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Das spektakuläre Finale der »Wächter und Wölfe«-Trilogie: »Spannend, unerbittlich und brillant.« Fantasy Book Review
Rilporin ist gefallen. Es scheint, als hätten die Roten Götter gesiegt. Doch Rillirin, Dom und ihre Verbündeten sind nicht bereit aufzugeben. Während sie sich auf die alles entscheidende finale Schlacht vorbereiten, schmieden ihre Feinde ganz eigene Pläne. Als es denen tatsächlich gelingt, die Dunkle Dame wiederauferstehen zu lassen, liegt die letzte Hoffnung bei Dom und Rillirin – und ihrem ungeborenen Kind. Beide Seiten werden sich ihren Schicksalen und ihren Göttern stellen müssen, und nur eines ist sicher: Der Tod wartet auf sie alle …
Die »Wächter und Wölfe«-Trilogie:
Band 1: Das Ende des Friedens
Band 2: Das Erwachen der Roten Götter
Band 3: Die Auferstehung der Dunklen Dame
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Seitenzahl: 835
Buch
Rilpor ist gefallen. Es scheint, als hätten die Roten Götter gesiegt. Doch Rillirin, Dom und ihre Verbündeten sind nicht bereit aufzugeben. Während sie sich auf die alles entscheidende finale Schlacht vorbereiten, schmieden ihre Feinde ganz eigene Pläne. Als es denen tatsächlich gelingt, die Dunkle Dame wiederauferstehen zu lassen, liegt die letzte Hoffnung bei Dom und Rillirin – und ihrem ungeborenen Kind. Beide Seiten werden sich ihren Schicksalen und ihren Göttern stellen müssen, und nur eines ist sicher: Der Tod wartet auf sie alle …
Autorin
Anna Stephens hat einen Abschluss in Literaturwissenschaft der Open University und arbeitet heute in der PR-Abteilung einer großen internationalen Kanzlei. Sie hat einen schwarzen Gürtel in Karate, und ihrer Ansicht nach ist es eine große Hilfe, zu wissen, wie es ist, einen Schlag ins Gesicht zu bekommen, wenn man Kampfszenen schreibt. Sie lebt mit ihrem Mann in Birmingham.
Wächter und Wölfe von Anna Stephens bei Blanvalet:
1. Das Ende des Friedens
2. Das Erwachen der Roten Götter
3. Die Auferstehung der Dunklen Dame
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ANNA STEPHENS
WÄCHTER UND WÖLFE
DIE AUFERSTEHUNG DER DUNKLEN DAME
Roman
Deutsch von Michaela Link
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Bloodchild« bei HarperVoyager, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright der Originalausgabe © 2019 by Anna Stephens
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Alexander Groß
Covergestaltung und Artwork: Isabelle Hirtz, Inkcraft,
unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock.com (Kornela; baoyan)
Karte/Illustrationen: © Copyright © Sophie E. Tallis 2017
JaB · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-20918-6V001 www.blanvalet.de
Für Mark.Für alles.Für immer.
Sechster Monat, erstes Jahr der Herrschaft von König CorvusFort vier, Forts der Südtruppe, Westebene, an der Grenze zu Krike
Als die Alarmglocke des Forts zu läuten begann, wusste Rillirin, dass sie alle tot waren. Rilporin war gefallen, und die Mirak – und Corvus – waren im Anmarsch. Das Glück hatte sie verlassen, und sie würde ihrem Bruder in die Hände fallen. Es war vorbei, all das Davonlaufen, all das Kämpfen und die Freiheit, die Augenblicke des Glücks. Ihre Hände wanderten zu ihrem Bauch, und sie drückte das Rückgrat durch, schöpfte neuen Mut. Nein. Mochte es ruhig vorüber sein – aber nicht ohne einen Kampf.
Sie riss ihren Speer von seinem Platz an der Tür und rannte aus der Krankenstube, wo sich Gilda die Wunde in ihrer Schulter untersuchen ließ, auf den Exerzierplatz hinaus. Soldaten strömten aus der Kaserne und streiften sich ihre Rüstungen über.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Die Späher sind zurück. Eine feindliche Streitmacht – sehr groß – nähert sich uns, aber von Osten, nicht von Norden her.«
»Listraner? Verstärkung?«, murmelte jemand. »Bitte, Tänzerin, bitte, lass es Verstärkung sein.«
»Vielleicht Tresh«, meinte ein anderer Mann und wurde mit einem Zischen zum Schweigen gebracht. Offiziere schrien Befehle an die Truppe, sich zu formieren, und so schlüpfte Rillirin zur Seite, rannte in den Eckwachturm und stieg zur Galerie hinauf, bevor irgendjemand sie aufhalten konnte. Auf der Ostmauer stand Oberst Thatcher, Befehlshaber von Fort vier, und schaute durch sein Fernglas zu der herannahenden Staubwolke. Vier war das Fort, das der unbekannten Bedrohung, die da auf sie zuzukommen schien, am nächsten gelegen war; vier war der Ort, an dem die Schlacht beginnen würde.
Thatcher ließ sich Zeit, und Rillirin war schon kurz davor, einfach loszuschreien, als er das Fernglas sinken ließ. »Rilpori. Die Palasttruppe an der Spitze, als Nachhut etwas, das aussieht wie die Leibgarde. Zivilisten in der Mitte.« Er drehte sich zu einem Hauptmann um. »Sadler, meldet es mit den Flaggen.«
Der Hauptmann gehorchte und ließ in einer komplizierten Abfolge von Bewegungen rote und gelbe Flaggen umherwirbeln. Diese Bewegungsabfolgen wurden sodann auf den Mauern von Fort drei, Fort zwei und des Hauptquartiers wiederholt. Die Glocke begann Entwarnung zu läuten, noch während sich die Nachricht verbreitete. Rillirin beugte sich vor, lehnte die Stirn an die Brustwehr und atmete tief durch, um den wilden Aufruhr in ihrem Inneren zu bändigen und in die richtigen Bahnen zu lenken. Rilpori. Bedeutete das, dass sie gewonnen hatten? Der Gedanke ließ sie so schnell wieder hochfahren, dass sie stolperte. Unten auf dem Exerzierplatz erhoben sich aufgeregte Spekulationen, die die zuständigen rangniederen Offiziere schnell wieder unterdrückten.
Fort eins sandte eine mit allem Nötigen ausgerüstete Patrouille aus, um die herannahenden Truppen zu begrüßen, General Hadir persönlich an ihrer Spitze. Binnen Minuten kam von dort das Kommando, die Tore zu öffnen und die Krankenhäuser und Küchen auf einen Massenansturm vorzubereiten.
Rillirin konnte die Armee jetzt auch sehen – das heißt, was von ihr noch übrig war und sich nun erschöpft heranschleppte. Eine große Zahl von Zivilisten in der Mitte, genau wie Thatcher gesagt hatte, weitere Soldaten hinter ihnen, um sie zu beschützen. Und seitlich neben ihnen streifte, in lockerer, gleitender Formation, eine Gruppe von Menschen in Kleidung aus gekochtem Leder und Kettenpanzern durch das trockene Gras der Westebene. Die Wölfe. Ihr stockte der Atem. Sie waren hier. Dalli und Lim und Isbet und Ash und all die anderen. Sie waren hier.
Sie verfolgte das Herannahen des Zuges, bis sich die Formation aufteilte und einzelne Gruppen ausscherten, um die verschiedenen Forts anzusteuern. Dabei achteten die Soldaten, wachsam bis zuletzt, sorgsam darauf, den Zivilisten Schutz zu bieten. Sobald sich Rillirin sicher war, dass die Wölfe zu Fort vier kommen würden, lief sie wieder auf den Exerzierplatz hinunter. Ihr Herz hämmerte in der Brust, und ihr war schwindlig vor Angst und Aufregung.
Dom.
Ob er wohl ebenfalls hier war, unter seinen Leuten, oder befand er sich vielleicht im Gewahrsam der Truppe wegen seiner … Taten? Es wäre natürlich schlimm, ihn in Ketten zu sehen, aber sobald alle verstanden hatten, was geschehen war, dass all die Dinge, die er getan hatte, nicht wirklich seine Schuld gewesen waren, würde die Sache anders aussehen. Selbst Gilda würde vielleicht eine Weile brauchen, um ihm zu verzeihen, aber am Ende würde sie es tun, alle Wölfe würden das. Sie mussten es einfach.
Ihre Gedanken fanden ein jähes Ende, als sich die Tore öffneten und Menschen hereinströmten. Zivilisten, zu Hunderten, eilten mit freudiger Erleichterung in das fast leere Fort, das einst das fünfte Tausend der Südtruppe beherbergt hatte; Soldaten, die nach Rilporin marschiert waren, um dem König zu helfen, und die jetzt vielleicht, wenn sie Glück gehabt hatten, zurückmarschiert kamen. Stimmengewirr erhob sich, von Soldaten und Flüchtlingen gleichermaßen, als die Wundärzte der Truppe und sämtliche Soldaten mit ein wenig Erfahrung im Heilen auf die Neuankömmlinge zueilten und ein Feldwebel mit einer so durchdringenden Stimme, als könnte sie Stein spalten, sie aufforderte, sich in mehreren Reihen vor einem halben Dutzend hastig herbeigeschaffter Tische und Stühle aufzustellen, um ihre Namen zu nennen und sich ihre Quartiere zuweisen zu lassen.
Rillirin hüpfte vom einen Fuß auf den anderen und versuchte verzweifelt, durch das Gedränge der Wölfe zu spähen, um zu sehen, wer sich der Gruppe angeschlossen hatte. Und dann …
»Dalli! Dalli!«
Die kleine Frau fuhr herum, als Rillirin ihren Namen schrie. Die Augen sprangen ihr beinahe aus den Höhlen. »Rillirin? Bei allen verfluchten Göttern, Mädchen, komm her!«
Rillirin rannte am Rand des Gedränges zu ihr hinüber, zwängte sich mit gemurmelten Entschuldigungen zwischen den Neuankömmlingen hindurch und warf sich in Dallis Arme, wo sie in Tränen ausbrach. »Du lebst, du lebst«, schluchzte sie.
»Du lebst«, erwiderte Dalli, und in ihrer Stimme lag ein Zittern, wie es Rillirin noch nie zuvor gehört hatte. Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete Dallis Gesicht: sonnenverbrannt, sommersprossig, die grünen Augen rot gerändert und so dunkel umschattet, dass es aussah, als hätte ihr jemand gleich zwei blaue Augen verpasst. »Verdammte Scheiße, wie kannst du noch am Leben sein?«, fragte Dalli. »Du bist vom Schiff gefallen.«
»Eine lange und langweilige Geschichte«, antwortete Rillirin, wischte sich die Nase an ihrem Ärmel ab und umklammerte mit der anderen Hand immer noch Dalli, als habe sie Angst, die Wölfin könnte plötzlich wieder verschwinden. »Ich habe es zum Ufer geschafft, Gilda in den Händen der Tänzerin gefunden und …«
»Gilda?«
»Götter, ja, Dalli, Gilda lebt! Sie ist hier, verwundet … aber sie ist auf dem Wege der Genesung. Es geht ihr schon wieder ganz gut. Sie ist auf der Krankenstation. Ich kann dich hinbringen – dich und Lim und Ash und Dom.« Beim letzten Namen wurde ihre Stimme leiser und zugleich höher, sodass das Wort fast wie eine Frage klang und eine Art Flehen.
Dallis Gesicht wurde kalt und düster, wie es Rillirin noch nie gesehen hatte, kälter noch als die Maske, die sie bei der Schlacht aufsetzte. Ein Gesicht, für das es weder Vergebung noch Schwäche gab. Dieses Gesicht wusste nichts vom Licht. »Wir haben keine Ahnung, wo Dom ist. Oder Ash. Sie sind verschwunden, als Rilporin gefallen ist. Und Lim ist tot.«
Jetzt ließ Rillirin die andere Frau doch los. Sie taumelte zurück und schlug die Hände vor den Mund. Ein Brechreiz schnürte ihr die Kehle zu. »Rilporin ist gefallen? Du willst sagen, wir haben verloren?« Ihre Worte waren zu laut und drangen bis zu den nächsten Soldaten der Südtruppe durch. Sie hätten es bald genug selbst zu hören bekommen, aber trotzdem, sie brauchten die offizielle Version, nicht irgendwelchen panischen Tratsch.
Dallis Miene verschloss sich noch weiter. »Ja, wir haben verloren, und ja, Lim ist gestorben, genau wie Tausende andere. Doch das bedeutet nicht, dass alles vorbei ist. Komm, bring mich zu Gilda. Sie sollte vom Schicksal ihrer Söhne erfahren – leiblich, adoptiert oder als Ziehkind aufgenommen –, und zwar von niemand anderem als von mir.« Sie leckte sich ihre rissigen Lippen. »Die Wölfe haben mich zu ihrem Häuptling erwählt.«
Rillirin blinzelte die Tränen weg und brachte ein zittriges Lächeln zustande. »Das freut mich für dich, Dalli, wirklich. Du verdienst es. Ich … zur Krankenstation geht es dort entlang. Du wirst sie schon finden, da bin ich mir sicher.«
»Nein«, sagte Dalli mit Stahl in der Stimme. »Du musst alles hören.«
Ich will aber nicht alles hören. Ich will überhaupt nichts hören! Doch als sich Dalli in die Richtung in Bewegung setzte, in die Rillirin gedeutet hatte, folgte sie ihr, schob sich dann vor die Wölfin und führte sie zu der Priesterin.
Sie war außerstande, sich über das Wiedersehen zu freuen, da sie in Teilen schon wusste, was als Nächstes kommen würde. War Lims Tod irgendwie ebenfalls Doms Schuld gewesen, so wie Gildas Verletzung und wie der Verrat von Rilporin? Sie rieb sich den Bauch, der sich allmählich zu wölben begann und unübersehbar war, wenn sie keine Kleider trug. Als sich Dalli aus ihrer Umarmung gelöst hatte, hatte sich Rillirin sogleich die Bluse zurechtgezupft, um sicherzustellen, dass sie nicht über ihrem Bauch spannte. Sie war sich jetzt schon sicher, dass sie der anderen Frau nichts von dem Baby und davon, wer sein Vater war, erzählen wollte. Nicht jetzt, vielleicht niemals; und wenn das bedeutete, ihre Schwangerschaft verbergen zu müssen, wie lange auch immer die Wölfe in den Forts bleiben würden, dann musste es eben so sein.
Gilda saß steif und trotz ihres Alters und des Tributs, den die Verletzung ihr abverlangt hatte, mit geradem Rücken auf ihrem Stuhl. Ihre Augen waren trocken und ihre Hände fest auf ihrem Schoß gefaltet. Ihre Körperhaltung lud nicht zu herzlicher Berührung ein, sie wollte keine großen Gefühle. »Wie viele?«
Dalli nickte einmal kurz, als wollte sie sagen: Wenn du es so haben willst, kann ich es dir auch so sagen. »Zu viele. Lim eingeschlossen.« Ihr versagte die Stimme, und sie räusperte sich. Sie wandte den Blick nicht ab, auch wenn nun ein Ausdruck der Qual über die Züge der alten Priesterin huschte – nur für einen Moment und dann sogleich wieder vorbei, wie ein kurzer Sommerregen. »Er fiel im Kampf gegen die Mirak, als er sein Volk und die Stadt verteidigte. Es … ist Corvus persönlich gewesen, Gilda. Aber es ist schnell gegangen, und das sage ich nicht nur einfach so.«
Gilda hob den Zeigefinger zum Zeichen, dass Dalli fortfahren sollte, und sie sah Rillirin nicht an, obwohl beiden Frauen deren lautes Aufkeuchen bei der Erwähnung ihres Bruders nicht entgangen sein konnte.
Dallis Augen füllten sich mit Tränen, aber ihre Stimme war jetzt ganz gefasst. »Ein Stich in den Hals und dann … Enthauptung. Er hatte das Amulett bei sich, das er zum Gedenken an Sarilla gefertigt hatte. Hat es die ganze Zeit über mit sich getragen. Sie wird ihn im Licht willkommen geheißen haben.«
»Und sein Vater auch«, murmelte Gilda, und Rillirin zuckte zusammen. Gilda hatte so viele Menschen verloren und gab trotzdem nicht klein bei, trug die Last des Schmerzes ohne Klage. Sie nickte knapp, mit dem Gesichtsausdruck von jemandem, der gerade eine Wunde mit dem Messer reinigt. »Wer noch?«
»Dom ist …«
»Dom ist eine Dunkelseele und hat sein Volk und seine Götter verraten. Er hat versucht, mich zu töten, jedoch vergeblich. Wer noch?«
»Er ist Euer Sohn!«, platzte Rillirin heraus, außerstande, länger an sich zu halten. »Ihr mögt ihn alle hassen, ihr mögt glauben, er hätte, was er getan hat, aus freiem Willen getan, aber ich glaube das nicht. Ich weiß, dass er dazu gezwungen wurde. Ich weiß es einfach. Und ich will wissen, wo er ist, auch wenn Ihr es nicht wissen wollt.«
Dalli sprang von ihrem Stuhl, den Blick auf Rillirins Hände gerichtet, die sie schützend über dem Bauch zusammengelegt hatte. Rillirin errötete und ließ sie sinken. »Er hat dir ein Kind angehängt?« Sie wirbelte zu der Priesterin herum. »Du musst etwas unternehmen, Gilda! Crys ist der Fuchsgott – ja, ich weiß, wie sich das anhört, aber es ist wahr –, und Dom hat ihn an Corvus verraten. Er hat ihn auf Befehl der Mirak gefoltert. Ihn aufgeschnitten, ihn geschlagen, ihm vor aller Augen die Fingernägel herausgerissen. Soldaten haben es ihn tun sehen; sie haben ihm dabei zugeschaut! Welchen Gräuel auch immer er da in sie hineingepflanzt hat – man darf dieses Wesen nicht leben lassen. Er hat uns alle an den Rand der Zerstörung gebracht, und es ist mir ganz egal, ob er anschließend die Dunkle Dame getötet hat, ich werde nicht zulassen, dass ein vom Blut verseuchtes Kind in diese Welt kommt und uns ins Verderben stürzt! Beende die Schwangerschaft, oder ich werde es tun.«
Nichts von dem, was sie sagte, wollte einen Sinn ergeben, gar nichts. Dom hatte Crys gefoltert? Folter? Er hatte die Dunkle Dame getötet? Die Frau, die der neue Häuptling der Wölfe war, schrie sie weiterhin an, aber ihr Gesicht, bleich vor Panik und Wut, verschwamm vor Rillirins Augen zu einem Meer summender schwarzer Punkte, ihre Worte gingen unter Wellen von Gebrüll unter.
Rillirin würgte und stolperte, taumelte gegen den Tisch und wich vor Dallis suchenden Händen zurück, ihre Kehle so zugeschnürt, dass sie nicht einmal Atem holen konnte.
Mit zitterndem Finger zeigte sie auf Gilda. »Ihr habt gesagt … Ihr habt gesagt, es sei unschuldig. Das Kind ist unschuldig. Ich will nicht, dass … Haltet euch von mir fern. Alle beide, bleibt weg von mir!« Ihr Kopf war plötzlich allzu leicht, ihre Glieder dagegen waren schwer und versagten ihr den Dienst. Auf Beinen, die stärker zitterten als die eines neugeborenen Rehkitzes, machte sie zwei Schritte zurück und verlor das Bewusstsein.
Sechster Monat, erstes Jahr der Herrschaft von König CorvusHauptquartier der Südtruppe, Westebene, Grenze zu Krike
General Hadir, Eure Gastfreundschaft ist mit herzlicher Dankbarkeit angenommen«, sagte Make und zuckte angesichts der Förmlichkeit seiner Worte zusammen – eigentlich hatte er den drahtigen alten Soldaten umarmen wollen, bis seine Rippen knackten. Er würde es vielleicht immer noch tun, sobald seine Leute versorgt waren.
»Stets zu Diensten, Fürstgeneral Koridam«, erwiderte Hadir. »Ich gebe freimütig zu, dass ich bei Eurem Erscheinen zunächst geglaubt habe, Ihr wärt der Feind und wir würden nun alle den Tod finden. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, als wir eure Uniformen erkennen konnten. Ich werde Euch natürlich mein Quartier zuweisen lassen. Wie viele Eurer Leute begleiten Euch?«
Aus Makes trockener Kehle löste sich ein bellendes Husten, bevor er antwortete. »Häuptling Dalli von den Wölfen und eine Handvoll tapferer Hauptmänner, die wie gewöhnlich in der Kaserne nächtigen werden.«
Hadir blinzelte verwundert. »Das ist alles?«
Wieder hustete Make, und ein wenig verspätet reichte ihm der General nun einen Becher von seinem Schreibtisch. Sein Büro war klein, sauber und ordentlich, ganz ähnlich wie sein Besitzer, und Make kam sich mittendrin wie ein zerlumpter Bettler vor.
»Ja, das ist alles. Mein Vater ist tot, genauso Oberst Yarrow. Oberst Edris ist mit einer kleinen Kompanie nach Osten marschiert, nach Listre, um Tresh davon in Kenntnis zu setzen, dass er jetzt unser König ist, und um eine Armee auszuheben, mit der Tresh seinen Thron und sein Land zurückerobern soll. Auch wenn er nur ein entfernter Verwandter ist und ich nicht glaube, dass er Rilpor jemals besucht hat, ist Tresh zumindest der legitime Thronerbe und der Beste, den wir haben. Der Rest meiner Offiziere und meiner Armee wurde gefangen genommen oder muss als tot gelten.« Das Wasser in dem Becher konnte nicht verhindern, dass seine Stimme bei den letzten Worten heiser wurde.
»Götter«, murmelte Hadir. »Mein herzliches Beileid, Herr. Kennt Ihr die Zahl der Männer und Frauen, die Ihr mitgebracht habt?«
Schreie hallten in Makes Ohren wider. So viele Verluste. »Es sind fast zweitausend Soldaten und Wölfe, die Ruhe und Heilung brauchen, auch wenn die Schwerverletzten zurückgelassen wurden oder unterwegs gestorben sind. Dazu fast viertausend Zivilisten. Ich weiß, dass die Versorgung ein Problem darstellen wird, aber ich wollte sie nicht den Mirak überlassen.«
Hadir nickte nur, eine Falte zwischen den Brauen, während er zweifellos die Menge an Vorräten überschlug, die sie in den Lagerhäusern hatten, und dann die Zahl der Münder, die sie würden füttern müssen, dagegenhielt.
»Wir haben uns auf den Tränen eingeschifft und es so aussehen lassen, als würden wir Listre ansteuern, dann haben wir die Boote weiterfahren lassen und sind umgekehrt, haben den Weg durch den großen Wald genommen. Oberst Dorcas und Major Vaunt führten eine andere, etwas kleinere Gruppe an. Sie wollten sich durch das Königstor schlagen und zu uns stoßen. Sie sind nie aufgetaucht.«
Es folgte ein langes Schweigen, und Make gewann den Eindruck, dass Hadir ihm Zeit geben wollte, sich zu sammeln. Er machte das Beste daraus, schloss die Augen, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und spürte, wie die Anspannung ein wenig aus seinen Schultern wich – zum ersten Mal seit ihrer Flucht. Nein, seit dieses ganze gottverdammte Schlamassel von einem Krieg begonnen hatte.
»Wir werden bei Einbruch der Abenddämmerung eine große Ratssitzung abhalten, General«, sagte er schließlich und konzentrierte sich wieder auf Hadir. »Euer gesamter Stab plus jene von meinen Leuten, die in den letzten Wochen eine größere Verantwortung übernommen haben. Bis dahin gebe ich Euch schon einmal die schnelle, schlimme Kurzfassung. Lasst die ganze Truppe die Neuigkeiten wissen – wir sind weit über das Stadium hinaus, in dem wir noch Geheimnisse vor den Männern hatten, die das Kämpfen zu erledigen haben.«
Hadir nickte, füllte ihre Becher erneut mit Wasser und begann, sich Notizen zu machen.
Make hatte nicht geschlafen. Er hatte nicht einmal die Augen geschlossen, sondern auf den Aufruhr gewartet, der sich erheben würde, sobald der Rest der Südtruppe erfuhr, was in Rilporin geschehen war. Was er hatte geschehen lassen.
Der Aufruhr war ausgeblieben. Natürlich, es hatte Lärm und Enttäuschung gegeben und die Großsprecherei von Männern, die sich damit gebrüstet hatten, was wohl geschehen wäre, wenn sie selbst vor Ort gewesen wären, aber dann hatten Makes überlebende Soldaten diese Männer angesehen, hatten sie einfach nur angesehen, aus Augen, in denen sich das ganze Grauen und das Gemetzel, an dem sie beteiligt gewesen waren, widergespiegelt hatten, und dann war rasch Schluss mit dem Geprahle gewesen. Make war darauf vorbereitet gewesen, Raufereien schlichten zu müssen, doch das hier war viel beängstigender. Und viel wirksamer.
Trotzdem, das schmerzhafte Gefühl des Scheiterns war gegenwärtig, selbst noch jetzt, Tage, nachdem sie Rilporin aufgegeben hatten. Er saß starr und schweigend da, während sich der Ratssaal nach und nach füllte. Die Tatsache, dass Dalli den Platz neben ihm eingenommen und unter dem Tisch verstohlen sein Knie gedrückt hatte, erfüllte ihn mit einer geradezu lächerlichen Dankbarkeit. Er hatte einen Moment gebraucht, um Gilda zu erkennen und – wie hieß sie noch gleich? – Rillirin, Corvus’ Schwester, und dann noch einen weiteren Moment, um sich zu fragen, warum die beiden wohl so weit wie nur möglich von Dalli entfernt saßen. Ein Blick auf den verkniffenen Mund seiner Geliebten genügte, dass er beschloss, lieber nicht zu fragen.
»Ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid. Für jene von euch, die mit mir hermarschiert sind, hoffe ich, dass ihr hinter den Mauern der Forts der Südtruppe ein wenig Ruhe und Erholung finden werdet. Und ihr Offiziere der Südtruppe, lasst mich offen sprechen: Die Wölfe und die Zivilisten in diesem Rat sind Leute, denen ich vertraue, Leute, die zusammen mit mir die Evakuierung organisiert und angeführt haben. Sie mögen keine hohen Ämter bekleiden, aber sie haben genauso das Recht, hier zu sein, wie ihr. Ich weiß, ihr werdet sie behandeln, wie ihr jeden Offizier behandeln würdet. Hallos, der königliche Leibarzt, ist mit uns gekommen, hat jedoch mein Angebot einer Teilnahme an dieser Ratssitzung abgelehnt, weil er lieber jene behandeln wollte, die noch immer an den Wunden von der Belagerung leiden. Auch wenn er nicht hier anwesend ist, betrachte ich ihn als ein Mitglied meines Stabes. Was die Hohepriesterin Gilda und König Corvus’ Schwester Rillirin betrifft, so bin ich froh zu sehen, dass ihr beide noch lebt, und ich kann es kaum erwarten zu hören, wie es euch seit unserer letzten Begegnung ergangen ist.« Gilda wirkte müde und gequält und unternahm auch keinerlei Versuche, es zu verbergen. »Häuptling Lim, Euer Sohn, war ein großer Mann, Hohepriesterin, und er hat sein Volk ehrenvoll und tapfer geführt. Ich trauere mit Euch um diesen Verlust.«
»Vielen Dank, Fürstgeneral, das ist überaus freundlich. Vor allem da wir beide wissen, wie eigensinnig er sein konnte. Aber ich weiß Eure Worte sehr zu schätzen.«
Hadir klopfte mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Fürstgeneral Koridam, es soll so sein, wie Ihr sagt. Diese Leute haben mehr Krieg und Blutvergießen erlebt als viele meiner eigenen Männer. Man wird sie entsprechend behandeln. Und wenn ich Euch vorstellen darf: Das hier sind Oberst Jarl von Fort zwei, Oberst Osric von drei und Oberst Thatcher von vier. Wir hielten es für das Beste, gleich den gesamten Stab in diese Ratssitzung einzubeziehen, damit es keine Verwirrungen gibt.«
Make nickte den drei Männern der Reihe nach zu. »Es ist mir ein Vergnügen, euch alle kennenzulernen. Lasst mich euch als Erstes für eure Gastfreundschaft danken. Wir bringen Scharen von Menschen in diese Forts, für die diese nie vorgesehen waren. Sowohl meine Soldaten als auch die Zivilisten brauchen Zeit, Ruhe und Nahrung, um sich von der Belagerung und der Reise hierher zu erholen. Um nichts zu beschönigen, General – Ihr und Eure Truppe seid während der nächsten paar Wochen alles, was noch zwischen Rilpor und der Katastrophe steht, bis wir Übrigen wieder auf die Beine gekommen sind und eine landesweite Offensive organisiert haben, um der Bedrohung durch die Mirak ein für alle Mal ein Ende zu setzen.«
Hadir nickte kurz und heftig.
Make legte beide Hände auf den Tisch. »Ich will mich ganz klar ausdrücken: Diese Sache ist noch nicht vorüber, noch lange nicht. Wir haben ihnen übel zugesetzt und sie uns, ja. Unser König und unser ehemaliger Oberbefehlshaber der Truppen sind tot, ebenso wie viele, wenn nicht gar die meisten unserer ranghohen Offiziere, aber die andere Seite hat niemand Geringeren als die Dunkle Dame selbst verloren.« Fragt mich nur nicht, woher ich das weiß oder wer den tödlichen Schlag geführt hat – und warum.
»Diese Behauptung ist unglaublich, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet, Fürstgeneral«, erwiderte Hadir. »Wir sind alle getreue Anhänger der Götter des Lichtes, aber die Behauptung, einer der Roten Götter sei tot …«
»Dom hat es getan. Der Calestar der Wölfe«, mischte sich Rillirin ein. »Vergebt mir, wenn ich einfach so das Wort ergreife und meine Worte vielleicht unpassend klingen; ich weiß, ich war nicht dabei, aber ich habe mit mehreren der Augenzeugen gesprochen, meine Herren. Dom hat sich von den Mirak gefangen nehmen lassen und … und er hat ihnen gewisse Informationen geliefert, um das Vertrauen von Corvus und der Gesegneten zu gewinnen, und dann gibt es da Gerüchte, nach denen er Rivil in einem Kampf auf Leben und Tod getötet haben soll. Als dann später die Dunkle Dame in Rilporin erschienen ist, hat er auch sie getötet. Nun ja, er hat sie niedergestochen, sodass der Fuchsgott sie töten konnte.«
Aller Augen richteten sich auf Rillirin, und sie errötete unter den musternden Blicken, reckte aber trotzig das Kinn. Es wäre eigentlich nicht an ihr gewesen, diese Geschichte zu erzählen, und sie hatte ihr auch einen Beiklang verliehen, der Make nicht gefallen würde, doch das waren zweifellos die Tatsachen, so wie er sie zu verstehen hatte.
»Nun gut, mag er Rivil getötet haben, und da hat er auch gute Arbeit geleistet, aber warum ist die Dunkle Dame denn überhaupt dort gewesen?«, fragte Dalli aufgebracht und sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl umkippte. »Weil dein ach so wertvoller Dom Crys gefoltert hat! Folter, auf Befehl der Mirak. Versuch nicht, ihn zum Helden dieser Geschichte zu machen. Er hat nichts anderes getan, als uns auf Schritt und Tritt zu verraten und dadurch den Tod von Tausenden zu verschulden. Er hat sich dem Blut zugewandt, und jetzt sagst du, wir sollen ihm auch noch dafür danken!«
Rillirin erhob sich ebenfalls und schüttelte Gildas Hand ab, als diese sie festhalten wollte. »Du weißt ja gar nicht, wovon du redest«, begann sie, und Dalli traten die Augen aus den Höhlen.
»Ich weiß nicht, wovon ich rede?«, tobte sie. »Du hast gerade selbst gesagt, dass du gar nicht dabei warst! Nun, ich war dort, und ich habe gesehen, was passiert ist. Du meinst, du kennst Dom, weil du mit ihm geschlafen hast, weil du seinen giftigen Samen in dir trägst? Du weißt nicht das Geringste über ihn, über irgendeinen von uns. Du bist zehn Jahre lang eine Sklavin der Mirak gewesen, dein Bruder ist ihr gottverdammter König – natürlich verzeihst du Dom, dass er selbst ein Mirak geworden ist, es rechtfertigt deine eigene Schwäche, deinen eigenen Verrat! Vielleicht sollten wir lieber nach deinem Glauben fragen, statt dir zu erlauben, hier mit uns in der Ratsversammlung zu sitzen.«
»Genug.« Make ließ beide Fäuste so heftig auf den Tisch krachen, dass die Becher klapperten und Rillirin die Worte wegblieben, die sie gerade hatte herausschreien wollen. »Hinsetzen oder raus hier!« Dalli warf Rillirin einen triumphierenden Blick zu. »Alle beide.«
Dalli starrte Make mit offenem Mund an, und ihr Gesichtsausdruck war vernichtend. Er hielt ihrem Blick stand, bis sie klein beigab. Mit einer Langsamkeit, in der das Versprechen lag, dass die Sache noch nicht erledigt sei, hob sie ihren Stuhl wieder auf und setzte sich hin. Gilda zerrte an Rillirins Arm und zog auch sie auf ihren Platz zurück.
»General, Obersten, vergebt mir«, sprach Make weiter. »Die Wunden von der Belagerung sind bei vielen von uns noch allzu frisch. Aber lasst mich fortfahren – das hier ist schließlich ein Kriegsrat. Wir beschränken uns auf die Tatsachen und auf den Plan für unseren Sieg. Wenn ihr über Treuepflichten streiten wollt, tut es anderswo. Meine eigenen Gefühle Dom Templesons Taten betreffend sind gemischt, aber niemand kann leugnen, dass die Dunkle Dame ohne seine Hilfe nicht vernichtet worden wäre. Wir können den Verrat, den er zuvor begangen hat, nicht ändern, und ich erwarte nicht, dass jene letzte Tat diejenigen unter euch, die an Ort und Stelle waren, dazu veranlasst, ihm zu vergeben; ich selbst habe das jedenfalls sicher nicht getan. Doch er ist jetzt nicht hier, und vermutlich ist er auch nicht mehr von Bedeutung. Bedeutsam aber ist, was wir als Nächstes tun.«
Das Schweigen ringsum war geschwängert von Argwohn und um sich greifender Verlegenheit. Make fand Dallis Bein unter dem Tisch, und sie zog es geflissentlich unter seiner Hand weg.
»Die … Damen haben aber einen durchaus gewichtigen Punkt vorgebracht«, unterstrich Oberst Thatcher. »Könnte mir bitte irgendjemand diese Information über den Fuchsgott erklären und verdeutlichen, wie sie mit Major Tailorson in Verbindung steht?« Rillirin und Dalli starrten einander erneut böse an. »Und vielleicht könnte die Hohepriesterin, als die Autorität in solchen Belangen, uns sagen, was sie selbst von alledem hält?«
»Hauptmann Kennett hier ist vielleicht am besten in der Lage, diese Frage zu beantworten«, antwortete Make und streckte deutend die Hand aus. Kennett errötete unter den allgemeinen Blicken und setzte sich etwas aufrechter. »Berichtet dem Rat, was Ihr wisst, Hauptmann.«
»Ja, Fürstgeneral. Ich habe mit Crys Tailorson gedient, damals vor dem Krieg, als er Hauptmann war, und dann wieder während der Belagerung, als man ihn zum Major befördert hatte. Ein großer Anführer, meine Herren, hoch begabt und mutig. Er hatte das Kommando über die Südmauer inne. Er fand seinen, äh« – Kennett brach ab, leckte sich die Lippen und warf Make, der einen völlig neutralen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, einen verzweifelten Blick zu –, »seinen Freund tot auf, mit einem Speer an eine Tür genagelt. Er verstand das als eine bewusste Provokation von Lord Galtas Morellis, mit dem er in Fehde lag und der heimlich in die Stadt eingedrungen war. Morellis war Prinz Rivils Mitverschwörer.«
»Schleimiger, einäugiger Drecksack«, murmelte Jarl. »Crys Tailorson wäre nicht der erste Soldat, den er provoziert hat.«
»Wie dem auch sei, er hat seinen Freund gefunden, und nun, ich meine, ich war selbst dabei, aber es ist schwer zu erklären. Er hat gebrüllt, er werde tun, was immer nötig sei, um Ash von den Toten zurückzuholen, und er hat schreiend die Tänzerin angerufen, weil sie zugelassen hatte, dass er starb, und dann … nun, sein Schreien hat alles Glas im ganzen Bezirk zerspringen und die Steinplatten unter seinen Füßen bersten lassen. Für einen Moment ist eine Art silbernes Licht aus ihm geströmt, strahlender als die Sonne, und dann war Ash plötzlich nicht mehr tot, und Crys – ich meine, Major Tailorson – war der Fuchsgott.« Kennett brach ab und wischte sich Schweiß von der Oberlippe. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck eines Mannes, der glaubt, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, der jedoch entschlossen ist, die Sache bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Das Schweigen ringsum war geladen mit Skepsis.
»Ich bin ebenfalls dort gewesen«, kam ihm Dalli zu Hilfe, und Make stieß ein lautloses Schnauben der Erleichterung aus. »Wir dachten, es wäre euch lieber, die Sache zuerst von einem Soldaten zu hören, aber ich bin selbst dabei gewesen, und alles, was der Hauptmann gesagt hat, ist wahr. Ich habe Ash gefunden, und ich erkenne einen Leichnam, wenn ich einen sehe. Er war tot, und dann war er nicht mehr tot, und das hat Crys vollbracht. Er hat auch noch andere Dinge geleistet, danach, während der Belagerung. Er hat fast ganz allein und die ganze Nacht hindurch die Bresche gehalten und Soldaten um sich geschart, die drauf und dran waren aufzugeben, und ihnen neuen Kampfesmut verliehen. Er hat die Dunkle Dame getötet, nachdem Dom sie verletzt hatte.« Ihre Stimme war wieder gefasst, und sie stieß ihren Schenkel gegen den Makes als Geste der Entschuldigung. »Er hat auch gegen Gosfath gekämpft. Crys ist der Fuchsgott, der gekommen ist, um uns zu helfen.«
Osric stieß ein Schnauben aus, das nach Hohn klang. »Und wo ist dieser sogenannte Gott jetzt?«, fragte er.
Das ist leider eine gute Frage.
»Das wissen wir nicht«, gestand Make. »Er ist während des Rückzugs verschwunden.«
»Der Fuchsgott lebt, und er lebt in Crys.« In Gildas Stimme lag all die ruhige Gewissheit einer Frau, die ihr Leben lang unter mächtigen Menschen die maßgebliche Stimme war. »Ich habe das Erwachen des Gottes noch von hier aus gespürt. Er wird zurückkehren, wenn wir ihn brauchen.«
»Wie praktisch«, murmelte Osric halblaut, jedoch nicht leise genug.
»Ihr habt etwas zu sagen?«, blaffte Dalli, deren Temperament wieder mit ihr durchzugehen drohte. »Denn während Ihr hier mit Eurem Schwanz in der Hand dagesessen habt, hat der Rest von uns gekämpft und ist gestorben. Warum geht Ihr nicht einfach …«
»Genug, Häuptling«, unterbrach Make sie, und dass er sie bei ihrem neuen Titel nannte, reichte gerade eben aus, um sie halbwegs zu beruhigen. Götter, er liebte ihr Feuer, aber manchmal könnte er sie erwürgen. »Mein Vater hat den drei Tausendschaften der Südtruppe befohlen hierzubleiben, und diese Entscheidung war die richtige.«
Jarl räusperte sich. »Der Feind wird seine Herrschaft zu festigen versuchen, nicht nur über Rilporin, sondern über das ganze Land, und wie die Dinge liegen, haben wir nicht genug Soldaten, um es aus seiner Gewalt zu befreien. Was sind unsere nächsten Schritte?«
Make warf ihm einen dankbaren Blick zu. »Ihr wisst, dass Oberst Edris nach Listre marschiert ist, um König Tresh für unsere Sache zu gewinnen und eine Armee aufzustellen; wir hoffen und erwarten, dass wir binnen weniger Wochen von ihm hören. Bis dahin müssen wir unsere Spione in die großen Städte einschleusen und Informationen über die Bewegungen und Absichten des Feindes sammeln. Wenn wir ein wenig Glück haben, bringen die Mirak nicht in Erfahrung, dass wir umgekehrt sind, und glauben, wir wären in Listre, aber sendet weiter Späher aus, um die Wege hierher zu überwachen, wie ihr es auch bisher schon getan habt. Wenn unsere Anwesenheit hier tatsächlich unbemerkt bleibt, dann können wir, sobald wir die Nachricht erhalten haben, dass Tresh an der Spitze einer Armee zu uns gezogen kommt, von hier ausschwärmen wie Ameisen, die Bastarde in die Zange nehmen und ihnen ein für alle Mal den Garaus machen.«
»Und wie viele Kämpfer haben die Mirak?«, fragte Oberst Jarl.
»Ich habe da keine konkrete Vorstellung«, antwortete Make. »Gegen Ende der Belagerung haben wir in den Straßen Mann gegen Mann gekämpft. Davor sah es so aus, als hätten sie etwa sechstausend, vielleicht mehr. Jedenfalls sind es mehr als wir.« Er holte tief Luft. »Wir brauchen mehr Soldaten, und auch wenn ich es Edris durchaus zutraue, es zu König Tresh zu schaffen und eine Armee auszuheben, bin ich doch nicht bereit, das Land und seine Bewohner aufs Spiel zu setzen, solange ich keine absolute Gewissheit habe. Daher beabsichtige ich, Gesandte zum Kriegsfürsten von Krike zu schicken und mit ihm ein Hilfsabkommen auszuhandeln. Ich hege die Hoffnung, dass Tresh mir mein eigenmächtiges Handeln verzeihen wird, schließlich ist das Überleben Rilpors nun mal wichtiger als irgendwelche Linien auf einer Karte. Im Ausgang von dieser Überlegung plane ich, den Krikern anzubieten …«
»Verzeiht mir die Unterbrechung, Fürstgeneral«, schaltete sich General Hadir ein, »aber das kommt nicht in Betracht. Fürstgeneral Koridam, ich meine damit Euren Vater, Fürstgeneral Durdil Koridam, hat, als er unsere beiden Tausendschaften als Verstärkungstruppen für Rilporin angefordert hat, mich außerdem gebeten, die Aussichten auf Hilfe aus Krike auszuloten. Der dortige Kriegsfürst war … alles andere als entgegenkommend.«
»Er hat gesagt, er freue sich darauf, dass unsere Streitmächte einander auslöschen, sodass die Kriker ihr Gebiet nach Norden bis nach Rilpor hinein ausdehnen können«, ergänzte Jarl mit ätzender Stimme.
»Wenn sie schon nicht bereit gewesen sind, uns mit Soldaten zu versorgen, als wir, ähm, gewonnen haben, Fürstgeneral, halte ich es für unwahrscheinlich, dass sie das jetzt tun, nachdem wir einen Rückschlag erlitten haben«, fügte Hadir in rechtfertigendem Tonfall hinzu.
Einen Rückschlag erlitten. Zumindest fasst er meine vernichtende Niederlage in taktvolle Worte.
»Das sind nicht die Neuigkeiten, die ich zu hören gehofft hatte, meine Herren. Und es gibt wirklich keine Möglichkeit, dass wir uns noch einmal mit einem Angebot an sie wenden könnten – sagen wir, sie bekommen als Gegenleistung für ihre Hilfe die Hälfte der Westebene?«
»Der Kriegsfürst und seine Hexe, die Mutter Seherin, haben gedroht, sämtliche Gesandten zu töten, die ihnen über den Weg laufen, ganz gleich, ob sie die weiße Flagge tragen oder nicht, Fürstgeneral. Wenn in Krike einmal eine Entscheidung getroffen wird, ist sie auch getroffen.«
»Verdammt«, fluchte Make. »Also warten wir auf Listre und beten, dass König Tresh auch wirklich begierig darauf ist, sein Königreich zu beanspruchen.«
»Bildet die Zivilisten im Kampf aus«, schlug Oberst Thatcher vor. Aller Augen richteten sich auf ihn. »Ich bin ein Mann aus dem einfachen Volk, Herr, in der Truppe aufgestiegen bis zu meinem jetzigen Posten. Habe immer schon davon geträumt, Soldat zu werden. Unsere Zivilisten hier haben eine Belagerung durchgestanden, sie haben Tod und Zerstörung gesehen und waren außerstande, das Unheil zu verhindern. Gebt ihnen jetzt Waffen in die Hände, lasst sie von einfachen Leuten wie mir ausbilden, und ihr werdet sehen, wie viel Schneid sie haben – wenn sie nicht nur die Möglichkeit haben, sich zur Wehr zu setzen, sondern auch die dazu erforderlichen Fähigkeiten. Wir brauchen dringend Streitkräfte – diese Leute sind womöglich alles, was wir bekommen können. Am besten, wir fangen gleich damit an, mit ihnen zu arbeiten …«
»Und auch mit den Frauen«, warf Dalli ein, bevor irgendjemand sonst das Wort ergreifen konnte. »Ich bin Häuptling meines Volkes, und wir wissen, wie wichtig es ist, Krieger zu rekrutieren, ganz gleich, welchen Geschlechts. Unter diesen Zivilisten werden Frauen sein, die jeden Tag der Belagerung damit verbracht haben, darauf zu warten, vergewaltigt und getötet zu werden, ob von ihren eigenen Leuten oder vom Feind. Denn so ist der Krieg. Sagt ihnen, dass sie sich werden schützen können, und sie werden sich auf diese Möglichkeit stürzen. Ich habe auf der Reise hierher selbst mit Dutzenden von ihnen gesprochen. Gebt ihnen die Chance, Fürstgeneral. Sie werden Euch nicht enttäuschen.«
»Ich bin einverstanden«, antwortete er. »Wir kämpfen hier nicht nur um unser Leben, sondern auch um unsere Art zu leben, für unsere Kinder und deren Kinder. Wir kämpfen für Freiheit und für das Licht. Ich werde niemandem, der an meiner Seite stehen will, Ausbildung und Waffen verweigern.«
»Ihr hattet doch diese Frau, diesen weiblichen Hauptmann, oder?«, murmelte Osric.
»Majorin Carter, ja«, bestätigte Make mit ausdrucksloser Stimme. »Worauf wollt Ihr hinaus?« Indes schien es, dass Osric auf überhaupt nichts Bestimmtes hinauswollte. »Gut. General Hadir, ich will, dass Eure ausgeruhten drei Tausendschaften auf Patrouille gehen. Ich will, dass sie Rilporin ausspähen, um festzustellen, was Corvus im Schilde führt, und ich will, dass sie Eibenhain aufsuchen und Kiefernschleuse und Schindel ebenfalls, sofern die Brücke über den Gil intakt ist. Vielleicht sogar Segelstadt, wenn die Straßen frei von Mirak sind und Ihr Männer habt, die bereit sind, sich in feindliches Territorium zu wagen. Lasst die Zivilisten sehen, dass Ihr lebt und die Hoffnung nicht aufgegeben habt und dass Ihr auch diese Menschen nicht aufgegeben habt. Sagt ihnen, Hilfe sei auf dem Weg, doch macht keine genauen Angaben darüber, woher sie kommt. Tragt ihnen auf, am Leben zu bleiben. Und, um der Liebe zur Tänzerin willen, kauft so viele Vorräte, wie Ihr könnt, sonst werden wir alle verhungern. Aber«, Make hob den Zeigefinger, um seine Worte zu unterstreichen, »niemand – und ich meine, nicht ein einziger Soldat – darf irgendjemandem gegenüber die Anwesenheit von Leuten aus Rilporin hier in diesen Forts verraten. Je länger Corvus glaubt, wir seien in Listre, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er uns in Ruhe lässt, sodass wir unsere nächsten Schritte planen können. Wenn er erfährt, dass wir hier sind … nun, sagen wir einfach, ich für meinen Teil habe genug davon, belagert zu werden.«
»Und wir sind uns auch sicher, dass er glaubt, dass Ihr in Listre seid?«, hakte Jarl nach.
»Nein«, erwiderte Make, »aber wir sollten ihm keinen handfesten Beweis auf dem Silbertablett servieren, nicht wahr? Doch jetzt lasst erst einmal in den Forts die Kunde verbreiten, dass wir Freiwillige zum Aufbau einer Miliz suchen und dass auch Frauen sich melden dürfen. In einer Woche wollen wir damit anfangen, sie militärisch auszubilden. Bis dahin sollen sie sich ausruhen und zu essen bekommen. Und das gilt für uns alle – so lange liegt unsere Sicherheit in Euren Händen.«
»Verstanden«, sagte Hadir. »In Ordnung, zeigen wir Fürstgeneral Koridam, aus welchem Holz die Südtruppe geschnitzt ist.«
Siebter Monat, erstes Jahr der Herrschaft von König CorvusGrüngrat, südliches Krike
Zwei aus ihrer Dreiergruppe erwachten schreiend – wieder einmal.
Als Crys um sich schlagend aus dem Albtraum hochgeschreckt war und sich mit schweißnass an seinem Rücken klebendem Hemd aufgesetzt hatte, schürte Ash schon das Feuer, und der ausgemergelte Calestar kauerte daneben, wiegte sich hin und her. Doms Albträume waren eine Folge seiner Ermordung der Dunklen Dame. Diejenigen von Crys resultierten daraus, dass Dom beinahe ihn getötet hätte.
»Morgen«, krächzte Crys, rieb sich den Schweiß vom Gesicht und griff nach dem Trinkschlauch. Ash hielt seine Hand fest und hauchte einen Kuss auf die Knöchel. Keiner von beiden sah Dom an. Auch wenn der Fuchsgott darauf beharrt hatte, dass Dom sie begleitete, bekam Crys jedes Mal eine Gänsehaut, wenn sich der Wolf ihm näherte.
Das wird vergehen.
Crys gab ein Grunzen von sich und trank. All die Wochen, in denen sie davongerannt waren und sich sowohl vor den Mirak als auch vor ihren eigenen Leuten versteckt hatten, um sich über die Grenze nach Krike durchzuschlagen, hatten seine Stimmung nicht gerade verbessert, aber jetzt waren sie zumindest hier und in Sicherheit. Es sei denn, die Kriker beschlossen, sie umzubringen. Ein Bogenschütze, ein Gott und ein einarmiger Wahnsinniger wandern nach Krike hinein … der schlechteste Scherz aller Zeiten.
Sie stocherten in den Überresten der Mahlzeit vom vergangenen Abend herum, schulterten dann ihre Waffen und die Decken, die sie aus dem brennenden Rilporin mitgenommen hatten, und setzten sich in Bewegung. Dom schwieg. Dom schwieg immer, und so gefiel es Crys. Er und Ash hielten stets einige Schritte Abstand zu ihm, nicht willens zu verzeihen – und außerstande zu vergessen –, was er getan hatte.
Nicht alle Entscheidungen sind seine eigenen gewesen. Nicht jeder Verrat geschah aus freien Stücken.
Und du hast nicht alles fühlen müssen, was er mir angetan hat, Füchslein, konterte Crys. Aber ich habe es gefühlt. Alles. Ich habe ihm in die Augen geschaut und Freude darin gesehen.
Ich habe in seine Seele geschaut und Verzweiflung darin gesehen, erwiderte der Fuchsgott. Crys redete sich ein, dass ihm das vollkommen gleich war.
»Also, dieser Kriegsfürst«, nahm Ash den Faden des Gesprächs wieder auf, das sie während der letzten paar Tage geführt hatten – vielleicht in Reaktion auf den entrückten Ausdruck, den Crys’ Gesicht stets annahm, wenn der Große Gauner zu ihm sprach. »Er herrscht über ganz Krike?«
»Mehr oder weniger. Er ist der militärische und weltliche Arm der Regierung. Dann haben sie noch einen Seher – die Mutter Seherin oder den Vater Seher, je nachdem, wer gewählt wird –, der die Priesterschaft anführt und in jenen Streitigkeiten den Schiedsspruch fällt, welche die Priester vor Ort nicht zu schlichten vermögen. Als ich in der Südtruppe gedient habe, war der Kriegsfürst Brid Fuchstraum, und das Amt des Sehers hatte eine Frau inne.«
»Fuchs?«, hakte Ash nach.
»Kein Verwandter«, antwortete Crys und musste grinsen. Der Themenwechsel wehte auch die letzten Stäubchen von unschönen Erinnerungen und Albträumen fort. »Doch sie sind diesbezüglich ziemlich eigen. Sie haben da irgend so ein Ritual, das die Priesterschaft, glaube ich, einmal im Jahr durchführt, bei dem sie Kinder eines gewissen Alters auf eine Art spirituelle Reise schicken, wo sie sich dann einem … Geschöpf gegenübergestellt finden, mit dem sie eine besondere Übereinstimmung verbindet.«
»Lächerlich«, schnaubte Ash. »Mein Tier wäre natürlich ein majestätischer Wolf mit einem silbernen Fell und einem erhabenen Gesichtsausdruck.«
»Wohl eher ein von Flöhen zerbissener Dachs«, zog Crys ihn auf. »Aber vielleicht werden wir es ja herausfinden, wenn wir diese Seherin kennenlernen.«
»Reiter«, sagte Dom und streckte deutend die Hand aus.
Ashs Finger flogen zu seinem Bogen, und Crys griff nach der Axt, die er aus Rilporin mitgenommen hatte. Nicht gerade seine bevorzugte Waffe, aber sie war alles, was er hatte. Dom umklammerte nur den Stumpf seines Arms – die Hand war von ebendieser Axt abgetrennt worden – und beobachtete, wie die Reiter näher kamen. Der Fuchsgott rumorte, gebot Wachsamkeit, ohne echte Gefahr anzukündigen.
Die kleine Gruppe galoppierte herbei, umzingelte sie und richtete Speere auf ihre Oberkörper. Ashs Hand zuckte erneut Richtung Waffe, aber dann trat Crys vor. »Seid mir gegrüßt, Krieger. Möge der Fuchsgott sein Licht über euch leuchten lassen und die Tänzerin euch mit Überfluss segnen.« Er ließ seine Axt ins Gras fallen und hob beide Hände. Die Hemdsärmel rutschten herunter und ließen die Narben auf seinen Unterarmen sichtbar werden. »Ihr habt sicherlich vom Krieg in Rilpor gehört, vom Einfall der Mirak und ihrer Roten Götter? Wir sind hier, um uns zu erkundigen, ob ihr nicht an unserer Seite – für eure Götter – kämpfen wollt, um die Heiden zurückzuschlagen? Könnten wir vielleicht mit dem Häuptling eures Clans sprechen?«
»Ich bin Cutta Froschtraum«, meldete sich eine Frau zu Wort. »Ich bin die Kriegsherrin von Grüngrat und Clanshäuptling. Wir wissen um eure Probleme, Rilpori, aber es sind nicht unsere Probleme. Wir haben euren Gesandten bereits unsere Antwort erteilt und versprochen, das Blut aller zu vergießen, die nach ihnen kommen.«
»Nun, das ist unangenehm«, murmelte Ash. »Das hier ist kein normaler Gesandter«, rief er, reckte den Zeigefinger und stach Crys damit beinahe ein Auge aus. »Das hier ist der Fuchsgott persönlich, der Große Gauner im Leib eines Sterblichen. Er hat gegen die Dunkle Dame der Mirak gekämpft – und sie getötet! Er hat mich von den Toten zurückgeholt! Er hat Tausende verletzter Soldaten und Zivilisten geheilt! Ihr schuldet ihm eure Gefolgschaft.«
Crys wartete auf Gelächter, gefolgt von ihren Speeren. Beides blieb aus.
»Der Zweiäugige Mann«, flüsterte jemand. »Die alten Geschichten …«
»Ihr wagt da eine kühne Behauptung hinsichtlich Eures Freundes, Wolf«, antwortete die Kriegsherrin. »Ja, wir können Euch ansehen, welchem Clan Ihr entstammt. Eine kühne Behauptung und eine, die euer aller Tod sein wird, falls sie sich als unwahr erweist. Ihr haltet uns für barbarische Wilde und unseren Glauben für kindisch, aber Ihr irrt euch. Wenn Ihr meint, Ihr könntet uns überlisten, wird das der letzte Gedanke sein, den Ihr jemals gehegt habt.«
»Schönen Dank auch, Ash«, murmelte Crys, als die Kriker ihre Pferde wendeten und sie zungenschnalzend in Trab setzten, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, die drei Männer in ihrer Mitte.
»Wenn schon, dann können wir auch gleich zur Sache kommen«, erwiderte Ash mit einem gepressten Lächeln. »Du hast schließlich nie behauptet, dass das Ganze ein Spaziergang werden würde. Aber ich würde ganz gern weiterleben, wenn es dir nichts weiter ausmacht.«
»Würden wir wohl alle gern«, murmelte Crys. »Dann komm, Füchslein. Ganz locker.«
Es war nicht gerade eine Privataudienz bei der Kriegsherrin und ihren Priestern, aber dem Fuchsgott schien es nichts auszumachen. Crys stand auf einem grasbewachsenen Platz in der Mitte der Stadt, wo ein einzelner Steinfinger, doppelt so groß wie Crys, aufgerichtet worden war. Etwas an der Form des Felsklotzes, seine schiere Präsenz, wie er da vor dem schwarzen Hintergrund des Himmels aufragte, schien Crys an irgendetwas erinnern zu wollen. Bevor jemand das Wort ergreifen konnte – und es sah so aus, als sei die ganze Stadt herbeigerufen worden, um Zeuge zu sein –, hatte sich Crys bereits unwillkürlich auf den Weg zum Stein gemacht. Während er durch das Gras darauf zustrich, huschten ihm Ziegen und Hühner aus dem Weg. In seinem Inneren grinste es erwartungsvoll aus scharfen Zähnen.
»Das also ist der Ort, wo ihr hingeht, um mit euren Priestern seelenzuträumen«, sagte er mit laut über die Wiese hallender Stimme.
»Er ist es gewesen, ja«, antwortete Cutta Froschtraum, und Crys runzelte die Stirn. »Jetzt geschieht alles Seelenträumen in Sehershöhe, unserer Hauptstadt, und wird von der Mutter Seherin persönlich erledigt.«
»Ihr seelenträumt nicht ohne sie?«, rief Crys verwundert. »Warum nicht?«
»Es wird nicht mehr gemacht«, antwortete die Kriegsherrin. »Und woher wisst Ihr überhaupt etwas über unsere Magie?«
»Weil ich der Zweiäugige Mann bin«, sagte er, und die laut ausgesprochene Behauptung ließ ringsum ein Raunen der Ungläubigkeit und Entrüstung aufsteigen. Niemand schenkte ihm Glauben, jedenfalls jetzt noch nicht. Aber sie würden es schon noch tun. Das mussten sie.
Und sie werden es auch.
Aus der Nähe konnte man sehen, dass in die Oberfläche des Steins Wirbel und Spiralen und sich schlängelnde Verbindungslinien eingegraben waren, die das Auge verwirrten und den Blick nach oben zogen. Leicht benommen und mit jagendem Herzen legte Crys beide Hände auf die in den Stein geritzten Linien. Die Härchen auf seinen Unterarmen stellten sich auf, als stünde er in der Mitte eines Gewitters mit Blitz und Donner ringsum. Er hatte die Hände auf den Stein gelegt, bevor irgendjemand sein Tun infrage stellen oder ihm hätte vorschreiben können, was er zu tun und zu lassen hatte, und über das laute Rauschen in seinen Ohren hinweg konnte er gerade noch das Murmeln und Sich-Bewegen der Menge hören. Halb fragte er sich, ob er da nicht ein Sakrileg beging, aber dem Stein und seinem Muster war es egal, was er machte, und dem Großen Gauner war es ebenfalls gleich.
Einige der Gravuren sprachen zu ihm, und er zeichnete sie mit den Fingerspitzen nach. Er nahm die winzigen Spuren silbrigen Lichtglanzes wahr, die er in den Rillen hinterließ, während er sich seinen Weg um den Stein herum bahnte und ihn mal hier und mal da berührte. Er verspürte ein Gefühl von Staunen und Heimkehr und Pflicht, fühlte, dass alles so seine Richtigkeit hatte, merkte, wie der Fuchsgott in ihm größer und größer wurde, bis er wahrnahm, wie Fell von innen her über seine Haut strich.
»Zweiäugiger Mann«, rief jemand, doch er schenkte dem keine Beachtung, blendete alles aus bis auf die Gravuren im Stein und den leitenden Instinkt in seinem Inneren.
»Das hier ist unser Zuhause«, flüsterte er. »Das hier sind wir.«
Als er dem Muster innerhalb des Musters bis an sein Ende gefolgt war, trat Crys zurück. Die Mitte des Steins glühte, die in den Stein gegrabenen Linien strahlten hell wie das Licht der Sterne im Winter. Ein Summen lag in der Luft. Ash war bereits niedergekniet und hatte den Kopf geneigt, und Crys öffnete den Mund, um ihn aufzufordern wieder aufzustehen, den albernen Quatsch sein zu lassen und sie nicht beide lächerlich zu machen. Doch der Fuchsgott gebot ihm Schweigen.
»Zweiäugiger Mann«, rief Cutta. »Unsere Legenden erzählen von Euch. Die Lehren unserer alten Priester sprechen von Eurer Erscheinung und darüber, wie Ihr uns führen werdet.«
»Bis in den Tod und darüber hinaus«, murmelte Crys, doch niemand hörte ihn. »Ich führe euch nicht«, rief er zurück. »Ich trachte nicht danach, das Kommando zu übernehmen, aber die Götter des Lichts brauchen euch. Ich brauche euch. Wenn Rilpor fällt, kommen die Mirak als Nächstes zu euch. Euer Glaube und eure Lebensweise werden verboten. Krike wird im Blut seines eigenen Volkes ertrinken, es sei denn, wir halten die Mirak in Rilpor auf. Es sei denn, ihr helft mir, sie aufzuhalten.«
Die Kriegsherrin machte ein paar Schritte nach vorn und trat in den leeren Raum zwischen ihnen. Der Stein hinter Crys summte noch immer, als schliefen darin eine Million Bienen und würden im Traum mit den Flügeln schlagen. »Ist das Magie? Blutmagie?«, fragte sie leise und lockerte das Messer an ihrem Gürtel.
»Das bin ich«, sagte der Fuchsgott, und sie trat wieder einen Schritt zurück. Ehrfurcht und Angst jagten einander auf ihrem Gesicht. »Es ist das Schicksal von Gilgoras, und es ist die Rolle, die ihr darin spielen dürft.«
»Dürft?«
Der Fuchsgott breitete die Hände aus. »Ich befehle nicht.«
»Ihr habt die Dunkle Dame getötet?«, fragte sie. Auf die Haut vor ihrem linken Ohr war ein winziger Frosch tätowiert.
»Ich habe sie getrunken und sie vernichtet«, bestätigte der Fuchsgott. »Aber sie sucht nach einem Weg zurück, und ihre Anhänger helfen ihr. Sollten ihre Bemühungen erfolgreich sein, wird sich alles in Blut und Wahnsinn verwandeln. Wenngleich ich die Dunkle Dame noch einmal aufhalten kann, kann ich doch ihre Truppen nicht allein aufhalten.«
»Ihr seid nicht allein, Zweiäugiger Mann«, erwiderte Cutta Froschtraum und kniete vor ihm nieder. »Grüngrat steht hinter Euch, und zusammen werden wir alle Kriker überzeugen, den Kriegsfürsten eingeschlossen.«
Das war einfacher als erwartet, Füchslein.
Aus seinem Inneren stieg eine Wallung von Belustigung auf. Gewöhn dich nicht daran.
Siebter Monat, erstes Jahr der Herrschaft von König CorvusThronsaal, Palast, Rilporin, Weizenland
Was ihr Rilpori in Sachen Herrschaft und Kontrolle nie so recht verstanden habt: Wenn ihr selbst nicht daran glaubt, dann tun das diejenigen, über die ihr herrscht, auch nicht.«
Corvus musterte den Adligen, der auf dem Marmorboden vor seinem behelfsmäßig zusammengezimmerten Thron kniete. Vom Original war nur mehr ein verkohlter Haufen aus Holz und Blattgold geblieben. »Nehmt zum Beispiel uns und sie.« Er zeigte auf die Leichen der frisch Verstorbenen. »Ich habe alle Macht über Euch, weil ich zweifelsfrei bewiesen habe, dass Ihr sterben werdet, wenn Ihr mir nicht gehorcht. Insofern ist unsere Beziehung klar definiert, und wir können beide damit zufrieden sein – ich als der Besitzer, Ihr als der Sklave. Ach, macht kein so entsetztes Gesicht. Ihr seid schließlich am Leben, nicht wahr, und immer noch im Besitz all Eurer Gliedmaßen, Eurer Zunge, Eurer Augen und Eures Schwanzes, oder? Also müsst Ihr mir dienen, anstatt dass andere Euch dienen. Ihr werdet Euch daran gewöhnen. Und wenn Ihr die Füße auf den Dunklen Pfad setzt, werdet Ihr befreit und könnt Euch eigene Sklaven kaufen. Je eher Ihr das versteht, desto eher kommen wir hier weiter.«
Lord Silais rutschte auf dem Boden hin und her. Er war das unbehagliche Knien auf kaltem Stein offenkundig nicht gewohnt.
Das hier ist die Sorte Mensch, die über dieses Land geherrscht hat? Corvus ließ ein hässliches Lächeln über seine Züge gleiten. Kein Wunder, dass Rivil so schwach gewesen ist.
»Euer Majestät, ich bin ein Kind des Lichtes. Ich werde niemals auf dem Dunklen Pfad wandeln – aber das bedeutet nicht, dass ich Euch nicht behilflich sein kann. Euch beraten kann«, fügte er hastig hinzu. »Es gibt viele Dinge, mit denen Ihr es zu tun bekommen werdet, bis Ihr Eure Herrschaft gefestigt habt. Rebellionen, Gesetze, Thronerben, die womöglich danach trachten, Eure Untertanen zur Treulosigkeit zu verführen.«
Corvus sah Valan an, seinen Stellvertreter, und verdrehte die Augen. »Ich weiß von Tresh in seiner kleinen Burg in Listre«, sagte er. »Ihr fangt an, mich zu langweilen, Sklave Silais.« Er grinste, als der Mann erneut zusammenzuckte – es war aber auch wirklich ein gar zu großer Spaß.
Der vormalige Mann von Adel sah ihn mit einem Ausdruck ehrlicher Überraschung an. »Oh nein, Euer Majestät, es gibt noch viele weitere Erben, nicht nur Tresh. Sie sind wie die Ratten, Majestät – tötet eine, und die nächste hebt den Kopf. Es ist wirklich eine Schande, dass ein so großer Teil des Palastes abgebrannt ist. Alle Unterlagen über die gesamte Abstammungslinie der Evendom-Dynastie haben sich in der königlichen Bibliothek befunden.«
Corvus’ gute Laune verflog. »Lasst mich raten – Ihr wisst, wer diese Erben sind, und wollt mir einen Tauschhandel vorschlagen: dieses Wissen im Gegenzug für Eure Freiheit?«
Silais’ Lächeln war seidenglatt. »Es scheint, dass wir uns gegenseitig behilflich sein können, nicht wahr?«, erwiderte er und richtete sich ein wenig auf, im Gefühl, nun festeren Boden unter den Füßen zu haben.
»Allerdings«, antwortete Corvus und machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Valan trat vom Podest hinunter und streckte die Hand aus, um dem Mann aufzuhelfen. Silais nickte zum Zeichen seines Dankes, und erst, als er aufrecht dastand, bemerkte er, dass Valan hinter ihn geschlüpft war. Er schlang seinen Arm um Silais’ Kehle und umfasste fest sein Ohr. Dann legte Valan den Ellbogen an, presste Silais’ Kopf gegen seine Brust und zog noch fester an seinem Ohr, um es schließlich mit seinem Messer abzusägen.
Silais schrie wie eine gottverdammte Frau, als die Sache erledigt war, und schlug nutzlos nach Valans einschnürendem Arm. Corvus stand auf, schlenderte von seinem Thron herab und beugte sich vor, um ihm ins Gesicht zu schauen, das immer noch liebevoll an Valans Brust gedrückt war.
»Herrschaft und Kontrolle«, flüsterte er in das blutige Loch, wo bisher Silais’ Ohr gewesen war. »Ich habe sie und Ihr nicht. Und Ihr werdet mir die Namen und Aufenthaltsorte von Rastoths Erben nennen, nicht wahr, Lord Ohrlos? Sonst wird Valan Euch zeigen, welch großer Künstler er mit diesem Messer sein kann.«
Silais versuchte zu nicken, und Blasen von Schnodder blubberten aus seiner Nase. »J…ja, Euer Majestät. Ich werde es Euch sagen. Was immer Ihr wollt. Fragt irgendetwas, und ich werde es Euch sagen.«
Corvus tätschelte ihm den Kopf. »Nicht irgendetwas«, stellte er klar und richtete sich mit einem Augenzwinkern in Valans Richtung kerzengerade auf. »Alles.«
Das Problem war natürlich, dass Corvus trotz seiner schönen Worte keine Herrschaft und Kontrolle hatte. Jedenfalls nicht so viel, wie er gern gehabt hätte.
Oh, Rilporin war überaus friedlich, während die Sklaven sich an ihre neue Lebensart gewöhnten, und sämtliche Aufstände wurden mit brutaler Wirksamkeit im Keim erstickt, aber der Rest des Landes war Zunder, der auf eine Flamme wartete. Und dieser verfluchte Make Koridam, General der Westtruppe, lief irgendwo dort draußen herum und schlug Funken um Funken.
Nach Corvus’ Einschätzung hielt er sich in Listre auf, aber in den chaotischen Tagen nach dem Fall von Rilporin, als die Mirak und die Soldaten der Osttruppe darum gerungen hatten, den Verlust der Dunklen Dame zu verkraften, hätte der Mann mit Trommeln, Flöten und Flaggen an der Stadt vorbeimarschieren können, und niemand hätte es bemerkt.
Corvus hatte noch nie ein so großes Gebiet kontrollieren müssen, und sein Einfluss – ob vorhanden oder nicht – hatte sich noch nie bis so weit vom Zentrum seiner Macht entfernt erstreckt, außerdem hatte er noch nie seine Arbeit machen müssen, nachdem ihm das Herz aus der Brust gerissen worden war.
Die Abwesenheit der Dunklen Dame war Wahnsinn, der an den Rändern seines Bewusstseins fraß, jede seiner Entscheidungen infrage stellte und ihm zuflüsterte, er solle sich einfach niederlegen und sterben. Jede Nacht, wenn er sich in seine Decke hüllte, war die Versuchung da, vorn an der Spitze seines Dolches. Jeden Morgen verspottete die Trauer seine Feigheit. Corvus überlebte, indem er den Schmerz tief in sich vergrub und dort unten eitern ließ, wie ein Abszess unter einem Zahn, verborgen und stinkend.
Für die gewöhnlichen Mirak und die Soldaten der Osttruppe war es eine andere Sache – sie brauchten nur die Befehle zu befolgen, die ihnen ihre Anführer erteilten. Doch für Corvus, seine überlebenden Kriegshäuptlinge sowie Lanta und General Skerris war es wie der Versuch, einer Lawine zu trotzen, um so das Leben anderer zu retten. Und was sie eigentlich hätte einen sollen, trieb sie voneinander weg.
Zwei Wochen nach Rilporins Eroberung hatten Skerris und die Osttruppe die Hauptstadt verlassen und waren nach Westen und Norden geströmt, um die wichtigen Städte entlang des Gil und der Tränen zu besetzen und alle Lagerräume, Vorräte, Wertgegenstände und die Getreideernte unter ihre Kontrolle zu bringen. Dieses Vorgehen war in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht geboten, und es hatte Corvus ein gänzlich unvertrautes Gefühl von Einsamkeit beschert. Auch wenn er eine leise Verachtung für den dicken General hegte, war Skerris ein talentierter Befehlshaber und ein getreuer Sohn der Roten Götter, und Corvus brauchte jemanden in Segelstadt, dem er vertrauen konnte. Auf der anderen Seite war Skerris, von dem einohrigen, greinenden Silais einmal abgesehen, der Einzige, der die Abläufe und Mechanismen in Rilpor wirklich verstand. Und Corvus musste so bald wie möglich die Ordnung wiederherstellen. Die Frage war, wie – und welche Art von Ordnung. Die Gesetze und Bräuche von Rilpor oder die der Mirak? Gefängnisse oder Hinrichtungen? Überzeugungsarbeit oder erzwungene Bekehrung?
Es war eine neue Art zu leben, die ein neues Denken erforderte, und Corvus konnte es nicht ausstehen.
Jetzt, da Teile des Palastes wieder bewohnbar waren, hatte er dort Quartier genommen, wie es dem König von Rilpor geziemte und weil er es als geboten empfand. Es gab dort auch eine Reihe von Gemächern für die Gesegnete, wiewohl sie diese nie benutzte. Sie verließ niemals den Tempelbezirk mit dem Schrein, den sie auf den Steinplatten des großen Tempelplatzes hatte errichten lassen, die von den verwischten schwarzen Spritzern des göttlichen Blutes befleckt waren. Der Schauplatz der Erscheinung und der Vernichtung der Dunklen Dame.