biss mir auf die Zunge und schmeckte den vertrauten Kupfergeschmack.
Arschloch!
Er hörte sich an wie Nat. Beide waren wie ein Juckreiz, den ich nicht kratzen konnte und der mich ständig nervte.
»Ich lüge nicht«, stieß ich hervor. Seine silbernen Augen fielen auf den Blutfleck, der meine Lippen zierte. Er grinste – kalt und grausam. Das wühlte etwas in mir auf. Etwas Bestialisches. Ungeheuerliches. Ich wusste, dass ich meine nächsten Worte bereuen würde, bevor ich sie aussprach, aber ich konnte einfach nicht aufhören. »Du hast bekommen, was du wolltest. Wir haben gefickt. Wir sind eine Verbindung eingegangen. Du brauchst nichts mehr von mir. Wir sind fertig. Weißt du nicht, wann es Zeit ist, zu gehen?«
Ich stieß mit dem Rücken gegen die Wand.
Ich blinzelte und spürte seine Magie, merkte aber nicht, dass wir durch die Schatten gegangen waren, bis eine schwach beleuchtete Decke in meinem Blickfeld erschien. Ich fiel auf etwas Weiches. Instinktiv ließ ich meine Hände fallen, um mich abzufangen, und erwischte stattdessen eine Handvoll schwarzer Satinlaken.
Sein Bett. Wir waren in seinem Bett.
Ronans Hand schloss sich um meine Kehle und hielt mich mit einer Art Territorialanspruch fest. Seine Augen leuchteten so hell, als würde Sternenlicht hindurchschimmern.
Ich glühte, als sich mein Körper erwärmte. Auch wenn ich wütend war, wollte ich ihn. Obwohl ich mich selbst hasste, wollte ich ihn.
Das machte es mir leichter, zu ertragen, dass mein Herz bei seiner Berührung stotterte.
Trotzdem griff ich nach seinem Hemd, um mir das Gefühl zu geben, die Kontrolle zu haben.
»Wenn du auch nur eine Sekunde lang denkst, dass es mit uns vorbei ist, habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt.« Er knurrte leise. Seine Nase senkte sich und ich wandte mein Gesicht ab. Unbeeindruckt fuhr er stattdessen meinen Hals entlang. Meine Haut kribbelte angesichts unserer Nähe. Sein kühler Atem sorgte dafür, dass sich meine Härchen aufstellten und eine Gänsehaut über mein Fleisch legte.
Ich atmete flach ein.
»Im Gegenteil, du warst sehr informativ«, sagte ich und versuchte, ungerührt zu klingen.
»Wir haben ein Band geknüpft«, sagte er, als hätte ich überhaupt nicht gesprochen. Seine freie Hand wanderte nach oben und umfasste meine Brust. »Wir haben gefickt«, fuhr er fort und seine Finger drückten zu. Sein Daumen glitt durch den Stoff meines Shirts über meine Brustwarze. Meine Hüften zuckten. »Aber es ist noch nicht vorbei«, sagte er und wanderte meinen Brustkorb hinunter, über meinen Bauch, bis hin zum Mittelpunkt meiner Oberschenkel. »Es fängt gerade erst an.«
Mein Griff wurde fester, meine Kontrolle schwand. Ich ließ meine Krallen ausfahren und riss den Stoff seines Hemdes in Stücke.
Ronan erkannte meinen Ausrutscher und seine eigene Kontrolle war dahin.
Er packte die Vorderseite meiner Jeans und zerrte daran. Sie zerriss in der Mitte.
Ich keuchte und versuchte, mich aufzusetzen, aber die Hand um meine Kehle hielt mich fest.
»Gott verdammt …« Meine Worte verwandelten sich in ein kehliges Stöhnen, als er seine Reißzähne in meinem Hals versenkte und seine Finger unter meine Unterwäsche glitten. Zwei warme Finger schoben den dünnen Stoff beiseite und stießen ohne Vorwarnung grob in mich hinein. Mein Körper wölbte sich.
Seine Reißzähne ließen mich mit einem Plopp los. Er leckte über die Wunde und saugte dann an meiner Haut, die sich sofort schloss. »Hier gibt es keinen Gott. Nur dich und mich – und diese dreckigen Lügen, die ich nicht mehr hören will. Du gehörst mir, Piper.« Er zog seine Finger heraus und schob sie dann wieder hinein, um seine Aussage zu unterstreichen. Er hob den Kopf und ich drehte meine Wange, um ihm in die Augen zu sehen. »Mir. Nicht nur für eine Nacht. Einen Tag. Ein paar Monate. Nein, für immer. Bis die Magie aus meinem Körper weicht und meine Seele aufhört zu existieren. So lange wirst du mir gehören.«
Ich wollte ihm widersprechen, einfach nur aus Trotz.
Ich wollte ihm sagen, dass er sich irrte.
Dass ich niemandem gehörte. Nicht einmal mir selbst, wie es schien.
Aber von allen Lügen, die ich erzählen konnte, kam mir diese nicht über die Lippen.
Die Wahrheit war, dass ich müde war. Müde vom Ertrinken. Müde vom Versuchen. Ich hatte mein Leben dem Schutz meiner Familie gewidmet und dann auf die schlimmste Weise versagt. Meine Schwester hasste mich. Meine Eltern waren tot. Ich hatte alles, was mir widerfuhr, verdient.
Aber es war nicht Freundlichkeit, die ich wollte. Ich sehnte mich nicht nach Sanftheit oder Liebe.
Ronans Inbesitznahme ging tiefer als meine Haut. Seine Gefühle für mich waren dunkel und verdorben – genau wie das Monster, das in mir schlummerte.
»Fick mich!«, sagte ich. Ich befahl. Ich verlangte. Ich flehte. Es war ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewegte. »Fick mich so, dass es wehtut!«
Seine Pupillen weiteten sich. Ich konnte sehen, dass er genau das wollte. Er wollte mir geben, was wir beide wollten. Was wir brauchten.
Ich konnte förmlich die Lust spüren, die von ihm ausging.
Er lehnte sich dicht an mich heran.
»Nein!«
Die Illusion zerbrach, aber noch während er es sagte, stieß er seine Finger in mich hinein und gab mir nur einen Bruchteil dessen, was ich wollte. »Du wirst das nicht ausnutzen, um deinen Selbsthass zu schüren. Ich brauche mehr als nur deinen intakten Körper. Ich brauche deinen Verstand. Deine mentale Stärke. Finde Bree, rede mit ihr und reiß dich zusammen! Wenn ich dich wieder in einer Bar erwische, wo du dich besäufst und versuchst, eine Schlägerei anzuzetteln, werden dir die Konsequenzen nicht gefallen.«
Ich rappelte mich auf. Meine Hände wollten ihn packen, ihn verletzen, ihn festhalten; ich war mir nicht ganz sicher.
Ich würde es nie herausfinden. Er verschwand und ließ mich mit seiner Warnung allein.
Erst dann wurde mir klar, dass er mich in mein Zimmer bei Nat gebracht hatte. Feuer strömte durch meine Adern. Ich ließ eine Mischung aus Knurren und Schreien ertönen und schoss einen weißen Feuerball gegen die weit geöffnete Tür.
Nathalie duckte sich. Die Flammen trafen die Wand hinter ihr und explodierten. Ein Loch von der Größe ihres Kopfes entstand und ich unterdrückte meine Kräfte ein weiteres Mal.
Sie stieß einen übertriebenen Seufzer aus. »Es wird also einer dieser Morgen.«
Piper drehte durch.
Seit der Nacht, in der wir Bree zurückgebracht hatten, wusste ich, dass es ihr schwerfallen würde, mit den Reaktionen ihrer Schwester fertigzuwerden. Aber mir war nicht klar gewesen, wie schlimm es werden würde. Aber als sich die Wochen hinzogen und das Trinken, Streiten und Isolieren weiterging, erkannte ich, dass etwas getan werden musste.
Es war offensichtlich, dass meine Atma nicht in der Lage war, mit der Situation klarzukommen. Sie kam nicht einmal mit sich selbst zurecht.
Ich schritt durch die Schatten und durchquerte die Stadt im Bruchteil einer Sekunde.
Das Licht eines neuen Tages tauchte gerade über New Chicago auf. Die bittere Kälte löste sich endlich auf. Ich erschien vor einer Wohnungstür, mehr aus Höflichkeit als alles andere.
Ich hob meine Hand und klopfte zweimal.
Auf der anderen Seite waren Schritte zu hören. Ein schweres Seufzen.
Ich wartete darauf, dass er die sechs Riegel, die seine Tür verstärkten, aufzog. Der Griff drehte sich und er öffnete weit.
Nach außen hin sah er aus wie ein Mann mittleren Alters mit schütterem braunem Haar und wässrigen blauen Augen. Eine gewöhnliche und alltägliche Tarnung, die Menschen und Übernatürliche nicht zweimal hinschauen ließ.
Aber darunter war er mehr. Etwas Seltenes.
Ein Dämon-Fae-Hybrid.
Er hatte kastanienbraunes Haar, das so dunkel war, dass es wie das dunkelste Braun anmutete. Seine Haut war blass und leuchtete mit dem inneren Licht der Unsterblichkeit. Seine blauen Augen waren stechend, fast so sehr wie Pipers. Spitz zulaufende Ohren und dunkelblaue Brandmale, die sich wie Ranken seinen Hals hinauf und bis zu seinen Fingern hinunter schlängelten, vervollständigten sein übernatürliches Erscheinungsbild.
Aengus war sein gegebener Name.
Anders sein gewählter.
»Es ist früh«, sagte er unwirsch.
»Gib meiner Atma die Schuld!«, erwiderte ich und trat an ihm vorbei in seine Wohnung. Sie war bescheiden eingerichtet. Minimalistisch. Er hatte alles, was er brauchte, aber mehr auch nicht.
Anders seufzte. »Wie geht’s ihr?«
»Unverändert«, antwortete ich und fasste mich kurz. Sie hatten eine gemeinsame Vergangenheit. Er bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen dem Versuch, für sie da zu sein, und der Loyalität gegenüber seinem früheren Master. Wäre ich nicht in der Lage gewesen, seine Gedanken zu lesen und seine Erinnerungen zu sehen, hätte ich ihn für alles, was darüber hinausging, auf ewig in die Unterwelt befördert. Er interessierte sich für Piper auf eine platonische Art und Weise und nicht mehr.
»Sie hat ein hartes Leben hinter sich. Ein Leben im Dienst einer anderen, die sie nicht will. Es wird nicht leicht für sie sein, sich daran zu gewöhnen.«
»Das ist mir bewusst.«
Er ignorierte meinen Tonfall, trat um seinen Küchentresen und holte eine Flasche bernsteinfarbenen Schnaps mit zwei Gläsern aus dem Schrank. »Für mich nicht«, sagte ich, als ich den Alkohol vom anderen Ende des Raumes her roch.
Anders hob eine Augenbraue. »Du hast das Trinken aufgegeben? Es ist eines der wenigen Vergnügen in diesem Leben.«
Bevor Piper sich der Flasche zugewandt hatte, wäre ich vielleicht derselben Meinung gewesen. Jetzt schlug mir der Geruch des Alkohols bereits auf den Magen. »Sieh zu, wie sich die wichtigste Person deiner Existenz ihre Schuldgefühle von der Seele trinkt, dann geht es dir vielleicht genauso.«
Anders brummte leise vor sich hin. »So schlimm?«
Er hielt seinen Gesichtsausdruck bedeckt, obwohl er wusste, dass ich ihn gut lesen konnte. Er mochte tausend Jahre alt sein, aber das war nur ein Moment in den zehntausend Jahren, die ich gelebt hatte. Wenn es um Emotionen ging, entging mir kaum etwas. Menschen und Übernatürliche waren in dieser Hinsicht nicht kompliziert. Sie alle hatten Schmerzen, Laster, Tugenden, Hoffnungen, Träume … und Albträume.
Anders war da kein Ausnahmefall und nur die fehlende Blutsverwandtschaft zwischen uns hielt mich davon ab, in ihm wie in einem offenen Buch zu lesen.
»Ich bin nicht hier, um über Piper zu reden. Erzähl mir von Bree!«
Er leckte sich über die Unterlippe und nahm einen Schluck von seinem Getränk.
»In gewisser Weise sind sie und Piper sich ähnlich. Sie dreht sich im Kreis, aber ihr Hass treibt sie an, weiterzumachen. Sie will zurück in die Hölle. Sie hat sich Freunde gemacht, schlechte Freunde, wenn du mich fragst, und versucht nun, einen Dämon zu finden, der ihr geben kann, was sie will. Jemanden mit Antworten.«
Das überraschte mich nicht. Nach ihrem anfänglichen Wutanfall in Nathalies Wohnung war sie auf die Straße zurückgekehrt und hatte begonnen, Pläne zu schmieden. Ich wusste, dass sie zurück in die Hölle wollte.
Jemanden zu finden, der ein Loch in Zeit und Raum reißen konnte, war allerdings nicht so einfach.
»Hatte sie schon Glück bei der Suche nach jemandem?«
»Nicht, dass ich wüsste. Bis jetzt habe ich dafür gesorgt, dass jede Suche ins Leere verläuft. Aber sie wird immer panischer. Sie ist verzweifelt. Ich mache mir Sorgen …«
»Worüber?«, fragte ich.
Anders seufzte und stellte das halb leere Glas ab.
»Was hat Piper getan, als sie Bree verloren hat?«
Es störte mich, dass er immer wieder auf meine Atma zu sprechen kam, aber für den Moment ließ ich ihn gewähren.
»Sie hat jede Hexe gejagt, die sie finden konnte, um Antworten zu bekommen.«
Er nickte. »Sie hat sie ein Jahrzehnt lang verfolgt. Hunderte von Hexen wurden ihretwegen getötet oder ins Gefängnis gesteckt. Sie war wie ein Hund mit einem Knochen und hat sich geweigert, aufzugeben. Bree ist genauso. Was, glaubst du, wird passieren, wenn sie sie nicht findet?«
Er zog beide Augenbrauen hoch und drückte damit seine Einschätzung aus.
»Du denkst, sie wird eskalieren, bis sie einen Weg findet«, murmelte ich.
»Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie merkt, dass sie dich und Piper braucht, wenn sie keinen anderen bekommen kann. Wenn das passiert, tut ihr mir beide leid.«
Ich bemerkte etwas in seiner Stimme. Vielleicht einen Hauch von Bewunderung.
»Fängst du an, Bree Fallon zu mögen?«, fragte ich ihn ohne Umschweife. Ich stand in der Mitte der kleinen Studiowohnung und musterte ihn genau.
»Mögen ist übertrieben. Ich mag nicht viele. Aber ich finde sie interessant. Sie sorgt sich sehr um jemanden auf der anderen Seite. Ich wage zu behaupten, dass sie ihn mit so viel Leidenschaft liebt, dass sie eine Welt oder zumindest New Chicago zerstören könnte.«
Ich atmete scharf ein. Er war interessiert, vielleicht sogar fasziniert. Damit konnte ich umgehen. Eine Frau, die in die Hölle geschickt und in einen wütenden Dämon verwandelt worden war, nur, um dann wieder zurückgebracht zu werden … Das war faszinierend, in gewisser Weise.
Solange er es dabei beließ.
»Was glaubst du, wie sie damit umgehen würde, wenn Piper sich ihr jetzt nähert?«, fragte ich langsam. Das war der eigentliche Grund für meinen Besuch. Dass er seine Lippen nach unten bewegte, war kein gutes Zeichen.
»Ich glaube … sie hat sich so weit beruhigt, dass sie mit ihr reden kann. Aber sie wird dasselbe verlangen wie zuvor – zurückgeschickt zu werden. Das wird Piper frustrieren, und so, wie sie ist, wird sie Nein sagen. Dann sitzen sie wieder in derselben Sackgasse wie jetzt.«
Ich schaute weg, in Richtung der Raufasertapete an der Decke. Das war nicht das, was ich hatte hören wollen, aber es war das, was ich erwartet hatte.
Nach ein paar Augenblicken senkte ich meinen Kopf und nickte einmal. »Danke für die Information. Beobachte sie weiter, bis ich etwas anderes sage!«
Ich wollte gerade zurück in die Schatten treten, als er erneut das Wort ergriff.
»Wäre es so schlimm, wenn sie zurückgehen würde? Es ist das, was sie will.«
Ich presste meine Lippen zusammen. Die Vorstellung von Pipers Gesicht, als Bree verlangt hatte, zurückgeschickt zu werden, der erschütterte Blick, die Leere …
Solange Bree ihr nicht vergab und diese neue Normalität akzeptierte oder Piper nicht an einen Punkt kam, an dem sie ihre Schwester loslassen konnte, würde dieser Verlust sie zerstören.
»Ja«, sagte ich leise. »Das wäre es.«
Mich traf etwas im Gesicht. Es war weich, matschig – und heiß.
Ich blinzelte und sah dann auf den Muffin hinunter. Der obere Teil war weggebrochen und die Krümel lagen auf dem Holzboden verstreut.
»Hast du mich gerade mit einem Muffin beworfen?«
»Na ja, ein Geist war es nicht«, scherzte Nat. Sie nahm einen weiteren Muffin vom Teller und biss kräftig hinein, sodass der Saft der Blaubeeren ihre Lippen verfärbte.
»Warum?«
»Du tust es schon wieder.«
Ich rümpfte meine Nase. »Was? Frühstücken?«
»Du ziehst dich in dich selbst zurück. Ich habe eine geschlagene Minute lang geredet, und du hast es nicht einmal bemerkt.« Sie nahm einen weiteren Bissen und sah dabei unbeeindruckt und gleichzeitig taxierend aus.
Ich setzte meinen halb gegessenen Muffin ab. Mein Hunger war verschwunden.
»Tut mir leid …«
»Nein, tut es nicht«, antwortete Nat. »Du bist sauer, dass ich dich darauf hingewiesen habe.«
Meine Zähne klapperten, als mein Kiefer zuschnappte. Ich lehnte mich mit ausdrucksloser Miene zurück. »Na gut, ich bin sauer.« Ich verschränkte meine Arme vor der Brust.
»Wir müssen darüber reden, was passiert ist.«
»Verdammt noch mal!«, fluchte ich leise vor mich hin. »Nicht du auch noch. Hör zu, wenn es um die Wand geht, ich werde dafür bezahlen …«
Nathalie schmunzelte. »Nein, das wirst du nicht. Du hast nicht das Geld dafür. Aber hier geht es nicht um die Wand. Nicht wirklich. Es geht um den Grund, warum Vorfälle wie die Wand passieren.«
Ich stieß einen müden Atemzug aus. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann sag es einfach! Ich hatte eine harte Nacht.«
»Jede Nacht ist heutzutage eine harte Nacht«, sagte sie und sah mich nachdenklich an. »Du willst nicht über dich und Bree reden oder darüber, was passiert ist. Okay. Es ist nicht meine Aufgabe, dich zu drängen, aber wenn du nicht darüber reden oder einen Weg finden willst, deine Situation zu ändern, dann musst du dich anpassen.«
Ich funkelte sie an. »Wie nennst du das, was ich den letzten Monat über getan habe?«
»Existieren«, sagte sie leise. »Und das ist nicht dasselbe, Piper. Du funktionierst lediglich. Essen. Schlafen. Aufstehen. Dich betrinken. Eine Prügelei anzetteln. Mit Ronan streiten. Und das Ganze von vorn.«
Meine Nackenhaare sträubten sich. »So einfach ist das nicht. Ich versuche, mir Klarheit zu verschaffen, aber Ronan lässt einfach nicht locker.«
»Das Problem ist nicht Ronan, sondern du. Du ertrinkst«, korrigierte sie. Sie legte den Muffin auf den Teller und klopfte die Krümel über dem Waschbecken ab. »Natürlich nicht körperlich, aber ertrinken tust du trotzdem. In deinem Zustand, in dem du einfach nur existierst, lebst du nicht. Du stagnierst. Ronan versucht, dir auf die einzige Weise zu helfen, die er kennt. Ich habe versucht, dir Zeit zu geben, aber ich sehe jetzt, dass Zeit nichts daran ändern wird. Es wird schlimmer. Dir geht es schlechter.«
»Es tut mir leid, dass es mir zu schaffen macht, innerhalb weniger Tage fünftausend Menschen zu töten, ein Volldämon zu werden und meine Familie zu verlieren.« Meine Worte klangen wütend und hart. Kalt und doch eindringlich.
»Genau das sage ich ja.« Sie seufzte und lehnte sich vor. Ihre braunen Augen waren groß, weit und sahen viel zu viel. »Du verarbeitest das Geschehene nicht. Zumindest nicht auf eine gesunde Art und Weise …«
»Du hast nicht zu entscheiden, was gesund ist und was nicht, geschweige denn wie …«
»Doch, wenn du einmal pro Woche Löcher in meine Wand sprengst und mich fast umbringst«, schnauzte sie.
Ich erstarrte und meine Augenbrauen hoben sich leicht. Ihre Hand berührte ihre Lippen, als könnte sie nicht glauben, das gesagt zu haben. Ich stand auf, um physischen Abstand zwischen uns zu bringen, als ich spürte, wie die Magie des Zorns in mir mit meiner Wut aufstieg.
»Ich dachte, es geht nicht um die Wand«, sagte ich abfällig.
Sie stieß einen verärgerten Seufzer aus. »Es geht nicht um die verdammte Wand, Piper. Es geht darum, dass ich es leid bin zu sehen, wie meine beste Freundin sich selbst zerstört, weil sie so voller Schuldgefühle ist. Und das wegen Dingen, die sie nicht ändern kann.« Ihr Brustkorb hob sich, als sie tief durchatmete, während ihre eigene Frustration mit der meinen wuchs. »Deine Schwester ist sauer, dass du sie zurückgebracht hast, und das ist scheiße –, aber du kannst sie nicht dazu bringen, anders zu denken. Das Einzige, was du tun kannst, ist, dich selbst zu kontrollieren und wie du reagierst. Aber im Moment schottest du jeden in deinem Leben ab, der sich um dich sorgt.«
»Ich habe dir gesagt, dass ich nicht darüber reden will.«
»So ein Pech. Wenn du nicht über Bree reden willst, dann reden wir eben über dich.«
Ich ging zur Tür, nachdem ich genug gehört hatte, um zu wissen, dass ich am Ende war. Nathalie stürmte auf sie zu und versperrte mir den Weg. »Meinst du, ich verstehe das nicht?« Ihre Frage überraschte mich so sehr, dass ich auf der Stelle stehenblieb. »Ich habe dich überredet, zum Haus meiner Eltern zu gehen, wo sie mich gefangen gehalten und dann ihre Magie eingesetzt haben, um mich zu kontrollieren. Mein Körper war nicht mein eigener, aber mein Geist war die ganze Zeit präsent, als Luzifer starb. Millionen und Abermillionen von Leuten sind wegen meiner Magie tot, blind oder verkrüppelt. Es mag nicht ganz meine Schuld sein, aber das ändert nichts daran, dass ich mich verantwortlich fühle.«
Ein Teil der Anspannung fiel von mir ab, weil ich das verstand. Und ich wusste, dass sie mich verstand.
»Ich kann nicht schlafen«, sagte sie nach einem Moment. »Ich koche und backe und putze stundenlang, weil ich mich nicht konzentrieren kann. Wenn ich im Bett liegen und einfach zu nichts schrumpfen könnte, würde ich es tun. Aber ich kann nicht. Ich bin unruhig. Ich höre Dinge …« Sie wandte den Blick ab, und das letzte Geständnis brachte ihre Wangen vor Scham zum Glühen.
»Ich wusste nicht, dass du damit zu kämpfen hast«, sagte ich nach einem Moment. Meine Wut hatte sich mit ihrem Geständnis verflüchtigt. Nat stieß ein bitteres Lachen aus.
»Wir alle haben Probleme, Piper. Mensch oder Übernatürlicher. Reich oder arm. Gut oder böse. Keiner hat ein perfektes Leben. Wir haben alle Herausforderungen. Ich weigere mich nur, mich von meinen beherrschen zu lassen. Ich kann die Dinge, die ich getan habe, nicht rückgängig machen, genauso wenig wie ich die Leute, die gestorben sind, zurückholen kann. Aber ich kann weitermachen, es weiter versuchen.«
Mein Blick fiel auf den Boden und ich stieß den Atem aus, der meine Brust eingeschnürt hatte. »Es fühlt sich falsch an, weiterzumachen, wenn sie es nicht können, und falsch, irgendetwas zu genießen, während ich weiß, dass Bree es hier hasst. Sie hasst mich. Ich habe sie zurückgebracht. Ich habe sie dazu gebracht, in dieses Drecksloch zurückzukehren, weil ich dachte, sie sei allein im Dunkeln, obwohl sie in Wirklichkeit weitergezogen war. Und jetzt ist sie meinetwegen an einem Ort gefangen, an dem sie nicht sein will …«
»Dann schick sie zurück!«, sagte Nat.
Meine Brust zog sich bei dem Gedanken zusammen.
»Ich … Das kann ich nicht«, sagte ich leise und schluckte schwer. »Ohne sie habe ich nichts. Ich bin ein Nichts. Ich weiß, es macht mich zu einer schrecklichen Person, dass ich sie nicht gehen lassen kann. Aber ich bin dazu einfach nicht in der Lage.«
Als die Wahrheit über meine Lippen kam, tat es weh, aber es fühlte sich auch befreiend an.
Ich hatte mir den wahren Grund für mein Verhalten eingestanden. Für das Trinken. Das Streiten.
Es ging nicht nur um eine Schuld aus der Vergangenheit, sondern um eine, die aus den Entscheidungen herrührte, die ich tagtäglich traf.
Nat legte ihre dünnen Arme um mich und drückte mich fester, als ich es einer Person ihrer Größe zugetraut hätte.
»Es macht dich nicht zu einer schrecklichen Person, dass du darauf wartest, dass sich etwas ändert. Es macht dich zu einem Menschen oder, na ja, zu einer Art menschlichem Dämon. Ich weiß nicht, wie du mit Bree verfahren solltest. Es ist eine schwierige Situation, wenn sie zurückzuschicken das Ende aller Möglichkeiten für euch beide bedeutet. Aber ich weiß, dass ihr so nicht weitermachen könnt. Keiner von uns kann das.«
Ich erwiderte ihre Umarmung und hielt sie fest.
Tief im Inneren wusste ich, dass sie recht hatte. Genauso wie ich wusste, dass Ronan recht hatte.
Ich wusste, dass ich den Weg der Selbstzerstörung gegangen war – und ihn angenommen hatte.
Was ich nicht wusste, war, wie ich einen anderen Weg finden konnte.
»Was sollen wir tun?«, fragte ich sie.
Nat lehnte sich zurück und ich lockerte meinen Griff, um ihr den nötigen Freiraum zu geben. »Nun, wir sind beide am Arsch, aber jetzt, da wir nicht mehr darum herumtanzen, können wir daran arbeiten. Es wird in beiden Fällen nicht sofort geschehen. Du wirst manchmal sauer auf mich sein, weil ich dich dränge, aber du brauchst das. Und ich brauche dich. Du bist nicht die Einzige, die bei all dem ihre Familie verloren hat. Barry war jahrelang alles, was ich hatte …«
Noch ein Thema, bei dem ich mich schuldig fühlen musste: Ich war eine beschissene Mitbewohnerin und Freundin gewesen. Während ich über alles, was in meinem Leben schiefgelaufen war, Trübsal geblasen hatte, war Nat stillschweigend auch von Leid betroffen gewesen. Gott, wir waren ein tolles Gespann.
Ein betrunkener Wutdämon mit Schuldgefühlen und eine Chaoshexe, die Stimmen hörte.
Ich wusste, dass ich mich an diesen Moment wahrscheinlich so lange erinnern würde, wie ich lebte, egal, ob es ein Jahr oder zehntausend waren. Ronan hatte einmal gesagt, dass jeder einfach nur verstanden werden wollte, und trotz unserer sehr unterschiedlichen Hintergründe hatte ich das in Nat gefunden.
Anders als Ronan, aber genauso tiefgründig, war diese Hexe irgendwie zu meiner Person geworden.
»Scheiß auf Barry! Du willst ihn vielleicht nicht tot sehen, aber dieses Arschloch trifft mehr Schuld als uns beide. Er hat Glück, dass du deine Gunst bei Ronan gegen sein Leben eingetauscht hast.«
Sie sagte nichts, aber der Schwung ihrer Lippen verriet mir, dass sie mich nicht für abwegig hielt.
»Er hat schlechte Entscheidungen getroffen. Entweder wird er sich ändern und versuchen, sie wiedergutzumachen, oder sein Karma wird ihn einholen, bevor es jemand von uns tun kann.«
Ich hoffte, dass sie mit dem Karma recht hatte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass das passieren würde.
»Wo wir gerade von schlechten Entscheidungen sprechen …« Ich wollte ihr sagen, dass ich Ronan einige bedauerliche Dinge an den Kopf geworfen hatte, als ich wütend gewesen war und noch nicht gewusst hatte, was ich dagegen tun sollte.
Leider hatte das Universum andere Pläne.
Mehrere schnelle Schläge gegen unsere Tür ließen uns beide innehalten.
Ich runzelte die Stirn.
Nat ging hinüber und schaute durch das Guckloch. Ihr gesamter Gesichtsausdruck veränderte sich, als sie die Türschlösser öffnete und die Tür dann aufstieß.
Vor der Wohnung standen Señora Rosara und die Wandlersukkubus-Zwillinge Sasha und Sienna.
Nur konnte ich beim besten Willen nicht bestimmen, wer wer war. Sie waren beide blutverschmiert und zerschlagen. Eine von ihnen stand und trug die andere, die ohne Bewusstsein zu sein schien.
»Die beiden sind unten aufgetaucht und wollten dich sehen«, sagte Señora Rosara und schob ihr Kinn in meine Richtung.
Meine Lippen teilten sich. Die Frage nach dem Warum lag mir auf der Zunge, obwohl sie in gewisser Weise ziemlich offensichtlich war.
Der Zwilling, der noch stand, stolperte nach vorn. Ihr Blick war wild und doch irgendwie gebändigt; verzweifelt, aber hart. »Wir brauchen deine Hilfe.«
»Das kann ich sehen«, antwortete ich. Der Härte ihres Tons nach zu urteilen, war ich mir ziemlich sicher, dass es Sasha war, die gesprochen hatte. »Woher wusstest du, wo du mich finden kannst?«
»Die kleine Hexe. Wir haben das Gerücht gehört, dass sie mit der verrückten Katzenhexe zusammenlebt.« Ihre Antwort war zutreffend, aber ich spürte, dass da noch mehr war. Señora Rosara schnaubte leise vor sich hin, ungerührt vom schaurigen Anblick der Zwillinge. Sie verdrehte die Augen, machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück in ihre Wohnung, wobei sie etwas von Blut auf dem Boden murmelte. Ihre Tür knallte zu, und als ich nicht sofort etwas sagte, fuhr Sascha fort. »Bitte. Ich weiß, du hast keinen Grund, mir zu vertrauen, aber wir wurden angegriffen. Da war eine Protestkundgebung der Menschen, die in einem Aufstand geendet ist. Wir waren auf dem Weg zurück zur Unterkunft, als jemand eine Bombe geworfen hat. Sienna ist vor mich gesprungen.« Sie schluckte schwer. »Ich darf sie nicht verlieren.« Der glasige Glanz in ihren Augen verriet mir, dass sie den Tränen nahe war, aber die stolze Sasha, die ich kannte, würde diese Tränen nicht fallen lassen.
»Warum hier? Warum ich? Eine weiße Hexe hätte bessere Chancen, sie zu heilen.«
Die Bitterkeit in ihrer Stimme entsprach meinen Erwartungen. Aber nicht ihre Antwort.
»Das habe ich schon versucht. Es hat nicht geklappt. Sie heilt nicht …«, begann sie, aber sie musste nicht zu Ende sprechen. Da wusste ich, was sie wollte. Es war das Einzige, was ich wirklich tun konnte, aber nicht tun wollte.
»Du willst mein Blut.«
»Du bist ein Dämon. Wenn dein Blut sie nicht retten kann, dann kann es niemand.«
Ihr Herzschlag war flach. Ihre Magie wurde schwächer.
Welche Art von Bombe sie auch getroffen hatte, es war keine gewöhnliche gewesen. Die Wunden, die ihr zugefügt worden waren … Wenn niemand sie schließen konnte, bedeutete das den Tod.
Du kannst es, flüsterte eine kleine Stimme in meinem Kopf. Es war derselbe Teil von mir, der sich damals dazu entschlossen hatte, sich Aeshma zu opfern, in den Beschwörungskreis zu springen, Ronan herzubringen und ebendiesen anzuflehen, Nat zu retten.
Über die Jahre hatte ich versucht, diese Stimme zu unterdrücken. Das war mir nie lange gelungen. In dem Monat, in dem Bree zurückgekehrt war, hatte sie sich furchtbar still verhalten.
Aber jetzt war sie hier und versuchte erneut, mich zu überreden.
Aus der klaffenden Wunde auf Siennas Brust tropfte Blut auf Nats Couch. Ihre Haut war aschfahl. Blass. Sie hatte mich einmal verraten, aber sie hatte auch versucht, mich zu retten. Ähnlich wie ich bewegte sie sich zwischen Gut und Böse – und würde für die sterben, die sie liebte.
Mein Blick glitt zur Seite, wo Sasha saß. Ihr schwarzer Katzenschwanz schwang in einem nervösen Rhythmus hin und her. Ihre Haut war feucht und verschwitzt, ihre Pupillen bildeten schmale Schlitze.
Neben ihnen kniete Nat und säuberte mit einem Waschlappen Siennas Wunden. Sie hatte Sasha gesagt, dass wir das Ausmaß sehen mussten.
In Wahrheit wollte sie mir Zeit geben, mir eine Antwort zu überlegen.
Sasha würde ein Nein nicht akzeptieren, aber ich würde mich nicht zu einem Ja drängen lassen.
»Jedes Mal, wenn ich es schaffe, die Blutung zu stoppen, fängt sie wieder an. Die Magie eitert wie eine Infektion«, sagte Sasha. »Sie hat nicht mehr viel Zeit.«
»Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Nat und wandte ihren Blick nicht von der Wunde ab, die sie abtupfte. »Diese Lösung soll die Magie verlangsamen, die sie an der Heilung hindert. Es wird zwar nicht ausreichen, um sie zu retten, aber es wird ihr eine bessere Chance geben, falls Piper sich entschließt, ihr Blut zu geben.«
Sashas Augen verengten sich weiter. Sie hatte dieses eine Wort wahrgenommen.
Falls.
»Sie wird sterben, wenn du es nicht tust«, sagte Sasha mit scharfer Stimme. »Willst du das wirklich auf dich …«
»Wenn sie stirbt, ist das nicht meine Schuld. Und mich mit Schuldgefühlen zu belasten, wird mich nicht dazu bringen, dir zu helfen.« Meine Stimme war ruhig, aber sie enthielt auch eine Lüge. Es wäre nicht meine Schuld. Aber ich könnte ihr Schicksal ändern, wenn die Magie griff. »Ich muss die Folgen für mich und für sie bedenken«, fügte ich hinzu.
Sasha runzelte die Stirn. »Wenn sie lebt, ist es das wert, in deiner Schuld zu stehen.«
»Du hast leicht reden«, sagte ich ihr. »Du bist nicht diejenige, die in meiner Schuld stehen wird. Und obgleich ich es nicht will, heißt das nicht, dass es keine Auswirkungen gibt. Das Blut eines Dämons zu nehmen, gibt ihm Macht über dich. Sie wird dem nicht entkommen können.«
Sascha verstummte für einen Moment. Sie starrte auf die schlaffe Hand ihrer Schwester, die sie in ihrer eigenen hielt.
»Dann nimm mich auch!«