Der Bund der Rabentochter - Soey Noir - E-Book

Der Bund der Rabentochter E-Book

Soey Noir

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Beschreibung

Roselyn hat in ihrem Job als Botschafterin der Streitkräfte schon viel erreicht. Doch ist es nun ausgerechnet eine arrangierte Ehe, die ihr sorgfältig geplantes Leben über den Haufen wirft. Als dann auch noch unerwartete Gefühle mit ins Spiel kommen, ist das Chaos perfekt. Zu allem Überfluss wirft ein Anschlag auf sie ihr Leben ein weiteres Mal durcheinander. Wird sie es schaffen, den Leuten zu entkommen, die ihren Tod wollen? Und wird sie auf dem Weg zu ihrem Ziel ihr Herz retten können? Die Liebesgeschichte von Roselyn und Viktoria ist der zweite Teil der »Kinder des Lichts«-Reihe, deren einzelne Geschichten in sich abgeschlossen sind.

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Weitere Titel der »Kinder des Lichts«-Reihe von Soey Noir:

Band 1 »Das Schicksal der Wölfin«

Band 3 »Die Spur der Wolfskatze« Neuerscheinung im März 2024

Die »Kinder des Lichts« mit anderen Pairings:

Band 1 »Das Schicksal der Wölfin – Noraya und Samael«

Band 2 »Der Bund der Rabentochter – Roselyn und Richard« Neuerscheinung im März 2024

Außerdem erhältlich:

»Von der Liebe und den Träumen – Kurzgeschichten für Erwachsene« Neuerscheinung im März 2024

Inhaltsverzeichnis

DA IST JA DIE GLÜCKLICHE BRAUT

LASS MICH ZU MEINEM BRÄUTIGAM

BITTE, ROSELYN, LASS UNS REDEN

JA, ICH WILL

DU WIRST MIR JETZT ABER NICHT OHNMÄCHTIG, ODER?

ICH BEIßE AUCH NICHT, VERSPROCHEN

NUTZE MEIN VERTRAUEN NICHT AUS

HAT ES DIR DIE SPRACHE VERSCHLAGEN, SÜßE?

WOW, DAS NENNE ICH MAL LUXURIÖS

MIT FEUER KENNE ICH MICH AUS

EINE VERFLIXTE BURG?

DU MUSST DIE WAHRHEIT ERFAHREN

WAS INTIMITÄT WIRKLICH IST

WOLLEN WIR, LIEBES?

GESCHIEHT DAS HIER GERADE WIRKLICH?

DAS VERDIENT MEINEN RESPEKT

DIE PFADE DER HEILIGEN MAGIE SIND UNERGRÜNDLICH

DU LIEBST MICH IMMER NOCH?

IST DAS DEIN ERNST?

MACHEN SIE ZWEI, DASS SIE HIER HERAUSKOMMEN

DER KNILCH HAT MIT DIR GEFLIRTET!

ROSELYN, LIEBES, REDE MIT MIR

WIR LEBEN NOCH

WIR EHREN DICH, LIEUTENANT HARRISON ORENS

VIKTORIA, SIEH DIR DAS AN!

GEHT ALLE AUF ABSTAND, SOFORT

ICH WÜRDE ES JEDERZEIT WIEDER TUN

DA IST JA DIE GLÜCKLICHE BRAUT

Lucedi, 21. Tag im Rosenmond

»Was für ein bescheidener Tag zum Heiraten.«

Das stetige Trommeln der Regentropfen gegen das Fenster hatte zugleich etwas Beruhigendes und merkwürdig Niederschmetterndes an sich. Als es an der Tür klopfte, wandte ich meinen Blick vom Regen ab. Nach meiner Erlaubnis sah meine Mutter ins Zimmer. Ihr Blick glitt über meine Robe.

»Gut, du bist noch nicht dabei, dein Brautkleid anzuziehen«, seufzte sie erleichtert. »Devon lässt sich entschuldigen und fragt, ob du nicht eventuell eure Gäste begrüßen könntest. Die Söhne und Töchter der Menschen sind angekommen. Emma ist auch da. Und deine beste Freundin samt Partnerin.«

Mutter klang leicht gestresst. Was bei der Tatsache, dass mein Bräutigam anscheinend nicht präsentabel genug ist, um unsere Gäste zu begrüßen, kein Wunder ist, sinnierte ich stumm. Erleichterung durchflutete mich bei dem Gedanken an meine besten Freunde und meine Schwägerin.

»Natürlich, Mutter«, stimmte ich deshalb auch sofort zu. Für einen Moment kam es mir zwar merkwürdig vor, dass Devon sich entschuldigen ließ, aber den Gedanken verwarf ich schnell wieder.

Zügigen Schrittes eilte ich durch die Villa und zur Eingangshalle.

Dort standen bereits fünf in edle Festtagsgarderobe gekleidete Männer und Frauen, dezent umgeben von einer Leibwache. Die Damen in ihren farbenfrohen Gewändern und die Herren in cremefarbenen Anzügen boten ein wahrlich beeindruckendes Bild.

Ein wenig versetzt zu ihnen warteten zwei Personen. Beide Frauen, eine in den rauchgrauen, bronzebestickten Roben einer Niyanan und die andere in der ebenso rauchgrauen, bronzebestickten Dinneruniform der Streitkräfte, blickten mir mit einem strahlenden Lächeln entgegen.

Samantha und Noraya erregen mehr Aufmerksamkeit als die Söhne und Töchter der Menschen, amüsierte ich mich still. Ob es nun daran lag, dass beide so offensichtlich Magierinnen waren, welche die meisten Menschen grundsätzlich gerne im Auge behielten, oder an den dezent im Hintergrund stehenden Leibwächtern, vermochte ich nicht zu sagen.

Bevor ich mich meinen Freunden näherte, umarmte ich meine Schwägerin, die mir bereits entgegenkam.

»Emma, es tut so gut, dich zu sehen. Danke, dass du da bist.«

»Wo sollte ich sonst sein, Rose?«, wollte die Heilerin bedächtig wissen. »James wäre stolz auf dich. Ich bin mir sicher, dass er gerade lächelnd auf uns hinabblickt.«

»Danke. Das von dir zu hören, bedeutet mir viel.«

Einen Moment hielten wir einander noch fest, ehe Emma mich von sich schob und mit dem Kopf in Richtung meiner wartenden Freunde deutete. »Nun geh schon. Wir sehen uns nachher.« Ich schenkte meiner Schwägerin ein sanftes Lächeln, ehe ich mich abwandte.

»Da ist ja die glückliche Braut«, begrüßte mich meine beste Freundin, kaum, dass ich bei ihr war. Schmunzelnd umarmte sie mich vorsichtig. »Ich hoffe, es geht dir gut, Rose.«

»Bisher ging es ganz gut, Aya, danke. Jetzt, wo ihr hier seid, wird es besser werden«, erwiderte ich wispernd. Dann ließ ich sie los und umarmte ihre Gefährtin und Gattin. »Hallo, Samantha. Danke, dass ihr zwei heute hier seid.«

»Wo sollten wir sonst sein, Roselyn?«, wollte Sam glucksend wissen. »Einmal ganz davon abgesehen, dass meine Aya wahrscheinlich jeden einen Kopf kürzer gemacht hätte, der versucht hätte, uns an deinem großen Tag von dir fernzuhalten. So ist es doch auch ihre Aufgabe als deine Trauzeugin, deine Hochzeit zu bezeugen. Immerhin sind von menschlicher Seite alle fünf Söhne und Töchter der Menschen des Alten Kontinents anwesend. Da dürfen Repräsentanten der Magie nicht fehlen.«

Ihrer so präzisen Beobachtung konnte ich nichts entgegensetzen. Meine beste Freundin zog mich erneut in ihre Arme. Wortlos hielten wir einander einen Moment fest, bevor ein sanftes Tippen auf meine Schulter uns auseinander zwang.

Rein theoretisch hätte ich einen Knicks machen müssen, sobald mein Blick auf Christopher fiel, der hinter mir stand und mir auf die Schulter getippt hatte. Praktisch sah die Sache ganz anders aus.

»Wir wollen die glückliche Braut auch begrüßen«, erklärte er lachend, sobald er vor Noraya und Samantha den Kopf geneigt hatte. Als Erbin eines Zaren vom Nordischen Kontinent und deren Gefährtin standen meine besten Freundinnen im fragilen Machtgefüge der Welt ganz oben. Dementsprechend hatten selbst die Herrscher der Menschen ihnen ihren Respekt zu zollen. Was Chris dankenswerterweise ohne Probleme tat.

Aus dem schlaksigen Jungen, der mir vor nunmehr fast 10 Jahren gestanden hatte, einer der nächsten Söhne der Menschen zu sein, war ein stattlicher Mann geworden. Der Bart, den er sich die Wangenknochen hinab und rund um den Mund hatte wachsen lassen, trug dazu bei, seine erhabene Aura noch zu verstärken, während er ihm zugleich ein verführerisches Aussehen verlieh. Als er mich in eine enge Umarmung zog, konnte ich die starken Muskeln unter seiner Haut arbeiten und den Bart auf meiner Wange kitzeln fühlen.

»Phillip sendet dir einen lieben Gruß. Er wird heute nicht dabei sein«, wisperte Chris in mein Ohr, bevor er mir einen Kuss auf jede Wange hauchte.

Ich erwiderte die Geste, auch wenn ein schmerzhafter Stich mein Herz durchfuhr. Meine stille Hoffnung, dass er tatsächlich der Einladung zu meiner Hochzeit folgen würde, wurde durch Chris Worte zunichte gemacht. Meine Jugendliebe am heutigen Tag nicht an meiner Seite zu wissen, tat ganz schön weh. Aber er war mittlerweile verheiratet und hatte wohl einfach nicht den Mut besessen, sich hierher zu trauen. Ich ließ mir nach außen hin nichts anmerken, während ich mich von Chris zu den wartenden Söhnen und Töchtern der Menschen führen ließ.

»Die Frau der Stunde. Und noch gar nicht im Brautkleid«, neckte Debby sanft, ehe auch sie mich liebevoll umarmte. Ihr bereits ordentlich gewachsener Schwangerschaftsbauch verhinderte eine nähere Umarmung. Trotz ihres beträchtlich gewachsenen Umfangs sah Debby meiner Meinung nach so schön aus, wie noch nie.

»Wie soll ich denn bitte mein Brautkleid anziehen, wenn meine Zeuginnen der Hochzeit noch nicht da sind und ich ohne ihre Hilfe dastehe?«, entgegnete ich grinsend, was mir vom Ehemann meiner Freundin ein leises Glucksen einbrachte.

»Du weißt doch wie Schwangere sind, Roselyn«, murmelte Aaron in mein Ohr, sobald er mich in seine Arme zog. »Sie konnte sich mal wieder nicht entscheiden, was sie anziehen möchte.«

Kichernd löste ich mich von Aaron, nur um sofort Lucas und seinem Gefährten gegenüberzustehen. Der Sohn der Menschen lächelte mich sanft an, bevor er mir einen formvollendeten Kuss auf die Wange hauchte.

»Du siehst so schön aus, wie es jeder Braut am Hochzeitstag zustehen sollte. Und dabei trägst du noch nicht mal dein Brautkleid«, schmeichelte er lächelnd. »Devon ist ein wahrlich glücklicher Mann, eine so wunderschöne Frau vor den Beamten führen zu dürfen.«

»Charmeur«, erwiderte ich kichernd, während ich spürte, wie mir eine leichte Röte in die Wangen stieg.

»So ist unser Lucas nun mal. Ein Charmeur, wie er im Buche steht«, ergänzte eine warme Frauenstimme zu meiner Rechten. Und schon fand ich mich in der festen Umarmung von Vivianne wieder, einer Tochter der Menschen. Olivia schloss sich uns einfach an, ehe sie mich auf Armlänge von sich schob und ihren Blick über meine champagnerfarbene Robe gleiten ließ.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage«, murmelte sie mir zu, »aber es ist echt schade, dass du heute unter die Haube kommst. Was für eine Verschwendung.«

Glucksend gab ich Olivia einen leichten Schlag auf den Oberarm. Nur, um sie im nächsten Moment nochmal zu umarmen.

»Leider passiert es viel zu selten, dass wir Zeit miteinander verbringen können. Deshalb freut es mich um so mehr, dass ihr alle heute hier seid«, wandte ich mich schließlich an alle fünf Söhne und Töchter der Menschen.

»Um nichts in der Welt hätten wir deine Hochzeit verpasst, Rose«, versicherte mir Debby strahlend. »Und jetzt wird es Zeit, dass wir die Braut in ihr Brautkleid bekommen, damit Hochzeit gefeiert werden kann.«

Ich stimmte Debby mit einem knappen Nicken zu, ehe ich mich bei ihr unterhakte. »Dann lass uns Noraya und Samantha einsammeln. Mein Brautkleid wartet schon. Mein Bräutigam hoffentlich auch«, scherzte ich.

»Wir werden mal nach Devon schauen«, bot Lucas sofort an. »Nicht, dass der arme Kerl in seinem Zimmer hockt und vor Sehnsucht nach dir am Verzweifeln ist.«

Dankend nahm ich Lucas Angebot an, bevor ich Debby zu Aya und Sam führte.

»Debby, darf ich vorstellen, Noraya und Samantha Voleyka.« Debby neigte den Kopf vor den beiden, was Noraya mit einem Nicken erwiderte. An meine Freundin und ihre Gattin gewandt fügte ich hinzu: »Aya, Sam, darf ich euch Deborah, eine Tochter der Menschen des Alten Kontinents, vorstellen?«

Die beiden begrüßten Debby mit einem knappen Nicken. Sobald dem Protokoll Genüge getan war, hakte Aya sich an meinem anderen Arm unter, bevor Sam ihr den Platz an meiner Seite streitig machen konnte.

»Dann lasst uns der Braut mal helfen, sich fertig zu machen«, kommentierte Sam trocken, ehe wir vier die Treppe hinaufgingen und ich sie in das Brautzimmer führte.

Kaum waren wir allein im Raum, wandte Noraya sich auch schon an mich: »Ist sie vertrauenswürdig?« Während ihrer Frage wies Aya mit dem Kopf auf Debby, der bei der Frage beide Augenbrauen in die Höhe schossen.

»Sie ist meine älteste Freundin«, erwiderte ich sofort. »Ich kenne Debby fast mein gesamtes Leben lang, selbst noch bevor ich wusste, dass sie eine Tochter der Menschen ist. Ich würde ihr mein Leben anvertrauen, wenn ich es müsste.« Meine Worte trieben Debby die Tränen in die Augen, ehe sie mich gerührt umarmte. Kurz erwiderte ich die Umarmung, bevor ich Debbys linke Hand mit meiner Linken ergriff und unser beider Arme so drehte, dass das Zeichen auf der Innenseite unserer Handgelenke sichtbar wurde. »Außerdem ist sie Geheimnisträgerin, genau wie ich«, fügte ich trocken hinzu.

Aya schien meine Aussagen zu genügen, denn sie machte das Zeichen der Menschen, sobald Debby und ich uns voneinander gelöst hatten. Ruhig hob sie ihre rechte Hand und drehte die Handfläche zu Debby, die Finger voll gestreckt. Dann berührte sie mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand die Handfläche, während der Ringfinger und der kleine Finger angewinkelt waren und vom Daumen gehalten wurden.

»Da wir alle Roselyn an ihrem großen Tag begleiten, denke ich, dass wir die Förmlichkeiten fallenlassen können. Ich bin Noraya und das«, damit deutete sie auf ihre grinsende Gefährtin, »ist Samantha.«

Debby sah aus, als wisse sich nicht, wie ihr geschah. Doch dann lächelte sie warm und erwiderte die Geste.

»Dann bin ich Debby«, meinte die Tochter der Menschen ernst. »Wir sind alle Roselyns Freundinnen und ihre Zeuginnen bei der Hochzeit. Es freut mich, dass wir auf Förmlichkeiten verzichten können.«

Mir wurde warm ums Herz, als ich die Worte meiner besten Freundinnen hörte. Ich gönnte es mir, ein paar Augenblicke in der Wärme zu schwelgen. Mit einem Blick auf die Uhr seufzte ich schließlich, wissend, dass meine nächste Handlung die Stimmung ruinieren würde. Dennoch schob ich wortlos ein Paravent zur Seite und offenbarte das Brautkleid, auf welches Devons und meine Familie bestanden hatten.

»Oh beim Heiligen Licht. Was ist das denn bitte?«, ächzte Samantha, sobald sie das prächtige, nur leider viel zu prunkvolle und ausladende Brautkleid sah.

»Das ist mein Brautkleid«, entgegnete ich sarkastisch. »So, wie es der Wunsch meiner Mutter und meiner zukünftigen Schwiegermutter war.«

»Aber warum hast du dich ihnen gebeugt?« Noraya klang dermaßen verwirrt, dass ich schnauben musste.

»Weil ich nicht anders konnte. Die Traditionen verlangen von mir, dass ich trage, was Devons und meine Mutter ausgesucht haben.«

»Warum tust du dir das an, Rose? Du bist eine Magierin, beim Heiligen Licht! Menschliche Gesetze gelten für dich nicht. Als Angehörige der Streitkräfte schon mal gar nicht«, knurrte Noraya schon fast.

»Das weiß ich. Aber meine Familie hat vertuscht, dass ich eine Magierin bin«, erinnerte ich sie. »Ich bin schon gespannt, wie die Familie meines baldigen Ehemanns reagiert, wenn sie erfährt, dass Devon die Bürde angenommen hat, eine Magierin zu ehelichen.« Beißender Spott tropfte förmlich aus meinen Worten.

»Was haben sie gesagt?« Samanthas Stimme war nur noch ein gefährliches Knurren. Noraya hingegen war plötzlich ruhig. Aus Erfahrung wusste ich, dass eine schweigende Noraya wesentlich gefährlicher war als eine, die noch redete. Doch bevor ich sie beruhigen konnte, durchbrach ein hohes Fiepen die Stille. Sofort schossen unsere Blicke zu Debby, die mich aus aufgerissenen Augen musterte.

»Du bist eine Magierin? Und weder die Familie deines Verlobten noch dein Zukünftiger wissen davon?« Debby klang so schockiert, dass ich sie vorsorglich auf den Stuhl vor der Frisierkommode schob. Dankenswerterweise zuckte sie unter meiner Berührung nicht zusammen, wie ich es eigentlich erwartet hatte, sondern ließ sich anstandslos zum Stuhl geleiten. Sobald sie saß, glitt ihr Blick erneut über meine Gestalt. Dass er aus irgendeinem Grund sehr kalkulierend war, gefiel mir gar nicht. Auch wenn das freudige Glitzern in ihren Augen mich einigermaßen beruhigte.

»Seit wann weißt du es? Und warum hast du nichts davon erzählt?«, wollte Debby nach einem langen Moment der Stille wissen. »Immerhin hätte Devons Familie dich dann mit Sicherheit aus der arrangierten Ehe entlassen und du wärst nicht gezwungen, ihn zu heiraten.«

Ihr Argument ist gut, das muss ich neidlos zugeben, dachte ich. Doch kennt sie nur einen kleinen Teil der Wahrheit.

Noch immer eine Spur zu sarkastisch erklärte ich einen weiteren kleinen Teil der Wahrheit: »Ich bin adoptiert, schon vergessen? Die Kreise, in denen sich meine Adoptiveltern bewegen, mögen Magier nicht sonderlich. Um genau zu sein, gar nicht. Für sie sind Magier alle gleich. Alles, was sie zu wissen glauben, ist, dass Magier unterschiedliche Herrscher haben und die Menschen möglichst klein halten.« Kurz schickte ich Noraya einen entschuldigenden Blick, doch sie winkte nur gelassen ab. War uns das Thema doch nicht unbekannt. Aber eben auch nicht mehr der Rede wert. »Meine Adoptivfamilie hatte schon genug Probleme damit, als wir in meiner Jugend herausfanden, dass ich eine Magierin bin«, fuhr ich in ruhigerem Tonfall fort. »Ihnen dann auch noch zu erklären, dass ich als Magierin und Mitglied der Streitkräfte auf eigenen Wunsch nicht mehr länger unter die Gesetze der Menschen falle, wollte ich ihnen partout nicht antun.«

»Und du bist dir sicher, dass du diese arrangierte Ehe eingehen möchtest?«, versicherte sich Debby noch ein letztes Mal. »Wenn nicht, wäre es für einen deiner Freunde, mich eingeschlossen, ein leichtes, das Arrangement zu brechen.«

»Dein Angebot in allen Ehren, Debby, aber das kann ich weder Devons noch meiner Familie antun. Außerdem sind unsere Familien einen magisch bindenden Vertrag eingegangen. Und ich habe wirklich keine Lust auf meine Magie verzichten zu müssen, weil ich vertragsbrüchig geworden bin. Ich hoffe ja auf Devons Reaktion bei meiner Offenbarung heute Nacht, wer ich wirklich bin. Entweder kann er es akzeptieren, dass ich eine Magierin bin und wir bleiben zusammen. Oder er bittet mich um die Auflösung unserer Ehe. Dann bin ich gut aus dem Deal raus und er muss sich morgen früh eine Erklärung einfallen lassen, wieso er die Ehe mit mir nicht leben möchte.«

»Das ist mein Mädchen«, lachte Noraya gehässig. »Gerissen von dir, es Devon entscheiden zu lassen.« Ein verschlagenes Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich das Lob von Noraya hörte. »Solltest du deinen Seelengefährten finden, würdest du die Ehe trotzdem lösen können«, erinnerte sie mich sanft. »So wie jeder, der oder die den Seelengefährten findet.«

Unwillkürlich zuckte meine Hand zu dem Zeichen des ersten Kusses, welches über meinem Herzen erschienen war.

Norayas und Samanthas Augen weiteten sich so sehr, dass es komisch ausgesehen hätte, wenn sie nicht gleichzeitig erbleicht wären.

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«, keuchte Samantha, ihre Augen ruhten auf meiner Hand.

»Sag mir bitte, dass keine silberne Rose bei dem Zeichen mit zu sehen ist«, flehte Noraya fassungslos.

Sofort schüttelte ich energisch den Kopf. »Nein, ich habe keinen Verlust erlitten, der mich in die Ehe mit Devon treibt«, beruhigte ich die Sorge meiner besten Freundin. »Auch wenn ich wirklich nicht weiß, wieso ich als einfache Magierin außerhalb der fünf Heiligen Feiertage mit dem Ersten von den fünf Zeichen der Seelengefährten gesegnet wurde. Aber die betreffende Person hat sich anderweitig entschieden. Was auch immer die Magie damit bezweckt, es hat einfach nicht sein sollen«, fügte ich seufzend hinzu. Natürlich wusste ich, wer mein Seelengefährte war. Doch war bei ihm kein Zeichen erschienen. Und so hatte er sich für jemand anderen entschieden.

»Du hast einen Seelengefährten und er trägt das Zeichen nicht? Bist du dir ganz sicher? Und bist du dir auch sicher, dass du nicht doch ein Kind des Lichts bist?« Noraya klang fassungslos.

»Ja, bin ich. Aber lasst uns bitte das Thema wechseln«, bat ich leise. »Ausgerechnet heute möchte ich nicht darüber reden.«

»Natürlich«, stimmte Samantha sofort zu. »Verzeih unsere Neugierde.«

Nickend nahm ich ihre Entschuldigung an und wandte mich dem Brautkleid zu. Dass Debby auffallend still war, nahm ich einfach hin. Ihr nachdenklicher Blick sorgte dafür, dass ich sie in Ruhe ließ. Was auch immer sie plante, so wusste ich es besser, als sie zu stören.

Seufzend pflasterte ich mir vorsorglich schon einmal das strahlende Lächeln ins Gesicht, welches die anwesenden Gäste von mir erwarten würden. Dann bat ich meine drei Zeuginnen, mir mit dem Brautkleid zu helfen.

Debby sah von ihrem Platz aus zu, wie ich meine champagnerfarbene Robe löste und sie zusammen mit meiner restlichen Kleidung aufs Bett warf, bevor ich in nichts als der Unterwäsche dastand und das Kleid öffnete.

Dass sowohl Norayas als auch Samanthas Blick kurz zu dem Tattoo über meinem Herzen glitt, nahm ich einfach hin. Innerlich schickte ich einen Fluch ans Heilige Licht, weil ich vergessen hatte, das Zeichen zu verbergen.

Stumm schlüpfte ich in das üppige Brautkleid und ließ mir von Noraya den Reißverschluss schließen. Dann zog ich die champagnerfarbenen Schuhe mit dem leichten Absatz an und streifte mir passende champagnerfarbene Handschuhe über. Samantha legte mir die Hochzeitsrobe wieder an und befestigte sie am Kleid.

Während ich mich auf den Stuhl vor der Frisierkommode sinken ließ und Debby mit flinken Fingern aus meinen Haaren eine prächtige Hochsteckfrisur zauberte, fiel mir eine Frage ein.

»Wieso seid ihr heute eigentlich nicht in euren Amtsroben erschienen?« Mein Blick suchte durch den Spiegel den von Noraya und Samantha.

»Weil wir dir deinen großen Tag nicht versauen wollten, indem wir dir die Show stehlen«, erklärte Sam ernst. »In unserer Arbeitskleidung fallen wir weniger auf als in den Amtsroben. So können wir uns besser unter die Gäste mischen. Dass alle fünf Söhne und Töchter der Menschen des Alten Kontinents bei deiner Hochzeit anwesend sind, erregt schon genug Aufmerksamkeit.«

Irgendwie war ich ihnen für ihre Umsicht sehr dankbar. Ich schenkte beiden ein ehrliches Lächeln, bevor Debby den champagnerfarbenen Schleier in meinem Haar befestigte.

»Du sieht umwerfend aus«, murmelte die Tochter der Menschen in mein Ohr, ehe sie sich aufrichtete und ein paar Schritte zurücktrat.

Etwas umständlich erhob ich mich, um mich im großen Standspiegel neben der Kommode zu begutachten.

Mich selbst ganz in Champagnerfarben gekleidet zu sehen, bereit zur Hochzeit, war ein unwirkliches Gefühl. So, als würde ich nicht mich im Spiegel betrachten, sondern jemand anderen, während ich unbeteiligt danebenstehe. Erst als Aya meine Hand leicht drückte und mir ein aufmunterndes Lächeln schenkte, sank in mir die Erkenntnis ein, dass das wirklich ich war. Dass ich kurz davorstand, den Mann zu heiraten, dem ich schon als Kind versprochen worden war.

Damals war Devon zehn Jahre alt gewesen und ich acht. Wie es in den einflussreichsten Kreisen der Menschen üblich war, wurden alle ältesten Kinder der Familien bereits in ihrer Kindheit miteinander verlobt. Damit waren wir verpflichtet, unsere Verlobten direkt nach dem 30. Geburtstag des älteren Partners zu heiraten. Da Devon eine Woche vor der Hochzeit 30 geworden war, traten wir nun in den Bund der Ehe ein.

LASS MICH ZU MEINEM BRÄUTIGAM

Lucedi, 21. Tag im Rosenmond

»Lasst uns gehen, mein Bräutigam wartet bestimmt schon auf mich«, meinte ich nach einem erneuten Blick auf die Uhr entschlossen.

Es ist sowieso merkwürdig, dass noch niemand gekommen ist, um zu fragen, wie weit ich bin, wunderte ich mich still. Immerhin müsste Devon schon seit mehreren Minuten sehr nervös vor dem Beamten stehen, der unsere Ehe besiegeln wird.

Als hätte jemand meine Gedanken gelesen, klopfte es an der Tür.

Meine Mutter sah nach Norayas Erlaubnis ins Zimmer. Sobald ihr Blick auf mich fiel, begann sie vor Freude zu strahlen.

»Oh Liebes, du siehst einfach bezaubernd aus«, hauchte sie entzückt. »Was für eine wunderschöne Braut du doch bist. Und wie herrlich das Kleid zu dir passt.« Mutter kam herein, um mich vorsichtig in ihre Arme zu schließen, ehe sie ein Taschentuch hervorzog und sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln tupfte. Sorgsam darauf bedacht, dass ihre Schminke nicht verlief. »Deine Frisur ist ein wahrer Traum«, schwärmte sie weiter.

»Danke, Oberste Diplomatin Shayn«, mischte sich Debby ein. »Ich dachte mir, dass die Frisur gut zum Kleid passt.«

Die Augen meiner Mutter weiteten sich, während sie zu Debby huschten, die mittlerweile am Rand des Bettes saß.

»Ihr habt diese wunderbare Pracht frisiert, Lady Deborah?« Meine Mutter klang fast schon ehrfürchtig, so erstaunt war sie.

Debby sah einen Moment lang so aus, als habe sie auf eine Zitrone gebissen. Doch dann wurde der Ausdruck durch ein unbestimmtes Lächeln ersetzt, ehe sie nickte: »Ja. Meine Mutter hat darauf bestanden, dass eine Frau aus gutem Hause immer weiß, wie man sich ordentlich kleidet und frisiert. Das kam uns heute zugute. Schließlich war es Roselyns Wunsch, dass ich ihr mit der Frisur helfe.« Debby schenkte mir ein sanftes Lächeln, ehe sie meine Mutter wieder ansah. »Wie Sie wissen, sind wir zwei schon seit unserer frühesten Kindheit befreundet. Und es ist die Aufgabe der Zeuginnen, die Braut an ihrem großen Tag vorzubereiten.«

Debby sprach meine Mutter mit einer solchen Selbstverständlichkeit als ihr Untergebene an, dass sie mich zum Schmunzeln brachte. Vor allem, weil meine Mutter anscheinend vergessen hatte, dass sie Debby ebenfalls schon seit ihrer frühesten Kindheit kannte.

Oder sie als Kind auf den Knien geschaukelt hat, kam mir unerwartet eine Erinnerung. An dem Tag, als die fünf Söhne und Töchter der Menschen gekrönt worden waren, hatte Mutter begonnen, sie alle mit ihren Titeln und zugehörigen Höflichkeitsformeln anzureden. Anstatt sie weiterhin wie meine Freunde zu behandeln.

Mutter wandte sich nach einem leisen Dank für die Erklärung in Debbys Richtung erneut an mich: »Ich bin so stolz auf dich, mein Liebling.« Einen langen Augenblick nahm sie sich Zeit, mich ausgiebig zu mustern, ehe sie sich räusperte. »Könnt ihr euch noch ein paar Minuten die Zeit vertreiben?«, wollte sie vorsichtig wissen. »Wir sind noch nicht so weit.«

Das ist merkwürdig, war mein erster Gedanke nach Mutters Aussage. »Mein Zukünftiger hat sich aber nicht heimlich davongeschlichen und mich sitzen lassen, oder?«, wollte ich halb ernst und halb im Scherz wissen.

»Nein, nein, keine Sorge«, versicherte mir Mutter ein wenig zu hastig. Jetzt wurde ich erst recht misstrauisch. Entschlossen trat ich auf sie zu.

»Lass mich vorbei, Mutter. Hier stimmt etwas nicht. Ich möchte auf der Stelle meinen Verlobten sehen.« Dass meine Mutter mit einem Mal die Tür förmlich blockierte, ließ in mir ein mulmiges Gefühl wach werden.

»Aber Liebes«, protestierte sie schwach, während sie versuchte, mich aufzuhalten. »Er darf dich erst vor dem Beamten in deinem Kleid sehen. Alles andere bringt Unglück.«

Schnaubend warf ich Samantha einen Blick zu: »Sam, würdest du bitte?« Sofort war sie an meiner Seite. »Samantha ist eine zivile Niyanan. Damit ist das Problem gelöst«, informierte ich meine Mutter. »Und jetzt lass mich zu meinem Bräutigam«, forderte ich ernst. Meine Mutter seufzte, bevor sie ergeben die Tür freigab.

Doch noch ehe ich auch nur zwei Schritte aus dem Raum hatte machen können, gestand sie leise: »Devon ist nicht in seinem Zimmer. Wir wollten dich nicht beunruhigen und fangen gerade mit der Suche nach ihm an. Keiner hat ihn in der letzten halben Stunde irgendwo gesehen.«

Ich erstarrte mitten im Schritt. Das mulmige Gefühl verstärkte sich noch, bis es einen harten Knoten in meinem Bauch bildete.

Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Meine Gedanken begannen zu wirbeln. Devon würde mich nicht einfach sitzen lassen. Dazu kennen wir beide die Verpflichtungen zu gut, die wir gegenüber unseren Familien haben. Tief durchatmend beruhigte ich mich wieder. Dann drehte ich mich zu meinen drei Zeuginnen um, die mir alle gefolgt waren.

»Okay«, seufzte ich schwer. »Das Wichtigste ist, dass wir Ruhe bewahren, damit die Gäste nichts von Devons Verschwinden bemerken.«

»Danke, Roselyn«, murmelte meine Mutter erleichtert.

Mit einem knappen Nicken nahm ich ihren Dank entgegen. »Wer beteiligt sich denn an der Suche?«, hakte ich nachdenklich nach.

»Seine Zeugen. Mehr konnten wir nicht tun, sonst wäre es aufgefallen.«

»Gut. Debby, würdest du bitte zu den wartenden Gästen gehen und Lucas und Chris bitten, zu uns zu kommen?«, bat ich die Schwangere sanft. »Dann können die Zwei bei der Suche helfen, während du zu deinem Mann zurückkehren und dich ein wenig ausruhen kannst. Du bist für meinen Geschmack viel zu bleich.«

Debby sah im ersten Moment so aus, als wolle sie protestieren, doch dann legte sie eine Hand auf ihren Bauch und seufzte ergeben. »Wenn du das möchtest, mache ich das. Ein wenig Ruhe tut mir bestimmt auch gut.« Ein Blick zu meiner Mutter genügte, damit sie sich Debby und ihren Leibwächtern anschloss. Besorgt blickte ich der Tochter der Menschen einen Moment hinterher, ehe ich mich abwandte.

Begleitet von Aya und Sam eilte ich durch den Korridor und auf die Tür zu, welche das Ankleidezimmer des Bräutigams war.

Nach einem kurzen Klopfen öffnete ich die Tür und trat ein. Das Zimmer war leer. Unverkennbar hing Devons Geruch in der Luft. Er konnte noch nicht lange fort sein. Auf dem Bett lag die geöffnete Kleiderhülle. Sein Anzug für die Hochzeit fehlte.

»Er muss sich auf die Hochzeit vorbereitet haben, bevor er weggerufen wurde«, stellte Sam das Offensichtliche fest.

»Jetzt müssen wir ihn nur noch finden. Was bei dem großen Haus ohne den Einsatz von Magie eine Weile dauern könnte. Wenn er noch im Haus ist«, gab Noraya zu bedenken.

Ich wirbelte zu ihr herum. »Das ist es. Du bist genial«, rief ich freudestrahlend. Verdutzt blinzelte Aya mich unverständlich an. »Dies hier ist Devons Elternhaus. Wir haben schon unzählige Stunden gemeinsam hier verbracht. Dabei hat er mir all die Stellen gezeigt, an die er sich gerne zurückzieht, wenn er allein sein möchte«, erklärte ich meinen Geistesblitz. »Es wird eine Weile dauern, alle Stellen abzusuchen, ohne, dass die Gäste etwas merken, aber das schaffen wir schon.«

»Und mit unserer Hilfe noch schneller«, erklang Lucas Stimme vom Flur her. Chris und er standen da und beäugten mich mit einer Mischung aus Misstrauen, Erstaunen und in Chris Fall, wenn ich mich nicht schwer täuschte, einem Hauch von Neid.

Wie ungewöhnlich, wunderte ich mich still. »Danke, dass ihr da seid«, meinte ich erleichtert.

»Wo sollten wir sonst sein?«, war Chris ernste Erwiderung. »Du brauchst unsere Hilfe, um deinen entlaufenen Bräutigam zu finden. Da ist es Ehrensache, dass wir da sind und helfen.«

»Auch wenn der Kerl verrückt sein muss, dass er dich stehen lässt«, fügte Lucas hinzu. »Du bist ein wundervoller Mensch und eine wunderschöne Braut. Ich muss allerdings sagen, dass ein schlichteres Kleid deine natürliche Schönheit viel mehr zur Geltung gebracht hätte.«

Lucas Kompliment trieb mir die Röte auf die Wangen. »Charmeur«, gluckste ich. »Lass das nicht deinen Gefährten hören. Sonst wird der noch eifersüchtig.« Uns allen entkam ein leises Lachen.

»Nur ist jetzt leider nicht die Zeit für solche Spielchen«, mischte sich Sam seufzend ein. Die beiden Söhne der Menschen gaben ihr sofort recht und wandten sich wieder mir zu. Ich räusperte mich leise, ehe ich vorschlug, dass wir uns in drei Gruppen aufteilten.

»Devons Zeugen suchen ihn auch schon«, gab Chris zu bedenken. Meinen fragenden Blick beantwortete er mit einem Schulterzucken. »Deine Mutter hat uns leise über alles informiert, bevor sie uns zu dir gehen ließ.«

Merkwürdigerweise war ich für Mutters Kontrollsucht in diesem Moment so dankbar wie noch nie. Ersparte sie mir damit doch die peinliche Situation, den beiden Herrschern erklären zu müssen, dass mir mein Bräutigam anscheinend davongelaufen war.

»Gut. Dann würde ich sagen, dass Aya und Sam mit dem Pavillon und dem See hinter der Villa anfangen. Ihr gelangt da einfach am unauffälligsten hin. Auch wenn ich vermute, dass Devon es bei dem Regen nicht riskiert, draußen zu sein. Und ihr zwei«, damit deutete ich auf Chris und Lucas, »sucht bitte zuerst in der Bibliothek, dann im Herrenzimmer und anschließend noch einmal bei den Gästen. Vielleicht ist er ja bis dahin wieder aufgetaucht. Lasst euch die Räume einfach von einem Angestellten zeigen. Damit fallt ihr am wenigsten auf.« Tief seufzend dachte ich kurz nach, ehe ich weitersprach: »Ich gehe zuerst in die Küche und dann auf den Dachboden. Sollten wir alle nichts finden, treffen wir uns in einer halben Stunde wieder hier und planen weiter. Einverstanden?«

Viermaliges Nicken antwortete meinen Worten. »Warte einen Moment«, hielt Aya mich auf, als wir uns bereits auf den Weg machen wollten. Sie hob ihre Hand und zeichnete eine Rune in die Luft. Dann schob sie die Rune in meine Richtung. Als das leuchtende Zeichen mein Kleid berührte, fühlte ich, wie ihre warme Magie mich einhüllte. »Das ist nur ein einfacher Regenschutz«, erklärte sie auf meinen fragenden Blick hin. »Man weiß ja nie. Und ich möchte es dir ersparen, in dem Kleid auch noch nass zu werden.«

»Danke, Aya, das ist sehr umsichtig von dir«, murmelte ich gerührt.

»Immer doch, Rose.« Wir umarmten einander kurz, ehe Noraya leise scherzte: »Na los, lass uns deinen entlaufenen Bräutigam wiederfinden.« Nickend gab ich ihr recht. Während Sam und Aya in die eine Richtung verschwanden, raffte ich meine Röcke zusammen und stieg langsam die Treppe ins Erdgeschoss hinab.

Das Kleid ist definitiv nicht fürs Treppensteigen gemacht, dachte ich genervt. Als ich die Stufen endlich überwunden hatte, eilte ich in Richtung der Küche.

Die hektische Betriebsamkeit kam nahezu zum Stillstand, sobald all die Köche und Gehilfen merkten, wer da in der Tür stand.

»Was machen Sie denn hier, Miss Shayn?«, fragte der Chefkoch erstaunt, während er sich hastig die Hände wusch und auf mich zueilte. »Sollten Sie nicht längst auf dem Weg zu Ihrer Hochzeit sein?«

In Windeseile überlegte ich mir eine Antwort, die weder gelogen noch zu nah an der Wahrheit war.

»Es gibt ein paar Verzögerungen im Ablauf«, erklärte ich schließlich ernst. »Ich wollte Sie drüber informieren und gleich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen für Ihre Mühen zu danken.«

Sekundenlanges Schweigen antwortete auf meine Worte. Alle starrten mich mehr oder weniger schockiert an. Schließlich räusperte sich der Chefkoch, ehe er eine Verbeugung andeutete: »Ihre Worte ehren uns, Miss Shayn. Und ich danke Ihnen im Namen der gesamten Belegschaft.«

Lächelnd winkte ich ab. »Ich bin mir sicher, dass mein Bräutigam und ich nachher ein wenig Zeit finden werden, um Ihnen allen noch einmal gemeinsam für Ihre Arbeit zu danken.«

»Das wäre zu viel der Mühe«, entgegnete der Chefkoch sofort. »Schließlich sollten Sie nachher Ihre Hochzeit feiern. Der junge Herr wird bestimmt schon sehnsüchtig darauf warten, seine Braut in die Arme schließen zu können.«

Lächelnd dankte ich dem Küchenchef für seine Worte, ehe ich ihm versprach, jemanden vorbeizuschicken, sobald die kleinen Verzögerungen im Ablauf bereinigt waren. Dann verabschiedete ich mich und ging. Der kurze Moment in der Küche hatte mir gereicht, um zu sehen, dass Devon nicht da war. Die Reaktionen des Personals hatten es mir ebenfalls bestätigt.

Seufzend dachte ich daran, mit den ausladenden Röcken meines Kleides gleich drei Stockwerke hinaufsteigen zu müssen. Zwar verfügte dieses alte Gemäuer über alle modernen Annehmlichkeiten. Doch befand sich der Fahrstuhl leider auf der anderen Seite der Villa. Dort, wo sich vermutlich gerade die Gäste aufhielten, sofern sie nicht im Garten auf ihren Plätzen ausharrten.

Bis in den ersten Stock schaffte ich es noch mit all der Würde, die ich als Braut in einem Brautkleid aufbringen sollte. Dann blieb ich fluchend vor den Treppen zum zweiten Stockwerk stehen.

Ein leises, entferntes Stöhnen drang an meine Ohren und erregte meine Aufmerksamkeit. Die Stimme meiner Schwester Aurelia war so unverkennbar, dass ich mich in der Pflicht sah, sie von ihrer neusten Eroberung abzubringen und wieder zu den Gästen zu schicken.

Wer auch immer der arme Kerl ist, der sich in ihren Fängen befinden, sollte mir dankbar sein, dachte ich sarkastisch. Schließlich schmeißt Aurelia sich an alles heran, was reich und willig ist. Ihr Verlobter hat nicht umsonst die Verlobung gelöst, als er von ihren Eskapaden erfuhr. Nur ist es seitdem leider mit ihrer Vergnügungssucht nur noch schlimmer geworden.

»Selbst an meinen Zukünftigen hat sie sich herangemacht«, murmelte ich. »Nur hat Devon wenigstens genug Ehre im Leib, um nichts mit meiner Schwester anzufangen.« Genervt folgte ich dem Keuchen und Stöhnen, welches mit jedem Schritt, den ich tat, lauter wurde. Schließlich blieb ich vor einem Wandschrank stehen. Deutlich vernahm ich nun Aurelias Stimme. Um ihr eine Lehre zu erteilen, zog ich mein Smartphone aus einer kleinen Geheimtasche im Kleid und tippte eine Nachricht an unseren Vater mit der Bitte, mich hier zu treffen.

Nur zwei Minuten später eilten die schweren Schritte unseres Vaters den Korridor entlang, bevor sie verstummten. Leise kam er um die Ecke geschlichen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als ein erneutes Stöhnen meiner Schwester durch den Gang hallte, war unbezahlbar. Eine Mischung aus Ekel und Resignation huschte über Wolfgangs sonst so sanfte Züge. Doch all die Gefühle verschwanden, sobald ein entschlossenes Funkeln in seine Augen trat. Er kam die letzten Schritte auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter.

»Danke, dass du mich gerufen hast«, flüsterte er ernst. »Deine Schwester geht zu weit, wenn sie sich selbst am Tag deiner Hochzeit nicht beherrschen kann. Ich verspreche dir, Roselyn, dass das Konsequenzen haben wird.« Stumm nickend nahm ich Vaters Worte hin. Dann ging ich einen Schritt vor und öffnete leise die Tür zum Wandschrank.

Was ich sah, ließ mich zu Eis erstarren. Ich traute meinen Augen nicht.

Vor mir an die Wand gepresst stand meine Schwester. Ihr Haar war zerzaust, der Rock nach oben geschoben und ihr Höschen lang achtlos zur Seite geworfen neben ihr. Zusammen mit einem champagnerfarbenen Hemd und einem ebenso champagnerfarbenen Jackett. Ihre Beine hatte Aurelia um die Hüften ihres viel zu willigen Opfers geschlungen, das Gesicht war zu einem Ausdruck höchster Verzückung geworden.

Ihr Liebhaber schien ebenfalls mächtig Spaß zu haben. War sein bloßer Rücken doch schweißbedeckt und er stieß schwer atmend immer wieder in meine stöhnende Schwester, während er ihre Hüften mit festem Griff umklammerte. Seine champagnerfarbene Hose schlackerte an seinen Kniekehlen. Doch da die Boxershorts seine Kehrseite bedeckte, trug er wohl eine mit Eingriff.

Wie ungemein praktisch, dachte ich sarkastisch.

»Oh, du fühlst dich so gut an, Relia«, stöhnte der Mann abgehakt. Als ich die Stimme hörte, spürte ich, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. Mit einem Mal wusste ich, warum mir das Champagnerfarben des Anzugs einen kalten Schauer über den Rücken gejagt hatte. Warum mir der schwarze Wuschelkopf und die ausgeprägten Armmuskeln vertraut waren. Dass mein Bräutigam und meine Schwester gerade vor meinen Augen ihren Höhepunkt hinausschrien, ließ bittere Galle in mir aufsteigen. Mir wurde übel, als ich die ekstatischen Schreie meiner Schwester und das wollüstige Stöhnen meines Verlobten hörte. Gleichzeitig begann sengende Wut durch meine Adern zu schießen.

»Devon?« Meine Stimme schoss bei meiner Frage eine Oktave höher. Aus den lustverhangenen Augen meiner Schwester wurde blankes Entsetzen, sobald sie mich im Türrahmen stehen sah. Von unserem wutschnaubenden Vater hinter mir ganz zu schweigen. Es verschaffte mir ein merkwürdig befriedigendes Gefühl, zu sehen, wie all die Lust aus ihrem Gesicht wich und sie hastig versuchte, sich hinter den breiten Schultern meines Verlobten zu verstecken.

Devons Kopf schnappte in einer fast schon komisch anmutenden Bewegung zu mir herum, als meine Stimme in sein umnebeltes Gehirn vorzudringen schien. Seine Augen weiteten sich dermaßen, dass ich mich kurz fragte, wie so etwas möglich sei.

Dann lockerte sich sein Griff um die Hüfte meiner Schwester und er hauchte ein entsetztes »Roselyn?«, bevor er Aurelia einfach fallen ließ. Meine Schwester schrie gequält auf, sobald ihr blanker Hintern mit dem Boden Bekanntschaft machte. Doch war mir das herzlich egal.

Noch ehe jemand reagieren konnte, wirbelte ich herum und eilte so schnell ich konnte davon. Blindlings stürmte ich die nächstbeste Treppe hinab. Heiße Wut pulsierte durch meine Adern und brachte meine Haut zum Jucken. Tränen schossen mir in die Augen und nahmen mir noch das letzte bisschen Sicht.

BITTE, ROSELYN, LASS UNS REDEN

Lucedi, 21. Tag im Rosenmond

Erst als ich gegen einen Körper prallte, nahm ich meine Umgebung wieder etwas wahr. Dennoch wehrte ich mich im ersten Moment gegen den eisernen Griff, der sich um mich legte.

»Lass mich los«, krächzte ich dunkel.

»Roselyn, was ist denn mit dir passiert? Was ist geschehen?« Emmas besorgte Stimme legte sich wie Balsam auf meine aufgewühlten Gedanken. Als ich hochblickte, sah ich direkt in ihre Augen, die mich voller Sorge musterten. Abwesend kratzte ich mir mit meinen behandschuhten Händen über die Arme. Eine Geste, die dafür sorgte, dass Noraya an meiner Seite auftauchte.

»Darf ich etwas ausprobieren?«, wollte sie so leise wissen, dass ich es nur dank ihrer Nähe zu mir überhaupt wahrnahm. Meine Antwort bestand aus einer gewisperten Zustimmung.

Noraya offenbarte mir, dass sie einen Injektor in ihrer Hand verborgen hielt. Noch ehe ich fragen konnte, was sie damit wollte, setzte sie ihn mir diskret an den Hals. Mit Ausnahme von meinem Gesicht das einzige kleidungsfreie Stück Haut. Mittlerweile war das Jucken in meinem Körper so stark, dass ich beinahe wimmerte vor Schmerzen. Nur Emma und Samantha, die nun ebenfalls bei mir stand, sahen, was Noraya tat. Ihre Körper verbargen Ayas Geste vor den Gästen. Meine Schwägerin kommentierte die Handlung meiner besten Freundin mit einer hochgezogenen Augenbraue, sagte aber nichts dazu.

Ich habe keine Ahnung, was Noraya damit bezweckt, wunderte ich mich, während ich den Einstich der Nadel spürte. Sobald das Serum in mein Blut gelangte, schoss es wie Feuer durch meine Adern und vertrieb zu meinem größten Erstaunen das Jucken. Ein starker Schwindel, gepaart mit heftigen Kopfschmerzen, erfasste mich.

Keuchend sackte ich in Emmas Armen zusammen. Erschrocken japste sie auf, bevor sie mich stabilisierte und mir auf einen Stuhl half, von dem ein Gast hastig aufsprang. Von irgendwo her tauchte ein Glas Wasser vor meiner Nase auf. Doch erst, als ich mich nicht mehr so schrecklich schwach fühlte und die Nebenwirkungen des Serums nachgelassen hatten, gelang es meinen zittrigen Fingern das Glas zu ergreifen und mit Samanthas Hilfe ein paar Schlucke zu trinken. Still ließ ich meinen Blick über die versammelte Menge schweifen. Erst jetzt sah ich, dass ich in einem der Pavillons saß, die die Gäste im Garten vor dem Regen schützten.

Noraya kniete neben mir, Samantha an der Seite ihrer Gefährtin. Ihre Augen glitzerten in einer Mischung aus Sorge und unterschwelliger Wut auf den Auslöser meines Gemütszustandes. Emma hockte vor mir, ihr Blick war so voller Sorge wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Kurz zögerte sie, doch dann griff sie nach meinen Händen und drückte sie sanft. Haltsuchend klammerte ich mich an ihre liebevolle Geste und atmete einmal tief durch.

Dafür, dass die Söhne und Töchter der Menschen um uns herum standen und mit Hilfe der Leibwächter die Gäste mehr oder weniger auf Abstand hielten, war ich ihnen mehr als dankbar. Selbst meine Mutter durfte nicht zu mir, auch wenn sie mich sehen konnte.

»Ich biete gerade ein furchtbar jämmerliches Bild, oder?«, wollte ich wispernd wissen. Sofort schüttelten meine Freunde vehement ihren Kopf.

»Du siehst wie jemand aus, die völlig schockiert ist«, erwiderte Emma ebenso leise. »Was ist geschehen, Roselyn, dass es dich so sehr aus der Fassung gebracht hat?«

Bevor ich antworten konnte, kam mein Bräutigam aus der Villa gestürmt. Sein Hemd war schief geknöpft, das Jackett hielt er in der Hand. Noch immer war er schweißbedeckt und seine Haare zerzaust. Der Regen prasselte ungehindert auf ihn hinab. Binnen Sekunden war er vollkommen durchnässt.

»Es ist nicht das, wonach es aussieht«, keuchte Devon, sobald er vor dem schützenden Ring der Leibwächter zum Stehen gekommen war. »Bitte, Roselyn, lass uns reden.«

»Reden?«, zischte ich aufgebracht. »Du willst allen Ernstes reden, nachdem ich dich eben dabei erwischt habe, wie du dich mit meiner Schwester vergnügt hast? Mit meiner Schwester, beim Heiligen Licht!«

Schockiertes Keuchen von allen Seiten antwortete meinen Worten. Sam und Aya sowie Emma, aber zu meinem Erstaunen auch alle fünf Söhne und Töchter der Menschen samt Ehepartnern und Gefährten, knurrten erbost auf.

Devons und meine Mutter sahen aus, als wüssten sie nicht, ob sie in Ohnmacht fallen sollten. Mein Schwiegervater in Spé hingegen trug eine so mörderische Miene zur Schau, dass Devon einen Schritt nach hinten stolperte.

»Es tut mir leid«, begann er, wurde dann jedoch unterbrochen.

»Was sagst du da, Devon?«, flötete meine Schwester hinter ihm. »Eben konntest du doch nicht genug davon bekommen, dich tief in mir zu versenken. Und das mit einer beachtlichen Ausdauer. Ich beglücke dich ja gerne, wo du bei meiner frigiden Schwester nicht ran darfst.«

Von allen unbemerkt waren Vater und meine Schwester aus der Villa getreten. Ein Diener hielt einen Regenschirm über Wolfgang, während meine Schwester dem strömenden Regen ausgesetzt war. Unser Vater hielt Aurelia in festem Griff und schenkte ihr bei ihren Worten einen Blick, der in mir die Frage aufkommen ließ, ob er sie schlagen wolle.

Mir wäre zumindest danach, dachte ich verbissen. Doch da sprach meine Schwester auch schon weiter.

»Du hast mich doch förmlich angebettelt, nachdem wir das erste Mal im Bett gelandet waren«, zwitscherte sie. »Wir haben die letzten Wochen mehr miteinander gevögelt, als du es in deinem ganzen Leben bisher getan hast, hast du zu mir gesagt. Ich sei viel jünger, schöner und vor allem williger als meine Schwester.« Triumphierend blickte Aurelia mich an. Doch anstatt entsetzt zu schauen, wie sie es sich wohl von mir erhofft hatte, starrte ich kalt zurück. Zorn brodelte durch meine Adern und ließ mir abwechselnd heiß und kalt werden. Unwillkürlich begann ich zu zittern.

»Du bist die perfekte Tochter«, spuckte Aurelia aus. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer hasserfüllten Maske. »Immer der Liebling unserer Eltern. Befreundet mit den Mächtigsten der Länder und Verlobte des Erbes der reichsten Firma des Alten Kontinents. Niemals hast du etwas getan, was Mommy und Daddy in Verlegenheit gebracht hätte. Du warst der kleine Liebling unseres Bruders. Sein ganzer Stolz. Immer hast du dich tadellos verhalten. Du hast sogar deinem Verlobten den Sex verweigert, um erst in der Ehe deine Unschuld zu verlieren.«

Aurelia steigerte sich so sehr in ihre Wut, dass sie nicht mal zu bemerken schien, was sie alles von sich gab. Oder dass Vaters Blick mit jedem ihrer Worte mehr zu Eis wurde. Von Mutters ganz zu Schweigen. Was Aurelia da abließ, war Stoff für einen handfesten Skandal, der dem Ansehen der Familie Shayn extrem Schaden konnte.

»Du bist die perfekte Tochter und ich musste ein Leben in deinem Schatten führen«, machte Aurelia ihrem Ärger weiter Luft, gänzlich unsere Umgebung und die vielen lauschenden Gäste ignorierend. »Dabei hätte Devon mein Verlobter sein sollen. Ich hätte all das Lob und die Anerkennung bekommen sollen, die du bekommen hast. Für mich bleibt nichts übrig. Mein Verlobter verlässt mich und macht mich damit zum Schandfleck der Familie. Dabei bin ich die Tochter meiner Eltern und nicht du. Du bist eine Waise, die meine Eltern gnädigerweise aufgenommen haben. Du bist nur adoptiert und hast kein Recht auf alles, was hätte mein sein sollen.«

Aurelia holte tief Luft. Ein mehr als triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Als du Devon versetzt hast, um irgendeinen Auftrag für die Streitkräfte zu erledigen, habe ich meine Chance gesehen. Nach ein paar Gläsern Wein sind dein ach so toller Verlobter und ich im Bett gelandet«, erzählte sie stolz. »Und als Devon erst einmal gemerkt hat, wie viel Liebe ich ihm schenken kann, habe ich meine Chance genutzt. Wir haben schon seit Wochen eine Affäre unter deiner Nase und du hast es nicht gemerkt. Stattdessen wärst du pflichtbewusst mit einem Mann eine Ehe eingegangen, der dich nicht mal liebt.«

Für ein paar Sekunden wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Doch dann fraß die Wut meine Selbstbeherrschung auf.

»Du verlogenes Biest«, fauchte ich so dunkel, dass Noraya mir eine Hand auf den Arm legte. Wohl, um mich im Notfall von unüberlegten Handlungen abhalten zu können. Auch wenn sie selbst eher danach aussah, als wolle sie Aurelia bei lebendigem Leib häuten. »Glaubst du ernsthaft, was du da sagst? Du bist meine Schwester! Wenn nicht durch Blut, dann doch dadurch, dass wir zusammen aufgewachsen sind. Ich habe dich gehalten, als du noch ein Säugling warst. Habe deine Wunden verarztet, wenn du gestürzt bist. Wir haben gemeinsam um unseren Bruder getrauert, als er starb. Wie kannst du mir das antun?«

Wutschnaubend kämpfte ich mich auf die Beine und trat auf Devon zu. Die fünf Söhne und Töchter der Menschen samt ihrer Leibwächter machten mir Platz, kaum, dass ich auf meinen Bräutigam zuging. Doch blieben Emma, Sam und Aya direkt an meiner Seite. Merkwürdigerweise begann die Welt um mich herum intensivere Farben zu zeigen. Ich begann Auren sehen zu können und meine Sinne schienen schärfer zu werden.

»Und du?«, fragte ich meinen Verlobten, während ich mich vor ihm aufbaute. Was angesichts des Größenunterschieds bestimmt merkwürdig aussieht, kam mir ein absurder Gedanke. »Wie kannst du mir das antun? Mich mit meiner eigenen Schwester zu betrügen? Und das über Wochen? Wir wollten heute heiraten, du Mistkerl!«

Devon sah aus, als wisse er nicht so ganz, was er sagen solle. Doch dann zuckte er mit den Schultern und murmelte leise: »Wir wollten diese Hochzeit doch beide nicht. Und deine Schwester ist nun mal sehr ansehnlich und vor allem sehr willig. Seit wir unsere Hochzeit geplant haben, habe ich versucht, dich zu verführen. Aber du hast dich geweigert. Ich war einfach verzweifelt. Und deine Schwester war für mich da. Erst recht, als du mich versetzt hast. Wegen eines Auftrages der Streitkräfte, beim Heiligen Licht!«

Ich war mir nicht sicher, was ich von Devons Worten halten sollte. Oder davon, dass meine Sicht langsam verschwamm.

»Dir ist schon klar, dass ich eine Botschafterin der Streitkräfte bin, Devon, oder?«, wollte ich ungläubig wissen. »Das ist mein Beruf, beim Heiligen Licht! Natürlich kümmere ich mich um die Aufträge, die ich bekomme. Ich bin stolz darauf, was ich tue. Hat mein Handeln doch schon viele blutige Auseinandersetzungen beendet.« Kurz hielt ich inne. Allein die anwesenden Gäste und Norayas Hand auf meinem Arm hielten mich davon ab, etwas zu sagen, was ich im Nachhinein bestimmt bereuen würde. Stattdessen seufzte ich tief. »Wenn du mir in deiner gekränkten Eitelkeit ein wenig genauer zugehört hättest«, fuhr ich resigniert fort, »hättest du an besagtem Abend gehört, dass ich dich zu mir eingeladen habe. Als Entschuldigung, dass ich dich versetzen musste. Doch da du meine Einladung zum gemeinsamen Abendessen niemals mehr erwähnt hast, bin ich davon ausgegangen, dass du es nicht wolltest.«

Devons Augen weiteten sich, sobald meine Worte bei ihm ankamen. Anscheinend wurde ihm gerade klar, was er verpasst hatte.

»Weißt du, Devon, wenn du vor der Hochzeitsplanung nicht so abweisend zu mir gewesen wärst, hätte ich deine Verführungskünste vielleicht akzeptiert«, fuhr ich ruhig fort. »Doch da du mir gezeigt hattest, was du von mir hältst, hielt ich es nicht für nötig, dich darüber zu informieren, dass bei Magiern die Möglichkeit besteht, über Sex eine Bindung einzugehen. Ich dachte mir, dass du mir erst einmal beweisen musst, es wert zu sein, mich mit dir zu binden.« Meine Worte sorgten für mehrstimmiges Keuchen. Vor allem Noraya blickte mich erstaunt an. Doch zuckte ich nur mit den Schultern, ehe ich ergänzte: »Wir beide mögen diese Hochzeit nicht gewollt haben. Doch, im Gegensatz zu dir, hatte ich vor, unserer Ehe eine Chance zu geben. Den Traditionen und unseren Familien zuliebe. Immerhin sind wir einander vor 20 Jahren versprochen worden.« Resigniert seufzend wandte ich mich ab.

»Du bist eine Magierin? Ich will aber nicht an eine Magierin gebunden sein. Deine Schwester ist wenigstens ein Mensch.« Devons Worte stachen wie Messer in mein Herz. Sie zerbrachen etwas in mir. Genauso, wie es Aurelias triumphierendes Kreischen tat. Heißer Schmerz pulsierte durch meine Adern. Mein Kopf brannte für einen Moment wie Feuer. Dann war es vorbei. Dunkel knurrend wirbelte ich herum und verpasste Devon eine schallende Ohrfeige. Die erstaunlicherweise vier blutige Striemen auf seiner Wange hinterließ. Devon schrie gequält auf und presste sein Jackett gegen die Wange.

Entsetzt blickte ich auf meine Hand. Dann fiepte ich leise: »Wie ist das möglich?«

Noch ehe mir jemand antworten konnte, durchschnitt eine Stimme die angespannte Stille: »Nun, Bruderherz, da du ja so versessen darauf warst, die kleine Schlampe zu vögeln, ist es nur recht, wenn du sie jetzt heiratest. Ich bin gemäß den Statuten unserer Gesellschaft gerne bereit, deine Stelle als Ehemann für die liebreizende Miss Shayn einzunehmen.«

Mir wurde übel, als ich die Stimme hörte. Ein eiskalter Schauer rann mir den Rücken herab. Oh nein, bloß nicht, dachte ich entsetzt. Dieses Schwein legt bestimmt nicht seine Hand an mich.

Meine Freunde schienen meinen abrupten Stimmungsumschwung gemerkt zu haben, denn sie rückten näher an mich heran und ihre Leibwächter schlossen einen Kreis um uns.

»Wer sind Sie, dass Sie glauben, das Recht zu haben, sich an eine Magierin zu binden, die sich freiwillig den Bräuchen ihrer menschlichen Familie gebeugt hat?«, verlangte Noraya zu erfahren. Ihre ganze Haltung und ihre Ausstrahlung vermittelten jedem, der es sehen konnte, dass sie über allen anderen Anwesenden stand.

»Das ist Devons kleiner Bruder Ryan«, erklärte ich, bevor der Mann etwas sagen konnte. »Er hat in den letzten Jahren mehrfach versucht, mich unsittlich zu berühren.« Meine Worte entlockten den Gästen und auch meinen Eltern entsetztes Keuchen.

»Wie bitte?«, knurrte Noraya leise. »Was hat er getan?«

»Keine Sorge, Aya, er hat es niemals geschafft«, beruhigte ich meine beste Freundin. »Auch wenn er es mit allen möglichen Tricks versucht hat. Drogen in meinem Drink zum Beispiel«, fügte ich trocken hinzu.

»Das ist nicht wahr«, kreischte Ryan unvermittelt los. »Du lügst!«

»Nein, tut sie nicht«, mischte sich eine andere Stimme ein.

Woher kommt sie mir nur bekannt vor?, grübelte ich still. Dann trat eine Frau aus dem Schatten der Villa und es fiel mir wieder ein.

Bilder von meinem letzten Urlaub drängten sich in mein Bewusstsein. Ein Ball, der mir meine klebrig süße Limonade aus der Hand geschlagen und mich mit dem Zeug bekleckert hatte. Die Verursacherin, die mich als Entschädigung zu einem Drink eingeladen hatte. Aus einem Drink waren erst zwei und dann drei geworden, während ich ihr von meiner baldigen Hochzeit erzählt hatte. Schließlich fanden wir uns eng umschlungen auf der Tanzfläche wieder. Und hatten uns zum Schein geküsst, weil uns ein paar Kerle zu aufdringlich wurden.

Was macht sie denn hier?, wunderte ich mich still. Wenn mir nur ihr Name wieder einfallen würde. Am Rande bemerkte ich, dass der Regen schwächer wurde. Und ihr nichts anhaben konnte. Also ist sie eine Magierin, die sich vor dem Nass schützt, traf mich die Erkenntnis, als ich die Aura um sie herum wahrnahm.

»Du bist dafür bekannt, Ryan, dass du dir immer zu nehmen versuchst, was du haben willst«, fuhr die Frau mit schneidender Stimme fort. »Und da ich es auf keinen Fall zulasse, dass ein Kretin wie du sich an eine Tochter der Familie Shayn und mehr noch, an eine angesehene Diplomatin, heranmachst, ersuche ich selbst um die Ehre, Devons Platz an der Seite der Braut einnehmen zu dürfen.«

Stille. Es war so still, dass man die Leute atmen hören konnte. Seelenruhig schlenderte die Fremde auf mich zu. Dabei ließ sie ihre Augen unverwandt auf meinen ruhen. Vor dem Kreis der Leibwächter hielt sie inne. Erst, als ich nickte, erlaubte Noraya ihr, zu uns durchzukommen.

»Viktoria?«, hauchte ich erstaunt, nachdem mir endlich der Name der Fremden wieder eingefallen war.

»Hallo Rose«, murmelte die Angesprochene. »So sieht man sich wieder.« Sie warf meinen Freundinnen einen Blick zu, bevor sie ihre Stimme senkte. »Hör mir bitte zu«, murmelte sie gerade laut genug, dass ich sie verstehen konnte. Meine beste Freundin und ihre Gefährtin, sowie meine Schwägerin lauschten gebannt. »Ich möchte dich wirklich nur vor Ryan beschützen. Da du dich den Traditionen deiner Familie freiwillig gebeugt hast, bist du jetzt an sie gebunden. Also bleibt dir die Wahl zwischen diesem Ekel und mir.« Sie musterte mich intensiv, ehe sie eindringlich weitersprach: »Ich schwöre dir beim Heiligen Licht, Rose, dass ich nichts Unrechtes plane. Meine Motive sind aufrichtig. Und in einem Jahr, wenn die erste Frist der Ehe verstrichen ist, können wir sie wieder auflösen.«

Mir klappte bei ihren Worten beinahe die Kinnlade herunter. Vor allem, da ich spürte, wie die Magie den Schwur annahm. Warum tut sie das? Was bezweckt sie damit, sich freiwillig ein Jahr lang an mich zu binden?, wunderte ich mich still. Auch wenn das eine wirklich noble Geste ist, um mich vor einer Ehe mit Ryan zu retten.

»Zumal wir die Ehe ja wohl kaum vollziehen werden«, sprach Viktoria augenzwinkernd weiter und riss mich damit aus meinen Gedanken. »Was die Ehe sowieso annulliert. Danach kann niemand dich mehr dazu bringen, dich den menschlichen Gesetzen zu beugen.«

»Wer sind Sie, dass Sie denken, den Ehebund zwischen der Familie Shayn und der Familie Martinez übernehmen zu können?« Die Worte meiner Mutter machten es mir unmöglich, Viktoria zu fragen, was sie mit ihrem Angebot bezweckte.

»Lydia, das Ersuchen von Miss Laurent ist vollkommen legitim«, mischte sich Devons Mutter ein. »Miss Laurent ist die Tochter meiner Cousine und stammt vom Südlichen Kontinent. Die Laurent sind eine der reichsten und einflussreichsten Familien des Südlichen Kontinents und ich bin stolz auf die Verbindungen, die unsere Familien teilen. Wenn Miss Laurent den Ehebund mit deiner Tochter von Devon übernehmen möchte, hat sie dazu mehr Rechte als sein eigener Bruder.«

Ich wusste in dem Moment, dass meine Familie dem Wechsel des Ehebundes zustimmen würde, als meine Schwiegermutter in Spé den Reichtum und die Macht von Viktorias Familie erwähnte.

»Miss Laurent, wären Sie denn überhaupt bereit, sich mit dem Beruf unserer Tochter zu arrangieren?« Zu meinem größten Erstaunen gab Mutter doch nicht sofort ihr Einverständnis. »Unsere Tochter ist eine sehr gute Diplomatin, die bereits einige Missionen erfolgreich abgeschlossen hat. Sie braucht einen verlässlichen Partner an ihrer Seite.« Meine Mutter schenkte mir eines ihrer raren, warmen Lächeln, während sie weitersprach: »Sie ist ein wundervolles Kind und eine tadellose Tochter, auf die wir sehr stolz sind. Allein, dass sie sich freiwillig unseren Traditionen unterworfen hat, ist Beweis dafür genug. Also frage ich Sie, Miss Laurent, warum mein Mann und ich damit einverstanden sein sollten, den Bund auf Sie zu übertragen, anstatt ihn nach dem Betrug des Bräutigams für nichtig zu erklären? Schließlich liegt die Schande allein bei Devon Martinez und nicht auf unserer anständigen Tochter.«

Überraschtes Raunen ging bei ihren Worten durch die Anwesenden. Devons Eltern erbleichten und seine Mutter schwankte sogar kurz, bevor sie sich wieder zu fangen schien. Immerhin hatte meine Mutter gerade öffentlich verkündet, welche Schande durch Devons Verhalten auf die Familie Martinez gefallen war.

»Oberste Diplomatin Shayn«, sprach Viktoria meine Mutter souverän an. »Ihre Worte ehren Sie, doch haben Sie leider ein wichtiges Detail