Vom Unglück der Tugend - Marquis de Sade - E-Book

Vom Unglück der Tugend E-Book

MARQUIS DE SADE

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Beschreibung

Ein scharfzüngiges Brevier, gespickt mit Kernsätzen und aphoristischen Kürzeln, die das Denken des Philosophen in Ketten, dieses schwarzen Klassikers aus den Grüften des Parnass, schlaglichtartig erhellen.

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Inhalt

I Gott und die Gesellschaft der Blinden

II Philosophisches

III Über die Natur

IV Natur und Verbrechen

V Liebe, Lust und Eifersucht

VI Glück und Unglück

VII Über Tugend und Laster, Dummheit, Heuchelei und andere Eigenschaften

VIII Über Staat und Regierung

IX Über Tyrannen und deren Diener

X Von den Gesetzen

XI Von den Strafen

XII Der Mensch in der Folter

Statt eines Nachworts

Quellenangaben

I. GOTT UND DIE GESELLSCHAFT DER BLINDEN

Wenn ihr eure Religion auf einen Gott bauen wollt, so sorgt wenigstens dafür, dass dieser Gott ohne Fehler sei; hat er deren aber so viele wie der eure, so wird man bald auch die auf ihm beruhende Religion verachten. (1)

Kann man einer Religion denn Vertrauen und Achtung schenken, wenn sie sich auf einen Gott verlässt, der eine Unzahl seiner Geschöpfe ewig bestrafen muss für Begierden, die er ihnen selber eingepflanzt hat? (2)

Wenn es wahrlich einen Gott gäbe, einen Herrn und Schöpfer der Welt, so wäre er, gemessen an den Vorstellungen seiner Verfechter, zweifellos das bizarrste, grausamste, bösartigste und blutrünstigste aller Wesen, das hinreichend zu hassen, zu verabscheuen, herabzusetzen und zu erniedrigen unsere Kraft viel zu gering wäre. (3)

Ach, lieber Freund, wenn der Gott, den du predigst, wahrlich existierte, brauchte es dann zur Gründung seines Reiches der Wunder, der Martyrien und Prophezeiungen? Und wenn, wie du vorgibst, das Herz des Menschen sein Werk wäre, hätte er es dann nicht zur frommen Bewahrung seines Gesetzes erwählt? (4)

So zeige dich denn, aber nicht im brennenden Dornbusch, wie du angeblich dem guten Moses erschienen bist, nicht über dem Berg, wie du dich dem gemeinen Leprosen gezeigt hast, der sich als deinen Sohn ausgab; zeige dich vielmehr mit dem Gestirn, dessen du dich bedienst, um die Menschheit zu beleuchten: möge sie erkennen können, wie deine Hand es führt; diese entscheidende Welttat dürfte dir doch nicht schwerer fallen als all die geheimen Wunder, die du angeblich jeden Tag vollbringst. (5)

Gegenüber jener schönen Schimäre, die man mit dem Namen Gott versieht, sind wir diese Gesellschaft von Blinden; wir haben uns etwas vorgestellt, das wir für notwendig hielten, das aber keinen anderen Daseinsgrund besitzt als den, dass wir glaubten, ihn schaffen zu müssen. (6)

Der Gedanke an einen Gott überkommt die Menschen immer nur, wenn sie fürchten oder hoffen. (7)

Du hast guten Grund, dich zu verstecken! Die Verwünschungen regneten auf dich herab, erschiene dein scheußliches Angesicht jemals den Menschen; diese Unglücklichen würden im Aufstand gegen diese Schöpfung bald den, der sie vollbracht hat, zermalmen. (8)

Die Furcht schuf Götter, und die Hoffnung hielt sie aufrecht. (9)

Die friedlichen Menschen, mit nichts anderem mehr beschäftigt als mit ihrem Glück, werden merken, dass die Moral, auf der dieses Glück beruht, keiner Märchen bedarf, und es schließlich jede Tugend entehren und schmähen hieße, häufte man sie auf die Altäre eines lächerlichen und eitlen Gottes, der zu Staub zerfällt, sobald die Vernunft ihn nur streift. (10)

Beweise mir die Trägheit der Materie, und ich werde dir einen Schöpfer zugestehen; beweise mir, dass die Natur sich nicht selbst genügt, und du magst einen Meister voraussetzen; bis dahin aber erwarte nichts von mir, ich lasse mich nur von Tatsachen überzeugen, und diese erfahre ich allein durch meine Sinne. (11)

Mir ist lieber, an keinen Gott zu glauben, als mir einen zu schmieden, den ich hernach hasse. (12)

Über meine Sinne hinaus vermag ich nichts ernstlich zu glauben. Ich glaube an die Sonne, weil ich sie sehe. Ich begreife sie als die zentrale Vereinigung der gesamten brennbaren Materie in der Natur; ihr periodischer Gang gefällt mir, ohne mich zu erstaunen. (13)

Nicht auszudenken, wie wichtig es wäre, die finsteren Altäre dieses Schreckensgottes endlich umzustülpen: solange derlei verhängnisvolle Hirngespinste immer aufs Neue entstehen können, wird es für die Menschen weder Rast noch Ruhe geben auf Erden, und die Fackel der Religionskriege wird unaufhörlich über unseren Köpfen schweben. (14)

Es ist völlig unmöglich, zu glauben, was man nicht begreift. Zwischen Begreifen und Glauben müssen unmittelbare Beziehungen bestehen. Begreifen ist die Hefe des Glaubens; wo das Begreifen nicht wirksam wird, ist der Glaube tot, und die vorgeben, ihn dennoch zu haben, sind Heuchler. (15)

Was denn verspürt ihr nach zwei oder drei Stunden eurer mystischen Gottesverehrung? Ein kaltes Nichts, eine fürchterliche Leere, die eure Sinne ohne jeden Gewinn entlässt, so als hättet ihr Träume angebetet oder Schatten! (16)

Bedarf euer Herz eines Kultes, so möge es sich den greifbaren Gegenständen seiner Leidenschaft widmen; wenigstens wird es etwas Wirkliches sein, das euch zufriedenstellt, wenn eure Verehrung der Natur gilt. (17)

Was wird aus dem, der gut ist? mögt ihr mich fragen. Aber es gibt keinen, der gut wäre; der, den ihr tugendhaft nennt, ist nicht gut, und ist er es vor euch, so bestimmt nicht Gott gegenüber, der ja das Böse verkörpert, nur das Böse liebt und nichts anderes verlangt als das Böse. (18)

An die Unsterblichkeit der Seele zu glauben, heißt überzeugt zu sein von der Existenz einer Sache, die sich durch keinerlei wirkliche Vorstellung fassen lässt; heißt an Worte zu glauben, ohne mit ihnen den geringsten Sinn verbinden zu können. Zu behaupten, eine Sache sei vorhanden, wenn man sie benennen kann, ist das Höchstmaß an Torheit und Eitelkeit. (19)

Die Furcht vor der Hölle ist keineswegs ein Schutz gegen die Sünde. Ihre Existenz ist nirgends bezeugt. Offensichtlich ist sie nur eine Ausgeburt der ungezügelten Phantasie von Priestern, - Individuen also, aus denen sich der widerwärtigste und gemeinste Stand der Gesellschaft zusammensetzt... (20)

Die Theologen halten deshalb so wenig von der Materie, weil Vertrautheit nur Verachtung erzeugt. Wenn sie behaupten, die Seele sei wertvoller als der Körper, so sagen sie uns damit bestenfalls, dass, was sie nicht kennen, unendlich viel schöner sein müsse als das, wovon sie einen schwachen Schimmer haben. (21)

Über fünfzig Millionen Menschen sollen bei den Massakern der Religionskriege geopfert worden sein. Ist denn ein einziger dieser Kriege auch nur das Blut eines Vogels wert gewesen? Und muss die Philosophie sich nicht bewaffnen von Kopf bis Fuß, um einen Gott auszulöschen, für den man so viele Wesen abschlachtet, die mehr wert sind als er? Gibt es doch nichts Abscheulicheres, keine dümmere, gefährlichere und ausgefallenere Idee als die eines Gottes. (22)