Von der Liebe und den Träumen - Soey Noir - E-Book

Von der Liebe und den Träumen E-Book

Soey Noir

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Beschreibung

Liebe in den unmöglichsten Situationen. Träume, die wahr werden. Versunkene Welten und fantastische Wesen. All dies und noch viel mehr findet sich in diesen Kurzgeschichten. Denn nicht einmal im Traum hätte Lisa daran gedacht, ihr Glück tausende Meter unter dem Meer zu finden. Genauso wenig wie Victoria. Ausgerechnet auf der Jagd nach einem skrupellosen Killer findet die Vampirin ihre wahre Liebe. Dass Liebe manchmal verboten ist, wissen eine junge Magierin und ein Königssohn nur zu gut. Ob sie dennoch um ihre Liebe kämpfen werden? Von ihnen und von der Macht, die in Träumen schlummern kann, erzählen diese kleinen Geschichten. So verschieden sie auch sein mögen, laden alle dazu ein, sich eine kurze Pause von der Hektik des Alltags zu gönnen und in ihre magischen Welten einzutauchen. Sei es in einer versunkenen Stadt, einer Universität oder auf der Jagd nach einem Killer. Überall lässt sich die Liebe finden. Wenn auch manchmal nur im Traum.

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Inhaltsverzeichnis

DIE REISE ZUM GLÜCK

DER VALENTINSZAUBER

66 STUNDEN

GEGEN JEDE MORAL

NUR IM TRAUM

AUF DEM MASKENBALL

DER GERUCH SEINES LEBENS

DIE MACHT DEINER LIEBE

NÄCHTLICHE BEGEGNUNG

ENDLICH VEREINT

DES ENGELS ERWACHEN

NACHTSCHWÄRMERWALZER

REINKARNATION

SCHMERZ DER EINSAMKEIT

GEFÄHRLICHE LEIDENSCHAFT

DIE REISE ZUM GLÜCK

Langsam sank die ›Haminas‹ dem Meeresgrund entgegen. An Bord des modernsten U-Boots der Welt bereiteten sich die Wissenschaftler um Professorin Maria Stephanson und Professor Janus Meyer darauf vor, bald am Ziel ihrer Reise zu sein. Alle waren gespannt ob und wenn ja, was sie finden würden. Im Endeffekt war ihre Expedition eine Reise ins Ungewisse.

Die Professorin stand am großen Sichtfenster im Bug des U-Bootes und starrte in die dunklen Weiten des Meeres. Ihre Schultern waren so starr und durchgedrückt, dass sich ihr Kollege, Professor Meyer, bereits seit ein paar Stunden fragte, wie sie das aushielt.

Klar haben wir Jahre gebraucht, um diese Expedition vorzubereiten und die nötigen Mittel zur Finanzierung zu bekommen, sinnierte er stumm. Warum ist sie jetzt so angespannt? So kurz vor unserem Ziel. Entweder finden wir etwas oder nicht.

Nach vielen tausend Stunden Vorbereitung waren sie auf dem Weg zum Meeresgrund und damit ihrem Ziel: Die versunkene Stadt, die zu ihren Zeiten auf der Wasseroberfläche noch den Namen ›Noyres‹ getragen hatte.

Niemand konnte erahnen, was sie erwarten würde. Ob die versunkene Stadt noch stand oder ob sich der Meeresboden die Ruinen der Stadt nicht längst einverleibt hatte. Dessen ungeachtet war sich das ganze Team sicher, dass diese Reise alle Strapazen und Widrigkeiten wert sein würde. Sie alle hofften, die Ruinen der Stadt zu finden und endlich aufdecken zu können, wieso die Stadt, einst ein blühendes Handelszentrum, von einem auf den anderen Tag im Meer versunken war. Niemand der Wissenschaftler, die sich mit ungewöhnlichen Phänomenen beschäftigten, konnte sich dieses Ereignis erklären. Jetzt kurz davor zu stehen, dieses Rätsel vielleicht lösen zu können, trieb die kleine Gruppe um die beiden Professoren an.

»Professor Meyer, kommen Sie sofort her! Das müssen Sie sich ansehen.« Der Ruf der Professorin lockte nicht nur den Gerufenen, sondern die gesamten Wissenschaftler der Expedition an das große Fenster. Es verschlug ihnen die Sprache, als sie sahen, was die Professorin in helle Aufregung versetzt hatte. Einige hundert Meter unter ihnen wurden die Lichtstrahlen der Suchscheinwerfer des U-Boots von einer gewaltigen, gläsernen Kuppel zurückgeworfen. Unter dieser Kuppel glaubten sie, die schemenhaften Umrisse einer Stadt zu erkennen. Die riesige Ruinenlandschaft um die Kuppel herum, fand bei den Wissenschaftlern nur wenig Beachtung. Viel zu sehr fesselte sie der Anblick der schillernden Kuppel mit den schemenhaften Umrissen der Stadt.

»Wir haben es gefunden«, hauchte die Biologin des Teams, Lisa McQuin, beinahe ehrfürchtig. »Die versunkene Stadt existiert! Es gibt sie wirklich!« Die anderen waren noch viel zu stark in der Betrachtung der Kuppel vertieft, um ihre Worte zu registrieren. Erst der spitze Schrei der Biologin ließ alle aus ihrer Starre erwachen. Besorgte Gesichter drehten sich zu der jungen Frau um, die kreidebleich geworden war und mit zitternder Hand aus dem Fenster deutete. Als sich Professor Meyer dem Fenster erneut zuwandte, war alles, was er noch sah, ein riesiges Maul voller spitzer Zähne, welches sich direkt vor dem U-Boot sperrangelweit öffnete und das gesamte Boot verschluckte.

Das ist das Ende, waren die letzten Gedanken des Professors, ehe alles um ihn herum schwarz wurde und er, genau wie alle anderen an Bord, in Ohnmacht sank.

Das Erste, was der Professor spürte, als er zu sich kam, war, dass er auf etwas Weichem lag und die Luft um ihn herum wunderbar warm war. Verwirrt versuchte er sich zu erinnern, was geschehen war, doch sein Gehirn wollte ihm nicht helfen. Nach einigen Momenten vergeblichem Nachdenken beschloss er, vorsichtig die Augen einen Spalt breit zu öffnen, um zu sehen, wo er war. In dem Moment, als er die Augen öffnete, glaubte er zu träumen. Direkt vor dem Bett, in dem er lag, schwebte, oder eher schwamm, ein Fisch, der ein Tablett voller kleiner Phiolen an einer Schnur hinter sich herzog. Blinzelnd versuchte der Professor sich umzusehen, nur um im nächsten Moment vor Schreck zu schreien. Ein kleiner Krake war neben ihm aufgetaucht und wechselte in aller Seelenruhe, vom Professor bis zu diesem Augenblick unbemerkt, einen Verband an seinem Bein.

Sein Schrei schien das Tier zu erschrecken, da es die Verbände fallenließ und eilig davoneilte. Doch lockte der Schrei auch eine junge Frau in grüner Kleidung an sein Bett. Als sie ihn ansprach, verstand der Mann kein Wort. Zwar meinte er ein paar Wortfetzen als seine Muttersprache, Mittelhochdeutsch, zu erkennen, doch war er sich nicht sicher. Bedauernd schüttelte er den Kopf und zuckte mit den Schultern.

Wenn ich träume, dachte er sich, kann ich genauso gut versuchen, mit der Frau, die allem Anschein nach eine Medizinerin ist, in Kontakt zu treten.

»Ich verstehe Sie nicht«, begann er langsam. »Ich spreche nur Deutsch, Französisch, Englisch, Japanisch oder Spanisch.« Die Frau sah ihn einen Moment mit hochgezogener Augenbraue und gefurchter Stirn an, ehe sie einen Namen rief. Zumindest vermutete der Professor dies, da auf den Ruf hin eine ältere Dame zu den beiden geeilt kam. Sie wechselte ein paar Worte in dieser komisch klingenden Sprache mit der jungen Frau, ehe sie sich dem Liegenden zuwandte und ihn in nahezu perfektem Mittelhochdeutsch ansprach: »Es ist gut, dass Sie wach sind. Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht. Wie fühlen Sie sich?«

Erstaunt brauchte der Professor einen Moment, bevor er antworten konnte: »Ich fühle mich ganz gut. Nur etwas müde. Sagen Sie, können Sie mir sagen, wo ich bin, und was passiert ist? Ich träume doch wohl?« Er hatte sich dazu entschlossen seinen Traum zu fragen, ob er träumte. Das ist bisher immer eine sichere Methode gewesen, um aufzuwachen. Doch leider schien es diesmal nicht zu funktionieren, denn die Dame setzte sich auf den Stuhl neben seinem Bett und schüttelte dabei den Kopf.

»Sie träumen nicht, Professor«, fing sie an. »Es ist vielmehr so, dass Sie im Hospital liegen, weil Ihnen die Ankunft in unserer kleinen Stadt nicht sonderlich gut bekommen ist. Sie und ihre Gefährten haben ein Medikament nicht vertragen und mussten ärztlich behandelt werden. Ihre Kollegen sind alle längst bei Bewusstsein und warten in einem Konferenzraum auf Sie, damit wir Ihnen allen gemeinsam erklären können, wo Sie sind, und was passiert ist.«

Die Worte der Dame ergaben für den Professor zwar keinen Sinn, doch die Erwähnung seiner Kollegen brachte die Erinnerung an das Maul voller Zähne zurück, welches seine Kollegen und ihn samt dem U-Boot verschlungen hatte.

Als er deutlich blasser wurde, riss ihn die Stimme der Dame aus den Gedanken. Sie hielt ihm auffordernd eine Hand entgegen und wiederholte ihre eben gesprochenen Worte: »Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihren Kollegen. Bald werden Sie alles verstehen.« Der Professor wusste nicht, warum er aufstand und der unbekannten Dame folgte.

Wahrscheinlich ist es der Wunsch, meine Kollegen zu sehen und mich zu vergewissern, dass es ihnen gutgeht. Der Mann war so durcheinander, dass er nicht einmal bemerkte, dass die junge Frau den Verband um sein Bein erneuert hatte, während er mit der Fremden ins Gespräch vertieft war.

In einem großen Nachbarzimmer saß das ganze Expeditionsteam und lächelte ihn erleichtert an, als sie ihn sahen. Seine Kollegin stand auf und umarmte ihn zur Begrüßung.

»Wir sind froh, Sie wohlauf und munter zu sehen, Prof«, wurde er direkt von seinem Mitarbeiter, Mark Holler, dem Geologen des Teams, begrüßt. Er nickte dem jungen Mann freundlich zu, ehe er sich auf den angebotenen Stuhl gleiten ließ.

»Was ist geschehen?«, wandte er sich an die Runde. »Und wo sind wir hier?«

Die Dame, die ihn hergeleitet hatte, ergriff das Wort, ehe jemand anderes etwas sagen konnte: »Sie wurden von unserem Wächter außerhalb der Stadt aufgegriffen und zu uns ins Hospital gebracht. Wo Sie sind, ist einfach erklärt. Sie befinden sich im Hospital von Noyres. Für Sie besser bekannt als ›Die versunkene Stadt‹.«

Ihre Worte verschlugen dem Team die Sprache. Sie hatten es wirklich geschafft und die versunkene Stadt gefunden. Nur, dass sie nicht, wie erwartet, ein Schutthaufen war, sondern sich als bewohnte Stadt entpuppte.

Bevor einer der Wissenschaftler etwas sagen konnte oder auch nur seine Sprache wiedergefunden hatte, ging die Tür auf und der blaurot gestreifte Fisch, den Professor Meyer von seinem Bett aus bereits gesehen hatte, kam herein. Auf dem Tablett, welches er hinter sich her zog, standen mehrere kleine Phiolen; alle mit einer blauen Flüssigkeit gefüllt. Die Dame nahm sich eine und wartete, bis alle anderen es ihr gleich getan hatten, ehe sie sich bei dem Fisch, mit Namen Norbert, bedankte und die Phiole mit den Worten »Auf Ihr Wohl und Ihre Entdeckung der versunkenen Stadt« entkorkte, um sie in einem Zug zu leeren. Um der Höflichkeit Genüge zu tun, taten die Wissenschaftler es ihr gleich. Viel zu perplex wegen des schwebenden Fisches, als dass sie sich Gedanken um den Inhalt der Phiole machten. Kaum hatten sie die Phiolen geleert, wurde ihnen auch schon mollig warm und sie merkten, dass sie sich entspannten. Genauso schnell wie sich dieses Gefühl in ihnen ausbreitete, kam das Entsetzen hinzu, dass sie ohne nachzudenken etwas Fremdes getrunken hatten.

»Machen Sie sich keine Sorgen, wir vergiften Sie nicht«, beruhigte sie die Dame, welche den Stimmungsumschwung zu erspüren schien, bevor er zu einer ausgewachsenen Panik werden konnte. »In den Phiolen war eine Medizin, die es Ihnen ermöglicht, sich in der Stadt zu bewegen, ohne zu ertrinken.« Auch wenn ihre Worte gut gemeint waren, beruhigten sie die Wissenschaftler nicht einmal annähernd. Professorin Stephanson sprach schließlich mit fast schon panischer Stimme die Frage aus, die allen auf der Zunge lag: »Was meinen Sie damit, dass wir ertrinken könnten?«

Ein sanftes Lächeln umspielte die Gesichtszüge der Dame, als sie betont ruhig antwortete: »Sie befinden sich in der versunkenen Stadt. Wie denken Sie denn, dass wir atmen? Mehrere tausend Meter unter dem Wasserspiegel?« Während sie sprach, hob die Frau ihre Haare an und entblößte ihren Hals. Entsetzen packte die Wissenschaftler von Neuem, als sie die Kiemen sahen, die die Dame seitlich am Hals hatte. Das Entsetzen steigerte sich zu Grauen, sobald sie sich voller Panik an den Hals fassten und dort ebenfalls Kiemen spürten. Das war zu viel für die angespannten Nerven der Menschen. Beinahe gleichzeitig wurde allen schwarz vor Augen und sie fielen in Ohnmacht.

Geduldig wartete die Dame darauf, dass sich ihre Gäste von dem Schock erholten und aufwachten. Lange musste sie nicht warten, bis sich der erste Mensch regte. Natürlich wusste sie, dass auf die Menschen ein weiterer Schock warten würde, sobald sie die Augen öffneten. Schließlich war der Trank in der Phiole nicht dafür gedacht, dass ihnen Kiemen wuchsen, die hatten sie mit der Ankunft in der Stadt bekommen, sondern, dass ihnen die Augen im wahrsten Sinne des Wortes geöffnet werden würden.

Bisher haben die Wissenschaftler nur das gesehen, was ihr Verstand verkraften konnte, sinnierte sie stumm. Doch mit Hilfe des Trankes werden sie jetzt die Wahrheit sehen und ertragen können. Bin ich neugierig, wie sie reagieren werden.

Lisa kehrte als Erste aus ihrer Ohnmacht ins Bewusstsein zurück. Irgendwie hatte sie ein komisches Gefühl beim Atmen. Es war warme und wunderbar reine Luft, die sie atmete. Und doch kam es ihr unwirklich vor. Ihr Verstand brauchte einen Moment, um das Gefühl einordnen zu können. Doch als sie sich erneut bewusstwurde, dass sie durch Kiemen atmete, statt durch ihre Nase, schoss ihr Kopf hoch und sie riss die Augen auf. Ihre Hand flog ein zweites Mal an den Hals und ertastete die Kiemen, während sie glaubte, verrückt geworden zu sein.

Die Dame vor ihr hatte sich verändert, während sie abgetreten gewesen war. Ihr Gesicht war noch genauso gütig, wie sie es in Erinnerung hatte, doch ansonsten schien sie völlig anders zu sein. Das schwarze Haar wogte sanft um ihren Kopf, getragen von der leichten Strömung des Wassers, das Lisa nun auch selbst spüren konnte. Auch die Haut der Dame war bleicher geworden. So bleich, dass man das Blut in den Adern fließen sehen konnte. Nur an den Stellen, an denen sich etwas gebildet hatte, was Lisa an die Schuppen von Fischen erinnerte, waren die Adern nicht zu sehen. Mit der ihr angeborenen Neugier musterte Lisa die Dame weiter. Anstelle von Beinen war der gesamte Unterkörper der Frau eine riesige Flosse, die über und über mit dunkelblau schimmernden Schuppen übersät war. Instinktiv musste Lisa an ihr Lieblingsmärchen aus ihrer Kindheit denken, denn die Frau erinnerte sie an die kleine Meerjungfrau.

Nur eben älter, kam ihr ein Gedanke. Eindeutig eine Übersprungshandlung meines Gehirns, stellte sie einen Moment später nüchtern fest. Eine Hilfe für mich, das alles hier ertragen zu können.

Als Lisa ihren Blick zum zweiten Mal hob und in das lächelnde Gesicht der Dame schaute, errötete sie schlagartig, da sie sich bewusst wurde, wie unhöflich ihr Starren war. Die Dame kam langsam auf die Biologin zu geschwommen und hielt ihr lächelnd die Hand entgegen: »Machen Sie sich keine Sorgen, Lisa. Ich habe damit gerechnet, dass ich gemustert werden würde, sobald Sie und Ihre Kollegen aufwachen. Es freut mich vielmehr, dass Sie die neuen Erfahrungen zu akzeptieren scheinen, ohne gleich wieder in Ohnmacht zu fallen.« Vorsichtig ergriff Lisa die angebotene Hand, an der sie nun Schwimmhäute zwischen den Fingern erkannte.

»Danke für das Kompliment, denke ich. Aber woher kennen Sie meinen Namen?«

»Ich kenne Ihren Namen, weil ich dabei war, als Ihr U-Boot durchsucht wurde. Unser Wächter brachte Sie zu uns, damit wir entscheiden konnten, ob wir Ihnen den Zugang zu unserer Stadt erlauben oder Sie mitten im Meer wieder aussetzen würden, ohne, dass Sie uns gefunden hätten. Der Rat der Stadt hat entschieden, Ihnen den Zugang zu unserer Stadt zu erlauben, nachdem wir herausgefunden hatten, dass von Ihnen keine Gefahr für uns ausgehen würde. Wir sind neugierig, wie die Welt da oben jetzt wohl ist und wollen gleichzeitig wissen, wieso eine Gruppe Wissenschaftler nach uns sucht«, erklärte sie ruhig.

»Aus diesem Grund haben wir Sie hierher gebracht und es Ihnen möglich gemacht, in unserer Welt überleben zu können. Und keine Sorge, der Mannschaft Ihres U-Bootes geht es gut. Sie schlafen geschützt im U-Boot und bekommen von all dem hier nichts mit.« Sie lächelte sanft und deutete auf die Kiemen an Lisas Hals. »Des Weiteren haben wir Ihnen mit dem Trank vorhin ermöglicht, zu sehen wie die Stadt und seine Bewohner wahrhaftig aussehen. Uns war klar, dass Ihr Verstand die Wahrheit verweigern würde, deshalb haben wir etwas nachgeholfen.« Während die Dame sprach, deutete sie an sich herab, wie um ihre Worte zu untermauern. Erneut errötete Lisa, als sie den Worten der Dame lauschte. Dann besann sie sich allerdings auf ihre Manieren.

»Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Ma‘am. Mein Name ist Lisa McQuin. Ich bin die Biologin unseres kleinen Teams.«

»Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Lisa McQuin. Mein Name ist Tamara Orleans. Ich bin die Vorsitzende des Rates der Stadt, die Ihnen als Noyres bekannt ist.«

Bevor sie ihr Gespräch fortführen konnten, erklang leises Stöhnen rund um den Tisch. Die anderen Wissenschaftler erwachten langsam. Genau wie Lisa blickten sie sich, teilweise aus Äußerste entsetzt, um. Dessen ungeachtet lauschten alle gebannt den Worten der Ratsfrau, die ihnen genau dasselbe erklärte, was sie Lisa soeben gesagt hatte. Allen war die Erleichterung anzusehen, dass es ihrer Crew gutging.

Nachdem sich die Menschen wieder beruhigt hatten, schlug die Ratsfrau vor, dass es Zeit wäre, das Hospital zu verlassen und gemeinsam mit den anderen Ratsmitgliedern zu Mittag zu essen. Ihr Vorschlag kam der Neugierde der Wissenschaftler sehr entgegen. Denn sie alle hatten beschlossen, zu schauen, was auf sie zukommen würde. Schließlich waren sie nicht umsonst Wissenschaftler geworden. Sie alle liebten es, das Unerforschte zu erforschen und dabei neue Erfahrungen zu machen. Zumal sie zur versunkenen Stadt gekommen waren, um zu sehen, was aus der Stadt von einst geworden war. Also konnten sie nun genauso gut anfangen ihren Aufenthalt in der Stadt zu genießen und so viel wie möglich über die Stadt und ihre Bewohner zu erfahren.

Neugierig folgten sie der Ratsfrau durch das Hospital.

»Wie kommt es, dass mir ein Tintenfisch den Verband gewechselt hat?«, wollte Professor Meyer wissen, da er keinen Sinn mehr darin sah, seine Neugierde weiter zu unterdrücken. Erstaunt wurde der Mann von seinen Kollegen angesehen. Um seine Worte zu verdeutlichen, zog er kurz sein Hosenbein hoch und zeigte den Verband, der um sein Bein gewickelt war.

»Als unser Wächter Ihr U-Boot fraß, um es zu uns bringen zu können, sind Sie, wie es aussieht, leider etwas unglücklich gefallen und haben sich am Bein verletzt«, erklärte die Ratsfrau, echtes Bedauern in der Stimme. »Der Tintenfisch, den Sie dabei beobachtet haben, wie er Ihren Verband wechselte, ist ein angehender Krankenpfleger. Dr. Quentis, die junge Frau, die Sie nicht verstanden haben, hat ihm erlaubt, sich Ihnen zu nähern, weil sie nicht damit rechnete, dass Sie so bald erwachen würden. Nicht, nachdem Sie eine Weile länger als Ihre Kollegen bewusstlos waren.«

Ein Tintenfisch als angehender Krankenpfleger. Das war etwas, was die Wissenschaftler erst einmal verdauen mussten. Doch die Worte von Frau Orleans brachten gleich die nächste Frage auf.

»Was war das für eine Sprache, die Sie gesprochen haben, Frau Orleans?«, hakte Professor Meyer nach.

»Das war unsere Sprache. Wir haben uns im Laufe der Zeit weiterentwickelt und unserer Umgebung angepasst. Hochdeutsch zu sprechen, ist für unsere Zungen äußerst schwer geworden, seitdem wir Kiemen haben. Infolgedessen hat sich unsere Sprache entwickelt und ähnelt mittlerweile etwas, dass Sie am ehesten mit der Sprache der Delfine vergleichen würden.« Die Antwort der Ratsfrau brachte die Wissenschaftler noch mehr ins Grübeln.

So kam es, dass die Menschen leise blieben, bis sie aus dem Hospital heraustraten. Als sie aus der Tür ins Freie gelangten, blieben sie abrupt stehen. Staunend sahen sie sich um. Hoch über ihren Köpfen konnten sie die Glaskuppel schimmern sehen, die sie schon im U-Boot wahrgenommen hatten. Doch was sie am meisten faszinierte, war nicht die Glaskuppel, oder die vielen verschiedenen Wesen, die auf der Straße unterwegs waren. Nein, es war die Tatsache, dass alles um sie herum zu Leuchten schien und damit die Dunkelheit der Tiefsee vertrieb. Selbst ihre Begleiterin begann sanft zu schimmern, sobald sie das Haus verließ. Es war faszinierend zu sehen, wie jedes Lebewesen schimmerte und leuchtete, sobald es aus einem Haus herauskam. Eine atemberaubende Schönheit ging von all den Lebewesen aus, die um sie herum langsam zum Stillstand kamen, um ihrerseits die Fremden zu mustern, die da neben der Ratsfrau standen.

»Meine lieben Freunde«, begann die Ratsfrau zu sprechen, sobald die Aufmerksamkeit der Bewohner auf den Fremden lag. Ihre Stimme trug weit über den Platz und sorgte für eine beinahe gespenstische Stille. »Wie ihr alle erfahren habt, haben wir zur Zeit Besuch von ein paar Menschen, die sich auf die Suche nach der versunkenen Stadt gemacht haben. Neben mir seht ihr die Wissenschaftler des U-Bootes. Ich verspreche euch, dass ihr alle noch die Möglichkeit haben werdet, sie kennenzulernen. Doch lasst ihnen bis dahin bitte etwas Zeit, sich an alles zu gewöhnen. Immerhin ist es für sie genauso ungewohnt was sie hier sehen, wie es für uns ist, Menschen in unserer Mitte willkommen zu heißen.«

Sofort nickten die Angesprochenen. Selbst die Tiere schienen die Worte der Ratsfrau zu verstehen, denn sie wandten, genau wie die anderen Wesen, ihre Aufmerksamkeit von den Menschen ab, was diese aus ihrer Verlegenheit befreite. Auch wenn sie die Worte der Ratsfrau nicht verstanden hatten, wurde ihnen die Bedeutung doch klar, als sie die Reaktion der Wesen sahen. Dankbar blickten sie ihre fluoreszierende Begleiterin an. Die Ratsfrau nickte den Menschen einfach nur zu, bevor sie sie quer über den Platz zu einem Gebäude führte, welches die Wissenschaftler von alten Fotos der Stadt kannten. Einst war das Gebäude mit dem Namen ›Ratskeller‹ untertitelt und hatte eine Gaststätte beherbergt. Nun war an dem Gebäude ein kleines Schild angebracht, welches verkündete, dass hier der Sitz des Rates der Stadt sei; wie ihnen die Ratsfrau vorlas.

Als die Wissenschaftler sich umdrehten, blickten sie direkt auf das Hospital der Stadt zurück. Auch dieses war ihnen von alten Fotos bekannt. In früheren Zeiten handelte es sich bei dem Hospital allerdings um etwas gänzlich anderes: Um das ehemalige Hochzeitszentrum samt Kapelle. ›St. Blain‹ hieß der Ort auf den alten Fotos. Auch heute schien das Hospital diesen Namen weiterhin zu tragen, denn über dem Eingang hing ein bronzefarbenes Schild mit der Aufschrift ›Hospital St. Blain‹. Da es neben der einheimischen Schrift auch deutsche Buchstaben aufwies, konnte das Team der Wissenschaftler es lesen.

Kopfschüttelnd folgte die kleine Gruppe der Ratsfrau in das Haus vor ihnen. Als sie durch die Tür traten, bemerkte Lisa, dass das gesamte Haus mit einer Art Moos bedeckt war, welches fluoreszierte und damit das Haus zum Leuchten brachte.

Im Haus wurde die ungleiche Gruppe von einer Art freudigem Gebell begrüßt. Der Hund, oder so ähnlich, amüsierte sich die Biologin beim Anblick des Wesens, das ihnen entgegen geschwommen kam, war das Niedlichste und gleichzeitig Merkwürdigste, was die Wissenschaftler je gesehen hatten. Die Hinterbeine waren zu einer einzigen Flosse verwachsen, die den Hund gut voranbrachte, während er freudig mit den Vorderpfoten paddelnd auf die Ratsfrau zu schwamm und sie jaulend begrüßte.

Der Radau des Hundes lockte die anderen Ratsmitglieder in den Flur.

Neugierig und zugleich vorsichtig kamen drei Männer und zwei Frauen aus dem angrenzenden Raum in den geräumigen Flur und begrüßten ihre Gäste. Dabei merkte man deutlich, dass es ihnen doch äußerst schwer fiel, die ungewohnte Sprache auszusprechen. Doch allein für die Bemühung waren die Wissenschaftler mehr als dankbar.

Ein älteres Ratsmitglied, der sich als Ältester Thanok vorstellte, bat die Wissenschaftler in den Raum, aus dem der Rat gekommen war. Dort standen mehrere Liegen in einem Kreis, sodass man sich ansehen konnte, wenn man auf ihnen lag. Neben den Liegen waren jeweils kleine Tische aufgebaut, auf denen später das Essen serviert werden würde, wie der Ratsherr ihnen erklärte. Nachdem alle Platz genommen hatten, begann der Älteste mit der Vorstellungsrunde: »Zunächst einmal heiße auch ich Sie herzlich willkommen. Es ist schön, nach so langer Zeit wieder auf Menschen zu treffen.« Seine Worte sorgten für leichte Verwirrung bei den Wissenschaftlern. Doch sie alle schluckten ihre Neugierde herunter, um dem Ältesten weiter zuzuhören.

»Ich habe mich bereits im Flur vorgestellt und die Ratsfrau zu meiner Linken kennen Sie ebenfalls. Neben ihr liegt die Älteste Nami.« Die Angesprochene lächelte den Besuchern freundlich zu. Ihre grauen Haare und grauen Schuppen ließen sie äußerlich genauso alt erscheinen wie den Ältesten Thanok. »Die junge Frau neben Nami ist Ratsfrau Lyria. Der junge Mann neben ihr ist ihr Partner, der Ratsherr Marven.« Die beiden Genannten erregten besondere Aufmerksamkeit bei den Wissenschaftlern, da sie anstelle von Flossen Beine hatten und sich von den Menschen nur durch ihre schillernden Schuppen unterschieden. Lyrias Schuppen glänzten in allen Farben des Regenbogens, wohingegen Marvens schwarz wie die Nacht waren. Die beiden lächelten die sichtlich verwirrten Menschen freundlich an.

»Der junge Mann zu meiner Rechten ist Ratsherr Jason; unser jüngstes Ratsmitglied«, stellte der Älteste Thanok bereits das letzte Ratsmitglied vor, bevor die beiden Ratsmitglieder die offensichtliche, wenn auch unausgesprochene, Frage der Wissenschaftler beantworten konnten. Der junge Meermensch, wie Lisa die Spezies heimlich getauft hatte, blickte freundlich lächelnd in die Runde. Dass dabei sein Blick ein wenig länger auf der hübschen Blondine neben sich lag, ließ die Biologin sanft erröten.

Der Älteste Thanok bemerkte den Blick ebenso und entschied für sich, dass er den jungen Ratsherren als Begleiter für die junge Frau einsetzen würde. Immerhin wollen wir den Wissenschaftlern die Möglichkeit geben, ihr jeweiliges Fachgebiet in der Stadt näher kennen zu lernen. Natürlich nur in Begleitung von jemandem von uns aus dem Rat. So können wir auf sie aufpassen und für sie übersetzen, grübelte Thanok kurz.

Bevor der Älteste weiter nachdenken und Pläne machen konnte, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Menschen, da die älteste Frau der Runde mit der Vorstellung ihrer Begleiter begann: »Ich danke Ihnen für den warmen Empfang, Ältester Thanok. Mein Name ist Maria Stephanson, Professorin für Unterwasserarchäologie und die Leiterin des Teams. Zu meiner Linken liegt Janus Meyer, Professor für Meeresgeologie und der zweite Leiter des Teams.«

Der Vorgestellte nickte in die Runde.

»Zu seiner Linken liegt Dr. Mark Holler, Geologe. Die junge Frau neben ihm ist Marthilda Clark, ihr Fachgebiet ist die maritime Geochemie. Neben ihr haben wir Michael Grotz, Experte für Meeresökologie. Und unser jüngstes Mitglied ist Lisa McQuin, die Meeresbiologin des Teams.«

Die Ratsmitglieder blickten jeden warm und freundlich an, als sie vorgestellt wurden. Auch hier verweilte der Blick des Ratsherren Jason ein wenig länger auf Lisa, was sie erneut zum Erröten brachte. Bevor die ersten Gespräche aufgenommen werden konnten, öffnete sich die Tür und ein Krake kam herein. Hinter sich her zog er einen Servierwagen, auf dem 12 Teller mit dem dazugehörigen Besteck, sowie zwei große Töpfe standen. In der Mitte der Liegelandschaft angekommen, begann der Krake flink und geschickt die Teller mit grünen Nudeln sowie, und hier fielen den Menschen vor Staunen beinahe die Augen aus dem Kopf, Bolognesesoße zu füllen und auszuteilen.

Wie kann das Essen mitten im Wasser gekocht werden?, wunderte sich der Geologe des Teams still. Und wie, bitte schön, bleibt es heiß? Geschweige denn auf den Tellern?

Ebenso schnell wie er gekommen war, verteilte der Krake das Besteck, ehe er wieder verschwand. Die erstaunten Blicke der Menschen brachten Ratsfrau Lyria dazu, in helles Lachen auszubrechen. Als sie sich endlich von ihrem Heiterkeitsausbruch erholt hatte, entschuldigte sie sich kleinlaut, bevor sie ihre Heiterkeit erklärte: »Ich bitte noch vielmals um Entschuldigung für meinen Heiterkeitsausbruch. Als ich Ihre erstaunten Gesichter beim Anblick der Bolognese gesehen habe, musste ich lachen. Um Ihre unausgesprochene Frage zu beantworten: Ja, es ist eine Bolognese, denn wir bauen hier in speziellen Gewächshäusern neben anderen Gemüsearten auch Tomaten an. Und ein paar dieser Tomaten sind heute Teil unseres Mittagessens.«

»Als Ratsfrau Tamara uns mitteilte, dass Sie alle bei Bewusstsein wären und sie Sie zum gemeinsamen Mittagessen mitbringen wolle, überlegten wir, was Sie am ehesten als Nahrung akzeptieren könnten«, erklärte Ratsherr Jason weiter. »Da wir noch genügend Aufzeichnungen von einst haben, entschieden wir uns für Spaghetti mit Bolognese. Bei den Spaghetti handelt es sich um Algenspaghetti und die Bolognese besteht aus Haifleisch. Das ist das Fleisch, welches bei uns üblich ist, da wir eine kleine Unterart des Katzenhais ausschließlich für diesen Zweck züchten.«

Nach seinen Worten sahen die Wissenschaftler einen Moment lang so aus, als würde ihnen übel werden. Doch dann nahm Lisa all ihren Mut zusammen, wünschte einen guten Appetit und probierte ein kleines Bisschen von der Soße. Ihr Team sah sie gespannt an, um ihre Reaktion nicht zu verpassen. Einen Moment lang verzog Lisa keine Miene, doch schließlich begann sie zu strahlen.

»Das schmeckt fantastisch«, freute sie sich. Lächelnd taten es ihr die anderen des Teams nach und probierten vorsichtig von ihrem Mittagessen. Und genau wie Lisa wurden sie mit einem herrlichen Geschmack belohnt.

Nachdem diese erste Hürde genommen war, begannen alle freudig ihr Mahl zu verspeisen. Dabei entwickelten sich kleinere Gespräche, bei denen sie sich gegenseitig kennenlernten. Sowohl für den Rat als auch für die Wissenschaftler war es eine unvergleichliche Erfahrung mit den jeweils anderen zu reden.

Ältester Thanok und Professor Meyer waren in ein Gespräch über die geologischen Besonderheiten der versunkenen Stadt vertieft, als sie das leise Lachen von Lisa und Jason hörten. Die beiden Männer warfen sich einen Blick zu, der deutlich zeigte, wie hervorragend sie sich mittlerweile verstanden. Denn beide dachten in dem Moment dasselbe und hofften, dass den beiden jungen Leuten der Abschied nicht zu schwerfallen würde. Hatten sie doch längst darüber gesprochen, dass das Expeditionsteam nur wenige Tage in der versunkenen Stadt bleiben konnte, damit von der Oberfläche keine Suchmannschaft geschickt wurde.