Vom Staat - De re publica - Marcus Tullius Cicero - E-Book

Vom Staat - De re publica E-Book

Marcus Tullius Cicero

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Beschreibung

Für alle Leser, die sich für politische Philosophie, antike Geschichte oder die Funktionsweise von Regierungssystemen interessieren, ist 'Vom Staat - De re publica' ein absoluter Muss. Dieses Buch bietet nicht nur eine reiche Diskussion über die Grundlagen der Regierungsführung, sondern regt auch zum Nachdenken über zeitlose politische Fragen an. Ciceros kluge Argumente und seine leidenschaftliche Verteidigung bestimmter Ideale machen dieses Werk zu einer unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich für die Grundlagen der Politik interessieren.

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Marcus Tullius Cicero

Vom Staat - De re publica

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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

I. Ueber das Werk selbst.

Man mag über Cicero und seine philosophischen Werke urtheilen wie man will: 1 auf jeden Fall wird man in ihm einen Denker, obgleich mehr einen Nachdenker, als einen Vordenker, achten und anerkennen müssen. Hat er in seinen rhetorischen und philosophischen Werken im Allgemeinen meistens die dialogische Form der Platonischen Werke zum Muster genommen, ohne jedoch den Redner verläugnen zu können und zu wollen, und finden wir bei ihm durchaus ein Bestreben, die Wissenschaft der Griechen mit eklektischer Vielseitigkeit auf Römischen Boden zu verpflanzen, oft (wie zwischen den Akademikern und Peripatetikern) mit der Absicht, vermittelnd und versöhnend auftreten zu wollen, oder noch lieber zu beweisen, daß gar keine Vermittelung und Versöhnung nöthig sey, weil sie nur in Worten, nicht in der Grundansicht von einander abweichen; 2 so erblicken wir ihn in den Werken vom Staat und von den Gesetzen, schon in dem Titel beider Werke, recht eigentlich als Nachahmer seines Lieblings, oder vielmehr fast seines Abgottes, Plato. Aber diese Nachahmung der beiden großen Platonischen Werke gleiches Namens ist weder eine bloße Lateinische Umarbeitung derselben, mit etwas eigener Zuthat, wie das Werk von den Pflichten, das er dem des Panätius aus Rhodus, einem Stoikers, nachgebildet hat; noch ein Versuch, ähnliche Ideale, wie jene sind, aus eigenem freischaffendem Geiste hervorzubringen; sondern Cicero will aus dem Boden der Möglichkeit und Wirklichkeit, das Vorhandengewesene und zum Theil noch Vorhandene oder nach seiner Ansicht und Hoffnung Wiederherstellbare, in idealisirender Verschönerung an seinem eigenen Vaterlande, dessen Gründung und Verfassung, eine Art von Musterstaat hinstellen, auf ein Gleichgewicht gegründet, von dem er, ob es gleich zu keiner Zeit vollkommen so bestanden hat, die Hoffnung und Erwartung hegte, es werde, gestützt auf die Grundlage der Sittlichkeit und Gerechtigkeit, eine unverwüstliche Dauer haben können.

Cicero schrieb dieses Werk im Jahre Roms 700 (54. v. C. G.) in seinem vierundfünfzigsten Lebensjahre, nicht, wie seine meisten übrigen philosophischen Werke, zu einer Zeit, wo er nach dem Untergange der freien Verfassung Trost und Zerstreuung in den Wissenschaften suchte, 3 sondern noch in der Zeit seiner regen Thätigkeit für das Vaterland, wo ihm auch daran liegen mußte, in einem mit besonderer Liebe bearbeiteten Denkmale seines Geistes etwas nicht bloß Ideelles, sondern wenigstens möglicherweise praktisch Nutzbares aufzustellen, das die Zuneigung seiner sich zum Idealen wenig hinneigenden Mitbürger gewinnen und erhalten sollte. Daß ihm dieses gelang, davon liegen die unzweideutigsten Beweise vor; 4 aber eben so sichere von dem Fleiße und der Liebe, womit er das Werk anfing und vollendete. 5 So ungerne er übrigens angefangene und schon weit vorgerückte Arbeiten umänderte oder gar wegwarf, so war er doch bei diesem Werke besonders streng gegen sich, und erklärt in einem Briefe an seinen Bruder: »wenn mir diese schwierige und anstrengende Arbeit gelingt, so wird meine Mühe wohl angewandt seyn; wo nicht, so werfe ich sie in das Meer, welches ich beim Schreiben vor Augen habe.« 6 Und wirklich wurde nicht nur einmal der Plan und Ideengang verändert. Zwei Bücher waren vollendet, worin die Zeit der Handlung auf die neun Tage der Latinerferien unter den Consuln Tuditanus und Aquilius (625. n. R. E.) festgesetzt war und neun Bücher sollte auch das Werk erhalten; die sprechenden Personen sollten dieselben seyn, die jetzt darin auftreten. Späterhin ließ er sich von Atticus bereden, die Scene der Unterhaltung in seine Zeit zu verlegen, und selbst das Hauptwort der Unterredung zu führen. 7 Doch weil dabei vieles bereits Fertige, das ihm gelungen schien, hätte weggeworfen werden müssen, so wurde der alte Plan wieder aufgenommen, allein auf sechs Bücher beschränkt, in denen die Unterhaltung dreier Tage zusammengefaßt war. Sie waren fertig, als er nach Cilicien abging, und wurden gleich nach ihrer Bekanntmachung allgemein mit Begierde gelesen. 8 Es ist, nach Abwägung der Gründe für und wider, jetzt ausser Zweifel gesetzt, daß das Werk dem Atticus gewidmet war. 9 Oft kommt Cicero in seinen spätern Schriften auf dieses Werk zurück, das er in bessern Tagen und bei bessern Aussichten und Hoffnungen geschrieben hatte, als diejenigen waren, die sich ihm bei seiner Rückkehr aus Cilicien darstellten und aufdrangen. Er wollte das Werk, auf dessen Inhalt offenbar auch das Geschichtswerk des Polybius großen Einfluß gehabt hat, gleichsam als sein politisches Testament betrachtet wissen, dem er später, aber in sehr veränderter Gemüthsstimmung, noch das Werk von den Gesetzen beifügte. Ob wir nun gleich in den folgenden Bruchstücken nicht einmal ein volles Drittheil des Ganzen gewonnen haben mögen, so läßt sich doch theils aus dem Vorhandenen, theils aus den Anführungen, Auszügen und Erörterungen darüber in dem Werke des Augustinus de Civitate Dei (zu dem sichtbar das Werk Cicero's die Idee hergegeben hat) und bei Lactantius, der Gedankengang und Inhalt der einzelnen Bücher mit mehr oder minder Sicherheit darthun und erschließen. Was wir, abgesehen von der Trefflichkeit der Darstellung und Gesinnung, die uns auch in diesen Trümmern erfreuen, materiell an diesem Funde gewonnen haben, namentlich für die in so vieler Hinsicht dunkle Geschichte der Ausbildung der Römischen Verfassung, Dieß ist von Andern, und an passendern Orten, als es hier geschehen würde, erörtert worden. Daß die Ausbeute nicht so groß war, als man hoffen und erwarten mochte, ist nicht zu verkennen; aber eben so wenig darf der hohe Werth des Dargebotenen darum verkannt und gering geachtet werden, weil man Wünsche und Anforderungen nicht befriedigt findet, die man, Alles wohl erwogen, nicht einmal zu hegen und zu machen ganz gegründete Befugniß hatte. Ueber den Inhalt der einzelnen Bücher werden wir unmittelbar vor jedem Buche sprechen.

Geschichte des Werkes.

Cicero's Werk vom Staate war zwar fortwährend ein Gegenstand der Bewunderung und Liebe, so wie des eifrigen Studiums der Bessern und Edlern im Römischen Volke; allein es ist begreiflich, daß in Zeiten, wo so ganz andere politische und sittliche Grundsätze herrschten, als hier ausgesprochen und empfohlen sind, in Zeiten, denen schon die Existenz eines solchen Werkes ein nur zu laut sprechender Vorwurf ist, Diejenigen es wenig erwähnen durften, die es mit den Machthabern nicht verderben wollten. Ausdrücklich erwähnt wird das Werk übrigens von Seneca, 10 dem ältern Plinius, 11 Fronto, 12 Gellius, 13 und einer ganzen Reihe von Grammatikern, besonders häufig von Nonius Marcellus, für den es ein rechter Tummelplatz für seine Wörter- und Phrasenjagd war. Ein eigenes Werk hatte, nach Suidas, 14 Suetonius über den Cicero vom Staate geschrieben, und von Makrobius besitzen wir einen Commentar über einen Theil, den Schluß des sechsten Buches, der unter dem Namen Traum des Scipio seit vielen Jahrhunderten berühmt ist, welchem Commentare wir die Erhaltung des Traumes selbst zu danken haben, und ohne den wir auch jetzt kein Blatt vom sechsten Buche hätten. Großen Dank aber sind wir, auch noch nach der Wiederauffindung, dem Lactantius, und besonders dem Augustinus schuldig. Sie füllen 15 nicht nur sehr willkommen oft bedeutende Lücken aus, sondern sind, da sie nicht selten dieselben Stellen geben, die sich in der aufgefundenen Handschrift finden, ein Beweismittel für die Aechtheit des Gefundenen, das lange und mühsame Deductionen erspart. Aus dem vierten Jahrhundert haben wir die Nachricht bei dem Geschichtschreiber Lampridius, 16 daß Cicero's Republik eine Lieblingslectüre des Kaisers Alexanders Severus gewesen sey, welcher so viel besser war, als seine Zeit. Auch die Griechen nahmen Notiz von diesem Werke; wie denn Didymus schon im Zeitalter des Augustus ein Buch zur Bekämpfung desselben schrieb, mit dessen Widerlegung sich die oben angeführte Schrift des Suetonius beschäftigte: 17 wogegen ein anderer unbekannter Grieche vielleicht aus Justinian's Zeitalter in einem noch ungedruckten Werke über Staatswissenschaft 18 Cicero's Werk vom Staate sogar der Republik des Plato vorzieht. Im fünften, sechsten und siebenten Jahrhundert lassen sich allenfalls noch Spuren von Bekanntschaft mit dem Werke des Cicero nachweisen; aber von da an bis zum zehenten hat sich noch keine vorgefunden. In diesem Jahrhunderte verlangt Gerbert, Abt des Klosters des heiligen Columbanus zu Bobbio (späterhin Erzbischof zu Rheims, dann zu Ravenna, zuletzt Pabst), in einem Briefe an einen gewissen Scholasticus, 19 Namens Constantinus, daß er ihm dieses Buch, nebst den Reden gegen den Verres und den Vertheidigungsreden des Cicero mitbringen soll. Im zwölften Jahrhunderte citirt Stellen aus unserm Werke der berühmte Johann von Salisbury ( Johannes Salisburiensis) in seinem Policraticus, 20 die er aber auch aus dem Augustinus und Macrobius haben konnte. Der Griechische Uebersetzer des Traums des Scipio, sey er nun der Mönch Planudes im 14ten oder der Grammatiker Theodor Gaza im 15ten Jahrhundert, hat ohne Zweifel nicht das Werk des Cicero, sondern blos den Macrobius vor sich gehabt. Suchte doch Francesco Petrarca, der so glücklich war, die Briefe Cicero's an seine Freunde aufzufinden, die Republik des Cicero auf Befehl Pabst Clemens VI. lange Zeit und mit vielem Kostenaufwande, aber ohne Erfolg. 21 Auch im 15ten Jahrhunderte wurde sie, nach einem Briefe des Leonardo Bruni aus Arezzo an Poggio und einigen Stellen der Briefe des Letztern selbst (bei Jenem Ep. IV, 5; bei Diesem Ep. 26.), mühsam, aber vergebens, gesucht. Vom Ende des 15ten Jahrhunderts und aus dem 16ten hat man nur dunkle Sagen von vermuthlich da oder dort vorhanden gewesenen Handschriften des Werkes, und eben so aus dem 17ten. Die speciellsten Notizen von dem Daseyn des Werks hat man aus und über Polen, ohne daß jedoch sonderliche Hoffnung zur Wiederauffindung einer angeblich gegen Ende des 16ten Jahrhunderts aus der Moldau durch einen Volhynischen Edelmann, Namens Woinowsky, nach Polen gebrachten Handschrift vorhanden wäre. 22 Seit der Mitte des 16ten Jahrhunderts hat man übrigens in allen Ausgaben des ganzen Cicero auch, ausser dem Traume des Scipio, eine Zusammenstellung der bei den angeführten Schriftstellern entdeckten Bruchstücke von bedeutender Anzahl, 23 deren Text z. B. in der Schützischen Ausgabe (ohne den Traum) zwanzig Seiten ausmacht. Diese Fragmente, nebst den Stellen, wo Lactantius und Augustinus über das Werk sprechen, ohne eigentlich dessen Worte wiederzugeben, und so manche Aeußerungen Cicero's in seinen übrigen Werken über die Gegenstände, welche in dem Werke vom Staate wahrscheinlich zur Sprache gekommen seyn mochten, veranlaßten am Schlusse des 18ten Jahrhunderts einen gelehrten Franzosen, M. Bernardi, eine Art von musivischem Werke, oder Cento, zusammenzusetzen, das im Jahre 1807 in zwei Bänden mit Lateinischem Text und gegenüber gedruckter Französischer Uebersetzung in der zweiten Auflage erschien, und, ob es gleich seiner Natur nach nicht geeignet war, für das Verlorne irgend einen Ersatz zu leisten, doch nicht ohne Beifall aufgenommen wurde 24 Endlich entdeckte im Jahre 1820 der Bibliothekar der Vaticanischen Bibliothek in Rom, Abbate Angelo Majo, schon seit 1813 als Entdecker verschiedener Werke des Alterthums auf Palimpsesten der Ambrosianischen Bibliothek zu Mailand, auch einiger Bruchstücke von den Reden des Cicero berühmt, bald nach seiner Versetzung nach Rom (1819), in einem Codex rescriptus die herrlichen Ueberreste, die wir hier unsern Lesern in einer Uebersetzung mittheilen. Aus dem Kloster des h. Columbanus zu Bobbio in Oberitalien, das im Mittelalter eine treffliche Bibliothek hatte, 25 waren viele Handschriften in die Ambrosianische Bibliothek zu Mailand gekommen, einige auch nach Rom, unter andern um den Anfang des 17ten Jahrhunderts ein Codex, auf welchen, nach Auslöschung einer ältern Schrift, schon vor dem 10ten Jahrhundert der Commentar des h. Augustinus über die Psalmen (vom 119ten bis 141sten) geschrieben worden war. Die 304 Seiten, die die Handschrift hat, gehörten, bis auf zwei, alle Einem Werke an, in dessen verwischten sehr großen Buchstaben Majo bald kostbare Reste eines verlornen Ciceronischen Werkes erkannte. Aber da auch der Codex des Augustinus nicht ganz ist, und sogar zu diesem nicht das ganze alte Werk, wie es scheint, verwendet worden war, überdieß Derjenige, welcher den Augustinus darüber schrieb, sich um Erhaltung und Schonung des blinden Heiden natürlich nicht bekümmert hatte, so mußte der Zustand des durch Hülfe der Kunst unter dem neuen hervorgehenden alten im 2ten oder 3ten Jahrhundert abgeschriebenen, Werkes nothwendig nicht der beste seyn. Und so hatte denn der Entdecker dieses Schatzes, der uns nun fast wieder ein Drittheil des verlornen Ciceronischen Werkes vom Staate gibt, keine geringe Mühe mit Aufsuchung der Ordnung, in welcher die Blätter einander folgen müssen, mit Einreihung der früher bekannten Bruchstücke, mit Muthmaßungen über Ausfüllung der Lücken, mit Vergleichung des gefundenen Stoffes mit schon früher aus andern Schriftstellern eben so oder anders Bekanntem, mit Verbesserung der oft fehlerhaften Lesart, mit Ergänzung mangelnder Buchstaben und Wörter u. dgl.; und er hat diese Aufgabe im Ganzen trefflich gelöst, wenn auch im Einzelnen in fast jeder Hinsicht den spätern Bearbeitern Etwas zu thun übrig gelassen ist. Das Ausführliche über diese ganze Sache gibt die Vorrede des ersten Herausgebers, die in allen größern Ausgaben, die auf die erste Römische (von 1822.) gefolgt sind, sich abgedruckt findet. Verdient haben sich um das Werk, ausser A. M., gemacht: der erste Herausgeber und Uebersetzer in Frankreich, Hr. Villemain, durch werthvolle Abhandlungen und Anmerkungen (nicht philologischer Art), die zum Theil in einer, übrigens ganz werthlosen, deutschen Uebersetzung des Werkes von J. M. Pierre (2 Thle. Fulda, 1824.) übersetzt sind; ferner Hr. Prof. Heinrich in Bonn, durch vielfache Berichtigung des Textes ( Bonn, 1825. 8.); Hr. Steinacker durch einzelne gute Bemerkungen und Verbesserungen (Ausg. Lips., 1823.); Hr. Lehner, eben so (Ausg. Solisbaci, 1823.); vorzüglich auch schon bei der Römischen Ausgabe der damals in Rom anwesende Hr. Geh. Staatsrath v.  Niebuhr in Bonn; mehrere Recensenten des Werkes in deutschen und auswärtigen Literaturzeitungen; noch ein deutscher Uebersetzer F. v.  Kobbe (Göttingen, 1824.), doch nicht ohne viele Verstöße; auch hat Hr. Geh. Hofrath v.  Zachariä ein eigenes Werk über den neuen Fund herausgegeben ( StaatswissenschaftlicheBetrachtungen über Cic. neu aufgefundenes Werk de rep. Heidelb., 1823.), und die HHrn. Prof. Burchardi (Bemerkungen über den Census der Römer. Kiel, 1824.) Prof. Franke ( De Tribuum Curiarum atque Centuriarum ratione. Slesv., 1824.), Conrad Wolff ( Obs. in – liber, de R. P. Fragm. 4. Flenop., 1824.), Dr. N. Bygon Krarup ( Obss. critt. in libros Cic. de Rep. 8. Hafn. 1826. f. 2. Specimina); einzelne Stellen des Werkes beleuchtet, mehrere Andere übergehen wir der Kürze wegen. Der Verfasser dieser Uebersetzung hat sich durch seine Ausgabe des Werkes ( Francof. ad M. Broenner, 1826.) auch um dasselbe verdient zu machen gesucht; nach ihm haben noch werthvolle Ausgaben desselben geliefert Hr. Prof. Zell in Freiburg ( 8. Stuttgartiae, 1827.) und besonders Hr. Prof. Orelli in Zürich, im vierten Theile seiner Gesammtausgabe der Werke des Cicero ( Turici, 1828.).

III. Ueber die im Werke als sprechend aufgeführten Personen.

Es sprechen fünf Greise und vier jüngere Männer mit. Zu Jenen gehören Scipio, Lälius, etwas älter als Scipio; Philus und Mummius, gleiches Alters mit Lälius, ferner Manilius; die jüngern sind Tubero, Rutilius, Scävola und Fannius.

1. P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanusminor, auch mit dem Beinamen Numantinus. Er war der Sohn des L. Aemilius Paullus, der den Perseus überwand und über ihn einen Triumph hielt, und wurde von dem Sohne des ältern Scipio Africanus in die Cornelische Familie adoptirt. Seine Lehrer waren Polybius, Panätius und Metrodorus. Er hatte sich mit der Lateinischen und Griechischen Literatur ganz vorzüglich vertraut gemacht; seine Unterhaltung über wissenschaftliche Gegenstände hatte oft einen Anflug von Sokratischer Ironie. 26 Im J. Roms 608 zerstörte er Karthago, im J. 621 Numantia. Er starb im Winter des Jahrs 625, wenige Tage nach Beendigung dieser Unterhaltung (wie nämlich von Cicero angenommen wird) über den Staat, nicht ohne gegründeten Verdacht, daß sein Tod durch die Gracchische Partei, deren Feind er gewesen war, verursacht worden sey, sechs und fünfzig Jahre alt. Kurz vor seinem Tode hatte sich am Himmel eine Nebensonne gezeigt. 27

2. C. Lälius, mit dem Beinamen der Weise. Er war dem Scipio mit der innigsten Freundschaft zugethan, und ist Derselbe, der in dem Gespräche des Cicero von der Freundschaft das Wort führt, wo er über den kurz zuvor erfolgten Tod des Scipio mit der größten Rührung spricht. Ohne dem Scipio an kriegerischer Größe gleich zu kommen, war er doch dessen beständiger Rathgeber, auch bei der Belagerung von Karthago sein Legat. Als Oberfeldherr überwand er selbst den Viriathus. 28 Consul war er im J. Roms 614.

3. L. Furius Philus (oder Pilus). Er war Consul im Jahre Roms 618. Er war es, der darauf antrug, den durch Mancinus mit den Numantinern geschlossenen Vertrag für ungültig zu erklären, auch brachte er wirklich den Mancinus nach Spanien zurück und lieferte ihn den Numantinern aus. Er war durch Beredsamkeit ausgezeichnet, und ein Liebhaber der Astronomie. 29

4. Manius Manilius. Er war im J. Roms 605 Consul, und Scipio damals in dem Africanischen Feldzuge sein Legat. Er war ein großer Kenner der Rechte und tüchtiger Sachwalter; dabei aber sehr uneigennützig und darum arm. 30

5. Spurius Mummius, Bruder des L. Mummius Achaicus, des Eroberers und Zerstörers von Korinth. Als Redner war er wenig berühmt: als Philosoph hielt er es mit der Stoa. Sein Charakter war lobenswerth. Er war vertrauter Freund des Scipio, Lälius, Philus und Rutilius. 31

6. Q. Aelius Tubero. Enkel des Aemilius Paullus, von der Aemilia, der Schwester des Africanus. Er war von Jugend auf Freund des Lälius; trennte sich von Tiberius Gracchus, als dieser seine demagogischen Plane in's Werk zu setzen begann. Bei dem Leichenbegängnisse seines Oheims, des Scipio Africanus, zeigte er auf eine unpopuläre Weise sich als Anhänger der Stoischen Philosophie, und sehr karg, wodurch er sich um die Prätur brachte. Sein Stoicismus machte ihn hart und zurückstoßend. Als Dialectiker und Rechtskenner zeichnete er sich aus, als Redner gar nicht. 32

7. P. Rutilius Rufus. Zur Zeit dieses Gesprächs kaum mannbarer Jüngling, der eben darum dem weit später geborenen Cicero das hier gehaltene Gespräch erzählen konnte. Er wurde vier und zwanzig Jahre nach dem Tode des Scipio im J. Roms 649 Consul. Als Cicero in seiner Jugend Kleinasien durchreiste, befand sich Rutilius, unschuldigerweise, verbannt, in Smyrna. Er war nach dem Zeugnisse des Alterthums einer der edelsten Menschen. Auch als Schriftsteller (Verfasser von Reden und Geschichtswerken) war er berühmt. 33

8. Q. Mucius Scävola, ein Augur. Diesem Manne wurde Cicero, als er in das männliche Alter trat, als Zögling zur Ausbildung für das praktische Leben zugeführt. Er war Consul im J. Roms 637. In Cicero's Werke vom Redner spielt er auch eine Rolle. Von ihm, erzählt Cicero, habe er des Lälius Vortrag über die Freundschaft gehört. Auch im Alter noch liebte er Laune und Scherz 34

9. C. Fannius, Eidam des Lälius. Er hatte in seinem Charakter, wie in seinem Vortrage, etwas Hartes, und so auch als Geschichtschreiber. Cicero nimmt an, Fannius sey am zweiten Tage der Gespräche vom Staat nicht zugegen gewesen. Uebrigens kommt weder er noch Scävola in den aufgefundenen Bruchstücken des gegenwärtigen Werkes zum Wort, wiewohl deßwegen nicht anzunehmen ist, daß sie stumme Personen gewesen seyen. 35

Der Uebersetzer legte vorzüglich den Text seiner eigenen im Jahr 1826 bei Brönner in Frankfurt erschienenen Ausgabe, mit besonderer Berücksichtigung der Orellischen ( Cic. Opp. IV, 1. Turici 1828) zum Grunde.

Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Uebersicht des ersten Buches.

Die Einleitung beschäftigt sich mit dem Beweise, den Cicero in eigener Person führt, daß es eines weisen und edeln Mannes würdiger sey, dem Vaterlande seine Kräfte zu widmen, als in Muße, und wäre es auch den Wissenschaften zu leben; und nach Widerlegung der gewöhnlichen Gegengründe (Cap. 1–7.) geht er auf den Gedanken über, daß er den Vorsatz gefaßt habe, über den Staat, seine Einrichtung und Verwaltung zu schreiben, und daß ihm eine Erzählung des Rutilius, von der Unterhaltung des Scipio mit seinen Freunden über diesen Gegenstand, das beste Material dazu geliefert habe (C. 8.). Da treffen denn nach und nach die Freunde des Scipio in den Latinischen Ferien bei ihm auf seinem Landgute ein (C. 9–17.); man spricht von der kürzlich gesehenen Nebensonne (C. 10.); von dem Interesse an dergleichen Erscheinungen und ihrer Erklärung (C. 13.); von dem durch Maschinen von Archimedes und Eudoxus erleichterten Studium der Astronomie (C. 14.); von dem praktischen Werthe desselben (Cap. 15–17.) mit Beispielen: worauf denn Lälius Veranlassung nimmt, dem Scipio die ihm wichtiger scheinende Untersuchung über den Zustand des Vaterlandes, und die beste Einrichtung des Staats vorzuschlagen (C. 18–21.). Scipio geht darauf ein, als auf einen Gegenstand, der ihn selbst schon viel beschäftigt habe, nachdem er erst sich allzugroße Erwartungen verbeten hat (C. 22. 23.). Nun beginnt er mit einer Definition vom Staate, und den Veranlassungen zur Staatenbildung und Gründung (C.  24. 25.). Es folgt eine Darstellung der dreierlei zu billigenden Regierungsformen, der monarchischen, der aristokratischen und der demokratischen (C. 26.): rein erscheint ihm aber keine vollkommen wünschenswerth, weil die Monarchie leicht in Despotismus, die Aristokratie in Factionsherrschaft, und die Demokratie in Ochlokratie ausarte: (C. 27. 28.); eine gemischte Verfassung sey demnach die beste (C. 29.). Auf die Frage, welche einzelne Verfassung am meisten zu billigen sey (C. 30.), erklärt er sich anfangs, wegen des hohen Werthes der Freiheit, für die Demokratie, und setzt die Gründe dafür auseinander (C. 31–33.): für die Aristokratie, sagt er aber, spreche der Umstand, daß es wünschenswerth seyn müsse, daß die edelsten, weisesten und ausgezeichnetsten Bürger den Staat regieren (C. 34.): im Grunde aber habe doch die Monarchie das Meiste für sich (C. 35.): schon die Verfassung des Olymps spreche dafür, wo auch Jupiter an der Spitze der Götter stehe (C. 36.); ferner die treffliche väterliche Regierung der alten Römischen Könige (C. 37.); endlich der menschliche Geist selbst, in welchem die monarchische Herrschaft der Vernunft über die übrigen Seelenkräfte und Seelentriebe das Beste sey (C. 38.): sey es doch auch schon in einer Familie nicht gut, wenn mehr als Einer Herr sey (C. 39.), ja selbst im freien Rom erkenne man zur Zeit der Noth an, daß die Regierung Einheit (einen Dictator) haben müsse (C. 40.): ein guter König sey ein wahrer Vater seines Volkes (C. 41.). – Aber ein schlechter König sey Schuld am Uebergang der Verfassung in Optimatenherrschaft oder in Volksherrschaft; beide aber arten leicht aus (C. 42.). Schilderung der Uebel der Pöbelherrschaft (C. 43.); und wie sich aus ihr gewöhnlich die Herrschaft eines Tyrannen entwickelt (C. 44.). Resultat: die beste Verfassung ist eine aus monarchischem, aristokratischem und demokratischem Element gemischte (C. 45.): und eine solche sey in der Idee des Römischen Staates, den Scipio nun zu schildern verspricht (C. 46. 47.).

Ueber die erste Lücke des Werkes,

zum Theil nach Angelo Majo.

Da dem Cicero sowohl wegen seines eigenen politischen Lebens, als wegen des Zweckes seines gegenwärtigen Werkes daran liegen mußte, daß Theilnahme an der Verwaltung des Staates als preiswürdig, ja als Pflicht des edlen und weisen Mannes anerkannt werde; so mag er wohl von dem Platonischen Gedanken ausgegangen seyn, den er auch in einem Briefe an seinen Bruder Quintus berührt (I, 1. 10.). »Jener Mann, sagt er, der an Geist und Kenntnissen Keinen über sich hatte, Plato, hatte die Ansicht: nur dann werden Staaten beglückt seyn können, wenn entweder die kenntnißreichen und weisen Männer an die Spitze gestellt würden, oder wenn Die, die an der Spitze stünden, mit allem Eifer darnach trachteten, kenntnißreich und weise zu werden.« Da aber mehrere Griechische Philosophen den Satz aufgestellt hatten, der Weise thue am besten, wenn er sich, ganz ohne alle Rücksicht auf äußere Lebensverhältnisse, der Wissenschaft widme und hingebe, und diese Ansicht sogar an dem Schüler des Aristoteles, dem Theophrastus, einen Vertheidiger gefunden hatte; so mußte Cicero hier diesen von ihm sonst hochverehrten Mann zu widerlegen suchen; und da Epikurus und seine Schule denselben Grundsatz als ganz nothwendig und wahr zu vertheidigen pflegten; so wurde ohne Zweifel auch gegen diese gekämpft, die ohnedieß gar oft die Zielscheibe seines Witzes waren. Den Raum, den das in der ersten Lücke Gesagte einnahm, mochten also wohl die Gründe der Gegner, ihre Einwendungen, Ausflüchte, nebst Cicero's Gegengründen ausfüllen, vielleicht auch diejenigen Gründe eingeflochten oder angedeutet seyn, welche von Dicäarchus in einer eigenen Schrift gegen die Ansicht des Theophrastus vorgebracht worden waren. Vielleicht mochte auch P. Rigidius Figulus mit Ehren erwähnt worden seyn, welchem, nach Plutarchus, 36 Cicero das Zeugniß gegeben haben soll, Rigidius sey es, dessen Grundsätze und Rath er in der Verwaltung seines Consulats zum größten Heil des Vaterlandes befolgt habe. Und Dieß konnte dann den Uebergang bilden auf die großen Männer Roms, die, weit entfernt, ihren geraden Sinn durch philosophische Theorien sich verdorben zu haben, oder zur Erwählung des Rechten erst durch weit hergeholte Gründe und Maximen gebracht werden zu müssen, durch ihr richtiges, und nicht blindes, Gefühl zum Wirken für das Vaterland hingeleitet worden waren.

Erstes Buch.

[Der Anfang fehlt. 37]

1. – – [von der Gallier] Einfall befreit; nicht C. Duellius, 38 Aulus Atilius, L. Metellus von dem furchtbar herandrohenden Karthago; nicht hätten die beiden Scipione 39 den schon anflammenden Brand des zweiten Punischen Krieges mit ihrem Blute gelöscht; nicht hätten ihm, als er mit verstärkter Streitkraft sich erhob, Quintus Maximus 40 den Lebensnerv abgeschnitten, oder M. Marcellus 41 ihn gelähmt, oder P. Africanus ihn von den Thoren dieser Stadt weggeschlagen und in den Umkreis der feindlichen Mauern eingezwängt. Dem M. Cato 42 aber, einem Manne ohne frühern Ruhm und Ahnen, der für uns Alle, die wir gleiches Streben haben, gleichsam Vorbild für die Richtung unserer Thätigkeit und würdigen Gesinnung bleibt, stand es doch gewiß frei, zu Tusculum in Muße ein behagliches Leben zu führen, an einem gesunden und [dabei von der Stadt] nicht weit entfernten Orte. Allein dieser unsinnige Mensch (dafür sehen ihn wenigstens Jene an) wollte lieber, ungeachtet ihn kein [äußerer] Zwang nöthigte, sich von diesen Wogen und Stürmen bis in das höchste Alter herumtreiben lassen, als in jener stillen Zurückgezogenheit und Muße auf's Angenehmste leben. Ich unterlasse die Aufzählung unendlich vieler Männer, von denen Jeder an seinem Theile diesem Staate Heil gebracht hat; auch schließe ich hier die Aufführung Derjenigen, die der Erinnerung unserer Zeit nicht unmittelbar nahe liegen, damit nicht Jemand sich beklage, als ob entweder er oder Einer der Seinigen wäre übergangen worden, und beschränke mich blos auf die entschiedene Erklärung, daß in der menschlichen Natur eine solche [innere] Nöthigung zur Tugend, und ein solcher Drang, das Gemeinwohl zu vertheidigen, liege, daß dieser Trieb über alle Reize der Sinnenlust und [behaglichen] Muße die Oberhand gewonnen hat.

2. Dabei genügt es denn freilich nicht, die Tugend, wie irgend eine Kunstfertigkeit, zu besitzen, ohne sie in's Leben treten zu lassen. Wiewohl man eine Kunst, auch ohne sie auszuüben, doch wirklich als ein Wissen besitzen kann; die Tugend aber besteht, ihrem ganzen Werthe nach, blos in der Ausübung; ihre bedeutendste Ausübung findet sie aber in der Leitung des Staates, und in der thatsächlichen, nicht blos besprochenen Ausführung gerade derjenigen Dinge, [über] welche jene [Philosophen] in ihren Winkeln [ihre Weisheit] erschallen lassen. Denn über keinen Satz, der nämlich wahr und würdig vorgetragen wird, sprechen sich die Philosophen aus, der nicht von Jenen zuerst aufgestellt und begründet worden wäre, welche in den Staaten die Rechtsverhältnisse festgestellt haben. Denn wo liegt die Quelle der Frömmigkeit, wo der Ursprung der Gottesverehrung? woher stammt das Völkerrecht, oder das, was wir das bürgerliche Recht nennen? woher Gerechtigkeit, Treu und Glauben, [woher] Billigkeit? woher Scheu vor Unedelm, Enthaltsamkeit, Widerwille gegen Schimpfliches, Streben nach Lob und Ehrbarkeit? woher [endlich] Muth und Ausdauer bei Anstrengungen und in Gefahren? Offenbar von Denen, welche dieß [den Völkern] durch Belehrung angebildet, und einen Theil davon durch Sitte und Herkommen festgegründet, einen andern durch Gesetze heilig und unverletzlich gemacht haben. Erzählt man doch bestimmt vom Xenokrates, 43 einem ausgezeichnet berühmten Philosophen, er habe auf die Frage, was denn seine Schüler erzwecken, geantwortet: das, daß sie Dasjenige aus innerm Triebe thun, wozu sie durch die Gesetze angehalten würden. Daher überwiegt Der, welcher die Gesammtheit der Staatsbürger, durch das Machtwort des Gebots und die von den Gesetzen bestimmte Strafe, zu Dem bringt, wozu die Philosophen durch ihre Vorstellungen kaum Wenige zu bewegen vermögen, an Werth selbst die Lehrer, die hierüber ausführliche Vorträge halten. Denn gibt es wohl einen so ausgezeichnet werthvollen Vortrag, der einem durch öffentliches Recht und Sitte gut eingerichteten Staate vorzuziehen wäre? Und wirklich wie ich

– – Städte von Macht und gewaltiger Herrschaft, (um mich eines Ausdrucks des Ennius zu bedienen 44) für [wichtiger und] mehr Werth hatte, als kleine Dörfer und Castelle; so bin ich der Ansicht, daß Diejenigen, welche diesen Städten mit Rath und Ansehen vorstehen, gerade an Weisheit weit über Diejenigen zu stellen seyen, die ohne alle Theilnahme an öffentlichen Geschäften leben. Und weil uns ein besonderer innerer Drang antreibt, die werthvollsten Güter des Menschengeschlechts zu vermehren, und wir durch unsere innere und äußere Thätigkeit die Menschheit in einen gesichertern und an Besitzthum reichern Zustand zu bringen streben, auch die Natur uns selbst zu dieser Neigung anspornt; so laßt uns auf dieser Bahn, die stets nur die Besten betreten haben, kräftig vorwärts streben, und gar nicht auf die Signale Derjenigen achten, die zum Rückzug blasen, um auch Diejenigen zurückzurufen, die schon weit voran sind. 45

3. Diesen so schlagenden und einleuchtenden Gründen werden von Seiten Derjenigen, welche das Gegentheil vertheidigen, erstens die Beschwerden entgegengesetzt, denen man sich bei Vertheidigung des Vaterlandes unterziehen muß: ein Gegengrund, der bei einem rührigen und thätigen Manne nicht viel wiegt, und der nicht blos bei Dingen von solcher Wichtigkeit, sondern auch bei weniger bedeutenden Bestrebungen oder Dienstleistungen oder gar im Geschäftsleben durchaus nicht in Anschlag kommen sollte. Da spricht man auch noch von Lebensgefahren, und will durch die Todesfurcht tapfern Männern einen Schrecken einjagen, die ihnen als etwas Schimpfliches erscheinen muß, da sie mehr Das zu beklagen finden, daß Natur und Alter die Lebenskraft verzehrt, als daß ihnen Veranlassung gegeben werde, das Leben, mit dem sie doch einmal die Schuld der Natur abtragen müßten, gerade dem Vaterlande aufzuopfern. Kommen jene Gegner aber gar auf die Zusammenstellung der Unfälle der ruhmwürdigsten Männer und auf die Kränkungen zu sprechen, die diese von dem Undank ihrer Mitbürger zu erdulden hatten, da glauben sie dem Strome ihrer Beredsamkeit eine recht weite Bahn geöffnet zu sehen. 46 Da bringen sie denn nicht nur jene Beispiele aus der Griechischen Geschichte vor, wie Miltiades, der Besieger und Bändiger der Perser, ehe noch die Wunden geheilt waren, die er vorne am Körper bei dem ruhmvollsten Siege erhalten, sein Leben, das den feindlichen Geschoßen nicht unterlag, im Kerker habe in den Fesseln aufgeben müssen, die ihm seine Mitbürger angelegt; 47 wie Themistokles aus dem Vaterlande, das er befreit, verstoßen und verscheucht, nicht in die von ihm geretteten Seehäfen Griechenlands, sondern in die Buchten des Barbarenlandes sich habe flüchten müssen, das die Schwere seines Armes gefühlt hatte – doch es fehlt ja nicht an Beispielen von Wankelmuth und Grausamkeit der Athener gegen ihre geachtetsten Bürger: ein Benehmen, wovon sie die ersten, und recht zahlreiche, Beispiele gaben, und das sich, wie Jene sprechen, auch in unsern Staat herüber verbreitete, der sonst stets in ernster Haltung nach festen Grundsätzen verfuhr. Da führt man die Verbannung des Camillus auf, die Kränkung des Ahala, 48 den auf den Nasika geworfenen Haß, die Vertreibung des Länas, die Verurtheilung des Opimius, die Flucht des Metellus, das tiefkränkende Unglück des C. Marius, die Ermordung der ersten Männer des Staats, und den Untergang der Vielen, welcher bald darauf erfolgt ist. Ja selbst meinen Namen ziehen sie schon in dieses Register herein; und, vermuthlich weil sie sich durch meine Entschlossenheit und meine bestandenen Gefahren in dem Genusse jenes Lebens und ihrer Muße geschützt glauben, bekommt ihre Klage über mein Geschick noch einen besondern Anstrich von tiefem Gefühl und von Zuneigung. Allein nicht leicht vermöchte ich anzugeben, warum, da sie selbst, um sich Kenntnisse zu sammeln, oder ihre Schaulust zu befriedigen, über Meere schiffen. 49 [Lücke von zwei Seiten.]

4. * * * 50 ich in öffentlicher Volksversammlung den, vom Volke wiederholten, Schwur bei'm Niederlegen meines Consulats ablegte; daß [das Vaterland durch mich] gerettet sey; leicht mich über das Bittere und Schmerzende aller [vorangegangenen] Kränkungen tröstete. Wiewohl all mein Mißgeschick von mehr Ehre als Drangsal begleitet war, und der Ruhm, den es mir gewährte, seine Beschwerden weit überwog; ja die Freude, von den ächten Vaterlandsfreunden zurückersehnt zu werden, größer war, als die Kränkung, die Uebelgesinnten triumphiren zu sehen. Doch, wie gesagt, 51 hätten sich die Ereignisse auch anders gestaltet, wie dürfte ich klagen? wäre mir doch gar nichts Unerwartetes, nichts Härreres, als ich vermuthet hatte, 52 für meine so einflußreichen Thaten zu Theil geworden! Ich war ja, ungeachtet ich entweder in genußreicherer Muße, als Andere, leben konnte, weil mir die von Jugend auf mit Lust getriebenen mannichfachen Studien die angenehmste Beschäftigung gewährten; 53 oder, falls ein allgemeines Unglück hereingebrochen wäre, nicht ein besonderes schlimmes, sondern ein dem der Uebrigen gleiches Loos zu gewarten hatte; [war ich doch, sage ich,] unbedenklich den furchtbarsten Stürmen, ja fast den Blitzen 54 sogar zur Rettung meiner Mitbürger entgegengetreten, und hatte durch meine persönliche Gefahr die gemeinsame Ruhe der andern Bürger erstrebt. Denn nicht unter der Voraussetzung hat das Vaterland uns erzeugt und erzogen, daß es von uns keine Art von Nährgeld erwartete, und, blos unserer Behaglichkeit Vorschub leistend, uns einen gesicherten Zufluchtsort für ein Leben in Muße und einen ungestörten Ruhesitz gewährte; nein, sondern um recht viele und die bedeutendsten Kräfte unseres Gemüthes, unseres Geistes und unserer Einsicht zu seinem Nutzen in Anspruch zu nehmen, für unsere persönlichen Zwecke aber uns so viel Spielraum zu lassen, als es, ohne sich selbst Eintrag zu thun, gewähren konnte.

5. Jene Ausflüchte aber, die sie zu ihrer Entschuldigung vorbringen, um ihre Muße ungestörter zu genießen, verdienen gar nicht einmal angehört zu werden; wenn sie zum Beispiel sagen: es drängen sich zu der Staatsverwaltung in der Regel Leute von nichtswürdigem Charakter; neben die sich zu stellen, erniedrigend, sich mit ihnen herumzuschlagen aber, besonders wenn sie die Menge aufgereizt hätten, unheilbringend und gefährlich sey. Aus diesem Grunde sey es weder weise, die Zügel zu ergreifen, 55 da man die tolle und unbändige Leidenschaft des Pöbels doch nicht bändigen könne; noch anständig, sich mit verächtlichen und rohen Gegnern herumzubalgen, und dabei entweder sich höhnender Mißhandlung auszusetzen, oder sich Kränkungen bloß zu stellen, die der Weise nicht an sich kommen lassen dürfe: 56 als ob es für Männer von Edelsinn, von Muth und Seelengröße einen dringendern Grund geben könnte, dem Vaterlande ihre Dienste zu weihen, als den, den Schlechtgesinnten nicht gehorchen zu müssen, und den Staat nicht von solchen Menschen zerfleischen zu lassen, wo sie dann, wenn es so weit gekommen ist, bei allem guten Willen nicht mehr helfen können. 57

6. Wer kann aber nun vollends jener Einwendung Recht geben, wenn sie sagen, der Weise werde in keiner Hinsicht Theil an Staatsgeschäften nehmen, außer wenn ihn die Umstände oder die gebieterische Nothwendigkeit dazu zwingen? Als ob irgend einem Menschen eine dringendere Nöthigung vorkommen könnte, als mir vorkam! Was hätte ich in jenem Falle thun können, wenn ich nicht Consul gewesen wäre? Wie konnte ich aber Consul seyn, wenn ich nicht von Jugend an die Laufbahn verfolgt hätte, vermöge der ich, obwohl [nur] im Ritterstande geboren, dennoch zum höchsten Range emporsteigen konnte. 58 Es steht demnach Einem nicht frei, dem Vaterlande so gleichsam aus dem Stegreife, und wann man gerade will, Hülfe zu leisten, so sehr es auch von Gefahren bedrängt seyn mag, wenn man nicht auf einem Standpunkte steht, wo man dazu befugt ist. Und da kommt mir immer besonders Das in den Aeußerungen jener gelehrten Männer sonderbar vor, daß sie, ungeachtet sie eingestehen, sie verstehen das Staatsschiff selbst bei ganz ruhigem Meere nicht zu lenken, da sie Dieß weder gelernt, noch nach der Kenntniß davon je getrachtet hätten, auftreten und sagen, sie werden sich an das Steuerruder stellen, wenn die Fluten recht heftig empört aufwallen. 59