Wächter und Wölfe - Das Erwachen der Roten Götter - Anna Stephens - E-Book
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Wächter und Wölfe - Das Erwachen der Roten Götter E-Book

Anna Stephens

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Beschreibung

In der Fremde fand sie Freiheit, doch das Gefühl ist trügerisch …

Alles begann mit ihrer Flucht. Rillirin war eine Sklavin und den Launen ihres Besitzers hilflos ausgeliefert gewesen. In ihrer neuen Heimat sollte alles besser werden. Aber dann brach der Krieg aus, und der brachte schon immer das Beste und das Schlimmste in den Menschen zum Vorschein. Nun muss Rillirin über sich hinauswachsen, wenn sie nicht erneut zum Spielball derjenigen werden will, die vermeintlich stärker sind als sie. Doch ausgerechnet der Mann, der sie als Erster unterstützen sollte, ist der schlimmste von allen – ihr eigener Bruder.

Die »Wächter und Wölfe«-Trilogie:
Band 1: Das Ende des Friedens
Band 2: Das Erwachen der Roten Götter
Band 3: Die Auferstehung der Dunklen Dame

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Seitenzahl: 636

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ANNA STEPHENS

WÄCHTER UND WÖLFE

DAS ERWACHEN DER ROTEN GÖTTER

Roman

Deutsch von Michaela Link

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Darksoul« bei HarperVoyager, New York.
Copyright der Originalausgabe © 2018 by Anna StephensCopyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Alexander GroßCovergestaltung und Artwork: Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock.com (Alina_Stock; Daiquiri; Tide Luadthong)Karte/Illustrationen: copyright © Sophie E. Tallis 2017HK · Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-20917-9V002
www.blanvalet.de

Buch

Alles begann mit ihrer Flucht. Rillirin war eine Sklavin und den Launen ihres Besitzers hilflos ausgeliefert gewesen. In ihrer neuen Heimat sollte alles besser werden. Aber dann brach der Krieg aus, und der brachte schon immer das Beste und das Schlimmste in den Menschen zum Vorschein. Nun muss Rillirin über sich hinauswachsen, wenn sie nicht erneut zum Spielball derjenigen werden will, die vermeintlich stärker sind als sie. Doch ausgerechnet der Mann, der sie als Erster unterstützen sollte, ist der schlimmste von allen – ihr eigener Bruder.

Autorin

Anna Stephens hat einen Abschluss in Literaturwissenschaft der Open University und arbeitet heute in der PR-Abteilung einer großen internationalen Kanzlei. Sie hat einen schwarzen Gürtel in Karate, und ihrer Ansicht nach ist es eine große Hilfe zu wissen, wie es ist, einen Schlag ins Gesicht zu bekommen, wenn man Kampfszenen schreibt. Sie lebt mit ihrem Mann in Birmingham.

Wächter und Wölfe von Anna Stephens bei Blanvalet:1. Das Ende des Friedens2. Das Erwachen der Roten GötterWeitere Bände in Vorbereitung

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Für Mum, Dad und Sam.Danke, dass ihr mich wild und verrückt habt aufwachsen lassen.

DURDIL

Vierter Monat, siebzehnter Tag der Belagerung, morgensKönigliches Gemach, Palast, Rilporin, Weizenland

Das letzte Stück des vergilbten, verkrusteten Verbands löste sich mit einem leisen Schmatzen, und der widerlich süße, abscheuliche Geruch von Fäulnis stieg auf. Hallos rümpfte die Nase, Durdil hustete heftig und stieß dann schnaubend die Luft aus. Es konnte den Gestank nicht vertreiben. Auf der anderen Seite des Bettes gerieten zwei der Priester in ihrem Sprechgesang ins Stocken. Würgend brachen sie ab, dann stimmten sie wieder mit ein.

Durdil spähte Hallos über die Schulter. »Wie kann es sein …«

»Wie es sein kann, dass er immer noch lebt? Das wissen die Götter allein«, krächzte Hallos. Er bediente sich eines langen silbernen Löffels mit schlankem Kopf, um damit in der Wunde herumzustochern, und Durdil wurde übel, als es ihn daran erinnerte, dass er vorhin ein Puddingtörtchen gegessen hatte. Er schluckte und schmeckte Galle. »Doch das Ende ist nah, Durdil. Sehr nah.«

»Und der Feind tobt vor unseren Toren«, sagte Durdil besorgt. »Ich muss auf die Mauer. Aber … was ist, wenn er aufwacht?«

Hallos tippte mit dem Löffel gegen das säuberlich vernähte rote und gelbe, tränende Fleisch von Rastoths Brust. Der sterbende Mann stöhnte, regte sich jedoch nicht. »Er wird nicht wieder aufwachen, mein Freund«, sagte er leise. »Nicht auf dieser Seite des Lichts.« Er straffte sich und blickte Durdil an, und Durdil biss die Zähne zusammen, im Wissen, was nun kommen würde. Wieder einmal. »Er mag bewusstlos sein, aber er hat trotzdem unaussprechliche Schmerzen. Es ist an der Zeit, dass wir seine Qualen lindern.«

»Er ist der König, Hallos. Wenn wir sein Leben beendeten, wäre das Königsmord«, entgegnete Durdil. Seine Müdigkeit nahm seinen Worten alle Leidenschaft, sodass sie stattdessen einfach nur mutlos klangen. Die Stimme in seinem Hinterkopf pflichtete dem Arzt insgeheim bei und rief ihm ins Gedächtnis, dass er selbst, wäre er an der Stelle des Königs gewesen, sie angefleht hätte, genau das zu tun. Er schob den Gedanken von sich und sah Hilfe suchend zu den Priestern hinüber, aber der ranghöchste, Erik, nickte nur, während er weiterbetete, langsam und zustimmend. Von dort war keine Hilfe zu erwarten.

Hallos’ schwarze Brauen, die mittlerweile grau gesprenkelt waren, zogen sich nach unten, und er berührte Durdil am Arm. »Es wäre eine Gnade, Durdil. Eine Gnade für Euren Freund.« Durdil öffnete den Mund, aber Hallos hob den Zeigefinger. »Würdet Ihr einem Soldaten – einem Offizier, selbst einem Prinzen – auf dem Schlachtfeld Euer Erbarmen verwehren? Nein. Ihr würdet seine Qualen beenden und ihn mit Gebeten in die Umarmung der Tänzerin geleiten. Rastoth war Soldat, hat jahrelang im Osten und im Süden Feldzüge geführt. Hat gegen die Kriker gekämpft und gegen die Listraner. Behandelt ihn ein letztes Mal wie einen Soldaten. Erweist ihm diese Ehre, und lasst uns ihm das Licht schenken.«

Bei seinen Worten veränderte sich der Gesang der Priester, und Durdil erkannte das Lied der Trauer und der Feier eines gut gelebten Lebens. Sie sangen, als sei der König bereits tot, und Durdil wurde die letzte Entscheidung abgenommen.

Ihm brach das Herz; es war ihm jede Stunde dieser endlosen, aussichtslosen Belagerung gebrochen. Er war zu müde, um klar denken zu können, an Leib und Seele zu erschöpft, um irgendeine Entscheidung zu treffen, bei der es nicht unmittelbar darum ging, die Stadt für einen weiteren Tag zu halten. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, wusste nicht, warum diese Entscheidung gerade ihm zufallen musste. Ich bin der Oberbefehlshaber der Truppen, nicht Richter über Leben und Tod der Könige. Jedenfalls nicht, was meinen König angeht. Nicht für Rastoth.

Das Gesicht des Königs war aschfahl, bis auf die hektischen roten Fieberflecken. Schwarze Streifen breiteten sich von dem sorgfältig vernähten Riss in seiner Brust aus, und die Ränder der Wunde wölbten sich rot, entzündet und angeschwollen vor, sodass die Stiche, mit denen die Wunde vernäht war, stark unter Spannung standen. Es sah widerwärtig aus und war kurz davor zu platzen. Eine obszöne, überreife Frucht, die nur einer Berührung bedurfte, eines Lufthauchs, um zu bersten und ihr Grauen überfließen zu lassen.

Durdil hatte sich seit Beginn der Belagerung die Lippen zu Fetzen zerkaut, und als er sich jetzt wieder auf die Unterlippe biss, zuckte er zusammen. Er fuhr sich mit der Hand über Hinterkopf und Nacken. Erik nickte erneut, als er ihn Hilfe suchend ansah. Hallos wartete, seine Lippen und Augen verliehen seinem Flehen deutlichen Ausdruck: Gib ihm, was er sich nicht selbst erbitten kann. Hilf ihm, so wie du ihm dein Leben lang geholfen hast. Diene ihm.

»Ich werde dem Rat mitteilen, dass er seinen Verletzungen erlegen ist«, entschied Durdil schließlich. »Sie wissen, dass er nicht mehr zu retten ist, also lassen wir sie besser glauben, es sei ein natürliches Ende gewesen. Anderenfalls sind unsere ehrwürdigen Lords Lorca und Silais womöglich dumm genug, um uns inmitten dieses … Schlamassels des Hochverrats zu bezichtigen.«

Sämtliche Priester nickten, und ihr Gesang wurde lauter, drängten Rastoths Seele, ihre letzten Anker zu lösen, die ihn noch mit diesem sterbenden, verfaulenden Stück Fleisch verbanden.

»Opium?«, murmelte Hallos und wählte mit einer Hand, die nicht zitterte – obwohl Durdil fand, dass sie es eigentlich tun sollte –, ein kleines Gefäß aus.

»Ihr könnt ihn doch unmöglich dazu bringen, es zu schlucken, oder?«

Hallos’ Lächeln war müde und traurig. »In meiner Kunst gibt es Dinge, die Ihr niemals wissen werdet, mein alter Freund. Keine Sorge. Nur … nehmt jetzt Abschied, ja? Nun, da die Entscheidung getroffen ist, sollten wir es schnell hinter uns bringen. Wir sollten ihm jede Fortsetzung dieses … Scheinlebens möglichst ersparen.«

Hallos trat aus dem Weg, und Durdil sah noch einmal seinen König an, den Mann, mit dem er seit Jahrzehnten befreundet gewesen war und der jetzt still und bleich auf den Kissen lag. Rastoths Atem ging in schwachen Stößen, und klammer Schweiß glänzte in der Düsternis. Seine Hände waren ineinander verkrallt. Vom offenen Fenster kamen die Rufe eines Knaben, der mit einem Wurf Welpen spielte, ohne sich um den sterbenden König und die Belagerung der Stadt zu kümmern.

Durdil kniete sich neben das Bett, und seine Rüstung klapperte an seinen Schultern. »Euer Majestät, vergebt mir«, flüsterte er, »ich hätte Euch beschützen, Euch vor aller Gefahr bewahren sollen …« Der Mann mochte alt und wahnsinnig sein, aber er war Durdils König und Durdils Freund. »Ich werde Rilporin retten, Rastoth. Ich werde unser Land und unsere Götter und unsere Menschen retten. Alles. Ich schwöre es bei meiner Hoffnung darauf, ins Licht zu treten. Wenn wir uns wiedertreffen, werde ich …« Er unterdrückte ein Schluchzen.

Hallos zwängte sich an ihm vorbei, und ein unwillkürlicher Laut des Widerspruchs entwich Durdils Lippen. Er streckte die Hand aus, um den Becher auf seinem Weg zu Rastoths Mund aufzuhalten.

Erik kam um das Bett herum und zog Durdil sanft auf die Beine. »Eure letzte Tat für Euren König sollte jene sein, die ihm Frieden bringt, Fürstgeneral«, murmelte er. »Mischt Euch jetzt nicht ein. Betet.«

Durdils Lippen bewegten sich im Gebet, während die Priester sangen und Hallos Rastoths Kopf mitsamt der Kissen anhob, kleine, geduldige Quäntchen Wein und Opium in seinen Mund fließen ließ und dabei seine Kehle massierte, bis er schluckte. Rastoths Atmung verlangsamte sich, als ihm die Droge den Schmerz nahm, seine Glieder entspannte und seine Seele weit, weit fortbrachte von dem Wrack seines Körpers und den Trümmern seiner Herrschaft.

Durdil schob sich nah heran, fand Rastoths Bein unter den Decken und legte die Hand darauf. »Marisa wartet schon«, sagte er heiser. »Marisa und Janis, alle beide. Im Licht. Sie warten auf Euch. Richtet ihr aus, dass ich sie grüßen lasse und … bittet sie, mir zu vergeben. Ich habe euch im Stich gelassen, euch alle drei. Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«

Etwas, das ein Lächeln hätte sein können oder auch nur das letzte Zucken ersterbender Muskeln, glitt über seine Züge, dann tat Rastoth der Gütige, Rastoth der Wahnsinnige, seinen letzten, gurgelnden Atemzug und starb.

Durdil ließ schweigend, die Fingerspitzen vor den Lippen aneinandergelegt, den Blick über den Rat schweifen, der sich im Konferenzraum versammelt hatte. Seine Augen waren rot vor Müdigkeit und Trauer, und er hatte die Neuigkeit von Rastoths Tod in eine Stille hinein verkündet, die zum Schneiden dick war von rivalisierenden Bündnissen und die vor taktischem Kalkül schwirrte. Wie erwartet, wetteiferten Lorca und Silais erkennbar darum, jeweils die Mehrheit des Rates für sich zu gewinnen und zur neuen Macht in Rilporin zu werden. Um dann vielleicht sogar auf dem Thron Platz zu nehmen.

»Meine Herren, so traurig diese Neuigkeit auch ist, ich werde sie weder der Bevölkerung noch der Truppe mitteilen lassen. Wir werden auch nicht die scharlachrote Fahne hissen oder eine offizielle Trauerwoche ausrufen, wie es eigentlich Sitte ist. Wir sind im Krieg, und von jetzt an gilt Kriegsrecht. Diejenigen von uns, die das Ende der Belagerung erleben werden, können dann auch die Begräbniszeremonien mit aller Pracht und Feierlichkeit durchführen. Doch im Augenblick hat uns allein der Kampf zu beschäftigen.«

»Das ist ungeheuerlich; Ihr habt nicht die Befugnis, das zu entscheiden«, hob Lorca zu sprechen an, dessen goldene Zunge für einen Moment all ihren Glanz verlor. »König Rastoth muss …«

»König Rastoth ist tot. Wir, die Lebenden, haben wichtigere Sorgen, als in Erinnerungen an ihn zu schwelgen oder uns über etwaige Übergangsregierungen zu streiten. Den Zustand der Stadtmauer zum Beispiel. Die Bliden des Feindes, mit denen sie unaufhörlich Steine gegen die Mauer schleudern, haben ihr nun seit Tagen schwere Schäden zugefügt. Leute von der Gilde der Steinmetze untersuchen sie täglich auf Schwachstellen. Ich habe sie gebeten …«

»Man bittet Steinmetze nicht«, murmelte Silais, »nicht wenn man will, dass sie auch wirklich etwas unternehmen. Man befiehlt es ihnen. Ich betone: befiehlt.«

»Danke für Eure Einschätzung, Lord Silais, aber sie arbeiten unablässig und erstatten regelmäßig Bericht«, erwiderte Durdil. »Es gibt nicht viel, was sie oder ich in diesem Punkt noch tun könnten. Ich habe außerdem mit dem Taubenmeister gesprochen, und es scheint, dass Prinz Rivil, während er in der Stadt gewesen ist …«

»Ihr meint gewiss König Rivil«, sagte jemand. Durdil richtete seinen Blick auf Questrel Chamberlain. Der Mann lächelte affektiert und strich sich glättend über sein geöltes Haar. »Durch Recht und Blut, meine Herren, Fürstgeneral, ist der Prinz jetzt unser König. Und da sollten wir ihn auf jeden Fall auch als solchen bezeichnen.«

Stimmengewirr erhob sich unter den Adligen, Hermelinpelze wallten durch die Luft, während sie gestikulierten, die Lautstärke schwoll an, der Tonfall wurde zornig und scharf. Durdil legte erneut die Fingerspitzen vor seinem Mund aneinander und lehnte sich abwartend auf seinem Stuhl zurück, ließ das Getöse der streitenden Männer von Adel über sich hinwegfluten.

Erst wurde es im Raum immer lauter und dann allmählich wieder leiser. Schließlich bemerkte ein Ratsmitglied nach dem anderen, dass Durdil keinerlei Anteil an der Debatte nahm. Alle bis auf den letzten Mann verachteten sie ihn, aber er war der Oberbefehlshaber der Truppen und leitete die Verteidigung der Stadt. Letztendlich lag die Entscheidung bei ihm. Entweder er öffnete Rivil die Tore und erklärte ihn zum König … oder er tat es nicht und erklärte sie alle zu Verrätern am Thron.

Eine ausgezeichnete Wahl. Ich kann gar nicht erwarten, sie zu treffen.

Durdil wartete, bis Stille eingetreten war, dann wartete er noch einige Momente länger, bis die Ratsmitglieder anfingen, unruhig auf ihren Stühlen hin und her zu rutschen.

»Meine Herren, Prinz Rivil hat versucht, einen Königsmord zu begehen. Zuvor war er in den Mord an seiner eigenen Mutter verwickelt und ist dem blutrünstigen Glauben unserer uralten Feinde beigetreten, wozu er seinen Bruder getötet hat, den rechtmäßigen Thronerben. Es gibt niemanden, der weniger tauglich wäre, unser großartiges Land zu regieren, als er. Wie ich gerade sagen wollte, der Taubenmeister hat bestätigt, dass alle Vögel, die dazu dressiert worden waren, nach Hochhalm in Listre zu fliegen, dem Zuhause des einzigen überlebenden möglichen Thronfolgers – ein entfernter Verwandter –, von Rivil oder Galtas Morellis getötet worden sind. Wir können also Lord Tresh nicht davon in Kenntnis setzen, dass Rastoth gestorben ist und Rivil von der Thronfolge ausgeschlossen wurde. Doch sobald diese Belagerung aufgehoben ist, werde ich in aller Eile einen Gesandten zu ihm schicken und ihm die Nachricht überbringen lassen, dass jetzt er unser König ist.«

»Tresh? Nie von ihm gehört«, murmelte jemand.

»Nicht einmal ein Reinblütiger«, flüsterte ein anderer. »Mehr Listraner als Rilpori. Ein Listraner, also wirklich!«

»Tresh ist ein Bastard, nicht wahr?«

»König Tresh«, blaffte Durdil, dessen Geduld zunehmend schwand, »ist, nach allem, was man hört, ein ernster und fleißiger Mann und zudem ein scharfsinniger Menschenkenner. Er wird einen guten König abgeben, vor allem mit einem Rat wie diesem im Rücken, der ihm beisteht.«

Der ihn behindert, ihm in den Arsch kriecht und ihn nach Strich und Faden ausnimmt, ihn für alles andere blind macht als die Wünsche der Ratsmitglieder, ihre eigenen Bedürfnisse und Begierden. Ach, wenn mir die Götter doch nur erlauben würden, jeden Einzelnen dieser verfluchten Kerle in einen Katapultkorb zu stecken und sie zu ihren Feinden hinüberzuschleudern.

Durdil verkniff sich ein Lächeln, als er sich das lang gezogene empörte Wutgeheul vorstellte, das Lorca von sich geben würde, während er himmelwärts flog. Bitte, Tänzerin, nur einen Einzigen.

»Bis dahin, meine Herren, befinden wir uns nach wie vor im Kriegszustand. Und stehen unter Kriegsrecht.«

»Ich unterstütze Euren Vorschlag«, meldete sich Lorca zu Wort. Freilich wussten sie beide, dass das eine Lüge war. »Ihr solltet Maßnahmen ergreifen, um die aufsässigen Bauern zu zügeln, die sogar jetzt noch Nahrungsmittel horten und sie den höherstehenden Leuten vorenthalten. Flößt unseren Männern neue Kraft ein, das wäre eine gute Sache. Einige von ihnen sind bereits fast am Ende.«

Bereits? Sie verteidigen diese Stadt schon mehr als vierzehn Tage lang. Sie haben in dieser Zeit mehr für Rilporin und seine Bewohner getan als du in deinem ganzen Leben. Sie geben ihr Leben hin wie wertlose Kupfermünzen, ohne sich überhaupt Gedanken zu machen, und sie tun es für die Stadt und den König. Sie tun es für mich, und die Götter mögen sie dafür lieben. Und ich muss ihnen befehlen, dass sie … beruhig dich, Durdil. Beruhig dich.

Durdil musste feststellen, dass seine Trauer und seine Erschöpfung ein gefährliches, reizbares Gebräu bildeten, das ihm zunehmend zu Kopf stieg. Er hob die Faust an den Mund, biss sich heftig in einen seiner Fingerknöchel und konzentrierte sich auf den Schmerz, während ringsum das Gemurmel von Neuem anschwoll.

»Wenn das alles ist, meine Herren, dann entschuldigt mich jetzt; ich habe eine Mauer zu verteidigen«, bellte er, schob seinen Stuhl quietschend über die Bodenfliesen zurück und brach so das Gespräch ruckartig ab.

Die Ratsmitglieder erhoben sich und hielten zögernd inne; normalerweise war das nun der Moment, wo sie sich vor dem König verneigten. Einige von ihnen senkten linkisch die Köpfe zu einem angedeuteten Salut. Lorcas bleiche Augen musterten Durdil einen Moment zu lange, dann rauschte er aus dem Konferenzraum, und seine Spießgesellen eilten sogleich hinter ihm her.

Silais blieb sitzen und begutachtete seine makellosen Fingernägel, bis Lorca zur Tür hinaus war. Es würde für ihn einfach nicht angehen, sich von dem Mann aufhalten zu lassen. Durdil widerstand dem Drang, auf den Tisch zu spucken, und stapfte aus dem Raum, während Hallos mit hängenden Schultern hinter ihm drein marschierte und Major Vaunt das Schlusslicht bildete. In den Tagen seit Beginn der Belagerung stellte die Stunde im Konferenzraum für die meisten seiner Offiziere die einzige Zeit des Tages dar, in der sie von der Mauer, der Kaserne oder dem Hospital wegkamen. Durdil hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ihnen dieses Privileg im Wechsel zukommen zu lassen, sodass jeder von ihnen alle paar Tage einen Vorwand hatte, um ein Bad zu nehmen und die Kleider zu wechseln.

Und das betrachten sie inzwischen bereits als Luxus, dachte er. Wie schnell doch das Unerträgliche normal wird. Und jetzt muss ich meinen Offizieren mitteilen, dass Rastoth tot ist und dass sie es geheim halten müssen.

Und ich habe immer noch keine Nachricht von der Nordtruppe. Wo, verdammt noch mal, bleibt meine Verstärkung?

GALTAS

Vierter Monat, zweiundzwanzigster Tag der Belagerung, morgens Lager der Osttruppe vor Rilporin, Weizenland

Die Belagerung verläuft wie erwartet, Euer Majestät.« Galtas reichte Rivil das Fernglas und wartete ab, solange der Prinz die Mauer inspizierte sowie die Männer, die wie Ameisen oben auf der Mauerkrone und unten um ihren Sockel herumhuschten. »Wir machen gute Fortschritte.«

»Ach ja?« Rivil bedachte ihn mit einem verdrießlichen Blick, schlug sich mit dem Fernglas in die Hand und brachte damit ohne Zweifel die Ausrichtung der Linsen durcheinander. »Tun wir das wirklich? Habt Ihr den Eindruck? Denn mir kommt es so vor, als hätten wir drei Wochen lang auf unseren Ärschen gesessen, während unsere Männer vergeblich versucht haben, die Mauer einzunehmen. Wieder und wieder und wieder.«

»Die Belagerungstürme machen jetzt einen Unterschied«, begann Galtas, »und unser Beschuss mit Wurfwaffen zeigt Wirkung. Ihr könnt die Verunstaltung, die unsere Bliden angerichtet haben, in der Mauer links des Torhauses sehen.«

»Wirkung zeigen. Verunstaltung«, höhnte Rivil. »Euch ist schon klar, dass Ihr meine verdammte Stadt zerstört, um sie zu erobern, nicht wahr?« Er warf die Hände hoch. »Warum habe ich mich von Euch nur je zu diesem verrückten Plan überreden lassen?«

Weil du selbst keinen Plan gehabt hast und sich dein militärischer Sachverstand darauf beschränkt, wie viele Wagenladungen von Luxusgütern du auf einen Feldzug mitnehmen kannst, statt an Soldaten oder Waffen zu denken. Weil du ein verwöhnter kleiner Scheißer bist, der in seinem ganzen Leben keinen einzigen Tag gearbeitet hat und eine Belagerung nicht mal planen könnte, wenn dein Leben davon abhinge. Oder, warte, genau das tut es ja.

Genauso wie meines.

Statt irgendeinen der Gedanken auszusprechen, die ihm durch den Kopf schossen, bemerkte Galtas: »Da kommt General Skerris.«

Der dicke General der Osttruppe nahm schwabbelnd Haltung an und salutierte. »Prinz Rivil, Lord Galtas«, schnaufte Skerris, »wir sind gleich so weit, einen neuerlichen Vorstoß zu machen, wenn ihr vielleicht den Befehl dazu geben wollt? Die Mirak sind gerade dabei, ihren neuen Turm vorzubereiten – nach dem … Missgeschick mit dem ersten. Unsere Bliden werden den Beschuss fortsetzen, bis die Soldaten in Reichweite sind, und ihn dann einstellen, um Opfer zu vermeiden. Unser Ziel ist Sektion Zwei …« Er deutete mit seinem dicken Zeigefinger auf den zweiten Turm und die letzte Bastion, jenen Teil der Mauer, der sich links vom Torhaus befand. »Die Mirak werden Sektion Eins angreifen.« Er zeigte auf die erste Bastion und den ersten Turm zu ihrer Rechten.

Skerris’ Worte riefen in Galtas ein lebhaftes Bild vom ersten Belagerungsturm der Mirak wach, lichterloh in Flammen, nachdem sich die Feuerpfeile der Verteidiger in das ungeschützte Holz gebohrt hatten. Er war rasend schnell niedergebrannt, was mehreren der darin befindlichen Angreifer das Leben gekostet und für ein fürchterliches Chaos gesorgt hatte. Schöner Reinfall.

»Die Verteidiger werden ihre Streitkräfte erneut aufteilen müssen. Wenn es uns diesmal gelingt, einen ordentlichen Brückenkopf zu errichten …« Skerris brach ab, und Rivil runzelte erneut finster die Stirn.

»Wie viele Männer haben wir bisher verloren?«, blaffte er.

»Einige Hundert, Euer Majestät.«

»Es geht zu langsam, Skerris. Das alles geht zu langsam. Wir mögen die West- und die Nordtruppe aufgerieben haben, aber das stümperhafte Vorgehen im Hafen vor zwei Wochen hat es Tausenden verdammten Soldaten der Südtruppe ermöglicht, in die Stadt zu gelangen, um die Verteidiger zu verstärken. Was ist, wenn sie jemanden ausgeschickt haben, um auch die Übrigen kommen zu lassen?«

»Euer Majestät, wir tun alles, was in unserer Macht steht. Wir machen stetig Fortschritte. Gestern haben wir fast drei Stunden lang einen Brückenkopf gehalten«, beteuerte Skerris.

»Was wollt Ihr, eine verdammte Medaille?«, herrschte Rivil ihn an. »Uns gehen allmählich die Geschosse für die Bliden aus, und ein Brückenkopf ist kein Brückenkopf, solange er nur den Tod unserer Männer und nichts anderes bewirkt.«

»Den Feind teilen und ihn dann besiegen ist eine bewährte Vorgehensweise, Euer Majestät, und die gleiche Taktik können wir auch anwenden, falls der Rest der Südtruppe tatsächlich hier eintrifft. Es mag nicht so aussehen, aber es läuft gut. Wir gewinnen.«

Es war wahrscheinlich das Schlimmste, was Skerris hätte sagen können. Rivils Gesicht lief purpurrot an, und Geifer troff ihm von den Lippen. »Gewinnen? Sieht so für Euch ein verdammter Sieg aus, Fettwanst? Wir leben in Zelten und scheißen in die Felder, während sie von den Vorräten einer ganzen Stadt leben. Sie haben da drinnen Nahrungsmittel für Monate, dazu Hospitäler, Waffenkammern, Gasthäuser, Köche und saubere Kleider …«

Rivil brach ab, und weder Galtas noch Skerris machten Anstalten, die Stille auszufüllen. Rivils Geduldsfaden war während der letzten Woche von Stunde zu Stunde kürzer geworden. Er wandte sich wieder der Stadt zu, gerade als die vorderste Blide ihre Steinfracht gegen die Mauer schleuderte. Der Boden vor der Mauer war übersät mit verschossenen Felsklötzen und gewaltigen Steinblöcken, die aus der äußeren Mauerfront herausgebrochen worden waren, und all das behinderte die Leitermannschaften und die Belagerungstürme nur noch mehr.

»Skerris, schickt die Männer aus, unsere und die der Mirak. Alle Mann zum Angriff. Galtas, Ihr geht mit ihnen.«

Galtas stieß ein prustendes Lachen aus. In die Stadt gehen? Er? Als Teil eines Angriffs mit Leitern? »Euer Majestät, ich bin kein geschulter Soldat. Ich bin auf der Leiter zu langsam. Ich könnte Euch viel besser dienen, wenn …«

»Die Götter werden über Euch wachen«, unterbrach ihn Rivil. »Daher braucht Ihr Euch nicht zu fürchten. Wenn die Mirak den Mut dazu haben, habt Ihr ihn sicherlich ebenfalls. Ich will, dass Ihr nach Rilporin hineingeht, und ich will einen handfesten Beweis dafür, dass mein Vater tot ist. Diese Scheißkerle sind für meinen Geschmack einfach zu motiviert; dass der König sich womöglich noch immer an sein Leben klammert, könnte ihnen vielleicht Grund genug dafür geben. Außerdem will ich, dass Ihr etwas unternehmt, um uns reinzubringen, entweder über einen Frontalangriff oder mittels heimlicher Unterwanderung. Beides wäre akzeptabel.«

»Etwas unternehmen?«, wiederholte Galtas. »Was zum Beispiel?«

Rivil knurrte ihn an: »Improvisiert.«

Galtas’ Gesicht war hölzern und zeigte keine Regung, aber es gelang ihm, sich zu verneigen und ein falsches Lächeln aufzusetzen. »Wie Ihr befehlt, Euer Majestät«, erwiderte er steif. »Ich werde sofort die entsprechenden Befehle ausgeben. General, wollen wir?«

Er schritt über das Feld, hinüber zur Hälfte des dritten Tausends, Männer, die heute an der Reihe waren zu sterben. Dabei spitzte er lauschend die Ohren, ob ihm Rivil vielleicht doch noch hinterherrief, dass er nur einen Scherz gemacht habe. Doch da kam nichts. Galtas würde in einem Belagerungsturm nach oben rennen und über ein Laufbrett hinaus auf die Mauer, während Bogenschützen Pfeil um Pfeil auf ihn abschossen. Oder er würde zusammen mit den Kämpfern eine Leiter emporsteigen, mitten hinein ins feindliche Territorium, während Pfeile, Felsblöcke und siedendes Öl auf ihn herabregneten, und dann hinauf auf den Wehrgang springen und sich tausend Verteidigern entgegenstellen.

Galtas würde sterben.

»Seine Hoheit wird allmählich ein wenig verdrießlich, hm, mein Herr?«, meinte Skerris, als sie zu den Angriffstrupps hinübermarschierten. Auf seiner Rechten erblickte Galtas eine wimmelnde Masse blau gekleideter Mirak, die sich für den Kampf bereit machten. Ihr zweiter Belagerungsturm, nun von feuerfesten Tierfellen überzogen, rumpelte schon der Stadtmauer entgegen.

»Verdrießlich?«, wiederholte Galtas, dann verkniff er sich die Antwort, die ihm bereits auf der Zunge lag, und wählte andere, weniger heftige Worte. »Die Verzögerung verärgert ihn. Er selbst ist natürlich zu wertvoll, um ihn auf der Mauer in Gefahr zu bringen, und so gibt es nur wenig, was er tun kann, bis wir uns den Zutritt zur Stadt erzwungen haben. Er möchte an der Seite seiner Männer kämpfen und sie in die Schlacht führen.«

Galtas hegte den Verdacht, dass Rivil für sich selbst in Wirklichkeit nichts derartig Blutiges wollte, aber er konnte ja schlecht seine Theorie vorbringen, dass Rivil lediglich den großen Thron und die glänzende Krone haben und jemand anderen das eigentliche Regieren für ihn besorgen lassen wollte.

»Wenn es der Wille der Dunklen Dame ist, wird er die Gelegenheit dazu bekommen«, brummte Skerris. »Was nun Euch betrifft, was zieht Ihr vor? Turm oder Leiter?«

»Ich nehme an, ein stilles Schlüpfen durch ein Tor kommt nicht infrage?«, witzelte Galtas, und Skerris lachte und versetzte ihm einen Schlag auf den Rücken, der Galtas beinahe das Gleichgewicht gekostet hätte. »In diesem Punkt würde ich Eure geneigte Meinung zu schätzen wissen. Welche Möglichkeit von beiden dürfte mich eher umbringen? Und natürlich ist da die Frage meiner Tarnung, sobald ich in der Stadt bin.«

»Tarnung?«

Galtas klopfte sich auf den Arm, und zwischen dem kurzen Ärmel seiner Rüstung und der dicken, ledernen Armschiene wurde das Blau seines Hemdes sichtbar. »Ich bezweifle, dass ich in dieser Kleidung Zugang zu den Räumen des Königs oder zu sonst irgendeinem Ort bekommen werde.«

»Woran hättet Ihr denn gedacht?«

»Ich bräuchte das Hemd eines Eurer Toten«, erklärte Galtas. »Vorzugsweise sauber.«

Skerris nickte zögernd. »Ich verstehe. Was nun den Weg hinein angeht, so dürfte, wenn Ihr nur schnell seid und die Götter Euch lieben, die Leiter Euer Freund sein.«

Vermutlich ist die Leiter eher mein Tod, dachte Galtas säuerlich. Wie auch immer. Es ist der Wille der Dunklen Dame.

DIE GESEGNETE

Vierter Monat, zweiundzwanzigster Tag der Belagerung, morgensLager der Mirak vor Rilporin, Weizenland

Es lag ein Knistern in der Luft, und die feinen Härchen in Lantas Nacken und auf ihren Unterarmen richteten sich auf. Die Götter waren inzwischen so nah, so allgegenwärtig wie der Duft eines Geliebten auf der Haut. Sie brauchte nicht an einem heiligen Ort zu sein, um sie jetzt zu hören; ihre Stimmen waren überall, und ihre Befehle waren schlicht: Nehmt die Stadt ein, schlachtet ihre Bewohner ab, brennt die Tempel nieder. Tötet oder bekehrt, aber lasst niemanden am Leben, der die Tänzerin und den Fuchsgott in seinem Herzen trägt.

Befehle, die Lanta mit Glück und heiligem Feuer erfüllten. Es würden Tausende zu opfern sein, sobald die Stadt fiel, Tausende, deren Blut die Erde tränken würde, die der Dunklen Dame und Gosfath gewidmet war, dem Gott des Blutes.

»Euer Wille, Rote Götter. All das, um eure Pracht zu mehren, all das in eurem Namen. Rilporin wird fallen, und eure Kinder werden sich an seiner Stelle erheben. Gilgoras wird euer sein.« Lanta kniete sich in das Gras eines Frühlingsmorgens, umhüllt vom Gestank Tausender Krieger, die darauf warteten, dass die Reihe zu kämpfen und zu sterben an sie kam.

Keine von Feuern erleuchteten Felswände eines Höhlentempels überwachten ihre Gebete, kein kalter Stein grub sich ihr in die Knie, um ihren rituellen Schmerz zu bezeugen. Lanta kniete draußen im Licht der Welt, und die Götter waren hier, mit ihr, in einem Land, aus dem sie ein Jahrtausend zuvor vertrieben worden waren. Ein Schauder überlief sie. Sie befanden sich unter derselben Sonne wie sie, nicht mehr durch einen undurchdringlichen Schleier von ihr getrennt, sondern lediglich noch durch dessen zerfetzte Überreste. Gilgoras zitterte unter ihrer Gegenwart, und die Rache der Götter würde schrecklich und in ihrer Pracht wunderschön sein.

Sie wartete, aber die Dunkle Dame rief sie nicht zu sich. Lantas Enttäuschung war tief, doch sie verstand das Entzücken der Götter darüber, wieder in Gilgoras zu sein, wo sie nun frei durch Rilpor, Listre und Krike streifen und die Rückzugsorte der wahren Gläubigen aufsuchen konnten, die es nach Lantas Überzeugung immer noch geben musste. Die Götter würden zu ihr sprechen, wenn sich die Notwendigkeit dazu ergab. Sie kamen, wann sie wollten, nicht dann, wenn Lanta es sich wünschte. Eine Lektion, die sie viele Jahre zuvor schmerzlich hatte lernen müssen. Und bis es so weit war, wussten die Kinder des Dunklen Pfades, was sie zu tun hatten.

Die Gesegnete beendete ihre Gebete und erhob sich. Die Sonne strahlte ihr warm auf die Kopfhaut, und eine sanfte Brise strich ihr über die Wangen. Die Götter mochten nicht gesprochen haben, aber sie befanden sich trotzdem in der Nähe, ihre blutigen Flügel über der Armee ausgestreckt, um sie in ihr göttliches Recht zu hüllen. Der Sieg war versprochene Sache, und Lanta würde jeden Preis dafür zahlen, ihn sicherzustellen. Würde ihn froh und mit Vergnügen entrichten, im sicheren Bewusstsein, im Recht zu sein.

Sie ließ ihren Blick über die Stadt schweifen und dann über die weithin sich ausdehnende Fläche des Weizenlandes. Diese Gegend war als der Brotkorb Rilpors bekannt, und in diesem Jahr würde jener Teil der Ernte, der nicht zertrampelt und in den Schlamm getreten worden war, die Bäuche der Mirak füllen. Mehr Weizenfelder, als sie je gesehen hatte. Mehr Feldfrüchte und mehr Gras; mehr flaches Ackerland, als es Lanta je für möglich gehalten hatte, dehnte sich um sie herum und um die Stadt aus, die sich in die Umarmung der beiden mächtigen Flüsse Rilpors schmiegte. All das würde schon sehr bald ihnen gehören.

»So wie die Götter es wollen.« Lanta seufzte und schaute wieder zur Stadt hinüber, deren graue Mauern wie eine Gewitterfront über der Ebene aufragten, zerschunden und gezeichnet und trotzdem immer noch herrisch, im Wesentlichen unversehrt und all ihren Bemühungen spottend. Sie wischte sich Gras und Erdklümpchen vom Rock. Unter all den Dingen, die sie sich vom heiligen Krieg erwartet hatte, war ihr die Möglichkeit nie in den Sinn gekommen, dass die Belagerung langweilig werden könnte. Aber die Tage hatten sich in die Länge gezogen, und der eine war in den nächsten übergegangen, ohne bedeutsame Gewinne und mit zahlreichen Verlusten.

Lantas Gedanken wanderten zurück zur Adlerhöhe und zu den Frauen und Kindern, die im Schnee und Fels der Berge warteten. Die Schneeschmelze musste jetzt durch die schmalen, in den Fels gehauenen Kanäle in die Tiefe fluten, die Unachtsamen mit sich reißen, Kadaver, Äste und Steine vor sich hertreiben und das Land gereinigt zurücklassen. Die Sklaven mussten jetzt ihre eigenen ärmlichen Saaten aussäen, Karotten und Rüben auf hartem Boden, die sie mit Ziegenmist und Gebeten ins Leben lockten. Pask würde einen Mann für ihren Sieg opfern und eine Frau dafür, dass es keine Missernte geben und keine späten Stürme mehr übers Land ziehen würden.

Adlerhöhe – zu Hause. Sie seufzte und sah sich im Lager um, das vom Geplapper der Mirak erfüllt war. Es wäre gut, sobald sie sich den Sieg gesichert hatten, die Frauen, Kinder und Priester herbeizurufen, um sie wie eine heilige Flut in die Städte und Dörfer zu schicken, eine Flut, die alle vor sich hertrieb, die nicht unter ihrer Herrschaft leben wollten. Rilpor würde Mirak werden, und die Bewohner von Rilpor würden zu ihren Sklaven werden. Sobald die Stadt gefallen war und die Blumenhure und ihr Bastardsohn, der Gauner, tot waren, gab es nichts mehr, was sie nicht tun konnten.

Sobald die Stadt gefallen war. Lantas Lächeln war grimmig. So viel Arbeit lag noch vor ihnen, selbst sobald ganz Rilpor einmal ihnen gehörte.

»Was habt Ihr herausgefunden?«

Die Worte ließen sie zusammenfahren, und Lanta drehte sich um. Sie fasste Gilda ins Auge und lachte höhnisch. »Viele Dinge«, sagte sie. »Dinge, die du, befangen in deiner kleinlichen Wahnvorstellung, das Leben sei noch etwas anderes als brutal und voller Schmerz, nicht verstehen würdest. Du vermagst nicht zu sehen, dass wir stärker werden, indem wir diese Dinge anerkennen und für uns annehmen, um so unsere Götter zu ehren.«

Gilda faltete die Hände über dem Bauch und schaute für eine Weile zum Himmel empor. »Ihr habt recht«, sagte sie schließlich, und es lag ein Funkeln in ihren Augen, als sie den Blick nun auf Lanta richtete. »Ich verstehe wenig von eurer Religion, davon, warum ihr ein Leben in Angst und eine Ewigkeit des Schmerzes einer Welt des Lebens, des Lichts und der Schönheit vorzieht, einer Welt mit einem Jenseits voller Glück und Einigkeit. Denn das Leben ist hart, ja, aber es ist nicht brutal. Brutal ist das, was wir einander antun. Hart ist, was die Jahreszeiten uns antun. Aber ich habe eigentlich gemeint, ob Ihr irgendetwas über die Belagerung in Erfahrung gebracht habt. Das alles zieht sich jetzt schon eine ganze Weile hin, nicht wahr?«

»Wenn ich etwas erfahren hätte, würde ich es dir nicht verraten«, blaffte Lanta. »Das geht nur König Rivil, mich selbst und die Götter etwas an.«

Gildas Lippen verzogen sich spöttisch. »Aha«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Ihr habt gesagt: ›Wenn ich etwas erfahren hätte.‹ Also habt Ihr nichts herausgefunden. Nicht das Geringste. Sind die Götter heute nicht in Gesprächslaune?«

Lanta ballte die Fäuste. »Treib es nicht zu weit, alte Frau«, fuhr sie Gilda an, griff nach der Kette, die an der Sklavenfessel um Gildas Hals befestigt war, und zerrte sie nach vorn. »Ich habe wenig Grund, dich noch länger bei mir zu behalten. Deine Opferung könnte die Belagerung vorantreiben und uns den Sieg umso früher bringen.«

Gilda griff nun selbst nach ihrer Kette und zog daran, sodass Lanta einen Schritt in ihre Richtung machen musste. Lanta legte ihre freie Hand auf ihr Messer. »Warum tut Ihr es dann nicht?«, zischte Gilda. »Statt endlose Drohungen auszusprechen? Warum tut Ihr es nicht einfach? Ich bin Eurer Gesellschaft müde, und offen gesagt, dieses Lager stinkt nach Scheiße. Wissen Eure Leute denn gar nicht, wie man eine Latrinengrube aushebt?«

Lanta zog ihr Messer. »Willst du, dass das deine letzten Worte waren?«, knurrte sie und drückte Gilda das Messer an den Bauch.

Gilda lachte, laut und ungezwungen. »Latrinengrube«, wiederholte sie und kicherte. »Warum nicht? Es ist etwas, das ich meiner Familie erzählen kann, wenn ich sie im Licht wiedersehe.«

Lanta grub die Messerspitze fest in Gildas Fleisch, und Gildas Belustigung verschwand wie Tränen in einem See. »Wenn du geopfert worden bist, alte Frau, wird es kein Licht mehr geben, in das du gehen könntest, o nein. Ein Opfer schickt dich an einen ganz anderen Ort. Schickt dich ins Jenseits, zu den Roten Göttern und all ihren getreuen Kindern. Und wenn sie erfahren, was du bist, werden sie die Ewigkeit damit verbringen, dich in Stücke zu reißen. Und du wirst es spüren. Du wirst alles spüren. Du wirst tausendmal am Tag sterben, jeden Tag. Bis in alle Ewigkeit.«

Auf Gildas Stirn standen Schweißperlen, und sie zog fest an der Kette, um etwas Abstand zwischen sie beide zu bringen. »Klingt nicht nach Spaß«, stieß sie hervor, doch das Feuer in ihrer Stimme war erloschen. »Aber dort werdet auch Ihr hingehen, nicht wahr? Warum wollt Ihr Euch selbst zu so etwas verurteilen?«

Lanta lachte höhnisch, ließ die andere Frau zurücktreten und steckte ihr Messer wieder in die Scheide. »Mein Schicksal ist das nicht. Ich werde bei den anderen Gesegneten sitzen und die Gesellschaft meiner Götter genießen. Ich werde zuschauen, während man den Toten alles gibt, was man ihnen für die jenseitige Welt versprochen hat – Speisen ohne Ende, Feinde ohne Ende zum Töten, endlose Rache. Sie werden bis in alle Ewigkeit im blutigen Gras des Jenseits umherlaufen und töten, sterben und ficken. Und du wirst ihr Lieblingsspielzeug sein.«

Gilda leckte sich die Lippen. »Ich verstehe. Nun gut, wenn Ihr irgendwann mal dazu kommt, mich umzubringen, erinnert mich doch daran, mir andere letzte Worte zu wählen, ja? Ich denke, ›Fick dich, Fotze‹ klingt besser, und in jedem Fall werde ich Gelegenheit bekommen, Euch das bis in alle Ewigkeit Tag für Tag entgegenzuschreien. Ich frage mich, wie viele Jahrhunderte es wohl brauchen wird, bis es Euch in den Wahnsinn treibt.« Jenes unerträgliche Grinsen legte sich wieder auf ihr Gesicht. »Ich freue mich darauf, Euch Euer jenseitiges Leben zu ruinieren.«

Lanta fletschte die Lippen, doch bevor sie reagieren konnte, wurden sie unterbrochen. Skerris, Corvus und Rivil kamen an der unsichtbaren Linie entlang, die den sicheren Abstand von den kleinen Katapulten markierte, die von der Stadt her auf sie gerichtet waren. Sie ragten aus den vier Türmen hervor, die die große Westmauer von Rilporin unterteilten, oder waren oben auf dem Torhaus angebracht.

»Ihr habt gemeint, die Sache mit der Nordtruppe sei in Ordnung gebracht worden«, bemerkte Corvus, eine tiefe Falte zwischen den Brauen. Lanta trat näher an die Männer heran, und Gilda ging klirrend hinter ihr her wie ein widerstrebender Welpe an einer Leine.

»Wir haben darauf hingewirkt, die Nordtruppe auszuschalten, bevor wir die Forts verlassen haben, um hierherzukommen, ja«, erwiderte Skerris. »Ich baue auf den Erfolg dieses Plans, Euer Majestät, aber bislang haben wir noch keine Bestätigung, dass er wirklich aufgegangen ist, auch wenn jeder neue Tag, an dem sie nicht am Horizont auftauchen, meine Überzeugung stärkt, dass wir ihnen einen vernichtenden Schlag versetzt haben. Es ist allerdings möglich, dass der Rest der Südtruppe noch hier eintrifft, und wenn dem wirklich so ist, werden sie es zusammen mit den Verteidigern zahlenmäßig fast mit uns aufnehmen können. Wir schlagen vor, dass wir uns dem Süden in diesem Fall auf dem Feld entgegenstellen, während Eure Krieger solange dafür sorgen, dass die Stadt fester verschlossen bleibt als die Geldbörse eines Geizkragens. Wir sollten die Streitkräfte des Feindes voneinander getrennt halten und sie getrennt aufreiben.«

»Wenn dieser Tag kommt, General, werden wir tun, was Ihr vorschlagt«, erwiderte Corvus. »Aber ich hoffe, die Sache schon zuvor zu beenden. Ich verfüge über Männer, die auf den heutigen Vorstoß bestens vorbereitet sind.«

»Und ich genauso«, unterstrich Rivil. »Sollen wir genauso vorgehen wie zuvor? Ihr übernehmt die Sektion Eins, und wir greifen Sektion Zwei an? Einer meiner Männer, Galtas, wird die Truppen diesmal begleiten. Er hat Befehl, in den Palast einzudringen und möglichst viel an Informationen zusammenzutragen. Er wird versuchen, eines der Hafentore zu öffnen.« Er deutete auf die beiden Enden der Mauer. »Ihr habt gesehen, dass sie hinter den seitlichen Nebenmauern, die von den Türmen bis ganz hinunter ans Wasser reichen, gesichert sind, aber wenn er eines der Tore öffnen kann, werden wir uns weder von nassen Füßen noch von Pfeilregen aufhalten lassen. Wir sind nur Tage vom Sieg entfernt, ich spüre es.«

»Es ist der Wille der Dunklen Dame«, ergriff Lanta das Wort, und die Männer nickten zustimmend. »Der Sieg wird kommen, wenn die Götter es bestimmen. Fahrt fort, zu ihren Ehren Eure jeweiligen Rollen zu spielen, und dieser Sieg kommt vielleicht schon bald. Ich werde dafür beten, dass der Angriff erfolgreich ist.«

Corvus blieb stehen und drehte sich zu den Rilpori um. »Sagen wir, wir nehmen Rilporin ein, bevor die Verstärkung eintrifft, was dann? Dann sind am Ende wir diejenigen, die belagert werden. Gefangen in einer Stadt, die wir nicht kennen, während ihre Bürger und sämtliche überlebenden Soldaten der Palasttruppe jedes Gebäude und jede Gasse als möglichen Hinterhalt benutzen können, um uns zu erledigen, während die Südtruppe von draußen die Mauern angreift. Ihr seid nicht in Wachstadt dabei gewesen, Rivil, Ihr wisst nicht, wie sie sogar die Straßen selbst gegen uns eingesetzt haben. Wir würden abgeschlachtet werden. Warum stellen wir uns ihnen nicht auf freiem Feld entgegen und vernichten sie hier draußen? Ich sage, wir marschieren am besten aus Rilporin hinaus, sobald die Südtruppe gesichtet wird, und nehmen es in einer offenen Schlacht mit ihnen auf.«

Lanta verstand seine Vorsicht und teilte seine Sorge. Die Rilpori waren in höchstem Maße von der Leistungsfähigkeit ihrer Streitkräfte überzeugt, während die Mirak die Stadt nicht kannten und auf den Sturmleitern viel langsamer waren. Dass ihr Belagerungsturm nach dem Beschuss in Flammen aufgegangen war, war eine Schande, und der zweite war nun leichter und weniger stabil. Wer wusste schon, welchen Schaden ein direkter Treffer aus einem der Turmkatapulte anrichten würde? Auch wenn der neue zumindest feuerfest ist.

Corvus ließ seinen Blick über die kleine Gruppe schweifen, seine Miene nachdenklich. »Je länger ich über die ganze Sache nachgrüble, desto mehr frage ich mich, ob wir die Stadt denn wirklich einnehmen müssen. Ist die Eroberung Rilporins unsere einzige Möglichkeit?«

»Welche Alternativen gäbe es denn?«, fragte Rivil und breitete verwirrt die Hände aus. »Was schlagt Ihr vor, dass wir die Stadt zerstören?« Er lachte.

Corvus lachte nicht, und Lanta sah den Gang seiner Gedanken vor sich ausgebreitet. Wir haben Wachstadt niedergebrannt und die Überlebenden getötet. Die Götter haben uns aufgetragen, das Land von den Heiden zu säubern. Warum sollten wir uns die Mühe machen, diese Stadt einzunehmen, wenn wir unsere Ziele auch mit ihrer Zerstörung erfüllen könnten?

Wilde Erregung flammte in ihrem Bauch auf, und Gildas Kette rasselte, als sie sie fest umklammerte. Skerris und Rivil starrten sie mit der gleichen entsetzten Ungläubigkeit im Blick an.

»Wartet, das ist doch wohl nicht Euer Ernst?«, begehrte Rivil mit schneidender Stimme zu wissen. »Das hier ist meine Stadt, meine verdammte Hauptstadt und mein Zuhause, der Sitz meiner Königsherrschaft. Ich werde nicht zulassen, dass ihr sie niederbrennt und ihre Bewohner abschlachtet, nur weil das Schlamassel in Wachstadt euch zu Feiglingen gemacht hat …«

»Prinz Rivil«, sagte Lanta in einem Tonfall, der so glatt war wie Eis und genauso kalt, und ihre Worte kamen schneller, als Corvus’ Hand zu seinem Messer fahren konnte. »Wir Mirak fürchten nur die Götter, wie es recht und billig ist. Eure Landsleute sind für uns nicht mehr als Fleisch, das wir unter unseren Absätzen zerquetschen. Darüber hinaus haben wir jahrhundertelang im Namen der Götter gekämpft und getötet, sind in ihrem Namen gestorben, und wir werden alles, einfach alles tun, was sie uns befehlen, um ihre so verdiente Rückkehr nach Gilgoras erleben zu können. Ihr dagegen seid erst seit einer bloßen Handvoll von Jahren bekehrt, Eure Soldaten sogar erst seit wenigen Wochen. Wagt es daher nicht, zu uns von Feigheit zu sprechen oder uns zu beschuldigen, nicht alles zu tun, was die Götter von uns verlangen. Ihr habt nichts getan, als Forderungen an sie zu stellen, seit Ihr den ersten Fuß auf den Pfad gesetzt habt. Ihr solltet auf der Hut sein, dass die Dunkle Dame nicht die Geduld mit Euch verliert.«

Eine zornige Röte trat in Rivils Züge, aber Skerris’ versteinerter Blick gab ihm warnend zu verstehen, seine Zunge zu hüten. »Ihr seid ebenso weise, wie Ihr liebreizend seid, und ich entschuldige mich für meine übereilten Worte«, erwiderte Rivil mit sichtlicher Anstrengung. »Der Gedanke, dass Rilporin womöglich zum Ruhm der Götter geopfert werden muss, ist … verdrießlich für mich.«

»Nichts, was dem Ruhm der Götter dient, sollte jemanden verdrießen«, warf Corvus ein.

Hinter sich hörte Lanta Gilda schnauben und leise etwas vor sich hinmurmeln. »Es ist König Corvus, bei dem Ihr Euch entschuldigen solltet«, sagte Lanta, und Rivils Lippen zuckten. »Sein Mut ist es, den Ihr infrage gestellt habt, obwohl er selbst in Wachstadt gekämpft hat. Ihr hingegen habt bisher noch keinen Fuß aufs Schlachtfeld gesetzt.«

Diesmal war die Röte in Rivils Gesicht noch stärker, und Lanta gönnte sich einen kurzen Moment der Genugtuung darüber, obwohl sie wusste, dass sie ein gefährliches Spiel spielte. Es war nicht klug, ihre Verbündeten zu verhöhnen; und trotz ihrer Worte war ein Sieg alles andere als sicher. Wenn sich Rivil gegen sie wandte oder sich aus der Schlacht heraushielt, konnten sie immer noch alles verlieren.

»König Corvus, ich entschuldige mich«, murmelte der Prinz. »Der langsame Fortschritt der Belagerung macht mir zu schaffen. Aber ich werde nicht zulassen, dass Rilporin dem Erdboden gleichgemacht wird, es sei denn, es gibt keinen anderen Weg zum Sieg. Ich werde erst alle anderen Möglichkeiten erkunden, bevor ich einem solchen Vorhaben zustimme. Rilporin gehört mir, der Thron gehört mir, und die Götter werden dafür sorgen, dass ich in absehbarer Zeit meinen Platz darauf einnehme.«

Lanta biss sich auf die Zungenspitze, damit sie nicht angewidert die Lippen verzog. Du bist ein quengelnder Knabe, der Wörter ausspuckt, die er nicht versteht. Ich wurde in der blutigen Umarmung der Götter geboren, meine Seele vermählt mit dem Dunklen Pfad, noch bevor du das erste Mal in die Windeln geschissen hast. Und doch maßt du dir an, den Willen der Götter zu kennen, ihre Wünsche an dich? Du hast keine Demut, Prinz, und daher wird dir keine Gnade zuteilwerden, weder in dieser Welt noch in der nächsten.

»Wenn wir Rilporin wirklich zerstören würden«, warf Skerris ein, worauf Rivil mit offenkundigem Widerwillen reagierte, »dann würde uns das keine Alternativen mehr lassen, falls die Südtruppe herkommt. Die Eroberung der Stadt gibt uns die Macht zu verhandeln sowie Mauern, um unsere Verwundeten und unsere Heiligen zu schützen.« Er deutete auf Lanta. »Ohne Rilporin müssen wir schon am gleichen Tag, an dem der Feind eintrifft, kämpfen und siegen.«

»Wir drehen uns im Kreis«, stellte Corvus fest und tat Skerris’ Worte mit einer geringschätzigen Handbewegung ab. »Und wir reden über Dinge, über die wir noch nicht verfügen können. Ich habe ein Drittel meiner Männer aus Katzental bereitstehen, um die Mauer anzugreifen, und ich habe weitere Männer in Reserve, sollte die erste Angriffswelle von Erfolg gekrönt sein. Die Sonne steht noch nicht hoch am Himmel; wir haben noch einen ganzen Tag des Tötens vor uns. Gehen wir ans Werk.«

Rivil öffnete den Mund, aber Skerris kam ihm zuvor, glattzüngig und scheinbar ahnungslos, als habe er nicht bemerkt, dass sein Prinz hatte sprechen wollen. »Das werden wir auf der Stelle, Euer Majestät. Mein König, die dritte Tausendschaft steht bereit, und ebenso Lord Morellis. Mit Eurer Erlaubnis?«

»Ja, ja, schickt sie in die Schlacht. Hoffen wir, dass sie diesmal eine blutige Schneise in die Verteidigungslinie des Feindes schlagen, hm?« Rivil verschränkte die Arme, trat neben Corvus und heuchelte Langeweile, als bedeute ihm der Ausgang der Angelegenheit gar nichts, während die beiden Trupps von Kämpfern auf die Flaggen- und Trommelsignale reagierten und sich in Bewegung setzten. Belagerungstürme holperten über die Ebene, Angriffskommandos schleppten lange, bewegliche Sturmleitern hinter sich her und versuchten, so lange wie möglich in Deckung zu bleiben.

Sie beschleunigten ihr Tempo und verringerten es erst dann wieder, als sie sich einen Weg durch die Trümmer am Fuß der Mauer bahnen mussten, bis sie die Leitern schließlich gegen den Stein lehnten und zu klettern begannen.

»Meine Füße sind auf dem Pfad«, murmelte Lanta. An ihrer Seite stieß Gilda ein lautstarkes Gähnen aus und scharrte mit dem Fuß über das Gras.

»Was gibt’s zum Mittagessen?«, fragte sie.

Lanta knirschte mit den Zähnen.

DURDIL

Vierter Monat, zweiundzwanzigster Tag der Belagerung, nachmittagsTorhaus, Westmauer, Rilporin, Weizenland

Er verfügte über die dreitausend Mann der Palasttruppe sowie über die beiden Tausendschaften, die er von der Südtruppe abberufen hatte und die fünf Tage nach Beginn der Belagerung eingetroffen waren und sich dann vom Fluss Gil her den Weg in die Stadt erkämpft hatten. Verdammte fünftausend, oder zumindest waren das die Zahlen, die auf seiner Liste verzeichnet waren. Inzwischen waren es bereits Hunderte weniger, und noch mehr wurden jeden Tag verwundet. Fünftausend Soldaten und mehr als das Doppelte an verzweifelten Zivilisten, ein Hundertstel davon hysterische Adlige jeden Schlages und ein Fünftel der Männer von der Stadtwache, deren einzige Fähigkeit darin bestand, Betrunkene niederzuknüppeln und Steuern einzutreiben.

Durdil hatte seine Zahlen gern übersichtlich und leicht teilbar, im Moment jedoch hätte er sich mit jeder Zahl begnügt, an deren Ende mehrere Nullen standen, und jede einzelne davon auf der Seite der Verteidiger, gut bewaffnet und verdammt tödlich.

Sein Gesichtsausdruck war unbeteiligt, während er auf dem Dach des Torhauses stand, die Hände auf die hüfthohe Mauer gelegt. Den letzten Ansturm hatten sie nach Stunden des blutigen Nahkampfs zurückgeschlagen; Stunden, in denen es den Soldaten der Osttruppe und den Mirak zeitweise gelungen war, mehrere Brückenköpfe um ihre Belagerungstürme und Sturmleitern herum zu errichten. Durdils Arme und Schultern schmerzten vom Kampf mit Schwert und Messer, Speer und Schild. Seine Stimme war inzwischen kaum mehr als ein Krächzen, und er trank Honigwasser im Versuch, ihr die alte Kraft wiederzugeben.

Drei Wochen gefüllt mit Frontalangriffen, mit Sturmleitern und Belagerungstürmen und diesen gottverdammten, nimmer endenden Attacken der Bliden, die Steine gegen die Mauer schleuderten.

Drei Wochen und immer noch keine Nordtruppe.

Vielleicht gibt es Unruhen an der Grenze. Vielleicht hat die Nachricht von unserer Lage Listre erreicht, und die Totenlegion drängt in unsere Länder und macht sich unsere Abgelenktheit für ihre eigenen Zwecke zunutze. Wenn die Legion genug Männer aufbringen kann, wird es General Tariq nicht riskieren, die Nordgrenze offen zu lassen …

Wir sind auf uns allein gestellt.

Durdil beobachtete, wie zwei Männer einem dritten ins Treppenhaus halfen, zweifellos auf dem Weg zum nächsten Hospital. Es erinnerte ihn an etwas, und seufzend fügte er das Überprüfen der Verletztenzahlen der endlosen Liste von Dingen hinzu, die er heute noch erledigen musste. So vieles verlangte seine Zeit, von der Ernennung eines neuen Majors, der den verstorbenen Wheeler ersetzen konnte, bis hin zur Bekämpfung des Hortens von Vorräten; von der Organisation der Herstellung von Ersatzwaffen bis hin zum Sich-Abmühen mit dem verdammten Rat der verdammten Adligen mit ihren unaufhörlichen verdammt dummen Forderungen.

Eine Gestalt kam aus dem Treppenhaus hervorgeschossen, das in das Torhaus hinabführte, drängte sich durch die Umstehenden. Staubwolken stiegen vom Bart und den gewaltigen Schultern des Mannes auf. Renik und Vaunt, Durdils überlebende Majore, wirbelten zu ihm herum, die Hände auf ihren Schwertgriffen, während sie zu dem Riesen emporblinzelten.

»Fürstgeneral Koridam? Ich bin es, Merle Steinmetz«, grüßte der riesenhafte Mann für den Fall, dass ihn irgendjemand mit jemand anderem verwechseln könnte, der nicht den ganzen Tag lang Steinblöcke herumschleppte. »Ihr habt da ein Problem, Fürstgeneral, also haben wir alle ein Problem.«

»Merle Steinmetz, was gibt es Neues?«, fragte Durdil bedrückt. »Ich hoffe, es ist kein großes Problem. Davon haben wir nämlich bereits genug.« Leichtfertigkeit war Merles Sache nicht, und diejenige Durdils ebenso wenig, und als sich die ehrliche Stirn des Steinmetzes in Falten zog, legte sich ein kaltes Gewicht schwer über Durdils Magen. »Ich habe heute Morgen mit einigen der Jungs die Mauer überprüft, so wie Ihr es angeordnet habt, Herr, wie wir das jeden Morgen machen. Sie ist seit Beginn dieser Belagerung heftiger rangenommen worden als eine Zwei-Kupfermünzen-Hure, und …«

Durdil biss sich kräftig in die Innenseite seiner Wange. »Und?«, fragte er und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er spürte den Schweiß an seinem Haaransatz perlen.

Merle strich sich über den Bart. Eine Staubwolke stieg auf, und kleine Steinchen rieselten auf sein Hemd hinunter. Er wischte den Schmutz weg und trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Und wie besagte leicht zu habende Liebesdame ist die Mauer wirklich und wahrhaftig, nun ja … gefickt. Im Arsch, Fürstgeneral.«

Durdil wurde sehr still, sein Blut kribbelte in sämtlichen Gliedern, während ihm etwas zuschrie, dass er losrennen sollte, irgendwohin rennen, nur weg von hier. »Die Mauer ist was?«, krächzte er und widerstand dem Drang, die Hand auf seine Brust zu pressen, die sich langsam immer enger zuschnürte. Jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für einen weiteren Herzanfall.

»Wir haben ein wenig herumgestöbert, Fürstgeneral, auf der Mauer und im Zunfthaus. Jene Reparaturarbeiten, die Ihr vor drei Jahren angeordnet habt?« Er zeigte auf Sektion Zwei, das Ende der Stadtmauer, das die Osttruppe seit ihrem Eintreffen ständig unter Beschuss genommen hatte.

Durdil nickte stumm.

»Nix passiert. Ja, gut, sie haben da ein paar oberflächliche Arbeiten am zweiten Turm vorgenommen, damit es so aussieht, als würde alles nach Plan laufen, aber dabei handelt es sich lediglich um eine Fassade von gutem Stein über kaputten Steinen, die eigentlich hätten herausgeschlagen und ersetzt werden sollen. Wenn diese Mauer nur hinreichend geschwächt wird, stürzt sie ein, Herr. Keine Möglichkeit, das zu verhindern. Und …« Er machte eine verlegene Pause, und Durdils Brust schnürte sich noch ein wenig weiter zu. »Soweit wir das aus den Unterlagen erkennen können, nun ja, der Befehl, nur auszubessern, statt wirklich zu erneuern, kam aus dem Palast, Herr.«

Durdil atmete durch die Nase ein und stieß dabei einen hohen Grunzlaut aus. Seine Majore waren reglose Statuen des Nicht-wahrhaben-Wollens. Es war ein deutliches Zeichen für Durdils Verzweiflung, dass er Merle mit der Hand packte und ihn zur Außenseite der Mauer zerrte. Der riesige Mann hüpfte hinter ihm her wie ein Korken auf einem Bach.

Durdil beugte sich zwischen zwei Zinnen und deutete mit hektischen Fingerbewegungen nach beiden Seiten und nach unten. »Ihr wollt mir sagen, dass diese Mauer einstürzen wird? Wann? Wie lange kann sie noch standhalten?«

Merle erhob keinen Protest dagegen, so grob herumgeschubst zu werden. »Das Torhaus ist immer der schwächste Punkt, Fürstgeneral, wegen des verdammten Riesendurchgangs, der da unten hindurchführt, aber nachdem ich heute Morgen die ganze Mauer abgegangen bin und alles getan habe, um sie zu überprüfen, ohne Verdacht zu erregen, kann ich Euch versichern, dass der Abschnitt zwischen dem zweiten Turm und der letzten Bastion genauso schwach ist – also der Teil der Mauer, wo die Reparaturarbeiten hätten vorgenommen werden sollen, aber eben nicht vorgenommen worden sind. Noch gibt die Mauer nicht nach, doch wenn es so weit ist …«

»Sie haben es gewusst«, zischte Durdil und zeigte auf die Bliden und die Armee hinter ihnen. »Rivil und dieser einäugige Scheißkerl Galtas haben gewusst, dass diese Reparaturen in Wirklichkeit gar nicht durchgeführt worden sind. Haben sie das alles tatsächlich schon drei Jahre lang geplant?«

»Das kann ich nicht beurteilen, Fürstgeneral«, erwiderte Merle, als sei die Frage nicht rein rhetorisch gewesen.

Gemeinsam beobachteten sie, wie eine der Bliden einen Stein von der Größe eines Zugpferdes Richtung Stadt katapultierte. Der Felsblock wirbelte auf die Mauer zwischen dem zweiten Turm und der letzten Bastion zu und krachte mit einem so heftigen Aufprall gegen den Stein, dass sie die Erschütterung bis ins Torhaus spüren konnten. Merle beugte sich gefährlich weit über die Mauer und spähte an ihr entlang, als könnte er von hier aus den angerichteten Schaden sehen.

Dann trat er zurück und rieb sich klatschend die Hände. Er roch nach zerschmettertem Fels und nach Schweiß. »Wenn sie nicht aufgehalten werden, Fürstgeneral, und keine Notfallreparaturen vorgenommen werden, schätze ich, dass sie nur noch wenige Wochen brauchen dürften, um dort durchzukommen. Genauso sieht es beim Torhaus aus, falls sie sich das vornehmen sollten.«

»Mir gefällt dieses Gespräch überhaupt nicht, Merle«, bekannte Durdil und staunte selbst darüber, dass seine Stimme fest blieb. Galle überzog seine Zähne.

»Mir auch nicht, Herr«, erwiderte der große Mann, »aber das sind die Tatsachen.«

Major Renik war schneeweiß im Gesicht, und seine Hände umklammerten die heilende Wunde an seiner Seite, als hätten Merles Worte sie neu aufgerissen. Major Vaunt hatte sich an zwei Laufboten gewandt und sie zu Yarrow und Edris geschickt, Durdils Obersten.

Ungefähr drei Wochen, bis sie eine Bresche in die Mauer geschlagen haben, und keinerlei Verstärkung in Sicht. Nichts von Make und der Westtruppe zu hören, nichts von Tariq im Norden.

Drei Wochen, bis die Mirak und die Heiden mordend von Tür zu Tür ziehen werden und alles vergewaltigen, was sich bewegt.

Durdil kämpfte die in ihm aufwallende Übelkeit nieder, schnappte nach Luft und versuchte nachzudenken. Merle musterte ihn mit einem Gesichtsausdruck, der demjenigen ganz ähnlich war, mit dem ein Ochse das Schlachtbeil ansieht. Durdil wollte seine Faust gegen die Zinnen schlagen, wusste jedoch, dass ihm davon nicht nur die Knöchel wehtun würden, sondern dass es, wenn man Merle Glauben schenken durfte, die verdammte Mauer womöglich sogar zum Einsturz bringen könnte.

»Wie viele gute Steinmetze habt Ihr, Merle?« Er gab sich größte Mühe, einen gleichmütigen Tonfall beizubehalten.

»Acht.«

»Ist das genug?«

»Für das, was Ihr da offenbar andeuten wollt? Nein. Aber ich kann ein Dutzend talentierte Lehrlinge zum Schleppen und zur Ausführung der nötigen Arbeiten aufbringen, sobald wir die schlimmsten Steine herausgehauen haben. Natürlich schwächen wir dadurch die Mauer noch weiter. Ihr müsst uns diese Bliden mindestens einen Tag lang vom Hals halten. Mörtel braucht Zeit, um fest zu werden. Ein Tag und eine Nacht wären noch besser, zwei Tage und eine Nacht wären ideal.«

»Unmöglich«, murmelte Vaunt. »Es sei denn, wir schicken mitten in der Nacht ein Selbstmordkommando aus, um die Wurfmaschinen funktionsuntüchtig zu machen.«

»Im Moment gibt es keinen Vorschlag, über den nachzudenken ich nicht bereit bin, Selbstmordkommandos eingeschlossen«, blaffte Durdil.

Die Obersten Edris und Yarrow erschienen oben auf dem Torhaus, und Renik ging auf sie zu, sprach schnell und leise auf sie ein und brachte sie auf den neuesten Stand. Beide Männer fluchten laut und drängten sich dann um Durdil, um zuzuhören.

»Holt Eure Steinmetze und macht Euch an die Arbeit. Ich will die Steine bereitliegen haben, um sie in die Mauer einsetzen zu können, sobald die alten Steine entfernt worden sind. Aber ich will, dass Ihr damit erst anfangt, wenn Ihr von mir gehört habt.« Durdil schaute an Merle vorbei zu seinen Offizieren. Sie nickten, ihre Gesichter grimmig. »Wenn die Mauer hält, verspreche ich jedem der Steinmetze, dass ich ihn zum Lord erheben werde, und jeder der Lehrlinge erhält zehn Goldkönige«, fügte Durdil hinzu und fragte sich, ob er dieses Versprechen denn tatsächlich würde einhalten können.

Merle wirkte gekränkt. »Ich will nicht einmal einen Kupferritter, geschweige denn einen Goldkönig oder den Titel eines Lords, Fürstgeneral«, protestierte er und wedelte mit Händen, die groß wie Schinken waren, durch die Luft zwischen ihnen. »Ihr könnt mein Talent und meine Zeit und meinen Schweiß haben, und dafür verlange ich nicht mehr als genug Essen und Trinken, dass ich weiterarbeiten kann. Und das Gleiche kann ich für vielleicht die Hälfte meiner Männer sagen. Was die Übrigen angeht, nun ja, haltet diese Münzen am besten bereit. Ich werde das mit der Lordswürde nicht erwähnen, und mein Rat an Euch ist, dass Ihr das auch nicht tut. Wir haben schon genug jämmerliche Männer von Adel, die im Palast herumlungern, sodass ein solcher Titel weit weniger Verheißung mit sich bringt als Gold. Doch für mich gilt mein Versprechen. Gebt mir zu essen und genug Wasser und Dünnbier, und ich werde zusehen, dass Ihr dafür reichlich vergütet werdet.«

Durdil korrigierte im Geiste seine Meinung von dem Mann und schluckte den Kloß hinunter, der sich plötzlich in seiner Kehle gebildet hatte. Die größte Stadt der Welt, heißt es, dachte er, während er dem Impuls widerstand, die Arme um den massigen Steinmetz zu werfen.

»Verzeiht mir, Steinmetz, ich wollte Eure Ehre nicht in Zweifel ziehen. Es sind nun mal … schwierige Zeiten. Lasst mir die Zahl der Männer zukommen, die Ihr braucht, um die Steine zu behauen und zu transportieren, und setzt mich in Kenntnis, welche Hilfe Euch die Wachen und die Bürger dabei leisten können. Ich fürchte, wir werden leider keinerlei Soldaten für diese Unternehmung erübrigen können.«

»Schickt sie zu mir«, ging Yarrow dazwischen. »Sektion Zwei untersteht meinem Befehl. Ich werde dafür sorgen, dass die Sache erledigt wird, Herr.«

Durdil nickte und spürte, wie ein ganz klein wenig seiner Anspannung von ihm abfiel. Er hatte noch jemanden gefunden, der die Last mit ihm teilte. Den Göttern sei gedankt, dass er so viel Zeit in die Ausbildung seiner Untergebenen investiert hatte, dass er darauf bestanden hatte, dass die besten Leute in der Stadt stationiert wurden, um den König zu bewachen.

Nicht, dass ihn das hätte retten können.

Merle klatschte in die Hände. »Männer mit kräftigem Rücken, die nicht jammern, wären überaus willkommen. Mindestens sechzig, damit wir schnell vorankommen.«

»Ich werde sie bis Einbruch der Dämmerung ins Zunfthaus schicken, Steinmetz«, versprach Yarrow, salutierte und verschwand.