Die Spur des Wolfskaters - Soey Noir - E-Book

Die Spur des Wolfskaters E-Book

Soey Noir

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Beschreibung

Niemals hätte Captain Nathan Montague damit gerechnet, noch einmal sein Glück zu finden. Doch als er ausgerechnet an seinem Geburtstag auf einer Konferenz der Streitkräfte den Heiligsten aller Bünde geschenkt bekommt, steht seine Welt Kopf.  Wie soll er damit umgehen, eine zweite Chance geschenkt bekommen zu haben? Wo er doch am liebsten schon längst gestorben wäre? Und wer ist der mysteriöse Mann, der kurz nach einem Anschlag auf seiner Farm steht und ihn in einer wichtigen Angelegenheit sprechen will? Die Welt, wie Nathan sie kennt, erweist sich als sorgfältig geplante Lüge. Jetzt muss er sich entscheiden, wohin sein Weg ihn führen soll. Ist er bereit, alles hinter sich zu lassen, was er kannte, um etwas geschenkt zu bekommen, dass er sich sein ganzes Leben lang erträumte? Oder wird er den einfacheren und ungefährlicheren Weg wählen? Die Liebesgeschichte zwischen Nathan und James ist der dritte Teil der »Kinder des Lichts«-Reihe mit verändertem Pairing. Wie auch in der Hauptreihe sind die einzelnen Bände in sich abgeschlossen.

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Weitere Titel der »Kinder des Lichts«-Reihe von Soey Noir:

Band 1 »Das Schicksal der Wölfin«

Band 2 »Der Bund der Rabentochter«

Band 3 »Die Spur der Wolfskatze«

Die »Kinder des Lichts« mit anderen Pairings:

Band 1 »Das Schicksal der Wölfin – Noraya und Samael«

Band 2 »Der Bund der Rabentochter – Roselyn und Richard«

Inhaltsverzeichnis

DAS KOMMT UNERWARTET

Soledi, 21. Tag im Jagdmond

BELEIDIGE BITTE NICHT MEINE INTELLIGENZ

Lunedi, 22. Tag im Jagdmond

DIE BLUME KANNST DU BEHALTEN

Ignedi, 23. Tag im Jagdmond

LASS DAS EIN SCHERZ SEIN

Soledi, 28. Tag im Jagdmond

DER GEDANKE HAT ETWAS FÜR SICH

Soledi, 28. Tag im Jagdmond

ICH BEKOMME GERADE EINE GÄNSEHAUT

Soledi, 28. Tag im Jagdmond

PROBIEREN WIR EINFACH MAL WAS NEUES AUS

Ariedi, 03. Tag im Donnermond

BIST DU VERRÜCKT?

Ariedi, 03. Tag im Donnermond

ICH HÄTTE DICH HEUTE VERLIEREN KÖNNEN

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

DIR IST SCHON KLAR, WAS DU DA GERADE TUST, ODER?

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

NEUIGKEITEN VERBREITEN SICH SCHNELL

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

FÜNF TROPFEN BLUT

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

REDE NICHT SO EINEN UNSINN

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

BRINGE ICH DICH DURCHEINANDER?

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

MIR FEHLEN DIE WORTE

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

EIN SICHTBARES ZEICHEN

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

ICH LIEBE MUSIK

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

DARF ICH HEREINKOMMEN?

Lucedi, 04. Tag im Donnermond

ALLE MÜHE WERT

Soledi, 05. Tag im Donnermond

JEDER MOMENT MIT DIR IST WERTVOLL

Soledi, 05. Tag im Donnermond

DU BIST EINFACH ZU GUT ZU MIR

Lucedi, 18. Tag im Donnermond

ES IST MIR WICHTIG

Lucedi, 18. Tag im Donnermond

ICH HALTE DAS NICHT MEHR AUS

Lucedi, 18. Tag im Donnermond

SIE HABEN EIN RECHT, ES ZU ERFAHREN

Lucedi, 18. Tag im Donnermond

ICH WEISS NICHT, WAS ICH SAGEN SOLL

Lucedi, 18. Tag im Donnermond

MAGST DU ES ETWAS RAUER, MEIN GELIEBTER?

Lucedi, 18. Tag im Donnermond

WAS, BEIM HEILIGEN LICHT, GEHT HIER NUR VOR?

Soledi, 19. Tag im Donnermond

SCHLIMMER KANN ES NICHT WERDEN

Soledi, 19. Tag im Donnermond

DU BIST UNSER KIND

Soledi, 19. Tag im Donnermond

VERTRAU AUF DEINEN INSTINKT, DARLING

Soledi, 19. Tag im Donnermond

WAS TUST DU MIT MIR?

Soledi, 19. Tag im Donnermond

WOAH, NATHAN, LANGSAM

Lunedi, 20. Tag im Donnermond

WILLKOMMEN IN DER FAMILIE

Lunedi, 20. Tag im Donnermond

ICH WERDE DICH LEHREN, WAS DEMUT BEDEUTET

Soledi, 02. Tag im Nebelmond

JIM, LIEBLING, WAS TUST DU HIER?

Ignedi, 04. Tag im Nebelmond

EIN LEBEN FÜR EIN LEBEN

Maredi, 05. Tag im Nebelmond

DER HEILIGEN MAGIE SEI DANK

Maredi, 05. Tag im Nebelmond

DAS KOMMT UNERWARTET

Soledi, 21. Tag im Jagdmond

»Happy Birthday to me. Oh Heiliges Licht, wie ich es hasse.«

Seufzend zog ich mir die Kapuze meines goldenen Umhangs tief ins Gesicht, ehe ich den Konferenzsaal betrat. Zur Nacht der Elemente war aus dem Raum ein Ballsaal geworden. Und wie jedes Jahr waren alle Teilnehmer der Konferenz dazu angehalten, den Feierlichkeiten beizuwohnen. Die sanften Klänge eines Walzers erfüllten den Raum.

Wenigstens gibt es gute Musik und wir tragen festliche Garderobe anstelle unserer Uniformen, dachte ich erleichtert. Dem alten Brauch zu folgen, in der Hoffnung, heute dem Seelengefährten zu begegnen, ist ja schön und gut. Aber ich will nicht wissen, ob ich das Pech habe, mit jemandem in einem Kreis zu landen, der mehr als zwei Ränge von meinem Rang entfernt ist.

Sorgfältig achtete ich auf dem Weg an die Bar auf den Boden. In scheinbar wahlloser Willkür waren überall im Saal magische Kreise in den Farben der fünf Heiligen Elemente auf dem Boden verteilt. Nur die Tanzfläche, die Bar und die Sitzgelegenheiten an der Wand waren ausgespart worden. Wer das Pech hatte, in einem solchen Kreis zu landen, konnte nur durch einen Kuss ausgelöst werden. Da der Kuss an einem dieser magischen Feiertage für magielose Menschen die einzige Möglichkeit darstellte, den Seelenbund mit einem anderen Wesen zu spüren, taten die Regierungen alles, um an den fünf Heiligen Feiertagen des Jahres so viele unterschiedliche Personen wie möglich zu versammeln.

Ein solcher Bund ist etwas Heiliges. Danach sollte sich eigentlich jeder Mensch sehnen. Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus, als ich endlich unfallfrei an der Theke ankam. Aber ich will mich nicht erneut verlieben. Sabrina ist nur eine Liebelei, das zählt nicht. Ich habe keine zweite Chance verdient. Ich sollte nicht mehr hier sein. Einen Moment wurde mir das Herz schwer vor Trauer. Wenn es doch nur mich und nicht meine Familie getroffen hätte. Oder ich wenigstens mit ihnen gestorben wäre. Alles wäre besser gewesen, als sie zu verlieren.

Ein schneller Blick an der Theke entlang zeigte mir, dass nur noch wenige Plätze frei waren. Eine Gestalt in einem smaragdgrünen Umhang fiel mir ins Auge. Hauptsächlich deshalb, weil der Barkeeper der Person gerade ein schmales Glas mit einem dunkelgrünen Getränk hinstellte, ehe er eine klare Flüssigkeit dazugoß. Woraufhin aus dem Dunkelgrün Milchig-Weiß wurde. Na, warum nicht. Mir ist alles egal, solange ich nur meinen Drink in Ruhe genießen und dann wieder gehen kann, dachte ich, während ich meine Schritte zu der Gestalt lenkte.

»Entschuldigung, ist hier noch frei?«

Die Person sah bei meinen Worten auf. Smaragdgrüne Augen musterten mich einen Moment intensiv, dann folgte ein Nicken. Von der Mimik war dank der Kapuze nichts zu sehen.

»Von mir aus, bitte. Ich erwarte niemanden«, gab mir eine leicht rauchige Stimme die Erlaubnis.

»Danke. Einen Single Malt Whiskey bitte, Mawnyth pur«, fügte ich an den Barkeeper gewandt hinzu. Der Mann musterte mich überrascht, auch wenn er außer meiner Augen nichts sah.

»So etwas haben wir nicht im Angebot«, entschuldigte er sich kleinlaut.

»Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«, seufzte ich genervt. »Haben Sie überhaupt Whiskey im Angebot? Aber bitte nicht den billigen Fusel, sondern den guten Whiskey von den Inseln der Berge.«

»Gibt es ein Problem?«, mischte sich ein Mann im Anzug ein, während er vom anderen Ende der Theke auf uns zueilte. Ein Schild am Anzug wies ihn als Manager aus.

»Ich hätte gerne einen Mawnyth, pur versteht sich. Nur sagt mir Ihr Mitarbeiter, dass Sie den Single Malt Whiskey nicht im Angebot haben«, erklärte ich trocken.

Der Mann warf seinem Barkeeper einen Blick zu, der gut und gerne als frostig bezeichnet werden konnte. »Bitte verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten«, wandte er sich an mich. »Natürlich haben wir einen solch edlen Tropfen im Angebot. Mein Mitarbeiter hat aus Unwissenheit geantwortet, nicht aus Bosheit.«

»Schon gut. Geben Sie mir bitte einfach nur den Whiskey«, winkte ich ab. Sofort drehte der Manager sich um, ging zu einem Holzschrank ein paar Schritte entfernt und öffnete ihn. Ein einziger Blick reichte mir, um zu sehen, dass in dem Schrank eine exquisite Auswahl an Whiskey gelagert wurde.

»Welche Reifung bevorzugen Sie? Wir haben alles da, was Mawnyth zu bieten hat.«

»Ich nehme den 18 Jahre alten.«

»Eine gute Wahl.« Der Mann griff nach einem der Tulpengläser, die umgekehrt in dem Schrank hingen. Dann nahm er vorsichtig eine Flasche heraus. Das Glas landete auf einem Korkuntersetzer, ehe er mir 2cl der goldbraunen Flüssigkeit einschüttete. »Bitte sehr, 18 Jahre alter Mawnyth. Ein wahrlich edler Tropfen für Genießer.«

»Danke«, meinte ich ungerührt. Heute Abend wurden sämtliche Getränke vom Veranstalter der Festlichkeiten übernommen. Nicht, dass es mich irgendwie tangieren würde, meinen Drink selbst zu bezahlen. Ruhig griff ich nach dem Glas und hielt es prüfend gegen das Licht, bevor ich die Flüssigkeit ein wenig schwenkte. Danach nahm ich einen tiefen Atemzug von der Spitze des Glases. Ein rauchig-süßes Aroma stieg in meine Nase. »Sehr gut. Genau so, wie er sein sollte«, freute ich mich leise. Der Manager nickte sichtlich zufrieden, ehe er sich entschuldigte, die Flasche wieder verstaute und mit dem Barkeeper verschwand.

»Eine interessante Getränkewahl«, ließ die Person neben mir unerwartet verlauten.

»Kennen Sie sich mit Whiskey aus?«, wollte ich neugierig wissen, während ich auf das milchig-weiße Getränk neben meinem schielte. Das schmale Glas war nur wenige Fingerbreit gefüllt.

»Wie man es nimmt. Ich trinke gerne würziger. Aber wenn man nicht gerade alles ignoriert, was mit exklusiveren Getränken zu tun hat, kommt man nicht umhin, von dieser wirklich exklusiven Whiskey-Herstellung auf den Inseln der Berge zu hören.«

»Der beste Whiskey kommt einfach von den Inseln der Berge. Genauso wie der exklusivste Tee der Welt«, schnaubte ich leise.

»Ah, Sie sprechen vom Manea. Das ist nicht wirklich meins. Zu herb und bitter.«

»Oh ja. Ich mag einen guten Whiskey, aber der Tee sollte dann doch nicht so bitter sein.«

»Hmm. Das kenne ich von mir. Ich bevorzuge Kaffee vor Tee. Und wenn es dann doch mal Tee wird, gibt es Rooibos oder einen guten Earl Grey.«

»Noch so ein Kaffeejunkie wie ich. Aber das ist wohl Berufskrankheit.«

»Definitiv«, schnaubte die Person neben mir. »Tee gibt es bei mir meist nur gemütlich auf dem Sofa und mit einem guten Buch in der Hand.«

»Das ist unheimlich«, lachte ich leise. »Das klingt gerade sehr nach mir. Mit einem herrlichen Earl Grey und einem guten Buch verschönere ich mir meinen Abend, wenn ich die Zeit dazu habe.«

»Na, da sind wir uns wohl einig. Was lesen Sie denn so, wenn Sie meine Frage gestatten?«

»Sagt Ihnen der Autor Leroy Chandra etwas? Ich lese zurzeit sein Buch ›Eingeladen von der Ewigkeit‹.«

»Okay, das ist richtig unheimlich. Ich bin selbst ein großer Fan der klassischen Literatur. Allerdings lese ich zur Zeit Chandras Werk ›Schatten, Licht und ein Abendstern‹.«

»Ein wahrlich beeindruckendes Epos, das ich nur dringend empfehlen kann«, meinte ich ernst. »Ich habe selbst ein Exemplar dieses Werkes in meiner Sammlung und lese es immer wieder gerne.«

»Dasselbe kann ich über ›Eingeladen von der Ewigkeit sagen‹«, kommentierte die Person neben mir trocken.

»Was für ein merkwürdiger Zufall«, lachte ich leise.

Niemand von uns beiden wusste darauf etwas zu erwidern, weshalb wir schwiegen.

Da erweist sich das Wesen neben mir als angenehmes Gegenüber. Das ist doch mal schön, freute ich mich still. Als ich einen Schluck meines Whiskeys probierte, entkam mir ein wohliges Seufzen. Der Geschmack stand dem Geruch in keinster Weise nach. Süßliche Vanille mischte sich mit einem Hauch Kakao, dem nach den ersten Sekunden der kräftige Geschmack von Torfrauch folgte.

»So gut, hmm?«, kam es von der Seite.

»So exquisit, wie ich es gewohnt bin, ja. Ein wunderbarer Tropfen, der es wert ist, in Ruhe genossen zu werden.«

Einen Moment spürte ich den Blick der Person neben mir auf mir ruhen.

»Wollen wir uns vielleicht gemeinsam an einen der Tische zurückziehen, um unsere Getränke in Ruhe genießen zu können? Hier an der Theke ist es doch recht hektisch.«

»Von mir aus, gerne«, gab ich zögerlich nach. »Hier ist es wirklich recht hektisch.«

»Wunderbar. Ich schätze, dass Sie ebenso wenig an den Traditionen des Abends interessiert sind, wie ich, sonst hätten Sie sich wahrscheinlich schon längst unter die Leute gemischt. Warum genießen wir nicht einfach eine Weile die unerwartet angenehme Gesellschaft, bevor sich unsere Wege wieder trennen?«

»Einverstanden. Folgen wir den Traditionen und klammern unsere Berufe samt Rang und allen Formalitäten aus? Da dieser Ball der Abschluss einer Konferenz der Streitkräfte für ihre Angehörigen ist, haben wir mit Sicherheit denselben Arbeitgeber.«

»Sehr gerne. Ich bin übrigens Jim«, stellte sich die Person vor.

»Angenehm deine Bekanntschaft zu machen, Jim. Ich heiße Nate«, entschied ich mich für meinen Rufnamen.

»Ebenfalls angenehm. Wollen wir?«

»Gerne.« Ich griff nach meinem Glas und dem Untersetzer, ehe ich vom Barhocker rutschte. Jim tat es mir gleich, bevor er neben mich trat und wir uns auf den Weg an eine der Wände machten, wo kleine, runde Tische und gemütliche Sessel zum Verweilen einluden. Zielsicher schlängelten wir uns durch die Menge, während wir den Kreisen auf dem Boden auswichen.

Ein harter Stoß ließ mich wenige Schritte von unserem Ziel entfernt gegen meinen Begleiter stolpern. Allein unserer beider schneller Reaktion war es zu verdanken, dass wir unsere Getränke und unsere Garderobe vor einem Malheur bewahrten.

»Idiot«, knurrte Jim der Person hinterher, die uns angestoßen hatte und dann ohne eine Entschuldigung verschwunden war. »Ist bei dir alles in Ordnung?«

»Ja, alles gut, danke der Nachfrage. Bei dir auch?«

»Ja. Nichts passiert.«

»Wunderbar.« Ich setzte mich erneut in Bewegung, kam aber nur wenige Zentimeter weit. »Oh nein«, stöhnte ich entnervt, den Blick auf den Boden gerichtet. Ein leuchtender, goldener Kreis umschloss meinen Begleiter und mich. »Das ist jetzt ein schlechter Scherz, oder? Nichts gegen dich, Jim«, schob ich hastig hinterher.

»Schon gut, ich kann dich verstehen. Ich finde es genauso prickelnd, durch diesen Idioten mit dir in einem Elementarkreis zu stehen, wie du. Also, wollen wir es hinter uns bringen?«

»Wenn wir noch was von diesem Abend haben wollen, anstatt hier festzustehen, ja«, seufzte ich schwer. »Ich hasse diesen Brauch.«

»Glaub mir, ich auch«, grummelte mein Begleiter. Dann trat er die letzte Handbreit an mich heran. »Darf ich dich berühren, Nathan?«

»Ja, darfst du. Wenn ich dich auch berühren darf«, gab ich meine Erlaubnis.

»Das nenne ich fair.« Jim legte seine freie Hand über meinem Umhang auf die schmalste Stelle meines Rückens und zog mich eng an sich. Ich tat es ihm gleich, ehe ich mich an ihn schmiegte und das letzte Stückchen zwischen uns schloss. Die Ränder unserer Kapuzen strichen übereinander und hüllten uns in Dunkelheit. Nichts war mehr von der Außenwelt zu sehen, was dazu dienen sollte, dass man sich vollkommen ohne äußere Einflüsse auf den Kuss einließ. Instinktiv schloss ich meine Augen, während ich meinen Gegenüber küsste. Ohne Hast verwickelte ich ihn in einen scheuen, beinahe unschuldigen Kuss. Zart wie die Flügel eines Schmetterlings strichen seine warmen, leicht rauen Lippen über meine. Ein Bart kitzelte mich bei unserem Kuss.

Mir wurden ein wenig die Knie weich, sobald ich ein sanftes Prickeln über meinem Herzen spürte. Dort, wo sich das Zeichen der Seelenverwandtschaft mit meinem geliebten Ehemann für immer in meine Haut eingebrannt hatte, fühlte ich ein neues, warmes Prickeln.

Das ist nicht wahr. Die Erkenntnis, was dies bedeutete, ließ meine Knie endgültig nachgeben. Nur der starke Arm, welcher sich blitzschnell um meine Taille schlang, hielt mich noch aufrecht. Keuchend brach ich den Kuss.

»Das kommt unerwartet«, strichen Jims Worte über meine Lippen. Noch immer hielt er mich sicher fest. »Geht es? Kannst du stehen?«

»Ich bin mir gerade nicht sicher«, nuschelte ich verlegen.

»Dann sollten wir uns vielleicht setzen.« Wir lösten uns weit genug voneinander, um die letzten Schritte zu einem kleinen Zweiertisch zu gehen.

Oder in meinem Fall wohl eher mit Jims Hilfe zu stolpern, dachte ich sarkastisch.

»Danke«, wisperte ich, während ich mich in einen der Sessel fallen ließ. Der Whiskey landete genauso unzeremoniell auf dem Tisch, nachdem ich einen großen Schluck getrunken hatte.

»Bitte.« Jim ließ sich mir gegenüber nieder und starrte einen Moment wortlos in sein Glas, ehe er es mit einem Zug beinahe zur Hälfte leerte. Dann streckte er seine Hand zu der Rune auf dem Tisch aus. Ich zuckte kurz zusammen, bevor ich es ihm gleichtat. Gemeinsam berührten wir die Rune. Sofort erhob sich ein Schutzwall um unseren Tisch, der es uns ermöglichte, weiterhin alles von unserer Umgebung wahrzunehmen, uns aber auch gleichzeitig vor neugierigen Blicken und Lauschern verbarg. Jim zögerte minimal, dann hob er die Hand und strich sich die Kapuze vom Kopf. Damit bewies er mir großes Vertrauen, immerhin hatten wir uns noch nicht entschieden, wie wir mit der Situation umgehen wollten. Dennoch tat ich es ihm ohne zu zögern gleich, während ich ihn ungeniert musterte.

Schokoladenbraune, kurze Haare waren wild durcheinander gestylt. Ein Bart ging die Wangenknochen des kantigen Gesichts herunter, ließ die Wangen aber frei. Dafür mündete er in einem kurzen Ziegenbart, der zusammen mit einem Schnäuzer die weichen, leicht rauen Lippen umrahmte. Jims Augen strahlten in einem merkwürdigen Glanz.

Sein Blick glitt über mein Gesicht, während sich seine angespannte Mimik glättete und er mir ein vorsichtiges Lächeln schenkte. »Hallo Nathan«, murmelte er sanft.

»Hallo Jim«, erwiderte ich leise. Lange musterten wir einander, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Als Jim sein Glas hob und mir zuprostete, fing sich mein Spiegelbild im Glas. Traurige Augen starrten mir aus einem verhärmten Gesicht mit hageren Zügen entgegen. Das dunkle Beige meines Hemdes bildete einen beinahe starken Kontrast zu meiner blassen Haut. Weil ich mein Spiegelbild nicht länger sehen wollte, hob ich mein Glas und ließ es leicht gegen Jims stoßen. Ein heller Ton erklang, der uns beide zum Schmunzeln brachte. Dann seufzte mein Gegenüber schwer.

»Was wollen wir aus der Situation machen? Du siehst ehrlich gesagt nicht gerade glücklich aus, dass wir beide Seelengefährten sind.«

»Du springst hier aber auch nicht gerade freudestrahlend durch die Gegend«, konterte ich trocken.

»Touché. Also bin ich einfach mal direkt und ehrlich. Immerhin habe ich das hier gerade angefangen. Bei mir ist das, was gerade geschehen ist, noch gar nicht angekommen. Ich hätte niemals damit gerechnet, hier und heute meinem Seelengefährten begegnen zu können.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin nur hier, weil unser Arbeitgeber dies wünscht. Eigentlich wäre ich heute Abend bereits nach Hause abgereist.«

»Da geht es dir wie mir«, murmelte ich. »Okay. Eine Frage vorneweg: Bist du Single?«

Jim blinzelte mich einige Augenblicke erstaunt an. Dann nickte er langsam. »Ich bin schon seit einer ganzen Weile geschieden und alleinstehend. Und du?«

»Ich habe eine feste Freundin. Allerdings erledigt sich das, wenn wir uns entscheiden sollten, aus dieser Situation etwas zu machen«, bekannte ich unumwunden. »Das zwischen Sabrina und mir ist zum einen noch recht frisch. Und zum anderen würde ich die Beziehung beenden, wenn wir unserer Seelenverwandtschaft in irgendeiner Weise eine Chance geben wollen würden.«

»Das nenne ich mal sehr pragmatisch. Aber der Gedanke dahinter gefällt mir. Immerhin wäre es merkwürdig, wenn wir uns für ein Austesten dieses Heiligen Geschenkes entscheiden sollten und du dabei noch liiert wärst.«

»Was möchtest du denn?«, wollte ich neugierig wissen. »Ich bin ehrlicherweise noch vollkommen unsicher, weil das jetzt etwas ist, womit ich absolut nicht gerechnet hätte.«

»Ich weiß es nicht. Es ist mein absoluter Wunschtraum, wenigstens einer der Personen zu begegnen, die meine eigene Seele komplett ergänzen. Allerdings weiß ich wirklich nicht, wie wir damit umgehen sollen, einander heute begegnet zu sein. Zumal es noch ein paar Dinge gibt, die unsere Lage verkomplizieren könnten.«

»Was genau meinst du?«, hakte ich misstrauisch nach.

»Was hältst du von Magie?«, antwortete Jim mit einer Gegenfrage.

Ich zuckte nonchalant mit den Schultern. »Ich selbst bin nicht mit der Gabe der Magie gesegnet. Aber es ist mir auch vollkommen egal, ob mein Gegenüber nun magisch ist oder nicht. Die Heilige Magie ist Teil meines Lebens, auch wenn ich selbst nicht magisch bin. Warum sollte ich da etwas dagegen haben, wenn die Person, mit der ich eine Beziehung eingehe, magisch veranlagt wäre? Warum fragst du? Bist du ein Magier und gegen eine Beziehung mit magielosen Menschen? Nebenbei bemerkt die Frage, ob du überhaupt an einer Beziehung irgendeiner Natur interessiert wärst. Immerhin bedeutet eine Seelenverwandtschaft nicht unbedingt, dass die beteiligten Parteien auch eine Beziehung eingehen.«

»Das ist eine schöne Einstellung. Und nein, ich bin zwar ein Magier, aber mir ist es vollkommen egal, ob meine Partnerin magisch veranlagt ist oder nicht. Solange ich nicht mit Vorurteilen konfrontiert werde, kann man sich arrangieren.« Er musterte mich intensiv, ehe er weitersprach: »Nun, um deine anderen Fragen zu beantworten, stelle ich erstmal eine Gegenfrage: Gehe ich richtig in der Annahme, dass du, wo du so vollkommen neutral vom Geschlecht deiner möglichen Beziehung sprichst, an allen Varianten interessiert bist? Oder zumindest an Mann und Frau gleichermaßen?«

»Ja«, entgegnete ich schlicht. »Für mich ist der Charakter der Person der ausschlaggebende Punkt, ob ich eine Beziehung mit der Person eingehen möchte oder nicht.« Ich hielt kurz inne, dann suchte ich Jims Blick und sprach entschlossen weiter: »Für mich muss eine Beziehung auch nicht romantischer und sexueller Natur gleichzeitig sein. Wobei letzteres für mich zwar ohne Ersteres nicht möglich ist. Dennoch gehört Sex für mich nicht zwangsläufig zu einer romantischen Beziehung dazu. Ich nehme an, du bist nur an Frauen interessiert?«

»Ja, bin ich. Sowohl romantischer als auch sexueller Natur bin ich theoretisch ausschließlich an Frauen interessiert. Praktisch scheint die Heilige Magie der Meinung zu sein, dass ich wohl doch mal über einen Mann als Partner nachdenken sollte. Aber eins kann ich dir sagen, Nathan. Liebe und Sex kann ich nicht trennen. Deshalb erleichtern mich deine Worte gerade sehr. So merkwürdig diese Situation auch gerade ist, wäre die Trennung von Liebe und Sex ein Punkt, unser Gespräch sofort zu beenden. Treue ist für mich absolut wichtig.«

»Wie gut, dass wir uns zumindest da einig sind.«

»Sehr schön. Also, dann mache ich mal weiter. Für mich würde eine Seelenverwandtschaft irgendwann auf eine feste, monogame Beziehung hinauslaufen. Was zwangsläufig ein Umdenken für mich bedeuten würde, solltest du an einer Beziehung mit mir interessiert sein. Ich meine, ich könnte nicht dabei zusehen, wie mein Seelengefährte mit einer anderen Person eine romantische Beziehung eingeht und ich selbst ausgeschlossen bin. Natürlich gibt es immer noch die Heiligen Triaden, aber das ist was anderes. Ich glaube kaum, dass wir das Glück haben werden, auch noch unseren zweiten Seelengefährten zu begegnen.«

»Das definitiv nicht«, murmelte ich dunkel, während ich einen weiteren Schluck von meinem Whiskey nahm. Der scharfe Torfgeschmack tat mir gerade einfach nur gut.

Erschrocken wurde ich angesehen. Jims geweitete Augen huschten über mein Gesicht, seine Stirn furchte sich. »Habe ich dir weh getan?«

»Nein, hast du nicht. Aber lass uns nicht weiter drüber reden. Wir kennen uns definitiv noch nicht gut genug für ein solches Gespräch. Die anderen Dinge hingegen, wie eben unsere sexuellen Präferenzen und sowas, sind für die Frage, ob wir etwas aus dieser neuen Situation machen wollen, wichtig.« Wenn du wüsstest, fügte ich in Gedanken hinzu. Wie dieses Gespräch dann wohl laufen würde? Aber ich werde es dir bestimmt nicht jetzt schon erzählen. Erstmal abwarten, was noch kommt.

»Okay, wenn du das möchtest. Grundlegende Dinge sind gerade wirklich wichtiger«, stimmte Jim umgehend zu. »Ich mache jetzt einfach mal einen Vorschlag: Wollen wir schon mal unsere Telefonnummern tauschen, um in Kontakt bleiben zu können? Egal, was dieses Gespräch und eventuell Folgende noch ergeben, würde es mich doch sehr freuen, wenn wir in Kontakt bleiben würden. Immerhin hat die Heilige Magie uns mit dem höchstmöglichen Geschenk gesegnet.«

»Das ist wahr. Von mir aus können wir gerne in Kontakt bleiben, egal was dieses Gespräch noch ergibt. Aber Jim, ich habe eine Bitte, bevor wir weitersprechen.«

»Was gibt es, Nathan?«

»Lass uns von hier verschwinden. Ich würde lieber draußen spazieren gehen oder auch nur irgendwo sitzen, als weiterhin hier im Raum zu bleiben.«

»Das klingt ganz nach meinem Geschmack. Ich wäre auch lieber an einem ruhigeren Ort«, stimmte Jim sofort zu. Er leerte sein Glas und sah mir zu, wie ich ihm es mit meinem Whiskey gleichtat. Dann stand ich auf, während ich mir die Kapuze wieder über den Kopf zog. Nur einen Atemzug später war Jim an meiner Seite.

»Darf ich?«, wollte er wissen, während er auf meine Hand deutete. Auf mein Nicken hin, ergriff er meine Hand und legte sie auf seinem Arm ab.

Das ist zwar ein merkwürdiges Gefühl, aber doch schlau, amüsierte ich mich still, als wir den Schutzring durchschritten und uns in Richtung des Ausganges wandten. Derart miteinander verbunden werden uns die magischen Elementarkreise auf dem Weg nach draußen in Ruhe lassen. Vor allem, weil wir hiermit als frisch gefundene Seelengefährten unsere Absicht kundtun, die Feierlichkeiten gemeinsam zu verlassen.

BELEIDIGE BITTE NICHT MEINE INTELLIGENZ

Lunedi, 22. Tag im Jagdmond

Was für eine merkwürdige Begegnung das gestern war, grübelte ich, als ich auf die Straße einbog, in der Sabrinas Haus stand.

Ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll, meinem Seelengefährte begegnet zu sein. Was hat sich die Heilige Magie dabei gedacht? Dass wir uns schon vor dieser unglaublichen Entdeckung gut verstanden haben, ist unheimlich. Mit Matteo war es ganz anders. Da war es Liebe auf den ersten Blick, noch weit bevor wir es wussten. Ach Mat, du fehlst mir so sehr. Ich seufzte tief, als sich ganz hinten in meinem Kopf eine Erinnerung regte. Entschlossen schob ich sie weit von mir fort. Ich kann jetzt nicht in der Vergangenheit verweilen. Sabrina verdient es, zu erfahren, dass ich meinen Seelengefährten gefunden habe und wir uns entschlossen haben, in Kontakt zu bleiben. Irgendwie wäre ich ja doch neugierig, zu schauen, was aus dieser Verbindung entstehen könnte.

Ich hielt vor einem herrschaftlichen Haus und stellte den Motor aus. Nachdem ich aus dem Auto gestiegen war, streckte ich mich ein wenig, um meine verspannten Muskeln zu lockern. Sechs Stunden Autofahrt sind immer noch besser, als in einem Passagierflugzeug zu sitzen. Erst recht, weil meine Hunde mich so begleiten konnten. Besagte Hunde gähnten herzhaft, als ich ihre Transportboxen öffnete. Die Heilige Magie hatte mir die beiden Wolfshündinnen von den Inseln der Berge vor beinahe fünf Jahren als tierische Gefährtinnen an die Seite gestellt. An dem Tag, als ich sie am meisten brauchte. Dafür werde ich auf ewig dankbar sein, Heilige Magie, sandte ich ein Stoßgebet an die Quelle allen Lebens.

»Kommt, meine Lieben. Wollen wir mal schauen, ob Sabrina nicht ein schönes, saftiges Steak für euch im Kühlschrank hat?« Sofort fiepten meine Hunde freudig auf. Mit einem Satz waren sie aus dem Auto heraus und an meiner Seite. Aska, die Weiße der beiden Hündinnen, drückte ihre Schnauze gegen meine Hand, während meine graue Marany sich an mein Bein schmiegte. »Sagt mir nicht, dass ihr mal wieder die gesamte Fahrt verschlafen habt, ihr Zwei.« Als die Hündinnen mir meine Vermutung gedanklich bestätigten, gluckste ich leise. »Ihr seid mir schon so Schlafmützen. Na, dann kommt.«

Mit den Hunden an meiner Seite trat ich auf die Haustür zu. Warum ich mir meine karamellfarbene Uniform glatt strich, bevor ich die Haustür aufschloss, war mir selbst ein Rätsel. Vielleicht will ich Sabrina zeigen, dass sie mir immer noch wichtig ist, mutmaßte ich stumm.

»Hmm, das ist ungewöhnlich«, murmelte ich, als ich das Haus betrat und mir der Geruch eines kräftigen Bratens entgegenschlug. Leise erklang klassische Musik aus dem Esszimmer. »Wartet hier«, wies ich meine Tiere an, ehe ich mich auf den Weg ins Esszimmer machte. Auf den Anblick, der mich dort erwartete, war ich nicht gefasst.

Im gesamten Raum brannten Kerzen. Der Esstisch war festlich für zwei Personen gedeckt. Selbst hier standen Kerzen, dieses Mal in der Form eines Herzens. Feinstes Porzellan und ein Bouquet roter Rosen rundeten das Bild ab. Sabrina kann mich nicht früher erwartet haben. Immerhin war meine Rückkehr von der Konferenz erst für morgen geplant. Was soll das alles hier? Hat sie irgendwie davon erfahren, dass ich früher heimkomme und all das hier arrangiert, um mich zu überraschen? Ich habe sie nie für eine Romantikerin gehalten. Da tut mir die Nachricht, die ich ihr zu sagen habe, fast schon leid.

Ein Laut erregte meine Aufmerksamkeit. Warum ich die Treppe in den ersten Stock hinaufschlich, war mir selbst ein Rätsel. Dennoch achtete ich darauf, keinen Ton zu verursachen. Am Ende des Flures stand die Badezimmertür offen. Der blumige Geruch von Sabrinas Duschgel erreichte meine Nase und brachte mich beinahe zum Niesen. Als ein Stöhnen an meine Ohren drang, zuckte ich zusammen.

»Oh Sabrina!«

Die Stimme kenne ich doch, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf.

Ohne weiter darüber nachzudenken, eilte ich auf die Badezimmertür zu und stieß sie auf. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Der Raum war übersäht mit Rosenblüten. Einige Kerzen tauchten die Szenerie in ihr flackerndes Licht. Vor mir in der riesigen Badewanne lagen Sabrina und ihr Ex-Mann Lukas. Meine Freundin stöhnte wollüstig zu jedem der kräftigen Stöße ihres Ex. Sabrina gab Laute von sich, die ich so von ihr noch nie gehört hatte.

»Oh Lukas, ich liebe dich so sehr.« Sabrinas Worte schnitten mir tief ins Herz. Als die beiden sich auch noch vor meinen Augen krümmten und ihren Höhepunkt hinausschrien, war es um meine Selbstbeherrschung geschehen.

»Tust du das, Sabrina?«, wollte ich mit schneidender Stimme wissen. Dass in diesem Moment meine beiden tierischen Gefährtinnen neben mir auftauchten und wild zu knurren begannen, erfüllte mich auf eine Art mit Befriedigung, wie ich sie nicht erwartet hätte. Vollkommene Ruhe überkam mich, als ich meine Hände im Fell meiner Hunde vergrub.

Meine Partnerin gab ein erschrockenes Quieken von sich, während ihr Liebhaber abrupt innehielt.

»AH! Nathan, was machst du denn hier?«, wollte Sabrina keuchend von mir wissen. »Es ist nicht das, wonach es aussieht.«

»Nein, natürlich nicht, Sabrina. Da bin ich eine Woche auf einer Konferenz und dir fällt nichts Besseres ein, als dich von deinem betrügerischen Ex-Mann vögeln zu lassen? Ich gratuliere euch beiden. Ihr passt so gut zusammen, dass mir schlecht wird.«

Auch wenn ich innerlich vor Wut und Schmerz zitterte, blieb ich äußerlich vollkommen ruhig, während ich meinen Schlüsselbund zog und den Haustürschlüssel zu Sabrinas Haus entfernte. Ich warf den Schlüssel auf den Boden, dann drehte ich mich um. »Keine Sorge, Sabrina, ihr seid mich gleich wieder los und könnt da weitermachen, wo ich euch unterbrochen habe. Ich hole nur meine Sachen«, erklärte ich beim Verlassen des Badezimmers.

Meine Hunde folgten mir ins Schlafzimmer, wo ich meine wenigen Habseligkeiten zusammensuchte und zu einem Bündel verschnürte. Das Bild von Sabrina und mir auf der Achterbahn im Freizeitpark, welches auf meiner Seite des Bettes stand, nahm ich ebenfalls mit. Es war der Tag unserer ersten Begegnung gewesen.

»Nathan, bitte, lass mich erklären.« Sabrinas nasse Hand legte sich auf meinen Arm.

»Fass mich nicht an«, fauchte ich unwirsch. Meine Partnerin stolperte erschrocken einen Schritt zurück, als ich meinen Arm aus ihrer Hand befreite. »Da gibt es nichts zu erklären. So stark können deine Gefühle für mich ja nicht gewesen sein, wenn du dich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit von deinem Ex-Mann vögeln lässt.«

»Aber Nate, das war ein Ausrutscher. Das war so nicht geplant. Lukas stand gestern einfach da.«

»Ach, gestern? Also betrügst du mich nicht erst einen Tag nach meinem Geburtstag, sondern an meinem Geburtstag. Na wunderbar. Da hast du dir ein großartiges Geschenk für mich ausgedacht.«

»Nein, Nathan, so war das nicht gemeint«, begann Sabrina. »Ich wusste, dass du heute wieder kommst, und wollte dich mit einem romantischen Essen überraschen. Immerhin sind wir heute ein halbes Jahr zusammen.« Nackt und tropfnass, wie sie war, stolperte sie zu ihrem Nachtschränkchen und öffnete die oberste Schublade. »Beim Heiligen Licht, Nathan, ich schwöre dir, dass das ein Ausrutscher war. Schau hier«, sie zog eine Schatulle aus der obersten Schublade, »ich wollte dir heute einen Antrag machen. Wir zwei gehören zusammen, das fühle ich einfach. Ich wollte nicht länger warten, ob du mir einen Antrag machst, sondern dich heute fragen, ob du mich heiraten willst?«

Mir wich sämtliches Blut aus dem Gesicht und mein Körper wurde merkwürdig taub, als ich den breiten Goldring sah, den Sabrina mir präsentierte.

»Du falsche Schlange«, knurrte ich sie an. »Du betrügst du mich an meinem Geburtstag und danach. Und hast jetzt auch noch allen Ernstes den Schneid, splitterfasernackt vor mir zu stehen und mir einen Antrag zu machen? Das ist widerlich. Du bist einfach nur krank. Nimm den Ring und steck ihn deinem Ex-Mann an. Ihr zwei passt wenigstens zusammen.« Ich seufzte schwer, ehe ich mich auf den Weg zur Tür machte. »Lass es einfach, Sabrina. Deine Absichten mir gegenüber sind nicht ehrlich. Also beleidige bitte nicht meine Intelligenz, indem du irgendwelche billigen Ausreden suchst.« Ich sah der nackten Frau direkt in die Augen, weil ich nichts weiter von ihrem Körper sehen wollte. »Nur fürs Protokoll: Es ist aus zwischen uns. Jemanden wie dich brauche ich in meinem Leben nicht.«

Ohne ein weiteres Wort wandte ich mich hoch erhobenen Hauptes ab und ließ sie stehen. Als meine Hunde und ich bereits an der Treppe waren, drehte ich mich noch einmal um. Lukas stand in der Badezimmertür und sah mich an. Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

»Ich gratuliere dir, Lukas. Du hast geschafft, was du wolltest. Sabrina gehört wieder ganz allein dir. Ich hoffe, ihr beide werdet miteinander glücklich. Ihr habt euch wahrlich verdient.«

Der Weg ins Auto kam mir vor wie ein merkwürdiger Traum. Daran, wie ich meine Hunde in die Boxen gesperrt hatte, oder an die Fahrt zum Stützpunkt, erinnerte ich mich gar nicht mehr.

Erst, als ich auf meiner Farm angekommen war und mitten in meiner Peryton-Herde im weichen Stroh lag, nahm ich meine Umgebung wieder etwas wahr. Meine Hunde drängten sich eng an mich, als ich meine Selbstbeherrschung aufgab und die Tränen fließen ließ, die mir auf die Seele drückten. Um mich herum schnaubten die Peryton. Meine beiden Lieblingstiere, der Leithengst Arwen und seine Gefährtin Nuka, setzten sich zu mir, während sich der Rest des fünfköpfigen Stammrudels um uns versammelte. Der dunkelgrüne Hirsch streckte einen seiner riesigen Federflügel über mir aus, was mir erlaubte, mich an seine Flanke zu kuscheln. Ich verkrallte meine Hände im Fell meiner Hunde und weinte bitterlich. Nicht um die Beziehung zu Sabrina. Die hatte ich heute sowieso beenden wollen. Ich weinte, weil der Stachel des Verrats so tief und bitter saß.

»Wie konntest du mir das antun, du Biest?«, knurrte ich in den stillen Stall hinein. Das sanfte Gemurmel der Tiere um mich herum half mir schließlich, meine aufgewühlten Gefühle wieder zu beruhigen. Ihre Magie zu spüren, mit der sie mich wie in eine warme Decke hüllten und zu wissen, dass dieses Rudel mich niemals im Stich lassen würde, war eine wahre Wohltat für meine Seele.

Mit zittrigen Fingern griff ich nach meinem Smartphone und wählte eine Nummer.

»Ja, wer stört?«, grummelte eine Stimme am anderen Ende schläfrig.

»Henry, ich bin’s«, krächzte ich. »Entschuldige, dass ich dich wecke.«

»Vergiss es. Wo bist du, Nate? Du klingst schrecklich. Brauchst du Hilfe?« Mein bester Freund war sofort hellwach.

»Nein, ich bin auf meiner Farm und in Sicherheit, keine Sorge«, murmelte ich. »Aber Henry, können wir reden?«

»Natürlich, Nate. Was ist denn los?«

»Ich habe Sabrina heute inflagranti mit ihrem Ex-Mann erwischt.«

Ohrenbetäubende Stille antwortete meinen Worten. Einige Atemzüge blieb es ruhig in der Leitung, dann explodierte mein bester Freund: »Was hat sie getan? Ich bringe diese miese Schlampe um!«

Als ich die Wut in Henrys Stimme hörte, entkam mir unwillkürlich ein raues Lachen. »Ein netter Gedanke, aber den Papierkram nicht wert, den es bedeuten würde, wenn du grundlos eine Zivilistin tötest.« Erneut musste ich lachen. »Kannst du dir das vorstellen, Henry? Sabrina, die eigentlich alles andere als eine Romantikerin ist, hat ein festliches Essen vorbereitet. Im Esszimmer standen etliche Kerzen, sogar welche in Herzform. Dazu feinstes Porzellan und ein Bouquet roter Rosen. So, wie es ihre adlige Abstammung von ihr verlangt, wenn sie jemandem einen Antrag machen möchte.«

»Moment. Sag das nochmal«, unterbrach Henry mich.

»Dass Sabrina adlig ist, weißt du doch.«

»Nein, nicht das. Hatte die Tussi allen Ernstes vor, dich abzuservieren und ihrem Ex einen Antrag zu machen? Und du bist da mitten hineingeplatzt?«

»Nein, Henry, du verstehst mich falsch. Sabrina wollte mir einen Antrag machen und ihr Ex hat sie mit seinen schleimigen Fingern eingefangen, bevor sie das tun konnte. Sie hat den ganzen Aufwand für mich betrieben. Selbst das Badezimmer war mit Rosenblüten und Kerzen dekoriert. Sabrina hatte wohl einen wirklich romantischen Antrag geplant.«

»Und dann hat sie nichts Besseres zu tun, als sich von ihrem Ex vögeln zu lassen? In dem Wissen, dass sie dir danach seelenruhig einen Antrag gemacht hätte? Urgh, mir wird schlecht. Woher wusste sie überhaupt, dass du heute von der Konferenz zurückkommst? Soweit ich weiß, war das doch für morgen geplant.«

»War es auch. Frag mich nicht, woher sie es wusste. Aber sie hat sich wirklich ins Zeug gelegt. Naja, gebracht hätte es ihr aber nichts.«

»Hmm, warum nicht? Meinst du nicht, dass du bei all dem Aufwand schwach geworden wärst, Nate? Du magst es doch, wenn deine Partnerin die Initiative ergreift.«

»Unter normalen Umständen hättest du vielleicht recht«, gab ich unumwunden zu. »Aber nicht nach den gestrigen Feierlichkeiten.«

»Oh Heiliges Licht! Das ist nicht wahr. Sag mir nicht, was ich denke, dass du mir gleich sagen wirst«, krächzte Henry rau.

»Okay, dann sage ich es dir nicht.« Mit meinem besten Freund zu telefonieren, während ich von meinen Tieren umgeben war, tat mir unglaublich gut.

»Nathan!«

»Schon gut. Du musst nicht gleich durchs Telefon gekrochen kommen und mich fressen, Henry. Ich schmecke sowieso nicht. Aber mal ehrlich, das Einzige, was mich heute wirklich schwer getroffen hat, ist Sabrinas Verrat. Sie hat ihrem Ex beim Höhepunkt gesagt, dass sie ihn liebt. Das hat richtig weh getan.«

»Okay, das ist eine absolut miese Nummer. Aber jetzt spuck schon aus. Bist du deinem zweiten Seelengefährten begegnet oder nicht?«

»Ja.«

»Na, das ist doch mal nett von der Heiligen Magie, dir erneut einen Mann an die Seite zu stellen. Dein Ehemann und Gefährte, möge seine Seele in Frieden ruhen, war ein wahrer Segen. Aber die Frauen danach waren eindeutig ein Griff ins Klo, Sabrina ganz besonders. Mit einem Mann als zweite Chance bist du wirklich besser dran.«

»Wow, du siehst das mal pragmatisch.«

»Warum sollte ich nicht? Ich weiß, dass dir das Geschlecht bei der Partnerwahl egal ist. Und die Heilige Magie wird sich schon was dabei gedacht haben, dir beim zweiten Mal erneut einen Mann an die Seite zu stellen.« Mein bester Freund hielt einen Moment inne. Dann wurde seine Stimme weich: »Ich weiß, dass du noch immer um deine Familie trauerst, Nathan. Und das ist auch dein gutes Recht. Aber du wirst das Geschenk der Heiligen Magie doch annehmen, oder? Und der Mann, den du getroffen hast, auch, oder nicht?«

»Ja, Henry. Wir haben uns bereits unheimlich gut verstanden, bevor wir in diesem Elementarkreis gelandet sind. Ich war mir gestern noch nicht sicher, was ich von der Begegnung halten sollte. Ehrlicherweise bin ich es mir immer noch nicht. Aber wir haben unsere Telefonnummern getauscht und wollen in Kontakt bleiben, um zu sehen, wohin uns das Heilige Geschenk führen kann.«

»Das freut mich zu hören.« Henry klang erleichtert. »Du hättest es verdient, endlich wieder glücklich zu werden. Und mit einem Seelengefährten hättest du vielleicht sogar die Chance auf eine erneute wahre Liebe.« Mein bester Freund gähnte leise. »Entschuldige, Nate, ich hatte eine harte Schicht. Ehrlicherweise beneide ich dich gerade, dass du dieses Heilige Geschenk zum zweiten Mal in deinem Leben bekommst. Aber wenn es eine Person verdient, dann du. Ich würde mich so sehr für dich freuen, wenn du wieder glücklich werden würdest.« Er knurrte unwirsch, bevor er weitersprach: »Auch wenn das ihr Verhalten in keinster Weise rechtfertigt, aber Sabrina war doch einfach nur ein Betthäschen und keine Beziehung.«

Ich schnaubte leise. »Treffender hättest du es nicht sagen können, aber Sabrina war nicht mal das. Immerhin hatten wir keinen Sex miteinander. Die Beziehung mit Sabrina war wahrscheinlich einfach nur eine Bequemlichkeit. Jemand, zu der ich gehen konnte, wenn ich es wollte. Dass sie mich nur benutzt hat, habe ich ja heute gemerkt.« Mir entkam ein raues Seufzen. »Und dann hat sie mir allen Ernstes auch noch nackt einen Antrag gemacht.«

»Darf ich ihr nicht doch noch irgendwas Fieses anzaubern als Rache für das, was sie dir angetan hat?«, bettelte Henry in einem wirklich leidenden Tonfall.

Und entlockte mir damit ein herzhaftes Lachen. »Henry! Ich weiß, dass du es könntest. Aber so verlockend es auch sein mag, Sabrina was Mieses anzuhängen, so ist sie den Ärger doch nicht wert.«

»Manno«, schmollte mein bester Freund, ehe er sich meinem Lachen anschloss. »Geht es dir jetzt besser, Nate?«

»Ja. Danke fürs zuhören und aufheitern, Henry. Und bitte, behalte das mit dem Seelengefährten noch für dich, ja? Ich möchte nicht, dass irgendjemand etwas erfährt. Dazu ist es für besagten Mann und mich einfach noch zu frisch und unsicher.«

»Keine Sorge, dein Geheimnis ist bei mir sicher«, versprach mir mein bester Freund umgehend. »Und jetzt geh schlafen. Es ist mitten in der Nacht. Und diese Tussi von deiner Ex ist es einfach nicht wert, dass du dir deshalb den Schlaf raubst.«

»Wie recht du hast. Danke, Henry.«

»Jederzeit, Nate. Meld‘ dich bei mir, ja?«

»Mache ich. Du dich aber auch.«

»Versprochen. Wir sehen uns, wenn ich wieder im Land bin. Und schreiben und hören uns bis dahin regelmäßig. Schlaf gut.«

»Machen wir. Schlaf du auch gut. Und pass auf dich auf.«

DIE BLUME KANNST DU BEHALTEN

Ignedi, 23. Tag im Jagdmond

»Sir, Sabrina van Rabuny steht vor dem Haus und möchte mit Ihnen reden.«

Der Sergeant, der mir die Meldung machte, unterbrach mich dabei, wie ich mich in der Umkleide für den Tag vorbereitete. Über mein speziell gefüttertes, karamellfarbenes Hemd hatte ich bereits die Weste aus dunklem Leder angezogen, die mich vor den Feuerstößen der Peryton schützte. Darüber trug ich einen dicken Ledermantel, der mich warmhielt und ebenfalls schützte. Die lederne Hose steckte ordentlich in den bereits gebundenen Stiefeln. Gerade war ich dabei, meinen Gürtel mit den vielen Taschen umzuschnallen. Der Sonnenhut hing an einem Band über meinem Rücken.

»Danke, Sergeant. Der Frau ist nach dem heutigen Gespräch das Betreten der Farm verboten. Geben Sie das an die Sicherheitskräfte weiter.«

»Jawohl, Sir.« Mit diesen Worten ging der Mann.

Ich nahm mir einen Apfel aus der Tonne neben der Tür und biss hinein. Die Äpfel waren zwar eigentlich als Leckerbissen für die Peryton gedacht, doch hatte ich Hunger und konnte mir das erlauben.

Was auch immer Sabrina hier will. Eigentlich wollte ich nicht mehr mit ihr reden. Aber ein letztes Gespräch ist es mir dann doch noch wert. Zusätzlich zu dem Apfel holte ich mir meinen Beutel Trockenfleisch, der neben anderen ebenso gefüllten und für die einzelnen Arbeiter markierten Beutel in einem Regal neben der Apfeltonne lag.

Das Trockenfleisch war für die Arbeiter und die Tiere gleichermaßen bestimmt. Alle, die auf der Farm arbeiteten, wussten den Snack für zwischendurch sehr zu schätzen. Und holten sich jeden Morgen vor der Arbeit ihren Beutel für den Tag.

Kaum war der Beutel samt einer Flasche Wasser in meinem Mantel verstaut, trat ich durch eine Seitentür von der Umkleide ins Haus und von dort nach draußen.

Da hat sich aber jemand schick gemacht, war mein erster Gedanke, als mein Blick auf Sabrina fiel.

Ihr Haar war so ordentlich frisiert, wie ich es kannte. Dazu trug sie ein maßgeschneidertes, schwarzes Kostüm, welches ihre Figur auf dezente Weise betonte, und sehr teure Lederstiefel. Die tiefen Ringe unter Sabrinas Augen erstaunten mich. Ihr Blick war resigniert, fast schon verzweifelt. In den Händen hielt sie eine rosafarbene Rose. Deutlicher konnte sie ihre Bitte um Vergebung nicht machen. Ebenso wenig wie die Aussage, dass die tiefe Zuneigung für mich empfand.

»Nathan«, seufzte sie erleichtert, sobald ich die Tür hinter mir zugezogen hatte. »Ich danke dir, dass du mit mir sprichst.« Zaghaft hielt sie mir die Rose hin. »Bitte, nimm die Blume an. Ich habe Mist gebaut und möchte dich um Verzeihung bitten. Ich kann nicht ungeschehen machen, was ich getan habe. Dennoch bitte ich dich, mich anzuhören.«

Kurz überlegte ich, ob es mir meine Zeit wert war, Sabrina zuzuhören. Doch dann siegte mein Wunsch, ihr ein paar Fragen stellen zu können.

»Okay«, nickte ich schließlich. »Die Blume kannst du behalten. Aber ich gebe dir die Chance, dich zu erklären.«

Sabrina zuckte bei meinen kalten Worten zusammen. Dann sanken ihre Schultern herab und ein tieftrauriger Ausdruck trat in ihre Augen. Vorsichtig legte sie die Blume auf eine Bank vor dem Haus.

Nachdenklich musterte ich sie, bevor ich in Richtung einer Koppel nickte. »Wenn du in Ruhe reden möchtest, komm mit. Hier werden immer wieder Arbeiter der Farm entlangkommen oder sitzen, um Pause zu machen.«

Wortlos folgte Sabrina mir zu einer der weitläufigen Koppeln. Als ich mühelos über den Zaun flankte, fiel ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Kinnlade herunter. Unschlüssig stand sie einen Moment vor dem niedrigen Zaun, doch erst, als ich das Gatter öffnete, folgte sie mir. Ich führte sie zu einer Bank unter einer großen Weide, die auf einem kleinen Hügel inmitten der teilweise bewaldeten Koppel wuchs.

Erneut zögerte sie, bevor sie sich vorsichtig auf eine Ecke der Bank sinken ließ. Dass genau in diesem Moment einige Arbeiter kamen, um das Frühstück der Peryton zu bringen, trug nicht gerade zu Sabrinas Beruhigung bei. Vor allem, da Peryton sich hauptsächlich von Fleisch ernährten und das Rudel Dreijähriger, auf dessen Koppel ich Sabrina geführt hatte, gerade aus dem Wald gestürmt kam, um sich die besten Stücke zu ergattern.

Die dunkelgrünen Fell- und Federzeichnungen und die ebenso dunklen Federflügel blitzten in der Sonne, während die Tiere auf die Arbeiter zustürmten. Flügelschlagend und dabei auf ihre krallenbewährten, gefiederten Hinterbeine steigend, hielten sie vor dem Zaun an.

Die Arbeiter, welche das Gebaren der Peryton gewohnt waren, blieben ruhig. Sabrina jedoch japste leise nach Luft.

Als die Tiere sahen, dass weder ihr Züchter noch einer der Trainer unter den Futtergebern war, wurden sie übermütig. Sie begannen zu drängeln und sich um den besten Platz am Zaun zu streiten. Der Leithengst der Gruppe ging sogar so weit, einen langen Flammenstoß in Richtung Himmel abzugeben.

Schnaubend stieß ich eine Pfifffolge aus, ehe ich ein scharfes »Samsahe! Anantha!« über die Weide rief. Sofort ließen sich alle Peryton auf ihre hirschähnlichen Vorderbeine fallen und schüttelten ihre Flügel aus, bevor sie sie ordentlich falteten. Sie senkten ihre Köpfe, bis die riesigen Geweihe den niedrigen Zaun berührten. Die Arbeiter nickten in meine Richtung, ehe sie den Peryton über ihr Kopffell streichelten.

»Und mit den Tieren arbeitest du jeden Tag?«, wisperte Sabrina nach einem langen Moment der Stille. Ihre Augen nahm sie dabei nicht von den mittlerweile fressenden Tieren, als habe sie Angst, dass die Peryton sie hören könnten.

»Natürlich. Was hast du denn erwartet?«, gluckste ich leise. »Ich bin Peryton-Züchter, wie du weißt, und arbeite schon seit langem mit den Tieren. Sie haben mich von Anfang an fasziniert. Was du wüsstest, wenn du mich hier einmal besucht hättest.«

Sabrina machte ein betretenes Gesicht. Im nächsten Moment keuchte sie überrascht auf, als sie sah, dass sich einige Peryton in die Luft erhoben.

»Wie könnt ihr die Tiere hier halten, wenn sie fliegen dürfen?«

Ihre Frage klang so aufrichtig erstaunt, dass ich ihr antwortete: »Mit Magie. Die Zäune verhindern, dass die Peryton ohne einen Trainer, ihre menschliche Bezugsperson oder mir als Züchter ihre jeweilige Koppel samt zugehörigem Stall verlassen können. Sie können über ihren Koppeln fliegen und sich in ihrem jeweiligen Bereich voll entfalten. Aber verlassen können sie den Bereich nicht. Wie du eben gesehen hast, können sie nur ihre Köpfe und Hälse über den Zaun strecken. Die Magie ist so im Boden verankert, dass sie auch alles außerhalb eines gewissen Umkreises um die Koppeln vor den Feuerstößen der Tiere schützt.«

Einen langen Augenblick sah Sabrina den Tieren beim Fliegen und Fressen zu, nachdem sie mir leise für meine Erklärung gedankt hatte. Erst, als ich mich räusperte, zuckte ihr Blick zu mir herüber.

»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, gestand sie schließlich.

»Du könntest mir erklären, wieso du mich unbedingt mit deinem Ex-Mann betrügen musstest«, schlug ich trocken vor.

Meine ehemalige Partnerin zuckte zusammen, als habe ich sie geschlagen. »Es tut mir so unendlich leid«, murmelte sie betreten. »Ich hätte mich niemals erneut auf Lukas einlassen sollen. Und auch wenn du mir nicht glauben wirst, war das wirklich nur ein schwacher Moment.«

»Das hat dir aber noch lange nicht das Recht gegeben, mich mit ihm an meinem Geburtstag zu betrügen«, konterte ich ernst. »Erst recht nicht, wo du mir gestern einen Heiratsantrag machen wolltest.« Weil Sabrina so aussah, als wolle sie etwas sagen, brachte ich sie mit einem Blick zum Schweigen. »Wir waren ein Paar. Damit hattest du eine Verantwortung mir gegenüber. Genauso, wie ich sie dir gegenüber hatte.«

»Aber du bist doch derjenige, der keinen Sex mit mir wollte. Ich dachte, es sei, weil unsere Beziehung noch nichts festes war.«

Ich lachte bitter auf, als ich Sabrinas Worte hörte. »Glaubst du das wirklich?«, wollte ich ernüchtert wissen. Sabrinas zaghaftes Nicken, ließ Verachtung in mir erwachen.

»Du glaubst allen Ernstes, dass ich nicht mit dir geschlafen habe, weil wir nicht verlobt sind?«, hakte ich enttäuscht nach. Als sie erneut, wenn auch wesentlich verunsicherter, nickte, spürte ich den Schmerz des Betruges noch ein wenig mehr. »Dann bist du noch naiver, als ich dachte«, schnaubte ich kopfschüttelnd. Bevor Sabrina etwas sagen konnte, starrte ich sie kalt an. »Wenn du mir am Anfang unserer Beziehung zugehört hättest, hättest du gewusst, dass ich Witwer bin. Aber dir war es ja anscheinend wichtiger, deinem Ex nachzuweinen, als mir zuzuhören.«

Erschrocken keuchte Sabrina bei meinen Worten auf. »Was ist in dich gefahren, Nathan? So kenne ich dich ja gar nicht.«

»Wie es scheint, hast du dir nie die Mühe gemacht, mich wirklich kennenzulernen«, konterte ich frostig. »Sonst wärst du nicht so leicht auf deinen Ex hereingefallen und hättest dich mit ihm vergnügt. Obwohl du mir einen Antrag machen wolltest.«

»Das ist nicht wahr«, protestierte Sabrina schwach. »Ich kenne dich. Und das mit meinem Ex war nur ein Ausrutscher. Du hast mich in einem schwachen Moment erwischt.«

Als ich nur zynisch lachte, wurde Sabrina noch ein paar Nuancen bleicher. »Du scheinst mir das nicht verzeihen zu können, oder?«, wollte sie leise wissen.

»Das hatten wir gestern doch schon. Aber mal ehrlich, könntest du mir verzeihen, wenn die Situation umgekehrt wäre? Und mach dich bitte nicht lächerlich, indem du irgendwas Gefühlsduseliges antwortest. Wir wissen beide, dass du so nicht bist«, setzte ich scharf hinterher, weil sie bereits den Mund öffnete, obwohl ich meine Frage noch nicht mal ausgesprochen hatte. Geräuschvoll klappte Sabrinas Mund wieder zu. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.

»Ich gebe dir eine Chance, mir zu beweisen, dass du mich wirklich kennst«, bot ich ihr entgegen meines laut schreienden Verstandes an. Ich will mich ordentlich von ihr trennen. Das gestern war einfach nur mies. Vielleicht hoffe ich auch auf die Bestätigung, dass das letzte halbe Jahr nicht vollständig verschwendet war. Überrascht musterte Sabrina mich, bevor sie entschlossen nickte.

»Was muss ich tun?«

»Ganz einfach. Beantworte mir drei Fragen. Wenn du sie richtig beantwortest, gebe ich dir vielleicht die Chance, Wiedergutmachung für deine verletzenden Worte zu leisten. Den Betrug kann ich dir schlicht nicht verzeihen. Und die Chance auf eine Beziehung gibt es zwischen uns auch nicht mehr. Aber ein aufrichtiger Beweis, dass du mich kennst und es dir leidtut, könnte dich vor der Schande bewahren, deiner Familie erklären zu müssen, wieso du beim nächsten Familienessen mit deinem Ex auftauchst, anstatt mit mir. Immerhin musst du deine Familie um Erlaubnis gefragt haben, ob sie mit einer Hochzeit zwischen uns einverstanden sind.«

Meine Worte zauberten ein ehrliches Lächeln auf Sabrinas Lippen und einen Funken Hoffnung in ihre Augen. Ernst nickte sie: »Mit meiner Familie hast du recht. Meine Eltern haben uns ihren Segen gegeben. Ich tue, was immer du willst, wenn du mir dafür die Chance gibst, meinen Fehler wiedergutzumachen. Oder mir die Schande ersparst, meiner Familie meinen Ausrutscher erklären zu müssen.«

Auch wenn ich wusste, dass sie nur verlieren konnte, nickte ich. Was bin ich doch naiv, dachte ich resigniert. Doch muss ich wissen, wie ernst es ihr mit mir wirklich war.

»Die erste Frage ist leicht«, begann ich bedächtig. »Nenn mir meine Lieblingsnachspeise.«

»Vanillepudding mit heißen Kirschen, etwas Schlagsahne und einem Schuss Schokoladensoße«, erwiderte Sabrina sofort. Dass sie sich so schnell erinnern konnte, erstaunte mich sehr. Merkwürdig erleichtert nickte ich, ehe ich die zweite Frage stellte: »Wie heißt der Ort, an dem ich mich in meiner Kindheit am wohlsten gefühlt habe?«

Die Frage ist zwar schwieriger, sollte für Sabrina aber dennoch machbar sein, sofern sie mich wirklich so gut kennt, wie sie immer behauptet.

Als Sabrina auch nach mehreren Augenblicken stumm blieb, schüttelte ich resigniert den Kopf. »Versuchen wir etwas anderes. Nenn mir den Titel meines Lieblingsgedichts.«

Der Kopf meiner ehemaligen Partnerin zuckte zu mir hoch, Ärger stand in ihren Augen. »Du hast die Fragen so gewählt, dass ich sie nicht beantworten kann«, beschuldigte sie mich.

»Nein, Sabrina«, widersprach ich bedächtig. »Wenn du mir zugehört hättest, wüsstest du die Antworten. Deine Lieblingsnachspeise ist ein Stück Schokoladentorte, garniert mit Erdbeeren und einer Prise Zimt. Der Ort, wo du dich als Kind am wohlsten gefühlt hast, ist der Dachboden eurer Villa, denn von dort aus konntest du wunderbar die Sterne beobachten und warst vor deinem Kindermädchen sicher. Mit Gedichten kannst du nichts anfangen, aber deine Lieblingsband sind die ›Creona Feuersänger‹ und dein Lieblingslied von ihnen heißt ›Der Ruf der Hoffnung‹.«

Meine ehemalige Partnerin wurde immer bleicher, je weiter ich sprach. Am Ende standen ihr Tränen in den Augen.

»Und jetzt, Sabrina, sage mir, ob du mir verzeihen könntest, wenn die Situation umgekehrt wäre?«

Stumm schüttelte Sabrina den Kopf, Tränen liefen ihre Wangen hinab. »Es tut mir leid, Nathan«, schluchzte sie leise.

»Geh, Sabrina. Verlasse den Grund und Boden dieser Farm und komm nie mehr hierher zurück«, meinte ich resigniert. »Lebe mit der Schande, die du dir selbst zuzuschreiben hast.«

»Was?« Sabrinas Kopf zuckte zu mir hoch. »Das ist nicht dein Ernst, oder? Du gibst mir die Hoffnung, meinen Eltern die Wahrheit ersparen zu können und dann jagst du mich einfach so davon?«

»Offensichtlich hast du selbst jetzt nichts gelernt«, seufzte ich schwer. »Geh einfach, Sabrina. Unsere Lebenswege trennen sich hier.«

»Wie kannst du es wagen, eine Frau des Adels abzuweisen?« Die Stimme meiner Ex nahm einen schrillen Tonfall an, während sie aufsprang und auf mich herabsah. Von einer Sekunde auf die andere war sie wie ausgewechselt. Von der Frau, die ich kennengelernt hatte, war nichts mehr zu sehen. Stattdessen stand eine Furie vor mir, deren Gesicht rot anlief. »Ich bin eine Tochter der Familie van Rabuny. Ich gehöre zum ältesten Adel dieses Kontinents. Mich wirft man nicht einfach so raus!«

Jetzt zeigt sie also ihr wahres Gesicht, stellte ich nüchtern fest. Erstaunlich, wie lange sie sich verstellen konnte. Seelenruhig blieb ich sitzen. »Du solltest nicht so einen Radau machen, Sabrina. Die Peryton mögen es nicht, wenn man ihren Züchter angreift. Und du solltest bedenken, dass du dich auf einem Stützpunkt der Streitkräfte befindest. Hier zählt dein sogenannter Adelsstatus nichts«, wies ich sie auf ihren offensichtlichen Denkfehler hin.

Unerwartet holte Sabrina aus. Doch noch ehe ihre Hand meine Wange erreichen konnte, fing ich sie ab. Mit einer geübten Geste verdrehte ich ihr die Hand und zwang sie gleichzeitig in die Knie, während ich aufstand. Sabrina stieß einen heulenden Schmerzensschrei aus.

»Das war dumm«, meinte ich trocken. »Jetzt bekommst du eine Anzeige wegen tätlichen Angriffs gegen einen Angehörigen der Streitkräfte an den Hals. Gut gemacht.«

Noch ehe ich mehr sagen konnte, eilten bereits zwei Mitglieder des Sicherheitsteams der Farm auf uns zu. Sie hatten Sabrinas Geschrei wohl gehört. »Übergebt sie dem Sicherheitsdienst des Stützpunktes. Die sollen sie in eine Zelle stecken, wo sie dann ihren Anwalt anrufen darf. Ich melde den Vorfall derweil beim Kommandanten«, gab ich den vollkommen überflüssigen Befehl, wussten die beiden doch genau, was zu tun war. Aber so verlangte es nun mal das Protokoll.

»Jawohl, Sie«, bestätigte einer der beiden meinen Befehl. Kaum ließ ich Sabrina los, sprang sie auf und holte erneut aus. Ich machte mir nicht die Mühe, mich zu verteidigen, sondern wich einfach nur einen Schritt zur Seite, sodass Sabrina von ihrem eigenen Schwung ins Stolpern geriet und an mir vorbei taumelte. Sofort griffen die beiden Sicherheitskräfte zu und zwangen ihre Arme auf ihren Rücken.

»Nehmen Sie Ihre dreckigen Finger von mir«, fuhr Sabrina die beiden an. »Wie können Sie es wagen, eine van Rabuny zu berühren?«

»Sie sind diejenige, die einen Offizier der Streitkräfte angreift«, erwiderte einer der beiden ruhig. »Und das sogar mehrfach. Damit begehen Sie auf dem Grund und Boden der Streitkräfte mehrere kriminelle Handlungen. Zweifachen tätlichen Angriff auf einen Offizier und dann Widerstand gegen den Sicherheitsdienst, um genau zu sein.«

»Sabrina, mach es nicht noch schlimmer, als es ist«, mischte ich mich ein, als meine Ex sich weiterhin wehrte. »Du bist eine Frau des Adels, also benimm dich auch so. Wenn du friedlich mitgehst, bleibt dir wenigstens die Schande erspart, in Handschellen abgeführt zu werden.«

»Das wird dir noch leidtun, Nathan, das verspreche ich dir«, keifte Sabrina, ohne meine Worte irgendwie zu registrieren. Unerwartet spuckte sie mich an. Während ich mir angewidert das Gesicht mit einem Tuch abwischte, zwangen die beiden Sicherheitskräfte sie in die Knie. Sabrina stieß einen heulenden Schmerzensschrei aus, da sie nicht gerade zimperlich mit ihr umgingen. Ohne viel Federlesens legten sie ihr Handschellen an, bevor sie die fluchende Frau abführten.

Seufzend blickte ich ihr noch lange nach, ehe ich mich meinem vernachlässigten Apfel widmete und in Richtung des Hauses ging, um einen Videoanruf zu tätigen. Mein Tagwerk erlaubte mir nicht, direkt zum Kommandanten zu gehen.

LASS DAS EIN SCHERZ SEIN

Soledi, 28. Tag im Jagdmond

»Henry, ich muss Schluss machen, sonst komme ich zu spät.«

Ich stellte den Motor aus, stieg aus dem Auto und schloss es ab.

»Also bist du doch zum Tempel gefahren?«

»Ja, Henry. Ich stehe vor dem Tempel des Stützpunktes unserer Hauptstadt. Du weißt, dass mir Ledinter eigentlich viel zu groß ist. Aber gut. Was tut man nicht alles, um den besten Freund zu beruhigen.«

»Haha. Du solltest wirklich an der Zeremonie teilnehmen und der Heiligen Magie für das Geschenk danken, welches sie dir an deinem Geburtstag gemacht hat.«

»Ich weiß. Deshalb bin ich ja hier. Und jetzt mach’s gut. Sonst bin ich wirklich zu spät.«

»Mach’s gut. Und viel Spaß.«

»Danke, Henry. Wir hören uns. Pass auf dich auf.«

»Mache ich. Du aber auch auf dich.«

Ich beendete das Gespräch und nahm das Earphone aus dem Ohr, um es in meine Hosentasche zu stecken, ehe ich meine karamellfarbene Ausgehuniform glattstrich und mich auf den Weg in den Tempel machte.

Warum auch immer es heute nicht, wie sonst auch, Zeremonien auf den einzelnen Stützpunkten gibt.

Der Tempel war, im Gegensatz zu den normalerweise gebauten, geschlossen. Die Witterungsbedingungen des Kontinents zwangen einen halt zu Anpassungen. Vor allem auf den Stützpunkten und in den Städten.

Da es sich bei diesem Tempel um denjenigen des Stützpunktes der Hauptstadt des Nordischen Kontinents handelte, war er dementsprechend groß. Hier konnten ohne Probleme 10000 Personen an Zeremonien teilnehmen.

Die hohe Decke wurde von kräftigen Pfeilern gestützt. In der Mitte des fünfeckigen Tempels stand eine Steinsäule aus goldenem Marmor, die in einer fünfeckigen, goldenen Schale mündete. Magie in den schillerndsten Farben bewegte sich wie kleine Wasserstrudel in der Schale. Mal stieg sie ein wenig auf und bildete eine kleine Flammenzunge. Dann schoss sie wie eine Fontäne aus der Schale und plätscherte wieder zurück.

Auf dem Boden um die Schale herum war das Symbol der Magie als Mosaik eingelassen, welches auch die riesigen, hölzernen Flügeltüren zierte: Ein bronzener Kreis, in dessen Innern ein goldenes Herz zu sehen war. Die fünf Runen der Heiligen Elemente waren wie ein Fünfeck um das Herz herum angeordnet. Oben die goldene Rune des Heiligen Lichts und ihr im Uhrzeigersinn folgend in dunkelblau, weiß, waldgrün und karmesinrot die anderen vier Runen der Heiligen Elemente.

Etliche Kerzenleuchter brannten und spendeten ein warmes Licht.

Der Tempel war heute morgen gut gefüllt. Kleinen Farbklecksen gleich stachen die anwesenden Professionen zwischen all den mitternachtsblauen Uniformen hervor. Ich sah das Seegrün der Heiler, die pistazienfarbenen Uniformen der Ärzte und Magier in ihren rauchgrauen Uniformen. Selbst das Karamell der Züchter war mehr als nur durch mich vertreten.

Die Magie dieses Heiligen Ortes zu spüren, hatte etwas Berauschendes an sich. Auch wenn ich selbst nicht über einen einzigen Funken Magie verfüge, kann ich sie spüren. Dass ich wundersamerweise mit einer Affinität zum Heiligen Licht, dem Feuer und der Erde gesegnet bin, werde ich wohl nie verstehen.

Das Einsetzen von leiser Musik riss mich aus meinen Gedanken.

Durch die riesigen Flügeltüren traten fünf Niyanan in ihren traditionellen, rauchgrauen Roben mit den bronzefarbenen Stickereien. Alle fünf trugen die Kapuzen über ihren Köpfen und verbargen so ihre Identität. Mir rieselte ein Schauer den Rücken hinab, als mir klar wurde, dass die heutige Zeremonie von einem vollen Zirkel aus fünf Niyanan geleitet werden würde. Ausgerechnet heute, wo ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder an einer Zeremonie teilnehme, seufzte ich stumm. Aber was soll’s. Jetzt ist es zu spät. Gehen kann ich nicht mehr, ohne aufzufallen.