Das Schicksal der Wölfin - Soey Noir - E-Book

Das Schicksal der Wölfin E-Book

Soey Noir

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Beschreibung

Commander Noraya Scott hat während ihrer Arbeit bei den Streitkräften schon viele gefährliche Situationen überstanden. Dass der Ruf der Magie sie im Moment höchster Not ereilt, kam für sie allerdings unerwartet. Doch sind es die aufkommenden Gefühle für Samantha, die Norayas Leben aus den Fugen geraten lassen. Als dann auch noch eine Begegnung mit einem Fremden an den Grundfesten ihrer Überzeugungen rüttelt, ist das Chaos in ihrem Leben perfekt. Was ist die Wahrheit und was nicht? Wem kann sie noch trauen? Und wer steckt hinter den perfiden Machenschaften, die ihr Leben und das von so vielen anderen bedrohen? Die Liebesgeschichte von Noraya und Samantha ist der erste Teil der »Kinder des Lichts«-Reihe, deren einzelne Geschichten in sich abgeschlossen sind.

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Weitere Titel der »Kinder des Lichts«-Reihe von Soey Noir:

Band 2 »Der Bund der Rabentochter«

Neuerscheinung im Februar 2024

Band 3 »Die Spur der Wolfskatze«

Neuerscheinung im März 2024

Die »Kinder des Lichts« mit anderen Pairings:

Band 1 »Das Schicksal der Wölfin – Noraya und Samael«

Außerdem erhältlich:

»Von der Liebe und den Träumen – Kurzgeschichten für Erwachsene« Neuerscheinung im März 2024

Für den wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Danke für deine Unterstützung.

Inhaltsverzeichnis

SAG DAS DEN SCHARFSCHÜTZEN

WAS, BEIM HEILIGEN LICHT, WAR DAS?

MOM WÄRE STOLZ AUF DICH

WAS FÜR EINE MERKWÜRDIGE BEGEGNUNG

DIE MAGIE MÖGE MEINE ZEUGIN SEIN

DANN VERSAUEN SIE ES NICHT

AUF COMMANDER HUTTON

AUF EINE GUTE ZUSAMMENARBEIT

SEIEN SIE OFFEN FÜR DAS, WAS KOMMT

DIE MAGIE LÜGT NICHT

WARUM SUCHST DU MICH JETZT?

DU BIST DOCH VERRÜCKT!

KOMM HEREIN UND FÜHL DICH WIE ZUHAUSE

GROSSVATER, DU MACHST MIR ANGST

HÖREN SIE SOFORT AUF

ERINNERE MICH BITTE NICHT DARAN

WOMIT HABE ICH DAS DENN VERDIENT?

WAS GESCHIEHT HIER NUR?

WENN DIE KINDER IM BETT SIND, SOLLTEN WIR REDEN

ICH HABE MICH ENTSCHIEDEN

WIR WISSEN, DASS DU UND MAMA VERLIEBT SEID

GEHEN SIE MIR AUS DEM WEG

DIES IST WAHRLICH EIN FREUDENTAG

GEFÄLLT DIR, WAS DU SIEHST?

DARF ICH IHNEN IHRE NEUEN ASSISTENTEN VORSTELLEN, COMMANDER?

ABER ICH BESITZE DIPLOMAITISCHE IMMUNITÄT

FÜHLT SICH SO FAMILIE AN?

DU ÄNDERST DICH NIE, ODER NORAYA?

DIAMANT

DAS IST NICHT IHR ERNST, ODER?

DIE NACHT DER TANZENDEN LICHTER

WIR WÄREN LIEBER NAMENLOS ALS MIT IHM VERBUNDEN

SAG DAS DEN SCHARFSCHÜTZEN

Lucedi, 09. Tag im Taumond

Staub. Hitze. Sand.

Die Sonne blendete mich für einen Augenblick, als sich die Laderampe des Flugzeugs öffnete. Der Geruch von verbrannter Erde schlug meinen Kameraden und mir entgegen. Einen Moment fiel es mir schwer zu atmen, so heiß war die Luft, die uns entgegenströmte. Tief in meinem Innern spürte ich die Magie aufwallen, aufgewühlt von der Gluthitze des Ortes, an dem wir gerade gelandet waren. Eine Hand legte sich auf meine Schulter und riss mich aus meinen Gedanken.

»Ist alles okay, Lieutenant?« Die Augen meines Teamleiters, Commander Daniel Hutton, musterten mich besorgt.

»Ja, Sir«, erwiderte ich sofort. »Es ist nur die Hitze.«

»Kein Wunder. Ist dein erstes Mal hier draußen, hmm?«, wollte er vertraulich wissen. Als ich knapp nickte, huschte ein verstehendes Lächeln über das Gesicht meines Teamleiters. »Atme langsam und tief durch, dann wird es mit der Zeit besser werden. Und denk daran, viel zu trinken«, wisperte er mir zu. Leise dankte ich ihm für den Rat.

Auch wenn ich das weiß, weil ich schon mehrere Einsätze in ähnlichen Gebieten hatte, ist es schön zu wissen, dass der Commander sich so um das Wohlergehen seines Teams sorgt, sinnierte ich stumm.

»Dann raus hier«, wandte sich mein Commander an den Rest des Teams.

Wir kamen seinem Befehl umgehend nach und traten aus dem Bauch des Flugzeugs heraus in die sengende Hitze vor uns.

»Team Bravo?«, schallte der Ruf eines Mannes über das Feld. »Ihr Transport wartet hier drüben.«

Unisono machten wir uns auf den Weg zu dem kleinen Konvoi, welcher uns bereits erwartete. Unser vierköpfiges Team passte ohne Probleme in das mittlere Fahrzeug des Konvois. Mein Golden Shepherd lang zu meinen Füßen, der Commander saß rechts von mir am Fenster. Uns gegenüber saßen unser Waffenspezialist, Lieutenant Jim Ramos, und unsere Schutzmagierin, Lieutenant Anja Denali. Ich war die Jüngste im Team. Gerade ein halbes Jahr aus der Ausbildung zur Runenmeisterin heraus und erst seit einem Monat zusammen mit meinem Spürhund Rawenu dem Team Bravo zugeteilt.

»Wo werden wir stationiert sein?«, wollte ich wissen, kaum, dass sich der Konvoi in Bewegung gesetzt hatte.

»In einem Hospital unweit der Frontlinie«, entgegnete der Commander.

»Was sollen wir denn in einem Hospital?« Insgeheim war ich Ramos sehr dankbar, dass ihm diese Frage entkommen war und nicht mir.

»Wir sollen es beschützen, Ramos«, lautete die überraschende Antwort des Commanders.

»Es beschützen? Das ist ein Hospital. Die sollten keine Schwierigkeiten haben«, hielt ich ihm das Offensichtliche entgegen.

Hutton lachte leise und so zynisch, dass es mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. »Sag das den Scharfschützen, die die Einheit bedrohen und nicht mir, Scott«, schoss er zurück. »Ich weiß auch nicht, warum die sich ausgerechnet ein Hospital als Ziel ausgesucht haben. Aber man schickt uns dahin, um kräftig aufzuräumen.« Seine Worte jagten mir einen weiteren Schauer über den Rücken.

In eine so heikle Situation zu geraten, gefällt mir gar nicht, grübelte ich.

»Die werden uns aber in Ruhe unsere Arbeit machen lassen und nicht darum streiten, wie wir mit den feindlichen Kämpfern umzugehen haben, oder?« Das Misstrauen tropfte nur so aus Denalis Worten.

»Das sind ein Haufen Ärzte und medizinisches Personal«, schnaubte ich. »Ich glaube kaum, dass sie es sonderlich witzig finden werden, wenn wir unsere Arbeit so machen, wie man es normalerweise von einem Spezialteam erwartet.«

Stille. Drei Augenpaare starrten mich an. »Was denn?«, wollte ich entnervt wissen. »Sagt mir nicht, dass ihr nicht genauso denkt, wie ich. Was soll man bitte von Medizinern erwarten? Dass sie uns freudestrahlend empfangen werden? In dem Wissen, wie unsere Arbeit aussehen wird, um das Hospital zu schützen?« Ich schüttelte den Kopf, als ich noch immer Schweigen erntete. »Das ist nicht euer Ernst, oder? Es wird kaum reichen, einen Schutzring um das Hospital zu ziehen. Einmal davon abgesehen, dass so ein Ring bereits da sein sollte. Und ich zu gern wissen möchte, welcher Pfuscher den Ring gezogen hat, dass das Hospital jetzt Probleme mit Scharfschützen hat.«

»Scott hat Recht«, schlug sich der Commander ganz unerwartet auf meine Seite. »Irgendjemand hat da gehörig Mist gebaut oder das Ganze sabotiert. Es ist unsere Aufgabe, das Hospital wieder zu schützen. Doch habe ich auch nichts dagegen einzuwenden, wenn wir die Übeltäter schnappen und dingfest machen.«

»Sir, ja, Sir«, lautete unsere sofortige Erwiderung. In diesem Punkt waren wir uns alle einig. Wer auch immer das Hospital in Gefahr gebracht hatte, würde damit nicht davonkommen.

Nur wenig später hielt der Konvoi mitten in einer kleinen Zeltstadt an. Aus einem der wenigen massiven Containerhäuser kamen uns ein junger Bursche und eine Frau entgegen.

»Team Bravo?«, fragte die Frau, kaum, dass der Wagen angehalten hatte und wir ausgestiegen waren.

»Ja, Ma’am«, bestätigte mein Commander die Frage. Ein erleichtertes Lächeln huschte über die Züge unseres Empfangskomitees. »Dem Heiligen Licht sei Dank«, seufzte die Frau. »Mein Name ist Colonel Emilia Shayn, ich bin die Kommandantin dieses mobilen Hospitals. Kommen Sie herein, wir haben viel zu besprechen. Und in den Gebäuden ist es wenigstens halbwegs sicher.«

Mir schwant Übles, kam mir ein Gedanke, als ich die Worte der Kommandantin hörte.

WAS, BEIM HEILIGEN LICHT, WAR DAS?

Lunedi, 05. Tag im Erntemond

»Scott, wir müssen reden.«

Die Stimme meines Commanders drang über das Plätschern des Wassers an meine Ohren.

Kann ich nicht mal in Ruhe duschen?, seufzte ich still, ehe ich das Wasser abdrehte und nach meinem Handtuch griff. »Was gibt es, Commander, dass du mir nach dem Mist von vorhin nicht mal eine ruhige Dusche gönnst?«, wollte ich wissen, während ich mich schnell abtrocknete.

»Es geht um den Einsatz vorhin«, lautete Huttons Antwort, die ich selbst durch die Tür zum Duschbereich der Damen hören konnte. »Geht es dir denn einigermaßen gut damit?«, wollte er beinahe fürsorglich wissen.

»Danke, Daniel, ich komme zurecht«, winkte ich ab, während ich mich weiter abtrocknete. Jetzt gerade will ich nur nicht zu viel nachdenken, schauderte ich stumm, ehe ich laut weitersprach: »Ich bin nicht zum ersten Mal in einem Krisengebiet. Nur das erste Mal mit einem Team und über längere Zeit. Aber du weißt doch, dass ich unter anderem Scharfschützin bin.«

»Das mag sein, Noraya«, wechselte mein Commander in die vertrauliche Anrede, »aber das heißt noch lange nicht, dass du mit dem Mist allein zurechtkommen musst, den wir heute erlebt haben. Mal ganz davon abgesehen, dass es was vollkommen anderes ist, jemanden durch ein Fernrohr zu erschießen, als ihn im Nahkampf zu töten.« Ein leises Seufzen entkam dem Mann. »Auch wenn ich das nicht gerne tue, müssen wir wohl doch auf deine spezielleren Fähigkeiten zurückgreifen, Noraya. Es tut mir leid, aber wir sehen uns in fünf Minuten zur Teambesprechung in unserem Quartier. Also beeil dich, bitte.«

»Na wundervoll, ich habe es geahnt. Aber was soll’s«, seufzte ich leise. »Ich werde da sein.«

Nachdem ich den Befehl bestätigt hatte, hörte ich, dass der Commander ging und mich allein ließ. Leise grummelnd griff ich nach meiner frischen Uniform. Wie es im Feld üblich war, trug ich eine Wüstenuniform anstelle der eigentlich mitternachtsblauen. Damit der Feind mich schlechter sah.

Vier Minuten und 20 Sekunden später betrat ich das Quartier meines Teams. Wir waren in einem der wenigen Containerhäuser untergebracht worden, damit wir ein gemeinsames Quartier haben konnten. Mein Hund fiepte eine leise Begrüßung, als ich eintrat. Die ernsten Gesichter meiner Teamkameraden ließen mich seufzen.

»Bekomme ich für dieses Gespräch wenigstens einen Drink?«, wollte ich halb im Scherz, halb ernst wissen.

»Den kannst du mit Sicherheit gut gebrauchen«, meinte mein Commander trocken, ehe er mir tatsächlich einen Whiskey reichte. Er verteilte je ein Glas an die anderen, bevor er ihnen ein spezielles Papier vor die Nase hielt. »Durchlesen und unterschreiben«, befahl er Ramos und Denali ernst. Weil ich wusste, was mir gleich bevorstand, trank ich mein Glas in einem Zug leer, anstatt den Whiskey zu genießen. Dann sah ich mich nach der Flasche um, um mir ein Neues einzuschenken. Was für große Blicke und erhobene Augenbrauen seitens meines Teams sorgte. Zumal unser Commander mich nicht aufhielt, sondern mir im Gegensatz sogar die Flasche reichte, als ich um ihn herum danach greifen wollte.

Ich hasse dieses Gespräch jetzt schon, grübelte ich trübsinnig. Na, bin ich gespannt, wie die Zwei reagieren, mit einem leibhaftig gewordenen Mythos zusammenzuarbeiten.

»Was beim Heiligen Licht geht hier vor?«, riss mich die Stimme unserer Schutzmagierin aus meinem Gedanken, ehe ich noch weiter in Trübsal versinken konnte. »Warum sollen wir einen magisch bindenden Vertrag zur Geheimhaltung unterschreiben? Wo wir doch nur über unsere Gegner reden wollen.«

»Weil das kommende Gespräch sonst nicht stattfinden kann«, kommentierte ich trocken und so bitter, dass ich drei Paar erstaunte Blicke zugeworfen bekam.

»Und du hast das Ding schon unterschrieben?«, erkundigte sich Ramos leicht verschnupft.

»Scott hat eine höhere Sicherheitsfreigabe als wir alle«, warf der Commander ein. Mit dieser Offenbarung erstickte er jeglichen Widerstand im Keim. Zwei Kiefer fielen im wahrsten Sinne des Wortes herab, während mich Denali und Ramos anstarrten, als hätten sie eine Erscheinung vor sich.

»Wie bitte?«, entkam es Ramos schließlich.

»Unterschreib endlich den Wisch, damit wir mit diesem Gespräch anfangen können«, knurrte ich ihn an, ehe ich meinem Commander einen giftigen Blick zuwarf. Weil der Mann nur nonchalant mit den Schultern zuckte, anstatt mich zu rügen, setzten die beiden Lieutenant ihre Unterschrift sprachlos unter den Vertrag. Sofort leuchtete das Papier einmal auf, ehe es ihnen einen Tropfen Blut abzapfte. Damit war der Vertrag besiegelt und die beiden daran gebunden, mit niemandem außer Hutton und mir, sowie einer erlesenen Handvoll Personen über das Kommende sprechen zu können.

»Was genau ist denn bitte so wichtig, dass wir magisch gebunden sind?«, wollte Denali schließlich wissen, als mein Commander stumm blieb.

»Nach dir, Scott«, besaß der Mann doch tatsächlich die Dreistigkeit, mich aufzufordern.

»Vergiss es, Hutton«, schmetterte ich knurrend ab. »Du hast das hier gewollt. Dann liefere mir einen guten Grund, deinem Wunsch zu entsprechen.« Meine vollkommene Ignoranz des Befehls und des Ranges unseres Commanders entlockte meinen Teamkameraden überraschte Laute, während Hutton nur leise seufzte. Mit einem Mal sah er so unendlich müde aus, dass ich meine Worte beinahe bereute.

»Ich weiß, dass ich dich in eine unangenehme Lage bringe, Scott«, entschuldigte er sich leise. »Aber der heutige Einsatz hat gezeigt, dass der erneuerte Schutzring nur bedingt ausreichen wird, dieses Hospital zu beschützen. Unsere Feinde sind mächtiger, als das Oberkommando es erwartet hat. Deshalb brauchen wir deine Instinkte und Fähigkeiten. Die du aber nur voll einsetzen kannst, wenn wir, als dein Team, dich beschützen.«

Ich ließ meine Schultern herabsinken, stellte den Drink auf den Tisch und vergrub mit einem leisen Stöhnen meinen Kopf in meinen Händen. »Ich hasse diese Bastarde dafür, dass ich meine Tarnung teilweise aufgeben muss«, fluchte ich leise. »Nun fang schon an, Commander. Ich schalte mich ein, wenn ich es für richtig erachte.«

Mein Commander kam meiner Bitte umgehend nach: »Was ihr zwei jetzt hören werdet, wird für euch schwer zu akzeptieren sein. Mir ging es jedenfalls so, als ich von meinem Vorgesetzten in den Status der Geheimhaltung eingeweiht wurde, weil Lieutenant Scott hier unserem Team zugeteilt wurde.«

»Sorry, aber ich verstehe das alles nicht«, klagte unsere Schutzmagierin. »Was ist so Besonderes an Noraya, dass wir dafür ein Geheimhaltungsabkommen unterzeichnet haben?«

»Ich stamme aus der Familie Scott. Klingelt da bei dir irgendwas?«, wollte ich von Anja wissen, während ich meinen Kopf hob und ihr einen musternden Blick schenkte.

»Nein, tut mir leid«, lautete ihre sofortige Antwort.

»Okay. Dann sage mir, Anja, wer regiert die Welt?«

»Für unseren Kontinent wären das der Magische Rat für alle Magischen und die fünf Söhne und Töchter der Menschen für alle ohne Magie«, entgegnete sie, ihre Stirn in Falten gelegt und ihren Mund nachdenklich verzogen.

»Und wer glaubst du, wacht über die Magie?«

»Wir Magischen natürlich«, echauffierte Anja sich. »Aber warum fragst du sowas? Das ist doch Wissen aus der Grundschule.«

»Genau aus diesem Grund«, konterte ich ruhig. »Erzähl mir die Mythen und Legenden, die euch als Magiern bereits in der Grundschule beigebracht wurden«, forderte ich sie sanft auf. Im ersten Moment sah die Schutzmagierin so aus, als wolle sie sich weigern, doch dann fiel ihr Blick auf den Commander und sie kam meiner Bitte nach. Dass ich mich selbst nicht als Magierin bezeichnet hatte, war ihr entgangen. Dafür erntete ich von Ramos einen merkwürdigen Blick.

»Die Legende besagt, dass unsere Welt von der Magie des Heiligen Lichts erschaffen wurde«, begann Denali langsam. »Das Heilige Licht erschuf zuerst die fünf Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft und Licht. Diesen Elementen sind bestimmte magische Eigenschaften zugeordnet. So wie ich zum Beispiel meine Schutzmagie vom Element Wasser bekommen habe.« Die Magierin warf mir einen Blick zu. Als ich nur zustimmend summte, sprach sie weiter: »Nachdem das Heilige Licht die Elemente erschaffen hatte, erschuf es unser Universum samt dem Planeten, auf dem wir wohnen. Da die Fünf die Heilige Zahl der Magie ist, hat unser Planet fünf Kontinente: Den Alten Kontinent, auf dem wir leben. Den Nordischen Kontinent, der sich eine Kontinentalplatte mit dem Großen Kontinent und dem Südlichen Kontinent, von dem auch die Menschen abstammen, teilt. Zum Schluss wäre da noch der kleine Kontinent, der mehr eine große Insel ist. Den Rest des Planeten bedeckte das Heilige Licht mit Wasser und Eis.«

Wieder stockte Denali. Dieses Mal schien sie jedoch nachdenken zu müssen, denn ihre Stirn legte sich in Falten und sie knabberte an ihrer Unterlippe, wie es ihre Angewohnheit war, wann immer sie schwer überlegte. »Ramos, kannst du nicht übernehmen?«, wollte sie von unserem Waffenspezialisten wissen. »Du hast doch das alles auch in der Grundschule gelernt, oder nicht?«

»Nein, ich kenne nur den Teil, den du bereits erzählt hast. Schließlich bin ich nicht mit Magie gesegnet«, meinte Ramos schulterzuckend.

»Dann übernehme ich ab hier«, mischte sich unser Commander ein. Die erstaunten Blicke von uns dreien ignorierte er geflissentlich. »Nachdem der Planet entstanden war und die Magie uns die Jahreszeiten sowie den Tag- und Nachtrhythmus geschenkt hatte, füllte die Magie unsere Heimat mit Leben. Die Alten Legenden besagen, dass die Magie zuerst Wesen erschuf, die über den Planeten und alle Bewohner wachen sollten. Diese Magischen Wesen waren Wesen der reinen Magie. Sie waren mit der Magie selbst auf eine Weise verbunden, wie es sonst niemand jemals war.«

Hutton warf mir einen kurzen Blick zu, denn normalerweise hätte ich mich spätestens jetzt beschwert. Doch ich forderte ihn stumm auf, weiterzuerzählen. »Als diese Magischen Wesen die Welt bevölkerten, erschuf die Magie alle möglichen Arten von Tieren, die ihrer Kreation als Nahrung dienen sollten. Tausende von Jahren wachten die Magischen Wesen über die Welt und sahen dabei zu, wie sich die Menschen entwickelten. Sie wachten auch über diese Kreation der Magie, bis die Menschen allein überleben konnten. Dann schenkte die Magie einem Teil der Menschen magische Wurzeln und machte sie zu Magiern, die nicht nur mit Magie umgehen, sondern auch zum Teil die Gestalt eines Tieres annehmen können. Fünf Magische Clans jedes Kontinents erschuf die Magie. Fünf Clans, die alle die Eigenschaften von unterschiedlichen Tieren bekamen. Jenen Tieren, die ihren Kontinent repräsentierten.« Erneut hielt Hutton inne, um mich anzusehen.

»Hmm, bisher gar nicht schlecht. Mach weiter«, forderte ich ihn auf.

Seufzend setzte er seine Erklärung fort: »Einem anderen Teil der Menschen schenkte die Magie einen begrenzten Zugriff auf die Elemente und auf die Magie selbst. Damit teilte sich die Menschheit in drei Teile, wobei die Menschen ohne Magie deutlich in der Unterzahl waren. Als dies alles geschehen war, zog die Magie sich zurück und überließ es den Magischen Wesen, über ihre Kreation zu wachen.«

»Ja. Nur, dass die Wesen nichts als ein Mythos sind«, unterbrach Denali unseren Commander verächtlich schnaubend. »Eine Legende, um kleinen Kindern Angst zu machen, wenn sie mal wieder etwas angestellt haben oder den Eltern nicht gehorchen wollen. Die fünf Magischen Clans, die man auch als Hohe Magier bezeichnet und die auf alle anderen herabsehen, sind das Höchste an Magiern, was wir haben. Danach kommen die fünf Magierclans, die nach den Hohen die stärkste Magie haben und schließlich einfache Magier wie wir.« Sie ließ ihren Blick über den Commander und mich schweifen, als sie dies sagte. Ich hob eine Augenbraue und schüttelte leicht den Kopf, während ich leise murmelte: »So weise und doch so naiv.«

Anscheinend nicht leise genug, denn die Schutzmagierin warf mir einen gekränkten Blick zu. »Was soll das denn bitte bedeuten?«, wollte sie brüskiert wissen.

»Dass du wirklich naiver bist, als ich dachte«, mischte sich der Commander ein. »Wer, glaubst du, hält die Menschheit davon ab, sich die Natur und alle Magier Untertan zu machen, um endlich an die Bodenschätze heranzukommen, die den Menschen verwehrt bleiben?« Als Denali ihn erstaunt ansah, fuhr Hutton fort: »Wer bestimmt, wie viel Erze die Menschen abbauen dürfen? Von dem für uns Magier so gefährlichen Eisen ganz zu schweigen?«

»Ich dachte, die Konzerne bestimmen das«, meldete sich Ramos zu Wort. »So, wie auf den Feuerinseln, wo ich herkomme. Und wo meine Familie im Bergbau arbeitet, um Eisen abzubauen.«

»Das ist nicht ganz korrekt, aber auch nicht vollkommen falsch«, murmelte ich. Sofort hatte ich die volle Aufmerksamkeit meiner Teamkameraden.

»Was meinst du damit? Und warum halten wir hier eine Märchenstunde ab? Wo wir uns doch über die Bedrohung für das Hospital unterhalten wollten?« Denali klang eindeutig genervt.

Mir riss bei ihrer blasierten Art der Geduldsfaden. »Weil die Legenden wahr sind, du eingebildete Magierin«, donnerte meine Stimme durch den Raum. Gleichzeitig schmolz meine mühsam aufrecht erhaltene Tarnung in der heißen Glut meines Zorns dahin. Auf einen Schlag war der Raum von meiner Aura erfüllt. Meine Instinkte verlangten die Unterwerfung der Magierin, die kreidebleich geworden war. Schwitzend und zitternd starrte sie mich aus großen Augen an. Der anwesende Mensch und mein Commander waren da vernünftiger. Kaum wurden sie von meiner Aura berührt, senkten sie ihren Kopf. Wobei Ramos so aussah, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. Denali hingegen wagte es tatsächlich, mich direkt anzustarren.

»Dumme Idee, Menschlein«, fauchte ich sie dunkel an. »Reiz mich nicht noch weiter, wenn du das Echo nicht vertragen kannst.«

Was auch immer es war, ob meine Aura oder meine Worte, irgendetwas von beiden schien Denali genug Angst zu machen, dass sie ihren Blick senkte. Einen Moment hielt ich den Druck meiner Ausstrahlung noch aufrecht, um ihr ganz deutlich zu zeigen, mit wem sie sich anlegte. Dann zog ich meine Aura zu mir zurück und machte es mir erneut in meinem Stuhl gemütlich.

»Was, beim Heiligen Licht, war das?« Denalis Krächzen klang dermaßen verwirrt, dass ich mir ein Schmunzeln verkneifen musste.

»Das, liebe Lieutenant, war eine Warnung, was passiert, wenn du ein Magisches Wesen, oder genauer gesagt ein ›Kind des Lichts‹, reizt«, kommentierte Hutton trocken. »Und glaub mir, du willst niemals einem wütenden Kind des Lichts gegenüberstehen. Schon gar nicht in der natürlichen Gestalt.«

»Kind des Lichts? Natürliche Gestalt? Was?« Die Schutzmagierin machte sich merkwürdig klein und ließ sich so tief in ihren Stuhl sinken, dass sie fast herausfiel. »Ist das alles etwa wahr?«, fiepte sie.

»Ja«, entgegnete ich ruhig. Da die Aufmerksamkeit des Teams vollständig auf mir lag, seufzte ich leise. »Ich bin ein Kind des Lichts. Dass leider keiner von euch auf die Alten Legenden hört, haben wir ja jetzt festgestellt. Sonst hättest du mich eben mit Sicherheit nicht so sehr gereizt, Denali, dass mein Instinkt mit mir durchgegangen ist.« Ich sah ihr einen Moment fest in die Augen, ehe ich meinen Blick über die anderen beiden gleiten ließ. »Sorry, Ramos, für dich ist das wahrscheinlich ein noch viel größerer Schock, oder?«

Zu meinem großen Erstaunen schüttelte der Waffenspezialist den Kopf. »Nein, Lieutenant, ist es nicht«, meinte er ruhig. »Meine Familie arbeitet schon seit Generationen im Bergbau. Wir kennen die Alten Legenden. Meine Eltern achten allein schon aufgrund ihrer Arbeit darauf, im Einklang mit der Natur zu leben. Niemand von uns möchte sich den Zorn eines Magischen Wesens zuziehen.«

»Die korrekte Bezeichnung ist ›Kind des Lichts‹«, korrigierte ich sanft. »Die Bezeichnung ›Magische Wesen‹ mögen wir nicht«, fügte ich augenzwinkernd hinzu, woraufhin Ramos erneut bleich wurde.

»Ich werde es mir merken.«

»Aber nicht ausplaudern. Immerhin ist dieses Gespräch geheim«, lachte der Commander.

»Und mittlerweile weiß ich auch warum.« Denalis Worte klangen so zerknirscht, dass sie fast schon einer Entschuldigung glichen.

»Gut«, entgegnete ich ernst. »Dann könnt ihr mir ja jetzt zuhören.« Als drei Köpfe nickten, begann ich meine Erklärung: »Also, das Wichtigste vorneweg. Die Kinder des Lichts sind keine Legende. Wir waren die ersten Wesen dieses Planeten und wir werden noch immer da sein, wenn Menschen und Magische schon längst wieder verschwunden sind. Wir wachen über das Gleichgewicht dieses Planeten und sorgen dafür, dass die Natur nicht ausgebeutet wird.« Ich schenkte unserem Waffenspezialisten ein schmunzelndes Augenzwinkern. »Die Kinder des Lichts jedes Kontinents entstammen einem der fünf Clans, die von der Magie geschaffen wurden. Ich habe euch vorhin gefragt, ob der Name Scott euch etwas sagt, weil meine Familie einen Großteil der Wirtschaft des Alten Kontinents kontrolliert.«

»Ach, deshalb warst du so verwirrt, als ich es nicht wusste. Immerhin ist meine Familie auch in der Wirtschaft tätig«, kam Denali die Erkenntnis.

»So ähnlich«, lachte ich. »Jeder der Clans ist in die Belange seines Kontinents eingebunden, um ein gewisses Maß an Kontrolle auszuüben. Schließlich gab es schon immer genügend machthungrige Menschen, die die Magie vernichten wollten. Und gibt es leider noch immer«, fügte ich seufzend hinzu. »Einer der Gründe, wieso wir hier sind. Weil unsere Gegner Mittel und Wege kennen, die sonst nur gewisse feindliche Gruppen nutzen, um die Magie zu bekämpfen.« Meine Worte entlockten dem Team entsetztes Japsen. Doch bat ich sie mit einer Geste, mich weitersprechen zu lassen. »Wie ich gerade sagen wollte, die fünf Clans der Kinder des Lichts jedes Kontinents wachen über das Gleichgewicht. Eben auch, indem wir überall unsere Leute haben. Unter anderem bei den Streitkräften.«

»Ja, vor allem in den delikateren Bereichen unseres Haufens. So wie hier bei uns«, lachte der Commander. »Ihr glaubt nicht, wie schockiert ich war, als man mir sagte, dass sich ein Kind des Lichts unserem Team anschließen wird. Und wie sehr erst, als man mich deshalb in das Geheimhaltungsabkommen eingeweiht hat.« Hutton schenkte mir ein schiefes Grinsen, ehe er wieder ernst wurde: »Aber jetzt kommt es uns, wie es scheint, gerade recht, dass ein Kind des Lichts dem Team Bravo angehört. In Anbetracht der Bedrohungslage braucht dieses Hospital jede Hilfe, die es bekommen kann.«

»Und um dem Hospital diese Hilfe geben zu können, brauche ich eure Hilfe«, meinte ich bedächtig. »Ich kann meine Tarnung nicht aufrechterhalten und gleichzeitig auf die Alte Magie zugreifen, um unsere Feinde aufzuspüren. So viel Eisen, wie die tragen, sollte es für mich ein Leichtes sein, sie zu finden. Nur musst du, Denali, meine Magie nach außen hin abschirmen. Niemand außerhalb des Teams darf erfahren, wer ich wirklich bin.« Mein Team nickte und versprach mir, meine Identität zu schützen.

»Darf ich dich etwas fragen, Lieutenant Scott?«, wollte Ramos leise wissen.

»Du sprichst mich jetzt aber nicht mit meinem Rang an, weil du Angst vor mir hast, oder?«, lautete meine Gegenfrage. Als der Waffenspezialist verlegen nickte, schnaubte ich lachend. »Benehmt euch mir gegenüber bloß nicht anders als sonst. Das würde definitiv auffallen und meine Tarnung gefährden«, mahnte ich.

»Keine Sorge, Scott, im Zweifel werde ich unser Team schon wieder in die Spur bringen«, versicherte der Commander mir umgehend. Ich nickte ihm dankend zu, bevor ich Ramos mit erhobener Augenbraue ansah. Er räusperte sich leise, ehe er scheu fragte: »Warum siehst du aus wie ein Mensch, wenn du doch ein Wesen der Magie bist? Und welches Wesen bist du?«

»Hui, interessante und durchaus berechtigte Fragen«, grinste ich, während ich innerlich zusammenzuckte. Niemand muss wissen, dass ich mich nicht in meine wahre Gestalt wandeln kann, dachte ich traurig, bevor ich antwortete: »Meine Art hat gelernt sich die menschliche Haut wie eine Hülle umzulegen, um die Menschen und Magischen besser unter Kontrolle halten zu können.« Ich sah die drei ernst an. »Glaubt mir, nur die wenigsten Menschen oder Magischen sind je einem Kind des Lichts in der natürlichen Gestalt begegnet. Mit Ausnahme der Seelengefährten natürlich. Schließlich hat sich die Magie hier ein besonderes Geschenk einfallen lassen.«

»Oh ja«, schmunzelte Hutton. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Magie uns die Chance gibt, die eine Seele oder gar die zwei Seelen zu finden, die die unsere perfekt ergänzen können. Unsere Seelengefährten.« Er lächelte versonnen, bevor er mit den Schultern zuckte. »Aber das ist nicht Teil deiner Fragen, Ramos.«

»Stimmt«, erwiderte ich trocken. »Also, gibt es eben noch eine zweite Geschichtsstunde. Aber dieses Mal mit ein wenig mehr Wahrheit.«

Mein Team lachte bei meinen Worten und schenkte mir ein Grinsen.

»Wie ich bereits sagte, gibt es pro Kontinent fünf Clans der Kinder des Lichts. Diese Clans haben sich im Laufe der Zeit jeweils in fünf Familien je Clan weiterentwickelt. Eine Familie jedes Clans hat die Vorherrschaft über die anderen. Im Falle meines Clans ist das meine Familie.«

Ich ließ meine Worte einen Moment einsinken, ehe ich weitersprach: »Im Gegensatz zu den Familien der anderen Kontinente, nutzen die Familien der Clans bei uns einen Tarnnamen, anstatt ihren wahren Namen zu tragen. Die fünf Familien meines Clans tragen den Namen ›Scott‹. Unsere natürliche Gestalt ist die der Adler.« Ernst ließ ich meinen Blick über die drei wandern. »Denkt jetzt bloß nicht an die niedlichen Tierchen, die es auf der Welt gibt«, mahnte ich bedächtig. »Man könnte sagen, dass die Vertreter der Tierwelt einem Kind gleichen und die Kinder des Lichts in der natürlichen Gestalt die Erwachsenen sind. Solltet ihr jemals die Ehre oder das Pech haben, einem Kind des Lichts in der natürlichen Gestalt gegenüberzustehen, erkennt ihr den Betreffenden sofort, das verspreche ich euch.«

Bevor ich noch etwas sagen konnte, wurde die Tür zu unserem Quartier aufgerissen und der Kompanieschreiber platzte herein.

»Kommen Sie schnell«, keuchte er. »Wir stehen unter schwerem Beschuss.«

Sofort sprangen wir auf und eilten aus dem Raum. Ich folgte meinem Team, nachdem ich meine Aura notdürftig verschleiert hatte. Rawenu war mir dicht auf den Fersen.

MOM WÄRE STOLZ AUF DICH

Ariedi, 13. Tag im Jagdmond

»Dad, ich bin wieder zuhause.«

Meine Worte waren noch nicht ganz durch den Flur gehallt, als mir auch schon das leise Wimmern eines Babys antwortete. Sofort legte ich dem Hund an meiner Seite eine Hand aufs Fell.

»Ruhig«, befahl ich bedächtig. Die leuchtend grünen Augen meines tierischen Begleiters huschten zu mir, ehe sie sich erneut auf das Zimmer konzentrierten, aus dem das Geräusch kam. Rawenu zuckte kurz mit einem Ohr, bevor er seinen Kopf leicht senkte. »Guter Junge«, lobte ich ihn leise. Hatte er mir mit seiner Geste doch Bescheid gegeben, dass er keine Gefahr roch.

»Aya, Schätzchen, du bist schon wieder daheim?« Mein Dad kam mir mit ausgreifenden Schritten aus dem Wohnzimmer entgegengeeilt. »Warum hast du mich denn nicht angerufen? Ich hätte dich vom Flughafen abgeholt«, wollte er wissen, während er mich in eine liebevolle Umarmung zog. Kurz musste ich den Drang unterdrücken, vor der Berührung zurückzuschrecken.

Ich bin in Sicherheit. Ich bin zuhause. Hier wird mir nichts geschehen, mahnte ich mich stumm, während ich mich bewusst in den Armen meines Vaters entspannte. Einen langen Augenblick hielten wir uns fest im Arm, bevor mein Dad mich auf Armlänge von sich schob, um mich zu mustern. Seine Augenbrauen huschten nach oben, sobald er die weiße Binde mit der silbernen Trauerrune an meiner Wüstenuniform bemerkte. Doch noch ehe er etwas fragen konnte, zuckte er leicht zusammen. Rawenu hatte ihn angestupst und schaute meinen Dad nun mit dem schlimmsten Welpen-Bettelblick an, den ich je von ihm gesehen hatte.

»Hallo, Rawenu«, murmelte Dad, bevor er meinen Hund ordentlich hinter den Ohren kraulte. »Hast du auch gut auf meine Tochter aufgepasst?«, wollte er ernst wissen. Mein tierischer Begleiter nickte. »Braver Junge«, lobte Dad ihn sanft. Wusste er doch, dass Rawenu die menschliche Sprache verstand und ihm geantwortet hatte. Dann fiel sein Blick auf den Einsatzrucksack, den ich noch immer über meiner Schulter trug. »Kommt doch erstmal herein.«

Ich stellte meinen Rucksack ab und befreite Rawenu von seinem Pfotenschutz. Erst dann folgte ich Dad in Richtung Wohnzimmer. Mein Hund blieb die ganze Zeit an meiner Seite. Noch immer trug er seine Schutzweste und das mit Runen versehene Halsband, welches seine wahre Natur tarnte und ihn vor Magie schützte. Noch ehe ich über die Schwelle des Wohnzimmers treten konnte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Der Golden Shepherd neben mir erstarrte ebenfalls, bevor er ein fragendes Jaulen von sich gab. Vor mir auf dem Sofa saß meine kleine Schwester Thayet und hielt einen Säugling im Arm, dem sie liebevoll über den Kopf strich. Ihr Freund Akele hatte einen Arm in einer beschützend anmutenden Geste um sie gelegt und musterte mich ernst, beinahe schon herausfordernd.

»Yette?« Verwirrt blinzelte ich ein paar Mal, in der Hoffnung, dass sich das Bild vor mir ändern würde. Als es dennoch blieb, trat ich vorsichtig ein paar Schritte näher. Meine neunzehnjährige Schwester blickte auf, sobald sie meine Stimme hörte. Ihre Augen flackerten kurz zu dem Hund an meiner Seite, ehe sie mich ansah.

»Hallo, Schwesterherz«, murmelte sie leise.

Schnell machte ich die Geste für ›Bleib‹, woraufhin Rawenu sich prompt auf sein Hinterteil setzte. Sein Schwanz fegte den Fußboden, so aufgeregt wedelte er ihn hin und her. Dennoch blieb er an Ort und Stelle sitzen, während ich mich langsam meiner Schwester näherte.

»Wie darf ich das denn verstehen?«, hakte ich verwirrt nach. Meine kleine Schwester schrumpfte unter meinem fragenden Blick zusammen. Doch dann schien ein Ruck durch sie zu gehen, denn sie atmete tief durch, bevor sie mir direkt in die Augen sah und mich mit vollkommen gefasster Stimme fragte: »Darf ich dir deine Nichte vorstellen?« Dass ich sie schweigend anblinzelte, entlockte Thayet tatsächlich ein leichtes Grinsen.

»Sei nicht so gemein zu deiner Schwester«, scholt sie ihr Freund, während er das Baby aus den Armen meiner Schwester nahm und aufstand. Zwei Schritte später stand er vor mir. Warm lächelte er mich an. »Es ist schön, dass du wieder zuhause bist, Noraya«, murmelte er, ehe er mich in eine kurze Umarmung zog, das Baby noch immer sicher im Arm. Unbeholfen erwiderte ich seine Geste, hatten wir uns doch noch nie umarmt. »Was deine Schwester gerade zu sagen versucht hat«, nahm Akele das Gespräch wieder auf, »ist, dass du Tante geworden bist, Noraya.«

Sofort fiel mein Blick auf den Säugling in seinen Armen. Leise lachend hielt Akele mir das Baby hin. Vorsichtig und sanft nahm ich den Säugling entgegen. Dass er mich aus wachen Augen anblickte und sich von mir einfach auf den Arm nehmen ließ, zeigte mir, wie eng die familiären Bande wirklich sein mussten. Sonst hätte er sich bestimmt nicht so ruhig und friedlich von einer Fremden auf den Arm nehmen lassen.

»Darf ich vorstellen? Das ist Elayne Ortega, Thayets und meine erstgeborene Tochter«, erklärte Akele feierlich, sobald er sah, dass ich das Baby sicher im Arm hielt.

Erstaunt huschte mein Blick von ihm über meine Schwester und unseren Vater, bis meine Augen wieder auf dem kleinen Mädchen in meinen Armen landeten.

»Da bin ich sieben Monate weg. Und was passiert, wenn ich wiederkomme?«, murmelte ich fassungslos. »Meine kleine Schwester ist Mutter geworden.« Anklagend starrte ich Thayet an. »Ihr habt mir etwas verschwiegen, als wir uns verabschiedet haben«, grummelte ich leise, darauf bedacht, das Kind in meinen Armen nicht zu erschrecken.

Wortlos hob Akele seine Hand, um mir einen Bindungsring zu zeigen. »Verheiratete Mutter trifft es eher«, gestand er nonchalant.

Meine kleine Schwester sah aus, als wolle sie jeden Moment im Boden versinken. Mit erhobener Augenbraue wandte ich mich an unseren Dad. Der schüttelte den Kopf, ehe er hilflos mit den Schultern zuckte. »Glaub mir, Schätzchen, ich bin genauso erstaunt wie du. Die drei standen heute einfach da und haben mir erzählt, dass ich Großvater geworden bin und Akele ab sofort zur Familie gehört.«

Schnaubend wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Baby in meinen Armen zu. »Hallo, kleiner Sonnenschein«, begrüßte ich das Mädchen sanft. »Ich bin deine Tante Aya. Und ich freue mich, dich kennenzulernen. Auch wenn deine Ankunft eine große Überraschung für mich ist.« Das Baby, Elayne, gluckste leise, als könne sie mich verstehen. Ihre winzige Hand griff nach oben und bekam einen Knopf meiner Uniform zu fassen. Vorsichtig entwand ich ihr den Knopf wieder, bevor sie sich wirklich daran festhalten konnte. Sofort verzogen sich Elaynes Gesichtszüge und sie begann zu wimmern.

»Nicht doch, Kleine«, murmelte ich beschwichtigend. Eine kurze Geste meinerseits und ich hielt einen tropfenförmigen Bernstein in der Hand, in den ich eine Rune eingebrannt hatte. Der Stein hing an einem Lederband, welches ich Elayne jetzt vorsichtig über den Kopf streifte. Eine weitere Geste über dem Verschluss sorgte dafür, dass sie sich mit der Kette weder wehtun noch sie sich abstreifen konnte. Das kleine Mädchen gluckste fröhlich vor sich hin, sobald sie den Bernstein zu fassen bekam und damit zu spielen begann.

»Was ist das?«, wollte Akele wissen, als ich ihm seine Tochter wieder in die Arme legte. Misstrauisch begutachtete er die Kette und seine spielende Tochter.

»Das ist eine Schutzrune«, erklärte ich. »In Bernstein eingeritzt, ist sie besonders wirksam. Sie wird Elayne gegen schlechte magische Einflüsse jeder Art schützen. Eigentlich hatte ich sie für das Kind eines Kameraden gemacht, doch meine kleine Nichte kann sie ebenfalls gut gebrauchen. Ich mache einfach eine neue Kette.«

»Oh.« Mehr sagte Akele erstmal nicht. Doch sah ich in seinem Blick, wie dankbar er mir war. Lächelnd winkte ich ab. Das leise Jaulen meines tierischen Begleiters lenkte meine Aufmerksamkeit von Elayne fort und auf Rawenu.

»Komm her, mein Junge«, befahl ich sanft. Sofort tapste der große Golden Shepherd langsam auf mich zu. Ich kraulte Rawenu hinter den Ohren, bevor ich mich niederkniete und meine Hände rechts und links seiner Schnauze ablegte. Ohne zu Blinzeln blickte ich Rawenu tief in die Augen. Mein tierischer Begleiter starrte ebenso ohne zu Blinzeln zurück. »Rawenu, du hast bereits gerochen, dass das Baby hier im Raum Familie ist«, begann ich ernst. Mein Hund hörte mir aufmerksam zu. »Der Säugling heißt Elayne und steht ab sofort unter meinem Schutz. Du verstehst, was ich sagen möchte, nicht wahr?«

Rawenu leckte mir mit seiner rauen Zunge über die Hand, bevor er einmal leise bellte. Seine Art, mir zu zeigen, dass er mich verstanden hatte. »Sehr gut«, lobte ich ihn, ehe ich Akele ansah. »Würdest du mit Elayne näherkommen?«, wollte ich leise wissen, während ich meine Hände von Rawenus Schnauze nahm und mich neben den Hund setzte. Akeles zweifelnder Blick entging mir keineswegs: »Keine Angst. Rawenu würde Elayne niemals etwas tun. Aber er muss sich mit ihrem Geruch vertraut machen, damit er nicht jedes Mal einen fremden Menschen in seinem Zuhause anzeigt, wenn wir daheim sind und ihr da seid.«

Akele wechselte einen Blick mit seiner Ehefrau, die ihm aufmunternd zunickte. Thayet ging sogar so weit, dass sie vom Sofa aufstand und sich zu ihrem Mann gesellte. Ohne zu zögern kniete sie sich hin und kraulte Rawenu beherzt hinter den Ohren. Der Golden Shepherd sah sichtlich zufrieden aus. Seine ganze Haltung war entspannt, die Schnauze leicht geöffnet und die Ohren locker ein wenig in Richtung des ihm unbekannten Menschen gerichtet. Thayet kraulte den Hund noch einen Moment, bevor sie ihrem Mann zunickte.

Zögerlich hockte sich Akele herunter, seine Schultern waren angespannt und seine Augen huschten zwischen Thayet und mir hin und her. Eine kurze Geste meinerseits sorgte dafür, dass Rawenu sich auf den Boden legte. Dass er sich dabei möglichst klein machte, war ganz allein seine Idee. Doch schien es die gewünschte Wirkung zu haben. Akele entspannte sich sichtlich, bevor er sich zu seiner Frau auf den Boden gesellte. Vorsichtig hielt er seine Tochter im Arm, darauf wartend, was als Nächstes geschehen würde. Ich griff sanft nach seinem Arm und zog ihn ein wenig näher an Rawenu heran. Dann gab ich dem Hund einen leisen Befehl, den ich normalerweise nur durch eine Geste zum Ausdruck bringen würde. Doch um Akele nicht zu erschrecken, sprach ich ihn aus: »Rawenu, schau.«

Der Blick meines Hundes glitt zu mir. Seine Augen folgten meinem Finger, mit dem ich mich langsam Akele und Elayne näherte. Dem stummen Befehl zum Schnüffeln, kam mein tierischer Begleiter umgehend nach. Kaum war mein Finger bei Elayne angekommen, begann Rawenu zu schnuppern. Kurz darauf wedelte er aufgeregt mit dem Schwanz und fiepte leise. Er hatte das Baby als Mitglied meiner Familie und damit als entferntes Rudelmitglied erkannt. Sein Blick wanderte wieder zu mir, was ich mit einem Kraulen seiner Ohren quittierte.

»Guter Junge«, lobte ich ihn ernst, bevor ich ihm seinen Lieblingsspielball vor die Schnauze legte. Sofort schnappte sich der Golden Shepherd den Ball und stand auf, um sich auf seine Decke neben dem Sofa zu legen. Mit einem dankbaren Nicken in Richtung Akele, reichte ich meiner kleinen Schwester die Hand, um sie auf die Beine zu ziehen, nachdem ich aufgestanden war.

»Wie lange seid ihr eigentlich verheiratet? Und wann ist meine süße Nichte in diese Welt getreten?«, wollte ich leicht amüsiert wissen. Thayet, deren Hand ich noch immer hielt, wand sich unter meinem forschenden Blick, ehe sie seufzte und mit dem Kopf in Richtung des Sofas nickte. Sofort ließ ich sie los und trat an das Sofa heran. An der Seite, wo Rawenu lag, ließ ich mich nieder, um ihn kurz zu kraulen, ehe ich meiner Familie meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. Thayet nahm ihrem Mann den Säugling ab und setzte sich mit ihrer Familie zusammen auf das zweite Sofa, während Dad sich zu mir gesellte.

Einen langen Moment schwiegen wir. Es war ein unbehagliches Schweigen, bei dem keiner wusste, wie man beginnen sollte. Doch dann atmete Thayet tief durch und hob ihren Blick. »Akele und ich haben vor zwei Monaten geheiratet«, begann sie ernst. Meine Glückwünsche nahmen die zwei mit einem ehrlichen Lächeln hin. »Niemand wusste von unserer Hochzeit«, fuhr Thayet schließlich fort. »Es war eine kleine Zeremonie vor einem nicht-magischen Beamten, da mein Mann genauso magielos ist wie ich. Wir haben uns entschlossen, unsere Hochzeit und auch meine Schwangerschaft geheim zu halten, bis es sich für uns richtig anfühlt, es zu teilen. Heute wollten wir Dad dann einweihen. Elayne ist jetzt vier Wochen alt.«

»Dass du bereits heute zurückgekommen bist, ist eine glückliche Fügung«, setzte Akele hinterher. »So können wir dir auch gleich von den neuen Gegebenheiten erzählen.« Er zwinkerte mir zu, als ich bei seinen Worten grinsen musste. »Thayet hatte Angst, wie du es aufnehmen könntest, dass wir bereits in so jungen Jahren geheiratet und ein Kind bekommen haben.«

»Akele«, zischte meine Schwester, ihre Wangen bekamen eine tiefrote Farbe.

»Ach, Yette«, seufzte ich leise. »Natürlich gebe ich euch meinen Segen. Ich wäre nur gerne für euch da gewesen. Mom wäre stolz auf dich.« Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, hatte ich meine kleine Schwester auch schon im Arm, wo sie mich stürmisch drückte.

»Danke, Schwesterherz«, murmelte sie leise, während ich ihre Umarmung erwiderte. »Dein Segen bedeutet mir viel.«

Ich drückte meine Schwester eng an mich, ehe ich sie von mir schob und aufstand. Mein Blick fand den unseres Dads. »Das schreit doch förmlich nach einer kleinen Feier, oder was meinst du, Dad?«

»Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte er grinsend, ehe er in heiteres Lachen ausbrach. Meine Schwester und ihr Mann ließen ihren Blick zwischen Dad und mir hin und her gleiten, ein großes Fragezeichen war deutlich in ihrer Mimik zu sehen.

»Was haltet ihr davon, wenn wir uns etwas Leckeres bestellen?«, hakte ich nach, als von keinem der Beiden ein Wort kam. Es dauerte noch einen weiteren Moment, bevor Thayet schließlich leise fiepte: »Gibt es auch Hühnchen?«

Ihre hoffnungsvolle Frage brachte mich zum Kichern: »Klar. Ich kümmere mich darum.« Erneut wechselte ich einen Blick mit meinem Dad, der verschwörerisch nickte. »Ich bestelle uns für 18:30 das Abendessen. Oder hat jemand etwas dagegen?« Als keiner protestierte, nickte ich. »Wir sehen uns dann beim Abendessen wieder. Gebt mir ein wenig Zeit, um mich umzuziehen und anzukommen, dann gehe ich auch gerne das Essen holen.«

»Mach dir nicht so viel Mühe, Aya, Schätzchen. Du bist gerade erst heimgekommen. Da wirst du doch wahrscheinlich ziemlich müde sein.«

Dads Besorgnis rührte mich sehr, dennoch winkte ich ab. »Keine Sorge, Dad, ich hatte im Flugzeug genug Schlaf. Außerdem braucht Rawenu seinen abendlichen Rundgang. Da ist es für mich kein Problem, auf dem Rückweg das Abendessen abzuholen.«

Den kritischen Blick meines Vaters begegnete ich mit einem aufrichtigen Lächeln. »Einverstanden«, gab er sich geschlagen.

Stumm bedeutete ich Rawenu, mich zu begleiten. Sofort war der Hund auf den Beinen. Das Spielzeug im Maul, trabte er auf mich zu. An meiner Seite wartete er, bis ich mich in Bewegung setzte.

Ich holte meinen Einsatzrucksack, bevor ich mit Rawenu die Stufen zu meinem Wohnbereich hinaufstieg.

In meinem Wohnzimmer angekommen, stellte ich den Rucksack in die Ecke und befreite Rawenu von seiner Schutzweste. Dann füllte ich seinen Futter- und Wassernapf, bevor ich nach meinem Smartphone griff. Einen Anruf später war ein opulentes Abendessen bestellt, welches eine ganze Kompanie sattbekommen würde. Seufzend suchte ich mir Zivilkleidung aus meinem Schrank und schloss meine Waffen in den Safe im Wandschrank ein, ehe ich mich aus meiner Uniform schälte.

WAS FÜR EINE MERKWÜRDIGE BE GEGNUNG

Ariedi, 13. Tag im Jagdmond

Die Dusche hatte nicht nur den Staub der Reise von meinen Gliedern gewaschen, sondern auch meinen schmerzenden Muskeln Wunder getan. Zudem war es angenehm, das erste Mal seit über sieben Monaten wieder Zivilkleidung zu tragen. Die paar Tage Urlaub, die mir bewilligt worden waren, waren eine echte Wohltat.

Genießend atmete ich tief ein, während ich mit Rawenu neben mir durch die stille Nachbarschaft schlenderte. Auch wenn es erst früher Abend war, so war es bereits sehr ruhig auf den Straßen. So ruhig, wie ich es sonst nur vom Stützpunkt gewohnt war. Neben dem Stützpunkt war diese Gegend die einzige, in der ich mich heimisch fühlte.

Ich könnte mit geschlossenen Augen auf dem Bürgersteig entlanglaufen und würde meinen Weg trotzdem finden, dachte ich glucksend. So vertraut ist mir das Viertel.

Hier und da hatte es seit meinem letzten Aufenthalt ein paar Neuerungen gegeben. Das ein oder andere Haus hatte im Laufe der Monate einen neuen Anstrich oder einen neuen Gartenzaun bekommen. Und auch die Straßenlaternen spendeten jetzt ein viel wärmeres Licht als noch bei meinem letzten Spaziergang. Doch ansonsten war alles gleichgeblieben. Die Luft war noch immer schwer vom Geruch der Rosen, an denen ich gerade vorbeikam. Der opulente Rosengarten war der ganze Stolz der Familie, denen er gehörte. Rawenu nieste leicht und entlockte mir damit ein heiteres Glucksen.

»Ich weiß, du mochtest den Rosengarten noch nie«, murmelte ich meinem Hund zu. Seinen anklagenden Blick quittierte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue, ehe ich ihm die Erlaubnis gab, vorauszulaufen. Sofort setzte Rawenu sich in Bewegung. Nur, um ein paar Schritte entfernt auf mich zu warten. Erst, als ich mich an den halb geschlossenen Blüten statt gesehen hatte, wandte ich mich wieder dem Weg zu. Bei Rawenu angekommen, stupste mir der Golden Shepherd gegen die Hand, ehe er neben mir entlang trabte. Langsam ging ich den Weg in Richtung des Tempels, der das Zentrum meiner Soyoku bildete.

Nach ein paar Minuten Fußweg, während derer mein tierischer Gefährte sein Geschäft verrichtete, erreichten wir den Tempel. Im Vergleich zum Tempel auf dem Stützpunkt wirkte er klein und unscheinbar. Doch war das kein Wunder, befanden wir Magier uns in diesem Viertel der Stadt doch weit in der Unterzahl. Allerdings gab es in nahezu jeder Siedlung der Menschen auch Magiebegabte und deshalb auch mindestens einen Tempel des Ewigen Brunnens.

Der hiesige Tempel war aus hellrotem Backstein gebaut. Den fünf starken, quadratischen Türmen sah man an, dass sie noch nicht alt waren. Ebenso wenig, wie die niedrige, solide Granitmauer, welche die Türme miteinander verband. Bleiverglasungen ersetzten die sonst an Tempeln vorhandenen, verzierten Fenster. Aber auch sie waren in scheinbar perfekter Symmetrie an den Wänden des Tempels verstreut. Anstelle eines großen Eingangstores boten zwei hölzerne Flügeltüren Schutz gegen die Einflüsse von außen. Ohne einen Laut von sich zu geben, schwang eine der Flügeltüren nach innen auf, sobald ich sie berührte.

Geräuschlos betrat ich den Tempel. Mein tierischer Begleiter blieb an der Tür zurück. Der Tempel war ihm einfach nicht geheuer. Rawenu würde mir nur hinein folgen, wenn ich es ihm ausdrücklich befahl. Was aber in den seltensten Fällen vorkam.

Der Tempel dieser Soyoku war nicht offen, wie ich es sonst gewohnt war, sondern hatte eine hohe Decke und kräftige Pfeiler, die diese stützten. Es war ein geschlossener Tempel, wie es nur wenige auf dem gesamten Kontinent gab. Auch war hier kein Seitenarm des Ewigen Brunnens zu finden. Stattdessen war in der Mitte des fünfeckigen Tempels eine Steinsäule aus goldenem Marmor gebaut, die in einer fünfeckigen, goldenen Schale mündete. Noch war nichts weiter in der Schale zu sehen. Einzig ein warmer Lichtschein erhellte den sonst dunklen Tempel.

Doch sobald ich mich der Schale näherte, begann der Inhalt zu brodeln. Magie in den schillerndsten Farben bewegte sich wie kleine Wasserstrudel in der Schale. Mal stieg sie ein wenig auf und bildete eine kleine Flammenzunge. Dann wiederum schoss sie wie eine Fontäne aus der Schale und plätscherte wieder zurück. Für einen Moment hielt ich inne und dankte dem Heiligen Licht in einem stillen Gebet, dass die Magie des Tempels auf mich reagierte. Danach verneigte ich mich tief vor der Magie und zog mich langsam zur Tür zurück. Sofort wurde die Magie wieder ruhig. Nur noch ihr schillerndes Licht warf gespenstische Schatten an die Wände des Tempels.

Beim Hinausgehen berührte ich das Symbol der Magie, welches in die Flügeltür eingeritzt war: Ein bronzener Kreis, in dessen Innern ein goldenes Herz zu sehen war. Die fünf Runen der Heiligen Elemente waren wie ein Fünfeck um das Herz herum angeordnet. Oben die goldene Rune des Heiligen Lichts und ihr im Uhrzeigersinn folgend in waldgrün, karmesinrot, dunkelblau und weiß die anderen vier Runen der Heiligen Elemente.

Das Zeichen war mir mittlerweile sehr vertraut. Auch wenn ich es an meinem Armband in etwas abgewandelter Form trug, da die Rückseite des Kreises mit einer Schutzrune versehen war. Es war mir in dem Moment angelegt worden, als klar wurde, dass mein weiterer Weg mich zu den Niyanan, den Priestern des Heiligen Lichts, führen würde. Seitdem trug ich das Zeichen der Magie mit mir. Als meine Erinnerung daran, was auf mich zukommen würde.

Meine Ausbildung zur Niyanan würde wesentlich kürzer sein als bei anderen. Schließlich brauchte ich als ausgebildete Runenmeisterin nicht mehr allzu viel lernen, um eine Priesterin zu werden. Wusste ich doch bereits jetzt mehr über Rituale als die meisten Niyanan. Kaum, dass wir von der Mission zurückgekehrt waren, war ich dem Zirkel der Niyanan der Streitkräfte beitreten. In naher Zukunft würde ich eine voll ausgebildete Priesterin sein.

Wie mein Dad wohl darauf reagieren wird, wenn ich ihm erzähle, dass ich bald eine Niyanan bin?, fragte ich mich still, während ich Rawenu kurz über den Kopf streichelte, ehe ich ihm bedeutete, dass wir gehen konnten.

Sobald wir den Bereich um den Tempel verlassen hatten, atmete mein tierischer Begleiter erleichtert auf.

»Du magst die Tempel wirklich nicht, hmm?«, wollte ich von ihm wissen. Rawenus kurzes Bellen war mir Antwort genug. Leise lachte ich in mich hinein. »Da bist du schon ein magischer Spürhund und hasst es, einer Quelle der Magie nahe zu kommen«, neckte ich meinen Hund in dem Bewusstsein, dass er meine Worte sehr gut verstehen konnte. Sein anklagender Blick sprach Bände. Ebenso wie das leise Knurren, welches er von sich gab. Da ich am Tonfall seiner Stimme hörte, dass es ein beleidigtes Knurren war, nahm ich es einfach hin.

Normalerweise würde ich es meinem Hund nicht durchgehen lassen, wenn er mich anknurrte. Die Hierarchie unseres kleinen Rudels war sehr genau geregelt. Nur war Rawenu noch jung genug, um ab und an eine Erinnerung daran zu benötigen, wer das Sagen hatte. Auch wenn er ansonsten ein vorbildlicher Spürhund war, leistete er sich im Privaten dann doch ab und an mal den ein oder anderen Ausrutscher.

»Komm, wir sollten uns langsam auf den Weg machen, das Essen zu holen. Sonst fragen sich die anderen noch, wo wir bleiben«, seufzte ich leise, ehe ich mich wieder in Bewegung setzte. Ein lauter Knall ließ mich zusammenzucken, während ich meine Hand hob, um eine Schutzrune zu wirken und mit der zweiten Hand an meinen Gürtel griff, wo normalerweise meine Hauptwaffe war. Rawenu neben mir knurrte leise. Tief durchatmend erinnerte ich mich daran, dass ich in der Heimat war. Beruhigend legte ich meinem Hund eine Hand ins Fell, nachdem ich meine Verteidigungshaltung aufgegeben hatte.

»Alles gut, mein Freund«, murmelte ich Rawenu zu. »Wir sind in Sicherheit.« Mein Hund fiepte leise, ehe er sich entspannte. Langsam machten wir uns wieder auf den Weg.

Bis zum Restaurant war es nicht mehr weit. Nur wenige Minuten später bedeutete ich Rawenu, vor der Tür zu warten, während ich das Restaurant betrat, um die Bestellung abzuholen.

»Guten Abend Miss Scott, seien Sie gegrüßt beim Licht«, schallte mir auch schon die Stimme des Inhabers entgegen, kaum, dass ich die Türschwelle überschritten hatte. »Wie schön, Sie einmal wiederzusehen.«

»Guten Abend, Sir Trenton«, grüßte ich den ehemaligen Ritter des Nordischen Kontinents. Dabei hob ich meine rechte Hand zum Gruß der Menschen. Die Handfläche zeigte zu Sir Trenton und meine Finger waren durchgestreckt. Der Zeige- und Mittelfinger der linken Hand berührten die Handfläche der rechten, während der linke Ringfinger und der kleine Finger angewinkelt waren und vom Daumen gehalten wurden. Sir Trenton erwiderte die Geste ohne zu Zögern. Sein Lächeln wurde noch eine Spur wärmer, als es ohnehin schon gewesen war.

»Kommen Sie näher, Miss Scott. Ihre Bestellung ist gleich fertig.«

Schmunzelnd kam ich seiner Bitte nach, mich zu ihm an die Theke zu gesellen. Sir Trenton plauderte fröhlich drauflos, sobald ich auf dem Barhocker saß. Da er wusste, dass ich ein Mitglied der Streitkräfte war, fragte er mich nichts Näheres nach meiner letzten Reise. Nur, ob sie angenehm verlaufen war, wollte er dann doch wissen.

»Danke der Nachfrage, Sir Trenton. Die Reise bot mehr Annehmlichkeiten als ich erwartet habe und selbst mein Hund hatte nichts zu klagen«, gab ich vage Auskunft, ohne irgendein Detail zu verraten.

»Ach, das freut mich zu hören«, strahlte der Besitzer des ›Fjöltana‹. Der Klang einer Glocke hielt ihn davon ab, noch mehr zu sagen. Er entschuldigte sich kurz, ehe er sich zur Durchreiche der Küche umdrehte und einige Beutel entgegennahm. Als er sie vor mir auf den Tresen stellte, sah ich mehrere Wärmebehälter, die ordentlich in Leinenbeuteln verstaut waren. »Davon wird eine ganze Kompanie satt«, lachte er, sobald er seine Last abgestellt hatte.

»Wir haben was zu feiern«, erwiderte ich grinsend, bevor ich meine Hand über das Lesegerät hielt, damit der Chip in meinem Armband eingelesen werden konnte. Es piepte kurz und das Gerät wollte meine Geheimzahl wissen. Nach der Eingabe derselbigen piepte es erneut und das Geld für das Essen konnte von meinem Konto abgebucht werden. »Danke für die Gesellschaft, Sir Trenton«, bedankte ich mich für das Gespräch, ehe ich nach den Taschen griff und mich in Richtung Ausgang wandte.

»Die Freude war ganz meinerseits«, erwiderte der ehemalige Ritter, bevor er mir zum Abschied zuzwinkerte. »Kommen Sie gut heim.«

»Danke. Ihnen noch einen guten Abend«, verabschiedete ich mich mit einem Nicken, ehe ich auf die Tür zutrat.

»Warten Sie, ich halte Ihnen die Tür auf«, riss mich eine Stimme aus meinen bereits wieder wandernden Gedanken. Erstaunt blickte ich auf. Nur, um direkt mit dem lächelnden Gesicht einer Fremden konfrontiert zu werden, die nur wenige Schritte neben mir stand. Sie musterte mich ungeniert, was mich dazu veranlasste, es ihr gleich zu tun. Sie war einen halben Kopf größer als ich. Ihre aschblonden, knapp schulterlangen Haare waren ordentlich gekämmt, wohingegen der schräge Pony aussah, als sei er bewusst durcheinander gestylt worden. Ihre Haltung zeugte von einer so natürlichen Autorität, dass ich schlucken musste.

Wow, sie hat etwas unglaublich Anziehendes an sich, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Schnell verdrängte ich diesen ungewohnten Gedanken und konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart.

»Danke, das wäre nett«, nahm ich das Angebot an. Der Moment der Stille war schon peinlich genug. Die Fremde nickte schmunzelnd, ehe sie mir die Tür aufhielt und mir nach draußen folgte.

»Da haben Sie aber viel zu tragen«, meinte sie mit einem Blick auf die drei Taschen, welche ich in den Händen hielt.

»Ach, so schlimm ist das nicht«, erwiderte ich schulterzuckend. »Ich habe es nicht weit. Komm, Rawenu«, fügte ich an meinen Hund gewandt hinzu. Der Golden Shepherd folgte meinem Befehl umgehend und trat an meine Seite. Kurz hob sich die Augenbraue der Fremden, ehe sie leicht lächelte. Kleine Grübchen bildeten sich bei ihrem Lächeln, was ihre merkwürdige Anziehungskraft auf mich noch verstärkte. Was ist nur los mit mir?, wunderte ich mich still, während ich laut fragte: »Haben Sie etwas gegen Hunde?«

Sofort schüttelte die Fremde den Kopf. »Im Gegenteil. Ich hatte selbst zwei Mops, die mich durch meine Jugend begleitet haben.«

Erstaunt musterte ich sie einen Moment, ehe sich ein Lächeln auf meine Züge schlich. »Na, wenn das so ist«, schmunzelte ich leicht, »dann sollten Sie mit meinem Rawenu keine Schwierigkeiten haben.«

»Ganz sicher nicht«, versicherte mir die Fremde ernst. »Und auch wenn Ihr Hund so aussieht, als könne er Sie gut beschützen, biete ich Ihnen dennoch an, Sie zu begleiten. Es ist bereits dunkel und man weiß ja nie. Vor allem, wo in letzter Zeit Gerüchte herumgehen.« Mehr sagte sie nicht, doch ihr vager Blick und das leichte Schulterzucken waren mir Auskunft genug.

»Das ist wirklich nett von Ihnen, aber vollkommen unnötig«, wehrte ich gelassen ab. »Ich kann mich sehr gut selbst verteidigen.« Da ich sah, dass meine Worte die Fremde enttäuschten und weil ich selbst noch nicht bereit war, die merkwürdig angenehme Gesellschaft schon wieder zu verlieren, setzte ich spontan hinterher: »Sie können mich dennoch gerne begleiten, wenn es Ihnen keine Umstände macht.«

Sofort erhellte sich das Gesicht der Fremden wieder. »Es würde mich freuen«, gestand sie bedächtig, ehe sie sich dem Fahrradständer zuwandte und ihr Rad holte. Dann hielt sie mir mit einer auffordernden Geste eine Hand hin. »Lassen Sie mich wenigstens ein bisschen beim Tragen helfen.«

Innerlich verdrehte ich zwar die Augen, dennoch nahm ich das Angebot der Fremden an und reichte ihr eine der Taschen. Dabei streiften sich unsere Fingerspitzen, was mir ein warmes Kribbeln den Arm hinaufschickte. Erstaunt blinzelte ich sie an. Auch sie musterte mich kurz überrascht, ehe sie das Thema wechselte. »Ich bin noch neu hier, deshalb entschuldigen Sie bitte meine Frage«, schob sie ihrer eigentlichen Frage vorneweg. Die Tasche mit dem Essen landete am Fahrradlenker, während wir uns langsam in Bewegung setzten. »Ich wäre neugierig, ob Sie öfter hier sind? Ich gehe meistens zwei- bis dreimal die Woche ins ›Fjöltana‹. Da ich Sie hier noch nie gesehen habe, bin ich neugierig geworden.«

Ihre direkte und doch charmante Art gefiel mir. Und bewog mich tatsächlich dazu, einigermaßen ehrlich zu antworten. »Ich bin von Berufswegen aus viel unterwegs gewesen, lebe aber auch nicht weit von hier entfernt. Meine Familie wohnt hier in der Gegend. Bei ihnen bin ich auch gerade zu Besuch.« Während mein Blick über die Fremde glitt, konnte ich mir eine Frage nicht verkneifen: »Sie sind frisch hinzugezogen? Dann kennen Sie unsere schöne Soyoku noch gar nicht, oder?«

Überrascht blinzelte die Fremde mich einen Moment an, ehe sich ein strahlendes Lächeln auf ihren Zügen ausbreitete. »Ihre Worte lassen darauf schließen, dass man sich in Zukunft eventuell öfter einmal über den Weg laufen wird«, murmelte sie fast schon hoffnungsvoll. Dann schien sie sich zu besinnen und antwortete auf meine Fragen: »Ich bin vor gerade einmal drei Wochen in diese Gemeinschaft gezogen. Außer dem Weg zum ›Fjöltana‹, zum Bäcker, Fleischer und Lebensmittelmarkt kenne ich hier noch so gut wie gar nichts. Es blieb bei meiner Arbeit einfach nicht die Zeit, mich ein wenig genauer umzusehen.«

»Wenn das so ist, würde ich mich glatt anbieten, Ihnen bei Gelegenheit ein wenig die Gegend zu zeigen.« Die Worte hatten meinen Mund verlassen, bevor ich mir bewusst wurde, was ich da sagte. Was ist nur los mit mir?, fragte ich mich nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten. So kenne ich mich doch gar nicht.

Eine ganze Weile blieb es still zwischen uns, weil keine von uns wirklich etwas mit der Situation anfangen konnte. Schließlich blickte meine Begleitung mich mit erhobener Augenbraue an, während sich ein vorsichtiges Leuchten in ihre Augen schlich. »Ist das Ihr Ernst? Würden Sie das wirklich für mich tun?« Auf mein Nicken hin, bekam ich ein warmes Lächeln von ihr geschenkt. »Sie ahnen gar nicht, wie sehr mich Ihr Angebot freut. Es wäre wunderbar, jemanden zu haben, die mir ein wenig die Gegend zeigen kann. Sofern es sich mit Ihrer Arbeit vereinbaren lässt«, fügte sie ernst hinzu.

Ihre Sorge winkte ich ab. »Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Ich gehe davon aus, dass man bestimmt ein wenig Zeit finden wird, um die Gegend gemeinsam zu erkunden.«

Lächelnd nickte mir die Fremde zu. »Dann danke ich Ihnen für Ihr Angebot und nehme es gerne an.«

Als ich stehen blieb, ging sie noch einen Schritt weiter, bevor auch sie anhielt. Mein Kopf zuckte zu dem Haus, vor dem wir nun standen. »Wir sind da«, erklärte ich überflüssigerweise.

»Oh.« Mehr sagte die Frau erstmal nicht. Einen Moment später schien sie aus ihrer Starre zu erwachen, denn sie griff nach der Tasche und reichte sie mir, wenn auch zögerlich.

»Ich danke Ihnen für Ihre Begleitung«, meinte ich, um die leicht unbehagliche Stille zu durchbrechen, während ich die Tasche entgegennahm.

»Gern geschehen. Das Vergnügen war ganz meinerseits«, erwiderte sie ruhig, ehe die sich auf ihr Rad schwang. »Ich hoffe auf ein Wiedersehen. Wenn wir uns nochmal über den Weg laufen sollten, nehme ich Sie beim Wort und komme auf Ihr Angebot zurück.« Noch ehe ich die Chance auf eine Erwiderung hatte, trat die Fremde auch schon in die Pedale und verschwand in den abendlichen Straßen.

»Was für eine merkwürdige Begegnung«, wunderte ich mich, während ich bereits in Richtung des Hauses ging. Rawenu stimmte mir mit einem leisen Bellen zu, ehe er sich auf die Hinterpfoten stellte und die Klingel betätigte. Seine Geste entlockte mir ein Lachen, welches noch immer anhielt, als mein Dad uns bereits die Tür öffnete.

DIE MAGIE MÖGE MEINE ZEUGIN SEIN

Soledi, 15. Tag im Jagdmond

»Aya, Schätzchen, bist du dir sicher, dass du zum Tempel gehen möchtest? Es ist lange her, dass du zu einer Zeremonie des Lichts im Tempel warst.«

Oh Dad, wenn du wüsstest, seufzte ich still, während ich laut erwiderte: »Ja, Dad, ich bin mir sicher. Es wird schön sein, mal wieder bei einer heimatlichen Zeremonie des Lichts dabei zu sein. Außerdem möchte ich wissen, wer die neue Niyanan der Soyoku ist.«

»Warum ist es dir so wichtig, das zu wissen? Für die letzte Priesterin hast du dich doch auch nicht interessiert«, wollte Dad verwirrt wissen.