Vreneli's Gärtli - Oskar Panizza - E-Book

Vreneli's Gärtli E-Book

Oskar Panizza

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Beschreibung

1894 erscheint Panizzas Theaterstück "Das Liebeskonzil" und bringt ihm in München ein Jahr Gefängnis wegen "Gotteslästerung" ein. Nach Verbüßung der Strafe geht er 1896 nach Zürich ins Exil, wo er 1898 wieder ausgewiesen wird. Er wäre gerne geblieben. In "Vreneli's Gärtli" verar­beitet Panizza seine ungemütliche Situation als Flüchtling in der Schweiz mit unbändigem Humor und ironischer Übersteigerung in ein Schicksal von antikischem Ausmaß in klein­bürgerlicher Umgebung. "Vreneli's Gärtli" heißt ein Gasthaus im Wald bei Zürich, und als er davon hört, ist dem Mann sofort klar: Vreneli ist die eidgenössische Variante der Venus, der Vrenesberg ist der Venusberg, da muss er hin. Und so macht er sich auf zu diesem anmutigen Ort, wo er tatsächlich auf Venus trifft, eine bodenständig ­pragmatische Venus helvetischer Prägung, die ihm tief in die Augen blickt und fragt: "Was trinkt der Herr füren Wi?" Und so lässt er Eglisauer, Stammheimer und Herrliber­ger auftragen und jauchzt innerlich, mit jedem Glas wachsen sein Glück über die Freiheit in der Schweiz mit ihren 'grie­chischen' Hirtenmädchen und sein Groll auf den deutschen Polizeistaat, die Hirtenmädchen tragen auf, das Gelage nimmt seinen Gang, und der Flüchtling freut sich auf die Nacht in den weichen Armen der Freiheit ... Panizzas "Vreneli's Gärtli" ist das Psychogramm eines Flüchtlings ebenso wie jenes der Schweiz als Exilland, und beide bleiben in ihrer Ambivalenz aktuell.

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1895 erscheint Panizzas Theaterstück «Das Liebeskonzil» und bringt ihm in München ein Jahr Gefängnis wegen «Gotteslästerung» ein. Nach Verbüßung der Strafe geht er 1896 nach Zürich ins Exil, wo er 1898 wieder ausgewiesen wird. Er wäre gerne geblieben. In «Vreneli’s Gärtli» verar­beitet Panizza seine ungemütliche Situation als Flüchtling in der Schweiz mit unbändigem Humor und ironischer Übersteigerung in ein Schicksal von antikischem Ausmaß in klein-bürgerlicher Umgebung.

«Vreneli’s Gärtli» heißt ein Gasthaus im Wald bei Zürich, und als er davon hört, ist dem Mann sofort klar: Vreneli ist die eidgenössische Variante der Venus, der Vrenesberg ist der Venusberg, da muss er hin. Und so macht er sich auf zu diesem anmutigen Ort, wo er tatsächlich auf Venus trifft, eine bodenständig-pragmatische Venus helvetischer Prägung, die ihm tief in die Augen blickt und fragt: «Was trinkt der Herr füren Wi?»

Und so lässt er Eglisauer, Stammheimer und Herrliberger auftragen und jauchzt innerlich, mit jedem Glas wachsen sein Glück über die Freiheit in der Schweiz mit ihren ‹griechischen› Hirtenmädchen und sein Groll auf den deutschen Polizeistaat, die Hirtenmädchen tragen auf, das Gelage nimmt seinen Gang, und der Flüchtling freut sich auf die Nacht in den weichen Armen der Freiheit …

Panizzas «Vreneli’s Gärtli» ist das Psychogramm eines Flüchtlings ebenso wie jenes der Schweiz als Exilland, und beide bleiben in ihrer Ambivalenz aktuell.

Oskar Panizza, 1853 geboren in Bad Kissingen, ausgebildet zum Nervenarzt, war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und Publizist. Er griff den autoritären wilhelminischen Staat scharf an und war ein dezidierter Antikatholik, seine Bücher wurden meist sofort verboten, er selbst polizeilich verfolgt. 1896 bis 1898 lebte er in Zürich, nach seiner Ausweisung in Paris. International steckbrieflich gesucht, ging er nach Deutschland zurück, er starb 1921 in einem Sanatorium in Bayreuth.

Ute Kröger, Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte, Doktorat. Lehrtätigkeit an Gymnasien und in der Erwachsenenbildung in Deutschland; wissenschaftliche und publizistische Arbeiten. Lebt als freie Publizistin in Kilchberg.

Oscar Panizza

Vreneli’s Gärtli

Eine Zürcher Begebenheit

Nebst ausführlicher Darlegung der Umstände ­gelegentlich der Ausweisung des Herausgebers der «Zürcher Diskußjonen» aus Zürich

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Ute Kröger

Limmat Verlag

Zürich

Titelblatt der Ausgabe 1899, in der «Vreneli’s Gärtli» erschien.

Vreneli’s Gärtli Eine Zürcher Begebenheit

von Oskar Panizza (Paris).1

1 Dieser Aufsaz stamt aus dem Frühjahr 1898, wie ich zur Orjentirung meiner Freunde und der Leser der Diskußjonen bemerken will.

Zum «Vreneli’s Gärtli» — so hatte ich jüngst un­zweifelhaft auf einem ehrlichen Schweizerischen Wegweiser in der Umgegend von Zürich gelesen, nicht weit oberhalb der Stelle, wo der junge Georg Büchner, der Verfasser von «Danton’s Tot» sein Grabmal hat, und nicht sehr weit von der Stelle, wo einst der wunderliche Johannes Scherr an den Abhängen des Zürichbergs seine grausigen Gestalten beschwor.

«Vreneli’s Gärtli» — das klang so anmutig, so poetisch, so urlieblich und so urdeutsch — das mußte ein gutes Restaurant sein, wenn es eines war; dort mußte es einen guten Wein geben; das mußte ein lokender Berg sein, oder ein zauberisches Tal, wenn es ein Berg oder ein Tal war .....

Aber ich war auch filologisch gebildet genug, um hinter diesem geheimnisvoll andeutenden Wort mancherlei Ur-Alemannisches und Schwäbisch-Singsangliches und Schweizerisch-Schalkhaftes zu vermuten. «Vreneli», das war kein modernes Wirtshausschild, das war auch keine Wirtin aus dem Kanton, das war überhaupt nichts Polizeilich-Angemeldetes …..

«Vreneli’s Gärtli» — ein Wegweiser auf of­fenem Waldweg, auf der Höhe des Zürichberges, und über diesem hinweg nach Norden weisend, durch Wald und Dikicht — — mir war, als stünden die Gebrüder Grimm hinter diesem Wegweiser, und erhöben drohend ihre Arme, quer hinausstrekend wie Wegweiser, und riefen mir zu: Dort geht’s in’s Heidentum!

Ich hatte weder Zeit noch Mut, zu so vorgeschrittener Nachmittagsstunde einen so weiten und gefährlichen Weg einzuschlagen, aber ich war fest entschlossen, diesem germanistischen Wegweiser in tunlichster Bälde nachzugehen: etwas Heidnisches, etwas Literarisches und etwas Filologisches mußte hinter diesem Wegweiser steken.

Am nächsten Tag ging ich zu Papa Schabelitz, der Alles weiß, was im Kanton Heidnisches, Filologisches oder Literarisches paßirt, oder früher einmal paßirt ist, und trug ihm mein Anliegen vor. Er hörte mir lange zu, dann sagte er in seiner troknen, skeptischen Art, mit der er stets den allzu fantastischen ­Anwandlungen bei seinen Autoren zu begegnen wußte: «Alles ist mir nicht klar. Aber sehen Sie doch einmal in den «Schweizerischen Volks­lie­dern» von Tobler nach, die mein Freund Huber in Frauenfeld herausgegeben hat. Vielleicht finden SiedortEtwas. Wein gibt es dort jedenfalls keinen besonderen, sonst wär’ mir das Wirtshaus bekant.»

Ich las im Tobler, und las:

«Danuser war ein wundrige Knab,groß Wunder got er go schaue;er got wohl uf der Frau Vrenes Bergzu dene dri schöne Jungfraue.

*

«Er schaut zu einem Fensterli i,groß Wunder kann er da schaue;drum got er zu dem Frau-Vrenesbergzu dene dri schöne Jungfraue.

*

«Die sind die ganze Wuche gar schömit Gold und mit Side behange,händ Halsschmeid a und Maiekrö

— — — — — — — — — — — — »2

2 Schweizerische Volkslieder hrsg. von L. Tobler. Frauen­feld, J. Huber 1882. Bd. I. S. 102.

mir ging das Herz auf; ich wußte, daß ich an eine der zauberischsten Stellen des ganzen südwestlichen Deutschlands gelangt war; noch deutlicheren Beweis brachte das folgende Lied:

«Tannhäuser war ein junges Bluet;der wolt groß Wunder g’schaue;er gieng wol auf Frau Vreneli’s Bergzu selbige schöne Jungfraue.

*

«Wo er auf Frau Vreneli’s Berg ist cho,chlopft er an a d’ Pforte: ‹Frau Vrene, wend er mi ine lo?will halten eure Orde.›

*

«‹Tannhäuser, i will d’r mi G’spile gezu-m-ene ehliche Wibe.›‹Diner G’spilinne begehr ich nit,min Leben ist mer z’liebe.›

*

‹Diner G’spilinne darf ich nüt,es ist mir gar hoch verbote;si ist ob’ em Gürtel Milch und Bluetund drunter wie Schlangen und Chrote.›»3

3 ebenda Bd. II. S. 159.

Die Sache war richtig; ich war auf dem Weg zum ­Venusberg; ausdrüklich war noch in einer Anmerkung darauf hingewiesen, daß «Vreneli» ebenso zu der altdeutschen Freia, der Göttin des Liebreizes und der Minne, wie zu der römischen Venus hinweise, also eine lezte Schweizerische Wirtin Wunderhold, die in dieser Zeit der trostlosen Oede und Herzensqual noch freundliche Stuben ihren ­Besuchern zur Verfügung stelt …..

Donnerwetter! — sagte ich mir — die Sache komt mir gelegen. Die ganze Geschichte erschien mir nun von der äußersten Wahrscheinlichkeit. Denn daß es in diesem Lande noch andere Schweize­rinnen gebe, als jene, die in Zürich auf der Bahnhofstraße dem schüchtern mit zärtlicher Werbung sich nahenden Fremden im resolutesten Zwingli-Deutsch antworten: «Nai, gönd Si eweg! I will nüd wüße vo Ihne …..» das war wol mit Sicherheit ­anzunehmen. Daß es im Lande Böcklin’s noch an­de­re Huldinnen geben werde, als jene 10,000 Jungfrauen, welche schon im Jahre 1888 die Unterdrükung jeder Freistätte der Liebe, das Umstürzen aller Altäre der Venus und resolute Bestrafung jedes außerhalb der Ehe sich bemerklich machenden Liebes-Verlangens für den Kanton Zürich verlangt, und im Jahre 1897 auch durchgesezt hatten4, das war wol mit Sicherheit zu erwarten. — Ja ja, die Sache war in Ordnung. Noch einmal hatte das Mittelalter helfend und fördernd in die trostlose Dürre unserer heutigen Herzensangelegenheiten, in die Verarmung unseres Gemüts, in die administrativeheliche Polizei-Konstrukzjon der «Liebe» eingegriffen und wenigstens einige seiner Sontagskinder gerettet. «Vreneli’s Gärtli» — Garten der Freia — Garten der Venus — den lezten Venus-Berg auf deutsch-administrativer Erde, ich hatte ihn entdekt.

4 Durch Volksabstimmung wurden am 27 ten Juni 1897 alle «Häuser» im Kanton Zürich aufgehoben, und außerdem, durch Neuaufnahme eines Paragrafen in das Straf-­Gesezbuch, der Versuch, auf öffentlicher Straße die Zuneigung eines Mädchens zu gewinnen, unter Strafe gestelt. Siehe: Strafgesezbuch für den Kanton Zürich. Neudruk 1897. § 127.

Sogleich machte ich mich am nächsten Tag in ­al­ler Frühe auf und tat Geld in meinen Beutel. — Natürlich jubelten mir alle Nachtigallen entgegen, die Gräser hauchten mir ihre wollüstigsten Parfüme ­zu und mir selbst fielen die lustigsten Melodien aus Brentano’s Wunderhorn und Broceliandes Zauberwäldern ein:

«Da droben auf dem Berge,da steht ein goldnes Haus,da schauen alle Frühmorgendrei schöne Mädchen heraus,die eine heißt Elisabeta, die andre Juljettchen mein, die dritte tu’ ich nicht nennen …..»

Offen gestanden, ich habe immer diese fantastischen Schilderungen, welche man zuweilen bei Dichtern liest, dieses Winken und Sprechen der Blumen, das Auftauchen von Schlößern, wo sich plözlich die Fenster öffnen, und die schönsten Mädchen Einen einladen, zu ihnen zu kommen, für grobe Täuschungen des Lesers, jedenfalls für starke Uebertreibungen gehalten. Gar im modernen Polizeistaat wäre doch die Existenz besagter Schlößer eine pure Unmöglichkeit, und abgesehen von der Schwierigkeit der Ueberwachung schon nach § 180 RStGB., Straf­gesezbuch für den Kanton Zürich § 119-120,5 kaum als im Bereich der Wahrscheinlichkeit gelegen ­anzunehmen, selbst wenn die Bürgerinnen der nächstgelegenen Gemeinden nicht wegen unlau­teren Wettbewerbs klagen solten.

5 Duldung, Zimmervermietung: Stenglein’s Zeitschrift für Gerichtspraxis in Deutschland Bd. II. 273, III. 185; ­Verleitung zum Eintritt in ein unsitliches Haus: ebenda Bd. II. 234.

Aber nein! Dergleichen existirt. Wirklich war ich in eine ganz merkwürdige, ganz abnormale Gegend gekommen, wo es keine Strafgesezbücher zu geben schien, oder ­dieselben den Spazen und Finken zum Nesterbau überlaßen wurden. Wirklich tauchten hier ganz selt­same — dieses Wort gebrauche ich in meinen kritischen Schriften nie! — ganz seltsame Blumenformen und wunderliche Gesteinsmaßen auf. Die Weg­weiser wurden anders, nahmen höhnische oder ­vertrakte Formen, Grimaßen und Embleme, Boks­füße und Pansköpfe, in ihre Devisen auf, deuteten alle in einer Richtung, die Schweizer Verordnungen verschwanden auf den Wegtafeln, Blumen und ­Gräser lachten mich mit einer sicheren, stichelnden Lustbarkeit an, nirgends ein Schandarm, nirgends ein Feldhüter, kein Untersuchungsrichter, kein Staatsanwalt, die Welt schien wie umgewandelt, heitere Züge von lakrotfüßigen Störchen zogen durch die Luft und in der Ferne erglänzte ein schönes Schloß:

«Da droben auf hohem Berge,da steht ein feines Haus,da schauen des Abends und Morgensdrei schöne Jungfern heraus.

*

«Die Eine, die heißet Susanne,die Andere Anna-Marein,die Dritte, die will ich mir nehmen ….»