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In Altdorf bei Nürnberg wird zur Zeit des Festspiels ein Toter in der Löwengrube gefunden. Er trägt das Kostüm Wallensteins, in seiner Brust steckt ein Säbel. Beate Maiwald, Kommissarin aus Gotha, die zusammen mit ihrem Kollegen Klaus Hubertson ihren Urlaub in Altdorf verbringt, sollte es nicht, tut es aber trotzdem: Sie ermittelt auf eigene Faust. Immerhin geht es um Beates Heimatstadt, sie kennt einige der Verdächtigen, und vor allem kennt sie das zweite Opfer …
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Seitenzahl: 249
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Die Luft flirrte unter den Bäumen der Löwengrube und in ihrem ungewissen Schatten schien es fast, als würde der Säbel nach dem tödlichen Stoß noch in der Brust des Mannes zittern. Aber das war nur die Wirkung des trügerischen Lichts. Die Waffe bewegte sich nicht mehr, der Leichnam in der altmodischen Uniformjacke war kalt. Wer immer dem Mann den Säbel ins Herz gestoßen hatte, war längst über alle Berge. Das getrocknete Blut auf der weißen Hemdbrust und dem breiten Spitzenkragen bildete einen erstaunlich kleinen dunklen Fleck. Seltsam friedlich wirkte das alles, harmlos wie auf einer Theaterbühne. Als hätten sich die Schauspieler nur kurz in die Kantine zurückgezogen, während der Tote, eine naturgetreu gestaltete Wachspuppe, liegen geblieben war für die nächste Szene. Gleich würden Männer in dunklen Anzügen und schweren Umhängen herantreten, ein Medikus vielleicht und der Hauptmann der Wache, und über den Toten hinweg in düsterer Gelassenheit ihrer Pflicht nachgehen.
Aber es kamen keine Schauspieler in barocker Kostümierung. Zwei Jogger in kurzen Hosen und knappen T-Shirts liefen den Weg vom Lenzenberg herunter. Sie sprangen hintereinander aus dem gleißenden Sonnenlicht in das Halbdunkel des Waldes, um auf ihrem morgendlichen Lauf die Löwengrube zu durchqueren. Von dort wollten sie weiter durch das Schwarzachtal bis nach Rasch – doch beim Anblick des Toten blieben sie beide stehen wie vom Blitz getroffen. Denn irgendwie sah es eben doch schrecklich aus, und vor allem gehörte ein Mann in einer mit Tressen besetzten Samtjacke und einem Säbel in der Brust nicht in den Wald. Schon gar nicht an einem Montagmorgen im Juli. Die Luft war voller Vogelgezwitscher, der Himmel blau wie Seide. Ein Idyll. Eine Leiche hatte hier nichts verloren. Das flirrende Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel, verlieh der Szene eine eigentümliche Lebendigkeit, die mit der Realität nichts zu tun hatte. Der Tote lag mit Sicherheit schon seit einigen Stunden am Wegrand über der Schlucht. Schräg hinter ihm öffnete sich düster der Eingang zu einer Höhle, oder besser einer Galerie. Der Wanderweg nach Prackenfels führte durch sie hindurch, die drei Bogenfenster in der Höhlenwand gaben den Blick über eine schroffe Schlucht frei, die ein Bach in den Sandstein gegraben hatte. Vor ein paar hundert Jahren hatte man hier Steine zum Bau der Universität Altdorfina gewonnen, später wurde in den aufgelassenen Steinbruch eine Kegelbahn gebaut. Ein idyllischer Ort zum Feiern, bis in die heutige Zeit. Nur ein paar alte Bierkeller der Altdorfer Hopfenbauern lagen in der Nähe. Der einzige Nachbar, dessen Haus unmittelbar über dem Zugang zu einem Felsenkeller gegenüber der Höhlengalerie stand, hatte zwar einige Verbotsschilder aufgehängt, aber herumliegende Bierflaschen und andere Hinterlassenschaften bewiesen, dass vergnügungssüchtiges Partyvolk sich immer wieder darüber hinwegsetzte.
Jetzt lag also einer von ihnen tot vor dem Höhleneingang, unmittelbar über einer Quelle, die leise plätschernd ein kleines Becken füllte, bevor sich der Bach seinen Weg in die Schlucht bahnte. Eigentlich hätte es nicht allzu viel gebraucht, um den Toten ganz hinunterzuschieben. Aber das hätte seine Entdeckung auch nicht verzögert, denn sehr tief wäre er nicht gefallen. Vor allem von dem Pfad auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht wäre er schon von weitem sichtbar gewesen. Vermutlich hatte sich der Täter deshalb die Mühe gespart.
Die beiden Jogger waren wohl die Ersten, die an diesem Morgen hier vorbeikamen. Jetzt standen sie keuchend und immer noch wie angewurzelt an der Stelle, wo sie ihren Lauf bei dem erschreckenden Anblick unterbrochen hatten. Für einen Moment hatten sie gehofft, es handle sich um eine optische Täuschung. Sie kamen aus dem Sonnenlicht in das Halbdunkel unter den Bäumen, da konnten einem die Augen schon einen Streich spielen. Beide blinzelten nervös, der Mann wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Aber als seine Begleiterin halblaut ›Scheiße‹ vor sich hin murmelte, musste er einsehen, dass der Tote vor der Höhle wohl doch keine Täuschung war.
Der Mann war groß und breitschultrig, hatte nur leider etwas zu viel Bauch, um wirklich athletisch zu wirken. Die Frau neben ihm war zierlich, mit blonden kurzen Haaren, deutlich älter als ihr Begleiter und entschieden besser trainiert. Ihr war der Lauf von der Stadt bis hierher nicht im Geringsten anzumerken, während er keuchend nach Luft schnappte.
Sie starrten immer noch auf die Leiche. Der Mann war blass geworden, alle Röte der offensichtlich ungewohnten sportlichen Betätigung war aus seinem Gesicht gewichen. Die Frau schien weniger erschrocken. Sie holte tief Luft. »Du bleibst, wo du bist«, sagte sie dann ruhig und ging langsam auf den Toten zu, wobei sie sehr genau darauf achtete, wo sie ihre Füße hinsetzte. Dann beugte sie sich über den Körper und legte zwei Finger an seinen Hals, um nach dem Puls zu fühlen. Dabei wusste sie längst, dass das eine nutzlose Geste war. Und richtig, der Leichnam war kalt.
»Hast du dein Handy dabei?«, fragte sie leise.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Darf ich dich daran erinnern, dass du mich mit einem schrecklichen Tod bedroht hast, wenn ich es wage, die fränkische Idylle mit Handygeklingel zu stören?«, murrte er. Sie nickte abwesend. »Vielleicht ist dort oben jemand daheim«, sagte sie und deutete auf das Haus über dem Felsenkeller. »Wenn nicht, dann lauf zurück und bring die Polizei auf den Weg. Ich bleibe hier, damit niemand durch den Tatort trampelt. Sie sollen sich beeilen. Wahrscheinlich brechen bei diesem Wetter bald jede Menge Wanderer hier durchs Unterholz.«
Er nickte nur. Mit ein paar raschen Schritten war er bei dem Gartentor am Waldrand, an dem sie vor ein paar Minuten so tatendurstig vorbeigerannt waren und läutete mehrmals. Nichts rührte sich.
»Niemand da!«, rief er seiner Begleiterin zu und machte sich resigniert auf den Weg zurück in die Stadt. Leider ging es jetzt erst einmal ein gutes Stück bergauf, was ihm wieder die Röte ins Gesicht trieb. Er keuchte schon nach wenigen Metern. Die Idee zu dem Lauf war vermutlich nicht auf seinem Mist gewachsen.