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Hamburg nach Haparanda: Eine unvergessliche Segelreise durch die Schönheit des Nordens Tauchen Sie ein in das Abenteuer einer außergewöhnlichen Segelreise von Hamburg bis ans Ende der Ostsee, nach Haparanda, und erleben Sie die raue Schönheit der skandinavischen Küste hautnah. Dieses fesselnde Buch nimmt Sie mit auf eine Reise voller Herausforderungen, unvergesslicher Begegnungen und atemberaubender Landschaften. Begleiten Sie den Segler John und seine Frau Birgit auf ihrem Weg durch den Stockholmer Schärengarten, die Hohe Küste und den Bottnischen Meerbusen. Erleben Sie die Faszination großer und kleiner Häfen, begegnen Sie anderen Seglern und Einheimischen und lassen Sie sich von der einzigartigen Atmosphäre des Nordens verzaubern. Dieses Buch ist mehr als nur ein Reisebericht. Es ist eine Hommage an die Seefahrt, eine Liebeserklärung an die Natur und eine Einladung, die eigenen Träume zu leben. Was Sie in diesem Buch erwartet: Spannende Segelabenteuer: Erleben Sie hautnah die Herausforderungen und Freuden des Segelns, von stürmischen Überfahrten bis hin zu ruhigen Ankerplätzen inmitten unberührter Natur. Lebendige Beschreibungen: Tauchen Sie ein in die atemberaubende Schönheit der skandinavischen Küste, von den idyllischen Schären bis hin zu den majestätischen Fjorden. Authentische Begegnungen: Lernen Sie die Menschen kennen, die den Norden ihre Heimat nennen, und erfahren Sie mehr über ihre Kultur, ihre Traditionen und ihre Lebensweise. Wertvolle Einblicke: Erhalten Sie praktische Tipps und Ratschläge für Ihre eigene Segelreise, von der Navigation bis hin zur Ausrüstung. Emotionale Tiefe: Lassen Sie sich von den persönlichen Gedanken und Gefühlen des Autors berühren und inspirieren. ---------------------------------- Hinweis: Dies ist eine Neuauflage des Buches, das 2021 unter dem Titel "Zwei Hamburger Segeln nach Haparanda" erschienen ist.
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© 2023 Edition Svanen
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Buch ist eine Neuauflage des Titels
»Zwei Hamburger segeln nach Haparanda« von 2021
Umschlagbild: Sailing / Carina Hansen / Adobe
Logo: Swanest/Marcusw572/Artpuppy(Moose)
Karten: openstreetmap.fr
Edition Svanen
Droste-Hülshoff-Str. 35
22609 Hamburg
www.edition-svanen.de
Karte der Reise
Vorwort
Darf ich mich vorstellen? Mr. Moose
Prolog
1. Aufbruch in den Norden
2. Durch das Tor zum Schärensegeln
3. Endlich im Schärengarten
4. Auf zur Hohen Küste
5. Auf durch den Quark
6. Von Luleå nach Norwegen
7. Der Weg nach Haparanda
8. Oulu, Großstadt im Norden
9. Die Küste von Raahe bis Vaasa
10. Eingeweht in Reposaari
11. Durch den Archipel nach Åland
12. Mariehamn, Hauptstadt der Åland-Inseln
13. Auf dem Weg nach Süden
14. Der Schärengarten von Östergötland
15. Von der schwedischen Südküste bis Dänemark
16. Von Dänemark nach Hamburg
Segelbücher aus der Edition Svanen
* * *
Es gibt wohl kaum einen so abwechslungsreichen und langen Törn auf der Ostsee, wie die Strecke nach Haparanda zu segeln. Das ist mir schnell klar geworden, als mir Birgit und John die Geschichte ihres langen Törns auf der Ostsee erzählt haben, den ich hier für sie aufgeschrieben habe. Ich bin selbst Segler, aber so weit noch nicht gekommen. Und wer träumt nicht davon, einmal bis ans Ende der Ostsee zu reisen?
Dabei ist dies der Reisebericht eines langen Törns, es ist kein Reiseführer. Eine Anleitung mit tabellenartig geordneten Tipps zu Häfen oder Ankerbuchten passt schlicht nicht zu einem derart langen Törn. Und es würde dem Charakter dieser Fahrt mit ihren schönen, aber auch anstrengenden Momenten nicht gerecht werden. Beim Thema »Von Hamburg nach Haparanda« ist vielmehr ein Schuss Reiseliteratur gefragt: In diesem Text geht es darum, den Leserinnen und Lesern etwas von der Faszination des Fahrtensegelns auf der Ostsee zu vermitteln, so wie es Birgit und John erlebt haben - und das auf der längsten möglichen Strecke.
Die reicht von den bekannten Segelrevieren in Dänemark und an der schwedischen Südküste bis zu den Schären vor Stockholm. Ein Drittel der Strecke von Deutschland in die schwedische Hauptstadt führt durch diese Inselgruppen. Aber vor allem im Bottnischen Meerbusen, wo nur wenige Freizeitskipper unterwegs sind, geht es abwechslungsreich weiter: Nördlich von Stockholm schlängeln sich die beiden durch kleine Schäreninseln. Und dann kommen sie im Norden an, wieder zwischen unzähligen Schären bis Haparanda. Finnland schließlich ist ein besonderes Segelrevier, das originelle Ziele bietet, die sich oft hinter flachen Gewässern verstecken.
Weil es so viele unterschiedliche Häfen auf dieser Route gibt, kamen die beiden nicht umhin, auf längere Schläge zu verzichten und nicht weniger als 70 Häfen anzulaufen - vom großen Touristenhafen bis zum verwunschenen Fischerkai. Auch das macht den Reiz dieser Strecke aus: Im Gegensatz zu Törns auf der Nordsee ist das Ufer mit seinen vielen Schären meist nie weit entfernt.
Die Geschichte beginnt mit einem Kapitel über Jollen und Yachten, die nicht Teil des Törns nach Haparanda ist. Aber ich wollte gern einmal aufschreiben, wie John vom Jollen- zum Fahrtensegeln kam. Ach, und übrigens: Auch wenn in diesem Text meist nur eine gender-spezifische Form vorkommt, etwa der »Segler«, so sind natürlich immer die Seglerin und den Segler angesprochen. Jetzt wünsche ich aber viel Spaß beim Lesen - und vielleicht regt es Sie ja auch an, einmal selbst auf eine längere Fahrt zu gehen.
Hamburg, im April 2023
Friedrich Steindorf
Hallo, darf ich mich vorstellen? Ich bin Mr. Moose oder auch Herr Elch, das Wappentier von Schweden, von ganz Skandinavien. Auf Finnisch heiße ich Herra Moose. Ich will nicht zu bescheiden sein. Schließlich bin ich keine unauffällige Gestalt: Ich werde bis zu drei Meter lang, und meine Schultern können bis zu 2,3 Meter hoch sein. Und ich wiege 700 Kilogramm. Ich bin ein beeindruckendes Tier, das ganz in sich selbst ruht. Mein Brustkorb ist groß, und meine Schultern sind kräftig. Aber das Auffälligste ist mein Geweih, das 1,30 Meter breit ist. Abgesehen von ein paar frechen Wölfen oder Bären habe ich keine Feinde.
Ich lebe hier oben in Europa in den skandinavischen Wäldern, wo ich meine Tage gemütlich als Einzelgänger verbringe. Jetzt fragen Sie sich, was ich mit einem Buch über Segeln zu tun habe? Nun, Sie wissen es vielleicht nicht, aber wir Elche sind gute Schwimmer. Wenn wir glauben, dass es auf einer der vielen Schären saftigere Baumtriebe und Wasserpflanzen gibt, die unsere Lieblingsspeise sind, schwimmen wir.
Und nicht gerade langsam: Ich kann im Meer mit bis zu fünf Knoten unterwegs sein. Und ich bin in der Lage, auch lange Strecken zu schwimmen: Als Elch habe ich schon über zehn Seemeilen geschafft. Ich bin ein intelligentes Tier. Deshalb rechne ich dir vor, wie schnell das in Kilometern pro Stunde ist: 10 mal 1,852 macht 18,52 Kilometer. Eine ganz schöne Strecke, nicht wahr?
Übrigens sind Freunde von mir schon vom schwedischen Festland bis zu den Ålandinseln geschwommen, wie ihr Menschen mitbekommen habt. Und weil ich beim Schwimmen immer etwas von Booten höre, will ich meine Tipps nicht für mich behalten.
Wir Elche mögen es kalt. Wenn die Temperaturen im Sommer zu warm werden, fühlen wir uns unwohl. Und wenn die Fliegen und Mücken kommen und uns auf die Nerven gehen, ziehen wir uns ins Wasser zurück. Dort können wir uns abkühlen. Und tauchen kann ich auch: Ich kann bis zu sechs Meter tief unter Wasser tauchen und den Boden nach Nahrung absuchen. Das hättest du mir nicht zugetraut, oder?
Auch wenn wir normalerweise allein durch die Wälder streifen, schließen wir uns im Winter zu Gemeinschaften zusammen. Wir stehen beieinander und suchen im Schnee nach Nahrung. Nur in euren Städten, ihr Menschen, fühlen wir uns nicht zu Hause. Da ist viel zu viel los. Ich würde gerne durch eure Kneipen ziehen und ein Bier probieren. Aber dieses Gebiet überlassen wir lieber euch. Wenn mich etwas ärgert, und das kommt vor, etwa wenn Ihr Menschen als Angeber unterwegs seid, dann habe ich meinen Lieblingsspruch parat: »Kuten minä tai mene kotiin«. Das ist Finnisch und heißt: Mag mich oder geh doch nach Hause! Ja, ich bin ein etwas vorlauter Elch.
In diesem Buch werde ich Sie durch die einzelnen Kapitel führen. Wenn Sie Fragen haben: Sie finden mich oben im Norden, im nächsten Wald.
* * *
Der Bug der Jolle schnitt in die Welle. Dann hob das Wasser das Boot an, um krachend über dem kleinen Vorschiff zusammenzuschlagen. In hohem Bogen spritzte das Salzwasser am Mast vorbei ins Cockpit. Die leichte Regenkleidung konnte dem wenig entgegensetzen, John war nass bis auf die Haut. Jollensegeln war grundsätzlich eine eher nasse Erfahrung, aber das hier in der Flensburger Förde konnte nicht mehr lange so weitergehen, dachte er.
Der Wind, den er in steilem Winkel anschnitt, blies viel zu stark, die Wellen hatten sich bereits bei wenigen Kilometern Abstand zum Ufer der Förde zu einer stattlichen Höhe aufgebaut. Über ihm jagten die Wolken den Himmel entlang. Schräg an Backbord lag der Hafen von Bockholmwik, quer zur Seite das Örtchen Langballigau. Das musste doch zu schaffen sein, dachte John, so weit war es gar nicht. Er war mit der kleinen Jolle bis Dänemark gekommen und jetzt sollte auf dem Rückweg in der äußeren Flensburger Förde die Fahrt zu Ende sein? Doch das Wetter ließ sich von solchen Gedanken wenig beeindrucken. Trotzdem wirkte die Szenerie fast unwirklich: In einhundert Meter Entfernung sah er Spaziergänger am Strand, die winkten, während er hier in der schäumenden Förde um jeden Meter kämpfte.
John reiste mit einer Jolle auf der Ostsee. Für ihn markierte das den Beginn des Fahrtensegelns, denn es ging hinaus von den Binnenseen aufs Meer. 15 Jahre später sollten ihn diese Erfahrungen einmal rund um die Ostsee führen. Auf diesem Törn lief zunächst alles glatt: Vom Hafen Schilksee aus ging es über Damp nach Kappeln. Dann führte die Fahrt nach Dänemark, einmal rund um die Insel Ærø. Es ging wieder zurück zum Festland, um die Halbinsel Kegnæs auf der dänischen Seite der Förde in das Örtchen Høruphav und schließlich sollte es bis nach Flensburg gehen - alles in etwa zehn Tagen.
Eine Böe schoss heran. Der Conger neigte sich bedenklich, John musste das Großsegel öffnen und sich weit nach außen lehnen, um das Boot vor dem Kentern zu bewahren. Der Wind zerrt unerbittlich an der Fock und am Großsegel. Immerhin machte er so ein gehöriges Tempo, der Strand zog an Steuerbord rasch vorbei.
Doch wieder kam eine Welle über das Vorschiff und ergoss sich ins Cockpit. Alles war nass im Boot. John erkannte: Das würde wohl nichts. Daraufhin war die Entscheidung schnell gefallen. Er wollte zurück nach Sonderburg, nur raus hier aus dieser Wildwasserfahrt hart am Wind. Immerhin konnte er das Boot in einem Wellental gut drehen. Der Baum kam über, die Jolle ging auf Kurs vor dem Wind. Das war vor Gammelgab Strand auf der dänischen Seite der Förde. Den Ort merkte er sich. Jedes Mal, wenn sie ihn später passieren sollten, würde er daran zurückdenken. Hier war die Fahrt mit einer kleinen, nassen Jolle zu Ende, aus Respekt vor den zu großen Wellen. Hier siegte aber auch die Vernunft über den Ehrgeiz, unbedingt ein Ziel mit dem Segelboot erreichen zu wollen.
Nach der Wende begann »Gorch Grog«, so hieß der Conger, zu »surfen«. Nicht nur der kräftige Wind trieb ihn quer von achtern an, sondern er fuhr die Wellenberge hinunter. Wie schnell er dabei wirklich war, konnte John nicht messen. Es war keine Zeit, das umständliche Hand-GPS herauszuholen. Nun war Konzentration gefragt, um das Boot unter Kontrolle zu halten. Doch das Tempo musste schnell sein, dachte er. Am Ufer drehten sich die Rotoren einiger dänischer Windkraftwerke fieberhaft. Wie angenehm der Kurs vor dem Wind doch auf einmal war, schoss es ihm durch den Kopf, im Vergleich zum mühseligen Gegenankämpfen. Er umrundete Kragesand und konnte die Halbinsel vor Sonderburg entlang segeln. Schlagartig hörten die Wellen auf, das Land deckte die Förde ab, das Wasser wurde ruhig. Wie war das möglich, fragte sich John: eben noch brutaler Kampf um jeden Meter, jetzt gemütliches Segeln? Die Sonne kam heraus. Er beschloss, das Ufer anzusteuern.
Das war ein Vorteil, den kein Kielboot bieten konnte. Mit der Jolle konnte man auf dem Törn einfach eine Pause am nächsten erreichbaren Ufer einlegen. Die Segel barg er, zog das Schwert an seinem Fall hoch und steuerte schwungvoll den Kiesstrand an. Am Strand vor dem Wald beim Örtchen Skelde Kobbel kam »Gorch Grog« zum Stehen. Der Wind rauschte zwischen den Bäumen, aber sonst war es still und relativ geschützt. Einige Ferienhäuser standen am Ufer, doch es war kein Mensch zu sehen.
John zog die nassen und nutzlosen Regenüberzüge aus und machte Bestandsaufnahme. Leider war die kleine Kajüte nicht trocken geblieben, die Brecher, die ständig überkamen, hatten alles durchnässt: Die Decke, den Schlafsack, aber auch das empfindliche Hand-GPS, das nicht wirklich wasserdicht war. Mit einem »Campinggas«-Kocher konnte er dafür einen heißen Kaffee machen und sich auf die Bordwand setzen. Im Norden lag Sonderburg mit seinem Yachthafen. Doch davor fiel der Blick auf die Vemmingbugt, und hier türmten sich wieder Wellen, das sah man vom Strand aus. Selbst diese kleinere Bucht reichte aus, um dem Wind so viel Angriffsfläche zu bieten, dass sich Welle aufbauen konnten. John kam sich vor, wie bei einem Hindernislauf. Nun war er schon auf dem Rückweg nach Sonderburg, und jetzt mussten noch solche Hindernisse überwunden werden.
Plötzlich hörte er ein lautes Pfeifen. Ein Mann in einer dicken, abgetragenen Windjacke kam den Strand entlang, fuchtelte wild mit den Armen und rief etwas auf Dänisch. John, neugierig und etwas besorgt, ging ihm entgegen. Der Mann, ein wettergegerbter Däne mit freundlichen Augen, blieb keuchend vor John stehen. »Es ist sehr viel Wind da draußen!«, sagte er mit starkem Akzent. »Die Wellen sind auch zu hoch. Ihr solltet hier nicht weitersegeln.«
John lächelte. »Danke für die Warnung«, sagte er. »Aber ich will ja nur nach Sonderburg. Ich kann das Boot hier nicht liegen lassen.«
Der Mann musterte John und die kleine Jolle. »Sonderburg? In dieser Nussschale? Bei diesem Wetter?« Er schüttelte ungläubig den Kopf, seine wettergegerbten Falten vertieften sich. »Na gut, wenn du meinst. Aber sei vorsichtig, mein Freund. Das Meer ist heute nicht zum Spaßen aufgelegt.«
John deutete auf seine durchnässten Kleider. »Das habe ich schon gemerkt«, sagte er und ein Schauer lief ihm über den Rücken. »Ich werde vorsichtig sein, keine Sorge.«
Der Mann nickte, ein Anflug von Anerkennung in seinen Augen. »Viel Glück dann«, sagte er und klopfte John auf die Schulter. »Und pass auf dich auf. Das Meer kann tückisch sein.«
John sah ihm nach, wie er im Wind davonstapfte. Er war dankbar für die Warnung und die Sorge des Fremden. Sie erinnerte ihn daran, dass das Meer Respekt verdiente, egal wie erfahren man war.
John beschloss, sich auf den Weg zu machen und traf eine Fehlentscheidung, die folgenschwer hätte enden können: Das letzte Stück wollte er mit dem Außenborder zurücklegen, um besser in den Hafen zu kommen. Das Segel blieb im Rollreff über dem Baum des Conger. Heute weiß er, was für eine unsinnige Überlegung das war: Nur der Wind hätte der Jolle eine ausreichende Stabilität verliehen, um sicher durch die Wellen zu kommen. Aber damals schien der Yachthafen so nahe, dass es mit dem Motor doch rasch gehen müsste, dort hinzukommen. Gleichzeitig fuhr immer die Gefahr mit, dass das Boot kentern könnte. Nun war der Conger mit seinen 250 Kilogramm für eine Jolle kein Leichtgewicht, und dieses Exemplar hatte außerdem das »Ostseeschwert«, das zusätzlich 30 Kilogramm Gewicht unter das Boot brachte. Und oben am Mast war ein Kenterkissen angeschlagen: Das war ein Luftkissen mit einer Patrone, die bei Wasserkontakt anschlug und binnen Sekunden das Kissen füllte. Das Prinzip war das gleiche wie bei einer Automatik-Rettungsweste. Denn wenn der Conger durchkenterte, wäre es ziemlich anspruchsvoll, ihn wieder aufzurichten - erst recht bei diesen Wellen.
Doch Ostseeschwert hin und Kenterschutzkissen her, die Möglichkeit zu einer Kenterung blieb. Deshalb startete er den Außenborder. »Gorch Grog« machte sich auf den Weg. In der Vemmingbugt schlugen die Wellen seitlich zu. Der kleine Außenborder trieb die Jolle tapfer voran, die aber bei jedem Brecher von der Seite heftig ins Schlingern geriet. Jetzt erfuhr John praktisch, dass die Gefahr für eine Jolle ohne Segel ungleich höher war. Fast unbemerkt schob sich an Steuerbord ein dänischer Rettungskreuzer heran. An diesem windreichen Tag war er wohl vorsichtshalber auf Position in der Bucht vor Sonderburg gegangen. Ob er sah, wie John hier kämpfte oder nicht - es war beruhigend, ihn in der Nähe zu wissen.
Doch dann passierte es. Die Wellen schlugen zu, mit einem Krachen brach eine Verstrebung der kleinen Halterung des Außenborders durch. Jetzt hatte John tatsächlich ein Problem. Er konnte den Motor rechts mit der Hand halten, links trug eine Strebe der Befestigung noch. Ziemlich mühselig änderte er den Kurs und steuerte direkt den Yachthafen an, sodass der Wind nur noch schräg von hinten auf das Boot traf. Minuten später erreichte er die Mole von »Sonderborgs Lystbadehavn« und fuhr hinein. Ein weiteres Krachen, die Halterung des Außenborders brach endgültig ab, direkt vor dem äußeren Steg. Einige Segler hatten die Anfahrt verfolgt. Mit einem großen Schwung hievte er den Außenborder ins Boot, der kurz davor war, im Hafenbecken zu verschwinden. Jemand warf ihm eine Leine zu, er konnte die Jolle zu einem Poller ziehen. Helfende Hände griffen vom Steg aus zu und vertäuten den Conger an Vor- und Heckleinen.
Erschöpft und durchnässt lehnte sich John an den Mast seiner Jolle. Ein Gefühl der Niederlage machte sich in ihm breit. Nicht nur, dass er sich den Strapazen der Überfahrt gestellt hatte, jetzt war auch noch sein Außenborder beschädigt. Er blickte auf das gebrochene Metall und einen Moment lang übermannte ihn Verzweiflung. Wie sollte er das jemals reparieren? So weit weg von zu Hause, ohne Werkstatt, ohne Ersatzteile.
»Gorch Grog« lag mit defekter Halterung, aber ansonsten unbeschadet am Steg. Alles war nass, auch die Bekleidung in der Schlupfkajüte. Doch im Klubhaus in Sonderburg wartete nicht nur eine heiße Dusche auf den Skipper, sondern auch der Wäschetrockner, um die völlig durchnässte Kleidung wieder zu trocknen.
»Was ist Ihnen nur passiert, sind Sie ins Hafenbecken gefallen?« Eine Frau schaute ihn ziemlich verdutzt an, wie er triefend nass vor dem Wäschetrockner stand.
»Nein, nein, ich war da draußen«, antwortete John ihr und deutete in Richtung Meer.
»Bei dieser Wettervorhersage sind Sie rausgegangen? Und haben eine Yacht, die so nass segelt?« Nass segeln war schon Fachsprache, das hieß, dass man in seinem Boot beim Segeln nass wurde.
»Na ja, es ist eben eine Jolle, und da segelt man nass«, entgegnet er ihr. Sie war entgeistert.
»Sie segeln bei diesem Wetter in einer Jolle. Also niemals würde ich so etwas machen. Da sitzen wir lieber in unserer warmen Kajüte.« Kopfschüttelnd verließ sie die Waschküche.
Johns Wangen glühten. So eine Person, dachte er. Wie konnte sie es wagen, sein Abenteuer, seinen Wagemut, seine Leidenschaft so herablassend abzutun? Er spürte, wie sich Ärger in ihm breitmachte, doch dann wich er einem Gefühl von Stolz. Ja, er segelte bei diesem Wetter in einer Jolle! Er trotzte den Elementen, erlebte die raue Schönheit der See hautnah. Er war ein echter Seemann, kein Warmduscher, der sich in einer komfortablen Kajüte versteckte. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Lass sie doch reden, dachte er. Er würde sich von ihrem Spott nicht die Freude an seinem Abenteuer nehmen lassen. Im Gegenteil, ihre Worte bestärkten ihn nur in seiner Liebe zum Jollensegeln, zur Freiheit und zum direkten Kontakt mit der Natur.
In einer warmen Kajüte würde John jetzt auch gern sitzen – nur dass »Gorch Grog« eben keine richtige Kajüte hatte, und warm war die sowieso nicht. Eher etwas nass, so wie die ganze Jolle ja nass segelte.
Wenig später kam der Eigner einer großen Yacht bei »Gorch Grog« vorbei. »Ich kann das nicht mit ansehen, wie Sie hier vor Ihrer Jolle stehen. Ich habe Ihnen eine Kanne mit Heißwasser gemacht«, sagte er. Dann bot er an, die Außenbordhalterung zu reparieren.
»Ja, aber wie nur?«, sagte John.
»Das bekomme ich in meiner Bordwerkstatt hin«, antwortete der Eigner.
John folgte ihm in das Cockpit seiner Yacht. »Das schlechte Wetter hält an«, sagte der Eigner, »das Barometer sinkt ja immer noch.« John war überwältigt, nicht nur von seinem Barometer und dem großen Schiff. Er hatte tatsächlich so etwas wie eine Werkstatt unter Deck. Eine Metallstrebe konnte er kürzen und mit Bohrlöchern versehen, sodass John sie an die gebrochene Halterung schrauben konnte.
»Das ist ein Provisorium«, sagte der Eigner, »aber eines, was wahrscheinlich lange halten wird.«
»Stimmt«, dachte John, »auch heute noch, der Conger liegt längst wieder an einem Binnensee, hält die Verstrebung am Heck.« John war beeindruckt und nahm sich vor, genauso hilfsbereit gegenüber anderen Seglern zu sein, wenn sie ihm mit Problemen begegneten. Seine Worte, sein Angebot zur Hilfe, waren wie ein Rettungsanker in der stürmischen See. Die Wärme des angebotenen Heißwassers, die ruhige Kompetenz, mit der der Fremde an die Reparatur ging, all das erfüllte ihn mit Demut. In diesem Moment wurde ihm die wahre Bedeutung der Seemannschaft bewusst: nicht nur das Beherrschen von Wind und Wellen, sondern auch die Solidarität und Hilfsbereitschaft unter Menschen, die das Meer lieben. Er schwor sich, diese Lektion nie zu vergessen und jedem Segler in Not genauso selbstlos zur Seite zu stehen, wie es dieser freundliche Fremde getan hatte.
Segeln begann für John mit Jollen auf Binnengewässern. Das erste Boot war eine alte dänische Herzjolle. Diese Konstruktion aus den Sechzigerjahren war eines der ersten Segelboote aus GFK. John machte mit Freunden Selbstversuche, denn am Anfang konnte keiner von ihnen richtig segeln. Nach etlichen Unternehmungen, die oft genug im Schilf auf der gegenüberliegenden Seeseite endeten, hatten sie das Boot einigermaßen im Griff. »Schwer zu segeln, aber ziemlich schnell«, urteilte Johns Segellehrer später über die Herzjolle. Doch weil die Wanten nicht mehr in Ordnung waren und der Mast beschädigt war, musste Ersatz her.
Der Conger erschien die beste Wahl: Von Anfang an reizte John die kleine »Schlupfkajüte«, um später einmal auf Tour zu gehen. Er träumte davon, ihn an den See oder auch an die Alster zu legen. Der Vorbesitzer hatte »Gorch Grog«, der Name blieb unverändert, angeschafft, um damit auf dem Saaler Bodden zu segeln. Aus diesem Grund hatte er ihn auch mit dem schwereren Schwert ausgerüstet.
Als es John aufs Meer zog, hatte er schon entdeckt, dass man mit Booten nicht nur im Kreis segeln oder sich Regatten liefern, sondern auch entfernte Ziele ansteuern kann. Die Erkenntnis reifte bei einem Aufenthalt in den USA heran. Kein Wunder, sie waren in Newport, einem Seglermekka an der Ostküste. Johns Frau und er segelten mit einer »Rhodes 19«, einer 5,80 Meter langen, kleinen Kielyacht, einige Tage vor Newport. Natürlich trug dieses wunderschöne Revier dazu bei, John für das Fahrtensegeln zu begeistern. Vor Rhode Island steuerten sie Buchten an, querten Gewässer und machten in anderen Häfen fest. Ein wenig erinnerte die nördliche Ostküste an unsere skandinavischen Segelreviere.
Beim ersten Mal wehte ordentlich Wind, es müssen um die fünf bis sechs Beaufort gewesen sein. Das Großsegel hatten sie recht rustikal gerefft und um den Baum gebunden. Der Besitzer des Segelbootes fuhr mit seinem Motorboot kreuz und quer durch die Bucht und kam auch zweimal längsseits. »Alles in Ordnung bei Euch?«, fragte er besorgt. Ja, Probleme hatten sie in diesem Boot keine. Auf der anderen Seite der Bucht machten sie vor einem Café fest, um eine Pause einzulegen. Das funktionierte gut.
Beim zweiten Mal lief es nach dem Ablegen weniger glatt, weil sie zu dicht an die Küste gerieten und ihr kleines Kielboot prompt auf Grund setzten. Der Hafenmeister musste sie mit seinem Motorboot freischleppen, was er aber grinsend gut hinbekam. Da war sie, die Hilfsbereitschaft unter den Seglern, die ihnen einiges über die »Rhodes« beibrachten. Dabei schienen John die US-Segler etwas unkomplizierter zu sein. Sie hatten eine weniger förmliche, hemdsärmelige Art, die ihm gut gefiel. Es gab kein elitäres Gehabe nach dem Motto »Ich weiß etwas, was Du nicht weißt«, weniger Besserwisserei, die hierzulande manchmal verbreitet ist. Die US-Amerikaner legten ein freundlich-zupackendes »Let me show you how it’s done« auf.
Zurück in Deutschland gab es trotzdem kein Halten mehr. Waren sie doch schon auf der Ostsee gesegelt, als John den Sportbootführerschein Binnen abgelegt hatte. Er plante folglich einen Törn von Schilksee nach Flensburg, was ihm gar nicht mehr so unrealistisch erschien. Der Conger ist eine eher schwere Jolle. Vor seinem Cockpit hat er eine sehr kleine Kajüte, die die Werft »Schlupfkajüte« genannt hat, wohl, weil man darin hineinschlüpfen soll. Die ist noch etwas größer als bei der »Rhodes 19«. Sie würde theoretisch zwei Erwachsenen eine Liegefläche bieten, wenn man zusammenrückt, gar kein Gepäck dabeihätte oder die Kajüte komplett ausräumt. Und wenn sie trocken wäre - was sie durch den Schwertkasten, den nach oben nur zwei Gummistreifen abdichten, selten ist.
Die Jolle ließ sich problemlos von einer flachen Stelle des Sees auf einen kleinen Trailer laden und an die Ostsee bringen. Da lag sie nun im Hafen von Schilksee, und wurde ausgerüstet: Allerlei Proviant kam in die kleine Kajüte, Schwimmwesten, wasserdichte Umhängetaschen und ein Außenbordmotor, der auf die Halterung am Heck passte. Besonders stolz war John auf die wasserdichte Tasche für das Handy, in der es mit seinen Tasten sogar noch bedient werden konnte, was er ausprobiert hatte. Bei den heutigen Smartphones mit ihrem »Touch-Display« ist das im Wasser nicht mehr möglich. Wäre er über Bord gegangen, hätte er zumindest immer noch das Handy um den Hals gehabt.
Gemeinsam mit einem Freund segelte John Anfang Juni los. Erst ging es nach Damp, in den Ferienort, der früher einmal »Damp 2000« hieß, bis der Name unmodern wurde, als das Jahr 2000 vorbei war. Was für ein Gefühl! Der Hafen war nicht voll, die Jolle konnten sie an die dicken Pfosten am Gästesteg binden. Von Damp segelten sie weiter nach Kappeln. Zwischen großen Yachten schob sich »Gorch Grog« die Schlei hinauf, sie fühlten sich wie Weltumsegler. In Kappeln nahmen sie sich viel Zeit für das Anlegemanöver, um ja alle Leinen richtig im Stadthafen zu vertäuen.
»Womit seid Ihr denn da unterwegs?«, fragte sie der Hafenmeister.
»Das ist ein Conger, mit dem wir die Küste entlangsegeln«, entgegnete John.
»Die Schlei entlang?«, fragte der Hafenmeister. Nun, das wäre auch schön gewesen. Aber John erklärte ihm, dass sie auf dem Weg nach Flensburg waren.
»In dem kleinen Boot? Das hat schon lange keiner mehr gemacht. Vor einigen Jahren war auch einer so unterwegs, der ist sogar angekommen«, antwortet er. »Wenn Ihr das durchzieht – da kann ich Euch einfach keine Hafengebühr berechnen.«
Weil das Wetter stabil war, leichte Winde wehten und reichlich Sonne schien, bot sich aber noch mehr an, ein Sprung nach Dänemark. Von Kappeln über Schleimünde sollte es nach Ærøskøbing auf der Ostseite der dänischen Insel Ærø gehen. Das lief gut, auch wenn es ein etwas mulmiges Gefühl war, als auf der kleinen Jolle das Land außer Sicht geriet und nur noch ein Taschenkompass die Richtung wies. Die zittrige Nadel zeigte nach Norden, der Kurs lag an. Doch die See war friedlich und nach wenigen Stunden konnte »Gorch Grog« auf dem Strand der Insel unter drei Windrädern eine Pause machen.
Die ersten Navigationserfahrungen folgten auch gleich: Hinter Marstal wird das Wasser ziemlich flach. Kielboote müssen auf ihrem Kurs nach Ærøskøbing einen deutlichen Bogen nach Nordosten fahren. Doch selbst ein flacher Conger mit etwas eingezogenem Schwert bekommt auf dem direkten Weg zwischen Marstal und Ærøskøbing Probleme mit dem Tiefgang. John musste das Boot einmal um die Insel Halmø herumsteuern. Dahinter konnte man den sandigen Grund klar erkennen und sehen, dass genügend Tiefgang blieb. Geschafft: »Gorch Grog« kam nach Ærøskøbing. Das war an einem Tag die Strecke von rund 33 Seemeilen in einer kleinen Jolle, wohlgemerkt.
Erschöpft, aber glücklich ließ John seinen Blick über den Hafen von Ærøskøbing schweifen. Die bunten Häuser, die sich eng aneinander schmiegten, die schmalen Gassen, die zum Hafen hinunterführten, die gemütlichen Cafés und Restaurants – all das strahlte eine Wärme und Geborgenheit aus, die John nach dem langen Tag auf See tief berührte. Ein Gefühl der Zufriedenheit breitete sich in ihm aus. Er hatte es geschafft, er war angekommen in diesem idyllischen Hafen, der wie ein kleines Paradies am Ende der Welt wirkte.
Während er die Jolle an einem der freien Plätze vertäute, wanderten seine Gedanken zurück zu den Abenteuern der letzten Tage: das Segeln über die offene See, die Übernachtungen am Strand, die Begegnungen mit anderen Seglern. All das war Teil eines großen Abenteuers, das ihn immer mehr in seinen Bann zog. Doch jetzt, in diesem Moment, überwog die Freude über das Erreichte, die Sehnsucht nach Ruhe und Erholung.
Ærøskøbing war mehr als nur ein Hafen, es war ein Zufluchtsort, ein Ort zum Träumen. John spürte, wie sich in ihm eine tiefe Sehnsucht regte, hier nicht nur anzulegen, sondern zu bleiben, das Leben an Land hinter sich zu lassen und ganz in die Welt des Segelns einzutauchen. Er wusste, dass dies nur ein flüchtiger Traum war, aber er genoss ihn dennoch in vollen Zügen, während er den Sonnenuntergang über dem Hafen beobachtete.
Zünftig war das Erlebnis auch: Die Mahlzeiten gab es am Strand. Dazu wurde der Conger hinaufgezogen, aus der Kajüte der »Campinggas«-Kocher ausgepackt und Dosen im Topf erwärmt. Für die Nächte behalfen sie sich gelegentlich mit einem kleinen Trick: Durch einige Hotelübernachtungen verliefen die Nächte keineswegs so spartanisch, wie es die Erfinder der »Schlupfkajüte« offenbar im Sinn gehabt hatten. Ein richtiges Bett war dann doch besser als die feucht-kalte Mini-Kajüte. Es fühlte sich wie eine perfekte Kombination an: Reisen mit der Jolle, dicht am Wasser. Die Nächte waren etwas rustikal am Strand, aber auch gemütlich in Gasthöfen und Hotels. Doch Komfort hin- oder her: Ærøskøbing, dieser wunderschöne dänische Segelhafen, in dem die Jolle einen feinen Platz hatte, war so beeindruckend, dass John kaum noch Lust verspürte, den Hafen auf der Suche nach einem Gasthof zu verlassen. Wie schön müsste es erst sein, hier nicht nur die Jolle festzumachen, sondern die ganze Zeit an Bord bleiben zu können?