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Seelisch gesund durch die Schulzeit Immer weniger Kinder passen in die Schablone des Schulsystems. Vergleich und Leistungsdruck gefährden den Familienfrieden und nehmen den Kindern ihre natürliche Lernfreude. Sollen wir dabei zusehen, wie Begabungen durch ein System verschüttet werden, das aus Potentialbomben Zwerge macht? Wie Motivation und Konzentration auch ohne Belohnung oder Strafe gelingen, warum Legastheniker Genies sind und wie Eltern den Spagat zwischen Notendruck und Lernfreude mithilfe der richtigen Kommunikation schaffen, darüber berichtet dieses hochaktuelle Buch. Wenn du gleichzeitig mehr Freude und Gelassenheit in dein eigenes Leben integrieren möchtest, findest du auch das in den 40 wertvollen Impulsen, erprobt an 500 Kindern, die ihre Lernlust wiederentdeckt haben.
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Seitenzahl: 300
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Vorwort
Teil 1: Der größte Hebel: Unsere innere Haltung
1 Hilfe!
2 In welche Zeit sind unsere Kinder geboren?
3 Beziehung auf Augenhöhe
4 Gewaltfreie Kommunikation
5 Kontrollwunsch und was wir damit anrichten
6 Erwartungen loslassen und Growth Mindset
Teil 2: Dein Weg zu dir: Wie geht Gelassenheit?
7 Dankbarkeit als Glücksmagnet
8 Authentizität
9 Vom Sein zum Tun zum Haben
10 Meditation, Yoga und Achtsamkeit
11 Guter Schlaf und die Macht des Unterbewusstseins
12 Stressmanagement
13 Die Kraft der Gedanken
14 Negative Glaubenssätze auflösen
15 EFT – Dein Date mit der Amygdala
16 Selbstliebe und Selbstfürsorge
17 Deine Werte leben
18 Gute Gewohnheiten etablieren
19 „Mutter“ beginnt mit „Mut“
Teil 3: Schule und Lernen: Das erlebt dein Kind
20 Das System Schule heute
21 Das Kind als funktionierendes Objekt
22 Konzentration und Motivation
23 Belohnung und Strafe
24 „Lernstörungs schubladen“
24a Lernverzögerung
24b Rechenschwäche (Dyskalkulie)
24c Lese-Rechtschreib-Schwäche
24d Auditive Wahrnehmungsstörung (AVWS)
24e Konzentrationsschwäche (ADS/ADHS)
24f Gefühlsstarke Kinder/Hochsensibilität
24g Hochbegabung – Fluch oder Segen?
24h Dyspraxie oder „Das ungeschickte Kind“
24i Autismus
24j Down-Syndrom
25 Welcher Lerntyp ist dein Kind?
26 Jungs lernen anders, Mädchen auch
27 Das Schulfach Glück
28 Gesundes Selbstwertgefühl – Kann Lob schaden?
29 Lob als direktes Feedback beim Lernen
30 Das Lernen lernen
31 Sinnvolle Lerntechniken für Kinder
32 Gehirngymnastik und Jonglieren
33 Gesunder Wettbewerb
34 „Resilienz“, das Zauberwort
Teil 4: Hausaufgaben: Wie Lernzeit zu Spielminuten wird
35 Mein Geheimrezept
36 „Ich will aber nicht!“ – Wie startet man die Hausaufgabenzeit friedlich?
37 „Ich kann aber nicht mehr!“ – Bewegung und Pausen ins Spiel bringen
38 „Ich bin fertig!“ – Superhelden und Wortgeschenke
39 Medienkompetenz und die Zukunft unserer Kinder
40 Gute Literatur zu den Themen
Für Kinder:
Viele Eltern erleben die Lernzeit am Nachmittag als „Hausfriedensbruch“. Begrenzende Lehrpläne, frustrierender Notenvergleich und vermeintliche Lernstörungen sind oft die Ursache für Lernblockaden. Als Folge entstehen Streit und Widerstand beim Lernen des Schulstoffs mit Mama und Papa. Eine spielerische, friedliche Lernatmosphäre zu Hause zu schaffen und damit den Kindern ihre gesunde Spielfreude und Problemlösungskompetenz zurückzugeben, ist das Anliegen dieses hochaktuellen Buches.
Unsere Kinder haben heute feine Antennen und brauchen uns nicht mehr als Antreiber einer veralteten Leistungsgesellschaft. Vielmehr dürfen wir die Herausforderungen dieser krass komplexen Zeit annehmen, indem wir uns auf unser authentisches, individuelles WOFÜR besinnen. Wir können uns erinnern, welch ungeheures Geschenk es ist, wirklich lebendig zu sein, statt nur zu funktionieren. Damit werden wir unseren Kindern das beste Vorbild für Freude, Freiheit und Potenzial entfaltung.
Die konkreten Impulse in diesem Buch helfen dir, intuitives Herzdenken mit dem analytischen Verstand zu verknüpfen. Kopf, Herz und Hand arbeiten wieder zusammen. Damit endet der Dauerlauf durch den stressigen Alltag, führt dich zu innerer Gelassenheit und macht dich letztlich auch zu einem kompetenten Lernbegleiter. So wird das „Problem“ durch dein neues Verständnis auf ganzheitlicher Ebene schließlich zum Segen für deine komplette Familie.
„Es ist das Ende der Welt!“, jammerte die Raupe. „Es ist erst der Anfang“, lächelte der Schmetterling.
Willst du Teil des Problems oder Teil der Lösung sein?
Du hast die Wahl.
Wenn du als Mama oder Papa diese Zeilen liest, investierst du gerade deine beiden wichtigsten Ressourcen, die du hast: Zeit und Aufmerksamkeit. Von ganzem Herzen brenne ich dafür, dir mit diesem Buch eine Schatzkiste an die Hand zu geben, damit du deinen vollen Alltag verwandeln kannst. Kinder, Partner, Job, Kollegen, Freunde, Haustier, Wäscheberge, E-Mails, Social Media, Nachrichten, Werbeangebote und vieles andere, ringen ständig um deine kostbare Zeit und um deine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Wenn dich dieses Buch gefunden hat, bist du wahrscheinlich nicht mehr bereit, dabei zuzuschauen, wie sich die Talente und die natürliche Lernfreude deines Kindes durch Druck, Noten und Vergleich vor deinen Augen in Luft auflösen. Schulbauchschmerzen, Tränen und Widerstand beim Anfertigen der Hausaufgaben sind deutliche Zeichen, dass etwas verändert werden möchte.
Wir als Eltern und Gesellschaft können es uns nicht leisten, unsere Kinder mit gebrochenem Selbstwert durch die Schulzeit zu schubsen. Für die aktuellen Probleme brauchen wir starke, authentische, seelisch gesunde Kinder, die selbständig denken können und ihre innovativen Ideen einbringen. Und das nicht nur, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern um einen gewaltigen Bewusstseinssprung der Menschheit zu begleiten: von der Konkurrenz in die Kooperation und weiter in die Ko-Kreation. Vom ICH zum WIR. Von einer Gesellschaft zu einer echten Gemeinschaft. Wird dieser Bewusstseinswandel nicht mehrheitlich vollzogen, wird unser Planet nicht mehr lange Menschen beherbergen können.
Auch werden in den nächsten Jahren etliche Berufe von der Bildfläche verschwinden, da künstliche Intelligenz und Maschinen sie weit effektiver ersetzt haben werden. Aktuelle Studien schätzen, dass mehr als 50 % der heutigen Grundschüler in Berufen arbeiten werden, die heute noch gar nicht existieren. Die Grundvoraussetzungen für die neuen Berufe und den zukünftigen Arbeitsmarkt werden demnach Eigenschaften sein, die Maschinen nicht leisten können: selbständiges Denken, Bewusstheit, Kreativität, Teamfähigkeit und Begeisterung. Aber genau das Gegenteil erzeugt das Schulsystem zurzeit: Dort scheitern gerade die kreativen, selbständig denkenden Schülerinnen und Schüler. Wer nicht genau das wiederkäut, was der Lehrplan vorschreibt, versagt. Dieses System produziert unmündige Erwachsene, die ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl mit Netflix-Serien und Konsumgütern zu betäuben versuchen.
Innerhalb der letzten zwanzig Jahre haben sich unser Leben und unsere Art zu kommunizieren durch die Digitalisierung mehr verändert als in den vergangenen tausend Jahren der Menschheitsgeschichte insgesamt. Unsere Kinder sind der Anfang einer neuen Zeit. Da Schule es aktuell nicht tut, werden wir sie für ihre zukünftigen Aufgaben innerlich stark machen dürfen, indem wir im stressigen Alltag innehalten und Bewusstheit üben. Aus Erziehung wird Beziehung.
Zwar werden wir nicht von heute auf morgen das Schulsystem verändern, doch wir können die Generation Eltern sein, bei der das Weitergeben von unreflektierten Mustern der Vergangenheit aufhört. Weil wir durch unsere Haltung und unsere Art zu sein eine Alternative und einen Ausgleich zu Noten und Lernfrust schaffen. Das kann jeder Erwachsene tun. Bewusste Eltern haben starke Kinder.
Wir leben im Bewusstseinszeitalter. Die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaften wie Epigenetik, Quantenphysik und Neurowissenschaft haben die Lücke zu den alten Weisheitslehren der Mystiker und indigenen Hochkulturen geschlossen. Wie Joe Dispenza gerne sagt: „In the age of information, ignorance is a choice.“ Im Informationszeitalter haben wir die Wahl. Alle Fakten sind da. Wir müssen nichts mehr glauben. Auch ist die Verbundenheit mit sich selbst und allen anderen Lebewesen erlebbar und erfahrbar. Es ist deshalb nicht mehr nur exotischen Weisheitslehrern vorbehalten, tiefere Einsichten in die großen Fragen des Lebens zu bekommen und damit ein erfüllendes, glückliches Leben zu führen. Jeder kann es heute tun, der bereit ist, über den Tellerrand der Identifikation mit seinem analytischen Verstand hinauszuschauen. Also verschieben wir es nicht auf spätere Zeiten, in denen unsere Kinder das Haus bereits verlassen haben oder wir in Rente gehen. Entscheiden wir uns bewusst, während sie noch bei uns leben und uns als unmittelbare Vorbilder wahrnehmen, zu einem gesunden und fruchtbaren Umgang mit Stress und den tieferen Sinnfragen des Lebens, um ihnen mitzugeben, was ihr Leben grundsätzlich prägen wird: lösungsorientierte Eltern, die die Quelle der Freude in sich selbst wiederentdeckt haben und damit den Werkzeugkasten für jede Herausforderung besitzen.
Die Zeit ist reif für Veränderung. Du bist Teil der Lösung, wenn du realisierst, dass deine Art zu SEIN, deine innere Haltung, die allergrößte Wirkung auf deine Kinder hat. Sie nehmen die Welt ja zuerst durch die Ansichten und Urteile ihrer Eltern und engsten Lebensbegleiter wahr. Wenn du ein hochsensibles, feinfühliges Kind hast, gilt dies umso mehr. Wir können uns noch so sehr um gute Erziehung bemühen; am Ende machen sie uns dann doch alles nach. Erziehen wir also zuerst einmal uns selbst. Danach haben wir nicht mehr viel zu tun. Denn unsere Kinder orientieren sich nicht an dem, was wir sagen, sondern machen nach, was wir tun. Sie werden also erstmal, wie wir sind.
Wenn du die Herausforderungen, vor die dich deine Kinder täglich stellen, als Spiegel für dein inneres Wachstum annimmst, wirst du Schritt für Schritt zum Segen für deine Familie und auch für alle anderen werden, die dir begegnen. So erschaffst du um dich herum Heilungs biotope.
Als selbständige Lerntherapeutin habe ich bisher in 15 Jahren etwa 500 Kinder zwischen acht und elf Jahren zum fröhlichen Lernen verführt. In diese Schrift fließen auch meine Erfahrungen mit ein, die ich zuvor sechs Jahre lang als Waldorf-Klassenlehrerin sammeln durfte. Außerdem teile ich meine Gedanken als begeisterte Bewusstseinsforscherin, Fortbildungsjunkie und Mutter mit dir.
Als Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohnes, der die Trennung seiner Eltern verkraften musste, seine Pubertät und sämtliche Grenzüberschreitungen vor der üblichen Zeit durchgemacht hat, den Schulbesuch mit zwölf Jahren monatelang komplett verweigerte („Mama, das Konzept Schule ist nix für mich“) und dessen Verhalten mich damals in Schuldgefühle, Scham und Verzweiflung geführt hat. Erst nachdem ich wirklich bereit war ihn loszulassen und seine selbst gewählten Erfahrungen machen zu lassen, konnte ich innerlich Frieden mit der Situation schließen. Es war nicht leicht, meine Finger komplett aus seinem Getriebe zu nehmen und dabei gleichzeitig meine eigenen konditionierten Programme aus der Kindheit aufzulösen. Aber es war wichtig und richtig. Für uns beide. Impulsgeber dürfen und sollten wir Eltern immer sein; die Motivation für den authentischen Lebensweg können wir unseren Kindern jedoch nicht abnehmen. Auch wenn sie eine Zeit lang offensichtlich in eine ungesunde Entwicklung geraten. Mein Sohn war mein bester Lehrer, der alle meine Knöpfe gedrückt hat. Mich dem zu stellen und an den Herausforderungen zu wachsen, statt zu zerbrechen, war eine bewusste Entscheidung. Sie hat mein Leben krass zum Besseren gewendet. Dafür werde ich immer dankbar sein.
„Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.“ (Kierkegaard)
Was täglich durch die Nachrichten an uns herangetragen wird, könnte den Eindruck vermitteln, dass alles immer schlimmer wird und die Welt bald im Chaos versinkt: Kriege, Pandemien, Klimakatastrophe, Rassismus, das Aussterben von Tierarten, Bevölkerungsexplosion, Nahrungsmittelknappheit, fehlende Energiereserven, immer schnellere Digitalisierung, die starke Zunahme von Süchten, Depressionen, psychischen Erkrankungen und vieles mehr.
Immer werden die Probleme im Außen definiert und die Lösungen ebenfalls. Doch sind sie bei intensiverer Betrachtung nur Symptome eines einzigen, übergeordneten Problems: dem menschlichen Bewusstsein. Die Ursache liegt also in uns und kann nur dort verwandelt werden. Dazu dürfen wir uns individuell auf unseren eigenen, authentischen Weg begeben. Die Zeit der Gurus und Konzepte ist vorbei. Die Zeit der Hierarchien ebenfalls. Wenn wir als Einzelne unser ureigenes Potenzial entdecken und unserer inneren Führung wieder vertrauen, erwacht in Folge auch das kollektive Bewusstsein aus seiner Trance. Statt Schuldige zu suchen, darf sich jeder für das große Ganze verantwortlich fühlen und seinen positiven Beitrag leisten. Frieden beginnt in jedem Einzelnen. Bewusstheit ebenso. Unsere Einstellung gegenüber den Umständen können wir aktiv „einstellen“, da sind wir frei, deshalb heißt es ja auch Einstellung. Öffnen wir uns mehrheitlich für eine andere Haltung, dann erleben wir die reiche Ernte des Bewusstseinszeitalters, das mitten in seinen Geburtswehen steckt.
Wer könnte Geburtswehen besser verstehen als Eltern? Schwangerschaft und Geburt bedeuten Schmerzen, Blut, Geschrei und Chaos, bevor das lebendige kleine Wunder in den Armen der Eltern liegt. Die Medien möchten, dass wir uns auf das Geschrei konzentrieren. Wir sind jedoch kurz davor, ein Baby auf die Welt zu bringen. Sobald wir begreifen, dass ein weitaus umfassenderes, kollektives Bewusstsein im Geburtsprozess ist, können wir anfangen, mit diesem globalen Prozess zusammenzuarbeiten, und uns miteinander auf eine höhere Ebene der Menschlichkeit erheben. Dann werden wir eine Gesellschaft kreieren, die für alle Lebewesen funktioniert. Nicht der Einzelne, der noch mehr Geld, Macht und Komfort anstrebt, sondern das Wohl aller in der Gemeinschaft wird Ziel dieser neuen Gesellschaft sein. Wir sind in der Mitte zum Aufbruch einer neuen Denkweise, die schon vor Jahrhunderten vorhergesagt wurde, von den Mayas, Inkas, den Hopi-Indianern und anderen Hochkulturen und indigenen Völkern.
Diese krass komplexe Zeit mit allen ihren Herausforderungen ist der perfekte Moment für uns als Individuen, aus der Illusion aufzuwachen, dass wir voneinander getrennt existieren würden oder könnten. Und diese veränderte Denkweise wird es überhaupt erst ermöglichen, unseren Planeten für nachfolgende Generationen zu bewahren. Der Dalai Lama hat vor kurzem geäußert, was seiner Ansicht nach das Grundproblem der heutigen Menschheit ist: unser Gefühl, wir seien voneinander und von der Quelle getrennt. Das sind wir nicht. Alles ist mit allem verbunden. Das hatten wir nur vergessen.
Ich bin sicher, dass unsere Enkelkinder kollektiv bewusster denken werden. Dieses neue Denken wird jetzt angestoßen durch all die aktuellen Katastrophenmeldungen und die Chance der globalen Vernetzung durchs Internet.
Schon Albert Einstein wusste: „Du kannst Probleme nicht auf derselben Ebene lösen, auf der sie entstanden sind.“ Überall sind neue, gute Lösungen zu sehen, die mit diesem ganzheitlichen Bewusstsein getroffen wurden und allen dienen. Ich bin gespannt, was für gute Ideen die Generation unserer Kinder in die Welt bringen wird, um der Erde Erholung von menschlicher Gier und Ausbeutung zu schenken. Wir sind Zeitzeugen eines lange erwarteten Wendepunktes in der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit.
In diese spannende Zeit sind unsere mutigen Kinder hineingeboren!
Jedes Kind ist ein Wunder! Ein Riese! Eine Potenzialbombe mit grenzenlosen Möglichkeiten! Bis es in die Mühle von Erziehung, Vergleich und Erwartungshaltung gerät.
Ehrfurchtsvoll und besoffen vor Glück, haben wir unsere Babys beim Heranwachsen bestaunt. Als du seinen Schlaf liebevoll bewacht hast, es die ersten Worte gesprochen hat, laufen lernte, hingefallen ist und immer wieder aufs Neue aufstand, da hast du dieses Wunder deutlich wahrgenommen. Wir haben unsere Babys nachts mit Schreiattacken im Arm gehalten, obwohl wir selbst völlig übermüdet waren. Später haben wir blutige Knie mit Pflastern beklebt, bunte Geschichten zum Einschlafen vorgelesen, für gesundes Essen gesorgt, Erlebnisse wie Schwimmbad, Geburtstagsfeiern und Urlaub möglich gemacht, immer wieder unsere eigenen Bedürfnisse zurückgestellt und dann, ja dann kam die Schulzeit.
Erst noch begeistert, hat dein Kind vielleicht als Rückmeldung aus der Schule erfahren, dass es nicht schnell genug rechnet, nicht sauber genug schreibt oder nicht lange genug konzentriert wirkt. Aus der ersten Freude, nun endlich ein Schulkind zu sein, ist möglicherweise ein dauerhafter Stress für dein Kind, die Geschwister, die ganze Familie entstanden. Vielleicht kennst du Tränen und Schulbauchschmerzen, Verweigerung und stundenlange Lernnachmittage, weil dein Kind „dichtmacht“. Und plötzlich sitzt dein kleines Wunder zu Hause bei dir in der Küche und drückt all deine emotionalen Knöpfe: Mitleid, Ärger, Wut, Ungeduld, Schuldgefühle, Scham, Ratlosigkeit.
Das ist der Moment, in dem es komplett um deine Haltung geht. Nicht was du sagst, sondern mit welcher Grundüberzeugung du jetzt rüberkommst, wer du also bis dato BIST, wird den Ausgang dieses Nachmittags entscheidend verändern.
Versuche an dieser Stelle erst einmal, gedanklich zu fassen, in welcher Art von Beziehung du dich mit deinem Kind meistens befindest. Tipp: Wenn du diese vier Möglichkeiten auf die Bezugsperson überträgst, die dich in den ersten sieben Lebensjahren hauptsächlich begleitet hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass du mit deinem Kind ähnlich umgehst.
Passiv: Wenn Mama oder Papa so tun, als sei alles in Ordnung, sich vor dem Wutausbruch des Sprösslings insgeheim fürchten und schnell wieder eine harmonische Stimmung herstellen möchten, weil sie um keinen Preis die Liebe des Kindes verlieren wollen.
Aggressiv: Wenn die Eltern mit Drohungen und Einschüchterungen reagieren, damit das Kind die Hausaufgaben jetzt endlich beginnt, und damit Macht ausüben. Im Alter eines Grundschulkindes mag dies noch funktionieren. Der Preis für aggressive Beziehungskultur ist jedoch der Verlust von Nähe. Das Kind fühlt sich emotional nicht mehr in Sicherheit und wird in irgendeiner Form rebellieren.
Passiv-aggressiv: Wenn Papa oder Mama das Kind durch Schuldoder Schamgefühle versuchen zu kontrollieren. Die Aggression ist nur unterschwellig, aber manipulativ, indem der Erwachsene dem Kind die Verantwortung für sein Wohlgefühl überträgt. „Weil du immer so lange brauchst mit den Hausaufgaben, habe ich jetzt Kopfschmerzen!“ Oder genauso fatal: „Weil du diese gute Note geschrieben hast, bin ich sehr glücklich!“ Also lernt das Kind, dass die Wertschätzung von Mama oder Papa bei einer schlechten Note entzogen wird, denn dann reagieren die Eltern traurig oder ärgerlich.
Auf Augenhöhe: Wenn du auf Augenhöhe mit deinem Kind kommunizierst, kannst du dich liebevoll und klar durchsetzen, weil du ihm seine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche zugestehst und deutlich vermittelst, dass du nicht von seiner Liebe abhängig bist. Du nimmst einen Wutausbruch oder eine Beschimpfung nicht persönlich, sondern erahnst darin die innere Not deines Kindes, ohne nachtragend oder verletzt zu sein. Du bietest Raum, um das Kind seine eigenen Problem-Lösungs-Strategien entwickeln zu lassen, stellst Fragen und lässt dich nicht in sein emotionales Drama verwickeln. Du fürchtest dich nicht davor, klare Grenzen zu setzen. Du übernimmst die Führung, ohne Macht auszuüben. Dein Kind fühlt sich geborgen und sicher. Gesundes Urvertrauen entsteht.
Deine Haltung ist entscheidend! Wie du dir vorstellen kannst, ist die vierte Beschreibung die beste für alle Beteiligten. Möglicherweise findest du dich oder das andere Elternteil aber manchmal (noch) in den ersten drei genannten wieder. Erlaube dir an dieser Stelle, den Idealfall bildhaft vor Augen zu haben und dort Schritt für Schritt hineinzuwachsen. Wir haben der künstlichen Intelligenz des digitalen Zeitalters zwei Dinge voraus: unser Bewusstsein und unser Einfühlungsvermögen. Wir können diese Tatsache anerkennen und für unsere Kinder eine neue, nie zuvor dagewesene Kultur des Vertrauens und des Miteinanders kreieren. Das fängt bei dir und mir ganz konkret an. Und es ist deshalb so schwierig, weil die wenigsten von uns eine Augenhöhe-Beziehung mit ihren Eltern gelebt haben, die es von ihren eigenen Eltern ja auch nicht besser wussten. Die Zeit der Hierarchien ist vorbei. Das fühlen wir deutlich und machen vieles schon intuitiv richtig. Wie aber geht Beziehung auf Augenhöhe konkret?
Vier Schritte als Geheimwaffe für gute Beziehungen auf Augenhöhe
Der Amerikaner und Psychologe Marshall Rosenberg, Jahrgang 1934, entwickelte das Handlungskonzept der „Gewaltfreien Kommunikation“ (kurz GfK). Zuerst denkt man an körperliche Gewalt und ist irritiert. Wann aber ist Kommunikation gewalttätig? Zum Beispiel können fünf Worte, ausgesprochen von einer engen Bezugsperson, ein Kind zutiefst und nachhaltig verletzen: „Aus dir wird nie was!“ Eine vernichtende Aussage, die sehr wahrscheinlich eine lange Kette von Minderwertigkeitsgefühlen, Fehlentscheidungen und Therapiestunden zur Folge haben wird.
Gerade in Beziehungen, Teams und Familien ist ein gutes Konfliktmanagement wichtig. Die Technik der Gewaltfreien Kommunikation hilft dir, wichtige Botschaften so zu formulieren, dass dein Gegenüber keine Widerstände aufbaut, sondern gerne kooperiert. Nicht einer droht und entscheidet, belohnt oder bestraft, sondern beide Seiten fühlen sich in ihren Bedürfnissen gesehen und wertgeschätzt. GfK kann als Kommunikationsmethode und auch als Haltung dem Leben gegenüber verstanden werden. Dieser Haltung liegt ein Menschenbild zugrunde, das nicht mehr nach gut oder schlecht, richtig oder falsch sortiert.
Jede Handlung eines Menschen ist motiviert durch ein Bedürfnis, das in seinem Kern lebensdienlich ist. Das bedeutet, dass es auf der Ebene der Bedürfnisse möglich ist, sich mit jedem Menschen einfühlsam zu verbinden und ihn zu verstehen – selbst wenn man auf der Handlungsebene nicht mit dem anderen übereinstimmt.
Zentrale Grundannahme der GfK ist, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das gern zur Erfüllung von Bedürfnissen beiträgt. Es ist eine Schlüsselkompetenz für das 21. Jahrhundert, menschlich authentisch zu kommunizieren. Vorwürfe und Rechtfertigungen haben hier keinen Platz mehr. Die Ziele von GfK sind:
j Mehr gegenseitiges Verständnis entwickeln,
j wertschätzenden Umgang miteinander üben,
j vertrauensvolle Beziehungen kultivieren und
j Konflikte nachhaltig lösen.
Das ist ein Prozess und braucht Übung. Lohnt sich aber wirklich!
Konkret heißt das zum Beispiel, wenn ich auf mein Kind wütend bin: Nicht mein Kind macht mich mit seinem Verhalten wütend, sondern es löst durch sein Verhalten die Wut in mir aus. Unter meiner Wut liegt ein eigenes, unerfülltes Bedürfnis. Wenn ich verstehe, dass mein Kind nicht die Ursache, sondern nur der Auslöser für meine Wut ist, kann ich die Verantwortung für meine unerfüllten Bedürfnisse übernehmen, indem ich eine Strategie (akut und/ oder langfristig) entwickele. An Hotspots hänge ich ein Post-it mit dem Satz: „Ich bin bereit, eine Lösung zu finden.“ Wenn ich mich um meine Wut kümmere, bin ich ein gutes Vorbild für mein Kind. Die Wut darf sein! Aber so, dass emotional und körperlich alle Beteiligten heile bleiben. Und was das Kind betrifft: Mit allem, was es tut, versucht es sich ein eigenes Bedürfnis zu erfüllen (Spiel und Spaß).
Dein Kind tut das für sich, nicht gegen dich!
Bei jeder Stresssituation wird vom Gehirn eine Art Alarmsignal vom limbischen System in den Körper gesendet. Blitzschnell setzt dann der Überlebensmodus ein mit den drei Optionen Kampf, Flucht oder Erstarrung. (Eine ausführliche Schilderung findest du im Kapitel „Stressmanagement“). Mögliche Strategien, um bei Wut dein Nervensystem herunterzufahren, sind zum Beispiel:
j tief durchatmen,
j runterzählen,
j mit dem Fuß aufstampfen,
j summen (das beruhigt den Vagusnerv),
j die Schlüsselbeinpunkte klopfen. (Eine genaue Erklärung zu den Schlüsselbeinpunkten findest du im
Kapitel „EFT – Dein Date mit der Amygdala“
.)
Falls dein Kind dich die ersten Male verdutzt anschaut, sagst du: „Ich kümmere mich gerade gut um meine Wut.“ Damit bist du gleichzeitig ein großartiges Vorbild!
Die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation:
Wertfreie Beobachtung einer konkreten Situation oder Handlung – statt: „ Putz dir endlich deine Zähne, ich sage das jetzt zum letzten Mal!“ Beobachtung: „Du hast dir deine Zähne noch nicht geputzt, ich hatte dich zwei Mal gebeten.“
Beschreibung der eigenen Gefühle in Ich-Botschaften – statt: „Du machst mich echt wütend, es reicht mir jetzt, morgen darfst du nicht fernsehen!“ Beschreibung: „Ich fühle mich von dir nicht gehört und bin ärgerlich/frustriert/traurig darüber.“ Formuliere dein authentisches Gefühl.
Erkläre deine Bedürfnisse, die hinter den Gefühlen stehen – „Es ist mir wichtig, dass du genügend Schlaf bekommst. Außerdem möchte ich jetzt Zeit zum Ausruhen für mich haben.“
Was war das Bedürfnis deines Kindes? Frag nach! Zum Beispiel antwortet es: „Ich wollte mein Spiel zu Ende spielen / ich habe dich nicht gehört / ich war mit meinen Gedanken woanders.“ Jetzt habt ihr eine Basis geschaffen. Jeder kann die Absicht des anderen sehen. Empathie ersetzt plötzlich deine geladene Stimmung.
Die Bitte um eine konkrete Handlung, ehrlich und in einem einladenden Tonfall. „Du möchtest Spiel und Spaß? Dann putzen wir jetzt gleichzeitig die Zähne, und zwar mit der linken Hand / auf einem Bein / oder ich massiere dir dabei den Rücken / erzähle dir einen Witz / stelle die bunte Sanduhr an / wärme schon dein Bett und warte mit dem Lesebuch / zähle langsam auf Englisch bis 30 …“ Wenn dein Kind noch klein ist, gibt es so viele kreative Ideen, um Humor und Leichtigkeit in das vermeintliche Schlachtfeld Zähneputzen zu bringen. Wenn es größer wird, ist es beziehungserhaltend, nach dem Bedürfnis des Kindes zu fragen, mit echtem Interesse: „Warum fällt es dir heute schwer, deine Zähne zu putzen und ins Bett zu gehen? Möchtest du noch ein bisschen im Bett erzählen, was du heute erlebt hast?“ Das wäre ein Kontaktangebot. Manchmal sind die Kinder am Abend noch nicht „beziehungsgesättigt“ und brauchen ein bisschen mehr Zu wendung, Zärtlichkeit und Zeit.
In seinem Konzept nutzt Marshall Rosenberg symbolisch zwei Tiere, die Giraffe und den Wolf. Der Wolf steht für die Strafe, psychische und physische Gewalt, Vorwurf und alle lebensfremde Kommunikation. Die Giraffe symbolisiert (als Landtier mit dem größten Herzen) die friedvolle, empathische, verbindende Kommunikation; durch ihren langen Hals hat sie den Überblick.
Im Buchhandel finden sich einige Kinderbücher zur Gewaltfreien Kommunikation. Es sind Tiergeschichten mit Wölfen und Giraffen, die ein gutes Miteinander durch Anwendung der vier Schritte der GfK kindgerecht erzählen. Um Konflikte friedlich zu lösen, wäre dies als gemeinsame Eltern-Kind-Lektüre empfehlenswert. Der segensreiche Effekt der GfK ist, sowohl die eigenen Bedürfnisse als auch die des Gegenübers zu erkennen und einen guten Kompromiss für alle Beteiligten zu finden.
Wer als Elternteil nicht aufdringlich fordert, urteilt, bewertet, schimpft, sondern stattdessen offen lauscht, wird sich wundern, wie sehr Kinder von sich aus bereit sind, zu kooperieren. „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.“ Machen wir es ihnen vor und üben es, bis es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. GfK ist ein großartiges Tool für alle Beziehungen, nicht nur für Eltern und ihre Kinder.
Im Netz findest du in Kathy Weber eine erfahrene Podcasterin, die Eltern und Kindern die Gewaltfreie Kommunikation mit viel Begeisterung vermittelt. Auch werden GfK-Kurse für Erwachsene in Form von Workshops und Webinaren von vielen verschiedenen Coaches angeboten. Sehr empfehlenswert, wenn bei euch zu Hause Streit die gute Stimmung häufig vermiest!
„Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Kind hat Geburtstag!“ und „Ich muss mit auf Klassenfahrt – meine Tochter kann sonst nicht schlafen!“ sind zwei aktuelle Bücher, die ein ernstes Phänomen humorvoll auf die Schippe nehmen. Der Begriff „Helikopter-Eltern“ beschreibt den Trend der Überfürsorglichkeit von Eltern, die wie ein Hubschrauber ihren Nachwuchs umkreisen, ihre Kinder auf Schritt und Tritt überwachen und oft sogar die Hausaufgaben für sie machen. Die Eltern meinen es zwar gut, tragen damit aber nicht dazu bei, eine starke, seelisch gesunde Generation heranwachsen zu lassen. So schützen wir unsere Kinder zwar vor kurzfristigen Misserfolgen und Enttäuschungen, langfristig führt dieser Erziehungsstil von zu viel Kontrolle bei den Heranwachsenden aber zu Versagensangst, Hilflosigkeit und Unselbständigkeit.
Der Anteil dieser Eltern macht aktuell etwa 20 % der Elternschaft in Kindergarten und Schule aus. Erzieher und Lehrer beklagen aber, dass sie 80 % der Elternarbeit verursachen. Lassen wir uns doch einmal selbstkritisch darauf ein, unser Verhalten daraufhin zu beleuchten, ob wir an der einen oder anderen Stelle zum Wohl unseres Kindes mehr Vertrauen und weniger Kontrolle walten lassen könnten.
Rückblick in die eigene Kindheit: Wenn wir zurückdenken, wie sorglos unsere Eltern damals waren, könnte man sich wundern, dass wir überhaupt noch leben. In den Autos gab es noch keine Sicherheitsgurte, wir kauten beim Zahnen auf Plastikspielzeug mit Weichmachern herum, die Sonne brannte oft ungehindert auf unsere weiße Kinderhaut. Wir kannten weder Fahrradhelm noch Knieschützer. Es gab stattdessen Schrammen und blaue Flecken. Wir wurden, so oft es ging, zum Spielen nach draußen geschickt. Ohne Handy- und GPS-Überwachung. Wie haben wir das bloß überlebt? Und wie viel ernster nehmen viele der Kinder von damals heute ihre Elternrolle?
Täglich spielen sich gegen 7.45 Uhr vor Grundschulen die gleichen Szenen ab: Ein durch Eltern verursachtes Verkehrschaos mit hohem Risiko für alle Beteiligten. Seit einigen Jahren gibt es deshalb vermehrt Kampagnen vonseiten der Grundschulen, um überfürsorglichen Eltern Einhalt zu gebieten. Auch die Statistiken stützen diese Beobachtung. Während 1970 noch 90 % der Grundschüler allein ohne Eltern zur Schule kamen, sind es heute nur noch 50 %. Es wäre gut für alle, wenn das Kind zwei Querstraßen vor der Schule sicher aus dem Auto gelassen wird, um die letzten Schritte an frischer Luft alleine zu bewältigen. Und um damit auch andere Kinder nicht zu gefährden.
Werfen wir einen Blick ins Tierreich: Wenn ein Küken aus seinem Ei schlüpft, hat es bereits alle Fähigkeiten, die es für den Rest seines Lebens brauchen wird: Nahrungssuche, Sozialverhalten und Fortpflanzung. All dies ist ihm genetisch mitgegeben. Bei uns Menschen ist das nicht so. Nur ein kleiner Anteil unseres Wesens ist im Erbmaterial veranlagt. In unseren ersten Lebensjahren werden die entscheidenden Weichen für unser restliches Leben angelegt. Wir lernen durch Nachahmung und Erfahrung von unseren engsten Bezugspersonen laufen, sprechen, denken und sogar fühlen.
Jahrhundertelang war das Einzelkind eine Ausnahme. Heute bekommt eine Mutter in Deutschland durchschnittlich nur noch 1,5 Kinder. Durch die gesunkene Geburtenrate ist es üblich, dass viele Kinder ohne Geschwister und damit ohne Erfahrungen auf horizontaler Ebene in einer Erwachsenenwelt groß werden. Durch die hohe Trennungsrate der Eltern erlebt jedes dritte Kind auch nur einen einzigen Erwachsenen als ständiges Gegenüber.
Wie haben sich die Rahmenbedingungen für Kinder verändert? Der Leistungsdruck ist größer geworden. Entwicklungspsychologische Meilensteine sollen so früh wie möglich erreicht werden, damit Kinder in dieser leistungsorientierten Welt bestehen können. Für Kinder ist das Nichtscheiterndürfen extrem problematisch. Denn nur durch Scheitern lernen wir, wie wir Schicksalsschläge überhaupt bewältigen können. Und die Mini-Scheiter-Übungen des Kleinkindes, was immer wieder hinfällt und aufsteht, zeigen ihm: Man steht wieder auf und das Leben geht weiter. Diese Erfahrungen multipliziert, werden dann zur gesunden Grundhaltung „Scheitern gehört zum Leben“. Kinder können ja nur eine Frustrationstoleranz entwickeln, wenn sie Frust erleben dürfen.
Wie Eltern ihre Kinder erziehen, war stets ein Spiegel des gesellschaftlichen Zeitgeistes. So sind wir also immer ein Kind unserer Zeit. Die extreme Beschleunigung des Lebens im 21. Jahrhundert hat deshalb natürlich unmittelbar Auswirkung auf unsere Kinder. Wir wollen unseren Kindern eine glückliche und behütete Kindheit ermöglichen. Als verantwortungsbewusste Eltern, die ihre Kinder von Herzen lieben, möchten wir natürlich das Beste für sie. Was aber ist das Beste? Was brauchen Kinder heute? Und was schadet ihnen langfristig?
Hier sieben Merkmale, die uns helfen, Überfürsorglichkeit zu reflektieren:
Du versuchst, dein Kind vor sämtlichen Gefahren zu beschützen. Natürlich ist es verantwortungsbewusst, Kinder keinen unzumutbaren Gefahren auszusetzen. Aber für eine gesunde Gefahrenabschätzung sind die Erfahrungen beim Helfen in der Küche und der Werkstatt mit Mamas und Papas Unterstützung sogar extrem wichtig. Hier bieten sich die Möglichkeiten, Geschicklichkeit zu trainieren und eigene Grenzen auszuloten. Väter trauen den Kindern tendenziell mehr zu. Eigene Angst und Vorsicht sollten wir trotzdem ernst nehmen und andere Bezugspersonen bitten, das kleine Kind zum Beispiel beim Klettern auf Bäumen zu begleiten, wenn wir in diesem Bereich Ängste haben und sie sonst übertragen, statt es generell zu verbieten. Es gilt: Kleine Unfälle verhindern größere Unfälle!
Deine Kinder müssen keine Verantwortung übernehmen. Angenommen, es gab Streit mit Nachbarskindern, dein Kind hat ein anderes verhauen oder mit Absicht ein fremdes Spielzeug kaputt gemacht. Helikopter-Eltern würden jetzt das Verhalten ihres eigenen Kindes in Schutz nehmen und sich für ihr Kind rechtfertigen. Damit das Kind lernt, zu unangebrachtem Verhalten zu stehen und Wiedergutmachung zu leisten, kannst du unaufgeregt mit ihm überlegen, wie sich das andere Kind wohl gefühlt hat und welchen Vorschlag dein Kind hat, um sich angemessen zu entschuldigen oder von seinem Taschengeld das Spielzeug zu ersetzen. Am besten kommen die Ideen und Einfälle aus seinem eigenen Überlegen. Abends könnt ihr vor dem Einschlafen gemeinsam reflektieren: „Wie hat es sich angefühlt, dich zu entschuldigen? Ich freue mich, dass du diese Erfahrung gemacht hast, es wieder in Ordnung zu bringen.“ Problemlösungskompetenz wird so erlernt.
Du bist der Entertainer für dein Kind. Dein Kind spielt nicht gern alleine und langweilt sich. Deshalb präsentierst du eine Bastelidee und Spielaktivität nach der anderen. Ihr rennt von der musikalischen Früherziehung zum Turnen und danach wird dann noch gemeinsam Lego gebaut oder mit dem Puppenhaus gespielt. Psychologen sind sich einig, dass ein gesundes Maß an Langeweile sogar förderlich ist für die Kreativität eines Kindes. Zwei bis drei feste Termine pro Woche sind für Schulkinder vollkommen ausreichend. Und wenn dir dein Kind im Haushalt hilft, indem es Gemüse schneidet oder Wäsche aufhängt, habt ihr auch Zeit zusammen verbracht, und du hilfst ihm, Selbstvertrauen und Geschick zu entwickeln, und stärkst eure Beziehung auf Augenhöhe, weil du es als gleichberechtigten Helfer in deinen Alltag mit einbeziehst. „Danke, dass du mir geholfen hast! Viele Hände, schnelles Ende.“
Du machst deinem Kind das Leben so leicht wie möglich. Wenn du dir wünschst, dass dein Kind später mal ein verantwortungsvoller, fleißiger und starker Mensch sein kann, muss der Grundstein dafür in den ersten Lebensjahren gelegt werden. Das bedeutet, dass dein Kind auch mal lernt, Dinge auszuhalten, die ihm gerade nicht gefallen. Anstatt zum Beispiel Spielzeug, was es gerade im Schaufenster gesehen hat, gleich zu schenken, darf es lernen, bis zum nächsten Geburtstag oder bis Weihnachten auf die Erfüllung seines Wunsches zu warten. Denn auf diese Weise kann ein Kind Frustrationstoleranz lernen. Ein weiteres Beispiel wäre, dass es zur guten Gewohnheit werden darf, das eigene Zimmer aufzuräumen, den Schulranzen selbständig zu packen und die Stifte im Federmäppchen regelmäßig zu spitzen. Dadurch lernt das Kind, eigene Verantwortung zu übernehmen. Das fühlt sich richtig gut an, auch wenn die Kinder vielleicht anfangs murren, weil sie Bedienung gewöhnt sind.
Du hältst Enttäuschungen und Schmerzen von deinem Kind fern. Wenn das Kind nicht zu einer Geburtstagsfeier eingeladen wird oder das Haustier sehr krank ist, könnte unser erster Impuls sein, ihm diese Enttäuschungen und negativen Gefühle zu ersparen. Was wir damit aber ausdrücken, ist, dass Traurigkeit oder Enttäuschung überspielt und weggedrückt werden, statt sie aushalten zu lernen. Eines der wertvollsten Dinge, die wir unseren Kindern mitgeben können, ist Resilienz. Diese psychische Widerstandskraft entsteht, wenn man im Kleinen lernt, sich von Schicksalsschlägen nicht komplett aus der Bahn werfen zu lassen. Viele Menschen entwickeln heute eine Depression, eine Sucht oder bekommen andere emotionale Erkrankungen, weil sie nicht belastbar genug sind. Wenn wir also Enttäuschungen von unseren Kindern fernhalten, machen wir kurzfristig uns selbst das Leben leichter, indem wir ihren Schmerz nicht mitfühlen müssen und uns nicht ohnmächtig fühlen. Langfristig fördern wir aber die Gefahr, dass sie später nicht mehr so schnell wieder auf die Beine kommen, wenn sie mit Trauer, Enttäuschung oder Scheitern umgehen müssen.
Du übst großen Leistungsdruck auf dein Kind aus. Du sitzt bei den Hausaufgaben regelmäßig neben deinem Kind und mahnst, dass die Schrift sauberer sein muss und insgesamt mehr Mühe nötig ist, damit später das Gymnasium besucht werden kann. Für die Ferien besorgst du Hefte des zurückliegenden Schulstoffs, die im Urlaub täglich unter deiner Regie bearbeitet werden müssen. Nichts erdrückt den Wunsch zu lernen so sehr im Keim wie Druck und der Gebrauch von Angst. Nutzt als Eltern die Schulzeit lieber, um herauszufinden, wo die Talente und die Fähigkeiten eures Kindes liegen, als ausschließlich auf Noten und Abschlüsse hinzuarbeiten. Lernen setzt eine Atmosphäre von Neugier und Offenheit voraus. Die kannst du durch deine Haltung fördern oder verhindern.
Du hast dein Kind immer gut im Blick. Du kennst die Lehrer deines Kindes beim Vornamen, bist bei jedem Fußballtraining mit dabei und weißt auch immer, wo und mit wem dein Kind gerade unterwegs ist. Das erste Handy oder eine Uhr mit Nachrichtenfunktion bekommt es früh, um per GPS für dich jederzeit greifbar zu sein und für die Nachmittagshobbys und Verabredungen stehst du selbstverständlich als Taxifahrer bereit. Dadurch verpasst dein Kind dann aber die Möglichkeit, selbständig zu werden. Dafür braucht es Freiräume, wo es selbstbestimmt Entscheidungen treffen darf, und unbekannte Herausforderungen, in denen es sich beweisen kann.
Helikopter-Eltern haben oft einen hohen Bildungsgrad und wollen eigentlich Gutes bewirken. Wie können betroffene Eltern ein Zuviel an Kontrollwunsch in gesundes Loslassen verwandeln? Oder anders gesagt: Wie wird aus Angst Liebe?
Unsere Zeit ist geprägt von drei Götzen, denen wir unbewusst dienen. Der Ursprung dafür wurde in den ersten Kindheitsjahren in uns gepflanzt. Diese drei Götzen heißen Perfektionismus, Effektivität und Rechthaben. Perfektionismus ist auf der Angst begründet, nicht genug zu SEIN. Effektivität auf der Angst, nicht genug zu TUN, und Rechthabenwollen auf der Angst, dass das Ego nicht genug HAT. Morgens lächelnd mit drei Sätzen zu starten, kann deine Haltung transformieren, wenn du dies zum Wohl deines Kindes machen möchtest:
„Ich habe genug. Ich tue genug. Ich bin genug.“ Sprich es aus, schreibe es auf, wiederhole es, bis du es dir glaubst. Vertrauen ist eine bewusste Entscheidung! Du kannst „so tun, als ob“, bis es zur Gewohnheit geworden ist, dem Leben zu vertrauen. Ein tief beruhigendes Gefühl von Getragensein stellt sich ein. Und du wirst wahrnehmen: Es ist nichts Schlimmes passiert. Die meisten Sorgen bewahrheiten sich nämlich am Ende nicht.
Der bewusste Gedanke „Ich schenke dir Begrenzung!“. Ich halte es aus, dass mein „Nein“ oder „Stopp“ kurz zu einer Disharmonie führt. Ich denke als Erwachsener langfristig und muss nicht durchgehend Bestätigung von meinem Kind bekommen. Ich übe bewusst, schnell zu verzeihen, so wie es unsere Kinder uns vormachen. Niemals: „Du bist blöd“, sondern „Was du getan hast, war blöd“. Zusammen könnt ihr überlegen, wie es das nächste Mal für alle besser geht. Am besten abends vor dem Einschlafen in einem friedlichen, konstruktiven Gespräch im vertrauten Kuschelbett. Dann kann das Unterbewusstsein im Schlaf kurz darauf das Steuer übernehmen und dein Kind wird beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation Zugriff auf eine gute Lösung zur Verfügung haben. (Vergleiche Kapitel 11: „Guter Schlaf und die Macht des Unterbewusstseins“)